Die Mediziner

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Thursday, October 18 2007

"Medicine goes gender"

In der Schweizerischen Ärztezeitung 47/2006 erschienen folgende 3 Beiträge zum Thema Ethik und Umgang mit Intersexualität (pdf-downloads):

1. Das ethische Dilemma bei Geschlechtszuweisungen (Anonym/Redaktion Ethik)

2. Medicine goes gender (Kathrin Zehnder)

3. Ethik: Zum Umgang mit Intersexualität (Nikola Biller-Andorno)


Kommentar in 3 Teilen:


Das Individuum

Im beschriebenen Fall werden zwei Lösungsmöglichkeiten erläutert, die einschneidende operative Eingriffe mit sich bringen. Einem Kind sollen gesunde Ovarien und ein funktionsfähiger Uterus entfernt bzw. ein Penis zu einer Klitoris "reduziert" werden. (2.)

Einmal mehr: Ein sechsjähriges Kind wird bevormundet und entmündigt, wird nicht zu seinen Gefühlen und Gedanken befragt. Offizielle Begründung:

Das kindliche Alter des Patienten bedingt, dass der aktuell 6jährige gar nicht recht mitentscheiden kann, dass also Eltern und beteiligte Ärzte für sein späteres Wohl entscheiden müssen (Konzept der Beneficience). (1.)

Was zum Beispiel für die Soziologin Kathrin Zehnder selbstverständlich ist, findet in die Überlegungen der Mediziner keinen Eingang: dem Kind wird jegliche Fähigkeit zu verstehen oder zu entscheiden von Vornherein abgesprochen. Obwohl die Operationen aufgeschoben werden können, wird arrogant und selbstherrlich über seinen Kopf hinweg entschieden - ein und für allemal. Kathrin Zehnder:

Die Geschlechtsoperationen stellen keine Notfallmassnahmen dar, sind also aufschiebbar, jedoch nicht rückgängig zu machen. Es scheint auf den ersten Blick unerklärlich, warum überhaupt darüber nachgedacht wird, solche Eingriffe bei einem Fünfjährigen vorzunehmen. (2.)

Auch Dr. med. Nikola Biller-Andorno, Professorin für Biomedizinische Ethik an der Universität Zürich, plädiert "angesichts des relativ geringen Schadens/Risikos" dafür, den "schwerwiegende[n] medizinische[n] Eingriff" aufzuschieben:

Dem Kind könnte derzeit durch Hormongaben eine Weiterentwicklung in der Knabenrolle ermöglicht werden, ohne durch eine Operation bereits irreversible Fakten zu schaffen. (...) Insbesondere könnte der "Junge" später selbst entscheiden, wie er seine geschlechtliche Identität gestalten möchte. (3.)

Doch mit solchen Kinkerlitzchen hielten sich die anonym bleibenden "behandelnden Mediziner" auch im vorliegenden Fall nicht lange auf: Das Kind wird kurzerhand als "krank" bezeichnet. Definitionsmacht der Medizin ... Und Macht wird nicht gerne aus der Hand gegeben – schon gar nicht in Kinderhände:

Der Knabe (sic!) selbst konnte bisher nur bedingt über seine Krankheit orientiert werden. Er weiss, dass er an der gleichen Hormonstörung leidet wie seine Schwester und dass (wie bei ihr bereits geschehen) gelegentlich eine Operation durchgeführt werden muss (Korrektur der Hypospadie, gleichzeitig auch Hysterektomie [?] (im Original) und Ovariektomie oder Korrektur des äusseren Genitales). (1.)

Dafür soll "er" anschliessend "langfristig" kinderpsychiatrisch begleitet werden. Das nennt man dann wohl Arbeitsbeschaffung.


Die Gesellschaft

Ein drittes Geschlecht ist bei uns derzeit nicht "gesellschaftsfähig", wie es die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie zu Störungen der sexuellen Differenzierung (1999) formuliert. (3.)

Der Entscheid, das Kind als Junge aufwachsen zu lassen, was eine Entfernung der inneren weiblichen Geschlechtsorgane und eine lebenslange Substitution mit männlichen Hormonen zur Folge hat, stützt sich darauf, "dass das Kind als einziger Knabe in seiner Familie eine besondere Stellung als männlicher Nachkomme" hat, "die ihm auch nach Aufklärung der Eltern über die chromosomale und anatomische Situation erhalten" bleiben wird. Die "mögliche Umwandlung des Kindes zu einem Mädchen und damit die Erhaltung der Fortpflanzungsfähigkeit" wird von den Eltern sowieso "eindeutig weniger stark gewichtet". Denn aufgrund des muslimischen Glaubens würde der Knabe "wegen der wichtigen männlichen Rolle in seiner Gesellschaft auch als 'unvollständiger Mann' seine 'Wertigkeit' behalten".

