Treffen "Netzwerk DSD" vom 28.2.09 in Lübeck

In kleinerem Rahmen als auch schon fand das erste Treffen des "neuen" Netzwerk DSD statt (vormals "Netzwerk Intersexualität"). Nachdem die seinerzeitigen Forschungsgelder Ende letztes Jahr ausliefen, wurde am letzten Treffen vom 6.9.08 beschlossen, das Netzwerk als Verein mit neuen Statuten und neuem Namen weiterlaufen zu lassen, um die etablierten Kontakte zwischen den beteiligten Kliniken weiterzupflegen. Das neue Netzwerk ist zudem eingebunden in "Euro DSD".

Von Seiten der Selbsthilfegruppen war für Intersexuelle Menschen e.V. und XY-Frauen diesmal Elisabeth "Museli" Müller ("Hermaphrodit Müller bitte, ich bin keine Frau") mit dabei. Auch die AGS Eltern- und Patienteninitiative war wiederum durch eine Mutter und eine betroffene Person vertreten.

Viel Platz nahmen bei dieser ersten Sitzung Interna in Anspruch. Bedauerlicherweise startet das "neue" Netzwerk ziemlich "chirurgenlastig", der neue Vorstand besteht aus einem Endokrinologen und zwei ChirurgInnen: Olaf Hiort (1. Vorsitzender, zugleich "Projektleiter" bei "EuroDSD"), Susanne Krege (2. Vorsitzende), Lutz Wünsch (Kassenwart). Ausführlich besprochen wurde die neue Satzung des Vereins (mehr dazu im Bericht vom letzten Treffen).

In einem 2. Teil wurde es dann für die Vertreter_innen der Selbsthilfegruppen spannend: Viele der Anwesenden sprachen sich für eine Verbesserung der psychologischen Unterstützung aus ("psychosoziale Versorgung von DSD-Patienten" im Jargon der anwesenden MedizinerInnen). Die einseitig ausschliesslich durch Endokrinologen und Chirurgen vorgenommene "Beratung" der Eltern wie der (in der Folge – Überraschung! – nach wie vor meist zwangsoperierten) jungen Zwitter wird schon seit 1992 von allen Selbsthilfegruppen einhellig kritisiert – und stattdessen erstmal umfassende und kompetente psychologische Unterstützung gefordert! Trotzdem ist es heute noch so, dass funktionierende psychologische Betreuung durch spezialisierte Fachkräfte (entgegen anderslautenden Lippenbekenntnissen auch aus dem Netzwerk) nach wie vor klar die Ausnahme darstellt. Letzten Angaben zufolge ist z.B. sogar in der Netzwerk-Hochburg Lübeck die psychologische Versorgung für das laufende Jahr nicht wirklich gesichert. Zu oft wird auch von Medizinerseite der Kontakt zu den Selbsthilfegruppen Trotz anderslautender Versprechen bewusst nicht hergestellt. Neuen Zündstoff erhielt die Ur-Forderung der Selbsthilfegruppen nach psychologischer Unterstützung nicht zuletzt durch die jüngste Lübecker Netzwerkstudie, die klar zeigt, dass Betroffene mit psychologischer Unterstützung eine bessere Lebensqualität haben. Forderungen und vor allem konkrete Schritte durch das Netzwerk zur allgemeinen Sicherstellung der "psychosoziale[n] Versorgung" für ALLE Zwitter und ihre Angehörigen wären demnach klar zu begrüssen – Fortsetzung folgt ...

Von Seiten der Selbsthilfegruppen wurde auch der unter Betroffen klar abgelehnte und als Affront und Unwort empfundene Begriff "Störung" kritisiert, der nun in der neuen Satzung durchgegend verwendet wird (im "alten" Netzwerk wurde das englische "Disorder" jeweils noch stillschweigend mit "Besonderheit" "übersetzt"). Von Seiten der AGS-Initiative wurde auf Milton Diamonds "freundlichere Beschreibung" "Varieties of Sex Development" hingewiesen, was unter den Anwesenden überraschenderweise überwiegend auf Zustimmung gestossen sei. Elisabeth Müllers Beitrag zur Diskussion:

Mein Kommentar dazu: es gelte hier nicht, irgendwelche großzügigen Freundlichkeiten zu verteilen, sondern den zwischengeschlechtlichen Menschen schlichtweg Menschenrechte zu gewähren. Zu Krege sagte ich: "Ihnen sagt doch auch keiner, daß Sie eine gestörte Körper- und Geschlechtsentwicklung haben".

