Mo 26.10.09: Intersex Awareness Day - Historischer politischer Vorstoss in Zürich
By seelenlos on Sunday, October 25 2009, 21:23 - Forderungen - Permalink
>>> Aktion & Offener Brief Kinderspital Zürich, 6.7.08 (Bild: Ärger)
>>> Artikel von Felix Schindler @ Tagesanzeiger.ch >>> Interview mit Nella
>>> Interview mit Karin Plattner >>> Karin Plattner @ Tages-Anzeiger 5.2.08
>>> Der historische Vorstoss im Kantonsrat Zürich (PDF) (--> Textversion siehe unten)
>>> Gespräch @ TalkTäglich [offline] >>> Interviews @ Radio 24 News Bulletin [offline]
Der "Intersex Awareness Day" wurde zum ersten Mal am 26. Oktober 2004 in verschiedenen US-Städten abgehalten. Das Datum erinnert an die erste Zwitter-Demo am 26.10.1996 vor dem Jahreskongress der "American Academy of Pediatrics" in Boston, die an ihren Tagungen das Thema Zwangsopertionen an Zwittern "behandelt", aber Betroffenen das Wort an ihren Veranstaltungen verbot. Mitglieder der Intersex Society of North America (ISNA) und solidarische Nicht-Zwitter protestierten u.a. mit Schildern "Hermaphrodites with Attitude" (gleichzeitig Titel eines Videos, in dem Zwitter zum ersen Mal öffentlich über die an ihnen begangenen Zwangsbehandlungen und deren Folgen sprachen, sowie des ISNA-Newsletters), und veröffentlichten eine Pressemitteilung mit dem Titel "Hermaphrodites target kiddie docs" (etwa: "Zwitter nehmen Kinderärzte ins Visier"). Der Protest generierte ein landesweites Presseecho und war der Grundstein dafür, dass die Medizyner die Opfer ihrer Zwangsbehandlungen künftig nicht mehr einfach ausblenden und aussperren konnten, sondern einen Strategiewechsel vollzogen hin zu heute den noch gebräuchlichen Lippenbekenntnissen und scheinbarem Eingehen auf die fundierte Kritik – während sie gleichzeitig weiterhin zwangsoperieren wie gehabt. (>>> mehr auf englisch via intersexinitiative.org, welche den Gedenktag begründete)
1996 entstand mit der Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG) die erste deutschsprachige Zwitter-Lobbyorganisation, die bald auch Protestaktionen gegen Medizynerkongresse veranstaltete. 2000 hielt Mitbegründer Michel Reiter als erster zwischengeschlechtlicher Mensch in Europa an einem Sexologenkongress einen denkwürdigen Vortrag "Medizinische Intervention als Folter".
Seit 2005 gibt es am Intersex Awareness Day jeweils auch in Hamburg eine Aktion von Mitgliedern von Intersexuelle Menschen e.V., an der die Beteiligten T-Shirts tragen mit der Aufschrift "Schon mal mit 'nem Zwitter gesprochen? Hier ist die Gelegenheit", Flugblätter verteilen, mit Passant_innen reden und sie über die Zwangsoperationen aufklären.
2009 findet zudem in Zürich am 26. Oktober eine historische Sitzung des Kantonsrates statt: Zum allerersten Mal in der Schweiz wird dort ein politischer Vorstoss zu Gunsten von Zwittern eingereicht werden!
Barbara Bussmann (SP, Volketswil), Martin Naef (SP, Zürich) und Ornella Ferro (Grüne, Uster) werden eine Anfrage zum Thema "Kosmetische Genitaloperationen an Kindern mit 'uneindeutigen' körperlichen Geschlechtsmerkmalen" einreichen und der Regierung Fragen stellen über die Art und den Umfang solcher Zwangseingriffe an Kindern im Kanton Zürich und wie die Regierung das beurteilt.
Ein historischer Tag für alle Zwischengeschlechtlichen und für alle, die sie in ihrem Kampf um Selbstbestimmung unterstützen!
Nella und Karin Plattner von der Schweizerischen Elternselbsthilfe waren letzten Dienstag in der Sendung TalkTäglich (>>> Videostream), wo die Anfrage zum ersten Mal angekündigt wurde. Zusammen mit der Erstunterzeichnerin Barbara Bussman sind die beiden am 25./26. auch verschiedenen Ausgaben des >>> Radio 24 News Bulletin mit Interviews vertreten.
