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Thursday, February 7 2008

Sieg für Christiane Völling!!!



Christiane und ihr Anwalt Georg Groth, 6.2.08

Strahlende Gesichter, klingelnde Handys, endlose Interviews -- ein grosser Tag für alle Zwischengeschlechtlichen! Erst recht für Christiane Völling und die wenigen Unentwegten, die sich gestern früh im Landgericht Köln eingefunden hatten, ihr solidarisch beizustehen. Und immer wieder ungläubiges Staunen, Es-gar-noch-nicht-richtig-fassen-können.


Die Kamerateams beginnen Christiane und die UnterstützerInnen zu umschwärmen.

Auch wenn die Höhe des zu zahlenden Schmerzensgeldes noch in einem Schlussurteil festgelegt wird, das Wesentliche hielt Richter Dietmar Reiprich gleich zu Beginn fest: "Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt." (>> vollständiges Gerichtsurteil)

JA!

Weniger Spass hatte der Anwalt der Gegenseite, der erst verspätet in den Saal platzte, als die Urteilsverkündung bereits in vollem Gange war. Kein Spass auch für all die unbeirrbaren Mediziner, die hofften, nach dem Prozess nach ihrem (für sie) "bewährten" Schema F einfach weiterschnibbeln zu können: Zwitter? Na, dann erstmal die inneren Geschlechtsorgane raus! Ganz egal, ob diese gesund sind oder krank, männlich, weiblich oder gemischtgeschlechtlich, Hauptsache raus + Zwangsgeschlechtszuweisung, nach unserem Gusto selbstverständlich, Punkt, der/die/das Nächste. Bleibt zu hoffen, dass der selbstherrliche Chirurg (seine Mittäter konnten aus Verjährungsgründen leider nicht mehr mitbelangt werden) empfindlich tief in die Tasche greifen muss, was sich dann bei seinen Kollegen und Kolleginnen von selbst herumsprechen wird.

Dabei hatte die Gegenseite wenig unversucht gelassen, Christiane zu verunglimpfen, "therapeutische Gründe" vorzuschieben, die Verantwortung auf andere abzuschieben, Tatsachen zu verdrehen, und fand sich dabei tatkräftig unterstützt durch die (wie so oft) zu einem Grossteil "verloren gegangenen" bzw. "nicht mehr auffindbaren" medizinischen Akten -- im Gegensatz zu nachträglich erstellten, für sie (wie so oft) wesentlich günstigeren Dokumenten.


Die RichterInnen betreten den Saal. In der Mitte der Vorsitzende Dietmar Reipisch.

Doch das Gericht hatte offensichtlich seine Hausaufgaben gemacht, sich kompetent in die Materie eingearbeit und zerpflückte die vorgeschobenen Einwände souverän: "Der Kläger hat in die Operation durch den Beklagten nicht wirksam eingewilligt."

JA!

Dass der unbeirrbare Mediziner höchstwahrscheinlich in die Berufung gehen wird, tut dem ganzen keinen Abbruch: Ein wichtiger Nebenpunkt dieses Prozesses ist, dass dabei erstmals die Leiden und die unsägliche, an Greueltaten aus dem 3. Reich und anderen unmenschlichen Regimen gemahnende Situation nahezu aller Zwischengschlechtlichen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Dabei kann jeder weitere Prozess nur weiterhelfen, auch eine etwaige Berufungsverhandlung, ebenso wie die hoffentlich noch folgenden Anklagen weiterer Zwischengeschlechtlicher.

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Pressespiegel zu Christianes Sieg

Hierzu ist positiv zu vermelden, dass zumindest in Deutschland nahezu alle Pressemeldungen berücksichtigten, dass es sich beim vorliegenden "Zwitter-Prozess" (Express) nicht bloss um einen individuellen Einzelfall, sondern um ein grundsätzliches Verfahren handelt. Am ausgewogensten und ausführlichsten war einmal mehr die Agenturmeldung der Associated Press, nachzulesen z.B. hier:

Des Zwitters Sieg (Stern)

Gleichzeitig ein Beispiel dafür, wie gewisse Medien den Unterschied zwischen (falsch) "Geschlechtsumwandlung" und (korrekt) "Geschlechtszwangszuweisung" immer noch nicht kapiert haben, und somit der Vertuschungstaktik der Mediziner in die Arme arbeiten. Bezeichnend auch, dass sich der letzte Satz der Agenturmeldung beim Stern nicht findet, im Gegensatz z.B. zur Basler Zeitung (die ebenfalls auf "Geschlechtsumwandlung im Titel nicht verzichten kann :-( ):

Die 48-Jährige selbst hat in den nächsten Monaten noch viel vor: Seit 18 Monaten versucht sie nach eigenem Bekunden bereits ihren männlichen Vornamen auch offiziell in Christiane umzuwandeln. «Noch bin ich gegen verschlossene Türen gerannt, aber ich gebe nicht auf - jetzt erst recht nicht.»

Sehr erfreulich auch, dass das Urteil jetzt schon politische Konsequenzen zu zeigen beginnt, wie z.B. in der folgen Pressemeldung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen:

Umgang mit Intersexuellen prüfen

Sehr guter Bericht auch vom WDR:

Klägerin siegt im "Zwitterprozess"-- "Das tut so gut für die Seele" (WDR-Panorama)

Dito im Kölner Stadt-Anzeiger:

Etappensieg auf langem Leidensweg
(Kölner Stadt-Anzeiger)

Im direkten Vergleich mit der ap-Meldung und zu WDR und KStA abfallend die KollegInnen von der Deutschen Depeschenagentur und vom Deutschen Depeschendienst (nachfolgender erster Titel ein Beispiel für eine weitere beliebte Ablenkungsschiene: es wird versucht, den Konflikt scheinbar auf eine Auseinandersetzung innerhalb der Medizinerhierarchie zu reduzieren nach dem Motto "Untergebene gegen Chef", obwohl Christiane als Patientin und Zwischengeschlechtliche klagt und nicht als "Kankenpflegerin". :-( ):

Kölner "Zwitterprozess": Krankenpflegerin siegt gegen Chirurgen (Der Westen)

Nachtrag: Der Westen legte zudem einen Artikel nach, der ein sehr zwiespältiges Gefühl hinterlässt. Einmal mehr wird offensichtlich versucht, den Unterschied zwischen Trans*menschen und Zwischengeschlechtlichen zu verwischen:

Nicht Fisch, nicht Fleisch ... (Der Westen)

Dass es titelmässig auch korrekt geht, demonstriert die FAZ, deren Artikel ebenfalls auf der dpa-Meldung basiert :-) :

Intersexualität: Chirurg muss für Entfernung von Geschlechtsorganen zahlen (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Beim Titel der folgenden ddp-Meldung hattens die zuständigen RedaktorInnen ebenfalls gerafft. :-) :

Intersexuelle Frau mit Schmerzensgeldklage erfolgreich  (PR inside)

Noch n besserer Titel der selben ddp-Meldung auf koeln.de (na bitte, geht doch :-) ):

Intersexuelle Frau bekommt Schmerzensgeld nach Entfernung ihrer Geschlechtsteile (koeln.de)

Ein weiterer Artikel aus der lokalen Zeitung Express (etwas abfallend im Vergleich zu den Artikeln im selben Blatt vor -- eins / zwei -- und nach dem 1. Prozesstag):

Kölner Zwitterprozess: Christiane/Thomas kriegt Schmerzensgeld (Express)

In einigen Blättern gabs übrigens schon tags zuvor eine Ankündigung:

Intersexuelle Christiane will Gerechtigkeit (Aachener Zeitung)

Dito bereits 3 Tage vor dem Prozess (einmla mehr mit der Spital-Hierarchie-Ablenkungs-Schiene :-( ):

Pflegerin verklagt Chirurg: Urteil im «Zwitterprozess» möglich (Aachener Zeitung)

[Dass ein adäquater Titel keine Hexerei wäre, machte demgegenüber z.B. die HAZ schon nach dem ersten Prozesstag klar:

Intersexuelle Frau klagt wegen Entfernung ihrer Geschlechtsorgane
(Hannoversche Allgemeine Zeitung)]

Auch die Agentur Agence France-Presse machte eine kurze Meldung über den 2. Prozesstag, die jedoch der Tragweite des Urteils kaum gerecht wird (immerhin ist hier der Titel korrekt):

Intersexuelle setzt sich mit Zivilklage gegen Chirurg durch (afp.google.com)

war  nachtrag: Offensichtlich war die afp-meldung bei google stark gekürzt! (Wie auch die ap-meldung z.B. bei Stern, siehe oben.) In "Die Welt" fand ich nun eine längere Version, da sieht's (abgesehen vom irreführenden Titel, Variante "Geschlechtsumwandlung" :-( ) doch schon wesentlich besser aus. Besonders gefallen hatte uns latürnich der bei afp.google weggekürzte, u.a. in der Welt aber enthaltene letzte Satz:

Am Rande des Prozesses forderte eine kleine Gruppe von Demonstranten mehr Rechte für Intersexuelle. Sie trugen T-Shirts mit der Aufschrift "Menschenrechte auch für Zwitter".

