Wednesday, April 23 2025

IGM2025 > Geschlechter-Aktivist:innen als Mittäter:innen bei IGM

Dass Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) nach über 30 Jahren Kampf von Betroffenen und Verurteilungen durch Menschenrechts- und Ethikgremien 2025 auch in der Schweiz immer noch ungestraft weiterpraktiziert werden können, ist nur möglich, weil es neben den Täter:innen auch eine ganze Reihe von Mittäter:innen gibt, die IGM, das dadurch verursachte lebenslange Leid und die Proteste der Betroffenen konstant vereinnahmen, verharmlosen, ignorieren, ausblenden und unsichtbar machen. Oft genug sind diese Mittäter:innen ausgerechnet diejenigen, welche das Thema "im Namen der Betroffenen" in der Öffentlichkeit und in der Politik ausbreiten und womöglich buchstäblich besetzen (was von Betroffenen und Verbündeten seit mehr als 20 Jahren als "Kolonialisierung" verurteilt wird).

Leider gibt es unter diesen Mittäter:innen auch Intersex-Menschen, meist selbst keine IGM-Überlebenden, die sich vor allem für Geschlechterpolitik interessieren, dabei aber Intersex als Mittel zum Zweck benutzen und öffentlich unwahre Behauptungen verbreiten, die Intersex-Kindern und Intersex-Menschenrechten massiv schaden.

Z.B. Urs Vanessa Sager (OII/InterAction Suisse).

Öffentliche Behauptung (1): "In den grossen Universitäts- und Kantonsspitälern mit 'interdisziplinären Teams' werden Intersex-Kinder nicht mehr genitalverstümmelt"

Urs Vanessa Sager: "Diese Motion haben wir gestartet, weil diese Operationen eben nach wie vor gemacht werden an gewissen Orten in der Schweiz. Es gibt - in gewissen Spitälern gibt es interdisziplinäre Teams, aber eben nicht in allen Spitälern. Das heisst für intergeschlechtliche Kinder oder Menschen oder Eltern, die intergeschlechtliche Kinder bekommen ganz einfach, entweder ich habe Glück und ich bin in der Nähe eines solchen Spitals, das das interdisziplinäre Team hat und das uns richtig informiert und begleitet, oder – ich habe dieses Glück einfach nicht."
Quelle: SRF Einstein "Körperlich weder Mann noch Frau", 16.02.2023

Tatsache (1): In den grossen Spitälern wird im Gegenteil am meisten operiert, genau die "interdisziplinären Teams" verordnen die Verstümmelungen und führen sie durch (z.B. im Kispi Zürich jedes Jahr 85-135 Genital-OPs an Intersex-Kindern). Die einzigen Intersex-Kinder, die "Glück" haben, sind diejenigen, deren Eltern nicht-notwendige OPs standhaft verweigern.

Öffentliche Behauptung (2): "Nur die wenigsten Intersex-Kinder werden genitalverstümmelt"

"Die umstrittenen Operationen betreffen hingegen nur einen kleinen Teil von intergeschlechtlichen Personen. Sager betont: In den meisten Fällen machen sich Geschlechtsvariationen erst mit der Pubertät bemerkbar – oder sogar erst durch Zufallsbefunde, wenn beispielsweise im Unterleib operiert wird."
Quelle: NZZ, "Tausende Menschen in der Schweiz haben weibliche und männliche Geschlechtsmerkmale. Wünschen sie sich einen dritten Geschlechtseintrag?", 25.05.2024

Tatsache (2): Die hauptsächlichen Intersex-Diagnosen, bei denen auch am meisten verstümmelt wird, u.a. "Hypospadie", "Adrenogenitales Syndrom (AGS)" und "Androgenresistenz (AIS)", werden heute in der Regel pränatal oder bei der Geburt erkannt – und die Kinder werden dann abgetrieben oder in den ersten Lebensjahren verstümmelt.

Öffentliche Behauptung (3): "2% aller Menschen sind Intersex"

Quelle: Fausto-Sterling, The Five Sexes (2000)

"Die Uno geht davon aus, dass 0,05 bis 1,7 Prozent der Menschen betroffen sind. Der Verein Interaction, dem Urs Vanessa Sager vorsteht, geht sogar von 1 bis 2 Prozent aus. […] Sager geht davon aus, dass viele Betroffene gar nicht von ihrer Intergeschlechtlichkeit wissen. «Und selbst wenn, dann sieht man es den meisten nicht an, weil sie zu einem Geschlecht tendieren», sagt Sager."
Quelle: NZZ, "Tausende Menschen in der Schweiz haben weibliche und männliche Geschlechtsmerkmale. Wünschen sie sich einen dritten Geschlechtseintrag?", 25.05.2024

Tatsache (3): Die hauptsächlichen Intersex-Diagnosen, u.a. "Hypospadie", "Adrenogenitales Syndrom (AGS)", "Androgenresistenz (AIS)" und mehr, bei denen meist verstümmelt wird, und bei denen Ärzt:innen, Eltern wie auch die Betroffenen selbst am eigenen Körper sehr wohl merken, dass sie intersex sind, betreffen ca. 0.2% (genaue Statistiken werden nirgends erhoben).

Bei der oft herumgebotenen Zahl von 1,7% (siehe Bild) wurden zu den genannten 0.2% dann noch 1.5% mit der Diagnose "late onset AGS" dazugerechnet. Diese sind bei der Geburt tatsächlich per Definition unauffällig, und viele merken ihr Leben lang nichts oder wenig, dass ihr Testosteronspiegel leicht ansteigt.

Die erste Gruppe von ca. 0.2%, die mehrheitlich schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, weil sie Intersex sind, mit den anderen 1.5%, die mehrheitlich (wie Sager selbst andeutet) "gar nicht wissen", dass sie intersex sein sollen und die keine vergleichbaren Folgen davontragen, in einen Topf zu werfen und zu vereinnahmen sowie IGM zu relativieren und zu verharmlosen, ist unsolidarisch, unmoralisch und Mittäter:innenschaft bei Intersex-Genitalverstümmelungen.

Wir wehren uns gegen solche Unsichtbarmachung, Verharmlosung und Vereinnahmung von Intersex und IGM!

Siehe auch:
100 UNO-Rügen wegen IGM!
Intersex-Genitalverstümmelung in der Schweiz
Zwitter und progressive LGBTs gegen Intersex-Vereinnahmung

Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft
Präsentation @
Feministisches Hochschulkollektiv Zürich, 8.11.23

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Tuesday, April 22 2025

IGM2025 > Gleichstellungsbüros als Mittäter:innen bei Intersex-Genitalverstümmelungen

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Heidi Walcutt: 'STOP Intersex Genital Mutilation!' (1997)Dass Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) nach über 30 Jahren Kampf von Betroffenen und Verurteilungen durch Menschenrechts- und Ethikgremien 2025 auch in der Schweiz immer noch ungestraft weiterpraktiziert werden können, ist nur möglich, weil es neben den Täter:innen auch eine ganze Reihe von Mittäter:innen gibt, die IGM, das dadurch verursachte lebenslange Leid und die Proteste der Betroffenen konstant vereinnahmen, verharmlosen, ignorieren, ausblenden und unsichtbar machen.

Oft genug sind diese Mittäter:innen ausgerechnet diejenigen, welche das Thema "im Namen der Betroffenen" in der Öffentlichkeit und in der Politik ausbreiten und womöglich buchstäblich besetzen (was von Betroffenen und Verbündeten seit mehr als 20 Jahren als "Kolonialisierung" verurteilt wird).

Z.B. die Fachstellen für Gleichstellung in Geschlechterfragen der Städte Bern, Basel und Luzern.

Bern: Expliziter Auftrag der Fachstelle für Gleichberechtigung zur
Bekämpfung "geschlechtsspezifischer Gewalt" (Aktionsplan 2023-26, PDF S. 16).
Weiter beruft sich der Aktionsplan (S. 8) explizit auf die UNO-Komitees CRC und CEDAW,
die beide die Schweiz bisher je 2x wegen IGM rügten.

Fachstellen, die zwar alle drei den mehr oder minder expliziten Auftrag zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt an "LGBTI", "queeren" und "intergeschlechtlichen Menschen" haben, in der Praxis aber die real existierende medizinische Gewalt an Intersex-Menschen ausblenden.

Laut dem Gleichstellungs-Glossar, auf das der Aktionsplan 2023-26 verweist, schliesst dabei "Geschlechtsspezifische Gewalt" explizit Gewalt an "intergeschlechtliche[n] Personen" mit ein.

Etwa am kommenden Donnerstag, den 24.04.2025 um 19h an einem öffentlichen Podium in der Photobastei Zürich, wo Vertreter:innen dieser drei Fachstellen unter dem Motto "Sichtbarkeit von intergeschlechtlichen Menschen stärken" über "Themen rund um die Aufgaben und Angebote dieser Fachstellen" diskutieren wollen – aber ausdrücklich nicht über die andauernden Intersex-Genitalverstümmelungen in den Kinderspitälern vor ihrer Haustüre.

Auf Anfrage bestätigten Vertreter:innen der Fachstellen, dass der Schutz der körperlichen Integrität von Intersex-Menschen sowohl in der praktischen Arbeit der Fachstellen wie auch an der Podiumsdiskussion ausdrücklich kein Thema sei.
(Da uns vorgeworfen wurde, dies sei so "verkürzt und unvollständig", hier der anonymisierte Mail-Austausch.)

Geleitet wird die Diskussion dazu passend von einer Person, die dafür bekannt ist, in der Öffentlichkeit Intersex und z.B. non-binäre Geschlechtsidentitäten unzulässig zu vermischen, sowie für massiv schädliche öffentliche Statements wie z.B. in den grossen Schweizer Kliniken würden Intersex-Kinder angeblich nicht mehr verstümmelt. (Tatsächlich verstümmeln gerade die grossen Kliniken am meisten.

Wir wehren uns gegen solche Unsichtbarmachung, Verharmlosung und Vereinnahmung von Intersex und IGM!

Siehe auch:
100 UNO-Rügen wegen IGM!
Intersex-Genitalverstümmelung in der Schweiz
Zwitter und progressive LGBTs gegen Intersex-Vereinnahmung

Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft
Präsentation @
Feministisches Hochschulkollektiv Zürich, 8.11.23

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Sunday, April 20 2025

Geschafft! 100 UNO-Rügen wegen IGM!

Am 6. Mai 2014 reichten wir unseren ersten kollaborativen NGO-Bericht ein, inklusive einem ausführlichen Anhang zu IGM weltweit (PDF, en) – noch per Post. Im Januar 2015 erzielten wir damit unsere erste UNO-Rüge wegen IGM, vom UNO-Kinderrechtsausschuss an die Schweiz, damals erst die 2. Rüge weltweit. 138 Berichte später (darunter 52 kollaborative) ist es nun soweit ...

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IGM = Folter, NICHT 'Diskiminierung' oder 'Geschlechtsidentität'Wie Anfang Jahr prophezeit, zählen wir aktuell 100 Rügen von UNO-Komitees wegen Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) an Mitgliedstaaten in der ganzen Welt, die alle ausdrücklich IGM als eine schwere Menschenrechtsverletzung anerkennen, u.a. als schädliche kulturelle Praxis (worunter auch die weibliche Genitalverstümmelung fällt) und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (die unter das absolute Folterverbot fällt).

An diesem historischen Etappenziel der Intersex-Menschenrechtsbewegung war Zwischengeschlecht.org / StopIGM.org massgeblich beteiligt:

Von den ersten 100 IGM-Rügen erfolgten 48 aufgrund von NGO-Berichten, die wir alleine einreichten, sowie 34 weitere aufgrund von gemeinsamen Berichten zusammen mit lokalen Intersex-NGOs und Menschenrechtsverteidiger:innen – spricht insgesamt nicht weniger als 82 Rügen erfolgten aufgrund unserer (kollaborativen) Berichterstattung an die UNO-Komitees CRC, CEDAW, CRPD, CAT und CCPR.

In Kürze folgt eine vollständige Liste der ersten 100 Rügen inkl. allen dazugehörigen NGO-Berichten samt Downloadlinks. Weitere aussagekräftige Dokumentationen sind in Vorbereitung.

Fürs erste feiern wir aber diesen unglaublichen Erfolg ...

Und danken allen, die daran beteiligt waren: u.a. Intersex-NGOs, Menschenrechtsverteidiger:innen und Verbündete, die substantielle NGO-Berichte einreichten; IGM-Überlebende, die ihre oft matchentscheidenden Zeugnisse beitrugen; und alle UNO-Taskforce- und Komitee-Mitgliedern, die zuhörten und die durch IGM verursache Schäden, das Leid und die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen anerkannten. Hipp, hipp!!!

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM

Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft
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Feministisches Hochschulkollektiv Zürich, 8.11.23

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Sunday, April 13 2025

IGM2025 > Intersex-Genitalverstümmelung in der Schweiz (1)

STOP Genitalverstümmelung in Kinderkliniken!Seit über 30 Jahren klagen Betroffene Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) als schwere Menschenrechtsverletzung an, seit bald 20 Jahren auch in der Schweiz. 2012 kritisierte die Nationale Ethikkommission (NEK-CNE) IGM als "mit den Grund- und Menschenrechten nicht vereinbar" und anerkannte das dadurch verursachte Leid. Seit 2015 verurteilten UNO-Komitees die Schweiz bereits acht mal wegen IGM. Trotzdem werden in Schweizer Kinderspitälern weiterhin jedes Jahr mehrere hundert Intersex-Kinder genitalverstümmelt, bezahlt von der Schweizerischen "Invalidenversicherung (IV)", während die Verantwortlichen die Verstümmelungen immer dreister leugnen. In der neuen Serie #IGM2025 beleuchtet Zwischengeschlecht.info die aktuelle IGM-Praxis in der Schweiz, nennt Ross und Reiter, Tatorte, Täter:innen und Mittäter:innen.

