INHALT:
1) Zusammenfassung
2) Zur heutigen Veranstaltung des "Cornelia Goethe Centrum", Frankfurt am Main
17.11.2010
3) Hintergrund: Genitalverstümmelung als "Rohmaterial" für die
Geschlechterforschung
4) "Kosmetische Genitaloperationen" an Kindern sind menschenrechtswidrig,
unethisch und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
1) Zusammenfassung
Jeden Tag wird in Deutschland in einer Kinderklinik mindestens ein wehrloses
Kind irreversibel genitalverstümmelt.
Die Geschlechterforschung ist in einer für diese Kinder verhängnisvollen
Wechselwirkung mit der Medizin bis heute als Mittäterin maßgeblich an diesen
Verstümmelungen und deren Weiterführung mitbeteiligt.
Trotzdem weigern sich sowohl die natur- wie auch die
geisteswissenschaftlichen Disziplinen der Geschlechterforschung bis heute,
Verantwortung für die ethischen und menschenrechtlichen Implikationen dieser
Mittäterschaft zu übernehmen – geschweige denn, ihren Beitrag zu leisten, dass
diese unsäglichen Verstümmelungen vor unserer Haustüre endlich gestoppt
werden!
Im Gegenteil versuchte vor kurzem die "11th EMBL/EMBO Science and
Society Conference: The Difference between the Sexes – From Biology to
Behaviour" in Heidelberg, fundierte Kritik von Überlebenden an dieser
Komplizenschaft durch Drohungen zum verstummen zu bringen. >>>
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Und auch in einer thematisch ähnlichen heutigen Veranstaltung des
Cornelia Goethe Centrums der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt
a.M. bleiben menschenrechtliche und ethische Aspekte einmal mehr außen
vor – obwohl diese medizinisch nicht notwendigen "kosmetischen
Genitaloperationen" an Kindern in Frankfurt u.a. auch im Klinikum der Johann
Wolfgang Goethe-Universität weiterhin ungebrochen praktiziert werden ...
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von
kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und „Menschenrechte auch für
Zwitter!“.
2) Zur heutigen Veranstaltung des "Cornelia Goethe Centrum", Frankfurt
am Main 17.11.2010
Die Cornelia Goethe Colloquien im WS 2010/2011 stehen unter dem Motto
"Geschlechter|ent|grenzungen" und beschäftigen sich laut Ankündigung
"mit den in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen vorherrschenden
Geschlechterordnungen ebenso wie mit verschiedenen Strategien zur Überwindung
noch immer vorhandener Geschlechtergrenzen. [...] Im Kontext des Körpers wird
es dabei um Trans- und Intersexualität sowie Drag gehen; auch die Disability
Studies und neue medizinische Aspekte von Körper- und Geschlechtsidentität
werden in den Fokus genommen."
Offensichtlich wird somit "Intersexualität" einmal mehr als blosses Mittel
zum Zweck der Dekonstruktion von Geschlecht a.k.a. "zur Überwindung noch
immer vorhandener Geschlechtergrenzen" missbraucht.
Und dies, obwohl Betroffene und solidarischen Nicht-Zwitter solchen
vereinnahmenden und objektivierenden Gebrauch "als Forschungsobjekt [...]
und nicht als ein Thema [...], das in der realen Welt Implikationen für reale
Leute hat" seit längerem kritisieren, weil er "die Nicht-Sichtbarkeit
und die Objektivierung der Intersexuellen perpetuiert" (Koyama/Weasel,
2003).
Der 2. Vortrag dieser Reihe heute abend von "Dr. Ulrike Klöppel
(Charité-Universitätsmedizin Berlin)" beschäftigt sich scheinbar kritisch
mit dem brisanten Thema der Entstehung der "wissenschaftlichen Kategorie"
"Gender" unmittelbar aus den menschenrechtswidrigen Humanexperimenten
an "Intersexuellen" Kindern inkl. systematischer Genitalverstümmelungen seit
den 1950ern.
Ob dabei die ethischen und menschenrechtlichen Implikationen der heute noch
andauernden Verstümmelungen adäquat gewürdigt werden, scheint mehr als
fraglich. Einmal mehr geht es laut Ankündigung offensichtlich vielmehr
ausschließlich darum, anhand des "Rohmaterials" der Genitalverstümmelungen die
"heutige Geschlechterforschung" auf neue Höhen emporzuführen und dabei
"das Verhältnis der sozialen Kontingenz von Geschlecht erneut kritisch zu
diskutieren".
Dies scheint umso bedenklicher, als Dr. Ulrike Klöppel für ihre 'rein
wissenschaftlichen Intersex-Studien' sozusagen direkt an der Quelle sitzt: Ihr
Arbeitsort und Brötchengeber Charité-Univeritätsmedizin Berlin lässt bis auf
den heutigen Tag systematisch und serienmäßig wehrlose kleine Kinder
verstümmeln.