Für zwangsoperierte und dadurch traumatisierte Zwitter kostet es aus naheliegenden Gründen immer starke Nerven, bei Mediziner-Veranstaltungen mit dabei zu sein. Vorletzen Herbst war es bei einem Netzwerktreffen in Buchum zudem zu unschönen Szenen gekommen, als viele Mediziner und ein Psychologe bei einem Vortrag von Betroffenen lauthals pöbelnd den Saal verliessen (eins / zwei) – eine unrühmliche Tradition seit 2000. Wie schon beim letzten Treffen scheint es auch dem "neuen" Netzwerk wichtig, dies künftig besser zu machen. Wie Elisabeth Müller berichtet, habe es bei ihr einzig mit der Anrede nicht auf Anhieb geklappt:

Als mir Versammlungleiterin Ute Thyen sehr höflich und mit Achtung  das Wort erteilte "Bitte, Frau Müller", habe ich mit beherrschter Stimme richtig gestellt, daß ich Hermaphrodit Müller sei.

Kommentar: Noch 1999 wurde Michel Reiter in Berlin von der Teilnahme an einem Kongress durch die Security kurzerhand ausgeschlossen. Offensichtlich haben die Proteste der letzten anderthalb Jahrzehnte zumindest einiges bewirkt. Bleibt zu hoffen, dass nicht zuletzt durch die neu erstarkte Zwitterbewegung die Mediziner auch künftig damit leben müssen, dass wo immer sie sich treffen, auch Vertreter_innen der betroffenen Menschen dabei sind und respektvoll angehört werden müssen!

Schön zu erfahren auch, dass die langjährige, begründete Kritik am menschenverachtenden Unwort "Störung" anscheinend mittlerweile auch im "Netzwerk der Geschlechtsentwicklungsgestörten" langsam anzukommen scheint. Zu schön, wenn nun das Netzwerk (und alle angeschlossenen Spitäler und vertretenen Standesorganisationen) in Namen (und Statuten) demnächst "freundlicher" würde(n) – auch und erst recht in den Behandlungsleitlinien! Denn nicht zuletzt dort hapert's nach wie vor gewaltig! Fortsetzung folgt ...

Siehe auch:
- 5. Netzwerk-Treffen Kiel 6.9.08: Intersexualität ade - DSD ahoi!
- Lübeck: Doch psychologische Versorgung auch 2009?
- Tagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG
- Netzwerk Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders

Comments

1. On Friday, February 12 2010, 11:15 by Peer König

Hallo alle miteinander, ich bin durch Zufall auf das Thema Hermaprodith gekommen und muß ehrlich sagen das ich mich sehr wundere.
Ist es denn in der heutigen , doch so "offenen" Gesellschaft nicht möglich einem Geschlecht einen namen zu geben? Warum eine Gruppe von menschen die einer Minderheit angehören nicht auch ein Geschlecht geben das Ihnen entspricht. Herr, Frau, und Ger oder irgendein anderes Kürzel. habe hier das G als Anfangsbuchstaben gewählt weil es halt zwischen F un H liegt. In den meisten Fällen werden Probleme nur gelöst wenn man dem Kind einen namen gibt, wenn man sie erörtert, veröffentlicht. Warum hört man in den öffentlichen Diskusionen nichts von diesem Thema? Hermaphrodithen sind menschen und waren in alten Zeiten als Gott ähnlich angesehen. Gut das ist sicher nicht mehr nötig, aber sie einfach als menschen eines dritten Geschlechtes anzusehen, so zu behandeln und ihnen entsprechende rechte einzuräumen dürfte keine unmögliche Aufgabe sein. Ich denke die dritte Klotür überall anzuschaffen ist sicher nicht sofort nötig, aber die entsprechenden Kürzel und bezeichnungen in die offiziellen medien zu bringen ist sicher ein guter Anfang. Laßt doch mal die hermaphrodithen abstimmen welches Kürzel sie anstelle von herr und Frau haben wollen. kann das denn so schwer sein? das wäre ein Anfang, und dann ab in die medien und das offene Gespräch suchen.
Viele Grüße
Peer König