"Überschuss von Projektion" - Georg Klauda zur Instrumentalisierung von Zwittern durch LGBT (2002)

Nachfolgend einige Zitate aus dem Vortrag "Über die Verstümmelung von Hermaphroditen" a.k.a. "Fürsorgliche Belagerung" von Georg Klauda, gehalten am 31. Oktober 2002 im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte (Hervorhebungen und Aufzählung in Tabellenform im letzten Abschnitt durch diesen Blog), z.B. bei der Lobby für Menschenrechte e.V. ausserdem online seit Jahr und Tag. Ganzen Artikel lesen dringend empfohlen. Setzen, nachholen, nachdenken. Danke.

Und wetten? Wie stets in der Geschichte wird die faulste Ausrede auch diesmal die verbreitetste bleiben: Also das, davon haben wir nun wirklich nichts gewusst!

Ich möchte meinen Beitrag über die Verstümmelung von Hermaphroditen beginnen, indem ich auf die Gefahr der Projektion hinweise. Wir neigen dazu, Dinge einzig in einem uns vertrauten Koordinatensystem wahrzunehmen und Probleme auf einen Gegenstand zu projizieren, die nicht die des Gegenstandes selber sind. Wenn wir dann beginnen, über das Thema zu sprechen, sei es als JournalistInnen, AkademikerInnen oder politische AktivistInnen, besteht die Gefahr, dass die von uns konstruierte Problematik die Stimmen derjenigen überlagert, die aus erster Hand über ihre Erfahrungen berichten wollen.

Solche Formen der Projektion finden seit einigen Jahren beim Thema Genitalverstümmelungen an Hermaphroditen statt. [...]

Ich sage das, weil es ein Phänomen gibt, Hermaphroditen unter solche neueren Zeichen wie Queer und Transgender zu subsumieren. Eine solche Entdifferenzierung kommt nur der Medizin entgegen, weil dadurch einerseits die je spezifische Problematik verdeckt wird und weil andererseits damit das von der Sexualmedizin begründete Konzept des Dritten Geschlechts aus der Anfangszeit des 20. Jahrhunderts neu aufgelegt wird. [...]

Ich denke, dass Hermaphroditen sich in diesem Szenario nur entfernt wiederfinden, weil es ihnen nicht um ihre Selbstdefinition, sondern um das Ende einer invasiven Medizin geht. Oft sind es daher nicht sie selbst, sondern Transsexuelle sowie Lesben und Schwule, die auf der Bühne diese Rolle für sie übernehmen. Dass sich gerade sie dieses Themas annehmen, liegt an einem Überschuss von Projektion. Sie sehen nicht, dass ihre Problematik, d.h. die Problematik von Coming-out und gesellschaftlicher Anerkennung, nicht die von Hermaphroditen ist. Sie sehen nicht, dass die ungefragte Adoption von Hermaphroditen durch die Lesben-, Schwulen- und Trans[...]bewegung einer Überrumpelung und Kolonialisierung gleichkommt und moralisch unzulässig ist, weil sie das eigentliche Anliegen von Menschen mit medizinischer Gewalterfahrung überdeckt. [...]

Durch die Queer- und Transgender-Modelle entstehen darüber hinaus Kolonialisierungskaskaden: Lesben und Schwule kolonialisieren Transsexuelle, Transsexuelle kolonialisieren Transgenders, Transgenders kolonialisieren Hermaphroditen. [...]

Wir werden uns deshalb daran gewöhnen müssen, Hermaphroditen nicht als Angehörige einer Minderheit anzusprechen, sondern, ihrer eigenen Einschätzung gemäß, als medizinische Folteropfer. [...]

Die Agenda der KritikerInnen dieser Praxis muss also heute lauten:

  1. Wie können wir diese Operationen beenden?
  2. Wie können wir die beteiligten MedizinerInnen zur Verantwortung ziehen?
  3. Welche Reparationen muss der Staat an die Überlebenden zahlen?
  4. Wie können wir erreichen, dass die Lehr- und Schulbücher, die Hermaphroditen pathologisieren und als missgebildete Monster darstellen, vom Markt genommen werden?
  5. Welche Konsequenzen müssen wir für das u.a. im Personenstandsrecht kodifizierte Wissen über Geschlecht ziehen, wenn die Annahme, dass es nur zwei Geschlechter gibt, nicht mehr haltbar ist?
  6. Wie kann die Praxis der Medizin wieder einer demokratischen Kontrolle unterworfen werden?

