D > Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) fordert gesetzliches Verbot von Intersex-Genitalverstümmelungen + Entschädigungsfonds!

'Genitalverstümmelungen stoppen!' - Aktion von Zwischengeschlecht.orgFriedliche Aktion vor der Ethikrat-Pressekonferenz, 23.2.12 (Bild: © dapd / sueddeutsche.de)

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Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) veröffentlichte die >>> Handlungsempfehlungen der unabhängigen Kommission "Gleiche Rechte – gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts" (PDF, 1.2 MB), die auf den S. 28-29 deutliche Empfehlungen zu Intersex enthält (Wortlauf nachfolgend), inkl. der Forderung nach einem gesetzlichen Verbot von IGM-Praktiken, Aussetzung der Verjährungsfristen und Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Überlebende – sprich die Hauptforderungen, die Zwischengeschlecht.org schon 2011 anläßlich der Ethikrat-Anhörung formulierte (PDF) – und verwies dazu u.a. auf den thematischen BRK-Schattenbericht von Zwischengeschlecht.org (wenn auch mit falscher bzw. unvollständiger Quellenangabe, vgl. unten).

Nach der Stellungnahme der Gleichstellungs- und FrauenministerInnenkonferenz (GFMK) 2014 – auf welche sich die ADS-Stellungnahme ausdrücklich bezieht – ist dies das 2. Mal. dass eine offizielle Stelle in Deutschland vorbehaltslos für die Rechte der Betroffenen eintritt! Dafür von diesem Blog an alle Beteiligten ein ganz herzliches Dankeschön, insbesondere an Kommissionsmitglied Lucie Veith (Intersexuelle Menschen e.V.)!

Weiter veröffentlichte die ADS die  >>> Dokumentation einer Anhörung u.a. zu Intersex (PDF, 3 MB), die v.a. auf den S. 10-11, 14,  und 26-29 in unterschiedlicher Tiefe auf das Thema eingeht (so erwähnt z.B. Silvan Agius S. 10-11 alle wichtigsten IGM-Eingriffe, während das Impulsreferat von Manuela Tillmanns (Uni Köln) auf S. 26-27 einmal mehr nur sog. "verweiblichende Genitalkorrekturen" anführt. Trotzdem sind die Empfehlungen des Intersex-Panels (S. 29) ebenfalls klar und gut. Von Betroffenenseite waren Lucie Veith (IMeV) und Ev Blaine Matthigack (IVIM) auf dem Podium.

Nchfolgend die zentralen rechtlichen ADS-Handlungsempfehlungen zu Intersex im Wortlaut (S. 28-29):

2.5 Handlungsempfehlungen in Bezug auf Inter*

Menschen, deren körperliche Geschlechtsmerkmale sich bei der Geburt nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter Mann oder Frau zuordnen lassen, waren und sind oft in ihrer frühesten Kindheit Operationen an Geschlechtsmerkmalen ausgesetzt, die nicht zwingend medizinisch indiziert sind. Dies sind schwerwiegende Eingriffe in die körperliche Integrität, unter denen die Betroffenen oft ihr Leben lang leiden. [56]

2.5.1 Gesetzliches Verbot von geschlechtszuweisenden und verändernden Eingriffen

Die Bundesrepublik ist mehrfach, unter anderem vom Ausschuss zur Überwachung der UN-Folterkonvention, aufgefordert worden, effektive gesetzliche Maßnahmen zu treffen, um medizinisch nicht erforderliche Eingriffe, die ohne die informierte und ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen vorgenommen werden, zu unterbinden. [57]

Vor diesem Hintergrund schließt sich die Kommission ausdrücklich dem Beschluss der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenminister_innen und -senator_innen der Länder [GFMK] vom 1./2. Oktober 2014 an [58] und fordert die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat dazu auf, zeitnah gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, um

  • durch eine Strafrechtsänderung sicherzustellen, dass medizinisch nicht zwingend indizierte Eingriffe und Operationen an Geschlechtsmerkmalen, die keine medizinische Notwendigkeit haben, bei nicht einwilligungsfähigen intergeschlechtlichen Minderjährigen und anderen nicht einwilligungsfähigen intergeschlechtlichen Personen ausdrücklich verboten und mit einem angemessenen Strafmaß bedroht sind, insbesondere auch wenn die Zeugungs- oder sexuelle Empfindungsfähigkeit beeinträchtigt werden können;
  • zugleich eine Regelung in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) aufzunehmen, die entsprechend § 1631c BGB klarstellt, dass bei nicht medizinisch indizierten Eingriffen und Operationen an Geschlechtsmerkmalen, die nicht medizinisch notwendig sind, die Sorgeberechtigten nicht rechtswirksam in die Behandlung einwilligen können;
  • eine Regelung zu schaffen, die ärztliche Dokumentationspflichten für geschlechtszuweisende bzw. verändernde Eingriffe spezifiziert und den betroffenen Personen – unter Wahrung des Datenschutzes – uneingeschränkten Zugang zu den entsprechenden Unterlagen gewährt;
  • festzulegen, dass in den genannten Fällen die Verjährung der Strafverfolgung und für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche der Betroffenen entsprechend § 78b Abs. 1 StGB und § 208 BGB bis zur Volljährigkeit bzw. bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres ruht. [59]

56 Ebd. [= Deutscher Ethikrat 2012], S. 17 ff.; eindrücklich auch Human Rights NGO 2015 [siehe nachfolgend].
57 Committee against Torture 2011, par. 20.
58 GFMK 2014, S. 52 ff.
59 Vgl. Deutscher Ethikrat 2012, S. 163 f.; Plett 2015, S. 47 f.