Arzt machte Frau illegal zum Mann (Die Welt)

Dieselbe Agenturmeldung ebenfalls ungekürzt und mit adäquatem Titel :-) :

Intersexuelle setzt sich mit Zivilklage gegen Chirurg durch
(123recht.net)

Eher sosolala ein Artikel in der Auslandzeitung Amerika-Woche (inkl. unpassendem Titel :-( ):

Krankenplegerin siegte im "Zwitterprozess" gegen Chirurgen
(Amerika Woche)

Dito von der Bild-Zeitung (einmal mehr auf der Umwandlungs-Schiene sowie unter Ausklammerung der prinzipiellen Problematik :-( ):

Klinik-Pfusch: Arzt machte SIE zum MANN (Bild)

Auch weniger toll der Glossar-Kasten zum Artikel. Einmal mehr wird als Anlaufstelle für Betroffene allein (ausgerechnet) die dgti genannt, Selbsthilfeorganisationen von Betroffenen hingegen vornehm verschwiegen. Typisch! :-(

Das sind Intersexuelle (Bild)

In der Süddeutschen hinterlässt die Berichterstattung einen sehr zwiespältigen Eindruck: Während der Artikel nicht schlecht gemacht ist, ist der Titel definitiv unter aller Sau, wenn nicht das Schlusslicht überhaupt. :-( Nix kapiert, sechs, nachsitzen, setzen!

Erzwungenes Leben in der falschen Haut: Gerichtsprozess um Transsexualität (Süddeutsche Zeitung)

Das Schlusslicht unter den Agenturmeldungen bildet klar die Schweizerische Depeschenagentur: Hier wird immer noch versucht, den Prozess als individuellen Einzelfall darzustellen, die eigentliche Tragweite wird konsequent zu leugnen versucht Immerhin stimmt in folgendem Beispiel der Titel, doch ansonsten: Pfui, nachsitzen, setzen!

Intersexuelle klagt erfolgreich gegen Chirurg (nachrichten.ch)

Dass nicht nur viele RedaktorInnen, sondern auch "Otto NormalverbraucherInnen" nach wie vor ein riesiges Informationsdefizit betreffend Zwangsoperationen usw. haben, illustrieren die teilweise sehr "geistreichen" Kommentare hier:

Sieg für Kläger(in) im Kölner Zwitterprozess  (shortnews.de)

Speziell gefreut haben wir uns hingegen über folgenden Link (und das ist nicht ironisch gemeint):

Intersexuelle gewinnt Prozess (gay.ch)

Auch The Gay Dissenter bloggte über Christianes Sieg:

Der Kölner Zwitterfall


Allen Bemühungen z.B. von sda und SZ zum Trotz: Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen! 2008 wird in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem Zwischengeschlechtliche -- nach Jahrzente währendem, zunächst erfolglosem Kampf -- endlich erfolgreich begannen, ihre Menschenrechte einzuklagen!

Danke, Christiane!

Nella & Seelenlos

Christiane Völling: »Ich war Mann und Frau. Mein Leben als Intersexuelle.« Fackelträger Verlag, erscheint 25.08.2010

Inzwischen hat Christiane ihre bewegende Geschichte auch in Buchform veröffentlicht.

Buchbesprechung von Nella: Christiane Völling: "Wie beginnt man den Rest seines Lebens?" Die Biografie einer Überlebenden


Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Zwitterprozess: Bericht 1. Prozesstag
- Zwitter-Demo in der "Rundschau" und auf "Planetopia" 
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Christiane: Der Kampf geht weiter
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG
- Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg will nicht zahlen!  
- Merkel & Co: Einladung zum Zwitterprozess!
- Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg als Gutachter für Behandlungsfehler   
- "Schmerzensgeld-Prozess" - Sat1 NRW 19.5.09
- 3. Prozesstag 20.5.09: "Netzwerk DSD" fällt Chirurgen in den Rücken
- Zwitterprozess: 100'000 Euro plus Zinsen Entschädigung für genitale Zwangsoperation
- Zwangsoperateur gibt sich geschlagen – 100'000 Euro Schmerzensgeld für Zwangskastration! 
> Pressemeldungen zum "Zwitterprozess"
> Internationale Artikelübersicht auf OII   

Tuesday, February 5 2008

Wegen Zwitter-Prozess: Druck auf Ärzte wächst

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Pünktlich zur Fortführung im "Zwitterprozess" am 6.2. gegen den Chirurgen, der Christiane Völling verstümmelte, erscheint im schweizer Tages-Anzeiger vom 5. Februar 2008 nebst einem Artikel zum Prozess ein Interview mit Karin Plattner, der Mutter eines zwischengeschlechtlichen Kindes und Präsidentin der schweizerischen Eltern-Selbsthilfegruppe. Darin schildert sie, wie es Eltern und Kind nach der Geburt erging:

Nach drei Wochen sagten uns die Ärzte, von den Chromosomen her sei es ein Knabe, aus dem eher weiblichen Genitale könne man aber nie einen Buben machen. Darum sei eine Geschlechtsanpassung zum Mädchen angesagt.

Als erstes "entnahmen" die Mediziner "einen Monat nach Geburt die Geschlechtsdrüsen [...], die für die Hormonproduktion im Körper verantwortlich sind, weil es hiess, sie sei entartungsgefährdet". Ausser in Ausnahmefällen zwar nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit als z.B. Prostata und Brüste bei normalen Männern und Frauen auch. Bloss kriegen das Eltern und Betroffene von Chirurgen nach gängiger Praxis nie gesagt.

das Verrückte war, dass uns die Ärzte lieb zuredeten, das sei operativ kein Problem, man könne da gut ein Mädchen daraus machen, und mit der entsprechenden Erziehung werde alles gut.

So schon mal halb weichgeklopft, sollen die Eltern als nächstes der Zwangszuweisung zustimmen. Doch für einmal kam es anders:

Kurz danach sagte man uns, bald folge der nächste Eingriff am Genitale, um ein richtiges Mädchen aus dem Kind zu machen. Da begann ich Fragen zu stellen. Was heisst das? Gibt es vergleichbare Fälle?

Als ich herausfand, dass es nach der Operation des äusseren Genitales vielleicht nie Gefühle oder Lust empfinden kann, sagte ich, ja hallo, das geht zu weit. Wenn alles nur eine kosmetische Sache ist, kann ich nicht dahinter stehen. Dann soll mein Kind bleiben, wie es ist. Medizinisch ist das in unserem Fall absolut problemlos. Und später kann es selber entscheiden, ob es eine Geschlechtsanpassung machen lassen will oder nicht. [...] Hauptsache, sie fühlt sich wohl!

Auch heute noch haben neugeborene Zwischengeschlechtliche meist weit weniger Glück, sprich werden nach wie vor möglichst rasch dem "gesamten Programm" unterzogen. Und wenn jemals, wie z.B. jetzt vor dem 2. Prozesstag in Köln, in der Öffentlichkeit die Kritik an Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und Zwangszuweisungen an Zwischengeschlechtlichen etwas lauter wird, beeilen sich die Mediziner zu versichern, mittlerweile sei das "alles ganz anders", diese grausligen Praktiken längst Vergangenheit. Heute würden die Mediziner nämlich ausnahmsweise auch mal 5 gerade bzw. ein uneindeutiges Genital unoperiert stehen lassen.

Noch ist man von der Anerkennung eines «dritten Geschlechts» weit entfernt. Aber immerhin, sagt der Endokrinologe Primus Mullis, «wächst unter den Ärzten die Bereitschaft, ein unbestimmtes Geschlecht auch einmal sein zu lassen, wenn es sich medizinisch vertreten lässt». Das Magazin 36/2007

Sprich gerade mal dann und nur dann, wenn ausserdem die Elten sich absolut quer und noch dazu auf den Kopf stellen. Und sonst nicht. Menschenrechte? Auch für solche? Wäre ja gelacht!

Kinderpsychiater Dieter Bürgin: «Ein intersexuelles Kind erschreckt uns, weil es unser Weltbild in Frage stellt. Darum besteht das Bedürfnis, möglichst bald eine klare Situation zu schaffen.» Komme hinzu, dass Kinderärzte entsprechende Operationen «als chirurgische Herausforderung sehen».

