9. Menschenrechtsbericht: Bundesregierung deckt medizynische Verbrechen an Zwittern

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Seit langen kritisiert dieser Blog die Komplizenschaft der Bundesregierung sowie des Bundestags mit den GenitalverstümmlerInnen in den Kinderkliniken, insbesondere das fehlende Eintreten der verantwortlichen PolitikerInnen für die Durchsetzung des Grund- und Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung auch für Kinder mit "auffälligen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen.

Und ebenso die Untätigkeit und Komplizenschaft speziell des Bundestags-"Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe".

Umso erfreulicher, dass diese begründete Kritik nun in einer Anhörung im Bundestag durch die Menschenrechts-"Sachverständigen" Michael Krennerich (Nürnberger Menschenrechtszentrum) und Beate Rudolf (Deutsches Institut für Menschenrechte) zumindest teilweise aufgenommen wurde!

Anlass dazu war eine öffentliche Anhörung des "Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" am 19.1.11 (>>> Tagesordnung als PDF, 16 KB) zum
>>> 17/2840 - 9. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung (PDF, 1.2 MB).

Dieser 9. Bericht (vollständiger Titel: "Neunter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen") erwähnt "Intersexuelle" ganze 2 mal:

1) Auf S. 15 in "Teil A — Menschenrechte in Deutschland und in der gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik der Europäischen Union" im Zusammenhang mit den Abschliessenden Bemerkungen des UN-Komitees CEDAW (dieser Blog berichtete):

In seinen abschließenden Bemerkungen fordert der Ausschuss die Bundesregierung auf, innerhalb von zwei Jahren einen schriftlichen Bericht zu Maßnahmen im Zusammenhang mit der vom Ausschuss geforderten Dialogaufnahme mit Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen und transsexuellen Menschen [...] vorzulegen.

2) Sowie auf S. 43 in "Teil B — Menschenrechte in der Außen- und Entwicklungspolitik" im Zusammenhang mit den EU-"Leitlinien zu Menschenrechtsverteidigern" (in der üblichen vereinnahmenden Reihenfolge):

Unter schwedischer EU-Präsidentschaft im 2. Halbjahr 2009 wurde wegen ihrer besonderen Verletzbarkeit besonderes Augenmerk auf die Lage von [...] Menschenrechtsverteidigern [...] gelegt, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen einsetzen.

(Ob und falls ja, wie sich die EU je konkret für "Menschenrechtsverteidiger von Intersexuellen" stark gemacht hätte, ist mir nicht bekannt. Jedoch kursieren aktuell Berichte von mindestens einem konkreten Fall in Deutschland, wonach eine Zwitter-Menschenrechtsverteidigerin wegen ihres öffentlichen Engagements in den Medien von einem quasi-öffentlichen Arbeitgeber die Kündigung erhielt und ihre Stelle verlor (!!!), und von weiteren Beispielen im deutschen Sprachraum, bei denen Zwitter-Menschenrechtsverteidiger_innen aus denselben Gründen am Arbeitsplatz unter Druck gesetzt wurden, wobei sich jedoch aufgrund entschlossenen Gegensteuerns zum Glück Schlimmeres abwenden liess ...)

Zumindest die 1. obige Erwähnung im Menschenrechtsbericht wurde nun anlässlich der erwähnten öffentliche Anhörung des "Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" am 19.1.11 von 2 der geladenen Sachverständigen kritisch aufgenommen und bemängelt, nämlich von Dr. Michael Krennerich, Vorsitzender des Nürnberger Menschenrechtszentrum (NMRZ) sowie Mitarbeiter am Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik am Institut für politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie von Prof. Dr. Beate Rudolf, Direktorin im Deutschen Institut für Menschenrechte.

Wenig überraschend ist diese Kritik der beiden Sachverständigen auf der >>> Bundestags-Homepage zur Anhörung (mit Videomitschnitt) direkt nirgends angeführt, sondern es muss dazu der ganze Videomitschnitt visioniert werden (Relevante Stellen: 00:24:00 und 00:52:00, danke an Intersexuelle Menschen e.V. für den Hinweis) – ein Trick, den bekanntlich auch der Ethikrat gern praktiziert.

Zwar ist eine >>> schriftliche Stellungnahme von Dr. Michael Krennerich (PDF, 160 KB) immerhin auf der Bundestagshomepage verfügbar, diese findet sich aber nirgends direkt verlinkt, sondern ist nur via Bundestags-Suchmaschine auffindbar.