Zudem geht die Herkunft der Eltern aus dem moslemischen Land mit einer sehr schicksalsergebenen Haltung und einer Passivität im Entscheidungsprozess einher, so dass der Entscheid fast vollständig dem behandelnden Arzt übergeben wird. (1.)

Nicht das betroffene Individuum entscheidet also über seinen eigenen Körper, sondern die kulturbedingte Geschlechterrolle, die Eltern, die Religion. Oder deren selbsternannte Vertretung: die Mediziner.

Ethik-Expertin Nikola Biller-Andorno resigniert:

Gleichwohl erwähnen Leitlinien wie auch medizinische Literatur inzwischen zumeist die Forderung kritischer Stimmen, Geschlechtszuordnungen bis zur Einwilligungsfähigkeit zurückzustellen und Intersex als drittes Geschlecht anzuerkennen, wenn auch der Verweis auf diese Position in der weiteren Argumentation in der Regel folgenlos bleibt. (3.)


Theorie und Praxis

Theoretisch könnte die Entscheidung der operativen Korrektur vertagt und der Knabe im Alter von etwa 15 Jahren in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden. (1.)

Praktisch findet am 12. Dezember 2007 in einer Stadt in Deutschland ein Prozess statt, in dem ein Arzt wegen Körperverletzung angeklagt wird. Von einem zwischengeschlechtlichen Menschen, dessen AGS wie im vorliegenden Fall erst spät erkannt wurde, der seiner inneren weiblichen Fortpflanzungsorgane beraubt wurde und an der ihm aufgezwungenen männlichen Rolle bis heute leidet.

Das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Zwischen Spekulation und Nachfragen. Zwischen Bevormundung und Autonomie.

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Berichterstattung 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Berichterstattung und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG


Friday, October 5 2007

Ein Mädchen machen I

Menschenrechte auch für Zwitter!„1. Aeusseres Genitale: Prima vista aussehend wie bei AGS. Der Penis ist 2 cm lang, das Scrotum nicht ausgebildet, sondern in Form von zwei Labia majora vorhanden. Kein Sinus urogenitalis, beim Perineum befindet sich die Mündung der Urethra. Diese ist nicht stenosiert, sie weist dorsalseits eine reizlose Narbe auf.
(...)
7. Weiteres Procedere: Ich habe den Fall unmittelbar nach der Cystoskopie nochmals mit Herrn Prof. B[...] besprochen. Es liegt seiner Ansicht nach ein männliches Geschlecht mit Hypospadie vor. Obwohl er selbst bei der früheren Beurteilung und vor der Castratio anwesend war, glaubt er retrospektiv doch, dass ein Fehler begangen wurde. Die Situation ist nun jedoch so, dass auf diesem Wege fortgefahren werden muss und aus dem kleinen Patienten ein Mädchen gemacht werden muss. Zur Frage der Vaginalplastik äussert er sich so, dass diese sobald wie möglich durchgeführt werden sollte und nicht erst dann, wenn sich das Kind darüber im Klaren wird.“

(Auszug aus meiner Krankenakte)

So etwas verfolgt einen ein Leben lang und es geht dabei nicht um die Frage, ob ich mich nun eher weiblich oder eher männlich fühle, ob ich persönlich mich nun für weiblich oder männlich entschieden hätte, sondern darum, dass über mich entschieden wurde, dass ich dort, vor langer Zeit, in einem Raum, zu dem meine Eltern keinen Zugang hatten, auf einem Tisch lag und fremde Menschen um mich herum standen, über meine kleinen Körper entschieden, mich aufgeschnitten und mir etwas genommen haben. Für immer. So etwas verfolgt einen ein Leben lang.

Teil II

Tuesday, September 18 2007

Netzwerk DSD/Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders

Als im Januar 2004 das Netzwerk Intersexualität (mittlerweile: Netzwerk DSD) ins Leben gerufen wurde, schien endlich ein konkreter Schritt hin zur Verbesserung der Situation von intersexuellen Menschen getan zu sein. Hier eine Kurzbeschreibung über Sinn und Zweck des Netzwerks:

''Das «Netzwerk Intersexualität» (Start Januar 2004) befasst sich mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung (Disorders of Sex Development - DSD). (...)

