Mindestens seit 1996 wird Amnesty International von Zwitterorganisationen
um Hilfe angegangen.
Eine ähnliche Aufforderung wie die nachfolgende vom April 2009 ging
am 15.8.09 zusätzlich auch an die Schweizer Sektion von Amnesty –
einmal mehr hiess es in der Absage: "Amnesty International hat bisher
[...] keine offizielle Position zu Intersex und Zwangsoperationen
erarbeitet."
2010 haben nun
Amnesty Schweiz sowie
Amnesty Deutschland an ihren Jahresversammlungen Beschlüsse verabschiedet,
wonach beide Sektionen sich beim Dachverband dafür einsetzen, dass Amnesty
International endlich eine offizielle Position erarbeiten soll.
Danke!
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Subject: Massivste
Menschenrechtsverletzungen an Zwittern
From:
presse_at_zwischengeschlecht.info
Date: Mon, April 27, 2009
14:34
To: [...]@mersi-amnesty.de
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Lieber [...]
ich beziehe mich auf Ihre Antworten auf die Anfragen von Michaela R. und Lucie
Veith von Intersexuelle Menschen e.V. vom Dezember letzten Jahres zum Thema,
insbesondere auf Ihren Wunsch nach weiterführenden konkreten Informationen, dem
ich im folgenden nachkommen möchte:
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INHALT
1. Einleitung
2. Studien des Netzwerks Intersexualität/DSD widerlegen Bundesregierung
a) Bundesregierung ignoriert Menschenrechtsverletzungen und propagiert genitale
Zwangsoperationen
b) Aktuelle Forschungsergebnisse des "Netzwerk Intersexualität/DSD" beweisen
massive Menschenrechtsverletzungen
c) Einige Auszüge aus den beiden Studien
d) Literatur und Quellen
3. Schattenbericht CEDAW 2008, Rügen an Bundesregierung
a) Auflistung der menschenrechtswidrigen Zwangseingriffe (Deutsch)
b) List of non-consented, forced treatments violating the human rights of the
victims (english)
c) UNO rügt Bundesregierung wegen mangelndem Schutz der Menschenrechte von
Zwittern
4. Forderungsliste betroffener Menschen
5. Urteile LG und OLG Köln: Zwangsoperierte "schuldhaft in
Selbstbestimmungsrecht verletzt"
6. Juristische Probleme und Diskriminierungen
a) Das Problem der frühzeitigen Verjährung der genitalen
Zwangsoperationen
b) Diskrimierung gegenüber Knaben- und Mädchenbeschneidung
c) Diskriminierung Sterilisations- und Kastrationsverbot
d ) Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber bezahlen
7. Wir bitten um Ihre Unterstützung!
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1. Einleitung
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Bis heute werden Menschen, die mit "uneindeutigen" körperlichen
Geschlechtsmerkmalen geboren werden, ohne ihre Einwilligung meist im frühen
Kindesalter zwangskastriert, an ihren "uneindeutigen" Genitalien zwangsoperiert
und Zwangshormontherapien unterzogen, um ihr "uneindeutiges" Geschlecht zu
"vereinheitlichen". Diese Zwangseingriffe sind medizinisch nicht notwendig,
sondern rein "kosmetisch".
Die meisten Opfer dieser unmenschlichen Praxis leiden ein Leben lang unter den
massiven psychischen und physischen Folgen der Zwangsbehandlungen
(Traumatisierungen, Verlust des sexuellen Empfindens, Schmerzen im
Genitalbereich, gesundheitliche Schäden durch erzwungene, inadäquate sogenannte
"Hormonersatztherapien (HETs)", sehr hohe Selbstmordrate Zwangsoperierter,
usw.).
Allein in Deutschland leben schätzungsweise 80’000 bis 100’000 sogenannte
Zwischengeschlechtliche, Intersexuelle, Zwitter oder Hermaphroditen.
Juristisch, politisch und sozial werden sie nach wie vor unsichtbar gemacht und
ihrer (Menschen-)Rechte beraubt.