Eine "Herausforderung", der offensichtlich noch so mancher Mediziner nur allzugern erliegt (sofern es sich nicht um sein eigenes Genital handelt, versteht sich). Immerhin, während Mediziner Schwöbel in der "Rundschau" noch fromm von der "Naturgewolltheit" der Zwangszuweisungen phantasierte, beginnt er mittlerweile verdächtig zurückhaltend zu formulieren -- auffallend eifrig drauf bedacht, den Schwarzen Peter sogleich weiterzureichen:

Marcus Schwöbel, Chefarzt der kinderchirurgischen Klinik Luzern, der bei rund 50 geschlechtszuweisenden Behandlungen beteiligt war, bestätigt dies. «Die Herausforderung ist aber nicht der chirurgische Akt an sich, sondern der Anspruch, für das Kind und seine Eltern den bestmöglichen Weg zu finden.» Es seien meist die Eltern, die dringend wünschten, das Kind einem Geschlecht zuzuordnen, er dränge niemals dazu.

Als ob Eltern generell befugt wären, ihren Kindern nach Belieben Körperteile ab- oder umschneiden zu lassen. "Hallo, Herr Doktor, ich hätte eigentlich lieber ein Kind ohne Arme und Stimmbänder!" -- "Kein Problem, erledigen wir sofort! Endlich mal wieder eine Herausforderung!"

Immerhin, den Pfusch an Christiane Völling finden auch Schweizer Mediziner krass:

Primus Mullis, Professor für Endokrinologie am Inselspital Bern begrüsst den Prozess in Köln: «Es ist eine Katastrophe, was diesem Menschen angetan wurde».

Hauptsache, nicht vor der eigenen Haustüre. Hauptsache, der Fall ist nur ein Einzelfall und es geht nicht ums Prinzip.

Dabei liegt die Menschrechtswidrigkeit der Zwangsoperationen klar auf der Hand und wird kaum zufällig von RechtsprofessorInnen und EthikerInnen seit Jahr und Tag immer wieder betont. Auch in der Schweiz. Die Zürcher Rechtsprofessorin Andrea Büchler, einmal mehr:

«Ein medizinischer Eingriff braucht die Zustimmung der betroffenen Person. In der Regel können die Eltern für ihr Kind zustimmen. Geschlechtszuweisende Operationen aber tangieren die höchstpersönlichen Rechte und dürfen nicht ohne Zustimmung des betroffenen Kindes vorgenommen werden – ausser es ist medizinisch notwendig.»

Der Abschaffung dieser menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen könnte nun Christiane Völlings Prozess endlich zum Durchbruch verhelfen. Besonders Chirurgen mit 50, 100, oder gar 200 oder noch mehr Zwangskastrationen und Zwangszuweisungen auf ihrem Gewissen dürften sich im Geist die Rechnung schon mal gemacht haben, was sie ihre gesammelten Sünden in Franken und Euro vor Gericht so etwa kosten könnten ...

«Sollte der Chirurg in Köln für den Eingriff, den er vor 30 Jahren durchführte, verurteilt werden, oder setzt sich die Auffassung von Rechtsprofessorin Büchler durch, müsste die Indikation zu geschlechtsanpassenden Eingriffen neu überdacht werden», sagt Schwöbel.

Nämlich, wie Schwöbel schon in der "Rundschau" verriet, dann müsste er sich in Zukunft zwei mal überlegen, ob eine solche Operation an einem Kind auch wirklich 30 Jahre lang "wasserdicht" sei. D.h. bis die Verjährungsfrist abgelaufen ist.

Auf gut Deutsch: Erst, wenn die Mediziner damit rechnen müssen, dafür gerichtlich belangt und verurteilt zu werden, werden sie keine Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und Zwangszuweisungen mehr durchführen. Vorher nicht. Dass die Verstümmelten meist ein Leben lang an den Zwangseingriffen leiden, kümmert sie in der Regel offensichtlich nicht -- oder zumindest zu wenig. In diesem Zusammenhang weiter auffällig, dass bei Zwangsoperationen die im Medizinerbetrieb sonst üblichen Nachuntersuchungen inkl. Erfassung der Sterblichkeit 5, 10, 20 Jahre usw. nach dem Eingriff traditionell ausbleiben. Anders wäre die "eklatant hohe" Behandlungsunzufriedenheit der Zwangsoperierten schon längst publik geworden.

Aktuell gibt es ein einziges Land auf der ganzen Welt, in dem Zwangoperationen für Zwischengeschlechtliche endgültig der Vergangenheit angehören. In Kolumbien beschloss 1998 das oberste Gericht, Zwangszuweisungen seien strafrechtlich zu verfolgen, mit dem Ziel, "Eltern zu zwingen, die Interessen ihrer Kinder über ihre eigenen Ängste und Sorgen um sexuelle Ambiguität zu stellen" (zit. n. Milton Diamond, unveröff. Manuskr., Forum 30.1.08).

Umso wichtiger wäre es, dass der Kölner Richter standhaft bleibt und dem Drängen der Mediziner-Lobby hinter den Kulissen nicht nachgibt. Auch wenn zu befürchten ist, dass er vor den Implikationen einer Verurteilung zurückschreckt und deshalb die Menschenrechte aller Zwangsoperierten auch der Zukunft einmal mehr mit Füssen tritt. Und so aus letztlich finanziellen Gründen ein kolossales Unrecht weiterbestehen lässt, das allein in Deutschland täglich ein weiteres Opfer fordert.

nachtrag:
--> Das ganze Interview jetzt online
--> "Intersexueller [sic!] klagt seinen ehemaligen Arzt an"

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Bericht 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG

Monday, February 4 2008

Neuer Artikel über Christiane und den Prozess ...

... in TERZ, der autonomen Stattzeitung für Politik und Kultur in Düsseldorf:

http://www.terz.org/texte/texte_0802/intersexualitaet.html

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Danke!

Thursday, January 17 2008

TV-Tipp: Zwitter Elisabeth Müller im MDR Fr 18.1. 22:45 h / So 20.1. 14:00

Elisabeth an der Zwitter-Demo, Köln 12.12.07 (Bild: Katrin Ann Kunze)

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Der Spiegel nannte sie "Hermaphrodit Müller", sie selber nennt sich auch Zwitter Eli. Sie ist aktives Mitglied im Verein Intersexuelle Menschen e.V., Gründungsmitglied bei den XY-Frauen und setzt sich seit langem für die Belange von zwischengeschlechtlichen Menschen ein. Zusammen mit Michel Reiter trat sie im Film "Das verordnete Geschlecht" auf. Sie ist heute noch eine eingagierte Kämpferin für ein optionales "Drittes Geschlecht" für Zwischengeschlechtliche.

Elisabeth Müller ist morgen Freitag von 22:45 bis 24:00 Uhr in der Sendung "Unter uns" zu Gast und erzählt darüber, wie es sich als Hermaphrodit lebt. Wiederholung So 14:00 bis 15:15.

>>> Podcast der gelungenen Sendung mit Elisabeth (mp3 15.1 MB)

Elisabeth im Deutschlandradio

Das verordnete Geschlecht

MDR Homepage zur Sendung: Seite über Elisabeth (leider inzwischen offline)

Wednesday, January 2 2008

Rundschau: Unsichtbarmachung von Zwischengeschlechtlichen wie gehabt

Die Zwitter Medien Offensive™ wird trotzdem siegen!

Video angucken: Beitrag "Weder Mann noch Frau"


Der Beitrag der Schweizer Rundschau vom 19. Dezember 2007 über das Thema "Intersexualität" zeichnet sich durch eine Berichterstattung aus, die ohne reisserische Elemente über "Intersexualität" informiert. Durch den Einbezug der Perspektive nicht nur von Zwischengeschlechtlichen, sondern auch von Eltern mit einem "intersexuellen" Kind sowie Medizinern und Juristinnen wurde der gesellschaftlichen und insbesondere der ethischen Relevanz der Thematik Rechnung getragen.

Dennoch trägt dieser Beitrag letztendlich einmal mehr zur Unsichtbarmachung von uns Zwischengeschlechtlichen bei, da das zentrale Element, nämlich Hinweise auf die Selbsthilfegruppen und Organisationen der Betroffenen,  (bewusst?) ausgeklammert wurden. Obwohl die Journalistin mir mündlich versprochen hatte, dass dies wichtiger Bestandteil des Beitrags sein werde.

Konkret:

Trotz mündlicher Vereinbarung mit der Rundschau wurde keinerlei Hinweis (weder gesprochen noch als Aufnahme) auf meine seit Jahren bestehende Internetpräsenz und Anlaufstelle für intersexuelle Menschen in der Schweiz intersex.ch gemacht, was es interessierten Menschen ermöglicht hätte, sich zu informieren und in Kontakt zu treten.

