"Intersex"-Anhörung im Bundestag: Kosmetische Genitaloperationen an Kindern "stellen einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit dar und sollen zukünftig unterbunden werden" - jetzt braucht es Taten! -- Protokoll + Video online
By seelenlos on Monday 25 June 2012, 18:03 - Forderungen - Permalink
>>> alle Stellungnahmen >>> schriftl. Protokoll (PDF) >>> Video-Aufzeichnung
Im
Gegensatz zur ursprünglichen >>> unsäglichen "Geschlechtseintrag 'anderes'
ermöglichen"-Ankündigung auf bundestag.de zur heutigen
Anhörung (welche die Hauptforderung der Betroffenen nach gesetzlicher
Regelung von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern buchstäblich erst im
letzten Satz noch kurz im Vorbeigehen erwähnte) und einer ebenso
>>> typisch vereinnahmenden heutigen Meldung auf wdr.de (die in der
Bildlegende einmal mehr schamlos Transgender als Zwitter ausgibt und als
einzige politische Konsequenz Personenstandspolitik auf Kosten der
Verstümmelten), macht die >>> heutige
Bundestags-Pressemeldung "Experten: Intersexualität ist keine
Krankheit" zur Abwechslung mal Nägel mit Köpfen und hält gleich
eingangs fest:
"Operationen zur Geschlechtsfestlegung bei intersexuellen Kindern stellen einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit dar und sollen zukünftig unterbunden werden. Dies war das einhellige Votum der öffentlichen Anhörung im Familienausschuss am Montagnachmittag. [...] Einigkeit herrschte zwischen den Experten auch in dem Urteil, dass Intersexualität keine Krankheit darstelle. [...]"
Weiter führt die Pressemitteilung im 2. Abschnitt aus:
"Die Rechtswissenschaftlerin Konstanze Plett von der Universität Bremen führte an, dass die unteilbaren Menschenrechte, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg formuliert worden seien, ab der Geburt Geltung hätten. Zu diesen Menschenrechte gehöre unzweifelhaft die körperliche Unversehrtheit. Ein fremdbestimmter körperlicher Eingriff diesen Ausmaßes sei deshalb nicht hinzunehmen. Lediglich wenn es um die Frage von Leben oder Tod gehe, sei dies statthaft. Erst wenn ein Kind sich in dieser Frage unzweifelhaft selbst äußern könne, dürfe eine Entscheidung gefällt werden. Und es müsse geprüft werden, dass die Entscheidung des Kindes für das eine oder andere Geschlecht ohne Beeinflussung von außen, etwa durch die Eltern, getroffen worden sei. Dies könne beispielsweise durch ein Familiengericht geschehen. Lucie Veith, Vorsitzende des Vereins Intersexuelle Menschen aus Neu-Wulmstorf, schloss sich diesem Plädoyer an: Weder Eltern, Ärzte, Psychologen noch ein Parlament hätten das Recht, das Geschlecht eines Menschen zwangsweise festlagen zu lassen. Jörg Woweries, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, führte an, dass es keinen medizinischen Beweis dafür gebe, dass eine Operation zur Geschlechtsfestlegung bei Kleinkindern ungefährlicher oder erfolgversprechender sei als bei einem Erwachsenen. In jedem Fall seien operative Eingriffe mit einem „hohen Risiko“ behaftet und stellten einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeit eines Menschen dar. In jedem Fall müsse vor jeder Operation eine neutrale Beratung stattfinden."
Dafür allen Beteiligten von diesem Blog ein ganz herzliches Danke!
Auf der ansonsten wie erwähnt vereinnahmenden mittlerweile
überarbeiteten Ankündigungseite mit neuem Titel "Experten gegen Operationen
zur Geschlechtsfestlegung" ist inzwischen auch die >>>
Video-Aufzeichnung der ganzen Anhörung eingebettet.
Besonderen
Dank an dieser Stelle an die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses
Christel Humme (SPD) für ihre engagierten und konkreten Fragen
bei 00:56:00 und 02:01:43.
Die >>> Video-Aufzeichnung ist mittlerweile auch eigenständig online zugänglich; ebenso das >>> schriftliche Protokoll (PDF) der Anhörung und sämtliche >>> Stellungnahmen.
