"Intersexualität" = sexuelle Orientierung??!

Bei LGBT "mitgemeint" und die Folgen: In letzter Zeit sind immer wieder Statements zu beobachten, in denen Zwitter von offensichtlich nichtwissenden Nachplapperern mit irgendeiner besonderen Form von "sexueller Orientierung" (d.h. wie z.B. Hetero-, Homo- oder Bisexualität) verwechselt werden, oder auch mit einer besonderen "Geschlechtsidentität" (Nachtrag: bzw. "sexuellen Identität"). Zwei Beispiele:

1) So unlängst in der Bundestagsdebatte zum Yogyakarta-Vorstoss der Grünen, worin "Intersexuelle" zwar in der mehrseitigen Einführung grad mal einen ganzen, wenn auch nicht mal nur schlechten Abschnitt bekamen -- in den konkreten Forderungen, sprich dem eigentlichen Kernstück des Antrags, jedoch prompt nicht mehr erwähnt bzw. einmal mehr bloss noch "mitgemeint" sind (genau wie auch schon in den Yogyakarta-Prinzipien selbst). Dito in der Debatte: Ein einziger Sprecher erwähnte "Intersexuelle" ganze zwei Mal (bezeichnenderweise als kommentarloses Anhängsel zu "Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender"), nämlich Holger Haibach (CDU/CSU). "Überraschung": Beide Male hielt er Zwitter für Menschen, die wegen "ihrer sexuellen Orientierung" verfolgt und diskriminiert werden -- selbstverständlich nur in weit entfernten "Staaten [...], die eine andere Lebensweise haben", wie z.b. "Usbekistan und Turkmenistan" ... und niemand im ganzen Bundestag klärte Haibach über seinen fatalen Irrtum auf ... weil wohl niemand im Bundestag den Irrtum überhaupt bemerkte bzw. überhaupt bemerken wollte ...

Gefunden via Bundestags-Suchmaschine zu "Intersexualität":
http://suche.bundestag.de/searchAction.do?queryAll=&queryOne=intersexuell+intersexuelle+intersex

2) Und aktuell einmal mehr in einem Artikel in "dieStandard" (vgl. dazu auch untenstehenden Nachtrag). Dort wird die österreichische Grünen-Abgeordnete und langjähriges Mitglied der ILGA (International Lesbian and Gay Association) Ulrike Lunacek zitiert, auch sie missversteht Zwitter (selbstredend einmal mehr als kommentarloses Anhängsel) prompt wieder als Menschen mit einer besonderen sexuellen Orientierung/Identität, die deshalb in irgendwelchen weniger zivilisierten Gegenden  diskriminiert würden: "in Ländern [...], in denen Homo-, Bi-, Trans- und/oder Intersexualität immer noch massiv vorurteilsbelastet ist oder ihnen sogar strafrechtliche Verfolgung droht". (Nachtrag 1.5.09: Der ursprünglich oben verlinkte "die Standard"-Artikel "Grüne vergeben erstmals Preis für lesbische, schwule und transgender-AktivistInnen" wurde inzwischen geändert und mit einem neuen Titel "Grüner Preis für Palestinian Gay Women" versehen; der oben kritisierte Abschnitt kommt in der neuen Version nicht mehr vor, "Intersexuelle" werden nicht mehr erwähnt. Der ursprüngliche Artikel findet sich aber nach wie vor auf der Grünen-Homepage und an diversen anderen Orten im Netz).

Kommentar: Einmal mehr, Hauptsache "mitgemeint", sprich: Bloss nicht über genitale Zwangsoperationen und Zwangskastrationen und andere, massive Menschenrechtsverletzungen an Zwittern vor der eigenen Haustüre reden (in Österreich dürfen Zwitter obendrein als "Schwerstbehinderte" bis unmittelbar vor der Geburt legal abgetrieben werden) -- geschweige denn, konkrete Schritte dagegen unternehmen und generell die berechtigten Anliegen der Zwitter endlich zu einem eigenständigen, angemessenen Punkt in der eigenen Agenda machen! Gut gemeint ist nicht genug!

Siehe auch:
- Instrumentalisierung von Zwittern: Kritik aus 2002
-
- Aus Transschändrien nix neues
- QueerGrün missbrauchen Zwittersymbol für TSG-Kampagne
- "Intersexualität" = sexuelle Identität??!
- Vereinnahmung von Zwittern: Das Transgender-Netzwerk Berlin TGNB macht's vor ...
- Die Rede von der "psychischen Intersexualität"

Comments

1. On Tuesday, May 5 2009, 11:52 by Marco Schreuder

Hallo!
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Als Sprecher der Grünen Andersrum Wien möchte ich dazu schon festhalten, dass es immer wieder seitens intersexuellen Menschen Kontaktaufnahme zu uns gibt, die uns explizit darum bitten, das Thema mit in unseren Forderungskatalog aufzunehmen, insbesondere in den Bereichen Antidiskriminierung, Schutz vor Verfolgung, etc.

Dass in diesem Fall natürlich spezifische Forderungen und Wünsche hinzukommen, ist uns natürlich klar. Aber auch hier ist es hilfreich, wenn Kommunikation direkt (!) stattfindet - mit gegenseitigem Austausch und Information.

Ich glaube, es macht Sinn, wenn wir uns diesbezüglich austtauschen, statt eine politische Gruppierung Fehler zu unterstellen, die sie womöglich macht, aber sicher gerne korrigiert. Ich habe diesen Blogbeitrag beispielsweise erst heute entdeckt.

Liebe Grüße,
Marco Schreuder

2. On Tuesday, May 5 2009, 18:45 by seelenlos

lieber marco schreuder

vielen dank für diesen ermutigenden kommentar!

ich bekenne mich schuldig, im obigen post erfahrungen mit den grünen (und weiteren parteien) in deutschland und in der schweiz pauschal auf österreich extrapoliert zu haben. dies geschah weniger aus böswilligkeit als aus zeitmangel und frustration über einen scheinbar unendlich dauernden kampf gegen windmühlen mit meist null reaktion, von dem schon alle früheren generationen von politischen zwitter-aktivist_innen und solidarischen nicht-zwittern ebenfalls berichteten. trotzdem verstehe ich noch die beissendste kritik letztlich als aufruf zur solidarität.

umso mehr freue ich mich über ihren kommentar. wir nehmen sie gerne beim wort, nehmen sie in unseren verteiler auf und setzen uns persönlich in verbindung. und möchte wie stets nochmals auf den grundlegenden text von georg klauda zum thema aus 2002 hinweisen: https://blog.zwischengeschlecht.info...

nochmals danke herzliche grüsse seelenlos