5 1/4 Jahre alt – und immer noch brandaktuell! Ganzen Artikel lesen dringend empfohlen. Auf der alten Homepage von gigi hat's die Dahlem-Druckfassung + hier als PDF und weitere relevante Texte, auch von Michel Reiter. (Darunter auch einer, in dem er unter "Ziele organisierter Intersexen" ebenfalls kollektive "Opferentschädigungszahlungen" für alle Zwangsoperierten fordert.) Danke.

Wieviele Male haben wir in letzter Zeit wohl zu hören und zu lesen bekommen, unsere Kritik an der Instrumentalisierung von Zwischengeschlechtlichen durch LGBT in Die Rede von der "psychischen Intersexualität"  sei unnötig aggressiv, so würden wir erst recht nie gehört, es sei unnötig und unhöflich, gleich derartig heftig grobes Geschütz aufzufahren? Wenn wir erstmal freundlich nur sanft darauf hinweisen würden, würden wir wenn überhaupt, dann viel eher gehört. Wer's glaubt, wird selig.

Tatsache ist, dass unsere Kritik grosso modo alles andere als neu ist und im Verlauf der letzten 12 Jahre z.B. durch Michel Reiter europaweit landauf landab in Vorträgen und Publikationen immer und immer wieder bekräftigt wurde. Unpolemisch im Ton, präzis in den Fakten und Schlussfolgerungen. Nur hatten alle, die heute sagen, unsere Kritik sei zu schreierisch, zu hart, zu laut – offensichtlich nie etwas davon gehört. Und wollen heute noch in Wahrheit nur allzu oft lieber einfach nicht hören. Was zu beweisen war.

Leiderleiderleider sind Michel Reiters Internetseiten seit einigen Monaten allesamt offline, sowohl die der AGGPG als auch postgender.de. Schadeschadeschade. web.archive.org sei Dank sind aber doch noch viele Texte erhältlich (--> Link neu auch auf der Blogroll). 

Siehe auch:
- Zwitter und progressive LGBTs gegen Vereinnahmung
- Die Rede von der "psychischen Intersexualität" 
- Warum Zwitterforderungen, worin zu oberst nicht die schnellstmögliche Beendigung der Zwangsoperationen steht, keine Zwitterforderungen sind, sondern Vereinnahmung
- Warum Zwitterforderungen, worin es um "sexuelle Identität" geht statt um "Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung", keine Zwitterforderungen sind, sondern Vereinnahmung 
- Das Problem der Instrumentalisierung durch LGBTQ
- Mit der Hoffnung im Herzen
- Du sollst nicht die Leiden der Zwitter als Aufhänger und 'Material' für deine eigenen Forderungen und Kämpfe benutzen! 
- "Intersexualität" = "sexuelle Identität und Lebensweise"??! – Grüne VereinnahmerInnen immer noch nichts gelernt 
- Klaus Wowereit und Ole von Beust: Komplizen der Zwangsoperateure inszenieren sich als "Zwitter-Schützer"
- LSVD und Zwittervereinnahmung: 1 Schritt vor, 3 Schritte zurück? 
- Heute im Bundestag: Zwitter als Kanonenfutter für "sexuelle Identität" 
- Zwitter-Vereinnahmung im Bundestag: "Du sollst den Begriff 'intersexuell' nicht unnütz gebrauchen!" (I)
- Zwitter-Vereinnahmung im Bundestag: Business as usual (II)
- Geschlecht: Zwangsoperiert 
- Liminalis: Aus Transschändrien nix neues
- "Who killed David Reimer?"
- "Intersexualität" = sexuelle Orientierung?!
- Vereinnahmung von Zwittern: Das Transgender Netzwerk Berlin TGNB macht's vor ... 
- Zwitter als Kanonenfutter für die Transgenderagenda?
- Heinz-Jürgen Voß in "Liminalis" 3 (2009) – Zwitter-Vereinnahmung wie gehabt ... 
- QueerGrün missbrauchen Zwittersymbol für TSG-Kampagne
- Genitalverstümmelungen an Zwittern als "Nebenwiderspruch" des Zweigeschlechtersystems? (Von der Frauenbewegung lernen 2)