"Die geltenden Verjährungsvorschriften sind dringend zu überarbeiten" - Konstanze Plett (Klartext in Ethikrat-Sachverständigen-Stellungnahmen 3)
By seelenlos on Wednesday, February 22 2012, 19:51 - Die anderen - Permalink
Im Vorfeld der Präsentation der Ethikrat-Stellungnahme nächsten Donnerstag 23.2.12 (Aktion von Zwischengeschlecht.org ab 09:30h) präsentiert dieser Blog einige Highlights aus den vom Ethikrat eingeholten, öffentlich zugänglichen "Stellungnahmen von Sachverständigen".
Konstanze Plett schockte schon 2001 an einem Vortrag (PDF) die versammelten MedizynerInnen mit dem Hinweis, dass Zwangskastrationen an Zwittern gegen das Sterilisationsverbot verstossen. 2008 wies sie im Amnesty Journal darauf hin, dass der Kampf westlicher Länder gegen die afrikanische Genitalverstümmelung nur dann glaubhaft ist, wenn auch die Verstümmelungen in den eigenen Kinderkliniken nicht länger ausgeblendet werden. Dieser Blog hat schon über viele weitere solche Beispiele berichtet. Auch in ihrer schriftlichen >>> Stellungnahme an den Deutschen Ethikrat (PDF) brachte Konstanze Plett einmal mehr Klartext. Dafür im Namen dieses Blogs ein herzliches Dankeschön! Nachfolgend einige relevante Ausschnitte:
Nach der Diskussion des letzten Jahres möchte ich betonen: sämtliche Forschung muss unter Einbeziehung Betroffener erfolgen, da diese als einzige wirkliche Erfahrung mit Intersex haben und sich in die sie betreffenden Fachdisziplinen eingearbeitet haben; ihre Erfahrung ist auf jeden Fall mit Fachwissen gleichzusetzen, selbst wenn kein entsprechender akademischer Abschluss vorliegt. Dieses Wissen ist mit Fragebogen nicht ermittelbar, sondern nur durch Dialog und Beteiligung. [S. 1 PDF]
Die Bewertung, dass die elterliche Einwilligung in nicht vital indizierte geschlechtsangleichende Operationen (einschl. Gonadektomie) als Überschreitung elterlicher Befugnisse zu bewerten ist, liegt nicht nur in § 1631c Bürgerliches Gesetzbuch (Verbot der Sterilisation) begründet, sondern vor allem in einer Abwägung der Artikel 1, 2 und 6 Grundgesetz. Danach hat bei medizinischen Eingriffen, die so tief in das Persönlichkeitsrecht eingreifen wie die genannten, im Konfliktfalle das Elternrecht aus Artikel 6 hinter das Recht der minderjährigen Kinder aus Artikel 1 und 2 zurückzutreten, d. h. Einwilligungen in derartige Maßnahmen sind nicht stellvertretungsfähig. [S. 2 PDF]
Ja[, Regelungen zur Wiedergutmachung und Kompensation für Betroffene von irreversiblen Operationen sind angezeigt]. Dabei kommt es vor allem darauf an, dass damit zum Ausdruck gebracht wird, dass diesen Menschen in ihrer Kindheit und Jugend und dem weiteren Verlauf ihres Erwachsenenlebens Unrecht geschehen ist. Eine wirkliche monetäre Kompensation wäre wohl unbezahlbar. [S. 9 PDF]
Ja, [es sollte einen Entschädigungsfonds für diese Fälle geben,] damit wenigstens symbolisch Kompensation geleistet wird und vor allen denjenigen, die aufgrund der aus heutiger Sicht unrechten Behandlung mit Kosten belastet sind, die ohne diese Behandlung nicht entstanden wären, hierfür Ersatz geleistet werden kann. Heranzuziehen wären die Ärzteschaft, Kliniken und ergänzend der allgemeine Staatshaushalt, da es sich hier auch um ein allgemein gesellschaftliches Problem handelt. [S. 9 PDF]
Die geltenden Verjährungsvorschriften im Zivilrecht und im Strafrecht (in Letzterem ganz besonders) passen nicht auf die Situation intersexuell geborener Menschen und an ihnen vollzogene Eingriffe. Diese Vorschriften sind dringend daraufhin zu überarbeiten, dass intersexuell Geborene auch im Erwachsenenalter noch die Möglichkeit haben, an ihnen vollzogene medizinische Eingriffe gerichtlich überprüfen zu lassen. [S. 9 PDF]
Ein Blick in einschlägige medizinische Publikationen lässt erkennen, dass das Recht am eigenen Bild hier offenbar wenig bis gar nicht beachtet wird, obgleich es nach § 22 Kunsturhebergesetz (KUG) seit über hundert Jahren unter besonderem gesetzlichen Schutz steht. Abbildungen von aus medizinischem Interesse gemachten Aufnahmen fallen unter keine der Ausnahmeregelungen (§§ 23, 24 KUG). [...]
Der Rechtsschutz nach KUG ist derzeit allerdings zu schwach ausgebildet. Strafrechtliche Verfolgung erfolgt nur auf Antrag, ebenso der zivilrechtliche Anspruch auf Schadensersatz nach den allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs bzw. Vernichtung rechtswidrig hergestellter Abbildungen nach § 37 KUG. Beides dürfte verjährt sein, wenn die Betroffenen davon erfahren. [...] [S. 9f. PDF]
>>> Chronologie Deutscher Ethikrat 2008-2013
>>> "Es wird weiter an den Genitalien von Kleinkindern geschnitten" - Eva Matt (1)
>>> Stellungnahme Deutscher Hebammenverband (DHV) (2)
>>> Ethikratdiskurs: "Wie so oft wird um den heissen Brei herumgeredet"
>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken – eine Genealogie der Täter