Mitunter ziemlich zwiespältiger Artikel von Katrin Schmiedekampf in der Druckausgabe der aktuellen "Brigitte" auf S. 88-92, eingeführt wie folgt:
Claudia und Daniel Brandt* (* Alle Namen von der Redaktion geändert) haben es getan. Sie mußten eine Entscheidung fällen, die eigentlich zu groß ist für zwei Menschen: Sie mussten bestimmen, ob ihr Kind Mädchen oder Junge ist
(Hervorhebung im Original)
Zusammen mit dem Artikel erschien ein Kasten-Interview mit Hertha Richter-Appelt, die auch im Artikel mit Zitaten vertreten ist (das Interview gibt's auch >>> online hier).
Als weiterer "Experte" wird im Artikel der üble Medizyner Dr. med. Markus Löble "von der Göppinger [Privat-]Klinik Christophsbad" zitiert.
Speziell für Menschen, die am eigenen Leibe Erfahrungen gemacht haben mit den in Artikel und Interview manchmal etwas gar salopp umschriebenen medizinischen Zwangseingriffen und "kosmetischen" Verstümmelungen (oder nur schon Menschen persönlich kennen, denen dies angetan wurde), ist das Ganze wohl wiederholt sehr harte Kost.
Der Artikel erzählt die altbekannte Geschichte überfahrener und überforderter Eltern eines frischgebackenen Zwitters, der in diesem speziellen Fall zusätzlich mit einer lebensbedrohlichen, nicht weiter bezeichneten Magenkomplikation auf die Welt kam:
Das Baby lag auf der Intensivstation; als Claudia Brandt und und ihr Mann dort ankamen, standen schon mehrere Ärzte um das Bettchen und diskutierten. Das Problem mit dem Magen hatten sie mit einer kleinen Operation in den Griff bekommen – nun ging es um das Geschlecht. Traurig und völlig hilflos schauten die Eltern auf ihr winziges Kind. Von einem Baby, das weder Mädchen noch Junge ist, hatten sie noch nie etwas gehört.
Immerhin wird im Text zum Thema erwähnt:
Die Kinder sind nicht krank, ihre Entwicklung ist im Mutterbauch nur etwas anders abgelaufen als normalerweise [...]
Abschreckend wird dann weiter beschrieben, wie unsensibel und besch...euert die (nicht spezialisierten, was später betont wird) Medizyner im "Krankenhaus" mit den Eltern umgehen, die sich kaum mehr aus dem Haus getrauen, um "im kleinen Ort" Fragen nach dem Geschlecht ihres Neugeborenen aus dem Weg gehen zu können.
Das Krankenhaus zog einen Hormonspezialisten zu Rate, knapp zwei Wochen nsch der Geburt stellte der fest, dass das genetische Geschlecht des Babys männlich ist. Gleichzeitig fand er eine Art Scheide und Gewebe, bei dem es sich um eine Gebärmutter handeln könnte. Er sagte den Brandts, dass es nur eine Möglichkeit gäbe: Sie sollten das Kind zum Mädchen machen lassen.
Immerhin, eine (schon wieder) nicht weiter umschriebene "Unterleibsoperation, die wenige Tage später geplant war, sagte Claudia Brandt kurzfristig ab. Ihr fehlte das Vertrauen in den Arzt, er hatte einen solchen Eingriff zuvor noch nie gemacht." (Aber wie noch so mancher Medizyner trotzdem immer übergierig, mal etwas zu pröbeln, es ist wirklich zum kotzen.)
"Ein Jahr später" lässt die Mutter dann einen "erfahrenen Chirurgen" ran, "einen, der wusste, was er tut". Und, wie's dann in fetten Zwischentexten heisst: "In einer Fachklinik wurde Sophie der winzige Penis entfernt" – "Wir wollten nicht, dass sich unser Kind verstecken muss". Eine (schon wieder nicht näher umschriebene) "zweite Operation [...] sollte kurz vor Sophies Pubertät erfolgen". Bei einem der Eingriffe war offenbar auch eine Kastration "inbegriffen": "Sophie [....] sieht von Tag zu Tag weiblicher aus; was auch an den Hormonen liegt, die sie inzwischen bekommt." Zudem bei der zweiten die Anlegung einer Neovagina, mitsamt den bekannten, traumatisierenden Begleitumständen – wohl bei einem "Mädchen" wie Sophie: "Sie liebt Sport jeder Art, vor allem Fussball":
Durch die neuerliche Operation im vergangenen Sommer muss das Mädchen seine modellierte Scheide mit Stäben weiten, damit sie nicht wieder zuwächst. Sophie hinkt noch ein wenig, die Ärzte haben bei dem Eingriff Haut von ihrem Bein verwendet, die Wunde heilt nur langsam, jeder Schritt spannt.
Die Mutter hat allen wiederkehrenden Selbstbeteuerungen während des Artikels offensichlich öfters heimlich ein schlechtes Gewissen. Immerhin hat sie Sophie unterdessen zumindest teilweise aufgeklärt:
Sie hat ihrer Tochter ein altes Foto von ihrer Scheide gezeigtund ihr gesagt, dass sie keie Kinder bekommen kann. "Nur, dsss sie einen XY-Chromosomensatz hat, also genetisch gesehen ein Mann ist, werde ich ihr irgendwann erklären, wenn sie älter ist."