Deshalb nachfolgend von Nella angefertigte Transkripte der relevanten Aussagen:

Dr. Michael Krennerich (Nürnberger Menschenrechtszentrum) [meine Hervorhebung]:
Es ist sehr schön, dass Sie NGO's um eine Stellungnahme bitten, zumal ich bei dem vorliegenden Bericht den Eindruck habe, dass die Empfehlungen aus der letzten öffentlichen Anhörung durchaus aufgegriffen wurden in dem Bericht. (...)
Der Menschenrechtsbericht ist wichtig, er ist informativ und kompakt und ist vielleicht der Beste der bisherigen Menschenrechtsberichte. (...)
Wichtig ist schliesslich, dass der Bericht ein Aktionsplan für Menschenrechte enthält. Soweit zum allgemeinen Lob. Nun zur Detailkritik. (...)

[00:24:00, PDF S. 4] Ausserdem kommen im Bereich sozialer Menschenrechte wichtige Probleme innerhalb Deutschlands nicht zur Sprache, so etwa Probleme von Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung oder ohne regulären Aufenthaltsstatus, Probleme des Schulbesuchs von Kindern ohne regulären Aufenthaltsstatus, schwerwiegende medizinische Eingriffe gegenüber intersexuellen Menschen - wichtiges Thema. Auch die menschenrechtliche Lage der Roma oder auch Probleme bei der Umsetzung des Rechts auf Wohnen.

Im PDF wird diese Kritik von Dr. Michael Krennerich zwei weitere Male bekräftigt (S. 11 und S. 13); auf S. 10 erwähnt er zudem die in den CEDAW-Abschlussbemerkungen geforderte "Dialogaufnahme mit NGOs von [...] intersexuellen Menschen".

Prof. Dr. Beate Rudolf (Deutsches Institut für Menschenrechte) [meine Hervorhebung]:
[00:52:00 ] Ein Themenbereich, der nur ganz kurz aufscheint, aus unserer Sicht aber in unzureichender Weise, ist die Menschenrechtssituation von intersexuellen Menschen. Der Bericht erwähnt lediglich, dass die Bundesregierung an den CEDAW-Ausschuss darüber berichten muss, wie sie in den Dialog mit dieser Menschengruppe eingetreten ist. Es wird aber aus dem Bericht nicht deutlich, wie die Bundesregierung hier vorgehen will und vor allem auch, welches Ressort hierfür federführend sein soll. Und aus unserer Sicht ist das längst überfällig, denn es geht um die Situation einer Gruppe von Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes unsichtbar ist, bei der aber erhebliche menschenrechtliche Probleme bestehen. Und hierüber muss sich die Regierung, muss sich auch der Bundestag Gewissheit und Wissen verschaffen.

Für diese klaren und deutlichen Aussagen im Namen dieses Blogs an Dr. Michael Krennerich und Prof. Dr. Beate Rudolf ein ganz herzliches Danke!!!

>>> 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen

PS: Leider ist bisher nicht abzusehen, dass diese engagierten Worte bei den AdressatInnen auf fruchtbaren Boden gefallen wären – im Gegenteil:

In Bund und Ländern werden die gravierenden Verstösse gegen die Menschenrechte wehrloser Zwitterkinder weiterhin ignoriert, schlimmer noch, stattdessen werden Zwitter weiterhin nach altbekanntem Muster schamlos für die Anliegen Dritter ausgebeutet, vereinnahmt und instrumentalisiert!

3 aktuelle Beispiele:

a) In der 87. Sitzung des gegenwärtigen Bundestages vom 27.1.11 (>>> PDF-Protokoll 1.6 MB) werden Zwitter in bekannter Weise als Kanonenfutter rsp. blosses Anhängsel für die Anliegen von Schwulen, Lesben und Transsexuellen missbraucht, während die eigentliche Zwitter-Menschenrechtsproblematik der Genitalverstümmelungen in den Kinderkliniken wie üblich verschwiegen wird – die GenitalabschneiderInnen danken!!

So z.B. durch den Abgeordneten Stefan Schwartze (SPD) (S. 9875 (D) = S. 173 innerhalb des PDF): 

Es steht außer Frage, dass noch immer Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, transsexuelle und intersexuelle Menschen in Deutschland diskriminiert werden. Sie sind in unserer Gesellschaft auch heute noch Anfeindungen, gewaltsamen Übergriffen und Benachteiligungen ausgesetzt. Viele Gesetze haben zwar die rechtliche Situation inzwischen deutlich verbessert, aber ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität im Grundgesetz würde endlich eine klare Maßgabe für die Gesetzgebung schaffen.

