Caster Semenya ist Südafrikameisterin über 800 und 1500 Meter; IAAF: neue "Hyperandrogenismus"-Geschlechterregeln auf Mai; Claudia Wiesemann: "Sportverbände sind naiv"; Hida Viloria (OII) über die IOC-Geheimkonferenz (XXIX)
By seelenlos on Friday, April 15 2011, 13:52 - Die Medien - Permalink
Mokgadi Caster Semenya ist doppelte Südafrikameisterin: Letzten Sonntag errang sie in Durban zunächst in brütender Mittagshitze den Titel über 800m mit 2:2.10, und siegte wenige Stunden später auch über 1500m (4:12.93), vgl. englische Berichte u.a. auf Sowetan und SA-Times.
Wie Semenya Reportern erzählte, war sie mit ihrer 800m-Zeit nicht ganz zufrieden (vor dem Rennen hatten sie und ihr Trainer Michael "Sponge" Seme verlauten lassen, sie strebe eine Zeit unter 2 Minuten an, was sie knapp verfehlte), jedoch erfreut über das Resultat über 1500m. Letzteres Rennen habe sie ursprünglich lediglichzur Unterstützung ihrer Teamkollegin Violet Raseboya mitgemacht, die dann mit einer persönlichen Bestzeit von 4:16,12 Dritte wurde, vgl. witness.co.za.
Gegenüber der Agentur Reuters gab Caster Semenya weiter bekannt, sie wolle sowohl in den kommenden Weltmeisterschaften Ende August in Daegu, Südkorea Korea wie auch an den Olympischen Spielen 2012 ebenfalls über beide Distanzen antreten.
Semenyas Manager Jukka Harkonen kündigte an, Caster werde u.a. am 28. Mai zur IAAF World Challenge in Dakar, Senegal antreten, sowie am 4. Juni am Prefontaine Classic Diamond League Meeting in Eugene, Oregon (USA). Ein weiterer Start 5 Tage später in Oslo an den Bislett Games sei noch in Verhandlung.
Zu einer unschönen Szene sei es zudem am Rande von Casters 1500m-Sieg gekommen, als die zweitplatzierte Lebogang Phalula (4:13.89) eine Tirade gegen die Siegerin vom Stapel liess, wobei sie versucht habe, diese über das Ansagemikrophon zu verbreiten, was nur durch Beistehende habe verhindert werden können. Auf Anraten ihres Anwaltes hält sich Lebogang Phalula mittlerweile öffentlich über den Vorfall bedeckt, was aber offenbar nicht verhinderte, dass nun der Südafrikanischen Athletikverband ASA deswegen ein Disziplinatverfahren gegen sie einleitete (vgl. Sowetan, Witness und Legalbrief).
IAAF: neue "Hyperandrogenismus"-Geschlechterregeln auf 1. Mai
Wie der Weltathletikverband IAAF in einer >>> Pressmitteilung (englisch) vom 12. April bekannt gab, will er als erster Weltverband die bereits vom Internationalen Olympischen Komitee IOC angekündigten, neuen "Geschlechtertests für Athletinnen mit Hyperandrogenismus" implementieren. Wie schon das IOC liess sich auch die IAAF über die Details nicht öffentlich aus. Laut einem >>> Zeit-Artikel soll die IAAF einen Grenzwert von "zehn Nanomol Testosteron pro Liter Blut anpeil[en]".
Wie in einem >>> Kommentar auf diesem Blog vermerkt, sind damit prinzipiell Athletinnen mit CAH/AGS schlechter gestellt, nach den bisherigen IAAF-Regeln (Stockholm Consensus) waren diese bisher unbeschränkt zugelassen. Wie auch bei den IOC-Ankündigungen besteht auch bei der IAAF weiterhin das Problem mangelnder Transparenz wegen undurchsichtigen Entscheiden hinter verschlossenen Türen und weiterhin fehlenden offiziellen Rekursmöglichkeiten.
Auch der IAAF nicht angesprochen wurden weiter bekannte Probleme im Zusammenhang mit Athletinnen mit Androgenresistenz, da "Wissenschaft und Medizin" dabei nach wie vor in 50% aller Fälle keine exakte Diagnose stellen können, es aber anzunehmen ist, dass IOC und IAAF eine ebensolche exakte Diagnose als Startbedingung voraussetzen werden.