Unerwähnt blieb auch die Tatsache, dass die im Beitrag auftretenden zwischengeschlechtlichen Menschen seit mehreren Jahren in Selbsthilfegruppen organisiert sind (xy-frauen.de, intersex.ch, intersex.at) und dass vor einigen Jahren als Dachverband der Verein Intersexuelle Menschen e.V. gegründet wurde, dem auch ich angehöre.

Es wurde zwar die Demonstration vom 12.12.2007 vor dem Landgericht Köln gefilmt. Dass ich die Demo im Namen des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. organisiert habe, wurde jedoch nicht erwähnt. (Auch "Planetopia" auf Sat1 verschwieg übrigens den Verein als Organisatorin der Demo. Immerhin steht auf der Homepage ein Link zur AGS-Selbsthilfegruppe - bezeichnenderweise an letzter Stelle nach der Hamburger Intersex-Forschergruppe und der Deutschen Gesellschaft für Transsexualität und äh Intersexualität DGTI e.V.)

Der Auslöser der ganzen Geschichte bzw. der Anlass für die Rundschau, überhaupt mit mir Kontakt aufzunehmen, war notabene eine Pressemitteilung, die ich im Namen der Selbsthilfegruppe intersex.ch und als Mitglied von Intersexuelle Menschen e.V. und XY-Frauen an die Medien versandt hatte.

Speziell hintergangen fühle ich mich durch die Tatsache, dass das Interesse an der Darstellung meiner Öffentlichkeitsarbeit und an den Selbsthilfegruppen durch wiederholte Aufnahmen davon während des Drehs suggeriert und durch Versprechungen bekräftigt wurde, letztendlich jedoch absolut nichts von diesem Material Bestandteil des Beitrages war. Dabei hatte ich meinerseits verschiedentlich Zugeständnisse gemacht und mich ihren Wünschen angepasst, z.B. Kindheitsfotos, Nennung meines vollen Namens.

(Auch meine Mitstreiterin Nadja outete sich lediglich mit vollem Namen, weil sie ebenfalls davon ausging, dass unsere Organisationen und Selbsthilfegruppen genannt werden, und fühlt sich deshalb auch hintergangen.)

Auch meine Bitte, diese Organisationen wenigstens nachträglich auf der Rundschau-Homepage zur Reportage zu erwähnen, wurde abschlägig beurteilt.

Ich frage mich, ob dieser "Lapsus" auch passiert wäre, wenn die Demo von der Schweizerischen Schwulenorganisation PINK CROSS, einer Gewerkschaft, Feministinnen oder der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft organisiert worden wäre ... aber eben ...

Saturday, December 22 2007

Teledoktor redet Klartext

Die Zwitter Medien Offensive™ war schon da!

Auf dem Hermaphroditforum entdeckt: Teledoktor Aart Gisolf erklärt anschaulich, was "Intersexualität" ist und gibt den Eltern vernünftige Tipps. Und das ist jetzt für einmal nicht ironisch gemeint. Der Beitrag ist streckenweise angestrengt didaktisch, aber die Botschaft (einziger Tiefpunkt: die "Fehlentwicklung") könnte sich so mancher Medizyner als Leitmotiv hinter die Ohren schreiben.


Sendung auf ARD Buffet vom 15.06.2007.

Hier auch als Text.

Thursday, December 20 2007

Pressespiegel 12.12.07

Bild: Die Linkszeitung

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Der Prozess und die Demo in Köln brachten eine noch nie dagewesene Resonanz in der Öffentlichkeit zum Thema genitale Zwangsoperationen an Zwittern. Bleibt zu hoffen, dass dies (nach dem Kampf von Michel Reiter um Anerkennung des Geschlechts "Zwitter" in München, der Ausstellung 101-intersex in Berlin und einigen Dok-Filmen aus D und A, z.B.  "Tintenfischlarm") lediglich der Anfang war ...

AUSGEWÄHLTE ARTIKEL PRINT / ONLINE:


Totaloperation ohne Einwilligung? Patientin verklagt Operateur

"Warum der Operateur Völlings Eierstöcke und Gebärmutter damals in 1977 in einer Kölner Klinik entfernte, anstatt die offensichtliche Fehldiagnose auf entartete Hoden in Frage zu stellen und Völling vom Fluch der irrtümlichen Zwangszuweisung zum männlichen Geschlecht zu befreien, ist unklar. Der Beklagte war beim Verhandlungstermin nicht anwesend. Laut seinem Anwalt kann er sich nicht mehr an den damaligen Vorgang erinnern, die Akte mit dem OP-Bericht ist verschwunden."

"Die fehlende Aufklärung und die folgerichtig ebenfalls fehlende schriftliche Einwilligung Völlings in die OP sind die zentralen Punkte der Klage, die Richter Reiprich nun beschäftigt, und die möglicherweise einen Präzendenzfall schafft."

"„Hier wurde ein Volljähriger ohne Wissen und ohne Aufklärung verstümmelt“, bringt er die Tatsachen auf den für die Gegenseite wunden Punkt, an dem es kein Vorbei gibt, und hebt den „entscheidenden Hinweis des Vorsitzenden Richters“ hervor, dass „schon die Verletzung der Aufklärungspflicht urteilsrelevant“ sei."

"Umso drängender fordern die Betroffenen, von denen einige am 12. Dezember vor dem Landgericht demonstrierten, dazu auf, mit der gängigen Praxis der zwanghaften, oft chirurgisch unterstützten Geschlechtszuweisung Schluss zu machen."

Die Linkszeitung, 16. Dezember 2007



Intersexuelle kämpft für Selbstbestimmung

"Für die Klägerin sowie für die schätzungsweise zwischen 80 000 und 100 000 in Deutschland lebenden Intersexuellen geht es jedoch darum, dass nicht andere, wie etwa Hebammen, Ärzte oder Eltern, die Entscheidung zwischen A und B fällen. Sondern dass Selbstbestimmtheit möglich wird, sofern es die gesundheitliche Situation zulässt; dass der Mensch selbst entscheidet, ob er Mann, Frau oder Zwitter sein möchte."

Der Westen, 12. Dezember 2007



Intersexualität - was heißt das?

"Nach Schätzungen leben in Deutschland bis zu 100000 Kinder, Jugendliche oder Erwachsene mit uneindeutigem Geschlecht oder abweichender Geschlechtsidentität. Mediziner und Selbsthilfegruppen sprechen von einem sehr komplexen Phänomen und einer Vielzahl von Varianten und Erscheinungsformen."

"Intersexualität hat nichts zu tun mit Transsexualität oder Transvestiten. Transsexuelle haben eindeutige Geschlechtsmerkmale, wollen aber ihr Geschlecht ändern. Transvestiten fühlen sich in der Kleidung des anderen Geschlechts wohl."

Ruhr Nachrichten, 12. Dezember 2007



Prozess ohne Beispiel

"Viele medizinische Fehler. Rechtsanwalt Georg Groth sagte, der beklagte Chirurg sei nicht der alleinVerantwortliche für das Schicksal seiner Mandantin. Von Geburt an habe es eine Reihe von medizinischen Fehlern gegeben. „Aber der Beklagte ist ein wesentliches Glied in der Kette und hat das gefährliche OP-Besteck geführt“, betonte Groth. Wegen der Verjährungsfristen könne nur noch der Chirurg belangt werden, der den Eingriff im Jahr 1977 vorgenommen habe."

"Es müsse geklärt werden, ob die damals 18-Jährige ausreichend aufgeklärt und über Alternativen zur OPinformiert worden sei. Ihr sei „bewusst verschwiegen worden“, dass sie vom Chromosomensatz her eindeutig weiblich sei."

Ruhr Nachrichten, 12. Dezember 2007

[Obige 2 Artikel basieren auf einer dpa-Pressemeldung, die in Dutzenden von Zeitungen abgedruckt wurde.]



Durch OP zum Mann gemacht: Krankenpflegerin verklagt Arzt

"Nach einem jahrelangen Leidensweg als Zwitter und einem unfreiwilligen Leben als Mann hat eine Krankenpflegerin einen Chirurgen in Köln verklagt. In dem bundesweit beispiellosen Fall verlangt die 48 Jahre alte Klägerin 100.000 Euro Schmerzensgeld, da der Arzt ihr vor 30 Jahren intakte Eierstöcke und Gebärmutter ohne vorherige Aufklärung entfernt habe. Das warf die Frau dem ehemaligen Mediziner einer Kölner Klinik zu Beginn des aufsehenerregenden Zivilprozesses vor dem Kölner Landgericht vor. Das Gericht sprach von einem besonders schwierigen und problematischen Fall."

n-tv, 12. Dezember 2007



Das verordnete Geschlecht  [ähm, eigentlich der Titel eines Dok-Films über Michel Reiter und Elisabeth Müller 2001]

"Sie wurde als Junge erzogen, und erst 17 Jahre später stellten die Ärzte fest, dass sie zwei X-Chromosomen hat, also weiblich ist. Trotzdem entnahm man ihr ein Jahr später Gebärmutter und Eierstöcke. Und man gab ihr Hormone, damit sie weiter zum Mann wurde."

