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Saturday, May 2 2009

"Das dritte Geschlecht" - SPUREN Nr. 74 (2004)

Die Zwitter Medien Offensive™ war schon da!

"Wenn man die Bundesverfassung beherzigen würde, dürfte kein Arzt mehr ungestraft eine Zwangsoperation durchführen"

>>> Spuren – Magazin für neues Bewusstsein  Gelungener Artikel unter Mitwirkung von Karin Plattner und der schweizerischen Elternselbsthilfe Intersexualität. Der Autor Claude Jaermann lässt sie Klartext reden und tut es selber auch (meine Hervorhebungen). (Nachtrag: Auch das Grundgesetz verbietet Zwangsoperationen, vgl. unten.)

Die Ärzte [...] pochten weiterhin auf eine Operation: zu grosse Klitoris verkleinern, Schamlippen anpassen und in der Pubertät die Vagina erstellen – es musste ein Mädchen werden. Auf Jolandas Frage, ob ihr Kind denn mit einer solchen Operation überhaupt einmal Empfindungen haben könne beim Lieben, drucksten die Ärzte herum. Die Chancen stünden gut, aber so genau wisse man das halt nicht. Was Jolanda noch heute fast vom Stuhl haut, war die Aussage eines Arztes, dass es für einen Mann schlimmer sei, nicht im Stehen pinkeln zu können, als es für eine Frau sei, beim Geschlechtsverkehr nichts zu verspüren. Eine Frau könne damit besser umgehen…

Fassungslos notiere ich mir das eben Gesagte. Jolanda bekam es vor fünf Jahren [1999] von einem Arzt in der Schweiz zu hören. Ich wähne mich im Mittelalter – muss mich jedoch umgehend korrigieren. Im Mittelalter waren intersexuelle Kinder besser dran als heute. Sie durften so aufwachsen, wie sie waren. [...]

Jolanda fragte die Ärzte, ob es denn aus rein medizinischer Sicht einen Grund gebe, ihr Kind operieren zu lassen. Das wurde verneint. Auch Jolandas Mann, der bis dahin eher Befürworter einer Operation war, beschlichen langsam Zweifel. Jolandas Vater begann im Internet zu suchen und fand unter dem Begriff Hermaphrodit Informationen, welche die Eltern dankbar aufnahmen. Sie wussten plötzlich, dass ihr Kind intersexuell ist und dass es Selbsthilfegruppen gab. Umgehend nahmen sie Kontakt auf mit «XY-Frauen», einer Organisation in Deutschland, die aus intersexuellen Betroffenen besteht. Sie gingen an ein Treffen und erfuhren von den tragischen Schicksalen, von unzähligen Operationen, von Schmerzen, von der Suche nach der Geschlechtszugehörigkeit. Von diesem Abend an war auch für Jolandas Mann klar: Unser Kind wird auf keinen Fall operiert. Wenige Tage vor dem geplanten Operationstermin sagten sie den verdutzten Ärzten ab. Noch heute wollen die Mediziner das Kind alle Jahre sehen und vor allem untersuchen, was die Eltern jedoch nicht zulassen. «Reden, ja,» meint Jolanda, «aber keine Beobachtung oder gar Untersuchung der Genitalien.» [...]

Wenn man den 10. Artikel der Schweizer Bundesverfassung, Abschnitt 2 beherzigen würde, dürfte kein Arzt unbestraft eine Operation mehr durchführen. Denn dort steht geschrieben: Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Dem ist nichts hinzuzufügen.

[ Nachtrag >>> Deutsches Grundgesetz (Art. 1.1, 2.1, 2.2 und 2.3). In Österreich ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit zwar "anerkanntes höchstrangiges öffentliches Interesse", aber "kein explizites Grundrecht" ]

>>> http://spuren.ch/content/magazin/single-ansicht-nachrichten/datum////das-dritte-geschlecht.html


Die zum Schluss des Artikels erwähnte, von Kathrin Zehnder organisierte Interdisziplinäre Tagung an der Universität Freiburg/CH bildete übrigens den Ausgangspunkt für eine empfehlenswerte Buchveröffentlichung: Michael Groneberg / Kathrin Zehnder (Hrsg.): «Intersex» - Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes? Erfahrungen und Analysen.

>>> Rezi bei Kitty      >>> Page des Verlages

Wednesday, March 4 2009

Reitschule Bern zeigt ganzen März Zwitterfilme

Die Reitschule Bern ist ein selbstverwaltetes Kulturzentrum mit einer im wahrsten Sinne des Wortes bewegten Geschichte seit über 25 Jahren. Das Kino in der Reitschule widmet seinen Zyklus für den Monat Märzden Zwittern! Danke!!!

Am Do 5.3. gibt es zudem um 19:30h eine Einführung ins Thema durch die versierte Sozialwissenschaftlerin Kathrin Zehnder, unter Zwittern bekannt u.a. als Co-Herausgeberin des empfehlenswerten Buches "Intersex". Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes?, das u.a. auch einen Beitrag von Karin Plattner von der Schweizerischen Elternselbsthilfe enthält.

Im Anschluss ist eine Diskussion vorgesehen – schön wäre es, wenn darauf auch in Bern die am dortigen Inselspital trotz gegenteiliger Lippenbekenntisse nach wie vor praktizierten genitalen Zwangsoperationen vermehrt öffentlich kritisch hinterfragt würden oder gar konkret politisch unter Beschuss gerieten ...

Nachfolgend ein Überblick über den Zyklus und die einzelnen Filme.

Aus der Einleitung zum Filmzyklus:

In der Schweiz leben zwischen 8000 und 20 000 Menschen, die medizinisch nicht klar geschlechtlich einordbar sind. Im Filmzyklus Intersexualität möchten wir intersexuellen Menschen eine Stimme geben und Filme zum Thema zusammen schauen. Was ist Geschlecht eigentlich? Gibt es wirklich nur die zwei, die auf Formularen anzukreuzen sind oder müssen wir unsere Geschlechterkonzepte überdenken?

Einmal mehr scheint es also womöglich (noch) eher um die "Feinheiten von Gender" zu gehen als um den aktuellen Kampf der Zwitter gegen genitale Zwangsoperationen und um Selbstbestimmung. Das Programm jedoch ist hochkarätig – und böte eigentlich zur Genüge Material aus erster Hand für einen kurzen Überblick über mehr als ein Jahrzehnt politischen Zwitterkampf:

Im Eröffnungsfilm "Die Katze wäre eher ein Vogel" (2007) am Do 5.3. / Fr 6.3. / Sa 28.3. erzählt u.a. ein Urgestein des organiserten Zwittertums, die Mitbegründerin von XY-Frauen und Intersexuelle Menschen e.V., Katrin Ann Kunze (siehe auch: Die Zeit 00 / Freitag 44/02). Weitere Interviewte sind unter anderem Lucie Veith (siehe auch: OB Netzwerk Sept 07 / taz 6.11.07 / Deutschlandfunk 6.7.08), Co-Autorin des Schattenberichts, der diesen Januar in Genf vor der Uno verhandelt und von der schweizerischen Gruppe Zwischengeschlecht.org mit Mahnwachen und einer Demo begleitet wurde, und Christiane Völling (im Film noch Thomas), die in Köln 2008 in zweiter Instanz einen vielbeachteten, beispiellosen Prozess gewann gegen den Chirurgen, der ihr – wie bei Zwittern üblich – ohne ihre informierte Einwilligung die inneren Geschlechtsorgane entfernte und sie dadurch laut Gericht "schuldhaft in [ihrem] Selbstbestimmungsrecht verletzt[e]" (siehe auch: Christianes Geschichte / Planetopia 16.12.07 Video / Kulturzeit 25.6.08).