>>> Die historische Anfrage im Kantonsrat Zürich (PDF) (--> Textversion siehe unten)
>>> Interview mit Nella >>> Artikel von Felix Schindler @ Tagesanzeiger.ch
>>> Interview mit Karin Plattner 27.10.09
Siehe auch:
- Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Gesetzgeber gefordert
- Zwangsoperation tangiert "höchstpersönliche Rechte" – Eltern dürften nicht zustimmen
- Zwangsoperationen verfassungswidrig (Art. 10.2: Recht auf körperliche Unversehrtheit)
- Kinderspital Zürich: Genitale Zwangsoperationen angeblich nur "ganz selten"
- Zürcher Kinderspital propagiert Zwangskastrationen an Kindern
- Inselspital Bern: Angeblich "keine Zwangsoperationen"
- Nella & Karin Plattner @ TalkTäglich Di 20.10.09 18:30h
- Nella & Karin Plattner @ Radio 24 News, 25.10.09 22h + Mo 26.10.09 06h/07h/08h
- Aktion & Offener Brief Kinderspital Zürich 6.7.08
- Aktion & Offener Brief Inselspital Bern 16.8.09
- Zwitter-Demos vor der UNO 26.1.09
- CEDAW: Schriftliche Empfehlungen an die Bundesregierung
- Basel-Stadt: Politischer Vorstoss gegen kosmetische Genitaloperationen an Kindern!
- Do 18.3.10: Politischer Vorstoss betreffend kosmetische Genitaloperationen an Kindern im Inselspital Bern
- Milton Diamond fordert gesetzliches Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern
--> Nachfolgend die Anfrage im Wortlaut:
Volketswil, Zürich und Uster, Oktober 2009 KR-Nr. .............
A N F R A G E von Barbara Bussmann (SP, Volketswil), Martin Naef (SP Zürich), Ornella Ferro (Grüne, Uster)
betreffend Kosmetische Genitaloperationen bei Kindern mit „uneindeutigen“ körperlichen Geschlechtsmerkmalen
Etwa jedes 2000. Neugeborene kommt mit „uneindeutigen“ körperlichen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt. Die betroffenen Menschen selbst bezeichnen sich als Zwischengeschlechtliche, Hermaphroditen, Zwitter oder Intersexuelle. Der aktuelle medizinische Fachbegriff lautet DSD = Disorders of Sex Development = Störung der Geschlechtsentwicklung.Intersexuelle sind nicht per se krank. Trotzdem werden sie als „abnormal“ klassifiziert und zum medizinisch-chirurgischen Notfall erklärt. Ohne ihre Einwilligung werden sie meistens im Kindesalter an ihren intersexuellen Genitalien operiert und dabei, der chirurgischen Einfachheit halber, meistens zu Mädchen gemacht. Dabei wird in Kauf genommen, dass ihr sexuelles Empfinden vermindert oder zerstört wird. Diesen Operationen liegen keine medizinischen Indikationen zugrunde, es handelt sich um rein kosmetische Eingriffe.
Zusätzlich werden viele ohne ihre Einwilligung kastriert, das heisst, es werden ihnen die in der Regel gesunden, Hormon produzierenden inneren Geschlechtsorgane entfernt, was eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen zur Folge hat. Auch diese Kastrationen haben meistens keine medizinische Indikation, sondern dienen lediglich der „Vereinheitlichung“. Die Folgen dieser lediglich auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichtete Hormonersatztherapieen sind unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Ostheoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust. Wollen betroffene Menschen auf eine adäquatere Hormonersatztherapie wechseln, weigert sich die Krankenkasse, die Kosten zu übernehmen. Die betroffenen Menschen und oft auch ihre Eltern werden über ihre Besonderheit und die an ihnen vorgenommenen Eingriffe schlecht informiert, um ihnen ihr wahres Geschlecht zu verheimlichen.
Die meisten Opfer dieser Praxis tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ein Leben lang leiden. Dies ist durch mehrere wissenschaftliche Studien erhärtet.
In diesem Zusammenhang bitten wir den Regierungsrat um die Beantwortung folgender Fragen:
In welchen Spitälern im Kanton Zürich werden kosmetische Genitaloperationen, Kastrationen und / oder Hormontherapien an Kindern mit uneindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen durchgeführt?
Bei wie vielen Neugeborenen wird jährlich im Kanton Zürich Intersexualität (DSD) diagnostiziert? (Angaben bitte je Jahr in absoluten Zahlen und Prozent, soweit zurückreichend wie möglich)
Bei wie vielen dieser Kinder wurden
a) kosmetische Genitaloperationen durchgeführt?
b) Die Gonaden entfernt?
c) Hormonbehandlungen durchgeführt?