In Zusammenarbeit mit den Selbsthilfeinitiativen und den medizinischen Kooperationspartnern wollen wir die Diagnostik & Therapie, die medizinische & psychosoziale Versorgung für Betroffene und ihre Familien verbessern, sowie Aufklärung und respektvolle Kommunikation unterstützen. (...)'' >>> mehr

Ende August fand ein Netzwerktreffen in Bochum statt, an dem einige intersexuelle Menschen als Vertreter dabei waren.

Was sie berichten, stimmt nicht gerade zuversichtlich: Nach Berlin 2000 reagierten Mediziner auf die berechtigten Anliegen und Einwände der Zwitter einmal mehr einzig mit tumultartigem Verlassen des Saals.

So entsteht vielmehr der Eindruck, als wäre die Beteiligung von Intersexuellen am Netzwerk eine Alibiübung, ein wirklicher Dialog findet nicht statt.

Hier zur Information die beiden offenen Briefe an das Netzwerk Intersexualität:

>>> Offener Brief von Lucie Veith an das Netzwerk Intersexualität

>>> Offener Brief von Claudia Kreuzer an das Netzwerk Intersexualität


Siehe auch:
- "Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000
- Wie das "Netzwerk Intersexualität/DSD" seine Versprechen bricht
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008 

Offener Brief von Lucie Veith an das Netzwerk Intersexualität

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Thyen,

Ein offener Brief an den Vorstand des Netzwerkes- IS, den Vorstand und die Netzwerkmitglieder, die Selbsthilfegruppen und Vereine und Interessierte.

Seit mehr als 3 Jahre bin ich Mitglied des Netzwerkes –IS, ein förderndes Mitglied. Als intergeschlechtlicher Mensch habe ich mich dem Netzwerk angeschlossen, weil ich in den Zielen des Vereines die Interessen der intergeschlechtlichen Menschen zu finden glaubte, die mir und meine intergeschlechtlichen Freunde das Leben erleichtern und verbessern könnten.

Das Netzwerk-IS – Jahresversammlung fand im Endokrinologikum Ruhr in Bochum statt. Die Tagungspräsidentin hatte alles Organisatorische zur besten Zufriedenheit geregelt.

Die Versammlung begann um 10.00 Uhr und die Teilnehmer wurden von der Tagungspräsidentin und den Netzwerksprechern begrüßt. Nach Feststellung der Formalien, Genehmigung des Protokolls und der Tagesordnung wurde der 2. Vorsitzende in seinem Amt bestätigt. Der neue Tagungspräsident 2008 wurde gewählt. Das nächste Treffen wird in Kiel stattfinden.

Im Rechenschaftsbericht wurden die Fördergelder und die Verwendung erläutert. Weitere Fördergelder werden bei der EU eingeworben. Auch hier geht es einzig und allein um Molekularforschung.

Der Mensch, die Beratung, Behandlung, Versorgung und Selbstversorgung kommen nicht vor. Der Bericht, welche Projekte gefördert wurden, u.a. ein Tandemmassenspektrometer, das in sehr kurzer Zeit Analysen erstellt, die vorher viel Zeit und Geld verschlungen hätten, verwunderte mich sehr. Kein Geld für Versorgung, kein Geld für weitere Beratung, statt dessen ein ernsthafter Aufruf für eine € 5.000-Spende um die Technik zur Übersetzung der kanadischen Seite „Sick-Kids“ zu finanzieren. Das rief sogar Entrüstung und Befremden bei Vollmitgliedern hervor, die nicht unbedingt der „aufklärenden Ärzteschaft“ angehören. Das sich eine Geschäftsführerin mit solch blamablem Auftritt selbst diskreditiert, ist für mich unfassbar.

Als Gast wurde dann Frau Mirjam Mann vom der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) begrüßt. Frau Mann stellte ihre Organisation vor und informierte über die Aktivitäten und berichtete über das Glück, Frau Köhler, die Ehefrau des Bundespräsidenten als Pate gewonnen zu haben.

Als Mitglied des Vereins „Intersexuelle Menschen e.V.“ war mir bekannt, dass ein Antrag auf Aufnahme bei der Achse vorliegt (Die Antragstellung hatte lange Diskussionen bei den Betroffenen ausgelöst weg. des Begriffes „Erkrankungen“. Schweren Herzens und mit der Hoffnung auf eine Verbesserung der Versorgung und die Hoffnung auf eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz wurde dann diese Kröte geschluckt.)