Fr 6.3. / Sa 28.3. läuft mit "Das verordnete Geschlecht" (2001) DER deutschsprachige Zwitterfilm überhaupt, mit Interviews und Berichten von politischen und anderen Aktionen u.a. mit Michel Reiter, der mit Heike Bödeker in der Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG) 1996 die deutschsprachige Zwitterbewegung überhaupt begründete, und mit seinem Aufsehen erregenden Prozess über zwei Instanzen um sein Recht auf Personenstand "zwittrig" das Thema der massiven Menschenrechtsverletzungen an Zwittern zu Beginn des 21. Jahrhunderts erstmals einer breiteren Öffentlichkeit nahebrachte (siehe auch: Zeit-Magazin 28.1.99 / GEO Wissen 26/00 / Arranca 14 / Vortrag 30.6.00). Michel Reiter hielt viele Vorträge, u.a. am 3.7.01 auch einen in der Reitschule (PDF-Download) ...
Ebenfalls mit von der Partie: Elisabeth "Hermaphrodit Müller, bitte, ich bin keine Frau", ebenfalls Mitbegründerin von XY-Frauen und Intersexuelle Menschen e.V., heute noch als Aktivistin dabei, aus Funk und Fernsehen auch bekannt als "Zwitter Eli" sowie berühmt für ihre Zarah Leander-Adaption "Kann ein Zwitter Sünde sein?" (siehe auch: dradio 20.3.06 / advaita 14/06 (PDF) / MDR 18.1.08 (mp3 15.1 MB)
Weiter bemerkenswert an diesem Film: Co-Filmemacher Oliver Tolmein, Rechtsanwalt und Publizist u.a. mit einem exzellenten Blog "Biopolitik" auf FAZ-Online, der sich nach wie vor engagiert für die Menschenrechte (auch) der Zwitter einsetzt.

Sa 7.3. / Sa 14.3. / Fr 20.3. zeichnet "Erik(A) - der Mann, der Weltmeisterin wurde" (2005) die Geschichte der erfolgreichen österreichischen Sportlerin Schinegger nach, die nach einer Geschlechtskontrolle des Olympischen Komitees als "Scheinzwitter" mit männlichem Chromosomensatz von der Teilnahme ausgeschlossen wurde, sich darauf freiwillig Operationen unterzog und anschliessend als Mann seine Karriere fortsetzte. Eine aussergewöhnliche Biographie, die auf den ersten Blick nichts mit dem Kampf der Zwitter zu tun hat – ausser, dass sie treffend illustriert, wieviel besser es Zwittern geht, wenn sie das Glück haben, nicht als Kinder zwangskastriert und zwangsoperiert werden, sondern untraumatisiert aufwachsen und später möglichst freie Entscheidungen über sich selbst treffen können – für die allermeisten Zwitter nach wie vor eine Utopie, wie auch ein aktuelles, denkwürdiges scheinbares Dementi aus dem Inselspital einmal mehr beweist.

Ebenfalls aus Österreich kommt der am Fr 13.3. / Do 19.3. gezeigte "Tintenfischalarm" (2005) und erzählt die bewegende Geschichte von Alex, dem wie so vielen anderen Zwitterkindern mit der "Begründung" "Pseudohermaphroditus masculinus" die Hoden und das Lustorgan kurzerhand amputiert wurden, damit das "uneindeutige" Kind künftig als Mädchen durchginge. Auch bei Alex ein letztlich vergebliches, für das Opfer aber extrem schmerzhaftes und zerstörerisches "Experiment" scheinbar mitgefühlloser Medizyner. Alex beginnt eine Flucht nach vorn und entkommt so dem Schicksal von über 30% seiner Geschlechtsgenoss_innen, die sich selbst das Leben nehmen (siehe auch: Alex Jürgens Geschichte / "Tintenfischalarm"-Bio 2006 / Presseheft (DOC). Alex ist Mitbegründer der österreichischen Selbsthilfegruppe intersex.at.

Mit "XXY" (2007) steht zu guter Letzt Sa 21.3. / Fr 27.3. der wohl allererste SPIELFILM über einen Zwitter (Nachtrag: Diese Ehre gehört "Both" (2005) von Lisett Barcellos) im Programm, der letztes Jahr zu Recht weltweit Furore machte. Trotz des leider unglücklich gewählten, missverständlichen und nicht ganz ungefährlichen Titels (ein herzliches Dankeschön in dieser Beziehung an den CH-Verleiher Xenix, der seiner Verantwortung gerecht wurde und aktiv mithalf, Medien und Öffentlichkeit zu informieren – ein Beispiel, das darauf auch in Deutschland Schule machte!) waren die allermeisten Zwitter von dem stimmungsvollen Film begeistert und feierten ihn als "menschlichen Film über Zwitter". Eine Zwitter-Utopie, wo endlich einmal auch zwischengeschlechtliche Menschen so richtig mit einer Protagonist_in mitfiebern können, die_der allen Schwierigkeiten zum Trotz schliesslich von beiden Eltern so akzeptiert wird, wie sie_er ist, den drohenden Zwangsoperationen (einmal mehr) glücklich entgeht und sein_ihr Selbstbestimmungsrecht erfolgreich durchsetzen kann! Zwitter-Aktivist_innen nahmen "XXY" international als Aufhänger, um auf ihren Kampf gegen genitale Zwangsoperationen öffentlich aufmerksam zu machen.

Wer übrigens im Zwitter-Zyklus des Reitschule-Kinos Beiträge zur schweizer Zwitterbewegung um Zwischengeschlecht.org und intersex.ch vermisst, von der in den letzten 18 Monaten auch über die Landesgrenzen hinaus entscheidende Impulse ausgingen, die u.a. auch die Berliner "Gigi, Zeitschrift für sexuelle Emanzipation" aufhorchen liessen, kann sich hier online einen durchaus geigneten, kurzen Vorfilm zu Gemüte führen: Letzten Sommer schaffte es die "Tagesschau" in einem gelungenen Beitrag über einen Protest vor dem Zürcher Kinderspital in nur 2'22" viel Wesentliches knackig auf den Punkt zu bringen – schon der einleitende Moderator liess es sich nicht nehmen, an einem Sonntagabend in der Hauptausgabe das Wort "kastriert" noch extra zu betonen ...

Vorführzeiten siehe: http://www.reitschule.ch/reitschule/kino/index.shtml

Siehe auch: 2008: Eine neue Zwitterbewegung! (Jahresrückblick, Teil 1)

Thursday, January 15 2009

Über was schreibst du deine Abschlussarbeit? Über Intersexualität!

Letztes Jahr erhielt ich mehrere Anfrage von StudentInnen, die ihre Abschlussarbeit zum Thema Intersexualität schreiben (meistens begleitet von einem Referat vor der Klasse) und ein Interview mit einer zwischengeschlechtlichen Person führen wollten. Die meisten hatten sich von einem Zeitungsartikel inspirieren lassen (siehe auch hier und hier) ...

Eine davon ist Laura Borner von der Kantonsschule Wiedikon, Schweiz, die mir ihre Maturaarbeit gesandt hat: eine gelungene Arbeit, die über Zwangsoperationen, den Kampf um Selbstbestimmung und die Forderungen Zwischengeschlechtlicher berichtet. Viel Raum auch für ausführliche Interviews mit Karin Plattner, Mutter eines zwischengeschlechtlichen Kindes und Gründerin des Vereins "Selbsthilfe Intersexualität", und meiner Wenigkeit.

Ich danke Laura für diese aufklärende Arbeit!

Hier das in der Maturaarbeit veröffentlichte Interview mit mir:

Leben mit Intersexualität

Wann erfuhren Sie, dass Sie intersexuell sind? Wie erklärte man es Ihnen?
Man hat mir nichts erklärt, man hat mich ständig angelogen oder mit Halbwahrheiten abgespiesen. Ich habe aber immer gespürt, dass etwas nicht stimmt, habe mich geschämt, denn ich wusste, dass es mit meinen Genitalien zu tun hat. Sonst würden die doch nicht ständig da hingucken und hingreifen und so besorgt und peinlich berührt tun. Ich war abartig, man musste mich verstecken, man musste meinen Körper korrigieren. Ich war immer innerlich wie gelähmt, machte mich so unsichtbar wie möglich.

Wie war es für Sie, als Sie es erfuhren? Ein Schock?
Eigentlich nicht. Ich wusste immer, dass ich anders bin. Ich sah auch zwischen den Beinen anders aus als meine Schwestern und fragte offenbar meine Mutter, warum das so sei. Ich selber kann mich nicht mehr daran erinnern. Einen konkreten Hinweis erhielt ich mit ungefähr vierzehn Jahren, dass meine vermeintlichen Eierstöcke in Wahrheit Hoden waren. Der Hausarzt warf es mir in einem unkontrollierten Moment an den Kopf, ohne jedoch weiter darüber zu reden geschweige denn etwas zu erklären. Ich war nicht wirklich geschockt, ich erinnere mich sogar, dass ich dachte: ach so, jetzt verstehe ich. Aber nur nichts anmerken lassen, weiter machen wie bisher. Habe mit niemandem darüber geredet, in Büchern nachgeschaut, ein Riesenchaos im Kopf.