Sowie dito durch die Abgeordnete Barbara Höll (Linke) (S. 9877 (B) und (D) = S. 175 innerhalb des PDF):

Denn die Situation von lesbischen, schwulen, transsexuellen, transgender und intersexuellen Jugendlichen erfordert ein engagiertes Handeln. [...] Mobbing sowie psychische und physische Schläge haben Betroffene zu erleiden. [...] Die Ausgrenzung von lesbischen, schwulen, transsexuellen, transgender und intersexuellen Jugendlichen ist nicht hinnehmbar. Liebe verdient Respekt und Vielfalt, ist eine Bereicherung.

b) Dito die Grünen/Bündnis 90, Landesverband Berlin, in ihrer Broschüre zur Wahl des Abgeordnetenhauses 2011 (>>> PDF 2.7 MB) (sowie in einem Artikel dazu auf queer.de mit dem Titel: "Kienast will Berlin zur queeren Hauptstadt machen"):

[...] Lesben, Schwule, Bi- und Heterosexuelle, Junge und Alte, Menschen mit und ohne Behinderung, Frauen, Männer, Transgender und Intersexuelle. Sie alle sind Teil von Berlin. Eine Stadt für alle heißt, dass sie auch alle gleichberechtigt Teil haben sollen. (S. 52)

Regenbogenfamilien brauchen die Gewissheit, dass ihnen ohne Vorbehalte begegnet wird und nur das Kindeswohl im Zentrum steht, wenn es z.B. um Pflegschaften geht. Die Rechte von Intersexuellen müssen respektiert werden. Auf Bundesebene muss Berlin weiter Druck machen für die volle Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare, eine Reform des Transsexuellenrechts und die Schärfung des Antidiskriminierungsrechts. (S. 53)

c) Dito die Linke-Bürgerschaftsabgeordnete Kersten Artus anlässlich der bevorstehenden Wahlen in Hamburg in einem Interview auf blu.fm:

Hate Crimes werden in der Fachliteratur ganz unterschiedlich begründet und somit braucht es diverser Maßnahmen gegen diese vorzugehen. DIE LINKE setzt in diesem Zusammenhang, aber auch mit Blick auf Lesben, Intersex, etc. auf breite Öffentlichkeitskampagnen, aber auch auf die konzeptionelle Aufklärung innerhalb von Schulcurricula. [...] DIE LINKE ist der Überzeugung, dass besonders im gesetzlichen Förderungsbedarf Schwule, Lesben und Transgender und Intersex dringend ausgebaut werden muss und die gesellschaftliche alltägliche Diskriminierung bekämpft werden muss.

Gleichzeitig wird allein in Deutschland JEDEN TAG mindestens ein wehrloses Zwitterkind in einer Kinderklinik irreversibel genitalverstümmelt – auch in Berlin z.B. in der Charité und in Hamburg z.B. am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)!

Die versammelten Zwitter-VereinnahmerInnen im Bundestag usw. machen sich so zu MittäterInnen und sollten auch als solche behandelt werden.

Würden schon ein paar wenige von ihnen zur Abwechslung mal an den eigenen Geschlechtsteilen etwas genital zwangsoperiert, hätten sie bestimmt ziemlich schnell andere Parolen – wetten?!

Gonade um Gonade, Lustorgan um Lustorgan!

>>> Zwitter und progressive LGBTs gegen Vereinnahmung
>>> "STOP Genitalverstümmelung als 'Rohmaterial' für die Geschlechterforschung!" 

Siehe auch:
- 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen
Zwangsoperationen an Zwittern: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit)
- Genf: UNO mahnt Bundesregierung
- CEDAW im Bundestag: Nach bekanntem Muster
- Genitalverstümmelung in Kinderkliniken: "Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" will nix kapiert haben
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen! 
- Kinderkliniken: € 8175,12 Reingewinn pro Genitalverstümmelung
- "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort: "Intersexuelle" nur ein Bruchteil aller chirurgischen Genitalverstümmelungen in deutschen Kinderkliniken
- Historischer überparteilicher Vorstoss gegen Genitalverstümmelung in Kinderkliniken
- Warum Zwitterforderungen, worin zu oberst nicht die schnellstmögliche Beendigung der Zwangsoperationen steht, keine Zwitterforderungen sind, sondern Vereinnahmung
- Warum Zwitterforderungen, worin es um "sexuelle Identität" geht statt um "Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung", keine Zwitterforderungen sind, sondern Vereinnahmung 
- Klaus Wowereit und Ole von Beust: Komplizen der Zwangsoperateure inszenieren sich als "Zwitter-Schützer"
- LSVD und Zwittervereinnahmung: 1 Schritt vor, 3 Schritte zurück? 
- Instrumentalisierung von Zwittern: Kritik aus 2002
- Vereinnahmung von Zwittern: Das Transgender Netzwerk Berlin TGNB macht's vor ...