Und so stellte ich in der Versammlung nach kurzer Vorstellung die Frage, ob sie, Frau Mann, vielleicht eine gute Nachricht für den Verein IS e.V. im Gepäck hätte und wir nun Mitglieder der Achse geworden sind. Leider kannte sie weder den Antrag des Vereins „Intersexuelle Menschen e.V.“ noch die SHG XY-Frauen. Es seinen zu viele Anträge die dort eingehen und da wären noch andere Bearbeiter, die sie offenbar nicht informiert hatten.

Was mir bitter aufstieß, war die Tatsache, dass das Netzwerk – IS, speziell die Geschäftsführung es nicht für nötig hielt, die eingeladenen Vertreter einer Patientenorganisation über die ihr angeschlossenen Vereine und Selbsthilfeorganisationen der Fachgesellschaften zu informieren. Auch kam weder vom Vorstand, noch aus der Versammlung Unterstützung, um die Aufnahme zu fördern oder zu begünstigen.

Das Projekt „Klinische Evaluationsstudie“ geht in die Auswertung. Bis zum 1.12.07 müssen die Interviews zur Klinische Evaluationsstudie( Medizinische und chirurgische Behandlungsergebnisse, psychosexuelle Entwicklung und gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Patienten mit Störungen der Geschlechtsentwicklung) abgewickelt sein. Danach wird ausgewertet. Die Ergebnisse werden online veröffentlicht. Wissenschaftler und Doktoranten können sich bewerben, Auswertungen vorzunehmen. Sie werden Zugang zu den Daten bekommen. Uns, den Patientenselbsthilfegruppen und unseren wissenschaftlichen Arbeitsgruppen wird der Zugang verwährt! Es besteht kein Mitspracherecht für die Betroffenen.

Mit Verlaub, das verstehe wer will, ich nicht: Jeder Wissenschaftler kann ein Projekt anmelden und erhält Zugriff zu unseren Daten!? Bislang haben wir nur einem Datentransfer/-abgleich mit dem der Studie des Instituts für Sexualforschung in Hamburg zugestimmt.

Als Teilnehmer der Studien protestiere ich gegen eine offene Verwendung und die ungenehmigte Weitergabe und untersage Ihnen ausdrücklich, die Daten an Personen oder Institutionen weiter zu geben, die sich außerhalb ihres Institutes befinden. Wie bitte, wollen sie die Datensicherung und den Datenschutz sicherstellen? Wo bleiben die Daten? Wie lange bleiben sie bestehen? Wohin wandern die Daten nach Ablauf der Studie? Wer prüft das?

Sind Sie nicht an Zusagen an die Befragten gebunden?

Warum werden die intergeschlechtlichen Menschen und ihre Familien wieder mal als wissenschaftliche Laborratten ohne Rechte behandelt?

Wie ist dies Vorgehen mit dem Ziel des Vereines:

Pkt. 2 Zweck des Netzwerk-IS ist es, das Verständnis für die Ursachen und Verläufe somatosexueller Differenzierungsstörungen zu vertiefen, die Diagnose zu optimieren, Therapien zu deren effektiver Behandlung zu entwickeln und einen Beitrag für einen respektvollen gesellschaftlichen Umgang mit den Betroffenen zu leisten.

Pkt. 3 Das Netzwerk-IS ist selbstlos; es verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke...

Überschreiten Sie nicht auch hier jede moralisch vertretbare Grenze?

Nach zwei sehr interessanten Fachvorträgen zur Klinischen Auswirkung und molekularen Grundlagenforschung und den Problemen bei der Beurteilung übernahm Frances Kreuzer den Part im Zeitfenster für die Selbsthilfegruppen. Herbei wurden lediglich Auszüge aus einem neuen Buch eines Patientenanwaltes zitiert. Eine ruhige, nicht anklagende Präsentation bundesrepublikanischen Rechtes. Dieser Vortrag führte zu tumultähnlichen Szenen des sowieso halbleeren Saals. Ein bekannter Mediziner und ordentliches Mitglied des Vereins, der nach eigenem Bekunden mehr als 25 Jahre intergeschlechtliche Genitale operiert hat, geriet außer Fassung und verließ pöbelnder weise mit Gefolge den Saal, ein sonst ruhiger Psychologe und ordentliches Mitglied des Netzwerk-IS, der für Projekte des Netzwerk-IS arbeitet fährt mit Getöse Betroffenen ins Wort und will ihnen das Wort abschneiden. Es kommt zu Wortgefechten, die nicht unterbunden werden. So der Kommentar: Ob den Betroffenen nicht klar ist, dass solche Vorträge diejenigen, die helfen wollen, demotivieren. Auch ich bin aus der Haut gefahren, jedoch aus ganz anderem Grund:

Was kann gestandene Wissenschaftler und Ärzte, die mit dem Grundgesetz, dem Bestimmungsrecht und dem Arzneimittelgesetz konfrontiert werden so außer der Fassung bringen, dass sie flüchten?