In wie fern änderte sich Ihr Leben?
Gar nicht, es blieb, wie es war: ich war allein damit, ich habe alles mit mir selber ausgemacht, habe nie Fragen gestellt, nie geschrieen, protestiert, immer ganz lieb und ruhig und alles geschluckt. Wie das Kaninchen vor der Schlange versetzte ich mich immer in eine Starre, wenn ich zum Arzt musste. Daheim redete niemand darüber, ich sowieso nicht, stellte keine Fragen. Angst, Verzweiflung, dumpfe Leere. Als würde man vor einem grossen schwarzen Loch stehen und man darf nicht schreien, nicht zeigen, wie verletzlich man ist, denn die sind alle überfordert, Mediziner und Eltern, tun so, als ob alles gut wäre, obwohl ein Blinder merken würde, dass das nicht stimmt. Da beginnt man mitzuspielen, denn wenn man aufhören würde, dann bräche die Welt zusammen, dieses Konstrukt. Man will nicht die sein, die alles kaputt macht.

Hat sich Ihr Bild von Mann und Frau dadurch verändert?
Ich habe immer gewusst, dass ich keine richtige Frau bin. Aber ich kann nicht vergleichen, weiss nicht, wie eine richtige Frau fühlt, wie ein richtiger Mann. Was ist das schon, eine 'richtige' Frau, ein 'richtiger' Mann? Ich habe es auch nie zugelassen, mich anders zu fühlen, kann erst heute sagen: ich bin weder noch. Heute kann ich sagen: Es gibt Frauen, es gibt Männer, und es gibt Zwitter. Ich bin ein Zwitter. Eigentlich ganz einfach. Leider habe ich vierzig Jahre meines Lebens verbraucht, um zu dieser Aussage zu kommen.

Wer half Ihnen mit der Diagnose umzugehen und sie zu verarbeiten?
Niemand, ich war immer allein damit. Ausser heute meine Psychotherapeutin respektive ich selber durch sie. Ich hatte nie eine Freundin, eine vertraute Person, mit der ich darüber reden konnte. Ich habe mich immer versteckt. So kann man keine wirklichen Bindungen eingehen, man bleibt immer isoliert. Heute, nach acht Jahren intensiver Therapie, geht es mir gut.

Wussten Sie schon immer, dass Sie anders sind, als das von der Gesellschaft entworfene ideale Bild von Mann und Frau?
Ich wusste das schon immer respektive fühlte mich immer anders. Ob das nun ist, weil ich ein Zwitter bin, körperlich dazwischen, auch im Kopf vielleicht, oder ob das ist, weil ich immer so anders behandelt wurde, weiss ich nicht. Es wurde mir ja vor allem vermittelt, dass ich anders bin, weil grundlos operieren sie den Körper ja nicht, über etwas Positives macht man kein Geheimnis. Je länger ich meine Ruhe habe und zu mir finde, desto mehr verändert sich mein Selbstbild und das sieht irgendwie schon dazwischen aus. Jetzt, wo ich niemandem mehr beweisen muss, dass ich eine richtige Frau bin, kann ich eher mich selber sein.

Wie nahm Ihre Familie, Ihre Freunde die Diagnose auf?
Es wurde nicht darüber geredet. Man machte ein Geheimnis draus, man versteckte 'es', obwohl man gar nicht wusste, was 'es' ist. Das ist ja das Absurde: man darf nicht darüber reden, aber man weiss gar nicht, worüber man nicht reden darf. Da entwickelt man einen regelrechten Verfolgungswahn, als müsste man vor etwas flüchten, aber man weiss nicht, was es ist und wann und aus welcher Richtung es kommen wird. Meine Eltern wurden auch angelogen, von Anfang an.

Machten Sie Ihren Eltern Vorwürfe, dass sie sich für einen Geschlechtsanpassung bei Ihnen entschieden hatten?
Als Kind wohl schon, denn du bist dort, im Spital, die Mediziner greifen dir immer wieder zwischen die Beine, du hast Schmerzen, Angst, furchtbare Operationen, und deine Eltern stehen so quasi daneben und schauen zu, helfen dir nicht. Die klassische Missbrauchssituation.

Hat sich dadurch Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern, Familie und Freunden geändert?
Man verliert das Urvertrauen, ganze Familien werden durch diese menschenrechtswidrige Praxis kaputt gemacht. Da können keine guten Gefühle mehr sein zwischen Eltern und Kind. Ich habe mich immer abgeschottet, habe mich immer allein gefühlt in meinem Elternhaus. Seit einigen Jahren habe ich wieder liebevolle Gefühle für meine Eltern, weil ich ihnen gesagt habe, wie sehr ich gelitten habe. Ich habe mich ihnen gezeigt, das war der springende Punkt. Vorher sagte ich nie was, das macht Distanz. Ich habe dicht gemacht, niemanden an mich heran gelassen. Heute mache ich meinen Eltern keinen Vorwurf. Sie wurden auch angelogen, auch sie sind Opfer.

In einem Bericht über Sie, las ich, dass Sie heute in einer glücklichen Beziehung leben. Wie reagierte Ihr Partner darauf, als sie Ihn über Ihr „Schicksal“ aufklärten?
Er war über die menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen schockiert, konnte es kaum glauben, was die mit uns machen. Er hat keine Probleme damit, sieht mich wohl eher als Frau, aber ich bin auch der Zwitter: ich muss meine Seinsweise, meine Lebensrealität nicht verstecken, das ist wohl der springende Punkt. Er setzt sich mit mir zusammen für eine Enttabuisierung von Intersexualität ein.

Von wem erfuhren Sie, dass es auch andere Intersexuelle gibt, die sich in verschieden Selbsthilfegruppen treffen (Ärzte)?
Aus dem Internet, ganz einfach. Eines Tages gab ich meine Diagnose ein – "pseudohermaphroditismus masculinus" – und plötzlich waren da zig Informationen. Das war unglaublich. Alles im Alleingang, seit ich denken kann. Deshalb habe ich noch heute Mühe, wenn jemand mich 'begleiten' will. Von den Ärzten erfährt man das nie und nimmer, die tun eher so, als wäre man allein auf der Welt.

Hat es Ihnen viel geholfen, als Sie erfuhren, dass es auch andere Menschen mit Intersexualität gibt?
Das ist das Beste für alle Zwitter, alle sagen das. Dass man sich mit Gleichgesinnten austauschen kann ist das beste Heilmittel, die grösste Unterstützung! Und was machen die Mediziner? Sie sagen ihren 'Patienten' nichts davon, suchen den Kontakt nicht. Logisch, weil in den Selbsthilfegruppen erfahren die Opfer von Zwangsoperationen, dass sie nicht die einzigen sind, die sich schlecht fühlen, denen Unrecht widerfahren ist. Die isolieren uns bewusst, aus Angst vor einem 'Aufstand'. Das ist wie bei den Krankenakten: bei den meisten Intersexuellen sind sie 'verschwunden'.

