Genitaloperationen:
Eingriffe haben sich in vier Jahren
verdoppelt
Schönheitsoperationen unter der Gürtellinie
nehmen zu. Ärzte warnen vor den Risiken
Von Achim Wüsthof
Im Wartezimmer einer Zürcher Frauenarztpraxis taucht auf einem grossen
Flachbildschirm in regelmässigen Abständen ein auf Hochglanz polierter Apfel
vor einem nackten weiblichen Hinterteil auf. Darunter prangt der Hinweis, dass
Enthaarung wichtig für die Berührung sei. Das Video rät weiter zur Straffung
der Brust, um das Selbstbewusstsein der Frau zu stärken. Und es wäre nicht
verwunderlich, wenn demnächst dort auch noch die operativen
Korrekturmöglichkeiten im Intimbereich beworben würden.
Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führt dazu, dass Frauen und
Männer zunehmend die Hilfe von Chirurgen in Anspruch nehmen. Und zwar nicht nur
um Falten, Tränensäcke oder Fettpolster loszuwerden, sondern um auch «unten
herum» vermeintlich normaler oder schöner zu werden. Nicht zuletzt durch die
voll- oder teilrasierte Scham merken manche Frauen überhaupt erst, dass zum
Beispiel ihre kleinen Schamlippen weiter hervorstehen als bei anderen. Die
kleine Abweichung von der Norm wird schnell als störend empfunden, auch wenn es
sich dabei meist um eine Variante der Natur handelt.
Der auch von den Medien geschürte Leidensdruck treibt dann verunsicherte
Frauen in die Arme von Chirurgen, die nicht nur Schamlippen verkleinern (siehe
Grafik) oder vergrössern, sondern auch die Scheide verengen, Fett am Schamhügel
absaugen, die Klitorisvorhaut reduzieren, Kollagen unter den G-Punkt spritzen
und das Jungfernhäutchen rekonstruieren. Dabei rechtfertigen sich Patientinnen
und Ärzte gleichermassen, es gehe ihnen nicht nur ums Aussehen, sondern um eine
Verbesserung der Sexualität.
Resultat der Operation waren zerstückelte
Schamlippen
Gemäss der amerikanischen Gesellschaft für plastische Chirurgie liegt die
jährliche Steigerungsrate bei diesen Eingriffen bei etwa 30 Prozent. In
Deutschland werden jährlich mindestens 1000 Schamlippenstraffungen aus
kosmetischen Gründen durchgeführt, Tendenz ebenfalls steigend. Selbst im
staatlichen englischen National Health Service hat sich die Zahl dieses
Eingriffs innerhalb von vier Jahren verdoppelt. Da die Mehrzahl dieser
Operationen wahrscheinlich in Privatkliniken stattfindet, dürfte die
Dunkelziffer wesentlich höher liegen.
Für die Schweiz liegen keine genauen Zahlen vor. Immerhin: Das unabhängige
Beratungszentrum für Plastische Chirurgie Acredis hatte 2007 noch keine
Anfragen zu diesem Thema, im vergangenen Jahr waren es 31, und dieses Jahr
scheint sich die Zahl der Ratsuchenden zu verdoppeln. Auch immer häufiger
lassen sich Männer den Penis operativ verlängern. Die Website eines plastischen
Chirurgen wirbt damit, dass die sichtbare Penisvergrösserung zu mehr
«Selbstsicherheit, Zufriedenheit und Lebensglück» führt.
So ähnlich hatte sich auch Sandra T. die Auswirkung einer Genitaloperation
vorgestellt. Seit ihrer Jugend schämt sie sich wegen ihrer ausgeprägten
Schamlippen, die sie beim Tragen eines Bikinis oder in engen Jeans stören.
Jahrelang traut sie sich nicht, das Problem bei ihrem Frauenarzt anzusprechen.
Als sie dann schliesslich bei einer Vertretungsärztin den Mut fasst, sich über
ihre «überdimensional grossen Lappen» zu beklagen, wird sie umgehend zu einem
Spezialisten überwiesen.