"Selbsthilfegruppen sehen den Prozess nun als Präzedenzfall. Auch anderen wurde ein Geschlecht zugeteilt, das ihnen ein Leben lang fremd blieb."

Süddeutsche, 12. Dezember 2007



Ein Leben lang im falschen Körper

"Allerdings gibt es da noch einen Brief vom 5. Juni 1979, in dem der Chirurg sich an die Musterungsstelle der Bundeswehr wandte – mit der Bitte, Völling nicht einzuziehen, weil dieser "genotypisch weiblich ist". "Völling", so schrieb der Arzt damals weiter, "ist aber über das Ausmaß der Erkrankung noch nicht vollständig informiert worden". Die Diagnose solle dem Patienten deshalb "auf keinen Fall mitgeteilt werden"."

Wiener Zeitung, 12. Dezember 2007



Frau erwachte nach OP als Mann

"In einem Zivilprozess fordert eine 48-jährige Krankenpflegerin, die bei ihrer Geburt fälschlicherweise als Junge eingestuft wurde und auch so aufgewachsen war, von einem Chirurgen Schmerzensgeld in Höhe von 100 000 Euro. Der Mediziner hatte 1977 der damals 18-Jährigen Eierstöcke und Gebärmutter entfernt. Die Klägerin wirft ihm vor, sie nicht umfassend über die Folgen des Eingriffs und alternative Möglichkeiten aufgeklärt zu haben, wie Justizsprecher Dirk Esser mitteilte."

20minuten (Schweiz), 13. Dezember 2007

[Artikel basiert auf einer AP-Pressemeldung, die in mehreren Zeitungen abgedruckt wurde.]



FERNSEHEN / CLIPS:


"Weder Mann - noch Frau"
WDR, 12. Dezember 2007

"Zum Mann operiert"
Planetopia, Sat1, 16. Dezember 2007

"Das dritte Geschlecht: Intersexuelle klagen vor Gericht"
Rundschau, SF1, 19. Dezember 2007




RADIO:


WDR5 Leonardo




DIE ORIGINELLSTEN SCHLAGZEILEN:


Zwitter-Demo: „Schluss mit genitalen Zwangsoperationen“
Express

Kölner Prozess lenkt Blick auf Zwitter
Amerika Woche

Geschlecht: Fragezeichen
Focus

Zwitter-Prozess: Ärzte operierten mich gegen meinen Willen zum Mann
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AUSLÄNDISCHE MEDIEN:


Spiegel-Bericht vom 19.11.2007 auf polnisch:
I Bóg stworzył trzecią płeć...
onet.pl [inzwischen offline] [Kopie hier]


Deutsche Welle Bericht vom 12.12.2007 auf englisch:
German Gender-Assignment Case Has Intersexuals Hopeful
Deutsche Welle


Bericht auf chinesisch:
德國雙性人打贏性別官司
chinesenewsnet.com



nella & seelenlos


Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Bericht 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG

Tuesday, December 18 2007

Zwitter-Demo in der "Rundschau" und auf "Planetopia"

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Am Mittwoch, 19.12.2007 um 20:50 Uhr kommt in der Sendung "Rundschau" im Schweizer Fernsehen 1 ("Weder Mann noch Frau") (>>> Video: hier oder ins Bild klicken) eine ausführliche Reportage über den Prozess und die Demo am 12.12.2007 in Köln.

Nachtrag: Obwohl der Beitrag ohne reisserische Elemente und informativ daher kommt, wurde typischerweise jeder Hinweis auf Betroffenengruppen systematisch ausgeklammert, obwohl z.B. der Verein Intersexuelle Menschen e.V. die Demo organisiert hatte, und die Rundschau überhaupt erst auf Nella aufmerksam wurde durch eine von ihr unterzeichnete hochoffizielle Pressemitteilung. Auch für kommerzielle Medien gilt offensichtlich: Macht wird nicht gerne aus den Händen gegeben, schon gar nicht an Betroffene ... >>> mehr

Bereits am letzten Sonntag gab es in der Sendung Planetopia auf Sat1 einen Bericht. Die Sendung kann theoretisch online angeschaut werden (praktisch funktioniert's auf meinem Computer aber leider nicht?! Nachtrag: benötigt Windows Media Player Plug-in). Ausserdem gibt's den Film auch als Homepage zum Lesen.

Nachtrag:
Auch bei Planetopia kommen Betroffenenorganisationen – wenn überhaupt – dann an letzter Stelle. So ist unter "Internettipps" einzig die AGS-Selbsthilfegruppe aufgefürt, jedoch nicht Intersexuelle Menschen e.V., welche z.B. die Demo organisierten, und auch die AGS-Selbsthilfe bezeichnenderweise an allerletzter Stelle nach (ausgerechnet!) der Hamburger Intersex-Forschergruppe und der Deutschen Gesellschaft für Transsexualität und äh Intersexualität DGTI e.V. ...

Siehe auch:
- Rundschau: Unsichtbarmachung von Zwischengeschlechtlichen wie gehabt 

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Bericht 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Christiane: Der Kampf geht weiter
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG
- Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg will nicht zahlen!  
- Merkel & Co: Einladung zum Zwitterprozess!
- Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg als Gutachter für Behandlungsfehler   
- "Schmerzensgeld-Prozess" - Sat1 NRW 19.5.09
- 3. Prozesstag 20.5.09: "Netzwerk DSD" fällt Chirurgen in den Rücken
- Zwitterprozess: 100'000 Euro plus Zinsen Entschädigung für genitale Zwangsoperation
> Pressemeldungen zum "Zwitterprozess"
> Internationale Artikelübersicht auf OII   

Tuesday, December 11 2007

48 Jahre im „falschen Leben“

Kann ein Zwitter Sünde sein?

Weiterer Zwitter Medien Offensive-Artikel zu Christiane Völling und dem Prozess im Kölner Stadt-Anzeiger:

http://www.ksta.de/html/artikel/1195816921913.shtml

Einmal mehr nicht schlecht recherchiert (ok, mit Ausnahme des "Schweizer Vorbilds"), bleibt zu hoffen, dass dem Operateur & co. auch vor Gericht eine steife Brise um die Ohren weht ...

>>> Christianes Geschichte in ihren eigenen Worten hier

Artikel über Christiane und den Prozess in der Süddeutschen

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

"aus der Rubrik 'Sex'" (welche denn auch sonst?)

Das verordnete Geschlecht:
Wie eine Frau offenbar ohne ihr Wissen zum Mann operiert wurde

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/411358

Christianes Geschichte in ihren eigenen Worten hier

Sunday, November 18 2007

Artikel über Intersexualität in DER SPIEGEL vom 19.11.2007

Menschenrechte auch für Zwitter!Die Zwitter Medien Offensive™ beginnt!

In der morgigen Ausgabe des Spiegels (Montag, 19. November 2007) erscheint ein Artikel über Intersexualität, der unter anderem auch Christiane Völlings Prozess behandelt. Nachtrag: Enthält zwar einige Schnitzer, auch werden z.T. menschenverachtende ExponentInnen aus Medizyn und Forschung einmal mehr als "neutrale ExperInnen" dargestellt, doch: Ein wichtiger Anfang ist gemacht!

Inzwischen ist der der Artikel auch (wieder) umsonst online!

Thursday, November 8 2007

Studie zur Situation Intersexueller beweist: Mediziner scheitern

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!Die Zwitter Medien Offensive™ war schon da!

Der Artikel in der TAZ vom 6. November 2007 (Kommentare nicht vergessen!) berichtet über die Ergebnisse der Hamburger Studie und zeigt wieder einmal:


Obwohl die Ergebnisse der Studie beweisen, dass die Medizin "mit ihrem Versuch, per Skalpell ein gesellschaftliches Problem zu lösen" gescheitert ist, findet kein wirkliches Umdenken statt. Prof. Hiort spricht von einem "Dilemma der Pädiatrie, aus dem es kein Entkommen gibt", nämlich, dass "Erwachsene über die Behandlung von Kindern entscheiden". Ich habe Mitleid mit den armen Erwachsenen/Mediziner, die weiterhin >>> Operationen (PDF 1.3mb – WARNUNG!) an Intersexuellen vornehmen "müssen"!

