Beschwerde gegen "10vor10" und "Einstein"


1. Zwitterdemo vor dem Kinderspital Zürich, 06.07.2008
– eine der in den neuen Sendungen verwendeten Archivaufnahmen (Video)

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IGM = CRIME, Not 'Health Care' or 'Therapy'!Zwischengeschlecht.org on Facebook

Im Februar 2023 strahlte das Schweizer Fernsehen (SRF) in den Gefässen "10vor10" vom 15.02.2023 und "Einstein" vom 16.02.2023 zwei Beträge zum Thema Intersex-Operationen aus, die einseitig den Parteistandpunkt IGM-praktizierender Ärztinnen abbildeten. Schäden und Komplikationen durch IGM-Eingriffe und Menschenrechtsfragen wurden dagegen komplett ausgeblendet. Kritik an den unnötigen Operationen gab es nur als kurze Archiv-Schnipsel mit 11-15 Jahre alten Beiträgen mit Daniela Truffer (Zwischengeschlecht.org) und der Implikation, das liege alles in der Vergangenheit. Und beide Sendungen erschienen "pünktlich" zur Beratung der Rechtskommission des Ständerats über die Motion 22.3355, die solche uneingewilligten Eingriffe strafrechtlich verbieten will – ein Schelm, wer Böses dabei denkt (siehe Stellungnahme von Zwischengeschlecht.org, 19.02.2023).

Daniela Truffer als Überlebende von IGM-Praktiken reichte deshalb bei der Ombudsstelle SRG eine Beschwerde Nr. 9192 gegen beide Sendungen ein, einerseits wegen der Einseitigkeit und Unausgewogenheit der Berichterstattung, andererseits wegen der Verletzung ihrer Würde dadurch, "dass durch aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissene, gekürzte Archiv-Ausschnitte von mir, mir sozusagen das Wort im Mund umgedreht wurde, sowie dass ich über deren Verwendung von SRF nicht einmal vorab informiert wurde, sondern aus heiterem Himmel von Dritten darauf angesprochen wurde".
>>> Die Beschwerde Nr. 9192 (PDF)

Inzwischen lehnte die Ombudsstelle die Beschwerde Nr. 9192 mit fadenscheinigen "Begründungen" ab, die unhinterfragt aus der Stellungnahme der Redaktion übernommen wurden. >>> Der Entscheid Nr. 9102 (PDF) (Auch die Beschwerde ist eigentlich im ersten Teil der Ablehnung enthalten, jedoch wurden ausser auf der 1. Seite die Abschnittswechsel "vergessen". Online ist die Beschwerde Nr. 9192 bei der Ombudsstelle bis heute nicht aufgeführt.)

Zum Beispiel die “Begründung” im Entscheid betreffend "Hypospadie-Operationen":

"In Bezug auf die Hypospadie schreibt die Beanstanderin: «Gerade bei Hypospadie liegt zum Beispiel in der Regel kein dringendes medizinisches Problem vor, das eine uneingewilligte Operation im Kleinkindesalter rechtfertigen würde, auch gibt es zahlreiche Berichte von Betroffenen, die zeigen, dass Unoperierte gut damit leben und auch Kinder zeugen können.»

Beim betroffenen Kind war es aber der Hodenhochstand, der zu einer Operation führte. Die medizinische Begründung für die Operation lieferte der Urologe Mazen Zeino: «Wenn die Hoden im Bauch oder in der Leiste länger als ein Jahr sind, beginnen Veränderungen in den Zellen, die später gesunde Spermien produzieren sollten. Und zum anderen, wenn die Hoden lange nicht am richtigen Ort sind, haben Sie später ein höheres Risiko, Hodenkrebs zu bekommen.» Das Publikum konnte demzufolge nachvollziehen, wie es zu dem Entscheid kam – und selbst darüber urteilen, ob er richtig war. Die politische Diskussion zwischen der Eidgenossenschaft und der UNO hat «Einstein» bewusst ausgeklammert – diese Aspekte gehören nicht in eine Wissenssendung."

Tatsächlich ging es in der Sendung aber nicht nur um das angeblich “medizinisch begründete” chirurgische “Herunterholen” der Bauchhoden, sondern explizit auch um eine psychosozial indizierte "Hypospadie-Korrektur" am Genital – wie auch aus dem Sendungstranskript klar hervorgeht:

"Die Hoden wurden heruntergeholt [= die oben ind er Stellungnahme der Redaktion allein erwähnte sog. “Hodenverlagerung” mit angeblich “medizinischer Indikation”], der Penis gestreckt und die Harnröhre an die Spitze der Eichel verschoben [= “Hypospadie-Korrektur” mit psychosozialer Indikation]. Heute funktioniert das Genital einwandfrei. Aber es muss immer wieder kontrolliert werden."

Betreffend des entwürdigenden Umgangs mit Archivmaterial sicherte SRF Daniela Truffer immerhin zu, "dass die Ausschnitte der genannten Sendungen nur in Rücksprache mit der Beanstanderin weiterverwendet werden dürfen".

Wie erwähnt, ist die Beschwerde Nr. 9192 auf der Homepage der Ombudsstelle bis heute nicht aufgeführt.

Aus gesundheitlichen Gründen hatten wir es leider nicht mehr geschafft, bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) einen Rekurs den Entscheid der Ombudsstelle einzulegen nach dem Motto: Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie zwingen, immer dreister zu lügen.

>>> Stellungnahme zu “10vor10” (15.02.2023) und “Einstein” (16.02.2023)
>>> Die Beschwerde (PDF)
>>> Ablehnung durch die Ombudsstelle SRF (PDF)

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- Die ersten 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen (en)
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschland

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen
  • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)