Ebenso unangesprochen ist nach wie vor die ethisch, menschenrechtlich und juristisch höchst problematische, unreflektierte Zusammenarbeit der Sportverbände mit bekannten GenitalverstümmlerInnen und weiteren medizynischen VerbrecherInnen. Bezeichnenderweise kommt im Zeit-Artikel als lokaler "Experte" dann ausgerechnet der Leiter der Endokrinologie an der Berliner Charité zu Wort – eine altbekannte und ebenso notorische Genitalabschneiderklinik (nur der politisch verantwortliche Berliner Senat will wenig überraschend angeblich "keine Erkenntnisse über konkrete Fälle" haben, vgl. 16/14436).
Dass die von IOC undf IAAF angekündigte Regeln alles andere als klar sind (wie z.B. eine >>> dpa-Meldung in der Ärztezeitung behauptet), zeigt sich u.a. auch darin, dass der >>> englische Sportkolumnist John Goodbody meint, die neuen Regeln würden bedeuten, dass Caster Semenxa sich nun von neuem testen lassen müsse, um künftig zu Wettkämpfen zugelassen zu werden, was nach den neuen Reglen nicht mehr garantiert sei.
Medizinethikerin Claudia Wiesemann: "Sportverbände sind naiv"
Nicht zu unrecht wurden die internationalen Sportverbände dann auch von der Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann in in der >>> Süddeutschen Zeitung als "noch sehr naiv" kritisiert: "Das IOC missachtet den Schutz der Sportlerinnen."
Leider argumentiert Claudia Wiesemann im Interview – wie schon in ihrer aktuellen Publikation "Is there a right not to know one’s sex? The ethics of ‘gender verification’ in women’s sports competition" (Journal of Medical Ethics, März 2011) – hauptsächlich in Bezug auf das Recht der Athletinnen auf Nichtwissen um eine mögliche biologische Zwischengeschlechtlichkeit, während gleichzeitig verstümmelnde medizynische Eingriffe und undurchsichtige Ausschlussverfahren kaum angesprochen werden.
Zwar mag das das "Recht auf Nichtwissen" ein tatsächliches und interessantes ethisches Problem darstellen. Angesichts der massiven Verletzungen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit durch die Sportverbände und ihre Genitalabschneider-"ExpertInnen" mutet die Gewichtung bei Wiesemann zumindest streckenweise aber doch eher akademisch an. Schlimmer noch, im Journal of Medical Ethics zitiert sie Resultate der Hamburger Studie zur bekanntlich hohen Selbstmordgefährdung mehrheitlich genital zwangsoperierter Zwischengeschlechtlicher – lässt aber die Tatsache der Traumatisierung durch die Verstümmelungen kurzerhand aus und behauptet gar, das Trauma rühre einzig (!) von der "Verunsicherung [...] mit DSD diagnostiziert zu werden". Dies ist nicht nur grobfahrlässig und kompletter Unsinn, sondern arbeitet dazu noch direkt den VerstümmlerInnen in die Hände ...
Immerhin spricht Wiesemann aber im Interview die massiven Verletzungen der Persönlichkeitsrechte durch die Sportverbände konkret an.
Hida Viloria (OII) über die IOC-Geheimkonferenz
In einem >>> englischen Online-Artikel äusserte sich Hida Viloria (Organisation Intersex International OII), die vom IOC als "Vertreterin der Intersex-Community" zu einer von Geheimnistuerei umgebenen Konferenz um die neuen Regeln eingeladen worden war (dieser Blog berichtete), zum ersten Mal öffentlich über diese Verhandlungen.
Als medizynische Zwangsauflagen der Sportverbände sprach Hida Viloria im Artikel überraschenderweise ausschliesslich medikamentöse Eingriffe an und keine Operationen (wie z.B. Kastration/Gonadektomie etwa bei Sportlerinnen mit partieller Androgenresistenz), wobei nicht klar wird, ob letztere mittlerweile etwa von den Sportverbänden fallen gelassen wurde (was eine bemerkenswerte Neuigkeit wäre), oder ob diese Auslassung möglicherweise dem Blickwinkel von Hida Vilorias persönlichen Biographie geschuldet war.