1. Überblick: Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) in Schweizer Kinderspitälern

a) IGM-Praktiken werden weiterhin ungestraft praktiziert

Alle Formen von IGM-Praktiken sind in der Schweiz nach wie vor weit verbreitet und werden vom Staat über die Eidgenössische Invalidenversicherung (IV) gefördert, ermöglicht und finanziert gemäss der sogenannten IV-Liste der Geburtsgebrechen, die Genitaloperationen an Intersex-Kindern bis zum Alter von 20 Jahren übernimmt, nicht aber Eingriffe an einwilligungsfähigen Erwachsenen. Von Eingriffen im Kindesalter betroffene haben wegen der Verjährung nach wie vor keine juristische Möglichkeit zu klagen.

b) Von der Schweiz übernommene internationale Leitlinien, die IGM vorschreiben, weiterhin in Kraft

Die Schweizerische Gesellschaft für Urologie anerkennt die Leitlinien 2024 der European Association of Urology (EAU), die IGM-Praktiken empfehlen, insbesondere IGM 3: "Hodenentfernung", IGM 2: Teilamputation der Klitoris bei Kleinkindern aufgrund "sozialer und emotionaler Kriterien" und stellvertretende Entscheidungsfindung durch "Eltern und Betreuer, die implizit im besten Interesse ihrer Kinder handeln", und IGM 1: "Das Alter bei der Operation zur Korrektur der primären Hypospadie beträgt in der Regel 6-18 (24) Monate."

c) Geheime nationale DSD-Richtlinien, die IGM empfehlen, bleiben in Kraft

Die "Schweizweite Einigung der DSD-Behandlungsteams" von 2019, die IGM-Praktiken vorsieht, wenn "die Eltern die 'Schande' nicht ertragen können", ein Intersex-Kind zu haben, bleibt in Kraft. Während die Vereinbarung weiterhin geheim bleibt und nicht veröffentlicht wird, geht aus der Pressemitteilung und den öffentlichen Interviews von Ärzt:innen anlässlich ihrer Einführung klar hervor, dass sie IGM verschreibt.

d) "Multidisziplinäre DSD-Teams" weiterhin von Chirurg:innen und Endokrinolog:innen dominiert

Gemäss einem von Mitgliedern der "Arbeitsgruppe DSD der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie (AG DSD SGPED)" an der 57. Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie (ESPE 2018) präsentierten Poster werden die Schweizer "Multidisziplinären DSD-Teams" weiterhin von Kinderchirurg:innen/-urolog:innen und pädiatrischen Endokrinolog:innen dominiert. Das Poster räumt ausserdem ein, dass "spezialisierte DSD-Psychologen und DSD-Spezialisten für Erwachsene [fehlen]".

e) "Multidisziplinäre DSD-Teams" bevorzugen und praktizieren nach wie IGM in Kleinkindesalter

Laut einer Präsentation an der Jahrestagung Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie (ESPE) 2019, die von einer Ärztin des Universitätskinderspitals Insel in Bern mitverfasst wurde, bevorzugen und praktizieren die "Multidisziplinären DSD-Teams" nach wie vor frühe "feminisierende Genitalkorrekturen" (IGM 2).

f) Schweizer Universitäts- und Kantonsspitäler praktizieren IGM ungestraft weiter

"SwissPedNet – das Schweizer Netzwerk der pädiatrischen Forschungszentren" ist die offizielle klinische Forschungsstation der "Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP/SSP)" und umfasst mittlerweile 6 Universitätskinderspitäler und 4 kantonale Kinderspitäler, die jedes Jahr hunderte von Intersex-Kinden genitalverstümmeln (allein das Kispi Zürich jährlich 85-135). Alle diese 10 Kliniken praktizieren weiterhin IGM:

  • Universitätskinderspital beider Basel (UKBB)
  • Universitätskinderspital Bern (Inselspital)
  • Universitätskinderspital Freiburg
  • Universitätskinderspital Genf (HUG)
  • Universitätskinderspital Lausanne (CHUV)
  • Universitätskinderspital Zürich (Kispi Zürich)
  • Kinderspital Aarau
  • Kinderspital Luzern
  • Ostschweizer Kinderspital
  • Kinderspital Tessin EOC

Dazu kommen weitere private Kliniken, die ebenfalls IGM praktizieren, namentlich IGM 1: Hypospadie"korrekturen".

(Ausserdem: All diese Kliniken praktizieren weiterhin auch unnötige, nicht-eingewilligte Vorhautamputationen an männlichen Säuglingen.)

Quellen: Vgl. StopIGM.org / Zwischengeschlecht.org, Intersex.ch und SI Selbsthilfe Intersexualität (2022): Swiss CRPD NGO Report, S. 6-23 (englisch: PDF / DOCX).

Fortsetzung folgt ...

Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft
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Feministisches Hochschulkollektiv Zürich, 8.11.23

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Thursday, February 20 2025

Mediziner:innen Backlash gegen Intersex-Menschenrechte in der Schweiz

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«Ah, ein Zwitter! Da müssen wir gleich ein paar lebenserhaltende Massnahmen ... öhm ... ABSCHNEIDEN!!!»

IGM = Folter, NICHT 'Diskiminierung' oder 'Geschlechtsidentität'

In der Schweiz beobachten wir zur Zeit neue, besonders aggressive und besorgniserregende Pro-IGM-Strategien und Kampagnenformen, die im Schafspelz daherkommen und sich auch an Verbündete richten und bereits wichtige Erfolge erzielen konnten. Prompt wird diese medizinische Kampagne dieses Jahr erneut drastisch verstärkt.

2024 hatte die lokale IGM-Lobby bereits mit einer orchestrierten öffentlichen und politischen Kampagne im National- und Ständerat eine Motion für ein strafrechtliches IGM-Verbot erfolgreich abgewürgt und stattdessen eine medizinfreundliche Motion für Selbstregulierung durch "Leitlinien" durchgebracht.

Weiter haben IGM praktizierende Ärzt:innen eine von Intersex-Aktivist:innen einberufene Gründungsversammlung für einen interdisziplinären Verein zum Thema kurzerhand gekapert und feindlich übernommen. Gegen aussen gibt sich "Varia-Suisse" progressiv und behauptet, sich für Vielfalt, Sichtbarkeit und Akzeptanz von Intersex-Menschen stark zu machen. In der Öffentlichkeit wird vom Verein das Thema OPs unterschlagen (siehe auch ihre Homepage, wo unter "Varia Suisse Urologie" nur verdeckt von "KinderurologInnen" die Rede ist), während in den "interdisziplinären Teams" von "Varia Suisse Urologie" schweizweit weiter verstümmelt wird. 3 der 5 Vorstandsmitglieder von "Varia-Suisse" arbeiten im Intersex-Team des Kispi Zürich, ganz zuoberst steht die aktuelle Chirurgin ...

Der Aufbau von Mediziner:innen-gesteuerten "Betroffenenorganisationen", die vorgeben, "weder für noch gegen Operationen" zu sein, tatsächlich aber IGM und das Recht der Eltern, ihre Kinder "operieren" zu lassen, befördern, sind leider soweit nichts neues. Sie zum Beispiel die weltweit operierenden "AGS Eltern- und Patientenorganisationen" oder das "qualifizierter Peer-Support"-Programm in Deutschland.

Neu ist dagegen, dass "Varia-Suisse" – als Fortsetzung der oben erwähnten IGM-Lobby-Kampagne – sich mit "progressivem" Deckmäntelchen in der Öffentlichkeit als alleinige "Stimme der Betroffenen" etablieren will, um künftig jede Kritik an IGM zum Beispiel von Verbündeten "im Namen der Betroffenen" mundtot zu machen.

Weiter infiltrierte "Varia-Suisse" erfolgreich europäische Intersex-Treffen.

Als nächstes plant der Verein zwei öffentliche Veranstaltungen in Zürich (die Namen der teilnehmenden Intersex-Künstler:innen wurden zwar inzwischen wieder von der Homepage runtergenommen). Als solidarische Intaktivist:innen kürzlich den IGM-Hintergrund des veranstaltenden Vereins kritisierten, wurde ihnen von "Varia-Suisse" prompt vorgeworfen, sie würden "Hass" und Destruktivität verbreiten, und als "Nicht-Betroffene" hätten sie sowieso kein Recht sich zu äussern.

Als Reaktion auf die wiederholte Kritik wurde die Homepage des "Varia Festivals" inzwischen mit einem Banner ergänzt, auf dem unter anderem zu lesen ist: "Wir sind gegen medizinisch unnötige Eingriffe" (ungeachtet der andauernden IGM-Praktiken am Uni-Kinderspital Zürich und bei "Varia Suisse Urologie"). Fortsetzung folgt ...

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Feministisches Hochschulkollektiv Zürich, 8.11.23

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Saturday, January 25 2025

Strategien von IGM-Ärzt:innen zur Verhinderung von Intersex-Menschenrechten

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IGM = Folter, NICHT 'Diskiminierung' oder 'Geschlechtsidentität'Seit Menschenrechts- und Ethikgremien Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) zunehmend als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung kritisieren und erste Staaten formelle (wenn auch bisher ungenügende) Verbote von IGM-Praktiken verabschiedet haben, können IGM-Praktizierende die jahrzehntelange Kritik von Betroffenen und ihren Organisationen nicht mehr länger einfach ignorieren. Längst sind sie dazu übergegangen, Bestrebungen für einen wirksamen Schutz von Intersex-Kindern verdeckt oder mittlerweile auch offen zu bekämpfen, um Intersex-Menschenrechte möglichst zu verhindern oder wieder rückgängig zu machen, und haben dazu Strategien entwickelt, die sich international immer wieder beobachten lassen. Nachfolgend ein Abschnitt dazu aus dem Bericht an den UNO-Hochkommissar für Menschenrechte (S. 9-10) in deutscher Übersetzung:

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Wednesday, January 15 2025

2025 > Bald 100 UNO-Rügen wegen IGM!

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IGM = CRIME, Not 'Health Care' or 'Therapy'!Zwischengeschlecht.org on Facebook

Zum Jahresanfang etwas Erfreuliches: Wir zählen aktuell 98 Rügen von UNO-Komitees wegen Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) an Mitgliedstaaten in der ganzen Welt. Somit können wir auch ohne Kristallkugel prophezeien, 2025 wird das Jahr, in dem die Intersex-Menschenrechtsbewegung 100 Rügen wegen IGM punktet.

Als wir vor gut 10 Jahren begannen, NGO-Berichte an UNO-Komitees einzureichen, lag eine solche Zahl noch jenseits unseres Vorstellungsvermögens. Dank internationaler Zusammenarbeit mit IGM-Überlebenden und Berichten von weiteren Intersex-NGOs wird sie nun plötzlich Wirklichkeit (und wir können uns dann zur Ruhe setzen).

8 dieser UNO-Rügen gingen übrigens an die Schweiz. Damit sind wir in Sachen Intersex-Menschenrechte Weltmeister – im gerügt werden ...

Eine Liste der ersten 98 Rügen findet ihr hier (PDF, S. 11-15).

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Sunday, December 29 2024

"Schädliche Praktiken und Gewalt gegen Intersex-Menschen": Bericht an den UNO-Hochkommissar

In der (englisch) Resolution A/HRC/RES/55/14 “Bekämpfung von Diskriminierung, Gewalt und schädlichen Praktiken gegen intersexuelle Menschen” des UNO-Menschenrechtsrates wird der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte aufgefordert, einen Bericht für die 60. Sitzung vorzulegen. Der Hohe Kommissar bat seinerseits um schriftliche Inputs, auch von Intersex-NGOs.

Die Eingabe von StopIGM (englisch: PDF | DOCX) behandelt medizinische und nicht-medizinische Gewalt, schädliche Praktiken, unmenschliche Behandlung und andere schwerwiegende Verstösse gegen Intersex-Kinder, Jugendliche und Erwachsene, einschliesslich Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) (S. 1-3), deren Ursachen, nämlich Stigma und Vorurteile (S. 3-4), die bisher 98 Rügen von UNO-Kommitees und die relevanten Artikel in den UNO-Konventionen (S. 5-6, 11-15), die Mindestanforderungen zur wirksamen Bekämpfung solcher Gewalt nach internationalem Recht (S. 7-9), die bisher 6 (unzureichenden) gesetzgeberischen Maßnahmen für ein IGM-Verbot durch Mitgliedstaaten (S. 8-9) und die häufigsten Strategien von IGM-Ärzt:innen und verbündeten Akteur:innen zur Verhinderung eines wirksamen Schutzes gegen IGM-Praktiken (S. 9-10). Der Anhang (S. 11-15) enthält eine Auflistung der derzeit 98 UNO-Rügen wegen IGM-Praktiken.