Es geht also wieder einmal nicht um die Perspektive der intersexuellen Kinder, vielmehr wird ihnen die Fähigkeit zur selbstbestimmten Entscheidung von vornherein abgesprochen. Zudem bezweifelt Prof. Hiort, "dass die Aktivisten, die ihre traumatischen Erfahrungen vor bis zu dreißig Jahren gemacht haben, für jene sprechen können, die heute mit nicht eindeutigem Genitale geboren und behandelt werden".

Wie gehabt heisst es also für die Mediziner weiterhin: Erwachsene Nicht-Intersexuelle entscheiden über Körper und Geist von intersexuellen Kindern. Und intersexuelle Erwachsene sollen gefälligst die Klappe halten! Denn diese sind vorsintflutliche Radaumacher, die aus einer Zeit stammen, wo die Ärzte noch ganz böse waren, was ja heute nicht mehr der Fall ist.

Das hatten wir doch schon: "Macht wird nicht gerne aus der Hand gegeben – schon gar nicht in Kinderhände" ...

Nachtrag: Inzwischen berichtete auch die Springer-Zeitschrift "Gynäkologische Endokrinologie" 04/2007: "Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist nach der Hamburger Intersex-Studie eklatant hoch."

Saturday, September 15 2007

Ich bin etwas anders und dennoch ziemlich gleich.

Menschenrechte auch für Zwitter!Schon praktisch, wenn die eigene Lebensgeschichte als Artikel in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde (siehe unten). Man kann dann darauf verweisen und muss nicht lange überlegen, was man jetzt erzählen will und wo man beginnen soll.

Ansonsten:

Die ersten Beiträge in meinem Blog sind selbstredend. Es geht nicht um mich, sondern um die Sache. Aber ich werde auch manchmal etwas von mir erzählen.

FrançaisEnglishVerein Zwischengeschlecht.orgSpendenMitglied werdenAktivitäten

>>> Aktion & Offener Brief Kinderspital Zürich, 6.7.08   (Bild: Ärger)

Artikel in der Annabelle 9/06 vom 10. Mai 2006:

(Ja, die Zwitter Medien Offensive gabs schon damals!)

Nicht Frau und nicht Mann

>>> Artikel als PDF

Sie ist ein Hermaphrodit, ein Zwitter mit Merkmalen beider Geschlechter. Über drei Jahrzehnte war ihr Dasein geprägt von Schweigen, Scham und den Schmerzen von Operationen, in denen die Ärzte sie äusserlich zur Frau formten. Dann endlich zerrte sie das Tabu ihres Lebens ans Tageslicht.

Text: Claudia Senn

Was sagt man als Arzt zu den Eltern, wenn ein Kind wie Nella zur Welt kommt? An dem alles dran ist, aber eben auch ein Zipfelchen zu viel: fünf Zehen an jedem Fuss, fünf Finger an jeder Hand, eine Klitoris, die grösser ist als normal, viel grösser. Sagt man: Gratuliere, Sie haben ein halbes Mädchen? Einen halben Jungen? Ein Bubenmeiteli?

Gleich nach der Geburt stellten die Ärzte fest, dass Nella keine Gebärmutter hatte und keine Eierstöcke, dafür Hodenanlagen im Inneren des Körpers. Ihre Vagina war sehr kurz, wie zugewachsen. Und ein Test ergab, dass sie xy-Chromosomen hatte, genetisch also ein Junge war. «Nennen Sie sie doch einfach Andrea», riet eine Krankenschwester den verstörten Eltern. «Das können Sie notfalls leicht in Andreas umwandeln.»

Nellas Eltern dachten wohl, sie hätten eine Art Monstrum geboren. Eine Missgeburt, so selten wie ein Kalb mit zwei Köpfen. Keiner sagte ihnen, dass so was häufiger vorkommt, als man denkt. Zwar gibt es keine genauen Zahlen, doch schätzen die Ärzte, dass etwa eines von 2000 bis eines von 5000 Kindern intersexuell ist, also Merkmale beider Geschlechter hat.

Meist weisen die Ärzte einem solchen Baby innert weniger Tage ein Geschlecht zu. Bei Nella fassten sie den Entschluss, dass aus ihr ein Mädchen werden sollte, auch wenn sie männliche Chromosomen hat. Denn es gibt eine einfache Regel in der plastischen Chirurgie: «It’s easier to make a hole than to built a pole» – es ist einfacher, eine Vagina herzustellen als einen Penis.

Vorerst entfernten sie dem Säugling jedoch nur die Hodenanlagen. Orchiektomie nennen die Ärzte diese Operation. «Ich nenne sie Kastration», sagt Nella.

Als das kleine Mädchen, das auch noch einen schweren Herzfehler hatte, nach drei Monaten Klinik endlich nach Hause entlassen wurde, litt es unter Hospitalismus. So nennt man das, wenn ein Kind nach langem Spitalaufenthalt aus Mangel an Liebe und Zuwendung vollkommen erloschen und verkümmert ist.

Heute ist Nella 38. Niemand, der es nicht weiss, käme auf die Idee, dass sie ein Hermaphrodit ist. Sie ist der sportliche Typ Frau, trägt Jeans und Kapuzenshirts, ist ungeschminkt, mit kurzen braunen Haaren.

Natürlich hat sie in Wirklichkeit einen anderen Namen. Sie zieht ein Pseudonym vor, weil sie keine Lust hat, nach der Publikation dieses Artikels Anrufe von sensationsgeilen Medien zu kriegen. Auch in ihrem Umfeld weiss längst nicht jeder, was mit ihr los ist. Immerhin hat sie es nach fünf harten Jahren Therapie geschafft, den engsten Freundeskreis einzuweihen. Das ist schon viel, wenn man sich ein Leben lang für abartig gehalten hat.

Wann beginnt ein intersexuelles Kind zu ahnen, dass es anders ist als die anderen? «Ich spürte es von Anfang an», sagt Nella. Schon als kleines Kind weiss sie instinktiv, dass mit ihren Genitalien etwas nicht stimmt. «Immer schauten die Erwachsenen da hin. Dauernd fummelten sie da unten rum. Ständig musste ich zum Arzt, der Nadeln und Katheter in mich hineinstach.» Niemals wird Nella von jemand anderem als den Eltern gehütet, denn ein Fremder könnte ja beim Wickeln ihre vergrösserte Klitoris entdecken. Andere Kinder kommen kaum zu Besuch, denn die könnten Doktor spielen wollen. Nella wird von allen abgeschirmt. Die Familie deckt ihr grösstes Geheimnis mit Stillschweigen zu. Manchmal betrachtet sich das kleine Mädchen nackt im Spiegel und rätselt: Was ist es nur, was mit mir nicht stimmt?

Instinktiv spürt Nella auch, dass es nicht ratsam ist, Fragen zu stellen. Sie denkt, dass mit ihr etwas sehr Schlimmes los sein muss, so schlimm, dass man es niemals aussprechen darf, weil sonst etwas Furchtbares geschieht. Früh lernt sie, «einfach nicht vorhanden» zu sein, wenn wieder ein Arzt, der nur die medizinische Sensation vor sich sieht und nicht das kleine Kind, zwischen ihren Beinen fuhrwerkt. Das Bild, das sie von sich selbst aus jener Zeit vor Augen hat, ist «ein mageres kleines Mädchen mit vor Angst weit aufgerissenen Augen, das niemals weint, niemals protestiert, stumm alles über sich ergehen lässt. Das bei allen ärztlichen Torturen verzweifelt versucht, sich auf den einen Gedanken zu konzentrieren: Es ist gleich vorbei.»

Als sie sieben ist, wird ihr kaputtes Herz operiert und bald darauf eine Genitalkorrektur vorgenommen. Es ist ein riskanter Eingriff. Die Ärzte nehmen dabei in Kauf, Nellas sexuelle Empfindungsfähigkeit für immer zu beeinträchtigen oder gar zu zerstören, wenn sie die für die Lust wichtigen Nervenbahnen verletzen.

Immer haben die Eltern Angst, dass über ihre Tochter getuschelt wird – wie in Nellas ersten Lebensjahren, als die Familie noch in einem engen katholischen Dorf lebte. «Die ist nicht normal», flüsterten da einmal Kinder, als die junge Mutter mit Nella im Kinderwagen an ihnen vorbeiging. Jetzt, wo die Familie in einer anonymeren Kleinstadt lebt, bleibt sie von solchen Gerüchten verschont. Nur einmal, als Nellas Mutter Streit mit der einzigen Verwandten hat, die in das Familiengeheimnis eingeweiht ist, droht die, öffentlich zu machen, «was Nella für eine ist». Nella steht daneben, stumm wie ein Möbelstück, und denkt: Aha, ich bin also abartig. Wenn die anderen das rausfinden, spucken sie mich an.