Wie wichtig ist es für andere Intersexuelle, dass Sie als Betroffene aus der Anonymität traten und der Intersexualität ein Gesicht gaben?
Ich denke, dass es sicher wichtig ist. Andere Intersexuelle sollen dadurch ermutigt werden, aus ihrem Versteck zu kommen. Aber es macht auch Angst und ist wohl auch für viele ein Schock. Plötzlich ist da eine im Heftli, die sagt, sie sei ein Zwitter, spricht das aus, was man nie aussprechen durfte. Das heisst nicht, dass alle an die Öffentlichkeit müssen, aber schon aus der Isolation raus und Gleichgesinnte treffen, macht Angst. Das Gefängnis, in dem man steckt, isoliert, bietet aber auch Schutz, wird zur Gewohnheit. Vor dem Neuen hat man Angst. Zugleich macht es vielen Intersexuellen wohl auch Angst, sich quasi gegen die Mediziner und die Eltern zu stellen, indem sie schlicht und einfach aufhören, sich zu verstecken, das Schweigegelübde zu brechen, anzuklagen. Es ist ein bisschen wie beim Stockholmsyndrom. Sich gegen die wenden, mit denen man bisher das Spiel 'Alles ist in Ordnung' mitgespielt hat, weil man der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen wollte oder konnte. Aufstehen und sagen, dass man gelitten hat, die Fassade runterreissen, das reicht schon, das heisst nämlich, den Medizinern und den Eltern sagen: ihr habt versagt! Nur schon der Gang in die Selbsthilfegruppe bedeutet das ja quasi. Es ist wie beim sexuellen Missbrauch: wir reden nicht darüber, also ist es auch nicht passiert. Und wenn es doch tut, ist man ein Verräter. Die meisten haben natürlich auch Angst, sich selber einzugestehen, dass sie gelitten haben, Trauer, Schmerz, Verzweiflung nicht länger zu verdrängen.

Wer hat Ihnen zu diesem Schritt geholfen?
Ich selber, zusammen mit meiner Therapeutin. Jahrelange Psychotherapie, zu mir selber kommen, mich selber gern haben, aufhören, meine wahren Gefühle zu verdrängen. Das ist ein Riesenchrampf. So, wie ich drauf war, hätte ich das nicht allein gekonnt. Ich war ja so gefangen in dieser Fantasiewelt, die ich mir als Kind schon aufgebaut hatte, in der mir nichts etwas anhaben konnte: ich fühle keine Schmerzen, ich brauche keine Liebe, ich stehe über allem. Ich bin gar nicht da! Da findet man allein nicht mehr raus, da es etwas ist, das man selber konstruiert hat, als Schutz. Das gibt man nicht gerne her, auch wenn es einen kaputt macht.

Wenn Sie einen Wunsch hätten, was würden Sie sich wünschen?
Ich möchte meinen ursprünglichen Körper zurück haben, genauso, wie er bei der Geburt war. Keine Narben, keine Hormone schlucken, ich wäre ganz, mich selbst. Mein Körper, wie er bei der Geburt war, wie er heute wäre. Ich frage mich, wie ich gewesen wäre, aber ich werde es nie erfahren, das haben sie mir für immer genommen. Ohne mich zu fragen.

Welche Bezeichnung ist für Sie die angenehmste: Intersexuelle/r, Zwitter, Hermaphrodit?
Zwitter oder Hermaphrodit

Auf der Website von intersex fand ich verschiedene Forderungen: keine Zwangsoperationen, das Individuum respektieren, die Eltern informieren, die Gesellschaft sensibilisieren. Was denken Sie über diese Forderungen? Welche ist für Sie die wichtigste? Wird es möglich sein, sie in der heutigen Gesellschaftssituation umzusetzen?
Selbstbestimmung für Zwitter, keine nicht lebensnotwendigen Operationen ohne Einwilligung der intersexuellen Person.
Wenn man diese Forderung befolgen würde, dann würde sich alles andere quasi von selber ergeben. Es wäre sicher nicht einfach, in unserer Gesellschaft ein intersexuelles Kind aufzuziehen, aber es würde immer einfacher werden, wenn man damit beginnen würde. Man müsste, um dies zu ermöglichen, die Gesellschaft weiter aufklären, Intersexuelle und ihre Eltern unterstützen, Intersexualität in den Lehrplänen und bei den Ausbildungen aller sozialen Berufe integrieren, gezielt Fachkräfte und Kompetenzzentren für intersexuelle Menschen ausbilden, einen dritten Geschlechtseintrag ermöglichen, und so weiter und so fort. Es wird nicht einfach sein, aber wir sind schon auf dem Wege, weil Zwitter immer mehr beim Namen genannt werden. Wir existieren und man kann uns nicht mehr auf die Seite schieben.

Soll man Intersexualität als drittes Geschlecht anerkennen?
Zwitter werden nach wie vor politisch, sozial und juristisch unsichtbar gemacht. Die Möglichkeit eines provisorischen Geschlechtseintrages, der vom Betroffenen später geändert werden kann, zudem eine dritte Option beim Geschlechtseintrag, das würde uns sichtbar machen und die Lage entspannen. Das ist ja eine der Lieblingsausreden der Mediziner: man müsse ja dem Kind einen Namen geben. Als ob man ein Kind deswegen operieren müsste, Genitalkontrolle auf dem Standesamt?!

Wie sieht die momentane Rechtslage in der Schweiz und im Ausland aus?
Die Rechtslage ist klar. Prof. Andrea Büchler, Professorin für Privatrecht an der Universität Zürich, sagt beispielsweise, dass es für einen medizinischen Eingriff die Zustimmung der betroffenen Person braucht. Bei einem Kind entscheiden in der Regel die Eltern. Aber: Geschlechtszuweisende, sprich: kosmetische, nicht lebenserhaltende Operationen, tangieren die höchstpersönlichen Rechte und dürfen nicht ohne Zustimmung des betroffenen Kindes vorgenommen werden. Bei diesen Operationen habe auch die Eltern nicht das Recht, für ihr Kind zu entscheiden.
Es handelt sich juristisch in der Schweiz wie auch in Deutschland ganz klar um schwere Körperverletzung. Die intersexuelle Christiane Völling hat in Deutschland ihren ehemaligen Arzt verklagt, der ihr vor bald dreissig Jahren ohne ihre Einwilligung die gesunden Fortpflanzungsorgane wegoperiert hat. Sie hat gewonnen, und zwar in erster wie auch in zweiter Instanz. Ich kenne weitere Intersexuelle, die einen Prozess vorbereiten. Wenn das so weiter geht, dann werden Mediziner aufhören mit diesen Operationen, aber nicht, weil sie einsehen, dass es Unrecht ist, sondern weil sie Angst vor einer Klage haben, Angst, Geld und Ansehen zu verlieren.

Was denken Sie über die Geschlechtsbestimmung bei Säuglingen durch einen operativen Eingriff?
Es handelt sich hier um massive Menschenrechtsverletzungen. Es sind in den allermeisten Fällen rein kosmetische, keine lebensnotwendigen Operationen, auch wenn die Mediziner immer wieder mit dem Krebsrisiko beispielsweise bei Hoden im Bauchraum kommen. Mehrere Studien beweisen, dass das Krebsrisiko weitaus geringer ist. Kastrationen machen das hormonelle Gleichgewicht im Körper kaputt, machen aus gesunden Menschen lebenslang kranke und von künstlichen Hormonen abhängige Menschen, diese künstlichen Hormone machen den Körper kaputt. Es handelt sich um menschenverachtende Eingriffe im Namen einer Geschlechternorm, ein zwittriger Körper darf nicht sein, der muss zurechtgestutzt werden, egal, ob der intersexuelle Mensch psychisch und physisch ein Leben lang unter den Folgen leidet. Jeder Mensch hat aber das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde.

Was halten Sie von den Argumenten von Ärzten, die behaupten, dass man so dem Kind einen langen Leidensweg erspare?
Das ist in erster Linie einfach feige von den Medizinern. Und auch von den Eltern. Wobei die Eltern eher zu entschuldigen sind, denn die haben ja meistens keine Ahnung. Aber heute kann man sich informieren. Die einen sind mutiger, die anderen weniger. Das Kind aber hat keine Wahl. Es läge in der Verantwortung der Mediziner, die Eltern aufzuklären – und sicher nicht, ihnen irreversible Operationen zu verkaufen. Es sei zum Wohle des Kindes, man wolle ihm Leid ersparen. Um Leid zu vermeiden, wird aber noch viel grösseres Leid geschaffen. Das geht nicht auf! Der Mensch redet sich gerne das ein, was ihm am Bequemsten ist und am wenigsten weh tut. Das ist wie Sondermüll entsorgen im Wald oder Batteriehühnerfleisch essen. Man weiss genau, dass es Unrecht ist, aber man tut es trotzdem. Und legt sich was zurecht, damit man gut schlafen kann. Mediziner und Eltern operieren ein intersexuelles Kind in erster Linie für sich selbst, sonst würden sie das Kind nämlich zuerst fragen. Doch das schlechte Gewissen bleibt, deshalb können Eltern ihr intersexuelles Kind sowieso nie annehmen, vielleicht erst recht nicht, wenn es verstümmelt ist, denn es erinnert die Eltern immer daran, was sie ihm angetan haben.