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- Die ersten 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen (en)
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit

Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft
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Monday, December 18 2023

CH > Ständerat, 18.12.2023: "Tag der Schande"

[ Français ]

Foto: Tag der Menschenrechte 2015, Bundeshaus, Bern 10.12.2015

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UPDATES! Die Schande - Live! 
>>>
Annahme Gegen-Motion 23.3967 im Ständerat, 18.12.2023
>>> Annahme Gegen-Motion 23.3967 im Nationalrat, 29.02.2024
>>> Rückzug der ursprünglichen Motion 22.3355, 18.12.2023
>>> Analyse: "Intersex-Menschenrechte und LGBT-Politik in der Schweiz, 2023"

Pressemitteilung von Zwischengeschlecht.org, 18.12.2023

Ständerat KW51:
"Schande für Intersex-Menschenrechte in der Schweiz"

Diese Woche stimmt der Ständerat über zwei sehr unterschiedliche Motionen ab – beide mit dem erklärten Anliegen, Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) verhindern zu wollen:

  • Die ursprüngliche Motion 22.3355, von Betroffenen inkl. Zwischengeschlecht unterstützt, vom Bundesrat und der Rechtskommission des Ständerates (RK-S) abgelehnt
  • Die Gegen-Motion 23.3967 der RK-S, von Betroffenen inkl. Zwischengeschlecht abgelehnt, vom Bundesrat und der RK-S unterstützt

"Nicht in meinem Namen!", sagt Daniela Truffer, Gründungsmitglied der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht. "Als Betroffene von Intersex-Genitalverstümmelung habe ich es satt, wie die Kinderärzte und nun auch der Bundesrat und die Rechtskommission ständig behaupten, sie wüssten alles besser als die Betroffenen selbst und mittlerweile 5 UNO-Komitees, die alle seit Jahrzehnten Intersex-Genitalverstümmelung als schädliche kulturelle Praxis und unmenschliche Behandlung verurteilen und ein strafrechtliches Verbot fordern."

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Saturday, December 9 2023

Tag der Menschenrechte 2023: "Jahr der Schande für Intersex-Menschenrechte in der Schweiz"

[ Français ]

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>>> Pressemitteilung von Zwischengeschlecht.org, 18.12.2023

IGM = CRIME, Not 'Health Care' or 'Therapy'!Zwischengeschlecht.org on Facebook

Der 10. Dezember ist der internationale Tag der Menschenrechte. Dieser Blog veröffentlicht dazu eine Analyse zu Intersex-Menschenrechten in der Schweizer Politik am Beispiel der Rechtskommission des Ständerates (RK-S). >>> PDF (48kb)

Diese wirft gleichzeitig ein Schlaglicht auf das oft problematische Verhältnis zwischen Intersex-Menschenrechten und realexistierender LGBT(I)-Politik, u.a. wegen chronischer politischer Vereinnahmung und – hier speziell auffällig und stossend – Pinkwashing von Intersex-Genitalverstümmelung (IGM):

>>> Download als PDF (48kb)     >>> Bild vergrössern (81kb)

Die Analyse basiert einerseits auf Daten von votepink.ch, konkret die Legislaturanalyse der "LGBTQI-Abstimmungen" (effektiv ist allerdings keine Intersex-Abstimmung darin enthalten) von Pink Cross, LOS und TGNS und dem Wahlfragebogen 2023 von Pink Cross (inkl. einer – wenn auch schwammig formulierten – Frage zu einem IGM-Verbot). Zusätzlich haben wir die Abstimmungsresultate der unseres Wissens nach einzigen Intersex-Abstimmung (Motion 22.3355: Verbot von Intersex-Genitalverstümmelungen) während der letzten Legislaturperiode in der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (SK-NR) ausgewertet, sowie als Kontrast dazu weiter die Abstimmungsresultate zum Thema "Verbot von Konversionsmassnahmen" (22.3889) – beide laut offizieller Pressemitteilung vom 16.08.2023 einstimmig, aber nicht mit demselben Resultat ...

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Sunday, November 19 2023

Beschwerde gegen "10vor10" und "Einstein"


1. Zwitterdemo vor dem Kinderspital Zürich, 06.07.2008
– eine der in den neuen Sendungen verwendeten Archivaufnahmen (Video)

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IGM = CRIME, Not 'Health Care' or 'Therapy'!Zwischengeschlecht.org on Facebook

Im Februar 2023 strahlte das Schweizer Fernsehen (SRF) in den Gefässen "10vor10" vom 15.02.2023 und "Einstein" vom 16.02.2023 zwei Beträge zum Thema Intersex-Operationen aus, die einseitig den Parteistandpunkt IGM-praktizierender Ärztinnen abbildeten. Schäden und Komplikationen durch IGM-Eingriffe und Menschenrechtsfragen wurden dagegen komplett ausgeblendet. Kritik an den unnötigen Operationen gab es nur als kurze Archiv-Schnipsel mit 11-15 Jahre alten Beiträgen mit Daniela Truffer (Zwischengeschlecht.org) und der Implikation, das liege alles in der Vergangenheit. Und beide Sendungen erschienen "pünktlich" zur Beratung der Rechtskommission des Ständerats über die Motion 22.3355, die solche uneingewilligten Eingriffe strafrechtlich verbieten will – ein Schelm, wer Böses dabei denkt (siehe Stellungnahme von Zwischengeschlecht.org, 19.02.2023).

Daniela Truffer als Überlebende von IGM-Praktiken reichte deshalb bei der Ombudsstelle SRG eine Beschwerde Nr. 9192 gegen beide Sendungen ein, einerseits wegen der Einseitigkeit und Unausgewogenheit der Berichterstattung, andererseits wegen der Verletzung ihrer Würde dadurch, "dass durch aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissene, gekürzte Archiv-Ausschnitte von mir, mir sozusagen das Wort im Mund umgedreht wurde, sowie dass ich über deren Verwendung von SRF nicht einmal vorab informiert wurde, sondern aus heiterem Himmel von Dritten darauf angesprochen wurde".
>>> Die Beschwerde Nr. 9192 (PDF)

Inzwischen lehnte die Ombudsstelle die Beschwerde Nr. 9192 mit fadenscheinigen "Begründungen" ab, die unhinterfragt aus der Stellungnahme der Redaktion übernommen wurden. >>> Der Entscheid Nr. 9102 (PDF) (Auch die Beschwerde ist eigentlich im ersten Teil der Ablehnung enthalten, jedoch wurden ausser auf der 1. Seite die Abschnittswechsel "vergessen". Online ist die Beschwerde Nr. 9192 bei der Ombudsstelle bis heute nicht aufgeführt.)

Zum Beispiel die “Begründung” im Entscheid betreffend "Hypospadie-Operationen":

"In Bezug auf die Hypospadie schreibt die Beanstanderin: «Gerade bei Hypospadie liegt zum Beispiel in der Regel kein dringendes medizinisches Problem vor, das eine uneingewilligte Operation im Kleinkindesalter rechtfertigen würde, auch gibt es zahlreiche Berichte von Betroffenen, die zeigen, dass Unoperierte gut damit leben und auch Kinder zeugen können.»

Beim betroffenen Kind war es aber der Hodenhochstand, der zu einer Operation führte. Die medizinische Begründung für die Operation lieferte der Urologe Mazen Zeino: «Wenn die Hoden im Bauch oder in der Leiste länger als ein Jahr sind, beginnen Veränderungen in den Zellen, die später gesunde Spermien produzieren sollten. Und zum anderen, wenn die Hoden lange nicht am richtigen Ort sind, haben Sie später ein höheres Risiko, Hodenkrebs zu bekommen.» Das Publikum konnte demzufolge nachvollziehen, wie es zu dem Entscheid kam – und selbst darüber urteilen, ob er richtig war. Die politische Diskussion zwischen der Eidgenossenschaft und der UNO hat «Einstein» bewusst ausgeklammert – diese Aspekte gehören nicht in eine Wissenssendung."

Tatsächlich ging es in der Sendung aber nicht nur um das angeblich “medizinisch begründete” chirurgische “Herunterholen” der Bauchhoden, sondern explizit auch um eine psychosozial indizierte "Hypospadie-Korrektur" am Genital – wie auch aus dem Sendungstranskript klar hervorgeht:

"Die Hoden wurden heruntergeholt [= die oben ind er Stellungnahme der Redaktion allein erwähnte sog. “Hodenverlagerung” mit angeblich “medizinischer Indikation”], der Penis gestreckt und die Harnröhre an die Spitze der Eichel verschoben [= “Hypospadie-Korrektur” mit psychosozialer Indikation]. Heute funktioniert das Genital einwandfrei. Aber es muss immer wieder kontrolliert werden."

Betreffend des entwürdigenden Umgangs mit Archivmaterial sicherte SRF Daniela Truffer immerhin zu, "dass die Ausschnitte der genannten Sendungen nur in Rücksprache mit der Beanstanderin weiterverwendet werden dürfen".

Wie erwähnt, ist die Beschwerde Nr. 9192 auf der Homepage der Ombudsstelle bis heute nicht aufgeführt.

Aus gesundheitlichen Gründen hatten wir es leider nicht mehr geschafft, bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) einen Rekurs gegen den Entscheid der Ombudsstelle einzulegen nach dem Motto: Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie zwingen, immer dreister zu lügen.

>>> Stellungnahme zu “10vor10” (15.02.2023) und “Einstein” (16.02.2023)
>>> Die Beschwerde (PDF)
>>> Ablehnung durch die Ombudsstelle SRF (PDF)

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- Die ersten 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen (en)
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschland

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen
  • u.a.m.
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Wednesday, November 8 2023

Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft - Präsentation @ Feministisches Hochschulkollektiv Zürich, 8.11.23

>>> Download Folien + Skript mit zusätzlichen Quellen-Links (PDF 4.4 MB)
>>> Video: Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

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Wir danken dem Feministischen Hochschulkollektiv Zürich für die Einladung. Und wir bedanken uns für die konstruktiven und interessanten Beiträge aus dem Publikum, und für die spürbare Solidarität im Kampf gegen das andauernde Unrecht von IGM auch am Kispi und in Lehre und Forschung der UZH. Auf mehrfachen Wunsch und als Nachreichung zum Intersex Awareness Day 2023 machen wir hier unseren Beitrag frei zugänglich. :-)
>>> Download PDF (4.4 MB)

Nachfolgend das Abstract:

Daniela Truffer, Markus Bauer (Zwischengeschlecht.org)
Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft

Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung werden uneingewilligten Genitaloperationen und anderen unnötigen Behandlungen unterzogen. Betroffene verurteilen diese seit 30 Jahren als Intersex-Genitalverstümmelung und beklagen u.a. Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens und lebenslanges Trauma. UN-Ausschüsse verurteilen IGM als schädliche kulturelle Praxis und unmenschliche Behandlung und fordern ein gesetzliches Verbot.

Das Kispi Zürich spielte bei der weltweiten Verbreitung dieser Eingriffe eine zentrale Rolle und propagiert und praktiziert sie bis heute. Auch ausserhalb der medizinischen Fakultät werden Intersex-Genitalverstümmelungen gerechtfertigt und verharmlost, oder Intersex wird auf Genderfragen reduziert. Die Politik wiederum verweist auf die “Wissenschaft” und bleibt untätig. Unser Input soll Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.

Wir wünschen allen einen kämpferischen Intersex Awareness Day 2023!

Hermaphrodites With Attitude, Boston 26.10.1996

•  Intersex Awareness Day 2009
•  Intersex Awareness Day 2010
•  Intersex Awareness Day 2011
•  Intersex Awareness Day 2012
•  Intersex Awareness Day 2013
•  Intersex Awareness Day 2014
•  Intersex Awareness Day 2015
•  Intersex Awareness Day 2016
•  Intersex Awareness Day 2017
•  Intersex Awareness Day 2018
•  Intersex Awareness Day 2019  

Sunday, February 19 2023

Genitalverstümmlerinnen-Propaganda auf SRF: Stellungnahme zu "10vor10" und "Einstein" vom 15.+16.02.2023

Inhaltliche Kritik an Intersex-Genitalverstümmelungen gab's in beiden Sendungen nur als kurze Archiv-Schnipsel, hier von 2008 (Screenshot: “Einstein”, 16.02.2023)

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Stellungnahme von Zwischengeschlecht.org zu den Sendungen
“10vor10” (15.02.2023) und “Einstein” (16.02.2023)

zu Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM)

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org distanziert sich von den genannten Sendungen, weil sie einseitig den Parteistandpunkt IGM-praktizierender Ärztinnen abbilden; Schäden und Komplikationen durch IGM-Eingriffe werden hingegen komplett ausgeblendet, ebenso die langjährige Menschenrechtskritik an IGM-Praktiken.

Konkret kommen fast ausschliesslich IGM-praktizierende Ärztinnen und von diesen vermittelte IGM-befürwortende Eltern zu Wort, mit IGM unzufriedene Betroffene und inhaltliche Kritik an den unnötigen Operationen kommen nur als kurze Archiv-Schnipsel vor, mit 11-15 Jahre alten Beiträgen mit Daniela Truffer (Zwischengeschlecht.org) und der Implikation, das liege alles in der Vergangenheit. Die aktuellen, sehr hohen Komplikationsraten und oft teils massiven, lebenslangen Schäden durch IGM werden ebenso unterschlagen wie die deutliche Menschenrechtskritik der letzten Jahre (u.a. 7 scharfe Rügen an die Schweiz durch UN-Ausschüsse inkl. Kinderrechtskomitee CRC, Komitee für Menschenrechte CCPR, Komitee gegen Folter CAT und Behindertenrechtskomitee CRPD). Auch dass die erwähnte, sogenannte “Aufarbeitung der früheren Praxis” im Kinderspital Zürich als Ausrede für eine massive Aktenvernichtungsaktion diente, die Betroffene daran hinderte, ihre eigenen medizinischen Akten einsehen zu können, wurde unterschlagen.

