Genitalverstümmelung in Kinderkliniken: Fehlende Einsicht der Täter - Nationale Ethikkommisson (NEK-CNE)

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STOP Genitalverstümmelung in Kinderkliniken!

Als Reaktion auf 2 von Zwischengeschlecht.org initiierte parlamentarische Vorstöße führt aktuell die schweizerische Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE) im Auftrag des Bundesrates nicht-öffentliche Anhörungen zum Thema "Intersexualität/DSD" durch. In einer schriftlichen Vorab-Stellungnahme hob Zwischengeschlecht.org aus der Perspektive von Betroffenen von kosmetischen Genitaloperationen im Kindesalter zentrale Fakten heraus.

Die im nachfolgend dokumentierten Ausschnitt belegten Zahlen stammen aus internationalen Erhebungen und repräsentieren die aktuelle Situation auch in Deutschland und Österreich. Die Zitate unbeirrbarer TäterInnen beschränken sich zwar auf die Schweiz, vergleichbare Äußerungen finden sich jedoch aus allen Ländern, in denen weiterhin täglich wehrlose Kinder verstümmelt werden. Weitere Teile der Stellungnahme werden in loser Folge erscheinen.  

 
Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE)

Schriftliche Stellungnahme von Zwischengeschlecht.org, 8.12.2011:

Kosmetische Genitaloperationen bei Kindern und Jugendlichen mit „uneindeutigen“ körperlichen Geschlechtsmerkmalen (Intersexualität/DSD)

Anhang 5: Fehlende Einsicht der Behandler

Bis heute werden nach Erhebungen der Behandler selbst 90% aller Betroffenen als Kinder und Jugendliche durchschnittlich mehrfach operiert:

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)

Lübecker Studie (mit Schweizer Beteiligung) Quelle: Martina Jürgensen: "Klinische Evaluationsstudie im Netzwerk DSD/Intersexualität: Zentrale Ergebnisse", Vortrag 27.05.2009, Folie 6.

Bis heute werden nach Erhebungen der Behandler selbst Eltern zu 90% ausschliesslich von Endokrinologen und Kinderchirurgen beraten und betreut. Werden überhaupt Psychologen und Sozialpädagogen hinzugezogen, so spielen sie im "multiprofessionellen Team" höchstens eine Nebenrolle.
Eckhard Korsch: "Überlegungen zur praktischen Umsetzung des DSD-Consensus-Statements", Vortrag APE 2006, Folie 16.

Bis heute werden nach Erhebungen der Behandler selbst 50% der betroffenen Kinder nicht oder nur unzureichend aufgeklärt:

"Die Hälfte aller Kinder zwischen 8 und 12 Jahren, bei denen regelmäßige ärztliche Kontrollen durchgeführt werden, ist nicht über die konkreten Gründe dafür aufgeklärt."
Lübecker Studie (mit Schweizer Beteiligung)
Eva Kleinemeier, Martina Jürgensen: Erste Ergebnisse der Klinischen Evaluationsstudie im Netzwerk Störungen der Geschlechtsentwicklung/Intersexualität in Deutschland, Österreich und Schweiz. Januar 2005 bis Dezember 2007, 2008, S. 32
http://www.netzwerk-dsd.uk-sh.de/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf

Bis heute werden nach Erhebungen der Behandler selbst rund 20% der betroffenen Jugendlichen nicht oder nur unzureichend aufgeklärt:

"82% der Jugendlichen kennen die genauen Gründe der regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen und 3/4 der Jugendlichen mit uneindeutigem Genitalbefund wissen, dass die bei ihnen die Geschlechtsorgane anders aussehen oder ausgesehen haben als es gewöhnlich der Fall ist."
Lübecker Studie (mit Schweizer Beteiligung)
Eva Kleinemeier, Martina Jürgensen: Erste Ergebnisse der Klinischen Evaluationsstudie im Netzwerk Störungen der Geschlechtsentwicklung/Intersexualität in Deutschland, Österreich und Schweiz. Januar 2005 bis Dezember 2007, 2008, S. 32
http://www.netzwerk-dsd.uk-sh.de/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf

Eine beliebte Ausflucht der Behandler besteht darin, gebetsmühlenartig das Fehlen von Langzeitstudien zu beklagen und gleichzeitig unkontrolliert weiter zu operieren.
Howard Devore: "Endless Calls for 'More Research' as Harmful Interventions Continue". In: Hermaphrodites With Attitude, Fall/Winter 1996, S. 3 [PDF].