Sie ist ein wildes Kind zu dieser Zeit, fast ein wenig bubenhaft. Prügelt sich mit Jungs und erschreckt Mädchen mit langbeinigen Spinnen. Mit zehn ist sie zum ersten Mal in einen Jungen verliebt. Ganz allein steht sie auf dem Pausenplatz und denkt: Verliebt sein, nein, das geht bei mir nicht. So wie ich bin, kann ich niemals mit einem Bub zusammen sein.

Als sie zwölf ist, erklärt ihr der Arzt, dass man ihr als Baby die Eierstöcke habe entfernen müssen, weil die «bösartig» gewesen seien, und dass sie deshalb keine Kinder bekommen könne. Dass es in Wirklichkeit Hodenanlagen waren, wissen zu dieser Zeit nicht einmal die Eltern. Nella muss nun weibliche Hormone schlucken, ein Leben lang. «Sonst wäre ich irgendwie Kind geblieben, ein Neutrum.» Wie geplant wachsen ihr nun Brüste und runden sich die Hüften. Nella empfindet darüber überwältigende Scham. Später verringern die Ärzte einmal ihre Dosis, da leidet die junge Frau unter Wallungen, als wäre sie bereits in den Wechseljahren.

Als die Mutter die erste Menstruation der um ein Jahr jüngeren Schwester feiert, steht sie daneben, stumm. «Jetzt bist du eine richtige Frau», sagt die Mutter zu ihrer Schwester. Ich nicht, denkt Nella da zum ersten Mal, ich bin keine richtige Frau.

Sie zieht sich völlig zurück, ist immer allein und liest, in ihrer Ecke des Zimmers, das sie mit ihrer Schwester teilt. Freundschaften geht sie aus dem Weg, «aus Angst vor diesen ganz normalen Mädchenfragen wie: Nimmst du Tampons oder Binden?»

Eines Tages sollen Schreibtische für das Zimmer der Schwestern angeschafft werden. Platz gibt es jedoch nicht für zwei, sondern nur für einen einzigen. «Den darf Nella haben», beschliesst der Vater, «Nella wird ja später sowieso nicht ausziehen.» Nella steht daneben, wie immer stumm, und fühlt sich, als habe der Vater ihr soeben eine Ohrfeige verpasst. Ich bin also nicht nur keine richtige Frau, denkt sie, sondern ich habe auch keine Zukunft.

Doch dann bekommt sie endlich einen ersten konkreten Hinweis darauf, was mit ihr nicht stimmt. Die Mutter trägt ihr auf, den Hausarzt zu fragen, warum man ihr denn die Eierstöcke entfernt habe. Das sei doch bestimmt gar nicht notwendig gewesen. «Das waren gar keine Eierstöcke, das waren Hoden!», blafft der verärgerte Arzt und verlässt das Zimmer. Nella, 15 Jahre alt, bleibt allein zurück, geschockt, ratlos, aber nicht wirklich überrascht. Vor sich auf dem Tisch sieht sie ihre Krankenakte liegen. Sie wirft einen verstohlenen Blick hinein und liest zum ersten Mal, welchen Namen ihre «Krankheit» hat: Pseudohermaphroditismus masculinus. Daneben steht der Vermerk: «Die Diagnose ist der Patientin auf keinen Fall mitzuteilen.»

Dann kommt der Arzt zurück und sagt – nichts. Nella geht nach Hause und erzählt – nichts. In ihrem Kopf beginnt es zu rattern wie verrückt. Heimlich sucht sie überall nach Informationen, bezieht Dinge auf sich, die nichts mit ihrem Krankheitsbild zu tun haben, und hat bald «ein Riesengetto» im Kopf, das alles nur noch schlimmer macht. Nachts liegt sie wach, starr vor – unbegründeter – Angst, dass ihr demnächst ein Penis wachsen könnte.

Wenn Nella von ihrer Kindheit erzählt, wird spürbar, was für eine Wut sich in ihr angestaut hat. Auf die Ärzte, die ihr all die Jahre nicht die Wahrheit sagten, sondern nur ein absurdes Gemisch aus Lügen, Andeutungen und Halbwahrheiten. Auf die Eltern, die aus Scham und Hilflosigkeit striktes Stillschweigen breiteten über Nellas Andersartigkeit und damit ihre Tochter in die Isolation trieben. Auf sich selbst, weil sie in ihrer Not alle Gefühle und Bedürfnisse von sich abspaltete und stumm war wie ein Möbelstück.

Und doch war da etwas, was ihr ein Gefühl physischen Lebendigseins gab. Mit 17 entdeckt Nella, die nun die Handelsschule besucht, dass sie sich selbst befriedigen kann. Ein überwältigender Triumph! Ihr habt gemeint, ihr könnt mich kaputtmachen mit eurem Rumgeschnippel, denkt sie glücklich, aber es geht doch! Genau wie bei den anderen! Das konntet ihr mir nicht nehmen! Doch ist das, was ihr allein so viel Freude macht, auch mit einem Partner möglich? In einem Buch informiert sie sich über Penisgrössen und erfährt: Mit ihrer verkürzten Scheide «geht das nie und nimmer». Auch die Ärzte sagen, dass sie «so» nie einen Freund haben könne, und raten zu einer weiteren Operation.

Es ist ein traumatischer Eingriff. Obwohl sie die Operation so schnell wie möglich aus ihrem Bewusstsein zu löschen versucht, hat sie noch Jahre später Alpträume, in denen ihr Unterkörper brutal abgetrennt und verkehrt herum wieder angeschraubt wird. Nach dem Eingriff muss sie Tag und Nacht eine Art Dildo tragen, damit ihre blutende, mit einem Stück Gesässhaut ausgekleidete Scheide nicht wieder zuwächst. «Das Ziel dieser Operation ist es, eine Penetration möglich zu machen», sagt Nella. «Die Resultate sind jedoch oft unbefriedigend. Viele haben furchtbare Schmerzen. Die Scheide kann sich nach einiger Zeit wieder zusammenziehen. Man leidet unter Vernarbungen.» In der Selbsthilfegruppe, in der sie sich viele Jahre später mit Leidensgefährtinnen austauscht, nennen sie die Operation zynisch «fickfertig machen».

Doch damals, als sie aus dem Spital kommt, denkt sie erst, dass nun endlich alles gut ist. Endlich hat sie ihre Vagina. Endlich kann sie mit einem Mann schlafen. Endlich kann ihr keiner mehr vorwerfen, sie sei keine richtige Frau.

Während eines Sprachaufenthalts in Paris lernt sie ihren Freund kennen, mit dem sie noch heute zusammenlebt. Nach dem ersten Sex ist sie wahnsinnig erleichtert. Es funktioniert! Sie funktioniert!

Doch bleibt Sex für sie etwas Mechanisches. Rein, raus, eruptiv, wild im besten Fall. Sie kann Lust erleben, aber nicht diesen entspannten zweisamen Rausch, für den man sich ganz fallen lassen muss. «Ich möchte ja gern», sagt sie. «Ich würde mich so gern öffnen, erlöst werden von einem anderen aus der Einsamkeit. Doch ich kriege immer gleich solche Angst, wenn jemand zärtlich zu mir ist.» Zu lange hat sie ihren geschundenen Körper gehasst, als dass ihn jetzt plötzlich jemand lieben dürfte. «Ich möchte ihn einfach niemandem zumuten», sagt sie. Nie im Leben würde sie ihren Körper nackt in einer Sauna zeigen oder ihm sogar eine Massage gönnen.

Ihrem Freund hat sie lange vorgeworfen, er zeige zu wenig Gefühl, sei zu distanziert. «Doch mit einem Mann, der ständig mit mir ins Bett will oder kuscheln, hätte ich gar nicht umgehen können. Der hätte ja das, was ich die ganze Zeit zu verdrängen versuchte, heraufholen wollen.» Am Anfang der Beziehung klärt sie ihn kurz darüber auf, dass sie intersexuell ist, keine Kinder kriegen kann und mehrere Operationen hatte. Danach spricht sie nur noch selten darüber.

Mit 20 zieht Nella von zu Hause aus und folgt ihrem Freund nach Zürich. Kaum der beklemmenden Familienatmosphäre entronnen, macht sie eine für sie ganz und gar überraschende Entdeckung: Sie ist intelligent. Auf dem zweiten Bildungsweg holt sie die Matura nach und schliesst als Beste ihres Jahrgangs ab. Danach schreibt sie sich an der Uni für Geschichte ein. Sie ist die Erste in ihrer Familie, die studiert. Ausgerechnet sie, der Zwitter!

