"Das dritte Geschlecht" - ORF2 Di 27.3.12, 21:10h + YouTube

FrançaisEnglishVerein Zwischengeschlecht.orgSpendenMitglied werdenAktivitäten

>>> YouTube     >>> Sendungs-Transkript von Nella

 

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

 

STOP Genitalverstümmelung in Kinderkliniken!

Laut dem >>> Ankündigungstext könnte der "Magazin"-Report von Eva Maria Kaiser in die Geschichte eingehen als der erste Beitrag in einem Österreicher Mainstreammedium, in dem das magische Wort "Genitalverstümmelung" fällt im Zusammenhang mit kosmetischen Genitaloperationen an Kindern mit "atypischen Genitalien".

Der Beitrag wird wiederholt am Mi 28.3.12 um 11:50h, und ist nun eine Woche lang >>> online zugänglich (>>> YouTube).

Mit dabei: Alex "Tintenfischalarm" Jürgen, Mitbegründer von intersex.at. Ansonsten geht es laut Ankündigung wieder mal nur um "das eine", sprich um Personenstandspolitik (statt endlich um ein gesetzliches Verbot der Verstümmelungen). Die auch in Österreich in zahlreichen Kinderkliniken wütenden Genitalabschneider wird's freuen ...

>>> "Brüste und Penis amputiert: Die verstörende Tortur eines Intersexuellen"
>>> "Jedes Verbrechen hinterlässt Spuren" 
>>> Genitalverstümmler Prof. Radmayr (Innsbruck) und Prof. Riccabona (Linz)
>>> "Zero Tolerance to Intersex Genital Mutilation"

Comments

1. On Wednesday, March 28 2012, 09:23 by nella

TRANSKRIPT:
ORF2 Report, Mittwoch, 27.03.2012

Vorschau: Zwitterbabies - umstrittene Operationen

Moderatorin: Unglaublich, aber wahr. Etwa 10'000 Menschen in Österreich sind als Zwitter geboren. Die meisten von ihnen wurden noch im Kindesalter sozusagen in ein Geschlecht hineinoperiert, allerdings oft ins falsche. Ein Problem, das in Deutschland zur politischen Forderung nach einem offiziellen dritten Geschlecht geführt hat. Betroffene hierzulande fühlen sich dadurch ermutigt, berichtet Eva Maria Kaiser, und manche wollen nun nicht länger schweigen.

Beirtrag: Das Dritte Geschlecht (10:49)

Alex Jürgen: Ich glaubte schon als Kind, dass ich sterben muss, ja, weil mir keiner erzählte, warum ich ständig ins Krankenhaus gehen muss. Und das ist ja auch nicht gerade super, wenn man dann als Kind glaubt, man müsse sterben und man das so aufwächst und es keinem erzählen darf, also, weil man ist ja nicht blöd, und man muss ja ständig zum Doktor. Und mit Zwölf kam ich dann drauf, Biologiebücher, Spiegel und blabla, dass das bei mir alles ein bisschen anders ist, obwohl ich ja eh schon kastriert war und, also Penis weg und Hoden weg, aber es ist trotzdem nicht das, was bei einer anderen Frau ist. Ja, und dann ging ich halt zu meiner Mutter und dann, ja, die erklärte mir dann auch, also etwas, aber das war mir halt nicht genug und ich wollte dann mit dem Doktor reden, und dann erfuhr ich erst vom Arzt, dass ich Hoden hatte. Und ab da war für mich das Gespräch beendet, weil da war in meinem Kopf nur noch Hoden, nicht wahr. Ich glaubte immer, dass ich mehr ein Mädchen war und deshalb haben sie aus mir ein Mädchen gemacht, aber dass ich Hoden hatte, das ist keine Mädchengeschichte.

Als Alex zur Welt kommt, ist er weder Bub und Mädchen. Oder beides. Zunächst heisst er Jürgen. Die Prognosen der Ärzte sind düster. Er werde nie ein richtiger Mann, Brüste mit Haaren bekommen, vielleicht Hodenkrebs. Ihr Rat: Jürgen zu einem Mädchen umoperieren. Nach und nach werden Penis und Hoden entfernt, er bekommt weibliche Hormone, dann eine Scheidenplastik. In seinem künstlich geformten Körper fühlt er sich nie wohl.

Alex Jürgen: Wenn ein Kind auf die Welt kommt, das so in der Mitte ist, ja, wie kann ich mir da anmassen und sagen: das Kind wird sich einmal als Frau fühlen und schneiden wir mal da und schneiden Sachen weg, die nachher weg sind, ja. Die kann mir keiner mehr geben. In meinem Fall wurde jetzt der Penis weggeschnitten, wo die ganzen Nerven drin sind und so. Der ist jetzt weg, ja, den kann mir keiner mehr geben. Und das sind Entscheidungen, die sind nicht mehr rückgängig zu machen. Und deshalb wäre ich da schwer vorsichtig darin, was ich mit Kindern mache.