>>>
S. Laurischk (FDP): "Niemand hat das Recht, an Genitalien
herumzuschneiden"
>>>
"Aufarbeitung tut not!" Klitorisamputationen u.a. "Genitalkorrekturen" an
Kindern
>>>
Chirurgische "Genitalkorrekturen" an Kindern: Typische Diagnosen und
Eingriffe
>>>
Kosmetische GenitalOPs: Ausklammerung von "Hypospadie" unethisch
>>>
"Intersex": Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte
Nachfolgend dokumentiert dieser Blog die erwähnten Highlights von Christel Humme aus dem schriftlichen Protokoll:
Abg. Christel Humme (SPD): Erst einmal herzlichen Dank für
die Statements. Wir haben ein wichtiges Problem dreidimensional zu lösen. Wir
müssen die medizinische, die rechtliche und die gesellschaftliche Seite
betrachten. Das dürfen wir nicht vergessen. Sie haben das zum Schluss sehr
deutlich gemacht, alle Eltern entscheiden sich unterschiedlich. An dieser
Stelle komme ich ins Grübeln. Und zwar frage ich mich, wie das Recht des
Kindes aussieht. Wo ist das Kindeswohl, wenn sich alle Eltern so entscheiden
dürfen, wie sie es in ihrer Situation wollen? Das ist für mich eine
entscheidende Frage, die auch in dieser Anhörung eine wichtige Rolle spielen
sollte. Denn was sollte uns als Gesetzgeber bewegen, woran sollten wir uns
orientieren? Darum glaube ich schon, dass es wichtig ist, sich am Kindeswohl zu
orientieren, wenn wir in Zukunft Entscheidungen treffen wollen. Ich sage noch
einmal ganz bewusst herzlichen Dank, dass auch ein Mediziner dabei ist, denn
ich glaube, Herr Woweries, es ist nicht so einfach, als Mediziner in die
Anhörung zu kommen. Sie haben zu Beginn Ihres Statements sehr deutlich
gemacht, wie schwer es ist, überhaupt mit Medizinern über dieses Tabuthema zu
sprechen und auch die Schweigepflicht an dieser Stelle zu durchbrechen. Deshalb
noch einmal einen sehr herzlichen Dank an Sie.
02:01:43 – FRAGE CHRISTEL HUMME NACH OP'S
Abg. Christel Humme (SPD): Ich glaube, wir haben heute, und das stimmt mich sehr optimistisch, sehr viele Anregungen gehört, wie wir rechtlich, medizinisch und auch gesellschaftlich das Problem besser angehen können. Meine letzte Frage stelle ich an Herrn Woweries, an Lucie Veith und an Frau Kriegler. Dabei handelt es sich um eine Kernfrage, die wir noch nicht ganz gelöst haben: Wie verhindern wir in Zukunft besser irreversible und geschlechtszuweisende Operationen? Welches ist nach Ihrer Einschätzung die dringendste Handlungsoption, die dringendste Reform, die wir angehen müssten? Das ist uns ganz wichtig, vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen.
WORAUF JÖRG WOWERIES, LUCIE VEITH UND JULIA KRIEGLER ANTWORTEN:
Herr Dr. med. Jörg Woweries (Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin): Wir haben ja über Operationen an den Genitalien geredet. In diesem Jahr wurde in Deutschland eine Arbeit von Experten veröffentlicht, die sehr deutlich gemacht hat, dass es kosmetische Operationen bei xy-ds-Personen sind, die dann in der Regel zu Frauen gemacht werden – das waren 57 Personen. Die Schäden, die durch diese Operationen erzeugt worden sind, sind so hoch, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, dass Eltern das von sich aus in Kauf nehmen. Die Studie besagt, dass fast 50 Prozent über die Funktion geklagt haben, jahrelang über Schmerzen, Narbenschmerzen geklagt haben und fast 50 Prozent hatten schwere Empfindsamkeitsstörungen. Es ist überhaupt nicht zu vermeiden, dass bei Operationen durch Schnitte etwas zerstört wird. Je nach Unterkategorie klagten über 50 bis 70 Prozent über langandauernde Schmerzen. Eine deutsche Kommission hat nun empfohlen, diese Operationen nicht mehr durchzuführen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass aufgeklärte Eltern in derartige Operationen einwilligen, weil sie z. B. Angst vor dem Gerede haben und somit Schäden an ihrem Kind in Kauf nehmen. Die gleiche Situation tritt natürlich genauso auf, wenn Sie Genitaloperationen bei Personen mit dem sogenannten AGS, dem Adrenogenitalen Syndrom, machen. Das sind die xx-ds-Personen. Da müssen Sie eine neue Scheide einpflanzen, Sie müssen die Klitoris reduzieren und haben im Grunde genommen gleiche Schadensraten zu befürchten. In den internationalen Konsenspapieren steht dann: „es passiert oft, es passiert meistens, es passiert viel“, man legt sich nicht auf Einzelnes fest, aber es handelt sich um ganz große Schadensereignisse. Ich möchte auch nochmal darauf hinweisen, dass der Ethikrat gesagt hat, dass beim Adrenogenitalen Syndrom mit xx im Chromosomensatz, in jedem Fall operiert werden darf. Im Ethikrat wurde angeführt, dass fast 15 Prozent der Personen gesagt hätten, dass sie männlich bleiben wollen und 30 Prozent, dass sie weiblich bleiben wollen. Aber sie sind ja operiert, sie können es ja gar nicht mehr zurücknehmen und sie sind dadurch unter einem Zwang. Die Schäden sind im Prinzip genauso hoch anzusehen wie bei der Operation, bei der eine deutsche Expertengruppe gesagt hat, dass man sie nicht mehr durchführen solle. Ich meine, dass die Operationen ohne weiteres verboten werden könnten, weil es eine so hohe Schadensrate gibt. Als in Bremen drei sehr kleine Frühgeborene an einer Sepsis erkrankt sind – das dürften pro Jahr etwa 5 oder 10 Prozent gewesen sein, die gestorben sind –, hat man die ganze Abteilung geschlossen und wieder aufgebaut und nach einem erneuten Zwischenfall gibt es wieder große Probleme. Dies zeigt, dass man zugreifen kann und ich denke, man sollte bei den Operationen, über die wir sprechen, ganz hart zugreifen.