Siehe auch: Präambel Forderungsliste Intersexuelle Menschen e.V.:
http://intersex.schattenbericht.org/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV
Diese massiven Menschenrechtsverletzungen an Zwittern geschehen aufgrund ihres
sogenannt "uneindeutigen" körperlichen Geschlechts.
Das Problem der genitalen Zwangsoperationen ist KEIN "Gender Issue"; es
handelt sich auch NICHT um ein Problem der blossen Diskriminierung aufgrund
sexueller Identität bzw. Orientierung, sondern es handelt sich um massive
körperliche Schädigungen (vgl. unten 3a), deren Folgen von den Opfern nicht von
ungefähr mit den Folgen von Folter, sexuellem Kindesmissbrauch oder
medizinischen Experimenten während der Nazizeit verglichen werden!
Die hohe Zahl der Opfer, die Schwere und das Ausmass der an ihnen in den
letzten 60 Jahren systematisch begangenen Menschenrechtsverletzungen machen die
Zwangsoperationen an Zwittern zur wohl gravierendsten Menschenrechtsverletzung
in den westlichen Demokratien seit dem 2. Weltkrieg.
Siehe auch: Auflistung von Berichten Betroffener (2. Medizinische
Verbrechen an Zwittern / Persönliche Berichte):
https://blog.zwischengeschlecht.info/pages/Unterstutzt-den-Kampf-der-Zwitter-um-Selbstbestimmung-und-gegen-genitale-Zwangsoperationen
Erhebungen betroffener Menschen in Deutschland in der 1990er-Jahren
ergaben, dass 80% der Zwangsoperierten Selbstmordversuche unternehmen, sowie
eine effektive Selbstmordrate von 20%!
Vgl. Flugblatt der AGGPG [1997]:
http://www2.iisg.nl/id/Systematik.asp?cat=3&id=83
Trotzdem werden diese massiven Menschenrechtsverletzungen bisher weitgehendst
ignoriert, obwohl die Geschädigten seit nunmehr 13 Jahren Gerechtigkeit
fordern. Offiziell gibt es noch nicht einmal Statistiken zur Häufigkeit von
Zwittern, geschweige denn zur Problematik der genitalen Zwangsoperationen und
sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffe an Zwittern.
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2. Studien des Netzwerks Intersexualität/DSD widerlegen
Bundesregierung
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a) Bundesregierung ignoriert Menschenrechtsverletzungen und propagiert
genitale Zwangsoperationen
Bis heute schaut die Bundesregierung weg und negiert diese systematischen
Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen, obwohl sie in den letzten zwölf
Jahren mehrmals dazu aufgefordert wurde, zur Situation der intersexuellen
Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen
Implikationen Stellung zu nehmen.
Stattdessen propagiert die Bundesregierung die Zwangseingriffe aktiv mit
tatsachenwidrigen Behauptungen:
- Der Bundesregierung sei nicht bekannt, „dass eine Vielzahl von Intersexuellen
im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert“
(14/5627).
- Die Zwangsoperationen seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten
deshalb dem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627).
- "[G]rößer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden
laut Bundesregierung gar beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten
rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit
vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig
befinden" – allerdings vermochte die Bundesregierung dafür keine Belege
anzuführen (16/4786).
Ausführlicher: Die Bundesregierung vs. Zwitter:
http://de.indymedia.org/2008/11/233955.shtml
b) Aktuelle Forschungsergebnisse des "Netzwerk Intersexualität/DSD"
beweisen massive Menschenrechtsverletzungen
- Die meisten Opfer der menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen tragen
massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ihr Leben lang
leiden.
- Nicht zwangsoperierte Zwitter haben im Vergleich eine deutlich höhere
Lebensqualität.
- Trotzdem werden nach wie vor über 80% aller Zwitter meist mehrfach
zwangsoperiert.
Aktuelle Studienergebnisse in Deutschland: Ausführlicher hier:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen
c) Einige Auszüge aus den beiden Studien
Schon 2007 bekräftigte die
"Hamburger Studie": Die
"Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist eklatant hoch".
Denselben Tatbestand untermauert nun auch eine erste Vorveröffentlichung der
"Lübecker Studie", mit 439 ProbandInnen die weltweit bisher
größte Untersuchung der Folgen von Zwangsbehandlungen:
Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und auch Eltern
intersexueller Kinder "gering" (S. 18). Vor allem erwachsene Intersexuelle sind
"mit der medizinischen Behandlung sehr unzufrieden" (S. 37), insbesondere
diejenigen, die keine psychologische Beratung erhalten haben (S. 19). (Obwohl
Betroffenenorganisationen seit 15 Jahren psychologische Beratung als Muss
fordern, ist sie immer noch die Ausnahme.)
Die Beratungszufriedenheit auch der Eltern ist signifikant geringer als bei
"anderen chronischen Erkrankungen" (S. 18).
Eltern sowie Kinder und Jugendliche berichten von "Beeinträchtigungen ihrer
Lebensqualität" (S. 21). Sowohl das körperliche als auch das psychische
Wohlbefinden ist "deutlich niedriger" als bei Nicht-Intersexuellen (S. 21). Die
gesundheitsbezogene Lebensqualität ist auch bei erwachsenen Intersexuellen
deutlich niedriger als bei Nicht-Intersexuellen (S. 22).
Je mehr Zwangsoperationen durchgeführt wurden, desto stärker leidet die
Lebensqualität besonders "im Bereich körperliche Schmerzen" (S. 22). "25
Prozent aller operierten StudienteilnehmerInnen" berichten von Komplikationen
"im Anschluss an die Operationen" (S. 17).
Insbesondere bei operativ und hormonell dem weiblichen Geschlecht
"angeglichenen" Intersexuellen sind "in den Bereichen allgemeine
Lebensqualität, psychische und körperliche Gesundheit deutliche Unterschiede
zur Vergleichsgruppe" (S. 22) zu finden.
Insgesamt leiden 45 Prozent der Erwachsenen unter psychischen Problemen, die
"insbesondere die Arbeit und den Alltag" beeinträchtigen (S. 37).
Auch im Bereich "Sexualität und Partnerschaft" offenbart die Studie ein
erschreckendes Bild:
Während bei nicht-intersexuellen Jugendlichen und Erwachsenen nur eine
Minderheit keine Beziehungen und sexuelle Kontakte haben, sind die Verhältnisse
bei Intersexuellen genau umgekehrt (S. 30-31).
Fast die Hälfte der Erwachsenen berichten "über eine Vielzahl von Problemen im
Zusammenhang mit der Sexualität" wie "sexuelle Lustlosigkeit" oder "Schmerzen",
zwei Drittel sehen "einen Zusammenhang zwischen diesen sexuellen Problemen und
[...] den [...] medizinischen und chirurgischen Maßnahmen" (S. 31).
Die Studienergebnisse bestätigen überdies, je häufiger Intersexuelle
Zwangsoperationen unterworfen werden, desto seltener leben sie in einer festen
Partnerschaft – und umgekehrt (S. 31).
d) Literatur und Quellen
"Hamburger Studie"
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0
Vorabbericht der "Lübecker Studie"
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen
CEDAW-Schattenbericht Intersexuelle Menschen e.V.
http://intersex.schattenbericht.org
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3. Schattenbericht CEDAW 2008, Rügen an Bundesregierung
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Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New
York vor dem UN-Komitee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den
Menschenrechtsverstössen an intersexuellen Menschen in Deutschland ein.
Bestandteil des Schattenberichts ist die Forderungsliste des Vereins
Intersexuelle Menschen e.V., die am 20. Juli 2008 präsentiert wurde.
Darin sind verschiedene Menschenrechtsverletzungen, denen intersexuelle
Menschen regelmässig ausgesetzt sind, detailliert dokumentiert.