Bezeichnend ist auch der Zeitpunkt dieser IGM-Propaganda-Sendungen: Aktuell ist im Ständerat die Motion 22.3355 hängig, welche ein Verbot von IGM-Praktiken fordert. Am 26.01.2023 war eine Anhörung dazu bei der Rechtskommission des Ständerats, voraussichtlich am 17./18. April 2023 wird die Rechtskommission entscheiden, ob sie die Motion unterstützen oder ablehnen will. Und "zufällig" zwischen diesen beiden Terminen pünktlich zur besten Sendezeit einseitig der Standpunkt der IGM-Praktizierenden … Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

(Zwischengeschlecht.org wurde für beide Sendungen weder konsultiert noch um Mitwirkung angefragt. Wir befürworten die Motion 22.3355, sind aber nicht darin involviert; wir wurden für die Anhörung im Ständerat von Involvierten vorgeschlagen, aber vom Ständerat nicht eingeladen.)

>>> UPDATE: Beschwerde bei der SRF-Ombudsstelle

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- Die ersten 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen (en)
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschland

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen
  • u.a.m.
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Sunday, March 27 2022

CRPD26: Behindertenrechtsausschuss rügt die Schweiz wegen Intersex-Genitalverstümmelungen

UPDATE: CRPD rügt die Schweiz! (u.a. fr, en, es - PDF. DOCX, HTML):
                 CRPD/C/CHE/CO/1, paras 35(c)+36(c), 10(a)

CRPD26-Switzerland-Robert-Martin“Versuchen Sie nicht, uns zu reparieren. Akzeptieren Sie uns einfach.”: CRPD-Mitglied Robert Martin liest der Schweiz die Leviten – mit einem Schlusskommentar, der auch IGM-Betroffenen und -Gefärdeten aus dem Herzen spricht!

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IGM = Folter, NICHT 'Diskiminierung' oder 'Geschlechtsidentität'Anlässlich seiner 26. Session in Genf prüfte der UN-Behindertenrechtsausschuss am 14.-16.03.2022 die Menschenrechtsbilanz der Schweiz, live übertragen und danach archiviert auf webtv.un.org:
1. Session | 2. Session | 3. Session | Intersex-Transkript auf Deutsch siehe unten

Zwischengeschlecht.org/StopIGM.org berichtete dem Ausschuss in 2 NGO-Berichten (PDF, englisch) 2019 und 2022 über Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) in der Schweiz. Diese Berichte dokumentieren, wie IGM trotz vorheriger UNO-Rügen straflos weiterpraktiziert wird, während die MedizynerInnen und verantwortliche PolitikerInnen die Praxis unverfroren leugnen. Daniela Truffer und Markus Bauer bantworteten zudem in einem privaten NGO-Briefing im Vorfeld der Session Fragen des Ausschusses.

Während der Staatenprüfung in Genf tagte der Ausschuss grösstenteils wieder persönlich im Palais Wilson, wohin auch die Schweizer Delegation zum Teil anreiste. Teile des Sitzungszimmers blieben jedoch gesperrt – auch diejenigen Reihen, in denen sonst die NGOs sitzen, die unverändert nur per Live-Feed "dabei sein" können.

Der Ausschuss brachte im konstruktiven Dialog wiederholt auch das Thema “Intersex-Genitalverstümmelungen” auf den Tisch. Die Schweiz blamierte sich mit den mittlerweile gewohnten Ausreden und Lügen einmal mehr bis auf die Knochen – was auch dem Ausschuss nicht verborgen blieb ...

Weiter sprachen die Auschuss-ExpertInnen wiederholt das Insistieren der Schweiz auf dem menschenrechtswidrigen medizinischen Modell von Behinderung an (statt endlich das von der Konvention vorgegebene Menschenrechtsmodell zu implementieren) – und die damit verbundene entwürdigende Sprache mit der z.B. Betroffene als “Invalide” herabgestuft werden (im Gegensatz zu den “vollwertigen Normalen”). Dies alles betrifft konkret auch Intersex – Intersex-Kinder gelten in der Schweiz offiziell als “invalid” und die CH-“Invalidenversicherung (IV)” finanziert bis heute alle IGM-Praktiken an Kindern. Auch hier hinterliessen die unnötig belehrenden und bevormundenden “Antworten” der Delegation beim Ausschuss offensichtlich einen schlechten Eindruck.

Dieser Blog verfolgte die Session LIVE. Wir hofften auf konkrete Fragen zu unserem Thema – und hoffen nun auf eine weitere deutliche Rüge wegen IGM nach dem Ende der Session!

1. Sitzung: Mo 14. März 2022, 10-12h

CRPD26-Switzerland-Miyeon-Kim11:55h (Video @ 1:50:12): Hipp, hipp!! CRPD-Vize-Vorsitzende Freu Miyeon Kim bringt als erste explizit “Intersex-Genitalverstümmelungen” zur Sprache, fragt u.a. nach “Zugang zur Justiz”, “Wiedergutmachung” und Verjährungsfristen”: :-) Inoffizielles Transkript (aus dem englischen Original):

« Lassen Sie mich nur eine Frage zu Artikel 17, dem Schutz der Integrität der Person, stellen: Bitte geben Sie Auskunft über die Kriminalisierung aller Formen von IGM, die Beseitigung von Hindernissen für den Zugang zur Justiz, insbesondere Verjährungsfristen, und die Gewährleistung von Wiedergutmachung, Entschädigung und Rehabilitation für Intersex-Menschen und Überlebende von Intersex-Genitalverstümmelung. Ich danke Ihnen. »

CRPD26-Switzerland-Amalia-Gamio11:57h (Video @ 1:51:46): Hipp, hipp!! CRPD-Vize-Vorsitzende Frau Amalia Gamio erwähnt weiter die mangelnde “psychosoziale Unterstützung für Überlebende” und fragt u.a. nach “Massnahmen” und “Strafen” für IGM-TäterInnen: :-) Inoffizielles Transkript (aus der englischen UNO-Simultanübersetzung):

« Artikel 17: Obwohl der Vertragsstaat diese Praktiken leugnet, wurden wir darüber informiert, dass immer noch Operationen an Intersex-Kindern durchgeführt werden und dass Ärzte Familien unter Druck setzen, solche unnötigen Operationen vorzunehmen, und dass es keine psychosoziale Unterstützung für Überlebende und keine Strafen für diejenigen gibt, die sie durchführen. Können Sie uns mitteilen, welche Massnahmen ergriffen wurden, um diese Praktiken zu beenden, und welche Strafen für diejenigen, die sie durchführen, vorgesehen sind? »

2. Sitzung: Di 15. März 2022, 10-12h

CRPD26-Switzerland-Agnes-Hertig-Pea10:52h (Video @ 0:50:39): CH-Delegationsmitglied Frau Agnès Hertig Pea (Bundesamt für Gesundheit, Eidgenössisches Departement des Innern) “antwortet” zu Intersex mit dem altbekannten Sammelsurium von Ausreden, Lügen und Ablenkungsmanövern. :-( Inoffizielle Übersetzung (aus dem französischen Original):

« Auf die Fragen zu Eingriffen an Intersex-Menschen kann ich wie folgt antworten: Was die Operationen an Intersex-Menschen betrifft, ist es wichtig zu wissen, dass in der Schweiz die Regel gilt, dass kein medizinischer Eingriff an einer Patientin oder einem Patienten ohne deren oder dessen freie und informierte Einwilligung vorgenommen werden darf. Um einwilligen zu können, muss der Patient jedoch einsichtsfähig sein. Wenn ein Patient nicht einsichtsfähig ist, obliegt es den gesetzlichen Vertretern, in den medizinischen Eingriff einzuwilligen. Die gesetzlichen Vertreter dürfen nicht von Dritten, z. B. von der Ärzteschaft, unter Druck gesetzt werden, die Entscheidung zu treffen. Wenn Druck ausgeübt wird, ist die Einwilligung nicht gültig. Die Entscheidung über die Geschlechtsidentität kann jedoch nicht von den gesetzlichen Vertretern getroffen werden, da es sich hierbei um ein rein persönliches Recht handelt, das nicht vertreten werden kann. Wenn das Geschlecht eines Kindes bei der Geburt unbestimmt ist, können die gesetzlichen Vertreter daher nicht über geschlechtszuweisende Eingriffe entscheiden. Es muss daher abgewartet werden, bis das Kind die Fähigkeit zur Einsichtnahme besitzt, um diese Entscheidung selbst zu treffen. Operationen an intersexuellen Kindern, die nicht urteilsfähig sind, dürfen nur in Ausnahmefällen zum Schutz der Gesundheit oder des Lebens des Kindes durchgeführt werden. Es obliegt daher den Ärzten, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob die Operation notwendig und dringend ist.

Strafrechtlich gesehen kann eine geschlechtsangleichende Operation eine rechtswidrige Körperverletzung darstellen. Der Täter kann der Arzt sein, wenn der Eingriff ohne die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter oder des Kindes erfolgt, oder die gesetzlichen Vertreter, wenn sie einem unnötigen Eingriff zugestimmt haben.

Was die Daten über Intersex-Menschen betrifft, so sammelt und veröffentlicht das Bundesamt für Statistik unter anderem Daten aus der medizinischen Statistik der Spitäler, d.h. Diagnosen und Eingriffe während des Spitalaufenthaltes, verfügt aber nicht über Statistiken über Intersex-Menschen oder umfassende Daten über Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung in der Schweiz.

Ich übergebe nun das Wort an Frau Gianninazzi für den Rest der Antwort. »

CRPD26-Switzerland-Debora-Gianinazzi10.55h (Video @ 0:53:02): Mitglied der Delegation Debora Gianinazzi (Bundesamt für Justiz, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement) bringt einmal mehr das obligate Ablenkmanöver weg von IGM und hin zu “Änderung des Geschlechtseintrags im Zivilstandsregister” – obwohl dies gar nicht Bestandteil der Frage war. :-( Inoffizielle Übersetzung (aus dem französischen Original):

« Ich danke Ihnen. Eigentlich hätte ich Ihnen gerne das am 1. Januar 2022 in Kraft getretene Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags im Zivilstandsregister erläutert, aber ich schlage vor, dies schriftlich zu tun. »

Fragen und Bemerkungen zum Menschenrechtsmodell und zur “Invalidenversicherung (IV)”

In der Schweiz werden, wie generell alle Menschen mit Behinderungen, (auch) Intersex-Kinder offiziell als als “Invalide” herabgestuft (im Gegensatz zu den “vollwertigen Normalen”) und die CH-“Invalidenversicherung (IV)” finanziert bis heute alle IGM-Praktiken an Kindern. Diese offensichtlich herabwürdigende Sprache – und die ihr zugrundeliegenden Vorurteile und fragwürdigen Einstellungen, namentlich das medizinische Modell von Behinderung (im Gegensatz zum Menschenrechtsmodell) – gegenüber allen Menschen mit Behinderungen wurden wenig überraschend von mehreren Mitgliedern des Komittees aufgegriffen und deutlich kritisiert:

CRPD26-Switzerland-Rosemary-Kayess-1Video @ 0:17:15: Die Vorsitzende des Komitees Frau Rosemary Kayess fasste zunächst die menschenrechtliche Kritik am medizinischen Modell von Behinderung zusammen. :-) Inoffizielles Transkript (aus dem englischen Original):

« Die Konvention stellt einen bedeutenden konzeptionellen Wandel in der Art und Weise dar, wie wir als Gesellschaft das Phänomen der Behinderung verstehen und darauf reagieren. Die Verhandlungen der Konvention konzentrierten sich darauf, die Auswirkungen des medizinischen Modells von Behinderung zu bekämpfen. Dieses medizinische Modell erklärt das Machtverhältnis, das das Leben von Menschen mit Behinderungen dominiert hat, indem es unsere Andersartigkeit pathologisiert und uns als anormal abstempelt. »

CRPD26-Switzerland-Jonas-RuskusVideo @ 0:39:10: Auch der Sitzungs-Vorsitzende Herr Jonas Ruskus kritisierte explizit das Beharren der offiziellen Schweiz auf dem medizinischen Modell. :-) Inoffizielles Transkript (aus dem englischen Original):

« Ich danke Ihnen. Und ich möchte auch einige Fragen in Bezug auf die Artikel 1 bis 4 stellen. Wie ich anhand des ersten und des alternativen Berichts des Vertragsstaates feststellen kann, wurden im Vertragsstaat keine wesentlichen Massnahmen ergriffen, um vom medizinischen Modell der Behinderung zum Menschenrechtsmodell der Behinderung überzugehen. Das so genannte Invalidenversicherungsgesetz wird wenig kritisch reflektiert, es wurden keine Massnahmen ergriffen, um es mit der Konvention in Einklang zu bringen, so dass es weiterhin das medizinische Modell von Behinderung beibehält, das sich hauptsächlich auf die Beeinträchtigung einer Person und die Leistungen konzentriert, ohne weder die individuelle Autonomie oder die soziale Eingliederung einer Person mit Behinderung noch die dazu erforderliche Unterstützung zu berücksichtigen. »

CRPD26-Switzerland-Robert-MartinVideo @ 01:46:24: Auch der Komitee-Experte Herr Robert Martin kritisierte namentlich die “Invalidenversicherung” – und schloss mit einem berührenden Appell, der zwar nicht spezifisch auf auf Intersex-Kinder gemünzt war – aber der IGM-Betroffenen und -Gefärdeten aus dem Herzen sprach! :-) Inoffizielles Transkript (aus dem englischen Original):

« Ich möchte der Delegation für die Beantwortung meiner Frage danken, aber ich möchte eine Erklärung zu meiner Frage über die Kürzung der Behindertenhilfe abgeben, wenn Menschen sich an Selbsthilfeorganisationen beteiligen. Die Delegation sprach über Rehabilitationsmassnahmen und die Invalidenversicherung, und ich möchte Sie daran erinnern, dass behinderte Menschen nicht invalide oder unsichtbar sind. Zweitens: Rehabilitation funktioniert nicht bei allen Behinderungen. Einige von uns sind ihr Leben lang behindert, und das ist es, wer wir sind. Versuchen Sie nicht, uns zu reparieren. Akzeptieren Sie uns einfach. Ich danke Ihnen vielmals. »

Die “Antworten” der Delegation auch zu diesem Thema waren beschämend – statt die fundierte Kritik ernst zu nehmen, beschränkten sie sich hauptsächlich darauf, das Komitee zu belehren, dass die “Invalidenversicherung” gut gemeint und somit schon OK sei.