Lucie Veith (Intersexuelle Menschen e. V.): Ich möchte das
Gesagte unterstützen und auf gleiche Art und Weise argumentieren. Ich denke,
es ist notwendig, dass wir kosmetische Operationen an den Genitalien in
Deutschland verbieten, und zwar solange, bis ein Mensch es selbst entscheiden,
auch absehen kann, welche Funktion ein Genital hat, eine eigene Sexualität
entwickelt hat, die man dann leben möchte oder nicht leben möchte. Außerdem
fordere ich die Einhaltung des Kastrations- und Sterilisationsverbotes in
Deutschland und ich bitte Sie, ernsthaft darüber nachzudenken, die Entfernung
von gesunden Organen unter Strafe zu stellen, explizit auch bei intersexuellen
Menschen. Es kann nicht sein, dass es eine qualitative Wertung unseren eigenen
Gonaden geben kann. Auch eine Gonade, also ein hormonproduzierendes Organ, das
nicht hundertprozentig arbeitet, arbeitet und es hat ein eigenes Potential. Und
die Entscheidung darüber, ob mir das reicht oder nicht reicht oder ob ich das
Risiko weiterhin im Auge habe und tatsächlich auch werte – Vorsorge ist
wichtig, aber keine Kastration – sollte bei der betroffenen Person liegen.
Übrigens wird immer behauptet, dass intersexuelle Menschen sich nicht oder nur
sehr selten fortpflanzen könnten. Abe es gibt keine Studie darüber, es gibt
keine Beweise, dass Gonaden intersexueller Menschen nicht zeugungsfähig wären
oder die Spermien, die z. B. aus diesen Gonaden kommen. Und solange das nicht
bewiesen ist, ist es in meinen Augen eine Sterilisation. Und dem können Sie
nicht zustimmen! Ich bitte Sie, ernsthaft darüber nachzudenken, um auch ein
Zeichen zu setzen. Ein Mediziner sollte Eltern erst gar nicht ein Angebot
machen dürfen.
Frau Julia Marie Kriegler (Elterngruppe der XY-Frauen): Ich
möchte darauf hinweisen, dass ich eine relativ kleine Gruppe Eltern vertrete,
die sich in einer Selbsthilfegruppe zusammengefunden haben, sicherlich auch,
weil sie sich sehr intensiv mit dieser Thematik befassen und die, wenn immer
sie zusammenkommen, als vorrangige Thematik auch die Schuldfrage bearbeiten.
Inwiefern sind sie dadurch schuldig geworden, dass sie Operationen zugelassen
haben. Ihre Einwilligung haben sie zum Teil ohne volle Informationen gegeben,
zum Teil ohne überhaupt Informationen gehabt zu haben. Operiert wurde dann
unter anderen Voraussetzungen, als den bekannten, aber da man schon mal dabei
war, wurde eben weiter operiert. Das heißt, die Gruppe der Menschen, die ich
vertrete, sind Menschen, die sich auch ein Stück weit geschädigt fühlen. Ich
möchte für mich noch einmal sagen, dass ich sehr gut aufgeklärt worden bin
und deswegen auch zu den Dingen stehe, die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt
entschieden habe.
Heute sehe ich die Dinge anders, aber Zeit ist nun mal auch eine Komponente.
Ich hätte mir ungern von einem Gericht die Entscheidung voll aus der Hand
nehmen lassen. Aber ich halte die Frage schon für sehr wichtig, die sich mir
damals noch nicht gestellt hatte. Wenn wir wirklich zu der allgemeinen
Auffassung gelangen, dass es sich bei diesen Operationen um
Menschenrechtsverletzungen handelt, dann hätte ich sicherlich diese Warnung
gern gehabt und hätte auf jeden Fall die Finger von einer Operation gelassen.
Aus Elternsicht denke ich – und ich glaube, dass einige oder die meisten
Eltern, die ich hier vertrete, dieser Meinung sind –, dass es geboten ist, die
gegenwärtige Praxis voreiliger und nicht immer medizinisch begründeter
OP-Entscheidungen zu unterlassen. Aber ich bin auch nicht der Meinung, dass wir
sie durch eine Dogmatik ersetzen sollten, die sagt, wir dürfen jetzt
überhaupt nichts mehr operieren. Mir fehlt zwar der volle Überblick sowie die
eigene Erfahrung und ich bin auch keine Medizinerin, ich nehme aber dennoch an,
dass vor 20 Jahren anders operiert worden ist als heute. Aber es ist immer noch
nicht geklärt, ob die Operationen im rechtlichen Sinne zu rechtfertigen sind.
Daher bekommen Sie von mir leider keine klare Antwort, sondern ich gebe einfach
die Fragen, mit denen ich mich auch beschäftige, offen zurück.
>>> alle Stellungnahmen >>> schriftl. Protokoll (PDF) >>> Video-Aufzeichnung
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