An der Uni merkt sie, dass sie der Stoff fasziniert. Das ist genau mein Ding!, denkt sie. Doch neben ihrer Begeisterung lauert immer auch die Angst, enttarnt zu werden. Ist eine intellektuelle Frau nicht verdächtig? Eine Frau, die Karriere machen will wie ein Mann? Die, mit anderen Worten, gar keine richtige Frau ist?

Nella beobachtet sich sowieso schon täglich im Spiegel. Ihre Augenbrauen, die über der Nasenwurzel zusammenwachsen wie bei einem Mann. Die Schultern, die ihr zu breit vorkommen. Den Bizeps, der ihr zu kräftig erscheint. Aus der Angst heraus, nicht genug Frau zu sein, schmeisst sie schliesslich ihr Studium hin und nimmt einen Teilzeitjob an. Den Rest der Zeit ist sie Hausfrau, putzt, bügelt, bereitet aufwändige Abendessen. «Im Grunde genommen habe ich mich als graue Maus inszeniert, als die Karikatur einer Frau.»

Doch die verdrängten Gefühle bahnen sich ihren Weg an die Oberfläche in Form von massiven Zwangsgedanken. Wenn ich diesen Putzlappen nicht zehnmal auswasche, geschieht ein Unglück, denkt Nella. Sie ist erschöpft, fühlt sich «so wertlos wie ein Stück Scheisse». Wenn sie überhaupt noch aus dem Bett kommt, trinkt und raucht sie ohne Limit. Gleichzeitig ist sie so aggressiv, dass sie Angst hat, Amok zu laufen. Einmal steht ihr im Tram jemand einen Moment lang im Weg, da möchte sie ihm am liebsten die Faust in die Fresse rammen. «Ich fühlte mich wie eine Zeitbombe, die jeden Moment hochgehen kann.»

Mit 33 Jahren zieht Nella die Notbremse und beginnt eine Therapie. Fünf Jahre kämpft sie dreimal die Woche dagegen, stumm zu sein wie ein Möbelstück. Als sie das grosse Tabu ihres Lebens Stück für Stück ans Licht zerrt, kommt ihr das erst vor wie ein gigantischer Verrat. Etwa zur selben Zeit tut sie etwas, was sie schon lang hätte tun können, wenn sie es nur gewagt hätte: Sie gibt bei Google den Begriff ein, den sie in ihrer Krankenakte gelesen hat: Pseudohermaphroditismus masculinus. Da tut sich eine ganze Welt auf! Selbsthilfegruppen, Intersexuellen-Netzwerke, Informationsforen. Es gibt noch mehr Menschen wie sie! Allein in der Schweiz müssen es Hunderte sein! «Ich war unglaublich aufgewühlt.»

Niemals wird sie den Moment vergessen, als sie ihr erstes E-Mail an eine Selbsthilfegruppe abschickt. Die Freude und auch die rasende Angst, durch einen einzigen Mausklick aus einem Leben voller Schweigen und Verdrängung hinauszutreten!

Es ändert alles. Es ist, als käme sie nach lebenslangem Umherirren endlich heim. Beim ersten Treffen sitzt sie mit ihren Leidensgefährten im Restaurant und könnte platzen vor Glück. Sie ist nicht mehr allein, alle haben Ähnliches erlebt wie sie. Dieselben Schmerzen, dieselben Lügen über «bösartige» Eierstöcke, derselbe Vermerk in der Krankenakte: «Die Diagnose ist der Patientin auf keinen Fall mitzuteilen.»

Manche haben einen trotzigen Humor bewahrt. Wenn sie aufs Klo gehen, sagen sie: «Ich muss mal für kleine Zwitter.» Das findet Nella wahnsinnig befreiend. Es ist, als würden sie der Gesellschaft ein Schnippchen schlagen: Ätsch, ihr habt uns nicht kleingekriegt. Selbst nach den schlimmsten Erfahrungen kann man noch lachen.

Mit einigen ihrer neuen Freunde chattet sie nun jeden Tag. Das macht der Isolation ein Ende. Aber es löst nicht die Verwirrung. Sie fühlt sich nicht mehr als «Mogelpackung». Aber was ist sie dann? «Völlig weibliche psycho-sexuelle Identität» steht in ihrer Krankenakte. Nella geht in die Luft, wenn sie das liest. «Diese Anmassung der Ärzte, was wissen die schon!» Sie weiss zurzeit nicht mal, ob sie Männer oder Frauen liebt. Sie fühlt nicht wie eine Frau. Sie fühlt auch nicht wie ein Mann. «Ich bin etwas Drittes. Ich bin ein Hermaphrodit.» Das würde sie am liebsten allen sagen, nur ist die Gesellschaft leider nicht bereit dafür. Die Gesellschaft sieht Intersexualität als Krankheit, nicht als Variation der Natur. Was hätten ihre Eltern denn tun sollen? Sie nicht operieren lassen? «Ich weiss es nicht», sagt Nella. Auch ohne Operation wäre es in der Pubertät vielleicht schwierig geworden, falls das in ihren Hoden gebildete Testosteron zu Bartwuchs und Stimmbruch geführt hätte.

Aus ihrer Gruppe kennt sie ein Kind, dessen Eltern mit seiner Intersexualität völlig offen umgehen und es keiner medizinischen Behandlung aussetzen. «Du bist ein ungewöhnliches Mädchen», haben sie zu ihm gesagt, «du hast manches von einem Jungen. Wenn du grösser bist, kannst du dir aussuchen, ob du ein Mädchen oder ein Junge sein willst.» Nella findet das sehr mutig. Doch auch dieses Kind wird es schwer haben, wenn seine Schulkameraden eines Tages beim Duschen sagen: Hey, was hast du denn da zwischen den Beinen?

«Wahrscheinlich gibt es für das Problem, das die Gesellschaft mit uns hat, keine schnelle Lösung», sagt Nella.

Sie wünscht sich, die Gesellschaft könnte es ertragen, Menschen wie sie einfach in Ruhe zu lassen. Dann müsste sie keine Hormone schlucken. Dann hätte sie keine Narben. Dann fehlte ihr nicht so sehr das Fundament für eine stabile Identität. «Stattdessen hätte ich dieses Gefühl, ich wäre ganz. Ich wäre ich selbst. Alles wäre da.»

Es fühlt sich so gut an in ihrer Fantasie.

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Das diktierte Geschlecht

Ob aus einem Embryo ein Mädchen oder ein Junge wird, steuert ein komplexes genetisches Programm, das in bestimmten Entwicklungsphasen die Ausschüttung von Hormonen anregt. Geht dabei etwas schief, kann der Embryo Merkmale beider Geschlechter entwickeln.

Zu den häufigsten Formender Intersexualität gehört die partielle Androgenresistenz (PAIS) wie bei Nella. Sie hat xy-Chromosomen, ist also genetisch männlich. Gleichzeitig sind die Zellen ihres Körpers aber teilweise resistent gegen männliche Hormone, sodass diese im Mutterleib nicht richtig «wirken» konnten. Eine Folge davon ist ein nicht eindeutiges Genital.

Die Praxis, intersexuelle Kinder so früh wie möglich einem Geschlecht zuzuordnen und zu operieren, geht auf eine – heute widerlegte – Theorie des US-Sexualforschers John Money zurück. Money glaubte, die geschlechtliche Identität sei das Ergebnis sozialer Prägung. Der Mensch komme sozusagen als Neutrum zur Welt und lerne erst von seinen Eltern, sich als Mädchen oder Junge zu fühlen. Damit die Eltern ihm eine eindeutige Geschlechtsidentität vermitteln könnten, müsse ein nicht eindeutiges Genital so schnell wie möglich operiert werden – und das Kind dürfe anschliessend auf keinen Fall davon erfahren.

Viele Geschlechtszuweisungen erweisen sich jedoch als falsch, und die Betroffenen leiden ein Leben lang physisch und psychisch darunter. Obwohl die Mikrochirurgie grosse Fortschritte gemacht hat, haben Genitalkorrekturen auch heute noch häufig zur Folge, dass das sexuelle Lustempfinden verloren geht oder dass sexuelle Erregung als schmerzhaft wahrgenommen wird. Und die körperfremden Hormone, die viele Intersexuelle nach einer Kastration lebenslänglich einnehmen müssen, haben schwere Nebenwirkungen zur Folge.

Fortschrittliche Ärzte sprechen sich heute dafür aus, einem intersexuellen Kind ein vorläufiges Geschlecht zuzuweisen, dieses aber nicht vor der Pubertät mit Operationen festzulegen, sodass das Kind selbst entscheiden kann, ob es als Mann oder Frau (oder weiter als Hermaphrodit) leben will.

Mehr Informationen www.infointersex.ch: Die Website ist noch im Aufbau, enthält aber hervorragende Links mit Adressen von Selbsthilfegruppen und Forschungsnetzwerken sowie Literaturtipps.

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