23.6.10 - Zwitter-Genitalverstümmelungen: Ethikrat gefordert
PRESSEMITTEILUNG von Zwischengeschlecht.org vom 22.6.2010:
Gemäss
einer aktuellen
Recherche bieten allein in Baden-Württemberg mindestens 9
Kliniken öffentlich kosmetische Genitaloperationen an für Kinder mit
"zu grosser Klitoris" oder anderweitig "auffälligen" inneren und/oder äusseren
"Geschlechtsorganen".
Die Mediziner reden von "korrigierenden und angleichenden Eingriffen".
Die Überlebenden nennen es Genitalverstümmelung, genitale
Zwangsoperation, Zwangskastration und medizinische Folter.
Das kosmetisch-chirurgische Angebot umfasst
"Klitorisverkleinerungen",
"Peniskorrekturen", "Anlegen einer
Neovagina", Kastrationen,
Gebärmutterentfernungen, usw. usf.
Solche verstümmelnden Eingriffe werden weltweit aggressiv vermarktet
unter Dutzenden von verschiedenen "Diagnosen" wie etwa "Hypospadie",
"Epispadie", "AGS/CAH", "AIS", "Pseudohermaphroditismus", "Intersexualität",
"Disorders of Sex Development (DSD)", "Swyer", "Turner", etc.
Die Eingriffe erfolgen seit Jahrzehnten als unkontrollierte
Menschenexperimente ohne ethische Überwachung. Die behauptete
Wirksamkeit wurde bisher nie klinisch bewiesen. Die einschlägigen
AMWF-Leitlinien stehen seit Beginn der Erfassung der
Entwicklungsstufen unverändert auf der
niedrigsten Evidenzstufe.
Seit 14 Jahren
klagen zwangsoperierte Zwitter die Genitalverstümmelungen öffentlich
an und fordern die Medizyner zum Aufhören und die Politik zum Handeln
auf – vergeblich. Die Bundesregierung gab zu Protokoll, von
unzufriedenen Zwangsoperierten nichts zu wissen, und
sieht bis zum heutigen Tag
keinen Handlungsbedarf.
Nebst
von den Überlebenden werden die Zwangseingriffe seit 1997 auch von
namhaften
KulturwissenschafterInnen,
BioethikerInnen und
JuristInnen öffentlich angeprangert. Seit 2004 prangern Frauen- und
Menschenrechtsorganisationen wie
Terre des Femmes und
Amnesty International die Eingriffe an als schwere
Menschenrechtsverletzung und ziehen Parallelen zwischen den
Genitalverstümmelungen in westlichen Kinderkliniken und den weiblichen
Genitaverstümmelungen in Afrika.
Ähnlich wie bei Überlebenden von sexualisierter Gewalt
("Kindesmissbrauch") ist der Rechtsweg für überlebende Zwitter ein Alptraum und
eine Farce. Da die Verstümmelungen in der Regel vor dem 2.
Lebensjahr erfolgen sowie wegen der damit verbundenen, schweren
Traumatisierungen haben Überlebende in der Regel keine Chance, vor
Ablauf der Verjährung gegen ihre Peiniger zu klagen. Erst 2007 gelang
dies Christiane Völling als erster und bisher immer noch einziger. 2008 sah das
OLG Köln das "Selbstbestimmungsrecht [...] in ganz
erheblichem Maße verletzt" (5
U 51/08). 2009 rügte das UN-Komitee CEDAW die
Bundesregierung wegen mangelnden "wirksamen Massnahmen zum Schutz ihrer
Menschenrechte" (CEDAW/C/DEU/CO/6).
Allein in Deutschland wird weiterhin JEDEN TAG mindestens ein
Kind einem solchen medizinisch
nicht notwendigen, irreversiblen Zwangseingriff unterzogen.
In Amerika wurde letzte Woche der
Seriengenitalverstümmler
Prof. Dr. Dix P. Poppas von der Weill Cornell Universitätsklinik in New
York City von zwei couragierten Ethikerinnen öffentlich
geoutet. Anfang Jahr startete eine Aufsehen erregende Kampagne
gegen
pränatale Zwangshormontherapien "auf blossen Verdacht hin".