Das Sophie eines Tages sagte, "Ich bin ein Junge", wäre laut Sophies Mutter "das Schlimmste, das Passieren kann" – und, so der Schlusssatz des Artikels, "ein paar Zweifel, sagt sie, ob sie das Richtige getan habe, werden wohl immer bleiben."
Kommentar:
Dass ihr offensichtlich nicht ganz unbelastetes Gewissen es Sophies Mutter kaum erleichtert, eine liebevolle, offene und ehrliche Beziehung zu ihrer Tochter zu haben, leuchtet wohl unmittelbar ein.
Zumindest wohl unbefangenen Laien mit etwas Empathie und Mitgefühl (und damit hoffentlich wohl auch den allermeisten "Brigitte"-Leserinnen).
Immerhin wird im Anschluss an eine Kurzschilderung von John Moneys "Zwillingexperiment" von Seiten "Brigitte" explizit festgehalten:
Heute raten die meisten Experten, bis zur Pubertät zu warten und das Kind mitreden zu lassen. Eltern, sagen sie, haben nicht das Recht, eine so wichtige Entscheidung allein zu treffen.
Ähem, als ob sie da überhaupt irgend ein Recht hätten ...
Anders sieht's allerdings der "Experte" Chefarzt Dr. med. Markus Löble, Kinder und Jugendpsychiater von der Göppinger Klinik Christophsbad (der als "Gegenstimme" aufgefahren wird zu Hertha Richter-Appelt, welche im Artikel rät OPs "hinauszuzögern – am besten so lange, bis das Kind mitreden kann"):
"Nach wie vor gilt die Faustregel: Glückliche Eltern haben glückliche Kinder", sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Markus Löble von der Göppinger Klinik Christophsbad. "Nur wenn sie mit der Situation zurechtkommen, können auch die Kinder unbeschwert aufwachsen." Deswegen sollten die Eltern entscheiden, was für ihr Kind richtig sei.
Bestimmt würde der gewissenlose Kinderpsychiater Markus Löble in der "Privatklinik" Christophsbad Eltern wohl auch dabei unterstützen, ihrem Kind Arme und Beine "verkleinern" zu lassen und den Kehlkopf zu "operativ zu entfernen", wenn sie ihr ungeliebtes Kind dadurch "mehr lieben könnten", was ja dann wohl wiederum nur dem Kind zu Gute käme ...
Wetten, würde dem sauberen Doktor Markus Löble selber mal an den eigenene Geschlechtsteilen ungefragt herumgeschnibbelt, würde er ziemlich null-komma-nix eine andre Tonart anstimmen?!
Gegenüber dem derart offensichtlich menschenverachtenden Kollegen Markus Löble wirkt Hertha Richter-Appelt schnell mal als hehre Paulus-Figur, obwohl sie speziell im >>> Kasten-Interview mit reichlich fragwürdigen Zitaten aufwartet, wegen denen sie >>> im Hermaphrodit-Forum prompt kritisiert wurde, z.B. wegen diesem:
Ich glaube, es ist unmöglich, ein intersexuelles Kind ohne irgendeine Schwierigkeit großzuziehen. Ich habe mit vielen Intersexuellen gesprochen, die unglücklich darüber sind, dass sie als Kind operiert wurden. Niemand weiß, ob sie sich auch beklagen würden, wenn nichts gemacht worden wäre. Wichtig ist, Experten zu Rate zu ziehen und sich jeden einzelnen Fall genau anzuschauen. Bei manchen Kindern stellt sich erst in der Pubertät heraus, was sie sein wollen. Mit Operationen sollte man daher warten, bis das Kind mitentscheiden kann - außer der Eingriff ist lebensnotwendig.
Dass Hertha Richter-Appelt hier verschweigt, dass diejenigen, die sich allenfalls "beklagen würden, wenn nichts gemacht worden wäre", später immer noch die Möglichkeit hätten, selbstbestimmt "etwas zu machen", während es umgekehrt eine Zwangs-OP nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, ist tatsächlich ein starkes Stück. Ebenso das folgende Zitat:
Es gibt viele intersexuelle Menschen, die mit dem, was mit ihnen gemacht wurde, unzufrieden sind. In den seltensten Fällen äußern sie jedoch den Wunsch, sich umoperieren zu lassen. Viele hätten einfach gern einen unauffälligeren Körper, sie klagen beispielsweise über breite Schultern, Brüste, große Füße oder einen stämmigen Körperbau. Diese Menschen hadern damit, überhaupt betroffen zu sein.
Viel verharmlosender geht's wohl nicht mehr.
Trotzdem finde ich's bedenklich, dass im erwähnten >>> Thread im Hermaphrodit-Forum ausschliesslich Hertha Richter-Appelt kritisiert wird, während der unsägliche Kinder- und Jugendpsychiater Markus Löble schlicht unter den Tisch fällt.
Zwar hält dieser Blog (im Gegensatz etwa zu Intersexuelle Menschen e.V.) Hertha Richter-Appelt sachbezogen für durchaus kritikwürdig (und sei's nur schon, damit sie ihre Fahne nicht noch mehr in den Medizynerwind hält).
Hertha Richter-Appelt jedoch zum Zentrum der Kritik zu machen und darob Figuren wie z.B. den erwähnten Markus Löble, aber auch Ute Thyen, Olaf Hirt, Heino Meyer-Bahlburg usw. wiederholt unter den Tisch fallen zu lassen, hilft m.E. den Falschen.