Ist das Recht nicht Grundlage der Arbeit?

Gelten die Gesetze nicht für intergeschlechtliche Menschen?

Ist nicht das Netzwerk-IS die Gelegenheit, sich ein richtiges Bild zu machen?

Will man am Ende gar keine Änderung der gängigen Praxis?

Ist die Beteiligung der Betroffenen nicht gewollter Bestandteil der vom Forschungsministerium geforderten Auflagen?

Ist es nicht legitim, dass intergeschlechtliche Menschen für ihre Rechte und deren Durchsetzung einstehen?

Ist die Tatsache, dass ein intergeschlechtlicher Mensch um seine Würde und seine Daseinsberechtigung kämpft so unakzeptabel für einen Arzt oder Wissenschaftler?

Welche Ängste löst die Anwesenheit von intergeschlechtlichen Menschen aus?

Warum unterstützen Mediziner, die helfen wollen, den intergeschlechtlichen Menschen nicht bei der Durchsetzung seiner Überlebensforderungen.

Behindert die Angst vor möglichen Konsequenzen einen Neuanfang?

Die Zeit wird knapp, die Forschungsgelder wie die Projekte laufen aus. Ich bitte Sie inständig nachzudenken und die Änderungen, die notwendig sind einzuleiten.

Ich spreche niemanden den guten Willen ab, helfen zu wollen. Doch wenn am Ende der Behandlung ein gebrochener Mensch steht, ist über das Verfahren nachzudenken.

Vergessen Sie bitte, was sie während Ihrer Ausbildung über Zwitter gelesen haben. Wir sind keine Sonderlinge, die man verstecken muss, sondern Menschen mit einer sehr verletzlichen Seele.

Ich bitte Sie alle, nein ich fordere Sie auf, den Wandel jetzt einzuleiten. Sollte uns gemeinsam der Wandel nicht gelingen wird es am Ende heißen: Das Projekt ist beendet, das Geld verbraten, ein paar Wissenschaftler haben ein neues Spielzeug, ein Beschäftigungsprogramm für Psychologen geht zu Ende, die Betroffenen haben das Nachsehen.

Bei mir hat das Verhalten der Netzwerkteilnehmer großes Unverständnis ausgelöst. Ich frage mich, wer hier der Patient ist.

Wir bedürfen der Solidarität eines jeden Einzelnen.

Ich bitte sie weiter, das Forum auf der Internetseite zu löschen. Die Tatsache, dass intergeschlechtlichen Menschen keine Antworten gegeben wird und offenbar kein Moderator in der Lage ist, das „Krisenmanagement“ zu bewältigen, ist beschämend und eines Netzwerk-IS unwürdig.

Ich werde diesen offenen Brief über cc an andere Interessierte wie Selbsthilfegruppenmitglieder und Unterstützer weitergeben und bitte auch um Zustimmung, dass ich Ihre Vereinsantwort an diesen Kreis weiterleiten darf.

Mit freundlichen Grüssen
Lucie Veith
Intergeschlechtlicher Mensch
Förderndes Mitglied im Netzwerk-IS

Siehe auch:
- Netzwerk Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Offener Brief von Claudia Kreuzer an das Netzwerk Intersexualität

Offener Brief von Claudia Kreuzer an das Netzwerk Intersexualität

Querkreuzer (Claudia & Frances Kreuzer)

Trier den 4. September 2007

Sehr geehrte Damen,
sehr geehrte Herren des „Netzwerk Intersexualität“

Lassen Sie mich bei den letzten Minuten des letzten Treffens vor der Tür beginnen.
Dort kündigte ich Frau Prof. Dr. med Thyen meinen baldigen Austritt aus dem Netzwerk an. Ich denke das wird kein großer Verlust für mich wie auch für Sie, möglicherweise jedoch Einer für die Betroffenen sein. Ich erlaube mir, mir deshalb noch etwas Bedenkzeit für meinen Austritt zu lassen. Andere Betroffene möchten noch vorher darüber mit mir sprechen.
Aber vielleicht brauche ich dies, nach den folgenden Worten, ja noch nicht einmal mehr selbst zu tun.

