Christiane und ihr Anwalt Georg Groth, 6.2.08
Strahlende Gesichter, klingelnde Handys, endlose Interviews -- ein grosser Tag für alle Zwischengeschlechtlichen! Erst recht für Christiane Völling und die wenigen Unentwegten, die sich gestern früh im Landgericht Köln eingefunden hatten, ihr solidarisch beizustehen. Und immer wieder ungläubiges Staunen, Es-gar-noch-nicht-richtig-fassen-können.
Die Kamerateams beginnen Christiane und die UnterstützerInnen zu umschwärmen.
Auch wenn die Höhe des zu zahlenden Schmerzensgeldes noch in einem Schlussurteil festgelegt wird, das Wesentliche hielt Richter Dietmar Reiprich gleich zu Beginn fest: "Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt." (>> vollständiges Gerichtsurteil)
JA!
Weniger Spass hatte der Anwalt der Gegenseite, der erst verspätet in den Saal platzte, als die Urteilsverkündung bereits in vollem Gange war. Kein Spass auch für all die unbeirrbaren Mediziner, die hofften, nach dem Prozess nach ihrem (für sie) "bewährten" Schema F einfach weiterschnibbeln zu können: Zwitter? Na, dann erstmal die inneren Geschlechtsorgane raus! Ganz egal, ob diese gesund sind oder krank, männlich, weiblich oder gemischtgeschlechtlich, Hauptsache raus + Zwangsgeschlechtszuweisung, nach unserem Gusto selbstverständlich, Punkt, der/die/das Nächste. Bleibt zu hoffen, dass der selbstherrliche Chirurg (seine Mittäter konnten aus Verjährungsgründen leider nicht mehr mitbelangt werden) empfindlich tief in die Tasche greifen muss, was sich dann bei seinen Kollegen und Kolleginnen von selbst herumsprechen wird.
Dabei hatte die Gegenseite wenig unversucht gelassen, Christiane zu verunglimpfen, "therapeutische Gründe" vorzuschieben, die Verantwortung auf andere abzuschieben, Tatsachen zu verdrehen, und fand sich dabei tatkräftig unterstützt durch die (wie so oft) zu einem Grossteil "verloren gegangenen" bzw. "nicht mehr auffindbaren" medizinischen Akten -- im Gegensatz zu nachträglich erstellten, für sie (wie so oft) wesentlich günstigeren Dokumenten.
Die RichterInnen betreten den Saal. In der Mitte der Vorsitzende Dietmar Reipisch.
Doch das Gericht hatte offensichtlich seine Hausaufgaben gemacht, sich kompetent in die Materie eingearbeit und zerpflückte die vorgeschobenen Einwände souverän: "Der Kläger hat in die Operation durch den Beklagten nicht wirksam eingewilligt."
JA!
Dass der unbeirrbare Mediziner höchstwahrscheinlich in die Berufung gehen wird, tut dem ganzen keinen Abbruch: Ein wichtiger Nebenpunkt dieses Prozesses ist, dass dabei erstmals die Leiden und die unsägliche, an Greueltaten aus dem 3. Reich und anderen unmenschlichen Regimen gemahnende Situation nahezu aller Zwischengschlechtlichen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Dabei kann jeder weitere Prozess nur weiterhelfen, auch eine etwaige Berufungsverhandlung, ebenso wie die hoffentlich noch folgenden Anklagen weiterer Zwischengeschlechtlicher.
Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!
Pressespiegel zu Christianes Sieg
Hierzu ist positiv zu vermelden, dass zumindest in Deutschland nahezu alle Pressemeldungen berücksichtigten, dass es sich beim vorliegenden "Zwitter-Prozess" (Express) nicht bloss um einen individuellen Einzelfall, sondern um ein grundsätzliches Verfahren handelt. Am ausgewogensten und ausführlichsten war einmal mehr die Agenturmeldung der Associated Press, nachzulesen z.B. hier:Des Zwitters Sieg (Stern)
Gleichzeitig ein Beispiel dafür, wie gewisse Medien den Unterschied zwischen (falsch) "Geschlechtsumwandlung" und (korrekt) "Geschlechtszwangszuweisung" immer noch nicht kapiert haben, und somit der Vertuschungstaktik der Mediziner in die Arme arbeiten. Bezeichnend auch, dass sich der letzte Satz der Agenturmeldung beim Stern nicht findet, im Gegensatz z.B. zur Basler Zeitung (die ebenfalls auf "Geschlechtsumwandlung im Titel nicht verzichten kann ):
Sehr erfreulich auch, dass das Urteil jetzt schon politische Konsequenzen zu zeigen beginnt, wie z.B. in der folgen Pressemeldung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen:Die 48-Jährige selbst hat in den nächsten Monaten noch viel vor: Seit 18 Monaten versucht sie nach eigenem Bekunden bereits ihren männlichen Vornamen auch offiziell in Christiane umzuwandeln. «Noch bin ich gegen verschlossene Türen gerannt, aber ich gebe nicht auf - jetzt erst recht nicht.»
