Positionspapier Bündnis 90/Die Grünen + Fachgespräch QueerGrün Berlin, 8.6.10: Am konkreten Problem vorbei

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Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat unlängst ein Positionspapier "Menschenrechte Intersexueller gewährleisten" veröffentlicht, das leider das eigentliche Problem der Verletzung des Grund- und Menschenrechts auf körperlichen Unversehrtheit einmal mehr aussen vor lässt.

Auch konkret lassen die Bundes-Grünen genitalverstümmelte Zwitter weiterhin im Regen stehen:

Statt wie von der Zwitterbewegung seit 14 Jahren gefordert endlich einmal konkrete Vorstösse gegen die SeriengenitalabscheiderInnen in deutschen Spitälen zu unternehmen, starten die Grünen lieber die x-te chancenlose Initiative zu einer Änderung des Personenstandsrechts – bekanntlich eine Hauptforderung von Transsexuellen/Transgendern, und NICHT von Zwittern – während die SerientäterInnen weiterhin ungehindert im Akkord wehrlose Zwitterkinder verstümmeln ...

Schlimmer noch, das Positionspapier macht sprachlich und in der Sache wiederholt gemeinsame Sache mit den TäterInnen (mehr zum Positionspapier siehe unten "Kommentar").

Gleichzeitig lädt heute die Landesarbeitsgruppe QueerGrün Berlin unter dem Titel: "Kontrollierte Körper und beschädigte Psychen: Menschenrechtsverletzungen der Medizin an Intersexuellen und Trans*" wieder einmal zu einem "Fachgespräch" (die entsprechende Ankündigung ist zu unterst vollständig dokumentiert).

Leider scheint dabei auch QueerGrün nicht zum ersten Mal primär die Problematik und Sichtweise der Transsexuellen im Blickfeld zu haben. Zumindest die Ankündigung zielt ebenfalls in leider altbekannter Weise am eigentlichen Problem der Zwitter vorbei:

Die massivsten Grund- und Menschenrechtsverletzungen an den "Intersexuellen" werden (im Gegensatz zur den Forderungen der Tanssexuellen/Transgender) laut Ankündigung leider, leider wieder mal von vornherein bagatellisiert – und nach bekanntem Muster instrumentalisiert zu Gunsten einer erhöhten Sichtbarmachung der in Wahrheit auf einer anderen Ebene gelagerten Grundrechtsverletzungen von Transsexuellen:

Dies beginnt schon im Titel, wo die massiven körperlichen Schäden durch die heute noch möglichst flächendeckend durchgeführten Genitalverstümmelungen an wehrlosen Zwitterkindern verniedlicht werden, indem deren Körper nach dem Verständnis von QueerGrün Berlin nicht etwa "beschädigt" werden, sondern lediglich "kontrolliert" (im Gegensatz zur Psyche/Identität, dem Hauptthema der Transsexuellen).

Dieselbe Tendenz setzt sich in der Ankündigung dann auch im Kleingedrucken konsequent fort: Statt Klartext zu reden über Genitalverstümmelungen, Zwangskastrationen, genitale Zwangsoperationen oder nur schon von kosmetischen Genitaloperationen an Zwitterkindern, ist in Bezug auf die Zwitter lediglich die Rede von "sogenannte „geschlechtsangleichende Operationen“ [...], um dem Kind ein „eindeutig“ männliches oder weibliches Geschlecht zuzuweisen". Dies ist TäterInnensprache! Zwangsoperierte Zwitter wehren sich seit Jahrzehnten gegen diesen sprachliche Verschleierung und Beschönigung!

Doch es kommt noch übler: Bei den "Trans*-Menschen" ist nebst der von diesen bevorzugten Sprachregelung, nämlich "„geschlechtsangleichende“ Maßnahmen" dann demgegenüber zusätzlich noch explizit die Rede von "Zwangskastration"! Dies ist nicht nur eine Verdrehung der Tatsachen, sondern eine schamlose Vereinnahmung und Verniedlichung der medizynischen Verbrechen an Zwittern!

Denn es verdeckt den realen Unterschied zwischen Zwangskastrationen, wie sie einerseits wehrlosen Zwittern gewaltsam oder mit Lügen von einer angeblich direkt lebensbedrohenden "generellen Krebsgefahr" aufgezwungen werden, ohne dass diese eine Möglichkeit hätten, sich dagegen zu wehren oder abzulehnen, und andrerseits dem Kastrationszwang, wie ihm Transsexuelle/Transgender mit eindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen ausgesetzt sind, die eine Änderung des Personenstandseintrags wollen, ohne dass sie deshalb gewaltsam oder durch hinterlistische Täuschung gezwungen würden. Diese Verdrehung entspricht sinngemäss etwa einer Gleichsetzung/"Verwechslung" von Nötigung ("Geld oder Leben!") mit Mord aus dem Hinterhalt.