Trotzdem ist zumindest Zwischengeschlecht.org nicht bekannt, dass sich Dr.
Klöppel je konkret gegen die andauernden Verstümmelungen eingesetzt hätte,
weder in der Charité noch anderswo, oder sich nur schon öffentlich konkret und
unmissverständlich entsprechend geäussert hätte. Trotz einzelner Ansätze bleibt
jegliche Kritik letztlich bequem im Abstrakten verhaftet bzw. richtet sich
stets nur gegen das theoretische "Prinzip Zweigeschlechtlichkeit" an
sich, jedoch nie konkret gegen die menschenrechtswidrige und zutiefst
unethische Praxis der Verstümmelungen oder gar gegen die
GenitalabschneiderInnen selbst.
Dadurch wird es gar möglich, dass entsprechende Äußerungen und
Veranstaltungen letztlich von verantwortlichen PolitikerInnen als Feigenblatt
zur Rechtfertigung der Weiterführung der Verstümmelungen und zur Inschutznahme
der GenitalabschneiderInnen benutzt werden,
so z.B. vom Berliner Senat am 17.06.2010 in der Drucksache 16/14436.
Noch die Sprache in der Ankündigung der heutigen Veranstaltung ist
entsprechend verharmlosend: Statt von Genitalverstümmelungen, unkontrollierten
Humanexperimenten, medizinischen Verbrechen oder nur schon massiven
Menschenrechtsverletzungen ist lediglich verschämt die Rede von
"medizinischer Normierung" und "chirurgisch-hormonellem
Behandlungsmodell".
Frage: Würden Dr. Klöppel und das Cornelia Goethe Centrum bei
weiblicher Genitalverstümmelung auch bloss verschämt z.B. von "kultureller
Normierung" reden? Würden sie ebenfalls tatenlos zuschauen, wenn innerhalb
ihrer eigenen Institutionen "richtige Mädchen" systematisch verstümmelt würden,
und sich gar noch widerspruchslos als Rechtfertigung zur Weiterführung der
täglichen Verstümmelungen hinzuziehen lassen?
3) Hintergrund: Genitalverstümmelungen als "Rohmaterial" für die
Geschlechterforschung
Die Geschichte der Geschlechterforschung in all ihren Disziplinen (Biologie,
Endokrinologie, Genetik, Sexologie und Gender Studies) ist untrennbar verbunden
mit der Geschichte der medizinischen Verbrechen an Menschen mit "auffälligen"
Körperlichen Geschlechtsmerkmalen (Zwitter / Hermaphroditen / "Intersexuelle").
Diese andauernden medizinischen Verbrechen, die seit den 1950ern systematisch
an wehrlosen Kindern verübt werden, sind wohl eine der schlimmsten
Menschenrechtsverletzungen in westlichen Gesellschaften seit dem 2.
Weltkrieg.
Schlimmer noch, die Geschlechterforschung trug maßgeblich dazu bei, dass
sich die gesellschaftliche Situation der Zwitter seit Beginn der Moderne
dramatisch verschlechterte:
Während des Mittelalters bis in die Neuzeit waren Zwitter nicht nur
juristisch anerkannt und wuchsen mit unversehrten Körpern auf, sondern hatten
das einzigartige Privileg, als Erwachsene selber darüber entscheiden zu dürfen,
ob sie als Männer oder als Frauen leben wollten. Erst im 19. Jahrhundert wurde
ihnen dieses Privileg aberkannt im Namen der Wissenschaft, die sich seither und
bis auf den heutigen Tag anmaßt, besser als die Betroffenen selbst darüber
entscheiden zu können, welches ihr "wahres Geschlecht" sei. Seit den 1950ern
setzt die Medizin diese selbstherrlichen "Entscheidungen" systematisch
chirurgisch durch, so dass heute Zwitter als Spezies ebenso wie in der
öffentlichen Wahrnehmung nahezu ausgelöscht sind. Heute noch werden nach
Erhebungen der GenitalabschneiderInnen selbst 90% aller Zwitter im Kindesalter
ohne medizinische Notwendigkeit durchschnittlich mehrfach irreversibel
genitalverstümmelt.
Die Geschlechterforschung und ihre Disziplinen sind in einer für Zwitter
verhängnisvollen Wechselwirkung mit der Medizin bis heute als Mittäterin
maßgeblich an der Weiterführung der Verstümmelungen mitbeteiligt:
Von Anfang an benutzten GeschlechterforscherInnen "wissenschaftliche
Berichte" über Zwittergenitalverstümmelungen als Grundlage und Datenmaterial
zur Entwicklung und Verfeinerung ihrer "wissenschaftlichen Theorien", während
andererseits die Medizyner diese Theorien bis heute zur Rechtfertigung und
Fortführung der laufend "verbesserten" Verstümmelungen benutzen, worauf die
Geschlechterforschung diese neuen "Erkenntnisse" wiederum benutzt zur
Weiterführung ihrer Theorien, usw. usf. – für die täglichen Opfer der
Verstümmelungen ein Teufelskreis.