Umgang mit Intersexuellen prüfen
Sehr guter Bericht auch vom WDR:
Klägerin siegt im "Zwitterprozess"-- "Das tut so gut für die Seele" (WDR-Panorama)
Dito im Kölner Stadt-Anzeiger:
Etappensieg auf langem Leidensweg (Kölner Stadt-Anzeiger)
Im direkten Vergleich mit der ap-Meldung und zu WDR und KStA abfallend die KollegInnen von der Deutschen Depeschenagentur und vom Deutschen Depeschendienst (nachfolgender erster Titel ein Beispiel für eine weitere beliebte Ablenkungsschiene: es wird versucht, den Konflikt scheinbar auf eine Auseinandersetzung innerhalb der Medizinerhierarchie zu reduzieren nach dem Motto "Untergebene gegen Chef", obwohl Christiane als Patientin und Zwischengeschlechtliche klagt und nicht als "Kankenpflegerin". ):
Kölner "Zwitterprozess": Krankenpflegerin siegt gegen Chirurgen (Der Westen)
Nachtrag: Der Westen legte zudem einen Artikel nach, der ein sehr zwiespältiges Gefühl hinterlässt. Einmal mehr wird offensichtlich versucht, den Unterschied zwischen Trans*menschen und Zwischengeschlechtlichen zu verwischen:
Nicht Fisch, nicht Fleisch ... (Der Westen)
Dass es titelmässig auch korrekt geht, demonstriert die FAZ, deren Artikel ebenfalls auf der dpa-Meldung basiert :
Intersexualität: Chirurg muss für Entfernung von Geschlechtsorganen zahlen (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Beim Titel der folgenden ddp-Meldung hattens die zuständigen RedaktorInnen ebenfalls gerafft. :
Intersexuelle Frau mit Schmerzensgeldklage erfolgreich (PR inside)
Noch n besserer Titel der selben ddp-Meldung auf koeln.de (na bitte, geht doch ):
Intersexuelle Frau bekommt Schmerzensgeld nach Entfernung ihrer Geschlechtsteile (koeln.de)
Ein weiterer Artikel aus der lokalen Zeitung Express (etwas abfallend im Vergleich zu den Artikeln im selben Blatt vor -- eins / zwei -- und nach dem 1. Prozesstag):
Kölner Zwitterprozess: Christiane/Thomas kriegt Schmerzensgeld (Express)
In einigen Blättern gabs übrigens schon tags zuvor eine Ankündigung:
Intersexuelle Christiane will Gerechtigkeit (Aachener Zeitung)
Dito bereits 3 Tage vor dem Prozess (einmla mehr mit der Spital-Hierarchie-Ablenkungs-Schiene ):
Pflegerin verklagt Chirurg: Urteil im «Zwitterprozess» möglich (Aachener
Zeitung)
[Dass ein adäquater Titel keine Hexerei wäre, machte demgegenüber z.B. die HAZ
schon nach dem ersten Prozesstag klar:
Intersexuelle Frau klagt wegen Entfernung ihrer Geschlechtsorgane
(Hannoversche Allgemeine Zeitung)]
Auch die Agentur Agence France-Presse machte eine kurze Meldung über den 2.
Prozesstag, die jedoch der Tragweite des Urteils kaum gerecht wird (immerhin
ist hier der Titel korrekt):
war nachtrag: Offensichtlich war die afp-meldung bei google stark gekürzt! (Wie auch die ap-meldung z.B. bei Stern, siehe oben.) In "Die Welt" fand ich nun eine längere Version, da sieht's (abgesehen vom irreführenden Titel, Variante "Geschlechtsumwandlung" ) doch schon wesentlich besser aus. Besonders gefallen hatte uns latürnich der bei afp.google weggekürzte, u.a. in der Welt aber enthaltene letzte Satz:
Arzt machte Frau illegal zum Mann (Die Welt)Am Rande des Prozesses forderte eine kleine Gruppe von Demonstranten mehr Rechte für Intersexuelle. Sie trugen T-Shirts mit der Aufschrift "Menschenrechte auch für Zwitter".