Eine weitere beliebte Ausflucht der Behandler besteht darin, als Reaktion auf Kritik die Definition von "Intersexualität" nach Bedarf zu verengen, um die Zwangsbehandlungen öffentlich abzustreiten:

Prof. Dr. Primus Mullis, Abteilungsleiter für pädiatrische Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, behauptet zunächst: "Hier werden keine Zwangsoperationen durchgeführt", um darauf sogleich als "Ausnahme in kosmetischer Hinsicht" diejenigen "Mädchen" zu nennen, die mit dem so genannten adrenogenitalen Syndrom geboren werden: "Die oft vergrösserte Klitoris werde wegen des sozialen Stigmas verkleinert." Bezeichnenderweise handelt es sich bei der "Ausnahme" AGS-"Mädchen" um die zahlenmässig grösste "Patientengruppe" für "Klitorisreduktionen".
Pascale Hofmeier: "Frauen, Männer und Intersexuelle". Der Bund, 15.11.2008

Trotz aller Ausflüchte bleiben gemäss öffentlichen Aussagen der Behandler die kosmetischen Genitaloperationen weiterhin die Regel:

Prof. Dr. Zacharias Zachariou, seinerzeitiger Direktor der Kinderchirurgie am Inselspital Bern, betont, dass es wichtig sei, "möglichst in den ersten zwei Jahren nach der Geburt zu einer Entscheidung zu kommen", sprich zu einer geschlechtsangleichenden Operation, was "für die Identität des Kindes [...] sehr wichtig" sei.
Lena Stallmach: "Das dritte Geschlecht". NZZ am Sonntag, 13.7.2008

"Aber immerhin, sagt der Endokrinologe Primus Mullis, «wächst unter den Ärzten die Bereitschaft, ein unbestimmtes Geschlecht auch einmal sein zu lassen [...]»."
Christoph Keller: "Die Frau, die nie ein Mann war". Das Magazin, Nr. 36/2007, 7.9.2007

Prof. Dr. Christian Kind, Chefarzt und Präsident SAMW-Ethikkommission:
«Wenn die Eltern ein intersexuelles Kind nicht annehmen können, dann kann es für das Wohl des Kindes besser sein, zu operieren.»
"Christian Kind sieht das pragmatisch: «Es ist mir lieber, wir behandeln die Kinder hier, als dass die Eltern in den Osten fahren und die Operation dort vornehmen lassen.»"
St. Galler Tagblatt und Regionalausgaben 11.02.2011, http://www.thurgauerzeitung.ch/ostschweiz/ostschweiz/tb-os/art120094,1686613

Trotz der Jahrzehnte langen Klagen Betroffener und der durch Studien erhärteten hohen Behandlungsunzufriedenheit werden Betroffene, die es wagen, die Zwangsbehandlungen öffentlich zu kritisieren, von Behandelnden als Einzelfälle diffamiert. Und erst auf öffentlichen Druck Dritter werden allenfalls verbale Zugeständnisse gemacht, denen in der Regel jedoch keine Taten folgen:

Prof. Dr. Christian Kind, Chefarzt und Präsident SAMW-Ethikkommission:
"Es scheint uns eher, dass es sich um Einzelproteste und eine sehr sehr kleine Gruppe zu handeln scheint und sich auch auf etwas Vergangenes bezieht."
"Die zentrale Ethikkommission der schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften macht in der Tat Richtlinien zu ethischen Problemen, die, so wie wir das empfinden, für die Ärzteschaft von Wichtigkeit und von Belang sind, und richten uns dabei eigentlich nach dem, was wir für Signale aus der Ärzteschaft und aus der Öffentlichkeit bekommen. Und da muss ich Ihnen sagen, dass in unserer Wahrnehmung bis jetzt das Problem der Störung der Geschlechtsentwicklung nicht als so brennend und mit einem grossen Handlungsbedarf behaftet gesehen wird."
"Wo dass der Handlungsbedarf besteht, dass kann auch unterschiedlich empfunden werden und gibt es wahrscheinlich kaum objektive Massstäbe dafür, was jetzt da richtig ist, aber ich werde das zum Anlass nehmen, das etwas näher nochmals anzuschauen, ob wir auch so ein grosses Problem sehen kann."
DRS2, Kontext: "Geschlechter jenseits von Mann und Frau" / "Wenn der Arzt das Geschlecht bestimmt" (2010), http://www.drs.ch/www/de/drs/sendungen/top/kontext/5005.sh10153727.html

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>>> Schriftliche Stellungnahme von Zwischengeschlecht.org (PDF, 460 kb)
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