Ich möchte Ihnen, im Vorfeld meiner anstehenden Entscheidung, noch ein paar sehr persönliche Zeilen aus meinem Erleben des Netzwerkes, der beteiligten Personen und des Themas unterbreiten.

Am Freitag Abend hatte ich wieder mal eine „freundschaftliche Diskussion“ mit Wissenschaftlern des Netzwerkes über die persönliche Anrede untereinander. Das Ergebnis war, dass von Seiten der an der Diskussion beteiligten Mediziner der Vorschlag kam „ ...dass es das einfachste wäre sich mit „Du“ und Vornamen anzureden“.
Diese Diskussion hatte ich, wie gesagt, schon mehrfach mit verschiedenen Personen des Netzwerks, aber „Sorry“, ich kann einfach nicht über meinen Schatten springen und Sie, verehrte Damen und Herren mit „Du“ anreden. Obwohl ich doch die überwiegende Zahl anderer Mediziner, die ich seit Jahren und Jahrzehnten aus anderen Zusammenhängen kenne, „Duze“.
Vielleicht liegt dies an meiner frühen Kindheitsgeschichte, nehme ich doch wahr, dass es Ihre beruflichen Vorgängergenerationen waren, die sich berufen fühlten an mir und meinesgleichen Korrekturen vorzunehmen.
Wie dem auch immer sei, ich habe es bisher generell vermieden, mit Ausnahme von Meinesgleichen, irgend jemanden im Netzwerk zu Duzen.

Mit gutem Grund, wie sich am Samstag, im Verlaufe des Vortrages von Frau Prof. Dr. med Thyen zu den Ergebnissen der Studie und während des Vortrages von Frances zeigte. Sie verzeihen mir Frau Prof. Thyen, ich habe ein ganz schlechtes Gefühl für die Betroffenen dabei. Aber davon später.

Was mich emotional am meisten aufregte war jedoch der Tumult der während des Vortrages von Frances entstand.
Sie denken nun sicher das Falsche. Es war sicher weniger das Verhalten und die Reaktionen von Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder. Sie werden es kaum glauben, ich schätze seine und Frau PD Dr. med. Kreges Fähigkeiten, hinsichtlich ihrer Operationstechniken, sehr hoch ein. Das nicht zuletzt aufgrund der Vorträge von Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder und Frau PD Dr. med. Krege, zuletzt in Hamburg mit einem glänzenden Vortrag. Für die, - die operiert werden wollen-, sicher eine gute Wahl.
Zudem bin ich Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder sogar ein wenig dankbar für seine gezeigte Reaktion. Sie war überhaupt die erste öffentliche Reaktion eines Mediziners aus dem Netzwerk auf Aktivitäten Betroffener. Den einzigen Vorwurf den man ihm, wie aber auch allen übrigen Teilnehmern, machen könnte wäre der, dass sich, in dem entstehenden Tumult und seinen ausufernden, aus unserer Sicht unbegründeten, Spekulationen, niemand mehr dafür interessierte, warum wir die Sammlung von Rechtsgrundlagen so schnell und kommentarlos abspulten.
Es ist halt immer – chronisch- sehr wenig Zeit für die Betroffenen, um die es ja eigentlich geht. Es wäre für Sie und Ihre Arbeit im Hinblick auf die Studie sicher interessant gewesen, die Konsequenzen dieser Rechtstexte, unser nicht zum Zuge gekommenes Resümee, auf die soziale Lebenssituation und damit auf die –zukünftige- „Zufriedenheit“ der Betroffenen, kennen zu lernen.
Aber das fand ja leider nicht mehr statt.

Aber der Tumult hatte auch, zumindest für mich, eine positive Erkenntnis, die an zwei, drei Stellen des Tumultes, - deutlich hörbar- von Medizinern des Netzwerks geäußert wurde:
Das war sinngemäß jener Satz: „... wir sollten doch nicht die wenigen Mediziner die auf unserer Seite seien und sich um uns bemühten mit solchen Sachen verschrecken..., ...dann ginge nachher gar nichts mehr!“ Vor etwa zwei, drei Jahren hat mir ein Mediziner, auf meinen Film mit Arte hin, ein ähnliches E- Mail geschickt, in welchem er behauptete, dass solche Aktivitäten der Betroffenen in der Öffentlichkeit letztlich nur dafür sorgten, dass die Abtreibungsraten intersexueller Kinder in die Höhe gingen......