(Angaben bitte je Jahr in absoluten Zahlen und Prozent, soweit zurückreichend wie möglich)In welchen Spitälern im Kanton Zürich werden pränatale Hormontherapien (Dexamethason) durchgeführt? (Angaben bitte je Jahr, soweit zurückreichend wie möglich)
Bei wie vielen Kindern wurden solche pränatalen Hormontherapien (Dexamethason) durchgeführt? (Angaben bitte je Jahr, soweit zurückreichend wie möglich)
Erhalten im Kanton Zürich Eltern intersexueller Kinder
a) psychologische bzw. psychotherapeutische Betreuung?
b) Peer Support?Erhalten im Kanton Zürich Intersexuelle begleitend zu medizinischer Behandlung auch
a) psychologische bzw. psychotherapeutische Betreuung?
b) Peer Support?Ist dem Regierungsrat bekannt, dass eine Vielzahl von erwachsenen Intersexuellen die an ihnen im Kindesalter vorgenommenen Eingriffe kritisiert?
Wie beurteilt der Regierungsrat die Praxis frühkindlicher kosmetischer Genitaloperationen, Kastrationen, Hormontherapien und sonstige medizinisch nicht notwendigen Eingriffe an Kindern mit uneindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen?
Barbara Bussmann Martin Naef Ornella Ferro
Comments
Meine Lieben,
ich möchte euch meinen Dank zum Ausdruck bringen, was ihr da leistet. Es ist eine so wertvolle Arbeit, die meiner Meinung nach unbedingt honoriert werden müsste.
Ich weiß selber, wieviel Zeit und Müh es kostet, etwas so wertvolles auf die Beine zu stellen.
Hier in Deutschland will keiner mit mir zusammen arbeiten, weil ich leider zu direkt und unbequem bin, statt dessen wird Hand in Hand mit den Medizynern zusammen gearbeitet, wo ich mich gegen wehre.
Es ist sehr bedauerlich, dass so wenige Menschen mal einen sinnvollen Kommentar zu eurer Arbeit leisten, Schweigen ist leider die Devise.
Sucht man Informationen aus Deutschland auf den Seiten XY Frauen oder Verein Intersexueller Menschen; Fehlanzeige!
Liebe Nella, lieber Seelenlos, macht bitte weiter, danke für die tolle Leistung, ihr habt meine Anerkennung verdient.
Liebe Grüße aus dem Sauerland,
[Name auf Wunsch entfernt, ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs]
liebe andrea
herzlichen dank für deine worte, lass uns weiter kämpfen, menschenrechte auch für zwitter!
liebe grüsse von
nella
Willkommen im Club, liebe Andrea,
es gibt durchaus auch noch andere Mitstreiter/Innen, die nicht den Dienstboteneingang in einer fehlgeleiteten Zusammenarbeit mit Medizynern suchen und auch nicht gewillt sind, derartige Todesfallen für neugeborene zwischengeschlechtlichen Menschen mitzutragen, wie es den gesetzlichen Änderungsvorschlag aus Hamburg zum zwingenden Eintrag eines neu geborenen Zwitters in das dritte Geschlecht im Personenstandsgesetz betrifft. Seit dem Jahre 1995 dürfen nach dem Akt einer gesetzgeberischen Verhüllungskunst (Zitat von Prof. Dr. iur. Herbert Tröndle)im Bereich der medizynischen Indikation jetzt alle früheren embryopathischen Indikationsfälle - wozu selbstverständlich auch Zwitter in den Augen von Heil!-kundlern zählen, bis zur Eröffnung der Geburtswehen getötet werden. Also wird die aus Hamburg kommende neue Regelung mit einem zwingenden Eintrag in das PStG zu einem neuen Tötungsansporn ungeborener zwischengeschlechtlicher Menschen und zwar aus zweierlei Gründen: Zum einen der blutige Verdienst von Abtreibungsmedizyner/Innen und zum anderen der zivilrechtliche Haftungsdruck, der auf Medizyner/Innen lastet, wenn ein Zwitter - für den sie möglicherweise bei unterlassener Abtreibung zahlen müssen - nicht abgetrieben worden ist. Der Gesetzesvorschlag aus Hamburg ist eine Katastrophe, wenn er im Bundestag durchkommt und wird vermutlich von den Initiatoren/Innen noch als großer Erfolg für ihre Tätigkeiten verkauft werden.
Die einzige Hoffnung, um diesen Vorschlag aus Hamburg nicht Gesetz werden zu lassen, ist die durchaus für Kinderrechte sehr engagierte ehemalige und neue Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberg.