XXY, der erste Spielfilm der argentinischen Regisseurin Lucía Puenzo erzählt
die Geschichte der fünfzehnjährigen Alex (dargestellt von der Schauspielerin
Inés Efron), die anscheinend mit der Diagnose
AGS geboren wurde (und
nicht mit dem
Klinefelter-Syndrom, wie der Filmtitel
vermuten lässt und auch wir zuerst irrtümlich angenommen hatten, siehe unten
Nachträge). Ihre Eltern haben sich bisher dem Druck zur
geschlechtsangleichenden Operation nicht gebeugt. Alex verliebt sich
ausgerechnet in den Sohn des Chirurgen, der sie operieren will. Der Film hat in
Cannes einen Preis gewonnen und ist in Frankreich, Italien und Spanien bereits
letztes Jahr angelaufen. Am 9. Januar 2008 läuft er in der
französischsprachigen Schweiz an, am 20. März 2008 (neu: 31. Juli) in der
deutschsprachigen Schweiz und am 10. Juli 2008 in Deutschland, wo er schon im
November 2007 in Münster am
Queerstreifen-Festival
lief und im Juni 2008 zudem am
Filmfest
München zu sehen sein wird.
Wir sind schon mal gespannt auf den Film. Bleibt zu hoffen, dass das
Thema "Intersexualität" und die damit verbundenen Anliegen durch diesen
Film im öffentlichen Bewusstsein an Bedeutung gewinnen, bzw. dass wir nicht
stattdessen dauernd wieder nur Dinge lesen müssen wie "[die Regisseurin] nimmt
es dabei aber zum Glück medizinisch nicht allzu genau":
"Es geht um Gender"
Trailer mit deutschen
Untertiteln
Filmkritiken von SchülerInnen
Homepage der Regisseurin
XXY - der Film: Schweizer Verleiher nimmt Problematik ernst
XXY - Ein menschlicher Film über Zwitter
Schwullesbisches Filmfestival "Pink Apple" missbraucht Zwittersymbol
Einmal mehr: Kölner Frauenfilmfestival setzt "intersexuell" =
transsexuell
Nella & Seelenlos
Nachträge: Wie eingangs ergänzt, fielen auch wir prompt auf
den irreführenden Titel herein und gingen zunächst davon aus, der Film handle
von einem Menschen mit dem Chromosomensatz XXY (Klinefelter Syndrom). Deshalb
zuerst unser Erstaunen, da Menschen mit Klinefelter in der Regel als Jungen
erzogen werden, sprich Operationen sind kaum ein Thema, im Gegensatz zu den im
Film ebenfalls angesprochenen Hormonverschreibungen.
Beim Klinefelter-Syndrom handelt es sich gemäss medizinischer Definition nicht
um eine Form der Intersexualität, "da keine Diskrepanz zwischen dem
Erscheinungsbild der Genitalien und dem (männlichen) Chromosomensatz besteht",
siehe
http://www.intersex-forschung.de/glossar.html.
(Obwohl ich persönlich mehrere Menschen mit Klinefelter kenne, die sich selbst
sehr wohl als intersexuell verstehen.)
Des Rätsels Lösung:
Auf der Homepage der Regisseurin steht im spanischen und französischen Teil
(nicht aber im englischen) der offensichtlich erst nachträglich angebrachte
Hinweis, Alex' Diagnose sei AGS. (Danke an skywalker für den Hinweis.) Wie eine
Internet-Recherche
xxy+puenzo+klinefelter zeigt, ein Irrtum, dem noch einige andere mehr
ebenfalls aufsitzen ...
Prompt wurde die Titelwahl bereits von der italienischen Klinefelter-SHG
Unione Italiana Sindrome di Klinefelter
(Unitask) in einer
Stellungnahme als
irreführend kritisiert, auch wenn Unitask generell die Botschaft des Filmes
gutheisst (Teil-Übersetzung aus dem Italienischen):
UNITASK teilt die Botschaft des Films, der sich gegen jegliche Form von
sexueller Diskriminierung oder Vorurteile wendet. Obwohl das wissenschaftliche
Komitee hervorhebt, dass Puenzo mit grosser Sensibilität die Probleme
beschreibt, die für einen Hermaphroditen und dessen Familien entstehen können,
ist das wissenschaftliche Komitee der Ansicht, dass der Titel "XXY, Männer,
Frauen oder beides?" total irreführend sei und eine schwerwiegende Verzerrung
der medizinischen Realität von Klinefelter-Menschen darstelle, in dem der Film
einen Kausalzusammenhang zwischen zwei Syndromen herstellt, der auf der
biologischen Ebene absolut nicht existiert und auf der psychologischen Ebene
für Patienten, ihre Familien und vor allem die Jugendlichen und Schwangeren mit
Pränataldiagnose XXY sehr gefährlich ist.
Die obigen kurzen wissenschaftlichen Betrachtungen erlauben es, die
komplette Widersprüchlichkeit dessen aufzuzeigen, die durch den Film suggeriert
wird. Umso schlimmer und schädigender für die Würde und die Charakterisierung
einer Person mit Klinefelter, zumal die Regisseurin sich in den Interviews auf
eine medizinisch-wissenschaftliche Dokumentation bezieht, die besagt, dass
"Intersexualität (worunter das Klinefelter-Syndrom bekannt ist) eine
mutmassliche genetische Anomalie ist, bei der männliche Gene (XY) und weibliche
Gene (XX) sich verbinden, was dazu führt, dass es zu einer gleichzeitigen
Bildung von männlichen und weiblichen äusseren Geschlechtsorganen bei derselben
Person kommt ...".
Offenbar hat die Regisseurin trotz guter Absichten zum Teil ihre Hausaufgaben
nicht oder nur mangelhaft gemacht. Auch auf deutschsprachigen IS-Foren
heissts:
Wie im anderen Forum schon gesagt, ist der Titel missverständlich. Er
versucht wohl auf provokante Weise die Symbole XX=Frau/XY=Mann zu verbinden und
meint nicht das Klinefeltersyndrom.
(claudia auf dem xy-forum)
Es wäre daher wünschenswert, dass die deutschsprachigen Vertriebe des Films in
ihrer Pressearbeit zum Filmstart auf diese Diskrepanzen hinweisen bzw. sie
richtig stellen, damit Betroffene keinen Schaden erleiden und die offenbar an
sich positive Botschaft des Films wirklich zum Tragen kommt.
Bisher siehts damit jedoch mau aus. Auf der
Website des
deutsch-CH-Vertriebs trotz Hinweis etwa heisst's nach wie vor (Stand
10.1.08):
Alex ist fünfzehn – und aufgrund des seltenen Chromosomensatzes XXY ist
sie beides: Junge und Mädchen.
Aua. Höchste Zeit, dass die Verleiher und Medien allerorts ihre Verantwortung
wahrnehmen. Bevor einmal mehr Betroffene leiden müssen -- für einen Werbegag.
Bitte nicht. Marketing auf Kosten Betroffener liegt nicht drin. Auch wenn der
Film selber gute Intentionen und Anliegen hat. Noch ist es nicht zu spät.
Nachtrag: Wir haben unterdessen die Verleiher in der
Deutschschweiz und in D angeschrieben (siehe Kommentare unten). Die Zuständigen
sind aber aktuell unterwegs oder waren in den Ferien und hatten noch keine Zeit
... Ebenso deutschsprachige Klinenfelter-Syndrom- und AGS-Selbsthilfegruppen.
Die Deutsche Klinefelter-Syndrom Vereinigung e.V. hat sich bereits mit dem
deutschen Verleiher in Verbindung gesetzt, wie der 1. Vorsitzende in einer
E-Mail vom 20.1.2008 schreibt. Auch der Verein Klinefelter-Syndrom Schweiz hat
sich des Problems angenommen:
http://www.klinefelter.ch/aktuell_.html.
Desgleichen die österreichische SHG:
http://klinefelter.at/aktuell.htm. Wir
beiben in Kontakt.
XXY auf zwischengeschlecht.info:
XXY - Ein menschlicher Film über Zwitter
XXY - der Film: Schweizer Verleiher nimmt Problematik ernst
Berichte zum Deutschlandstart von "XXY"
Schwullesbisches Filmfestival "Pink Apple" missbraucht Zwittersymbol
Einmal mehr: Kölner Frauenfilmfestival setzt "intersexuell" =
transsexuell
Nachtrag 10.2.08: Der CH-Verleih Xenix-Film hat inzwischen
reagiert und den oben zitierten fragwürdigen Text auf der Homepage abgeändert
zu:
Alex ist fünfzehn – und trägt ein grosses Geheimnis in sich.
Aufgrund einer seltenen Laune der Natur ist sie beides: Junge und
Mädchen.
Zudem erstellten wir in Koordination mit den Klinefelter-SHGs ein Glossar, das
die Diskrepanzen des Filmtitels erläutert und richtig stellt, dieses ist nun
Bestandteil der Pressemappe (
mehr
dazu im Update hier).
Danke!
Nachtrag 29.2.08: Nachdem der CH-Filmstart in der Zwischenzeit
auf den 10. April 2008 verschoben wurde, ist er nun erneut verschoben worden,
und zwar auf den 31. Juli 2008.
--> Fortsetzung ...