Ich fasse die Inhalte beider Äußerungen als Drohung gegen das Leben und die Gesundheit von mir und meinesgleichen auf. Ich kann aus meiner zutiefst empfundenen Achtung vor dem Leben nur hoffen, dass sich, für die Medizin, die Mediziner und die Betroffenen, Äußerungen dieser Qualität nicht eines Tages gegen Sie selbst wenden.
Niemand von Seiten der Ärzteschaft und auch sonst Niemand hat das Recht uns mit möglichem Hilfe- und damit Behandlungsentzug zu drohen.
Nicht wir haben diese Situation geschaffen in der wir uns befinden, sondern die Medizin hat dies, in maßloser Selbstüberschätzung, verursacht.
Sie und diese Gesellschaft haben daher, für jeden Einzelnen von uns,
- die Verpflichtung-
alles Erdenkliche zu tun, damit die Behandlungsfehler der Vergangenheit in der Zukunft keine Fortsetzung finden und die bereits von Fehlbehandlung Betroffenen die erforderliche Hilfe bekommen.
Es kann nicht sein, dass ein „Netzwerk- IS“ unter der Überschrift „Betroffenen helfen zu wollen“, im letzten Jahr des monetär- staatlich geförderten Bestehens dieses Netzwerkes, zu dem Schluss kommt, dass sich bisher so gut wie keine Erwachsenen- Mediziner an der Problembehebung beteiligen.
Ich darf, in aller Bescheidenheit und sicher im Namen aller Betroffenen die u.A. hoffnungsvoll an Ihrer Studie teilnahmen, Sie, meine Damen und Herrn Wissenschaftler des „Netzwerkes- IS“ fragen:
Welche Probleme haben Sie hinsichtlich der Therapien von erwachsenen Intersexuellen erkannt und welche medizinischen Lösungen haben Sie dafür?

Ich bin mir sicher, dass ich darauf keine Antwort erhalten werde.
Das Einzige was sich sicher durch die bloße Existenz des Netzwerkes geändert hat, ist dass es erwiesen ist, dass die Verträglichkeit einer Hormonersatztherapie mit Testosteronen für XY- chromosomale IS erheblich verträglicher ist als eine Östrogentherapie. Und das ist zudem noch eine Erkenntnis die, die Betroffenen, ohne Zugriff auf „große“ millionenschwere Analysegeräte zu haben, selbst erarbeitet haben. Und sogar noch Einiges darüber hinaus.
Das lehrt uns Betroffene zudem, dass der „Erfolg“ nicht immer von der „Größe“ und dem „Vorhandensein“ des „Gerätes“ abhängig ist.
Sie dürfen also weiter gespannt sein.
Täuschen Sie sich jedoch nicht, dass wir so blauäugig sind und den Spruch „... wir wissen über IS zu wenig...“, für „bare Münze“ nehmen. Ich glaube, dass das was wir allenthalben als „neu“ „ zum Besten“ gaben, bei Ihnen schon längst bekannt ist.

Und ich persönlich befürchte, nach den Offenbarungen von Frau Prof. Thyen hinsichtlich der Modalitäten zur Auswertung der Studiendaten, dass wir auch dort wieder Interpretationen ausgeliefert sein werden.
Übrigens, so ganz nebenbei, Ihre Zahlen der Studie, wiedersprechen ganz eklatant den dem Zahlenwerk das der Bundestag neulich unter Bezugnahme auf das „Netzwerk-IS“ und Sie Frau Prof. Thyen veröffentlichte.
Ich stellte in diesem Bericht zudem fest, dass ich offensichtlich zur Gruppe derer gehöre die wohl medizingeschlechtzuweisungskonform sind.
War doch da die Rede von Betroffenen, die sich –sogar- mit eigenen Beiträgen am „Netzwerk-IS“ beteiligen und den –Anderen- „offensichtlich eine kleine Minderheit Unzufriedener“ die sich beschweren. So habe ich meine Bemühungen und die anderer Betroffener im Netzwerk bisher aber nicht aufgefasst.
Hätt` man mich doch mal gefragt!
Ich denke an dieser Stelle, dass ich mich nicht weiter, z.B. über Diagnosen der „kompletten testikulären Feminisierung“ und deren Behandlung mit Androgenrezeptorblockern o.ä. auslassen muss, um die Behandlungsqualität und damit die Gründe der Unzufriedenheit zu dokumentieren.
Vielleicht erklärt das aber u.A. auch, die gegenüber den Unmündigen erheblich geringeren Teilnehmerzahlen an Erwachsenen bei Ihrer Studie. Vielleicht ist es aber auch gerade der große Überhang der Unmündigen, der den, möglicherweise erwünschten, Spielraum der Interpretation der Studie erweitert.
Aus meiner Sicht sind es,
neben den teilweise katastrophalen Therapiefolgen,
der begründeten Angst vor möglichen Behandlungsnachteilen,
der durch die Medizin suggerierten Angst vor sozialer Ausgrenzung,
dem Bewusstsein wider besseres medizinisches Wissen zum Hormon- Junkie gemacht worden zu sein,
und der Erkenntnis der Ohnmacht gegenüber dem Kollektiv der Medizin,
die in eine physische und psychische Resignation mündet, die dafür sorgt, dass erwachsene Betroffene alles was mit Medizin zu tun hat möglichst meiden.
Auch Ihre Studie.