Vergleichsweise grossen Platz nahmen dagegen Überlegungen ein über soziale Wahrnehmung von Geschlechtsunterschieden, "Beweise über die grosse Vielfalt von Männern und Frauen", "Akzeptanz" von Menschen "ausserhalb der Norm", usw. Sich selbst deklarierte Viloria im vorliegenden Artikel übrigens als "Intersex Frau": "Ich fühlte mich immer als Mädchen und passte auch ins entsprechende Bild, war sogar Cheerleaderin an der High School".
Hida Vilorias am IOC-Meeting vertretene Position [1] war laut dem Bericht die seinerzeit u.a. auch von Alice Dreger [2] und jüngst von Claudia Wiesemann [3] vertretene, nämlich: juristisch und sozial als Frauen lebende Athletinnen sollten alle ohne Auflagen teilnehmen können.
(Betreffend damit verbundenen Befürchtungen hiess es in ähnlichem Zusammenhang im Hermaphroditforum kürzlich trocken: "Die Gefahr, dass gewissenlose Eltern Kinder zu Rekordathleten heranzüchten wollen könnten, sehe ich auch.")
[1] Hida Viloria: "Letzten Oktober am IOC-Meeting zum Thema weibliche Athletinnen mit Hyperandrogenismus vertrat ich die Position, diese Frauen sollten teilnehmen dürfen ohne dazu Hormone nehmen zu müssen. Schliesslich waren sie während ihres ganzen Lebens Frauen, und keine Männer, und es stehen nur zwei Geschlechter zur Verfügung um an Wettkämpfen teilzunehmen." [meine Hervorhebungen] >>> englisches Original, 11.4.11
[2] Claudia Wiesemann: "Ich würde dafür plädieren, dass jeder Mensch, der im sozialen Geschlecht Frau aufgewachsen ist und legal als Frau gilt, auch bei Frauen starten darf." [meine Hervorhebungen] Quelle: Interview Süddeutsche Zeitung, 16.4.11
[3] Alice Dreger: "Einige haben vorgeschlagen – und ich tendiere stark dazu dem zuzustimmen – dass "Geschlechtstests" wirklich nur "Gendertests" sein sollten: Wenn jemand wirklich als Frau aufwuchs, kann sie teilnehmen." [meine Hervorhebungen] >>> englisches Original: "Sex Typing for Sport", Hastings Center Report March-April 2010 (PDF 187 KB)
Wie schon Zwischengeschlecht.org (u.a. im Offenen Brief an das IOC) vertrat Viloria laut Artikel an der IOC-Konferenz weiter, wenn schon Geschlechtertests, so müssten alle Frauen denselben Tests unterzogen werden (statt wie bisher bloss "verdächtig Aussehende"/als solche Denunzierte), und weiter müssten entsprechende konkrete Regeln öffentlich bekannt gegeben werden (statt, dass – wie auch unter den "neuen Regeln" – letztlich Medizyner-Geheimkommissionen hinter verschlossenen Türen undurchsichtige "Fall-zu-Fall-Entscheide" nach eigenem Gutdünken treffen).
Sowie den anscheinend letztlich verwirklichten Vorschlag, dass die neuen Geschlechtstests im Rahmen der eh schon stattfindenden Dopingkontrollen durchgeführt werden sollen (wie seit geraumer Zweit bekanntlich auch die offiziell mit den seinerzeitigen obligatorischen Gentests abgeschaffte "Strip Show" vor MedizinerInnen, neu nun einfach während der Urinabgabe während der Dopinhkontrollen).
>>> IOC und IAAF unterstützen GenitalverstümmlerInnen
>>> Zwitter im Sport: IOC, IAAF und FIFA leugnen Verantwortung
>>> IOC/IAAF/FIFA: "Zwitter brauchen OPs und Hormonbehandlungen"
>>> Pressemitteilung Zwischengeschlecht.org von 22.01.2010
Siehe auch:
- Alle Posts über Caster Semenya
- Caster Semenya rehabilitiert – und Santhi Soundarajan???
- Diskriminierung von Zwittern im Sport weltweit
- "Caster Semenya wird als Zwitter verheizt"
- Protest gegen Diskriminierung von Zwittern im Sport, IOC 19.11.09