Hoffen wir, der Ausschuss wird sich nicht hinters Licht führen lassen, sondern klare verbindliche Empfehlungen aussprechen, welche die Schweiz unmissverständlich an Ihre Verpflichtungen unter der Konvention von Menschen mit Behinderungen erinnern, Intersex-Kinder wirksam vor Genitalverstümmelung, grausamer, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung und uneingewilligter Steriliastion zu schützen, sowie wirksamen Zugang zu Justiz und Entschädigung zu garantieren, insbesondere durch Anpassung/Abschaffung von Verjährungsfristen, die es als Kindern verstümmelten verunmöglichen, als Erwachsene gegen die verantwortlichen Ärzte und Kliniken zu klagen!

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- Die ersten 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen (en)
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschland

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen
  • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)

Monday, November 22 2021

Intersex: UNO rügt Deutschland, Gesetz ungenügend

Foto: Friedlicher Protest zum UPR #14Foto: Gewaltfreier Intersex-Protest @ UNHRC UPR #14, Genf 20.10.2012

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Pressemitteilung von Zwischengeschlecht.org, 22.11.2021:Zwischengeschlecht.org on Facebook

IGM = Folter, NICHT 'Diskriminierung' oder 'Geschlechtsidentität'Anlässlich seiner 133. Session in Genf prüfte der UN-Menschenrechtsausschuss als Vertragsorgan des UN-Zivilpaktes (CCPR) die Menschenrechtsbilanz Deutschlands – und rügte nun Deutschland unmissverständlich wegen IGM (CCPR/C/DEU/CO/7, Abs. 20-21, vollständige inoffizielle Übersetzung siehe unten).
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fährt trotzdem unbeirrt seinen Pro-IGM-Kurs weiter – u.a. in einem aktuellen Policy Paper und an einer heutigen Fachtagung in Merseburg.

Krasse Falschaussagen durch BMFSFJ in Genf

Aufgrund von Schattenberichten von Zwischengeschlecht.org hatte der UN-Menschenrechtsausschuss Deutschland während der Staatenprüfung in Genf konkrete Fragen zu Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) gestellt, u.a. betreffend der “durchschnittlich 1900 vermännlichenden und verweiblichenden Operationen pro Jahr an Intersex-Kindern im Alter bis zu 9 Jahren” sowie zur – auch unter dem neuen sogenannten “Verbot” nach § 1631(e) BGB weiter andauernden – Straflosigkeit von IGM, bestens dokumentiert durch zahlreiche, meist erfolglose Versuche von IGM-Überlebenden, vor deutschen Gerichten Gerechtigkeit und Entschädigung zu erlangen.

In ihren ausweichenden Antworten verstieg sich die deutsche Delegation wiederholt zu krass tatsachenwidrigen, leicht widerlegbaren Falschaussagen. U.a. behauptete die Sprecherin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) allen Ernstes, laut § 1631(e) BGB sei angeblich

  • die Verjährung bei IGM ausgesetzt bis zum “48. Lebensjahr” (Tatsache: das neue Gesetz sieht – trotz wiederholter entsprechender Kritik durch Betroffenenorganisationen und RechtsexpertInnen – keine Verlängerung der Verjährung vor, die angesprochene Frist bezieht sich stattdessen auf die Aufbewahrungsfrist der Krankenakten)
  • die Praxis des “Bougierens” (d.h. Vaginaldehnungen) “ausdrücklich verboten” (Tatsache: Das neue Gesetz enthält kein ausdrückliches Verbot von Bougierungen – ein solches war u.a. vom Bundesrat und Oppositionsfraktionen gefordert, aber von Bundesregierung und der Regierungskoalition abgelehnt worden)

Deutliche CCPR-Rüge: § 1631(e) BGB klar ungenügend

Als Folge hat der Menschenrechtsausschuss nun in seinen “Abschließenden Bemerkungen” Deutschland wegen IGM deutlich gerügt. Insbesondere zeigte sich der Ausschuss besorgt über die bekannten, von Betroffenen wiederholt kritisierten Schlupflöcher in § 1631(e) BGB, namentlich die mangelnde strafrechtliche Haftbarkeit und den mangelnden Zugang zu Rechtsmitteln und Entschädigung für Opfer.

Unter Berufung u.a. auf Art. 2 (gleicher Rechtszugang und Recht auf Entschädigung) und Art. 7 (Verbot von unmenschlicher Behandlung, Folter und unfreiwilligen Menschenversuchen) des UN-Zivilpakts verpflichtete der Ausschuss deshalb Deutschland ausdrücklich,

  • alle Formen von IGM ausdrücklich zu verbieten
  • allen Opfern den Zugang zu Rechtsmitteln und Entschädigung zu gewährleisten, ggf. durch Einrichtung eines Entschädigungsfonds
  • die Verjährungsfristen entsprechend anzupassen
  • das aktuelle Gesetz entsprechend zu ändern

Schon die 4. UN-Rüge wegen IGM für Deutschland

Zwischengeschlecht.org begrüßt dieses klare und unmissverständliche Verdikt des Menschenrechtsausschusses, wenn wir auch festhalten, dass wir sämtliche uneingewilligten, nicht-vitalen Eingriffe mit psychosozialer Indikation an Intersex-Kindern als IGM verurteilen, unabhängig davon, ob ÄrztInnen oder GesetzgeberInnen sie zusätzlich als “geschlechtszuweisend, -vereindeutigend, -bestätigend” etc. einstufen oder nicht.

Nach dem UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) 2011, dem UN-Ausschuss zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) 2015 und dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) 2017, welche IGM in Deutschland ebenfalls als grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung resp. als schädliche kulturelle Praxis einstuften, ist dies bereits die 4. UN-Rüge an Deutschland, welche IGM unmissverständlich als einen schweren Verstoß gegen unabdingbare Menschenrechte verurteilt.

Zwischengeschlecht.org sieht sich dadurch einmal mehr bestärkt in unserer langjährigen Forderung, dass Intersex-Kinder das gleiche Recht auf Schutz vor Genitalverstümmelungen, und erwachsene IGM-Überlebende das gleiche Recht auf Rechtszugang und Entschädigung haben wie z.B. Mädchen und Frauen auch, und dass IGM-TäterInnen genau gleich strafrechtlich belangt werden müssen wie andere VerstümmlerInnen, einschließlich durch entsprechende Anpassung der Verjährungsfristen und extraterritoriale Unterstrafestellung.

In Deutschland hatte u.a. 2014 bereits die 24. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und minister, -senatorinnen und -senatoren (GFMK) deutlich ein entsprechendes, effektives Verbot von IGM gefordert, u.a. unter Verweis auf § 226a StGB (FGM-Verbot), und angemahnt: Ein entsprechender Schutzstandard ist auch für die ebenso schutzwürdigen intersexuellen Kinder zu implementieren [...].”

2017 hatte auch das EU-Parlament in der Entschließung 2016/2096(INI) klar gefordert, “die Genitalverstümmelung bei Frauen und intersexuellen Personen zu verhindern, zu verbieten und zu bestrafen.

Die jüngste CCPR-Rüge an Deutschland wird auch kaum die letzte bleiben: Bereits 2022 wird sich in seiner 91. Session auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes (CRC) mit IGM in Deutschland befassen, der IGM ebenfalls konsequent als schädliche kulturelle Praxis einstuft – und aufgrund eines Schattenberichts von Zwischengeschlecht.org im Vorfeld Deutschland bereits kritische Fragen zur aktuellen Praxis stellte.

Aktuell ist die vorliegende CCPR-Rüge weltweit schon die 57. UNO-Rüge, die IGM als schweren Verstoß gegen unabdingbare Menschenrechte verurteilt, sowie bereits die 26. solche Rüge an ein EU27-Land.

BMFSFJ-Studie 2021: Unverändert pro IGM

Trotzdem werden die täglichen Intersex-Genitalverstümmelungen in den Kinderkliniken straflos weiterpraktiziertgefördert, gerechtfertigt, verharmlost, verniedlicht und schöngeredet durch die Bundesregierung, z.B. durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in einer aktuellen Studien (sowie an einer heutigen Fortbildungsveranstaltung, siehe unten) an der Hochschule Merseburg:

Ein im November 2021 veröffentlichtes “Policy Paper” (PDF) mit dem Titel “Verankerung der Wissens- und Kompetenzentwicklung zu den Themen Trans- und Intergeschlechtlichkeit in den Bildungslehrplänen und Curricula von Ausbildungs- und Studiengängen relevanter Sozial- und Gesundheitsberufe”, im Auftrag und gefördert vom BMFSFJ, und basierend auf dem ebenfalls BMFSFJ-geförderten Forschungsprojekt “Entwicklung von Vorschlägen für die curriculare Fortentwicklung der Ausbildungs- und Studiengänge von Sozial- und Gesundheitsberufen zur Integration von Trans- und Intergeschlechtlichkeit in die Bildungslehrpläne (CuFoTI)”, behauptet bequemerweise einmal mehr, über IGM in Deutschland sei halt noch zu wenig bekannt:

“Die Datenlage zu [...] Gewalt gegenüber intergeschlechtlichen Personen ist noch dünn.” (S. 14)

Dies wohlgemerkt nach 25 Jahren Protesten und Dokumentationen von IGM-Betroffenen, bald einem Dutzend Schattenberichten (z.B. CCPR 2021, PDF englisch), den obigen 4 UNO-Rügen etc. Dazu mittlerweile 3 teils ausführliche Studien zur aktuellen Praxis in Deutschland (PDF: 2016, 2016, 2019), teilweise gefördert durch dasselbe BMFSFJ und basierend auf Behandlungszahlen des Deutschen Amts für Statistik, welche belegen, dass jährlich durchschnittlich 1900 IGM-Eingriffe an Intersex-Kindern unter 9 Jahren durchgeführt werden. Sowie zahlreiche Studien aus Deutschland, die u.a. nachweisen, dass IGM mindestens ebenso gravierende Folgen hat wie FGM, und dass IGM-Überlebende vergleichbar selbstverletzendes Verhalten und Selbstmordtendenzen aufweisen wie Frauen nach körperlichem oder sexuellem Missbrauch (englisch – deutsche Teilübersetzung hier). Oder die Vielzahl der bekannten (bezeichnenderweise meist erfolglosen) Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit IGM, etc. pp.

Entsprechend fallen dann im “Policy Paper” auch die “Empfehlungen” aus: Unter “Allgemeine Inhalte” (S. 33) wird betreffend Intersex ausschließlich auf das “dritte Geschlecht” abgestellt – IGM wird gar nicht erwähnt. Und unter “Recht zu Intergeschlechtlichkeit” (S. 34) ist IGM das letztgenannte “Anhängsel” als 4. Punkt, während die Punkte 1-2 den “dritten Geschlechtseintrag” in den Vordergrund stellen, gefolgt von Punkt 3 “Diskriminierung”. Dies ist die übliche Umkehrung der Prioritäten der Betroffenen! Entsprechend werden unter “Recht” zu den Punkten 1-3 jeweils konkrete Handlungsfelder angeführt, während zu 4. IGM lediglich pauschal auf “Menschenrechtsverletzungen” verwiesen wird – die aber im “Policy Paper” nirgends substantiiert werden.

BMFSFJ-Fachtag 22.11.: Den Bock zum Gärtner gemacht

Ebenso propagiert ein BMFSFJ-geförderter “Fachtag TIN Medizin” von heute, 22.11.2021 an der Hochschule Merseburg (“Online-Fachtag Geschlechtersensible und leitliniengerechte medizinische Versorgung und Pflege von trans-, intergeschlechtlichen und non-binären Personen”) für “alle Fachkräfte aus dem gesundheitlichen Bereich” (“von der Landesärztekammer Sachsen-Anhalt mit 5 Punkten als Fortbildung anerkannt”) ungeschminkt die Fortführung der aktuellen IGM-Praxis.

So werden sowohl das Einführungsreferat zum Thema Intersex (“Intergeschlechtlichkeit/Variationen der Geschlechtsmerkmale: Biologische Grundlagen, Lebenswirklichkeiten, Bedürfnisse”) wie auch die Workshops zum Thema pädiatrische Intersex-Behandlungspraxis (“Workshop 1: AWMF-Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ – Fragen für die Praxis”, “Workshop 3: Professioneller Umgang mit Intergeschlechtlichkeit”) von bekennenden IGM-Praktizierenden durchgeführt, nämlich von den MedizinerInnen Olaf HiortUlla Döhnert und Louise Marshall (Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck – eine der größten und schlimmsten IGM-Kliniken in Deutschland).