Zwangsoperationen sind keine Lösung. Es ist sicher nicht einfach, ein intersexuelles Kind aufzuziehen. Aber es ist ein Verbrechen, über den Körper und die Seinsweise eines Kindes zu entscheiden. Denn es geht hier nicht um lebenserhaltende Operationen, sondern um rein kosmetische Eingriffe. Zum Wohle des Kindes? Genitaloperationen führen dazu, dass die sexuelle Empfindungsfähigkeit vermindert oder gänzlich zerstört wird. Es bleiben Narben zurück, niemand kann sagen, wie viel ein intersexueller Mensch dann noch spürt. Auch psychische Narben: die meisten Intersexuellen, die ich kenne, haben keinen Partner, keine Sexualität, ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper.

Kastrationen und anschliessende Hormonersatztherapie mit körperfremden Hormonen – das sagt einem kein Arzt – führen zu massiven gesundheitlichen Problemen: Osteoporose, Stoffwechselstörungen, Diabetes, Adipositas, Depressionen, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten, Libidoverlust, körperliche und seelische Leistungsminderung, Konzentrationsstörungen und so weiter und so fort. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass niemand jemals sagen kann, ob sich der Zwitter dann in der ihm zugewiesenen Rolle wirklich wohl fühlt. Ein Drittel aller Zwitter bringt sich um.

Was für eine Rolle spielt hierbei die Gesellschaft?
Die Mediziner agieren nicht isoliert von der Gesellschaft, aber sie haben die Definitionsmacht, sie sind spezialisiert und können deshalb Leute mit ihrem Wissen unter Druck setzen. Man ist ihnen ausgeliefert. Wenn die sagen, dass das so gut ist, dann glauben das die meisten. Auch weil sie es glauben wollen. Es geschieht im Verborgenen, Mediziner können tun und lassen, was sie wollen. Es gibt keine Kontrollen. Es gibt für alles Mögliche Nachfolgeuntersuchungen, bei Intersexualität nicht. Mit Zwanzig entliess mich mein Arzt, es hat ihn nicht interessiert, wie es mir später geht, er wollte mich nicht – wie zum Beispiel mein Kardiologe – in fünf Jahren unbedingt wieder sehen.
So schlimm und intolerant, wie die Mediziner einem weismachen wollen, ist die Gesellschaft nicht. Ich habe noch nie eine negative Reaktion erlebt. Natürlich, wenn man als Kind, in der Pubertät plötzlich 'komisch' aussieht, ein vermeintliches Mädchen plötzlich männlicher wird, das wird vielleicht ausgelacht, schräg angeschaut. Aber das ist nichts im Vergleich zu demütigenden Untersuchungen, für immer zerstörte Hormonfabriken und Genitalien, Schmerzen beim Sex oder gar keine Gefühl mehr, angelogen werden, negiert zu werden. Man kann mit den Leuten reden, ihnen erklären, was los ist. Ich kenne einige Eltern, die ihre intersexuellen Kinder nicht operieren liessen und so leben.

Mir fiel auf, dass es in letzter Zeit vermehrt Interviews und Berichte über Intersexualität gab. Möchten die Intersexuellen damit endlich erreichen, dass Die Öffentlichkeit die Augen öffnet und nicht länger wegsieht?
Natürlich. Es geht darum, ein Tabu zu brechen, aufzuklären, uns Zwittern ein Gesicht zu geben in dieser Gesellschaft. Die meisten Leute wissen überhaupt nichts über Intersexualität. Man kennt Beschneidungen in Afrika, regt sich darüber auf, zu Recht, aber dass etwas ähnliches hier in unserem 'zivilisierten' Europa und anderswo geschieht, das weiss niemand. Zwitter leben versteckt, machen sich klein, schämen sich, denn ihnen wurde von Anfang an vermittelt: du bist abartig, nicht erwünscht, nicht richtig, deshalb müssen wir dich operieren und vor allem darfst du mit niemandem darüber reden. Das prägt fürs Leben. Jetzt reden Zwitter in der Öffentlichkeit, brechen das Schweigegelübde, diese elende Last, dieses menschenunwürdige Nichtsein, das einem aufgezwungen wurde, diese Lüge, die das ganze Leben vergiftet! Aber die meisten schweigen weiterhin. Die Öffentlichkeit soll wissen, soll hinschauen, denn dann können die Verantwortlichen nicht mehr weiter tun und lassen, was ihnen passt. Die Politik soll hinschauen, das Gesetz soll hinschauen. Der Umgang mit Intersexuellen, die Maschinerie, die in Gang gesetzt wird, wenn ein zwischengeschlechtliches Kind geboren wird, muss abgestellt und in ihre Einzelteile zerlegt werden. Zwangsoperationen an Zwittern müssen verboten werden! Das sind Menschenrechtsverletzungen. Jeder Zwitter soll selber über sein Leben entscheiden dürfen.

Sunday, August 24 2008

"Zwangsoperiert - Jetzt fordern Zwitter Selbstbestimmung" - Surprise 22.08.08

Die Zwitter Medien Offensive geht weiter!

Im Strassenmagazin "Surprise" Nr. 183 vom 22. August 2008 ist ein Portrait über mich Titelgeschichte:

"Frann oder Mau? - Bloss nichts Zweideutiges: Um klare Verhältnisse zu schaffen, werden Zwitter bereits im Kleinkindalter zwangsoperiert. Ob Mädchen oder Bube, darüber entscheiden Ärzte und Eltern, nicht aber die Betroffenen."

Dank an die Verfasserin Ivana Leiseder für den Artikel, der unsere wichtigsten Anliegen auf den Punkt bringt! Und auch den GrafikerInnen für das aufrüttelnde Titelbild, das die schockierende Thematik treffend umsetzt.

Ebenfalls erfreulich, dass auch Karin Plattner von der Schweizerischen Elternselbsthilfegruppe mit einem guten Zitat zu Wort kommt:

"Die Ärzte wollten so rasch wie möglich operieren. Man versuchte uns einzureden, andernfalls drohe das soziale Aus von uns respektive unserem Kind." Die Plattners gehören zu den wenigen Eltern, die sich gegen eine Operation entschieden haben. Heute sind sie froh darum: "Warum hätten wir unser Kind operieren lassen sollen? Es ist ja völlig gesund. Ausserdem hat, entgegen der Ankündigung der Ärzte, niemand Probleme mit der Intersexualität unseres Kindes, im Gegenteil." Später soll es einmal selbst entscheiden können, ob es Frau, Mann oder beides sein möchte. "Dies wird in unserem Umfeld sehr gut akzeptiert."

Entlarvend einmal mehr die Aussagen der Mediziner (die sich den CH-Medien neuerdings konsequent verweigern), die - allen schönen Lippenbekenntnissen zum Trotz - letztlich den Zwangsoperierten wie üblich knallhart jegliches Recht über ihren eigenen Körper absprechen:

"Die Entscheidung für oder gegen einen Eingriff liegt bei den Eltern." Man bemühe sich heute, die Eltern zu betreuen und sie, soweit möglich, über ihr Kind zu informieren. Gleichzeitig würden medizinische und soziale Abklärungen veranlasst, aufgrund derer ein Spezialistenteam ein möglichst individuelles therapeutisches Vorgehen für das jeweilige Kind suchen. Dass sich Eltern bei der Geburt ihres Kindes für nicht mehr umkehrbare Operationen entscheiden müssten, sei kaum mehr der Fall. "Die Option abzuwarten wird immer häufiger auch von ärztlicher Seite befürwortet." Allerdings räumt Weber unverhohlen ein: "Das Schweizer Gesetz verlangt, dass jedem Kind ein Geschlecht zugeordnet wird."

Als ob für einen Geschlechtseintrag zuerst eine Zwangs-OP nötig wäre ...

Leider handelt es sich nicht mehr ganz um den von Ivana Leiseder (freie Mitarbeiterin bei "Surprise") geschriebenen und von mir autorisierten Text. Die zuständige "Suprise"-Redakteurin hat nachträglich Aussagen gestrichen oder stark gekürzt, die meines Erachtens wichtig gewesen wären, beispielsweise meine Beschreibung der Folgen von Zwangskastrationen.