Dieselbe Agenturmeldung ebenfalls ungekürzt und mit adäquatem Titel :
Intersexuelle setzt sich mit Zivilklage gegen Chirurg durch (123recht.net)
Eher sosolala ein Artikel in der Auslandzeitung Amerika-Woche (inkl. unpassendem Titel ):
Krankenplegerin siegte im "Zwitterprozess" gegen Chirurgen (Amerika Woche)
Dito von der Bild-Zeitung (einmal mehr auf der Umwandlungs-Schiene sowie unter Ausklammerung der prinzipiellen Problematik ):
Klinik-Pfusch: Arzt machte SIE zum MANN (Bild)
Auch weniger toll der Glossar-Kasten zum Artikel. Einmal mehr wird als Anlaufstelle für Betroffene allein (ausgerechnet) die dgti genannt, Selbsthilfeorganisationen von Betroffenen hingegen vornehm verschwiegen. Typisch!
Das sind Intersexuelle (Bild)
In der Süddeutschen hinterlässt die Berichterstattung einen sehr zwiespältigen Eindruck: Während der Artikel nicht schlecht gemacht ist, ist der Titel definitiv unter aller Sau, wenn nicht das Schlusslicht überhaupt. Nix kapiert, sechs, nachsitzen, setzen!
Erzwungenes Leben in der falschen Haut: Gerichtsprozess um Transsexualität (Süddeutsche Zeitung)
Das Schlusslicht unter den Agenturmeldungen bildet klar die Schweizerische Depeschenagentur: Hier wird immer noch versucht, den Prozess als individuellen Einzelfall darzustellen, die eigentliche Tragweite wird konsequent zu leugnen versucht Immerhin stimmt in folgendem Beispiel der Titel, doch ansonsten: Pfui, nachsitzen, setzen!
Intersexuelle klagt erfolgreich gegen Chirurg (nachrichten.ch)
Dass nicht nur viele RedaktorInnen, sondern auch "Otto NormalverbraucherInnen" nach wie vor ein riesiges Informationsdefizit betreffend Zwangsoperationen usw. haben, illustrieren die teilweise sehr "geistreichen" Kommentare hier:
Sieg für Kläger(in) im Kölner Zwitterprozess (shortnews.de)
Speziell gefreut haben wir uns hingegen über folgenden Link (und das ist nicht ironisch gemeint):
Intersexuelle gewinnt Prozess (gay.ch)
Auch The Gay Dissenter bloggte über Christianes Sieg:
Der Kölner Zwitterfall
Allen Bemühungen z.B. von sda und SZ zum Trotz: Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen! 2008 wird in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem Zwischengeschlechtliche -- nach Jahrzente währendem, zunächst erfolglosem Kampf -- endlich erfolgreich begannen, ihre Menschenrechte einzuklagen!
Danke, Christiane!
Nella & Seelenlos
Inzwischen hat Christiane ihre bewegende Geschichte auch in Buchform veröffentlicht.
Buchbesprechung von Nella: Christiane Völling: "Wie beginnt man den Rest seines Lebens?" Die Biografie einer Überlebenden
Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Zwitterprozess: Bericht 1. Prozesstag
- Zwitter-Demo in der "Rundschau" und auf "Planetopia"
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Christiane: Der Kampf geht weiter
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG
- Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg will nicht zahlen!
- Merkel & Co: Einladung zum Zwitterprozess!
- Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg als Gutachter für Behandlungsfehler
- "Schmerzensgeld-Prozess" - Sat1 NRW 19.5.09
- 3. Prozesstag 20.5.09: "Netzwerk DSD" fällt Chirurgen in den Rücken
- Zwitterprozess: 100'000 Euro plus Zinsen Entschädigung für genitale Zwangsoperation
- Zwangsoperateur gibt sich geschlagen – 100'000 Euro Schmerzensgeld für Zwangskastration!
> Pressemeldungen zum "Zwitterprozess"
> Internationale Artikelübersicht auf OII