CEDAW-Schattenbericht (Deutsch):
http://intersex.schattenbericht.org
CEDAW Shadow Report (english):
http://intersex.shadowreport.org
Leider ist die Übersetzung, die im Auftrag des Instituts für Menschenrechte
(Berlin) vorgenommen wurde, teilweise irreführend, da z.B. wiederholt von
"gender" die Rede ist, wo im deutschen Text eindeutig körperliches Geschlecht
("sex") gemeint ist.
a) Auflistung der menschenrechtswidrigen Zwangseingriffe
(Deutsch)
http://intersex.schattenbericht.org/post/2008/07/21/32-Auflistung-der-Menschenrechtsverletzungen-infolge-der-Behandlung-nach-den-Standards-entwickelt-von-Prof-Dr-John-Money
3.2.1 Gonadenentnahme (Kastration) S. 13
3.2.2 Genitalamputation S. 13
3.2.3 Wirksamer Rechtsschutz S. 13
3.2.4 Behandlungsdokumentation S. 14
3.2.5 Irreversible genitalchirurgische Eingriffe bei Unmündigen und
Erwachsenen S. 14
3.2.6 Off-Label-Use von Medikamenten S. 14
3.2.7 Behandlungskonsequenzen im Handlungsspielraum
der medizinischen
Definition S. 15
b) List of non-consented, forced treatments which violate the human
rights of the victims (english)
Shadow Report (PDF):
http://intersex.shadowreport.org/public/Association_of_Intersexed_People-Shadow_Report_CEDAW_2008.pdf
3.3.1 Removal of Gonads (Castration) 13
3.3.2 Genital Amputation 14
3.3.3 Effective Protection of Rights 14
3.3.4 Documentation of Treatment 15
3.3.5 Irreversible Genital Surgery of Minors and Adults
15
3.3.6 Off–Label Use of Pharmaceuticals 15
3.3.7 Consequences of Treatment in Scope of Medical
Definition 16
c) UNO rügt Bundesregierung wegen mangelndem Schutz der Menschenrechte
von Zwittern
Im
mündlichen Examen des 6. CEDAW-Staatenberichts der
Bundesrepublik mahnte das CEDAW-Komitee am 2.2.2009:
- Es sei der Wille des Ausschusses, dass auch Zwitter "die vollen
Menschenrechte erhalten".
- Auch Zwitter hätten "immer" das Recht auf "volle informierte
Zustimmung".
- Weiter rügte der Ausschuss die Nicht-Beantwortung einer vorgängigen
schriftlichen Frage des Ausschusses durch die Bundesregierung und rügte die
Bundesregierung weiter ebenfalls überraschend deutlich dafür, dass sie bisher
jegliche Kommunikation mit den Interessenverbänden der Zwitter stets verweigert
hatte.
Ausführlicher:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/02/05/Genf%3A-UNO-mahnt-Bundesregierung
In den schriftlichen
Concluding Observations
(CEDAW/C/DEU/CO/6) rügte das Komitee die Bundesregierung wie folgt
(Fettschreibung im Original):
61. [...] Der Ausschuss bedauert jedoch, dass die Forderung nach einem
Dialog, die von Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen [...] Menschen
erhoben wurde, vom Vertragsstaat nicht positiv aufgegriffen worden ist.
62. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat auf, in einen Dialog mit
Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen [...] Menschen einzutreten, um
ein besseres Verständnis für deren Anliegen zu erlangen und wirksame Maßnahmen
zum Schutz ihrer Menschenrechte zu ergreifen.
Ausführlicher, mit Links zu den Concluding Observations deustch und
englisch:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/02/13/CEDAW%3A-Schriftliche-Empfehlungen-an-die-Bundesregierung
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4. Forderungsliste betroffener Menschen
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Dem CEDAW-Schattenbericht beigefügt war auch die Forderungsliste von
Intersexuelle Menschen e.V.
http://intersex.schattenbericht.org/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV
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5. Urteile LG und OLG Köln: Zwangsoperierte "schuldhaft in
Selbstbestimmungsrecht verletzt"
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Am 12.12.2007 fand am Landgericht in Köln ein Prozess statt, der auf ein
grosses Medienecho stiess und für zwischengeschlechtliche Menschen einen
Meilenstein im Kampf für ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Würde
darstellte. Mit von der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
organisierten Kundgebungen vor dem Landgericht drückten Zwischengeschlechtliche
und sympathisierende Frauen und Männer ihre Solidarität mit Christiane Völling
aus und forderten: Menschenrechte auch für Zwitter! Schluss mit genitalen
Zwangsoperationen!