Besonders bedenklich: Offenbar ist es bei "Surprise" Brauch, sogar autorisierte Zitate nach Gutdünken zu verändern. Aus meiner ursprünglichen Aussage:

„Auch heute noch geschehen massive Menschenrechtsverletzungen, werden Intersexuelle ohne Einwilligung und ohne eingehende Aufklärung genitalen Zwangsoperationen unterzogen - und das muss aufhören“, meint Truffer, die inzwischen eine Selbsthilfegruppe für intersexuelle Menschen gegründet hat.

wurde kurzerhand:

"Zwar werden die Eltern heute informiert, aber noch immer werden Intersexuelle ohne ihre Einwilligung und ohne eingehende Aufklärung Zwangsoperationen unterzogen. Das muss aufhören", fordert Truffer.

Mein Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen wird weggelassen und durch eine Aussage über informierte Eltern ersetzt, die ich in dieser Form nie gemacht habe.

Und das ausgerechnet beim Strassenmagazin "Surprise", das ich für seinen sozialen Anspruch sehr schätze!

Nella

Siehe auch: Vorschau "Surprise"

>>> Surprise-Homepage         >>> Vorschau auf die aktuelle Nummer

Saturday, August 16 2008

"Ein Flickwerk, geschaffen von Medizinern" - BAZ 12.08.08

Die Zwitter Medien Offensive geht weiter!

Gelungener Artikel über Nella von Barbara Lauber in der Basler Zeitung vom 12.8.08 (--> zum Lesen hier oder ins Bild klicken + je nach Browser ev. Bild dann nochmals (doppel-)klicken, damits ca. bildschirmbreit und lesbar wird):

Ok, er ist ziemlich melodramatisch und boulevardig aufgemacht, ABER: Die Message stimmt! Und je mehr Menschen von den Verbrechen der Mediziner an Zwittern erfahren, desto schneller werden diese damit aufhören müssen ...

Auch der Hinweis am Schluss auf eine Diskussion im Anschluss an eine Aufführung von "XXY" am nächsten Tag hatte Wirkung gezeigt: Das Kino war proppenvoll, und als Nella dann noch Karin Plattner von der schweizerischen Elternselbsthilfegruppe mit aufs Podium holte, ging die Post so richtig ab!

Danke!

Friday, July 4 2008

"Das dritte Geschlecht" – Schweizer Familie, 24.02.05


     D O K U M E N T A T I O N

     © Schweizer Familie, 24.02.2005

     Nummer 8/05, Seite 86

     (Rubrik Gesundheit)
 

Das dritte Geschlecht

Es gibt Kinder, bei denen nicht klar ist, ob sie Mädchen oder Jungen sind. Die Eltern und Fachärzte stehen dann vor heiklen Entscheidungen.

Text: Nicole Tabanyi


Als Karin Plattner, 29, in einer milden Mainacht ihr erstes Kind zur Welt brachte, erblickte die Hebamme Jeanette Gröbli ein hübsches Neugeborenes mit rosigen Lippen und grossen Augen. Als ihr Blick hinunter zum Bauchnabel und dann weiter zu den Beinchen glitt, stand ihr Herz jedoch für einen Augenblick still. «Auf die Frage der Mutter, ob es ein Mädchen oder Junge sei, antwortete ich: «Ich weiss es nicht»», erinnert sich die Hebamme an die Nacht, in der sie zum ersten Mal ein Baby sah, das so offensichtlich anders war als alle andern.

Uneindeutiges Geschlecht

Erst nach diversen Abklärungen, bei denen Blut, Urin und Chromosomensatz des Kindes untersucht wurden, stand die Diagnose fest: Das Kind, das Karin Plattner geboren hat, ist intersexuell. Es leidet an Pseudohermaphroditismus masculinus, das heisst, es hat männliche Chromosomen, aber ein uneindeutiges Genitale.

Was heute als Intersexualität bezeichnet wird, ist eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft: die Zweigeschlechtigkeit. In der Antike wurden so genannte Hermaphroditen verehrt, später wurden sie aus der Gesellschaft ausgestossen und im vergangenen Jahrhundert auf Jahrmärkten zur Schau gestellt. Auch Karin Plattner hat bisher nur anonym über dieses Thema gesprochen und wagt sich zum ersten Mal mit Foto an die Öffentlichkeit.

Seit den Fünfzigerjahren versuchen Chirurgen, Kindern, die intersexuell sind, mittels Operation eine eindeutige Geschlechtszugehörigkeit zu geben. In den Siebzigern waren solche Eingriffe gar Standard. Sie gehen auf den US-Sexualforscher John Money zurück. Er behauptete, dass man aus Mädchen Jungen, aus Jungen Mädchen und aus Intersexuellen sowohl Jungen als auch Mädchen machen könne - wenn sie nur zum entsprechenden Geschlecht erzogen würden. Diese These ist inzwischen widerlegt. Man weiss, dass Intersexuelle nach einer Operation Grenzgänger zwischen den Geschlechtern bleiben. Und: «Ein Neugeborenes oder ein Kleinkind sollte nicht zum Mädchen oder zum Jungen gemacht werden», meinen viele operierte Intersexuelle empört, die sich heute «verstümmelt», «von den Ärzten verraten» und von «den Eltern im Stich gelassen» fühlen. Doch wie kommt es dazu, dass ein Mensch intersexuell ist? Bis zur sechsten Woche weist jeder Embryo ein intersexuelles Genitale auf - also ein Geschlecht, aus dem beides werden kann. Dann entwickelt sich der Embryo durch hormonelle Impulse zum männlichen (XY-Chromosom) oder weiblichen (XX-Chromosom) Menschen.

Auf dem Weg zur Frau oder zum Mann kann es bei den Chromosomen, Enzymen oder Hormonen zu den verschiedensten Variationen kommen: Darum kann jemand durchaus von der Erbanlage her weiblich oder männlich sein und trotzdem eine andere Gestalt haben. «Mein Kind hat zwar einen männlichen Chromosomensatz, da die Körperzellen aber teilweise resistent gegen das männliche Hormon Testosteron sind, entwickelte sich der Körper weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich: eine seltene Form der Intersexualität», sagt Karin Plattner.

20 verschiedene Formen

Ähnlich verhält es sich bei der Gruppe Intersexueller, die sich XY-Frauen nennen: Von den Chromosomen her (Genotyp) sind XY-Frauen zwar männlich, ihr Erscheinungsbild (Phänotyp) und ihr äusseres Genitale jedoch eindeutig weiblich. Sie sind von andern Mädchen bis zu ihrer Pubertät nicht zu unterscheiden. Dann allerdings bleiben bei ihnen Achsel- und Schamhaare aus, weswegen man sie auch «Hairless-women» (Haarlose Frauen) nennt.

Nahezu zwanzig verschiedene Formen von Intersexualität werden heute unterschieden. Im Gegensatz zur Transsexualität, bei der die Betroffenen das Gefühl haben, durch einen Irrtum der Natur im falschen Körper zu leben, hat Intersexualität nachweisbar biologische Ursachen.

«Intersexuelle sind Menschen, die an einer angeborenen Fehlbildung leiden, allerdings ist diese nicht immer schon bei der Geburt sichtbar», weiss Marcus G. Schwöbel, Chefarzt der Kinderchirurgie am Kinderspital Luzern (siehe Interview). Bei manchen Betroffenen entdecken die Ärzte erst in der Pubertät die Intersexualität, weil beispielsweise die Menstruation oder eben die Schamhaare ausbleiben.
Wie oft Intersexualität vorkommt, ist schwer zu sagen. Schätzungsweise kommt jedes 5000. bis 7000. Neugeborene so auf die Welt. Das medizinische Nachschlagwerk «Pschyrembel Wörterbuch Sexualität» gibt sogar an, dass von 2000 Personen eine in irgendeiner Form intersexuell ist. Klaffen Chromosomen und Erscheinungsbild auseinander, so ist die gängige Behandlung nach wie vor eine Operation, bei der dem Kind meist vor dem zweiten Lebensjahr das intersexuelle Genitale in die weibliche oder männliche Richtung angepasst wird.

