Spiegel TV hat's nicht kapiert ...
By seelenlos on Wednesday, April 2 2008, 02:22 - Die Medien - Permalink
Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!
Mit viel Spannung erwartet, flimmerte gestern spät die Sendung mit Christiane Völling, A*** und "Dusty" Karim Merah über die Mattscheibe. Leider hatten sich die Befürchtungen angesichts der ziemlich bescheuerten Ankündigung weit gehend bestätigt. [Wer "Eindeutig zweideutig! Hermaphroditen, Zwitter und Intersexuelle" (sic!) verpasste: Einen kurzen Einblick ermöglicht der Trailer. Wie bei Siegel TV üblich, ist die Sendung ansonsten nicht umsonst online anzugucken.]
Zwar vermochten die interviewten Zwischengeschlechtlichen deutlich zu schildern, was für eine Tortur es ist, von einer zwangsgeschlechtzuweisungsgeilen Gesellschaft hilflos der Macht gewissenloser Mediziner überantwortet zu werden (was wohl erklärt, weshalb die Sendung erst nach 23 Uhr angesetzt war). All das Leid bei den zahllosen Untersuchungen (wo es vor allem darum zu gehen scheint, wie oft und wie heftig die amtierenden "Ärzte" wieviele Finger in zwittrige Genitalöffnungen rammen können), gefolgt von menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen und ebensolchen Hormontherapien. Alles mit dem Ziel, nach Belieben ein eindeutiges Geschlecht herzustellen. Ob dies den Betroffenen nun passt oder nicht ist dabei Nebensache.
In was für ein Schema diese erschütternden Interviews jedoch von den verantwortlichen RedaktorInnen gepresst wurden, unterstützt durch den grösstenteils selten hanebüchenen Kommentar, ist eindeutig unter aller Sau und kommt m.E. einer nochmaligen Vergewaltigung der Portraitierten gleich. Selten habe ich eine derart undifferenzierte und unsensible Berichterstattung gesehen (und mensch ist sich bei diesem "Tabuthema" ja einiges gewohnt).
Ein kleines Beispiel, was ich unter "selten hanebüchenen Kommentar" verstehe:
Ich meine, sorry, aber so ne Scheisse kann nur jemand rauslassen, der 1) das Privileg hat, mit intakten Geschlechtsorganen aufgewachsen zu sein, und zudem 2) von der Materie keinen blassen Schimmer. Hallo, dummer Spiegel: Der "Witz" einer Kastration besteht ja gerade darin, dass sie nicht mehr rückgängig zu machen ist!Kastrationen im Kindesalter lassen sich nur schwer rückgängig machen.
Am meisten tat jedoch weh, wie die Redaktion dauernd alles tat, die Zwischengeschlechtlichen (nach bekanntem Muster) quasi "transsexualisiert" darzustellen. Nämlich als wäre es das einzige bzw. eigentliche Problem, dass alle Interviewten zunächst irrtümlich dem "falschen" Geschlecht zwangszugewiesen wurden, doch nun mit einer nachträglichen (so "gut" das überhaupt noch geht) nochmaligen "Geschlechtsangleichung" wäre dann alles in Butter. So nach dem Motto, endlich alles richtig verortet im (nie hinterfragten) Raster von "echten Weiblein" und "richtigen Männern", und alles wird gut. Dass dieses blindwütige Bloss-nicht-über-dieses-"gottgegebene"-Raster-hinausdenken-wollen das ganze Leid erst produziert (auch heute noch), davon hat die bescheuerte Spiegel-TV-Redaktion (im Gegensatz zur Printredaktion) offensichtlich nicht den geringsten Schimmer einer Ahnung (oder gar Einsicht), sondern ist im Gegenteil offensichtlich gar noch stolz auf die eigene Dummheit! Pfui, 6 minus, nachsitzen, setzen!
Schade, die mutigen und bewegenden Aussagen der Zwischengeschlechtlichen, die ihnen bestimmt nicht leicht gefallen sind (und auch die ihrer Angehörigen, Nachbarinnen und Freunde, die ebenfalls kein Blatt vor den Mund nahmen, ebenso die von Christianes Anwalt Georg Groth und ihrem jetzigen Arzt), wären definitiv einer intelligenteren Sendung würdig gewesen. So bleibt lediglich der Trost, dass diese gründlich missratene "Reportage" allem redaktionellen Humbug zum Trotz wiederum mehr Menschen mit dem Unsinn der frühkindlichen Zwangsoperationen und sonstigen zwangszuweisenden Praktiken konfrontierte und sie somit hoffentlich für diese in der Öffentlichkeit nach wie vor zu wenig bekannten Menschenrechtsverletzungen sensibilisierte. Dafür allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön!
Comments
Da ich kein Fernsehgerät besitze, habe ich die Sendung nicht gesehen. Aber die Sendezeit fiel mir in der Vorankündigung auch auf:
Mitten in der Arbeitswoche, kurz vor Mitternacht. Das ist die Zeit für Sendungen, mit denen man zeigen möchte, dass man vor kritischen Themen nicht zurückweicht, aber es bleiben halt nur diejenigen auf, die wirklich starkes Interesse am Thema haben. Themen mit uninteressanter Einschaltquote.
---
Dass wohl das ausgeleierte "Identitäts"thema für die Redaktion im Vordergrund stand, verwundert nicht. Es ist die Botschaft der Redaktion. Die Printreadaktion hat das mit ein paar Bildern und wenigen, locker eingestreuten Sätzen gemacht. Und mit dem Schlusssatz des Artikels, der ja beim unbedarften Leser am deutlichsten hängen bleibt...
Gerade deswegen finde auch ich es mutig von den Teilnehmern, sich in die Höhle dieses aasfressenden Löwen zu begeben und Klartext zu reden.