Kinderambulanz im Wiener AKH: Jedes 2000. Kind kommt mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen zur Welt. Das sind in Österreich bis zu 40 Kinder jährlich.

Brigitte Hackenberg, Kinderpsychiaterin AKH Wien: Die Eltern sind der Meinung, dass es ein Knabe ist.

Arzt: Die Eltern sind der Meinung, dass es ein Knabe ist. Und das wird vermutlich noch ein schwieriger Prozess werden, ihnen beizubringen, dass es sich von den Chromosomen und vom inneren Genitale und den Keimdrüsen her mit grosser Wahrscheinlichkeit um ein eindeutiges Mädchen handelt.

Ärzte raten meist, das Kind möglichst früh einem Geschlecht zuzuordnen - mit mässigem Erfolg, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Brigitte Hackenberg: Soweit wir die, die ja noch nicht veröffentlicht sind, kennen, gibt es viele Menschen, die die zu frühe Zuordnung zu einem Geschlecht als Verstümmelung erlebt haben und dann viel später an sich selber wahrgenommen haben, dass sie sich keinem Geschlecht zuordnen konnten, das heisst, dass sie sich natürlich auch nicht als Zwitterwesen erlebt haben, sondern gar keine Identität entwickelten. Und deshalb lernen wir aus diesen Fallgeschichten, dass die zu frühe eindeutige Zuordnung sicher ein ganz hoher Risikofaktor ist.

Frau K. als Wels ist betroffene Mutter. Vor zwanzig Jahren kommt Tochter Paula zur Welt, äusserlich eher ein Mädchen. Monatelange Untersuchungen ergeben: Paula hat männliche Chromosome und versteckte Hoden. Ein Enzymmangel ist für das weibliche Erscheinungsbild verantwortlich.

Frau K.: Es war so, dass es Ärzte gab, die sagten: sofort die Hoden rausschneiden, also, das war relativ rasch. Dann spürte man aber irgendwo wieder, der nächste war eher wieder ein bisschen zögerlich, ja, man weiss noch zu wenig, wir sollten noch ein bisschen abwarten.

Auch Psychologen bringen keine Hilfe. Sie raten, bei der Mädchenrolle zu bleiben und fragen eher nach dem Geschlechterwunsch der Eltern, als nach der Befindlichkeit des Kindes.

Frau K.: Als er dann begann, sich zu artikulieren, als wir dann, ja, im Legospielen, im Bauen und so, gab er sich immer die männliche Rolle: ich bin jetzt der Feuerwehrmann. Und dann kauften wir ihm einen Doktorkoffer und sagten: schau, du bist jetzt die Krankenschwester. Und er: nein, ich bin der Doktor.

Die Eltern entscheiden sich schliesslich doch für die riskante Operation. Mit Fünf wird aus Paula ein Paul, weil Chromosome und innere Organe männlich sind und weil moderne Operationsmethoden auch schon funktionstüchtige Penisse zustande bringen. Heute ist Paul ein talentierter junger Mann und als Künstler tätig. Für die Mutter war die frühe Entscheidung zur Operation das einzig richtige.

Frau K.: Je früher das Kind in der richtigen Identität ist, umso leichter ist es. Ich stelle es mir furchtbar vor, also, einen Halbwüchsigen, der sowieso - jedes Kind in der Pubertät ist ein bisschen gespalten, wo will ich, wo - ein gewisser Unsicherheitsfaktor, wohin entwickle ich mich. Da dann noch von dem Kind dann eine Entscheidung zu verlangen - ja.

Der Ethikrat der deutschen Bundesregierung weist in eine andere Richtung. In Deutschland leben über 100'000 Zwitter, die älteren von ihnen mit traumatischen Operationserfahrungen. Der Ethikrat pocht nun auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Entscheidungen über irreversible Operationen sollten von den Betroffenen selbst getroffen werden. Die Zustimmung der Eltern zu medizinischen Eingriffen wird bei intersexuellen Kindern somit stark eingeschränkt.

Eva Mattin, Juristin (gemeint ist Eva Matt): Jetzt ist es so, dass die medizinische Wissenschaft hier eben gerade in einem Wandel begriffen ist, das hat der Ethikrat auch hervorgehoben. Das heisst es ist zur Zeit nicht klar, welche Behandlung gemacht werden darf, was die überhaupt bringt und wann die gemacht werden muss. Und dadurch, dass es sich hier um wirklich schwerwiegende Eingriffe, wie zum Beispiel auch Kastrationen und zum Beispiel um Eingriffe handelt, die die sexuelle Empfindsamkeit schwerwiegend beeinträchtigen können, wurde jetzt hier ein klarer Schlussstrich gezogen und gesagt: in solche Eingriffe sollten Eltern eigentlich nicht einwilligen dürfen. Solche Eingriffe, die so schwerwiegende Themen des eigenen Körpers und der eigenen Identität betreffen, dürfen eigentlich nur von den Betroffenen selbst getroffen werden.