Bei andern Operationen aber sind die Chirurgen zunehmend zurückhaltend. Beispielsweise wenn ein intersexueller Mensch eine vergrösserte Klitoris oder einen Hoden, aber keinen Penis hat. «Bis vor zehn Jahren haben Ärzte und Eltern gemeinsam darüber entschieden, welche Geschlechtsidentität dem Kind gegeben werden soll. Heute möchte man die Entscheidung vermehrt dem Kind selbst überlassen, ob es später als Mann oder Frau leben will», sagt der Experte Marcus G. Schwöbel.

Auch Karin Plattner will ihrem inzwischen sechsjährigen Kind keine Identität aufzwingen. Den Termin für eine Operation haben sie und ihr Mann nach reiflicher Überlegung abgesagt. «Die Ärzte meinten, die Gesellschaft ertrage es nicht, wenn ein Kind anders sei als die andern, und rieten uns deshalb zu einem Eingriff. Trotz aller Ratschläge fühlten wir uns im Stich gelassen und wussten lange Zeit gar nicht, was los war.» Ihr Kind wächst im Moment als Mädchen auf. Später soll es selber die Entscheidung treffen können, ob es als Mann, Frau oder als intersexueller Mensch durchs Leben gehen möchte. «Ob sich Intersexuelle je ganz zum einen oder andern Geschlecht zuordnen können, bezweifle ich», sagt die Mutter. «Und sicher wird die Pubertät eine der schwierigsten Phasen werden.»

Aufklärung ist wichtig

Nach eindrücklichen Besuchen von Treffen Intersexueller in Deutschland hat Karin Plattner eine erste Selbsthilfegruppe für Intersexuelle in der Schweiz gegründet. Mitinitiantin ist die Hebamme Jeanette Gröbli, die inzwischen Weiterbildungskurse für Hebammen, Krankenschwestern und interessierte Gruppierungen anbietet. Ziel der Kurse ist es, dem medizinische Fachpersonal das Thema Intersexualität näher zu bringen. Zu unbändig sei der Wille der Mediziner und Forscher, an solchen Kindern zu experimentieren, sagt die Hebamme. Deswegen sei Aufklärung schon vor dem Gebärsaal wichtig.

«Wir wollen betroffene Kinder vor neugierigen Blicken und Übergriffen schützen und den Eltern eine solche Odyssee ersparen», sagt Hebamme Jeanette Gröbli. «Und vielleicht lernt unsere Gesellschaft eines Tages, dass Intersexualität sein darf und nicht nur etwas ist, was verschwiegen und vertuscht werden muss.»

Adresse: SI Selbsthilfe Intersexualität Schweiz; Postfach 4066; 4002 Basel; Mail: info_at_si-global.ch

«Positive Reaktionen»

Der Arzt Marcus G. Schwöbel beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Intersexualität und operiert zweigeschlechtliche Kinder.

Schweizer Familie: Weshalb ist eine eindeutige Geschlechtsidentität so wichtig?

Marcus G. Schwöbel: Eltern von Kindern, die an einem intersexuellen Genitale leiden, stehen vor einem Dilemma. Sie fragen sich, ob ihr Kind nun ein Bub oder ein Mädchen ist, und wollen ihrem Kind die Möglichkeit geben, eine bestimmte Richtung zu leben. Die Idee unserer Chirurgie ist, dass wir versuchen, dem Kind die äusseren Formen zu geben, die seiner Geschlechtsidentität am besten entsprechen.

Bei welchen Kindern ist ein chirurgischer Eingriff denn ratsam?

Eindeutig ist die Entscheidung dann, wenn wir dem Kind durch den Eingriff die ihm gemässe Identität geben können. Zum Beispiel einem Mädchen, welches an einem so genannten AGS-Syndrom leidet (weibliche Chromosomen mit Vermännlichung des äusseren Geschlechts), den weiblichen Weg ermöglichen. Ebenso klar ist die Entscheidung bei einem Knaben mit Hoden und einem fehlgebildeten Penis. Hier hilft die Chirurgie, dem Patienten ein ihm gemässes Leben zu führen. Schwierig wird die Entscheidung dann, wenn ein Kind Hoden und eine Vagina aufweist. Hier besteht heute die Tendenz, eine Operation aufzuschieben.

In welche Richtung operieren Sie?

Da wir versuchen, jedem Kind die ihm gemässe Identität zu geben, operieren wir etwa gleich häufig in die weibliche wie in die männliche Richtung.

Wie alt sind die Kinder bei diesen Eingriffen?

In der Regel etwa zwei Jahre alt. Bis Mitte der Neunzigerjahre war es üblich, noch früher zu operieren, da man Fälle von Intersexualität als Notfälle betrachtete. Die Geschlechtsidentität soll möglichst früh nach der Geburt des Kindes vorhanden sein, so die damalige Meinung. Heute überlässt man die Entscheidung zunehmend den Eltern, wann und ob eine Operation durchgeführt werden soll.
Sind die Betroffenen mit der Wahl ihres Geschlechtes zufrieden?

Die wenigen Rückmeldungen von erwachsenen Patientinnen und Patienten sind fast durchwegs positiv. Ähnliche Resultate kommen aus grösseren amerikanischen und britischen Kliniken. Nur selten streben erwachsene Patientinnen und Patienten einen Geschlechtswechsel an, auch wenn sie mit ihrem Aussehen nicht durchwegs zufrieden sind.

>>> Offener Brief an das Kinderspital Luzern, 22.8.2010

>>> Pressemitteilung vom 19.8.2010
>>> Kosmetische Genitaloperationen im Kinderspital Luzern 
>>> "Demonstration vor dem Luzerner Kantonsspital" - zisch.ch, 22.8.10 
>>>
"Der Zwang zum Geschlecht" - Zentralschweiz am Sonntag, 22.8.10

Siehe auch:
- Chefarzt Dr. Marcus Schwöbel: genitale Zwangsoperationen an Kindern der "normale Weg" 
- Schweiz: Terre des Femmes und Amnesty International gegen Zwangsoperationen
- "Der Beschneidungsskandal": Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung
- Beschneidungsexpertin: Zwangsoperationen an Zwittern = Genitalverstümmelung Typ IV
- Amnesty: Zwangsoperationen "fundamentaler Verstoß" gegen körperliche Unversehrtheit
- Terre des Femmes: Genitalverstümmelungen an Zwittern gleich schädlich wie weibliche Genitalverstümmelung
- Genitale Zwangsoperationen im Inselspital Bern
- Zürcher Kinderspital propagiert Zwangskastrationen an Zwittern
- USA: Seriengenitalverstümmler Prof. Dr. Dix Phillip Poppas von Ethikerinnen geoutet
- Genitalverstümmler und Zwangsoperateure in Baden-Württemberg
- "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort: "Intersexuelle" nur ein Bruchteil aller chirurgischen Genitalverstümmelungen 

Tuesday, February 5 2008

Wegen Zwitter-Prozess: Druck auf Ärzte wächst

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Pünktlich zur Fortführung im "Zwitterprozess" am 6.2. gegen den Chirurgen, der Christiane Völling verstümmelte, erscheint im schweizer Tages-Anzeiger vom 5. Februar 2008 nebst einem Artikel zum Prozess ein Interview mit Karin Plattner, der Mutter eines zwischengeschlechtlichen Kindes und Präsidentin der schweizerischen Eltern-Selbsthilfegruppe. Darin schildert sie, wie es Eltern und Kind nach der Geburt erging:

Nach drei Wochen sagten uns die Ärzte, von den Chromosomen her sei es ein Knabe, aus dem eher weiblichen Genitale könne man aber nie einen Buben machen. Darum sei eine Geschlechtsanpassung zum Mädchen angesagt.

Als erstes "entnahmen" die Mediziner "einen Monat nach Geburt die Geschlechtsdrüsen [...], die für die Hormonproduktion im Körper verantwortlich sind, weil es hiess, sie sei entartungsgefährdet". Ausser in Ausnahmefällen zwar nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit als z.B. Prostata und Brüste bei normalen Männern und Frauen auch. Bloss kriegen das Eltern und Betroffene von Chirurgen nach gängiger Praxis nie gesagt.

das Verrückte war, dass uns die Ärzte lieb zuredeten, das sei operativ kein Problem, man könne da gut ein Mädchen daraus machen, und mit der entsprechenden Erziehung werde alles gut.