Das erste Urteil erfolgte am 6.2.2008 am Landesgericht Köln: Christiane Völling
gewann den Prozess gegen Ihren ehemaligen Operateur in erster Instanz! Richter
Dietmar Reiprich hielt gleich zu Beginn fest: "Die Klage ist dem Grunde nach
gerechtfertigt."
Vollständiges Gerichtsurteil LG:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2008/25_O_179_07grundurteil20080206.html)
Prozessbericht und Pressespiegel:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/02/07/Sieg-fur-Christiane-Volling
Am 3.9.2008 lehnte das Oberlandesgericht Köln die Berufung des Chirurgen
einstimmig definitiv ab: "Der Chirurg hat die Patientin vor der Operation nicht
hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer Einwilligung schuldhaft
in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt."
Das Verfahren ging ans Landgericht zurück, wo bis heute über die Höhe des
Schmerzensgeldes entschieden wird. Gefordert sind mindestens 100'000
Euro.
Vollständiges Urteil OLG:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koeln/j2008/5_U_51_08beschluss20080903.html
Pressespiegel:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/09/10/Von-Zwangsoperateur-schuldhaft-in-Selbstbestimmungsrecht-verletzt-Zwitterprozess-Pressespiegel-OLG-4608
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6. Juristische Probleme und Diskriminierungen
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a) Das Problem der frühzeitigen Verjährung der genitalen
Zwangsoperationen
Christiane Völling (siehe oben 5.) gelang es nur buchstäblich in letzter
Minute, ihre erfolgreiche Anzeige gegen ihren Zwangsoperateur einzureichen; die
Verjährung wäre ihr um ein Haar zuvor gekommen. Viele weitere Betroffene haben
keine Möglichkeit zur Klage, da die herkömmlichen Verjährungsbestimmungen und
die durch die Zwangsbehandlungen resultierenden Traumata eine rechtzeitige
Klage verunmöglichen (ähnlich wie bei sexuellem Kindsmissbrauch).
b) Diskrimierung gegenüber Knaben- und
Mädchenbeschneidung
Bei Knabenbeschneidungen handelt es sich in der Regel ebenfalls nicht um
eingewilligte, medizinisch nicht indizierte Operationen, zu welcher auch die
Erziehungsberechtigten keine Einwilligungserlaubnis haben. Die hat inzwischen
auch das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. festgehalten:
http://web2.justiz.hessen.de/migration/rechtsp.nsf/92FC95DE06E27651C125734C0031B366/$file/04w01207.pdf
Auch bei Phimose wird deshalb inzwischen von Knabenbeschneidungen im
Kleinkindalter abgeraten:
http://www.aerztezeitung.de/medizin/fachbereiche/paediatrie/default.aspx?sid=305805
Mittlerweile setzt sich gar die Auffassung durch, Beschneidungen an Knaben ohne
Einwilligung der Betroffenen seien generell widerrechtlich:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=61273
Die Mädchenbeschneidung ist in Deutschland unbestrittenermassen prinzipiell
strafrechtlich geächtet.
Obwohl juristisch wie auch betreffend der Folgen für die Opfer in vielfacher
Hinsicht mit Knaben- und Mädchenbeschneidung vergleichbar, werden
uneingewilligte genitale Zwangsoperationen ohne medizinische Indikation an
jungen Intersexuellen nach wie vor systematisch praktiziert und
zwischengeschlechtliche Kinder somit gegenüber Knaben und Mädchen aufgrund
ihres körperlichen Geschlechts massiv diskriminiert.
c) Diskriminierung betreffend Sterilisations- und
Kastrationsverbot
In Deutschland sind Eltern zur Einwilligung von Kastration oder Sterilisation
bei ihren Mündeln unbestrittenermassen nicht befugt nach § 1631c BGB
(Verbot der Sterilisation eines Kindes). Trotzdem werden an intersexuellen
Kindern systematisch Zwangskastrationen durchgeführt. Wiederum werden
zwischengeschlechtliche Kinder somit gegenüber Knaben und Mädchen aufgrund
ihres körperlichen Geschlechts massiv diskriminiert.