In dieselbe Kerbe haut auch das von QueerGrün als Ankündigung verwendete Piktogramm:

Hier ist klar ein erwachsener Mensch abgebildet, es steht also wiederum für Transsexuelle oder Transgender – Zwitter, die in der Regel nach wie vor als Kleinkinder vor dem 2. Lebensjar von den Medizynern verstümmelt werden, bleiben einmal mehr aussen vor.

Wörter, Symbole und Zeichen schaffen Tatsachen, wer sie unsachgemäss benutzt oder gar mutwillig für eigene Zwecke verdreht, macht sich zur MittäterIn!

Aus diesen Gründen, und weil Vereinnahmung und Instrumentalisierung von Zwittern durch LGBT inkl. "Trans*-Menschen" leider eine Jahrzehnte alte, unwürdige Tradition hat, die bisher von beiden Seiten noch nicht wirklich aufgearbeitet wurde, sollten die massiven Menschenrechtsverletzungen an Zwittern besser nicht im selben Atemzug bzw. an derselben Veranstaltung mit Transgender/Transsexuellen behandelt werden. Wer dies trotzdem tut, sollte sich der Gefahr bewusst sein und entsprechende Vorsicht an den Tag legen – ausser, die Betreffenden nehmen die Fortsetzung der Zwittervereinnahmung entweder mutwillig in Kauf, oder haben es gar von vornherein darauf abgesehen.

Kommentar:

An und für sich ist es ja prinzipiell positiv, dass QueerGrün wie auch die Mutterpartei sich gegen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern positionieren wollen.

Die vorliegende Veranstaltungsankündigung lässt jedoch leider nicht zum ersten Mal betreffend der oben angesprochenen Kritikpunkte jegliche notwendige Sensibilität vermissen, und auch die geladenen Expert_innen haben sich leider diesbezüglich zumindest bisher nicht gerade durch analytische Trennschärfe hervorgetan (geschweige denn durch realpolitisch durchsetzbare, klare Positionen und Forderungen, etwa indem sie sich aktiv für ein Verbot der Genitalverstümmelungen an Zwitterkindern einsetzen würden).

Bezeichnenderweise kommt das von allen Zwitterorganisationen in ihren Forderungslisten nicht zufällig an erster Stelle angeführte, zentrale Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung im ganzen QueerGrün-Ankündigungstext nicht ein einziges Mal vor!

Obwohl u.a. Amnesty Schweiz und Amnesty Deutschland, aber auch Terre des Femmes Schweiz erst gerade bewiesen, dass es auch anders geht – nämlich mit Klartext, auf den Punkt gebracht und erst noch ohne Vereinnahmung! Ebenso die schweizer Grünen.

Nur die deutschen Grünen haben bisher trotz bald Jahrzehnte langem Gerede noch nichts konkretes zur Durchsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit auch für Zwitter auf die Reihe gekriegt – sondern zumindest bisher stattdessen stets bloss Vereinnahmung pur! (eins / zwei / drei / vier / fünf / sechs)

Auch das 4-seitige Positionspapier der Bundes-Grünen "Jenseits des Geschlechts: Menschenrechte Intersexueller gewährleisten" mit Datum vom 6. Mai 2010 zielt einmal mehr am eigentlichen Problem vorbei und hofiert letztlich gar zum Teil einmal mehr die Zwangsoperateure (etwa, in dem es auf S. 2 unbesehen und unhinterfragt deren je nach Bedarf beschönigte Zahlen und Statistiken übernimmt). Auf S. 3 wird gar unterstellt, zwangsoperierte Zwitterkinder (in der Regel unter 2-jährig!) wären zumindest "bedingt einwilligungsfähig". Weiter ist die Rede von "sexuelle Funktionsfähigkeit", ohne dass eben der deren Infragestellung durch Verminderung/Verlust des sexuellen Empfindens durch die Verstümmelungen je angesprochen wird (viele Zwangsoperierte spüren nichts mehr oder nur noch Schmerzen). Das ist einmal mehr unhinterfagt übernommene TäterInnensprache der SerienverstümmlerInnen vom "Netzwerk DSD/Intersexualität" / "EuroDSD"!

Das den Zwittern nach wie vor vorenthaltene, zentrale Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit kommt im ganzen Positionspapier immer noch kein einziges Mal vor!