Als Mitverantwortliche für zahllose IGM-Prozeduren u.a. in Lübeck und als “MeinungsführerInnen” in Pro-IGM-“Forschungsprojekten” wie “Netzwerk Intersexualität”, “Euro-DSD”, “DSDnet”, “DSD-Life”, “Endo-ERN” oder “DSDCare” werden diese drei MedizinerInnen seit langem von IGM-Überlebenden und Intersex-NGOs sowohl in Deutschland als auch international dafür kritisiert, Betroffene und ihre berechtigte Kritik gering zu schätzen und zu entwerten, und gleichzeitig IGM sprachlich in ein “gendergerechtes” Deckmäntelchen zu hüllen, um so noch möglichst lange straffrei weiter praktizieren zu können. Dies ist das mittlerweile international die Losung der IGM-MedizinerInnen-Vereinigungen: Gegen vorne öffentlich dem “natürlichen Spektrum der Geschlechtsentwicklung” huldigen und gleichzeitig hinter verschlossenen Türen weiterhin “funktionelle Störungen” und “urologische und hormonelle Defekte” chirurgisch “korrigieren”.

Auch die Verantwortlichen der Hochschule Merseburg wurden wiederholt von Betroffenen auf diese und weitere Diskrepanzen im Tagungs-Programm aufmerksam gemacht, zeigten jedoch kein Musikgehör. Zwar gibt's als Deckmäntelchen auch einen “Workshop 4: OP-Verbot – Konsequenzen für die chirurgische Praxis!?” – grundsätzliche Kritik an der immer noch gängigen Praxis als Folter und Genitalverstümmelung sowie eine kritische Diskussion des untauglichen “Verbots” § 1631(e) BGB entsprechend der jüngsten CCPR-Rüge sind darin laut Programm jedoch nicht vorgesehen. Und in den medizynischen Workshops dürfen die drei ÄrztInnen weiterhin ungestört ihre IGM-Propaganda verbreiten, ohne jegliches Korrektiv z.B. durch IGM-Überlebende oder sonstige -KritikerInnen.

CCPR113: Verbindliche Intersex-Empfehlungen

>>> Zusammenfassung der Intersex-Schattenberichte (deutsch)
>>> Transkripte + Videos der Staatenprüfung in Genf (deutsch 
>>> Intersex-Schattenbericht 2018 (PDF, englisch)
>>> Intersex-Schattenbericht 2021 (PDF englisch)
>>> Concluding Observations (en): CCPR/C/DEU/CO/7 --> Abs. 20-21

Inoffizielle deutsche Übersetzung der verbindlichen Intersex-Empfehlungen:

Intersex-Menschen

20. Der Ausschuss ist besorgt über Berichte, wonach Intersex-Kinder manchmal invasiven, medizinisch unnötigen und irreversiblen medizinischen Eingriffen unterzogen werden, die darauf abzielen, ihnen ein Geschlecht zuzuweisen. Er ist ferner besorgt darüber, dass solche Maßnahmen häufig auf einer stereotypen Vorstellung von Geschlechterrollen beruhen, demütigende und schmerzhafte Verfahren beinhalten und durchgeführt werden, bevor die Betroffenen in der Lage sind, ihre freie und informierte Zustimmung zu geben. Er ist ferner besorgt darüber, dass die Opfer solcher Praktiken trotz dauerhafter physischer und psychischer Schäden auf erhebliche Hindernisse beim Zugang zu Wiedergutmachung stoßen, u.a. aufgrund von Verjährungsfristen, die es Opfern im Kindesalter erschweren, im Erwachsenenalter Rechtsmittel zu ergreifen, sowie aufgrund von Schwierigkeiten beim Zugang zu medizinischen Unterlagen und fehlender Entschädigung. Der Ausschuss lobt den Vertragsstaat für die Einführung des Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung im Jahr 2021. Er ist jedoch nach wie vor besorgt über Berichte, wonach dieses Gesetz nicht alle problematischen Praktiken ausdrücklich einschränkt, keine strafrechtliche Haftung vorsieht und nicht alle Hindernisse für den Zugang der Opfer zu Rechtsbehelfen wirksam beseitigt (Art. 2, 3, 7, 17, 24 und 26).

21. Der Vertragsstaat sollte alle erforderlichen Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass alle Handlungen im Zusammenhang mit der Zuweisung eines Geschlechts an Intersex-Kinder, die ohne deren freie und informierte Zustimmung vorgenommen werden, ausdrücklich verboten werden, außer in Fällen, in denen solche Eingriffe aus medizinischen Gründen absolut notwendig sind und das Wohl des Kindes gebührend berücksichtigt worden ist. Dies sollte auch die Prüfung von Änderungen des Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung 2021 innerhalb des für seine Überarbeitung vorgesehenen Fünfjahreszeitraums einschließen, soweit erforderlich. Der Vertragsstaat sollte auch sicherstellen, dass alle Opfer Zugang zu Wiedergutmachung haben, unter anderem durch eine Überprüfung der Verjährungsfristen für Menschenrechtsverletzungen im Kindesalter, durch Maßnahmen, die sicherstellen, dass alle Opfer Zugang zu ihren Gesundheitsakten haben, und durch die Erwägung der Einrichtung eines speziellen Entschädigungsfonds.

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- Die ersten 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen (en)
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschland

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen
  • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)

Wednesday, November 3 2021

CCPR133: UN-Menschenrechtsausschuss befragt Deutschland über Intersex-Genitalverstümmelung

“Angemessene Sanktionen und Verjährungsfristen”: CCPR-Ländererexpertin V. Sanchin weist auf Schwachstellen im neuen Intersex-§ 1631 (e) BGB “zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung” hin, will Auskunft über “wirksameren Zugang zu Justiz und Entschädigung” für IGM-Überlebende!

FrançaisEnglishVerein Zwischengeschlecht.orgSpendenMitglied werdenAktivitäten

IGM = Folter, NICHT 'Diskiminierung' oder 'Geschlechtsidentität'Anlässlich seiner 133. Session in Genf prüfte der UN-Menschenrechtsausschuss als Vertragsorgan des UN-Zivilpaktes (CCPR) am 11.10.2021 15-18h und 12.10.2021 10-13h die Menschenrechtsbilanz Deutschlands, live übertragen und danach archiviert auf webtv.un.org (deutsch / englisch):
1. Session | 2. Session | Intersex-Transkript auf Deutsch siehe unten

Zwischengeschlecht.org/StopIGM.org berichtete dem Ausschuss in 2 NGO-Berichten (PDF, englisch) 2018 und 2021 über Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) in Deutschland. Diese Berichte dokumentieren, wie IGM trotz vorheriger UNO-Rügen straflos weiterpraktiziert wird, und dass auch das im letzten Frühjahr mit großem Tamtam verabschiedete neue Intersex-§ 1631 (e) BGB “zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung” daran nichts ändert. Daniela Truffer und Markus Bauer bantworteten in einem privaten NGO-Briefing zudem Fragen des Ausschusses und präsentierten eine mündliche Zusammenfassung der Berichte (deutsch).

Während der Staatenprüfung in Genf tagte der Ausschuss – nach “virtueller Pandemiepause” seit der abgebrochenen 128. Session im März 2021 (englisch) – wieder persönlich im Palais Wilson, wohin auch die deutsche Delegation anreiste. Teile des Sitzungszimmers blieben jedoch gesperrt – auch diejenigen Reihen, in denen sonst die NGOs sitzen, die unverändert nur per Live-Feed "dabei sein" können.

Wie erhofft brachte der Ausschuss im konstruktiven Dialog auch das Thema IGM auf den Tisch. Die ausweichenden bis krass tatsachenwidrigen “Antworten” der deutschen Delegation liessen leider wenig Zweifel daran, dass die deutsche Regierung wenig Interesse hat, Insersex-Kinder wirksam vor IGM zu schützen.

Wie schon bei den anderen IGM-“Verboten” in Malta, Portugal und Spanien geht es auch in Deutschland letztlich um eigennützige Symbolpolitik – und nicht um die schnellstmögliche Beendigung von IGM. Entsprechend bleiben diese “Verbote” alle deutlich unterhalb verbindlicher menschenrechtlicher Minimalstandards und Verpflichtungen, etwa zu Verhinderung von unmenschlicher Behandlung und schädlicher kultureller Praxis an Intersex-Kindern, wie sie z.B. die von Deutschland ratifizierten UN-Konventionen CCPR, CRC, CRPD, CAT und CEDAW zwingend vorschreiben.

Malta, Portugal und Spanien wurden deshalb bereits von CRC wegen ungenügenden “Verboten” gerügtPortugal zusätzlich auch von CCPR ...

Erfreulicherweise legte der Ausschuss auch bei der Prüfung Deutschlands einmal mehr deutlich den Finger auf die Schwachstellen, Lücken und Schlupflöchen im angeblichen “Verbot”:

1. Sitzung: Mo 11. Oktober 2021, 15-18h

Video @ 0:52:22: Hipp, hipp!! CCPR Länder-Co-Berichterstatterin für Deutschland, Fr. Vasilka Sancin erwähnt “1900 Operationen pro Jahr an Intersex-Kindern”, erwähnt bekannte Schwachstellen im neuen Gesetz und fragt wie und wann Deutschland Intersex-Kinder besser schützen und insbesondere “wirksameren Zugang zur Justiz und zu Entschädigung für betroffene Personen gewährleisten”, sowie die Praxis des Bougierens (Vaginaldehnungen) explizit verbieten will: :-) Inoffizielle Übersetzung (aus dem englischen Original):

« Nun zum Thema Nr. 13, das Intersex-Kinder betrifft. Im Hinblick auf die fortgesetzte Durchführung medizinischer Eingriffe ist es bemerkenswert, dass eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie für das Jahr 2019 von durchschnittlich 1900 vermännlichenden und verweiblichenden Operationen pro Jahr an Intersex-Kindern im Alter bis zu 9 Jahren berichtet. Der Vertragsstaat sollte daher dafür gelobt werden, dass er im Mai dieses Jahres das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung verabschiedet hat, das unter anderem auch die Durchführung von gezielten Geschlechtsanpassungsmaßnahmen an Intersex-Kindern mit Ausnahmen verbietet, den Umfang des elterlichen Sorgerechts bei der Erteilung der Zustimmung einschränkt und eine Genehmigung durch ein Familiengericht vorschreibt.

Was die Kommission betrifft, die sich mit den Ausnahmefällen befasst, in denen Operationen noch legal sind, ist zu erwähnen, dass ihr weder Personen angehören, die die Interessen der Kinder vertreten, noch qualifizierte Intersex-Personen. Außerdem sieht das Gesetz kein zentrales Register vor, das den Betroffenen den Zugang zu den Patientenakten ermöglicht, was den Zugang zur Justiz in der Praxis erschwert. Auch die Praxis des Bougierens ist noch nicht verboten. Wie in verschiedenen Berichten erwähnt, ist das Fehlen angemessener Sanktionen und Verjährungsfristen ein ernstes Problem.

Könnte die Delegation daher bitte erläutern, wie und wann der Vertragsstaat beabsichtigt, Intersex-Kinder rechtlich und in der Praxis besser vor nicht dringenden, invasiven und irreversiblen chirurgischen oder anderen medizinischen Eingriffen ohne ihre vorherige, vollständig informierte und freie Zustimmung zu schützen, und insbesondere, wie und wann der Vertragsstaat Personen, die die Interessen von Kindern vertreten, und qualifizierte Intersex-Personen in die genannten Kommissionen einbeziehen wird? Beabsichtigt der Vertragsstaat, einen angemessenen Zugang zu Patientenakten und einen wirksameren Zugang zur Justiz und zu Entschädigung für betroffene Personen zu gewährleisten? Beabsichtigt der Vertragsstaat, die schmerzhafte und entwürdigende Praxis der Bougierung zu verbieten? Könnte die Delegation darüber hinaus bitte erläutern, welche Leitlinien für medizinisches Fachpersonal zur Behandlung von Intersex-Kindern derzeit bestehen und ob diese die Rechte der Kinder gemäß dem Pakt in vollem Umfang berücksichtigen? »

CCPR133-Germany-Jacoby-A1aVideo @ 2:16:08: Co-Delegationsleiterin Fr. Sigrid Jacoby (Beauftragte für Menschenrechtsfragen im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz BMJV) erteilt das Wort für die Antwort zu Intersex-Kindern, erwähnt explizit die Frage nach “Verjährungsregeln”. Inoffizielles Transkript:

« Dann würden wir zur nächsten Frage, die Sie gestellt haben, übergehen, da ging's um die intersexuellen Kinder. Sie haben da eine ganze Reihe von Punkten angesprochen, in unserem neuen Gesetz, also kein zentrales Register, die Bouginage, Verjährungsregeln, bei Notfällen nach wie vor Entscheidungsbefugnis der Eltern und medizinische Richtlinien, dazu würde ich Frau Florath vom Familienministerium das Wort erteilen.»

CPR133-Germany-Florat-A1bVideo @ 2:16:40: Fr. Tanja Florath (Referentin, Referatsgruppe EU-Abteilung, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMFSFJ) redet ellenlang um den heißen Brei, um bloß keine konkreten Antworten geben zu müssen. So erwähnt sie zwar die in der Frage angesprochene Kommission, geht aber mit keinem Wort auf die mangelnde Vertretung von Betroffenen und der Interessen des Kindes ein, statt auf die gefragten Leitlinien einzugehen, schwurbelt sie über einen “Erklärfilm” auf dem “Regenbogenportal”, und ignoriert komplett die Fragen nach Rechtszugang, Entschädigung und Verjährungsfristen! :-( Inoffizielles Transkript:

« Ja, also, zum einen auch hier ist es als Erfolg zu werten, dass dieses Gesetz im Mai dieses Jahres verabschiedet worden ist. Dem ist ein langer Konsultationsprozess vorausgegangen. Es gab einen bisherigen Entwurf, der sowohl medizinisch wie auch von den Betroffenengruppen kritisiert worden ist. Es ist sich mit allen Betroffenengruppen nochmals an den Tisch gesetzt worden und daraufhin ist dieses Gesetz jetzt entstanden, was wie gesagt seit Mai in Kraft ist. Und wir haben uns auch fest vorgenommen, das nach einer bestimmten Laufzeit zu evaluieren, um zu gucken, ob man an bestimmten Stellen noch nachbessern sollte, sind aber jetzt erstmal sehr zufrieden, dass wir da überhaupt ein Gesetz diesbezüglich bekommen haben.