Siehe dazu folgende Ausführungen der Rechtsprofessorin Konstanze Plett:
http://www.lobby-fuer-menschenrechte.de/Intersexualitaet02.php
d ) Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber
bezahlen
Viele Zwitter werden nicht nur genital zwangsoperiert, sondern zusätzlich
zwangskastriert und benötigen deshalb für den Rest ihres Lebens eine so
genannte "Hormonersatztherapie (HET)". Da die meisten dieser Zwangskastrierten
"zu Mädchen gemacht" werden, besteht die HET prinzipiell aus Östrogen – obwohl
viele Zwitterkörper "von Haus aus" Testosteron produzieren (und dieses je nach
Bedarf in körpereiges Östrogen umwandeln – Zwitter mit so genanntem
"Androgen-Insuffizienz-Syndom (AIS)").
Diese Östrogen-HETs wurden nie klinisch getestet, den Zwangsoperierten werden
Präparate aufgezwungen, die eigentlich nur für Frauen in der Menopause
zugelassen sind, d.h. sie erfolgen experimentell als "Off Label-Use". Obwohl
negative Folgen seit längerem auch in der medizinischen Literatur bekannt sind
(unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen,
Osteoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust),
weigern sich die Mediziner bis heute, zwangskastrierten Zwittern eine HET nach
Bedarf und Wunsch zuzugestehen.
Mehrere Betroffene begannen schliesslich, auf eigene Faust Testosteron zu
nehmen, viele davon mit positiven Resultaten. Auch in Deutschland weigern sich
die Mediziner jedoch, für Testosteron Rezepte auszustellen, die von der Kasse
übernommen werden – bezeichnenderweise gerne mit der Ausrede, eine HET mit
Testosteron sei "Off Label-Use" ... Sprich, die Zwangskastrierten müssen eine
adäquate HET noch aus der eigenen Tasche bezahlen!
Ausführlicher:
http://de.indymedia.org/2009/04/248071.shtml
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7. Wir bitten um Ihre Unterstützung!
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Zwischengeschlechtliche Menschen werden systematisch medizinisch nicht
notwendigen, traumatisierenden Zwangsbehandlungen unterworfen. Diese stellen
einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche
Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar.
Zwischengeschlecht.org fordert die vollständige Umsetzung und Anwendung der
Menschenrechte auch für Intersexuelle. Unsere Anliegen dürfen nicht mehr länger
ignoriert werden. Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen
Entwicklung sind ein Teil unserer Gesellschaft und haben als gleichberechtigte
Bürger ein Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung.
Wir bitten Amnesty International, sich mit unserer Situation ernsthaft
auseinander zu setzen, insbesondere mit der ausserordentlichen Schwere der an
Zwittern systematisch verübten Menschenrechtsverletzungen, welche dringendes
Handeln erfordert, und fordern dazu auf, einen konkreten Beitrag zu leisten,
damit diese massivsten Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen gegen
intersexuelle Menschen endlich ein Ende haben.
Jeder Tag, an dem die genitalen Zwangsoperationen nicht endlich
gestoppt werden, macht aus wehrlosen Kindern neue, irreparabel geschädigte
Opfer!
Ich hoffe, es ist mir gelungen, Ihnen vom Umfang, Ausmass und von der
Dringlichkeit des Problems eine Vorstellung vermittelt zu haben, und bitte Sie
dringend um Vorschläge, wie die Dringlichkeit unseres Anliegens innerhalb ihrer
Organisation am besten vermittelt werden kann.
Dies umso mehr, da diese Menschenrechtsverletzungen keinesfalls auf Deutschland
beschränkt sind. (Weltweit hat bisher Kolumbien als einziges Land damit
begonnen, diese systematischen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern unter
Strafe zu stellen.)
Bei eventuellen weiteren Fragen oder Anliegen stehe ich Ihnen gerne zur
Verfügung.
Freundliche Grüsse
n e l l a
Daniela Truffer
presse_at_zwischengeschlecht.info
+41 (0)76 398 06 50
http://zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfe intersex.ch
Mitglied XY-Frauen
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.
Regelmässige Updates:
http://zwischengeschlecht.info