So schon mal halb weichgeklopft, sollen die Eltern als nächstes der Zwangszuweisung zustimmen. Doch für einmal kam es anders:

Kurz danach sagte man uns, bald folge der nächste Eingriff am Genitale, um ein richtiges Mädchen aus dem Kind zu machen. Da begann ich Fragen zu stellen. Was heisst das? Gibt es vergleichbare Fälle?

Als ich herausfand, dass es nach der Operation des äusseren Genitales vielleicht nie Gefühle oder Lust empfinden kann, sagte ich, ja hallo, das geht zu weit. Wenn alles nur eine kosmetische Sache ist, kann ich nicht dahinter stehen. Dann soll mein Kind bleiben, wie es ist. Medizinisch ist das in unserem Fall absolut problemlos. Und später kann es selber entscheiden, ob es eine Geschlechtsanpassung machen lassen will oder nicht. [...] Hauptsache, sie fühlt sich wohl!

Auch heute noch haben neugeborene Zwischengeschlechtliche meist weit weniger Glück, sprich werden nach wie vor möglichst rasch dem "gesamten Programm" unterzogen. Und wenn jemals, wie z.B. jetzt vor dem 2. Prozesstag in Köln, in der Öffentlichkeit die Kritik an Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und Zwangszuweisungen an Zwischengeschlechtlichen etwas lauter wird, beeilen sich die Mediziner zu versichern, mittlerweile sei das "alles ganz anders", diese grausligen Praktiken längst Vergangenheit. Heute würden die Mediziner nämlich ausnahmsweise auch mal 5 gerade bzw. ein uneindeutiges Genital unoperiert stehen lassen.

Noch ist man von der Anerkennung eines «dritten Geschlechts» weit entfernt. Aber immerhin, sagt der Endokrinologe Primus Mullis, «wächst unter den Ärzten die Bereitschaft, ein unbestimmtes Geschlecht auch einmal sein zu lassen, wenn es sich medizinisch vertreten lässt». Das Magazin 36/2007

Sprich gerade mal dann und nur dann, wenn ausserdem die Elten sich absolut quer und noch dazu auf den Kopf stellen. Und sonst nicht. Menschenrechte? Auch für solche? Wäre ja gelacht!

Kinderpsychiater Dieter Bürgin: «Ein intersexuelles Kind erschreckt uns, weil es unser Weltbild in Frage stellt. Darum besteht das Bedürfnis, möglichst bald eine klare Situation zu schaffen.» Komme hinzu, dass Kinderärzte entsprechende Operationen «als chirurgische Herausforderung sehen».

Eine "Herausforderung", der offensichtlich noch so mancher Mediziner nur allzugern erliegt (sofern es sich nicht um sein eigenes Genital handelt, versteht sich). Immerhin, während Mediziner Schwöbel in der "Rundschau" noch fromm von der "Naturgewolltheit" der Zwangszuweisungen phantasierte, beginnt er mittlerweile verdächtig zurückhaltend zu formulieren -- auffallend eifrig drauf bedacht, den Schwarzen Peter sogleich weiterzureichen:

Marcus Schwöbel, Chefarzt der kinderchirurgischen Klinik Luzern, der bei rund 50 geschlechtszuweisenden Behandlungen beteiligt war, bestätigt dies. «Die Herausforderung ist aber nicht der chirurgische Akt an sich, sondern der Anspruch, für das Kind und seine Eltern den bestmöglichen Weg zu finden.» Es seien meist die Eltern, die dringend wünschten, das Kind einem Geschlecht zuzuordnen, er dränge niemals dazu.

Als ob Eltern generell befugt wären, ihren Kindern nach Belieben Körperteile ab- oder umschneiden zu lassen. "Hallo, Herr Doktor, ich hätte eigentlich lieber ein Kind ohne Arme und Stimmbänder!" -- "Kein Problem, erledigen wir sofort! Endlich mal wieder eine Herausforderung!"

Immerhin, den Pfusch an Christiane Völling finden auch Schweizer Mediziner krass:

Primus Mullis, Professor für Endokrinologie am Inselspital Bern begrüsst den Prozess in Köln: «Es ist eine Katastrophe, was diesem Menschen angetan wurde».

Hauptsache, nicht vor der eigenen Haustüre. Hauptsache, der Fall ist nur ein Einzelfall und es geht nicht ums Prinzip.

Dabei liegt die Menschrechtswidrigkeit der Zwangsoperationen klar auf der Hand und wird kaum zufällig von RechtsprofessorInnen und EthikerInnen seit Jahr und Tag immer wieder betont. Auch in der Schweiz. Die Zürcher Rechtsprofessorin Andrea Büchler, einmal mehr:

«Ein medizinischer Eingriff braucht die Zustimmung der betroffenen Person. In der Regel können die Eltern für ihr Kind zustimmen. Geschlechtszuweisende Operationen aber tangieren die höchstpersönlichen Rechte und dürfen nicht ohne Zustimmung des betroffenen Kindes vorgenommen werden – ausser es ist medizinisch notwendig.»

Der Abschaffung dieser menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen könnte nun Christiane Völlings Prozess endlich zum Durchbruch verhelfen. Besonders Chirurgen mit 50, 100, oder gar 200 oder noch mehr Zwangskastrationen und Zwangszuweisungen auf ihrem Gewissen dürften sich im Geist die Rechnung schon mal gemacht haben, was sie ihre gesammelten Sünden in Franken und Euro vor Gericht so etwa kosten könnten ...

«Sollte der Chirurg in Köln für den Eingriff, den er vor 30 Jahren durchführte, verurteilt werden, oder setzt sich die Auffassung von Rechtsprofessorin Büchler durch, müsste die Indikation zu geschlechtsanpassenden Eingriffen neu überdacht werden», sagt Schwöbel.

Nämlich, wie Schwöbel schon in der "Rundschau" verriet, dann müsste er sich in Zukunft zwei mal überlegen, ob eine solche Operation an einem Kind auch wirklich 30 Jahre lang "wasserdicht" sei. D.h. bis die Verjährungsfrist abgelaufen ist.

Auf gut Deutsch: Erst, wenn die Mediziner damit rechnen müssen, dafür gerichtlich belangt und verurteilt zu werden, werden sie keine Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und Zwangszuweisungen mehr durchführen. Vorher nicht. Dass die Verstümmelten meist ein Leben lang an den Zwangseingriffen leiden, kümmert sie in der Regel offensichtlich nicht -- oder zumindest zu wenig. In diesem Zusammenhang weiter auffällig, dass bei Zwangsoperationen die im Medizinerbetrieb sonst üblichen Nachuntersuchungen inkl. Erfassung der Sterblichkeit 5, 10, 20 Jahre usw. nach dem Eingriff traditionell ausbleiben. Anders wäre die "eklatant hohe" Behandlungsunzufriedenheit der Zwangsoperierten schon längst publik geworden.

Aktuell gibt es ein einziges Land auf der ganzen Welt, in dem Zwangoperationen für Zwischengeschlechtliche endgültig der Vergangenheit angehören. In Kolumbien beschloss 1998 das oberste Gericht, Zwangszuweisungen seien strafrechtlich zu verfolgen, mit dem Ziel, "Eltern zu zwingen, die Interessen ihrer Kinder über ihre eigenen Ängste und Sorgen um sexuelle Ambiguität zu stellen" (zit. n. Milton Diamond, unveröff. Manuskr., Forum 30.1.08).

Umso wichtiger wäre es, dass der Kölner Richter standhaft bleibt und dem Drängen der Mediziner-Lobby hinter den Kulissen nicht nachgibt. Auch wenn zu befürchten ist, dass er vor den Implikationen einer Verurteilung zurückschreckt und deshalb die Menschenrechte aller Zwangsoperierten auch der Zukunft einmal mehr mit Füssen tritt. Und so aus letztlich finanziellen Gründen ein kolossales Unrecht weiterbestehen lässt, das allein in Deutschland täglich ein weiteres Opfer fordert.

nachtrag:
--> Das ganze Interview jetzt online
--> "Intersexueller [sic!] klagt seinen ehemaligen Arzt an"

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Bericht 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG

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