Doch sie landet in einer Klinik, in der die Ärzte wenig Erfahrung mit den
Operationstechniken haben. Der Eingriff misslingt. Die Studentin hat hinterher
zerstückelte und sogar durchlöcherte Schamlippen, sodass nachoperiert werden
muss. Abgesehen von der damit verbundenen Aufregung ist auch das kosmetische
Ergebnis unbefriedigend, eine weitere plastische Operation steht noch an. In
ihrem Bericht, den das Fachblatt «Frauenheilkunde Aktuell» abdruckt, schreibt
Sandra T.: «Ich würde mich sehr freuen, wenn ich helfen kann, dass mein Fall
sich nicht so oft wiederholen wird.»
In den Kliniken, die sich auf die vaginale Schönheitschirurgie spezialisiert
haben, werden die Risiken naturgemäss heruntergespielt. Die Angst vor
Komplikationen könnte sich geschäftsschädigend auswirken. An einer
Schamlippenkorrektur lässt sich gut verdienen - der Eingriff kostet zwischen
4500 und 6000 Franken.
Auf der Homepage der Frauenärztin Martine Fankhauser in Lausanne
beispielsweise erfahren potenzielle Kundinnen lediglich, dass die Eingriffe zu
einem Bluterguss und in seltenen Fällen zu einer Infektion, einer
Gewebsschädigung oder einem asymmetrischen Ergebnis führen können.
Viele hoffen, sexuelle Probleme liessen sich
wegoperieren
Doch häufig sind es Narben und Verwachsungen, die im sensiblen Bereich
Probleme machen können - auch später bei der Geburt eines Kindes. «Wir haben
schon Patientinnen mit chronischen Schmerzen nach einer solchen Operation
gesehen; auch Nervenschädigungen sind möglich, sodass es zu Taubheitsgefühlen
und damit verbundenen sexuellen Funktionsstörungen kommen kann», sagt Daniel
Fink, Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie am Universitätsspital Zürich. Er
findet, dass Operationen an den Genitalien eigentlich nur beim Vorliegen eines
Tumors oder bei Verletzungen gerechtfertigt sind. Auch die Fachgesellschaft der
nordamerikanischen Frauenärzte warnte bereits 2007 in einer Veröffentlichung
vor ästhetischen Eingriffen im Genitalbereich, da es keine soliden
wissenschaftlichen Daten über deren Effektivität und Sicherheit gebe.
Wieso wollen aber viele Patientinnen so etwas gar nicht hören und lassen an
sich herumschnippeln, teilweise auch noch von gering qualifizierten Ärzten?
«Viele Menschen hoffen, dass sich ihre sexuellen und seelischen Probleme
einfach wegoperieren lassen und so das grosse Glück beginnen kann», sagt Ada
Borkenhagen von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Soziologie der
Universität Leipzig. In unserer Gesellschaft sei der Erwartungsdruck sehr
gross, beim Sex stets einen Orgasmus zu erreichen.
Wenn das nicht so funktioniert, werden zum Teil die Geschlechtsorgane dafür
verantwortlich gemacht. In der Regel ist dies ein Trugschluss, denn die
Beschaffenheit der Genitalien hat mit sexueller Lust meist rein gar nichts zu
tun. Genauso wenig wie die Penisgrösse mit Erektionsstörungen oder vorzeitigem
Samenerguss. Auch das Einspritzen von Kollagen in der Region des G-Punktes - um
die Orgasmusfähigkeit zu steigern - ist mehr als umstritten.
Frauen schieben oft praktische Gründe bei
Operationen vor
Aus kulturell-religiösen Gründen wiederum hat das Jungfernhäutchen eine
besondere Bedeutung, da hauptsächlich von muslimischen Frauen erwartet wird,
dass sie «rein» ihre Ehe beginnen. Wenn sie allerdings schon sexuelle
Erfahrungen hatten, dann können Ärzte ihre Gewissensnöte durchaus mithilfe von
Nahtmaterial heilen.
Auch bei den anderen Genitaloperationen schieben Frauen oft praktische
Gründe vor, weshalb sie etwa ihre üppigen Schamlippen loswerden wollen. Für die
Psychologin Borkenhagen offenbart sich hier ein Geschlechterunterschied: «Kein
Mann würde auf die Idee kommen, seinen Penis operativ verkleinern zu lassen,
nur weil er beim Velofahren drückt.»
Publiziert am 14.06.2009
© SonntagsZeitung
Siehe auch:
-
Medien: Warnung vor (weiblichen) Genitaloperationen