[...]

2.5.3 Einrichtung eines Entschädigungsfonds

Mit Besorgnis stellt die Kommission fest, dass die Forderung des Deutschen Ethikrats sowie des UN-Folterausschusses, einen Entschädigungsfonds für von irreversiblen ärzt-lichen Eingriffen betroffene Inter*Menschen einzurichten, bis heute nicht erfüllt wurde. [63] Bundesregierung und Ärztekammern werden nachdrücklich dazu aufgerufen, dieser menschenrechtlichen und ethischen Verpflichtung nachzukommen.

[63] Deutscher Ethikrat 2012, S. 176; Committee against Torture 2011, par. 20.

"Human Rights NGO 2015"

Zwischengeschlecht.org on FacebookDer mit "Human Rights NGO (Hrsg.) (2015): Intersex Genital Mutilations. Human Rights Violations of Persons with Variations of Sex Anatomy. Report. Zürich." von der Antidiskriminierungsstelle auch im Literaturverzeichnis (S. 37) unvollständig beziehungsweise falsch zitierte >>> thematische BRK/CRPD-Intersex-Schattenbericht-Bericht von Zwischengeschlecht.org dokumentiert nebst den gebräuchlichsten IGM-Formen und dem dadurch verursachten, lebenslangen Leiden, wie sich die Bundesregierung seit Jahrzehnten kontinuierlich weigert,

  • Intersex-Kinder und -Erwachsene angemessen vor IGM-Praktiken zu schützen,
  • relevante Daten und Statistiken dazu zu erheben und zugänglich zu machen,
  • Überlebenden von IGM-Praktiken Zugang zu Justiz und Entschädigung zu gewähren, und
  • für Betroffene mit AGS/CAH mit Salzverlust die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten zu gewährleisten.

Der gesamte 33-seitige thematische Bericht liegt vorerst nur auf Englisch vor.

Die Kapitel C–E über BRK/CRPD-Verstöße in Deutschland in Deutscher Übersetzung: 
>>> "C. Intersex-Menschen in Deutschland und die BRK" 
>>> "D.1. IGM-Statistiken: 20 Jahre Lügen und Leugnen der Bundesregierung" 
>>> "D.2. - E.1. Faktische Straflosigkeit von IGM-Praktiken, kein Zugang zu Justiz"
>>> "E. Verweigerung lebenswichtiger Medikamente f. Betroffene m. AGS m. Salzverlust"

Der fundierte Bericht und das Zeugnis von Dniela "Nella" Truffer vor dem Ausschuss trugen maßgeblich dazu bei, dass der UN-Behindertenrechtsausschuss CRPD im April 2015 deutlich gegen IGM-Praktiken in Deutschland Stellung bezog.

>>> 24. Gleichstellungsministerkonferenz (GFMK): IGMs gesetzlich verbieten!!!

Siehe auch:
- "Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee) untersucht IGM-Praktiken
- "Nur die Angst vor dem Richter wird meine Kollegen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern"
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) kritisiert IGM-Straflosigkeit in Deutschland
- CAT 2011: Deutschland soll IGM-Praktiken untersuchen und Überlebende entschädigen

>>> Zwangsoperierte Zwitter über sich selbst und ihr Leben
>>> Intersex-Genitalverstümmelungen: Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> IGM – eine Genealogie der TäterInnen
 

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen  • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)

Comments

1. On Monday, December 28 2015, 12:34 by stamp

Es gibt da den Paragraphen 1631d bgb, der Jungen den Schutz Ihrer genitalen Sphäre entzieht, weil man der Meinung war, so den Erwartungen bestimmter religiöses Gruppen ensprechen zu müssen. Warum wird dieser Aspekt bewusst verschwiegen. Nichteinwilligungsfähigen Jungen steht der gleiche Schutz zu, wie Mädchen.

2. On Monday, December 28 2015, 14:04 by seelenlos

hey stamp, dieser blog hat sich schon verschiedentlich zum thema "beschneidung" bei jungen geäußert, z.b. hier: https://blog.zwischengeschlecht.info... und hier: https://blog.zwischengeschlecht.info...

im vorliegenden post geht jedoch um intersex und nicht um jungen vs. mädchen.

und von wegen "verschweigen", manche der chirurgen, die sich (zu recht) lautstark öffentlich gegen "knabenbeschneidungen" stark machen, sind genau diejenigen, die gleichzeitig ohne mit der wimper zu zucken intersex-genitalverstümmelungen durchführen, z.b. maximilian stehr: https://blog.zwischengeschlecht.info...