Aus meiner Gesprächserfahrung glauben viele Betroffene Ihnen daher auch einfach nicht, dass Sie was ändern wollen. Was hat sich denn für die erwachsenen Betroffenen seit „Netzwerk-IS“ welches sich nun bereits seinem letzten Existenz- Jahr nähert geändert? Das Netzwerk war wirklich vielleicht mal eine Chance, aber die wurde aus meiner Sicht vertan.
Lassen Sie mich Ihnen, kurz vor Schluss, in diesem Zusammenhang noch eine Begebenheit mitteilen:
So habe ich mit einer Mutter mit IS- Kind, nach ihrer Teilnahme an der Studie, ein Telefonat geführt, bei welchem Sie mir ganz stolz und in dieser Reihenfolge berichtete, dass es ihr doch wohl ganz gut gelungen sei zu vermitteln, dass der behandelnde Arzt Ihres Kindes gut sei und es dem Kind dementsprechend auch gut ginge.

Ich bin jetzt etwas müde und möchte auch, um Ihre kostbare „klinische Zeit“ nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen, zum Schluss kommen.

Wissen Sie, egal welche Inhalte oder Fakten wir, als Betroffene, Ihnen, als Mediziner, unterbreiten würden, alles wäre als ein Affront gegen Sie und Ihre Tätigkeit an uns auslegbar.
Und wissen Sie was, solange die Medizin sich Ihre selbstgeschaffenen virtuellen Realitäten in den Rang eines Naturgesetztes erhebt, wird es dem Grunde nach auch für uns oder andere Menschen die auf die Hilfe der Medizin angewiesen sind, unüberwindbar immer so bleiben.
Die Medizin hat sicher vielen Menschen sehr viel Leid erspart und gelindert, aber daraus lässt sich nicht der ultimative Anspruch der therapeutischen Unfehlbarkeit ableiten.
Bei uns liegt es daran, dass die Medizin sich, bereits meist am ersten Tag unseres Lebens, über unsere Rechte, die Gesetze und die Natur hinweg setzt und damit diesen Widerspruch in unsere physische und psychische Existenz implementiert.
Das wird z.B. auch sicher nicht dadurch geheilt, dass man IS in TS umdeklariert und damit eine medizinisch falsch getroffene Entscheidung, wiederum zu Lasten der Betroffenen, nun als psychische Erkrankung (so das BSG) verkauft. Oder dass man sogar ein Recht auf „Nichtwissen“ u.a.m. bemüht um die Betroffenen in die Fremdentscheidung zu zwingen.

Wir sind die Karnickel eines Freilandversuches. Nicht mehr und nicht weniger.
Wir sind, wenn nötig, das schmückende Beiwerk, auf das die staatlichen Mittel sprudeln.
Nicht mehr und nicht weniger
Unsere Existenz ist überflüssig, wenn das Ergebnis bekannt ist.
Nicht mehr und nicht weniger
Ist das Ergebnis bekannt, müssen die Karnickel selbst sehen, wie es weitergeht.
War halt ein Versuch und wir sind nur Kollateralschäden .............
Nicht mehr und nicht weniger

Ich wünsche mir an dieser Stelle, dass der Hinduismus oder Buddhismus mit seinen Theorien über die, aus den im Vorleben resultierende Qualität der folgenden Wiedergeburt, zutrifft.
Vielleicht finden Sie dann, wenn Sie es mal selbst erlebt haben, auch die Erleuchtung.
So wie bisher geht es jedenfalls nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Kreuzer
Ein maßlos enttäuschtes Karnickel

Siehe auch:
- Netzwerk Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Offener Brief von Lucie Veith an das Netzwerk Intersexualität

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