Vor dem Hintergrund dann vielleicht auch die kurze Ausführung: für die Durchführung eines operativen Eingriffes an inneren und äusseren Geschlechtsmerkmalen eines nicht einwilligungsfähigen Kindes ist nach den neuen Regelungen 1631 (e) BGB die Genehmigung eines Familiengerichts erforderlich. Und das Familiengericht soll wenn möglich die Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission zur Frage berücksichtigen, ob der Eingriff dem Wohl des Kindes entspricht. Diese Stellungnahme durch die Kommission kann auch durch ein gerichtliches Sachverständigengutachten ersetzt werden. Das ist momentan der Standard, um die Sicht des Kindes und das Wohl des Kindes in diesen Entscheidungen zu berücksichtigen.

Es wurde gefragt, ob es schon Leitfäden gibt. Die Broschüre bzw. Leitfäden gibt es noch nicht. Das nehme ich gerne als Idee für die Kollegen mit. Es gibt allerdings schon einen Erklärfilm für Eltern intergeschlechtlicher Kinder auf der Webseite Regenbogenportal, die auch verweist auf Beratungsstellen, auf Betroffeneneinrichtungen, auf Selbsthilfegruppen und eine Anlaufdatenbank darstellt, so dass sich Menschen, die sich damit auseinandersetzen wollen, dann gerne wenden können an Stellen, die mit weiteren Informationen zur Verfügung stehen.

Und dann wurde gefragt nach dem Register, also, seit dem Inkrafttreten des Gesetzes ist es faktisch nicht mehr möglich, einer betroffenen Person vorzuenthalten, dass eine solche Operation stattgefunden hat, da 1631 (e) BGB festlegt, dass die Person entweder selbst zustimmen muss oder das Familiengericht die Operationen genehmigen muss, und in beiden Fällen müssen Patientenakten vorhanden sein und der Vorgang ordnungsgemäss dokumentiert werden.

Wir hoffen, dass wir damit dem Problem entgegengetreten sind und werden beobachten, wie sich das in der Praxis auswirkt und ob die von Ihnen genannten Fälle dann trotzdem noch zutage treten. »

CCPR133-Germany-Sancin-Q2Video @ 2:44:34: Hipp, hipp!! CCPR Länder-Co-Berichterstatterin für Deutschland, Fr. Vasilka Sancin hakt nach und wiederholt die Frage nach den “Verjährungsfristen, die in der Praxis sehr problematisch zu sein scheinen”: :-) Inoffizielle Übersetzung (aus dem englischen Original):

« Ich möchte Sie ferner bitten, mir weitere Informationen darüber zu geben, ob bei der Verabschiedung dieses Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung im Mai dieses Jahres über die Abschaffung der Verjährungsfristen diskutiert wurde, die in der Praxis sehr problematisch sind, weil diese Eingriffe in der Regel in einem sehr jungen Alter vorgenommen werden und die Kinder daher später im Erwachsenenalter keine Verfahren einleiten können, wenn sie vielleicht von bestimmten Eingriffen betroffen waren, die ihre Rechte aus dem Pakt verletzen. Also, ob es eine Diskussion über die Verjährungsfristen gab, die in der Praxis sehr problematisch zu sein scheinen. Danke. »

2. Sitzung: Di 12. Oktober 2021, 10-13h

CCPR133-Germany-Jacoby-A2aVideo @ 0:05:36: Co-Delegationsleiterin Fr. Sigrid Jacoby (Beauftragte für Menschenrechtsfragen im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz BMJV) erteilt das Wort für die Antwort zu Intersex-Kindern, erwähnt explizit die erneute Frage nach “Verjährung” und die ausstehehende Antwort zu “Bougienage” (Vaginaldehnungen). Inoffizielles Transkript:

« Zur Frage nochmal bei den intersexuellen Kindern hatten Sie speziell Verjährung und die Bougienage angesprochen. Da wird auch meine Kollegin vom Familienministerium kurz drauf antworten. »

CCPR133-Germany-Florat-A2bVideo @ 0:05:52): Fr. Tanja Florath (Referentin, Referatsgruppe EU-Abteilung, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMFSFJ) versteigt sich zu hochnotpeinlichen, komplett tatsachenwidrigen Behauptungen, die jedoch leicht zu überprüfen bzw. zu widerlegen sind: So behauptet sie, laut neuem Gesetz sei die Verjährung ausgesetzt bis zum “48. Lebensjahr” (Tatsache: das neue Gesetz sieht keine Verlängerung der Verjährung vor, die angesprochene Frist bezieht sich stattdessen auf die Aufbewahrungsfrist der Krankenakten), und “Bougieren” sei “ausdrücklich verboten” (Tatsache: Das neue Gesetz enthält kein ausdrückliches Verbot von Bougierungen – ein solches war u.a. vom Bundesrat und Oppositionsfraktionen gefordert, aber von Bundesregierung und der Regierungskoalition abgelehnt worden). :-( Inoffizielles Transkript:

« Ja, zur Frage der Verjährung, das hatte ich gestern vergessen, das ist tatsächlich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens diskutiert worden. Die Fristen sind ausgeweitet worden und es steht jetzt für Betroffene bis zu ihrem 48. Lebensjahr zur Verfügung, da entsprechende Ermittlungen bzw. Fragen dran zu richten und sich damit auseinanderzusetzen. Und zur Frage des Bougierens, das ist nach § 1631 (e) Absatz 1 BGB ausdrücklich verboten.»

Hoffen wir, der Ausschuss wird sich nicht hinters Licht führen lassen, sondern klare verbindliche Empfehlungen aussprechen, die Deutschland unmissverständlich an seine Verpflichtungen unter dem Zivilpakt (u.a. Art. 2 und 7) erinnern, Intersex-Kinder wirksam vor Genitalverstümmelung, grausamer, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung und uneingewilligten Humanexperimenten zu schützen, sowie wirksamen Zugang zu Justiz und Entschädigung zu garantieren, insbesondere durch Anpassung/Abschaffung von Verjährungsfristen, die es als Kindern verstümmelten verunmöglichen, als Erwachsene gegen die verantwortlichen Ärzte und Kliniken zu klagen!

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschland

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen
  • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)

Monday, October 11 2021

CCPR133: UN-Menschenrechtsausschuss untersucht IGM in Deutschland

Foto: Daniela Truffer unterrichtet den Menschenrechtsausschuss CCPR während der 128. Session, März 2020. (Das heutige NGO-Briefing fand online statt.)

FrançaisEnglishVerein Zwischengeschlecht.orgSpendenMitglied werdenAktivitäten

IGM = Folter, NICHT 'Diskiminierung' oder 'Geschlechtsidentität'Anlässlich seiner 133. Session in Genf prüft der UN-Menschenrechtsausschuss als Vertragsorgan des UN-Zivilpaktes (CCPR) die Menschenrechtssituation in Deutschland. >>> Transkripte und Videos der Sataatenprüfung

Zwischengeschlecht.org informierte den Ausschuss in 2 NGO-Berichten (PDF, englisch) 2018 und 2021 über Intersex-Genitalverstümmelungen in Deutschland. Daniela Truffer und Markus Bauer heute in einem privaten NGO-Briefing Fragen des Ausschusses und präsentierten eine mündliche Zusammenfassung der Berichte (siehe unten).

Wir hoffen auf deutliche Fragen des Ausschusses an die deutsche Delegation – und auf eine weitere unmissverständliche Rüge an Deutschland in den Abschließenden Bemerkungen im Anschluss an die 133. Session!

Zwischengeschlecht.org / StopIGM.org: NGO Mündliche Stellungnahme CCPR133 Deutschland, 11.10.2021
Daniela Truffer

Ich bin ein Intersex-Mensch und eine Überlebende von Intersex-Genitalverstümmelung und stelle die Berichte von StopIGM vor, einer internationalen Intersex-NGO mit Mitgliedern und Unterstützern aus Deutschland, einschließlich deutscher IGM-Überlebender, die Zugang zu Gerechtigkeit und Wiedergutmachung vor Gericht anstreben.

Wie aus unseren Berichten hervorgeht, [1] [2] werden in Deutschland Intersex-Kinder mit sogenannten “uneindeutigen” Genitalien immer noch kastriert, ihre Genitalien werden beschnitten und teilweise amputiert, sie werden erzwungenen Hormonbehandlungen, unnötigen Genitaluntersuchungen, Vaginaldehnungen (Bougierungen), medizinischer Zurschaustellung, Menschenversuchen und anderen unfreiwilligen, nicht dringenden Behandlungen unterworfen, die zuvor von CAT, [3] CRPD [4] und CEDAW [5] als grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und als schädliche kulturelle Praxis verurteilt wurden.

Bis heute unterstützen deutsche Ärzteverbände internationale Leitlinien, die alle Formen von Intersex-Genitalverstümmelung [6] vorschreiben, und die neuesten verfügbaren Daten über IGM zeigen keine Abkehr davon. [7]

Nach 25 Jahren endloser “Diskussionen” ohne tatsächliche Konsequenzen muss man der scheidenden deutschen Regierung jedoch zugutehalten, dass sie im März 2021 endlich ein Gesetz verabschiedet hat, das IGM Praktiken verbieten soll. [8] Bedauerlicherweise bietet dieses neue “Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung” jedoch keinen wirksamen Schutz für Intersex-Kinder und wurde daher von Intersex-NGOs und Rechtsexperten stark kritisiert. [9] Außerdem enthielten sich drei Fraktionen des Parlaments der Stimme, weil sie das neue Gesetz für nicht wirksam genug hielten. [10]

Insbesondere ist am neuen Gesetz mangelhaft, dass es

  • “feminisierende” Genitaloperationen wie die Teilamputation der Klitoris und die “Vaginoplastik” sowie sterilisierende Eingriffe nur teilweise einschränkt, während es im Gegenzug die häufigste Praxis, das heißt “maskulinisierende” Genitaloperationen, nämlich die “Hypospadie-Reparatur”, ausdrücklich erlaubt, und ebenso die Vaginaldehnungen
  • versäumt, IGM zu kriminalisieren oder angemessen zu sanktionieren
  • versäumt, Hindernisse für den Zugang zur Justiz und zu Rechtsmitteln zu beseitigen, insbesondere Verjährungsfristen
  • versäumt, die in den UN-Konventionen festgelegten Mindestanforderungen umzusetzen, u.a. Art. 2 des Zivilpaktes in Verbindung mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 31 und Art. 7 in Verbindung mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 20.

Es ist daher absehbar, dass trotz des neuen Gesetzes die hinlänglich bekannte und erschreckende Straflosigkeit von IGM-Tätern weiter andauern wird.

Wie dokumentiert, [11] ist es für Überlebende von IGM-Praktiken in der Kindheit nach wie vor unmöglich, vor einem deutschen Gericht Wiedergutmachung und Gerechtigkeit zu erlangen, sei es nach dem Strafrecht, dem Zivilrecht oder dem Opferentschädigungsgesetz, vor allem aufgrund der Verjährungsfristen. [12]

Auch für Überlebende, die als Erwachsene IGM unterworfen wurden, ist es zunehmend unmöglich, auf zivilrechtlichem Wege eine Entschädigung zu erhalten, da die Gerichte die Verfahren in die Länge ziehen und die Kläger letztlich dazu zwingen, sich mit minimalen Vergleichen abzufinden, weil sie sich den Stress und die Kosten eines langwierigen und teuren Rechtsstreits, beispielsweise nach acht Jahren, [13] nicht mehr leisten können. Im Gegensatz dazu dauerte der erste und bisher einzige erfolgreiche Zivilprozess [14] im Jahr 2007 nur 2 Jahre durch alle Instanzen.

Noch schlimmer sieht es beim Opferentschädigungsgesetz aus: Ein dokumentierter Fall zieht sich derzeit über 12 Jahre hin. [15]

Unter Hinweis auf die schweren Schmerzen und Leiden, die durch IGM-Praktiken verursacht werden, einschließlich des Verlusts oder der Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens, der schmerzhaften Narben, der Beeinträchtigung oder des Verlusts der Fortpflanzungsfähigkeit, der lebenslangen Abhängigkeit von künstlichen Hormonen, der erhöhten Selbstverletzung und Selbsttötung sowie des lebenslangen psychischen Leidens und Traumas, fordern wir den Ausschuss daher dringend auf, Deutschland mit Nachdruck an seine unabdingbaren Verpflichtungen gemäß dem Pakt zu erinnern, einschließlich eines wirksamen Schutzes für Intersex-Kinder und des Zugangs zu Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für IGM-Überlebende.