Krankenhaus der barmherzigen Schwestern in Linz, das Zentrum für Intersexualität in Österreich. Hier werden alle schweren Fälle behandelt. Kinderurologe Marcus Riccabona hat moderne Operationsmethoden mitentwickelt. Hier ein Mädchen, das wie ein Bub aussieht, und nun ein richtiges Mädchen ist. Bis vor wenigen Jahren wurden 90% aller Zwitterkinder weiblich gemacht, nun gelingen auch Penisse ganz gut. Der Arzt plädiert für möglichst frühe Korrekturen. Es gebe weniger Komplikationen, das Kind könne leichter in seine Rolle finden.

Marcus Riccabona, Kinderurologe, Linz: Man muss sich auf der Gegenseite vorstellen: Wie geht denn so ein Kind ohne Geschlecht, mit einem dritten Geschlecht durch die Kindheit, ja? Ich glaube nicht, dass das problemlos ist, gerade in Zeiten wie diesen, wo der äussere Aspekt, auch der Aspekt des Genitales einen zunehmend hohen Stellenwert hat.

Alex ist leider zu früh geboren, sonst wäre er wohl ein zeugungsfähiger Mann. Stattdessen Jahre langer Hass auf seinen falschen weiblichen Körper, mit neunzehn Jahren Krebs, Koma, drei Jahre Rollstuhl, bis er sich mit seinem Schicksal aussöhnt. Als Zwitter zu leben wäre weit weniger schlimm gewesen.

Alex Jürgen: Ich glaube eigentlich, dass die Ärzte mit zu wenig Menschen sprachen, bei denen es anders funktioniert. Weil ich kenne auch Eltern, die haben ein intersexuelles Kind und das Kind weiss von klein auf, dass es Intersex ist. Das kam in die Schule und da sagte mal die, so ein Spiel, da sagte die Tante irgendwie, die Mädchen müssen aufstrecken, und dann streckte er auf, dann sagten sie, die Buben müssen aufstrecken. Da sagten die Klassenkameraden: wieso streckst du denn zwei Mal auf und so, da sagte er: ja, ich bin ein Mann und eine Frau. Und dann erklärte die Lehrerin das den Kindern, dass der so auf die Welt kam. Und damit war die Sache gegessen, ja.

Beratungsgespräch mit einem betroffenen Vater im AKH, Entscheidungen für eine Operation werden heute im Team gefällt, mit Hormonspezialisten, Urologen, Psychologen. Doch ist Intersexualität überhaupt eine Krankheit, die behandelt werden muss?

Marcus Riccabona: Wenn ich angeboren auf der einen Seite einen Eierstock habe, auf der anderen Seite einen Hoden, dann würde ich das schon als Fehlbildung nehmen, ja. Oder wenn ich eine Mischung von beiden habe, ja, oder, wenn der Chromosomensatz nicht eindeutig männlich oder weiblich ist, sondern eine Mischform, so ist das in der Schulmedizin zumindest so, dass man das unter die Krankheiten subsumiert.

Alex Jürgen: Meiner Meinung nach ist ein intersexuelles Kind in den allermeisten Fällen kein Krankheitsfall, ja. Das kann Pipi machen gehen und das wird daran nicht sterben. Es sind nur optische Sachen, damit man es dann beim Einschulen, dass halt dann beim Umziehen da kein grosses Zipferl oder für ein Mädel oder - sowas auffällt, nicht. Da wird halt normiert.

Der deutsche Ethikrat geht noch weiter: Die Verjährungsfrist bei Straftaten bei Kindern soll verlängert werden, das heisst, Ärzte, die ein Kind sexuell verstümmeln, könnten strafrechtlich belangt werden.

Brigitte Hackenberg: Wir müssen in der Entscheidung oder in der Entscheidungsfindung sowohl den Wunsch der Eltern berücksichtigen, als auch den Wunsch des Kindes, der sich erst ab einem bestimmten Alter bilden kann. Also das heisst es müssen drei Instanzen berücksichtigt sein, also das heisst, Operationsverbot kann nicht die einzig selig machende Lösung sein.

Alex konnte sich mit der Rolle einer Frau, in die er gesteckt wurde, nie anfreunden. Als Dreissigjähriger lässt er sich seine Brüste entfernen.

Alex Jürgen: Ich fragte mich immer, ob ich ein Mann sein will, und da konnte ich nie ja sagen. Und dann las ich dieses Buch. Und dann fragte ich mich in die andere Richtung und dann fragte ich mich: Will ich eine Frau sein? Und da sagte ich sofort, nein, das will ich nicht sein. Und in unserer Gesellschaft, wenn man keine Frau sein will, was tut man dann? Man muss ein Mann werden.

Doch vielleicht könnte die Gesellschaft überhaupt bunter werden und Platz für das dritte Geschlecht lassen.