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Stop Genital Surgery
IOC-Protest, Lausanne 19.11.2009 (Photo: Ärger)
Die
Behandlung von zwischengeschlechtlich geborenen Athletinnen / "Intersexuellen"
/ Hermaphroditen (oder als solche Verdächtigte) durch die internationalen
Sportverbände und ihre lokalen Sektionen ist eine lange Geschichte von Willkür,
Diskriminierungen und sonstigen Verletzungen der Persönlichkeits- und
Menschenrechte der Betroffenen.
In einer Antwort auf einen Offenen Brief der Menschenrechtsgruppe
Zwischengeschlecht.org streitet das Internationale Olympische Komitee IOC
rundweg alle Verantwortung ab und verweigert anlässlich eines
Mediziner-Symposiums vom 15.-17. Januar jeglichen Dialog mit Betroffenen und
ihren Organisationen. [1]
INHALT
1. Zwitter an internationalen Wettkämpfen: Willkür und Erpressung
2. Unfaire und intransparente "Richtlinien"
3. Sportverbände propagieren Zwangsoperationen
4. IOC verweigert Dialog
5. Quellen
1. ZWITTER AN INTERNATIONALEN WETTKÄMPFEN: WILLKÜR UND ERPRESSUNG
1999 schaffte das IOC offiziell die obligatorischen Geschlechtstests bei Frauenwettkämpfen ab – und ersetzte sie durch selektive Tests "auf Verdacht" bzw. auf Denunziation hin. Diese werden hinter verschlossenen Türen und ohne jegliche Kontrolle durchgeführt. Dadurch hat sich die Situation für alle zwischengeschlechtlichen (bzw. als solche verdächtigten) Sportlerinnen massiv verschlechtert:
"Verdächtige" Athletinnen werden von den internationalen Sportverbänden und ihren lokalen Sektionen verstärkt widerrechtlich erpresst nach dem bekannten Muster: Entweder die "Verdächtigten" willigen ein, Verletzungen vorzutäuschen und "freiwillig" stillschweigend zurückzutreten, oder sie werden zur Strafe durch gezielte Indiskretionen als "Betrüger" und "Geschlechtstest-Versager" den Medien zum Frass vorgeworfen. Athletinnen aus "Entwicklungsländern", die sich mangels (finanzieller) Möglichkeiten schlecht wehren können, werden dabei regelmässig besonders unfair behandelt.
Das beschämende Vorgehen der internationalen Sportverbände u.a. gegen María José Martínez-Patiño (1985) [2], Santhi Soundarajan (2006) [3] und Caster Semenya (2009) [4] bestätigt dieses Muster.
2. UNFAIRE UND INTRANSPARENTE "RICHTLINIEN"
Bis heute gibt es für die Teilnahme zwischengeschlechtlicher Sportlerinnen an internationalen Wettkämpfen keinerlei verbindliche, transparente und faire Regeln. Zwar stellte das Internationale Olympischen Komitee IOC 2003 erstmals offizielle "Richtlinien bei Geschlechtsumwandlung" [1] vor, die auch der Athletikweltverband IAAF offiziell übernahm. Diese "Richtlinien bei Geschlechtsumwandlung" sind jedoch (wie schon ihr Name sagt) in erster Linie auf Transsexuelle zugeschnitten.
Weiter sind die IOC-"Richtlinien bei Geschlechtsumwandlung" international nicht verbindlich und werden deshalb von jedem (Unter-)Verband willkürlich nach eigenem Gutdünken ausgelegt. Es gibt insbesondere für als Zwitter verdächtigte Athletinnen nach wie vor keinerlei verbindliches, faires und transparentes Verfahren, und es fehlen nach wie vor verbindliche Rekursmöglichkeiten.
3. SPORTVERBÄNDE PROPAGIEREN ZWANGSOPERATIONEN
Besonders stossend für Betroffene und ihre Organsiationen ist zudem, dass die internationalen Sportverbände "verdächtigen" Athletinnen regelmässig menschenrechtswidrige genitale Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und sonstige medizinisch nicht notwendige Zwangsbehandlungen vorschreiben wollen, wie sie von gewissenlosen Medizinern auch sonst seit Jahrzehnten an Zwitterkindern systematisch praktiziert werden.