Dutzende von BioethikerInnen meldeten ihre Bedenken an und
forderten öffentlich eine Überprüfung prominenter ZwangsbehandlerInnen. Die
US-Arzneimittelbehörde und die US-Überwachungsstelle
für medizinische Experimente mit Menschen leiteten mittlerweile
Untersuchungen ein.
In Deutschland will derweil der bundesfinanzierte Deutsche Ethikrat am
kommenden Mittwoch, den 23. Juni 2010 in Berlin erst noch einmal diskutieren,
ob diese Verstümmelungen eventuell möglicherweise gegen das Grund- und
Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit verstossen, oder vielleicht auch
doch nicht ...
Kosmetische Genitaloperationen an Kindern sind ein schwerer
Verstoss gegen das
Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und
Selbstbestimmung (GG Art. 2 Abs. 2). Durch die hohe Zahl
der Opfer, das systematische Vorgehen, die Schwere und das Ausmass der
körperlichen und seelischen Schäden sowie durch die Jahrzehnte lange Dauer sind
die genitalen Zwangsoperationen an Zwittern die wohl gravierendste
Menschenrechtsverletzung in den westlichen Demokratien seit dem 2.
Weltkrieg.
Der Ethikrat ist gefordert. Zwischengeschlecht.org würde sich sehr
freuen, wenn der Ethikrat innert nützlicher Frist zu einem konkreten Ergebnis
käme – und anschliessend auch entsprechend handeln würde ...
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von
kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und "Menschenrechte auch für
Zwitter!".
Freundliche Grüsse
n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfegruppe Intersex.ch
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.
Mitglied XY-Frauen
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse_at_zwischengeschlecht.info
http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info
>>> Anliegen
von Zwischengeschlecht.org an den Deutschen Ethikrat 23.6.10
>>>
Pressemitteilung von Zwischengeschlecht.org vom 22.6.10
>>>
"Ethik als Feigenblatt?" - Zwischengeschlecht.org am "Forum Bioethik"
23.6.10
>>>
"Ethik als Freifahrtschein, an die Eltern eine ohnehin schon feststehende
Entscheidung abzudelegieren" - Claudia Wiesemann, Forum Bioethik
23.6.10
>>>
Pressemitteilung des Deutschen Ethikrates vom 25.6.10
>>>
Veranstaltung des Ethikrates in Berlin 23.6.10
-->
Bayerischer Rundfunk -->
Tagesspiegel -->
Deutschlandradio -->
e-politik
Siehe auch:
-
Zwangsoperationen an Zwittern: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2
(Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit)
-
Aufforderung um Unterstützung an Deutschen Ethikrat
-
Erneute Anfrage um Unterstützung an Deutschen Ethikrat
- Weitere
Aufforderung um Unterstützung an den Deutschen Ethikrat
-
Alice Dreger über EthikerInnen als MittäterInnen
-
"EuroDSD"-Chef Olaf Hiort: "Intersexuelle" nur ein Bruchteil aller
chirurgischen Genitalverstümmelungen in deutschen Kinderkliniken
-
USA: Seriengenitalverstümmler Prof. Dr. Dix Phillip Poppas von Ethikerinnen
geoutet
-
Genitalverstümmler und Zwangsoperateure in
Baden-Württemberg
-
Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
-
Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Gesetzgeber gefordert
-
Milton Diamond fordert gesetzliches Verbot von kosmetischen Genitaloperationen
an Kindern
-
Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher
Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal")
-
Zwangskastrationen an Zwittern: "Keine Mutanten züchten"
-
"Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD": Zwangsoperationen klar
unzulässig
-
"Netzwerk DSD"/"Euro DSD": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für
Zwangsoperateure
-
Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen
-
Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert
-
"Verunsicherung und Ängste": Reaktionen und Kommentare zur Kritik am "Netzwerk
Intersexualität"/"Euro-DSD"
-
Faule Eier für "die Bundesregierung"!
-
2009: Erste Antwort auf die kleinen Anfragen – Bundesregierung deckt ZwangsOPs
wie üblich ... (16/13269)
-
Antwort der Bundesregierung zur 2. Kleinen Anfrage – Leugnen, Wegschauen,
Schweigen wie gehabt ... (16/13270)
-
Genf: UNO mahnt Bundesregierung
-
Amnesty Deutschland: Zwangsoperationen "fundamentaler Verstoß gege die
Menschenrechte"
-
"Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000
Published on Tuesday, June 22 2010 by nella