Statt endlich entschlossen gegen die Medizyner-Verbrecher vorzugehen und ihnen endlich, endlich das Verstümmeln wehrloser Kinder gesetzlich zu verbieten (z.B. entsprechend dem aktuellen Gesetzesentwurf gegen weibliche Genitalverstümmelung), geht es den Grünen auf S. 4 in ihrer konkreten politischen Arbeit aktuell dann folgerichtig einmal mehr lediglich um das Lieblingskind der Transsexuellen und Transgender, nämlich ausschliesslich um das Personenstandsgesetz. Während gleichzeitig wherlose Zwitterkinder genitalverstümmelt und kastriert werden – allein in deutschen Spitälern etwa JEDEN TAG EINES!!!

Fazit: Es wäre ja wirklich sehr schön und eine Riesenfreude, falls sich das alles anlässlich dieses x-ten "Fachgesprächs" der Grünen endlich ändern würde – aber ehrlich gesagt halt ich bis dahin die Luft nicht an ...

Siehe auch:
- Zwitter und progressive LGBTs gegen Vereinnahmung 
- Bundestag: "Weibliche Genitalverstümmelung ahnden" - aber die Zwitter verstümmelt nur ruhig weiter ...
- Zitty 14/2013: Heute noch Intersex-Genitalverstümmelungen in der "Charité"  
- Zwangsoperationen an Zwittern: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit) 
- Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Gesetzgeber gefordert
- Zwitter-Vereinnahmung im Bundestag: "Du sollst den Begriff 'intersexuell' nicht unnütz gebrauchen!" 
- "Netzwerk DSD/Intersexualität" / "Euro-DSD": Lübecker Zwitterstudie frisiert 

Nachfolgend dokumentieren wir die oben kritisierte Veranstaltungseinladung:

Quelle: Landesarbeitsgruppe QueerGrün Berlin

Die LAG QueerGrün lädt ein zum Fachgespräch:

Kontrollierte Körper und beschädigte Psychen:
Menschenrechtsverletzungen der Medizin an Intersexuellen und Trans*

am Dienstag, dem 8. Juni 2010, 20.00 Uhr – 22.00 Uhr

im Sonntags-Club e.V., Greifenhagener Str. 28, Prenzlauer Berg

 

Wird ein Kind mit uneindeutigem Geschlecht geboren, werden – oft schon kurz nach der Geburt – sogenannte „geschlechtsangleichende Operationen“ vorgenommen, um dem Kind ein „eindeutig“ männliches oder weibliches Geschlecht zuzuweisen. In der überwiegenden Zahl der Fälle handelt es sich dabei um medizinisch nicht notwendige Operationen. Als Erwachsene leiden diese von der Medizin als „intersexuell“ definierten Menschen oft massiv an den traumatischen Eingriffen und ihren Folgen. Viele wünschen sich ihr „uneindeutiges“ Ursprungsgeschlecht zurück.

 

Trans*-Menschen stehen einem Heer von PsychologInnen, medizinischen GutachterInnen und ÄrztInnen gegenüber – selbst wenn sie nur ihren Vornamen an ihre Geschlechtsidentität anpassen möchten. Die Änderung des Personenstandes ist an „geschlechtsangleichende“ Maßnahmen geknüpft, die nicht immer in dieser Form und diesem Umfang gewollt sind. Dabei schreibt das Gesetz eine dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit vor, was einer Zwangskastration bzw. -sterilisation gleichkommt.

 

In beiden Fällen tritt die Medizin als Machtinstanz auf den Plan, die das Bedürfnis der Gesellschaft nach klaren Geschlechtsidentitäten und normierten Körpern bedient und an den betroffenen Menschen exekutiert.

 

Die LAG QueerGrün von Bündnis 90/Die Grünen Berlin lädt zu einem öffentlichen Fachgespräch ein:

 

Gemeinsam mit Ihnen und Euch, mit Vertreter_innen der Intersex- und Trans*-Community sowie mit Akteur_innen aus Politik und Medizin möchten wir die Frage erörtern, ob und wie die Macht der Medizin eingeschränkt und die Situation von Trans*-Menschen und Intersexuellen verbessert werden kann.

 

Auf dem Podium:

-        Ulrike Klöppel, Institut für Geschichte der Medizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

-        Monika Lazar, MdB, Sprecherin für Frauenpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen

-        T J C, Gender- und Queer-Aktivist_in

-        Lucie Veith, Intersexuelle Menschen e. V.

-        Jörg Woweries, Arzt für Kinder- und Jugendmedizin

Moderation: Sarah Radtke, LAG QueerGrün