(Vgl. dazu u.a. diverse Medienberichte [5] , wonach der IAAF Caster Semenya wegen angeblicher "Sorge" wegen "Krebsgefahr" eine sofortige Kastration dringend empfiehlt und ihr grosszügig gar eine Gratis-Genitaloperation offeriert. Auch Zwitterkinder werden von gewissenlosen Medizinern oft systematisch kastriert unter Vorspiegelung eines generellen "Krebsrisikos von 30%", obwohl diese pauschale Behauptung nicht haltbar ist. 2009 kritisierte u.a. das UN-Komitee CEDAW die Bundesrepublik Deutschland wegen Duldens dieser Zwangsoperationen. Ebenfalls 2009 wurde in Köln erstmals ein Chirurg wegen einer medizinisch nicht notwendigen Zwangskastration rechtskräftig verurteilt.)
4. IOC VERWEIGERT DIALOG
Vom 15.-17. Januar 2010 veranstaltet das IOC anlässlich eines Medizinerkongresses in Miami Beach ein Symposium, um die alten "Richtlinien" neu zu überprüfen. Dabei berücksichtigt das IOC wie gewohnt lediglich die dort tagende Medizinerfraktion – Betroffene und ihre Organisationen werden nicht konsultiert.
Deshalb forderte die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org das IOC am 19.11.2009 bei einer Protestaktion in Lausanne [6] in einem Offenen Brief [1]u.a. dazu auf, dabei auch die betroffenen Menschen und ihre Organisationen angemessen zu berücksichtigen. Dazu gäbe es u.a in Afrika, Europa und in den U.S.A. genügend qualifizierte und erfahrene Personen und Lobbyorganisationen.
In einer inzwischen vorliegenden offiziellen Antwort [1] auf den Offenen Brief ging das IOC auf dieses Anliegen demonstrativ gar nicht erst ein.
Ein weiteres Anliegen betraf das Schicksal der durch die IOC-Partnerorganisation Olympic Council of Asia OCA massiv geschädigte indische Athletin Santhi Soundarajan. Auch hier leugnete das IOC in seinem Antwortschreiben pauschal jegliche Mitverantwortung.
Diese demonstrative Dialogverweigerung lässt befürchten, dass weitere "Skandale" um als Zwitter verdächtigte, diskriminierte und massiv geschädigte Athletinnen vorprogrammiert sind. Offensichtlich braucht es zuerst öffentlichen Druck und nicht zuletzt wohl saftige Strafklagen von Geschädigten, bevor sowohl IOC wie auch IAAF endlich aufwachen und ihre Verantwortung wahrnehmen.
5. QUELLEN
Hintergrundinformationen: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info
[1] Eine Zusammenfassung und Quellenlinks zum Offenen Brief, zur Antwort des IOC, zur Ankündigung des Symposiums, zum Medizynerkongress, bei dem sich das IOC-Symposium anhängt, sowie zu den sog. IOC-"Richtlinien bei Geschlechtsumwandlung" inkl. "Erklärungen zu den Richtlinien":
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2010/01/06/Diskriminierung-von-Zwittern-im-Sport%3A-IOC-streitet-Verantwortung-ab-und-schliesst-Betroffene-aus
[2] (englisch) http://www.aissg.org/PDFs/Patino-Tried-Tested-Lancet-2005.pdf
[3] http://de.indymedia.org/2009/11/265347.shtml
[4] https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/09/17/%22Caster-Semenya-wird-als-Zwitter-verheizt%22-Tages-Anzeiger%2C-16.9.09
[5] https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/12/14/IAAF-offeriert-Caster-Semenya-%22Gratis-Genitaloperation%22
[6] https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/11/20/Protest-gegen-Diskriminierung-von-Zwittern-im-Sport%2C-IOC-19.11.09