Fußnoten:
[1] 2018 Intersex NGO Report for LOIPR, S. 10-15, https://intersex.shadowreport.org/public/2018-CCPR-LOIPR-Germany-NGO-Zwischengeschlecht-Intersex-IGM.pdf
[2] 2021 Intersex NGO Report for Session, S. 11-12, https://intersex.shadowreport.org/public/2021-CCPR-Germany-NGO-Intersex-StopIGM.pdf
[3] CAT/C/DEU/CO/5, para 20
[4] CRPD/C/DEU/CO/1, paras 37-38
[5] CEDAW/C/DEU/CO/7-8, paras 23-24
[6] 2021 Intersex NGO Report for Session, S. 14
[7] Ibid., S. 11-12
[8] Ibid., S. 12-14
[9] Ibid., S. 13-14
[10] Siehe Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht 218. Sitzung, 25.03.2021, S. 27608-27615, https://dserver.bundestag.de/btp/19/19218.pdf#P.27608
[11] 2021 Intersex NGO Report for Session, S. 15-19
[12] Ibid., S. 15
[13] Ibid., S. 16
[14] Ibid., S. 15
[15] Ibid., S. 17-19

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschlan

Sunday, April 18 2021

Artikel: Das deutsche Intersex-Gesetz und die Schweiz

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IGM = Folter, NICHT 'Diskiminierung' oder 'Geschlechtsidentität'Weitgehend gelungener >>> Artikel von Sven Hauberg auf bluewin.ch über das deutsche “Anti-IGM-Gesetz” und die Situation in der Schweiz, inkl. Klartext von Daniela Truffer und Markus Bauer. Dafür von diesem Blog ein herzliches Dnkeschön! Einzig der unsägliche “Transidentitäts-Experte” Seikowski hätte nun definitiv nicht sein müssen – die UN-Rügen an die Schweiz fehlten dagegen ...

Nachfolgend als Bonus das ungekürzte Interview mit Nella und Markus:

- In Deutschland sollen angleichende Operationen bei intersexuelle Kindern verboten werden. Wie beurteilen Sie diesen Schritt? Geht er weit genug?

Daniela Truffer: Wir begrüssen, dass die Bundesregierung nach langen Jahren folgenloser Versprechungen und Fachtagungen nun endlich ein Gesetz verabschiedete, dass Intersex-Kinder vor unnötigen Genitaloperationen schützen soll. In der Praxis ist das neue Gesetz leider mangelhaft und unvollständig. Insbesondere versäumt es, menschenrechtliche Mindestanforderungen für einen wirksamen Schutz betroffener Kinder zu gewährleisten, wie sie unter anderem der UNO-Kinderrechtsausschuss, der Ausschuss gegen Folter und der Menschenrechtsausschuss seit Jahren nicht nur von Deutschland, sondern auch von der Schweiz einfordern. Unter anderem versäumt es das Gesetz, Intersex-Genitalverstümmelungen zu kriminalisieren oder angemessen zu sanktionieren sowie Hindernisse für den Zugang zu Justiz und Entschädigung für Überlebende von IGM-Praktiken zu beseitigen, namentlich eine angemessene Anpassung der Verjährungsfristen. Zudem legalisiert das Gesetz die häufigste IGM-Praktik der “vermännlichenden chirurgischen Genitalkorrekturen” und schränkt auch “verweiblichende Genitalkorrekturen” und sterilisierende Prozeduren nur teilweise ein. [vgl. den Referentenentwurf, auf dem das verabschiedete Gesetz basiert]

- Können Sie kurz die entsprechende Lage in der Schweiz schildern? Wie ist hier die rechtliche Situation?

Markus Bauer: Auch in der Schweiz sind Intersex-Genitalverstümmelungen immer noch an der Tagesordnung, bezahlt von der Invalidenversicherung (IV) über die “Liste der Geburtsgebrechen”. Zwar behaupten Kinderkliniken, die solche Eingriffe praktizieren, wie zum Beispiel das Kinderspital Zürich, das Inselspital Bern oder die Universitätsklinik Genf öffentlich gerne das Gegenteil, weigern sich jedoch bezeichnenderweise, entsprechende Statistiken offenzulegen. Aufgrund von aktuellen parlamentarischen Anfragen unter anderem in Zürich und Genf ist jedoch klar, dass weiter operiert wird. Entsprechend haben auch die UNO-Ausschüsse CRC, CAT, CEDAW und CCPR die Schweiz wegen der andauernden Intersex-Genitalverstümmelungen gerügt und IGM unmissverständlich verurteilt als schädliche Praxis (worunter auch die weibliche Genitalverstümmelung FGM fällt), als unmenschliche Behandlung und Verstoss gegen das absolute Folterverbot sowie als nicht eingewilligte Humanexperimente. Auch die Nationale Ethikkommission NEK forderte bereits 2012 eine gesetzgeberische Überprüfung betreffend Kriminalisierung, Entschädigung und der Verjährungsfristen, um auch erwachsenen Betroffenen Rechtszugang zu ermöglichen. Bundesrat und Politik weigern sich jedoch bis heute, entsprechende Massnahmen zum Schutz von Intersex-Kindern zu ergreifen.

- Was fordern Sie von der Schweizer Politik, was muss sich ändern?

Daniela Truffer: Wir fordern, dass Intersex-Genitalverstümmelungen endlich unter Strafe gestellt werden, und dass die Verjährungsfristen wie bei FGM und sexuellem Kindsmissbrauch entsprechend angepasst werden, dass auch erwachsene Betroffene später klagen können. Wie dies auch die Nationale Ethikkommission NEK und die UNO-Ausschüsse CRC, CAT, CEDAW und CCPR seit Jahr und Tag einfordern.

Nicht nur in der Schweizer Politik wird Intersex stattdessen konstant für LGBT und Genderpolitik vereinnahmt, zum Schaden und ohne Rücksicht auf die Betroffenen. Politiker wollen sich nicht mit Ärzten und Gesundheitsdirektionen anlegen und reden deshalb lieber über Geschlechtseintrag, Diskriminierung und Unisex-Klos, um von den andauernden Genitalverstümmelungen abzulenken.

- Wie viele intersexuelle Menschen gibt es Ihrer Einschätzung nach in der Schweiz?

Markus Bauer: Es gibt nach wie vor keine Zahlen. Die plausibelste Schätzung ist, dass 1-2 von 1000 Neugeborenen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung auf die Welt kommen und Gefahr laufen, Opfer von Intersex-Genitalverstümmelungen zu werden. Der Bundesrat weigert sich jedoch bis heute, Zahlen zu den von der IV bezahlten Genitalverstümmelungen offenzulegen.

Die häufigste Intersex-Diagnose ist die sogenannte Hypospadie, wenn beim Knaben die Harnröhrenöffnung nicht an der Penisspitze, sondern weiter unten mündet. (“Hypospadiekorrekturen” sollen laut dem neuen deutschen Gesetz weiterhin erlaubt bleiben.) Weitere häufige Diagnosen sind das sogenannte Adrenogenitale Syndrom (AGS), wo bei Mädchen infolge eines “Testosteronüberschusses” die Klitoris bei der Geburt vergrössert ist, und das sogenannte Androgeninsuffizienz-Syndrom (AIS), wo der Körper nicht oder vermindert auf Testosteron reagiert; im Extremfall haben diese Kinder Bauchhoden, aber ein weibliches äusseres Genital.

- Auf welche Hindernisse stoßen intersexuelle Menschen in der Schweiz im Alltag?

Daniela Truffer: Die meisten Intersex-Menschen fallen nicht auf und leben als Mann oder Frau, leiden aber ihr Leben lang an den psychischen und physischen Folgen von Genitalverstümmelungen und anderen unnötigen Behandlungen.
Probleme am Arbeitsplatz hatte ich erst, als ich mich öffentlich gegen Genitalverstümmelungen einsetzte.
In der Politik und in den Medien wird jedoch oft so getan, als würden Intersex-Menschen wie LGBT oder Trans unter Diskriminierung am Arbeitsplatz oder in der Schule leiden, während unser Hauptthema, die andauernden Genitalverstümmelungen, ausgeblendet oder verharmlost werden.

- Es gibt noch immer viele Menschen, die nichts mit dem Begriff Intersexualität anfangen können. Bemerken Sie hier eine neue Offenheit in den letzten Jahren? Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?

Daniela Truffer: Die meisten wissen immer noch nicht, dass es Kinder gibt, die mit Varianten der Geschlechtsentwicklung geboren werden, oder dass alle Embryos bis zur 7. Schwangerschaftswoche ein “uneindeutiges” Genital haben und erst danach die meisten sich in Richtung Junge oder Mädchen entwickeln, aber eben nicht ganz alle. Ich denke, wenn dies jeweils im Biologieunterricht altersgerecht behandelt würde, wüssten mindestens die nächsten Generationen besser Bescheid, und würden nicht mehr ständig Intersex mit Trans oder LGBT verwechseln oder gar vereinnahmen. Und wenn Intersex-Genitalverstümmelungen künftig strafrechtliche Konsequenzen hätten statt straffrei weiter praktiziert werden können, wäre dies natürlich auch ein starkes gesellschaftliches Signal.

Können Sie mir außerdem noch sagen - sofern Ihnen das nicht zu privat ist - warum Sie sich engagieren? Sind Sie selbst intersexuell bzw. Angehörige von Ihnen?

Daniela Truffer: Ich wurde mit sogenannt uneindeutigen Genitalien geboren, die Ärzte wussten nicht, ob ich ein Mädchen oder ein Junge bin. Mit 2 ½ Monaten wurde ich kastriert, mit 7 Jahren wurde mein Genital verstümmelt, damit ich mehr wie ein Mädchen aussehe. All diese Eingriffe wurden von der Invalidenversicherung bezahlt, psychologische Betreuung gab es keine. Meine Eltern und ich wurden von den Ärzten immer angelogen. Heute würde man wahrscheinlich einen Jungen aus mir machen, mit noch mehr Operationen und Komplikationen. Ich leide bis heute an den psychischen und physischen Folgen dieser unmenschlichen Behandlung. Erst mit 35 Jahren entdeckte ich via Internet, dass ich nicht allein bin und dass es Selbsthilfegruppen gibt. 10 Jahre Psychoanalyse habe mir das Leben gerettet, bezahlen musste ich ein Drittel davon selber. Mit 42 gelang es mir durch einen glücklichen Zufall meine Krankenakten ausgehändigt zu bekommen, was den wenigsten möglich ist. Wegen der Verjährungsfristen habe ich keine Möglichkeit, juristisch Gerechtigkeit einzufordern.

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird Chirurgen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- 50 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum 2.: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschland

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen
  • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)

Thursday, May 21 2020

Pages Zwischengeschlecht.info

Nachfolgend zur Archivierung eine Liste mit allen statischen Posts auf diesem Blog, die nicht in der Timeline auftauchen:

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Sunday, February 16 2020

Österreich: UNO verurteilt Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM)

[ English ]

Foto: Markus Bauer and Daniela Truffer (Zwischengeschlecht.org) mit den Intersex-Schattenberichten
an der 83. CRC-Session, Palais Wilson, Genf 31.01.2020

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Pressemitteilung von Zwischengeschlecht.org, 16.02.2020:Zwischengeschlecht.org on Facebook

Während seiner 83. Sitzung in Genf prüfte der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes (CRC) die Menschenrechtsbilanz Österreichs. Aufgrund von Schattenberichten (englisch) von Zwischengeschlecht.org stellte der Ausschuss Österreich spezifische Fragen zu"Intersex-Genitalverstümmelung" (IGM).
Österreich leugnete einerseits die Praxis, bestand aber andererseits trotzig darauf, mit IGM fortzufahren, d.h. wenn "bis längstens zum Ablauf des zweiten Lebensjahres" eine unnötige "operative Veränderung vorgenommen" wird "aufgrund eines Gutachtens" und mit "Zustimmung der Eltern".

Infolgedessen hat CRC nun Österreich wegen IGM-Praktiken gerügt und ausdrücklich verpflichtet, IGM "zu verbieten" sowie Daten über IGM zu erheben, um gefährdete Intersex-Kinder besser zu schützen.

Der Kinderrechtsausschuss verurteilte IGM in Österreich ausdrücklich als eine schädliche Praxis (wie auch FGM) gemäß CRC-Art. 24(3) in Verbindung mit dem CRC-CEDAW Gemeinsamen Allgemeinen Kommentar Nr. 18/31 "über schädlichen Praktiken", sowie unter Berufung auf eine frühere UNO-Rüge an Österreich durch den UN-Ausschuss gegen Folter (CAT), der wiederum IGM als grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung verurteilte, die unter das absolute Folterverbot fällt, und Österreich zusätzlich verpflichtete "sicherzustellen", dass IGM-Überlebende "angemessen entschädigt werden".

Zwischengeschlecht.org begrüßt dieses klare Verdikt – es ist
 • bereits die 2. UNO-Rüge wegen IGM an Österreich,
 • die 22. UNO-Rüge wegen IGM an ein EU27-Land,
 • die 17. Rüge wegen IGM durch CRC,
 • bereits die 49. UNO-Rüge, die IGM als eine schwere Verletzung
    unabdingbarer Menschenrechte verurteilt!

Daniela Truffer (Zwischengeschlecht.org):

«Österreich hat ein ernsthaftes Problem mit seiner himmelschreienden Behandlung von Intersex-Kindern. Die Schuld liegt nicht nur bei denjenigen, die die Verstümmelungen eigenhändig durchführen und jenen, die sie direkt finanzieren und dreist rechtfertigen, wie die österreichische Regierung in Genf, sondern auch bei all denen, die Intersex-Genitalverstümmelungen immer noch verharmlosen und zu einem "Gender"- oder "Gesundheits"-Thema herabstufen, so dass erstere ungestraft weitermachen können.»

UPDATE: Pressemitteilungen von VIMÖ (19.2.) | NEOS (20.2.) | Grüne (21.2.)

Anschließend: Die vollständigen verbindlichen CRC-Empfehlungen zu Intersex und IGM, die Schattenberichte, welche die Untersuchung des Kinderrechtsausschusses veranlassten, sowie Transkripte und Videos der österreichischen Dementis und Entschuldigungen während der 83. CRC-Session.

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