Zwar streiten vor allem die mittlerweile verstärkt in die Kritik geratenen
MedizinerInnen und ihre Standesorganisationen die weiterhin täglich andauernden
Verstümmelungen in der Öffentlichkeit gerne ab. Aktuelle Leitlinien und
Publikationen belegen jedoch:
-
jedeR, der/die den täglichen Verstümmelungen innerhalb der eigenen
Institutionen weiterhin tatenlos zuschaut und die "Ergebnisse" der
Verstümmelungen gar noch dankbar für eigene Forschungszwecke benutzt, macht
sich mitschuldig
4) "Kosmetische Genitaloperationen" an Kindern sind
menschenrechtswidrig, unethisch und ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit
Zum Teil seit Jahren sprechen sich Menschenrechtsorganisationen, EthikerInnen
und sogar Gerichte gegen die täglichen Verstümmelungen aus (sofern letztere
wegen der Verjährung überhaupt zum Zug kommen):
„Ethik als Freifahrtschein für operieren auf Teufel komm
raus“
Seit längerem kritisiert Zwischengeschlecht.org öffentlich, dass Medizyner
ethische Bedenken gleich außen vor lassen oder
Ethik als Feigenblatt für Zwangsoperationen missbrauchen.
Am "Forum
Biotehik: Intersexualität – Leben zwischen den Geschlechtern" des
Deutschen Ethikrates vom 23.6.10 in Berlin beklagte die Ethikerin Claudia
Wiesemann ebenfalls, "dass einfach noch zuviel operiert wird auf Teufel
komm raus" und beklagte eindringlich "Situation[en]", in denen
"der informed consent aller Wahrscheinlichkeit nach Makulatur ist und
letztendlich die Ethik nur noch als Freifahrschein dazu dient, an die Eltern
eine ohnehin feststehende Entscheidung abzudelegieren. Das halte ich selber
auch für höchstgefährlich und auch höchstproblematisch."
„Weder Evidenz noch medizinische Indikation“
Obwohl die Genitalverstümmelungen ohne medizinische Notwendigkeit seit 60
Jahren systematisch praktiziert werden, wurde ihre angebliche „Wirksamkeit“
noch nie klinisch getestet, d.h. sie erfolgen als unkontrollierte
Menschenversuche. Noch die aktuellen AWMF-Leitlinien stehen unverändert auf der
niedrigsten Evidenzstufe.
Auch dies wird von
verantwortungsvollen Medizinern sowie Medizinethik seit längerem kritisiert
– wiederum ohne jegliche Resonanz bei den verantwortlichen Zwangsbehandlern
...
Amnesty: „fundamentaler Verstoß gegen körperliche
Unversehrtheit“
Menschenrechtsorganisationen (u.a.
Amnesty Deutschland,
Terre des Femmes und das
UN-Komitee CEDAW) kritisieren die Duldung der chirurgischen
Genitalverstümmelungen u.a. als
„schweres Verbrechen“.
Terre des Femmes: „westliche Form der
Genitalverstümmelung“
International anerkannte ExpertInnen zum Thema weibliche
Genitalverstümmelung (FGM), darunter
Hanny Lightfoot-Klein,
Marion Hulverscheidt und
Fana Asefaw, sowie die Rechtsprofessorin
Konstanze Plett stützen die Klagen überlebender Zwitter, die
Zwangsoperationen seien die
„westliche Form der Genitalverstümmelung“, und ihre mutwillige Tabuisierung
und Ausblendung der in der politischen Debatte ein typisches Beispiel
scheinheiliger Doppelmoral.
Trotzdem blieben in Deutschland in der aktuellen Debatte um den
Gesetzesentwurf zur Einführung eines eigenen Straftatbestandes „weibliche
Genitalverstümmelung“ (inkl. adäquater Anpassung der Verjährung) die
chirurgischen Verstümmelungen an Zwittern bisher sorgsam ausgeklammert ...
BMBF-Studien: Lebenslanges Leiden an Zwangsoperationen
Seit bald 20 Jahren klagen überlebende Zwangsoperierte öffentlich über über
massive körperliche und seelische Schäden und lebenslanges Leiden durch
uneingewilligte kosmetische GenitalOPs.
Umfangreiche, BMBF-finanzierte Studien
bestätigten diese Klagen 2007 und 2008 wiederholt: „Die
Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant hoch.“
EndokrinologInnen und KinderchirurgInnen drängen auf
OPs
Wie
internen Untersuchungen bestätigen, sind es hauptsächlich Endokrinologen,
die allein oder zusammen mit einem Kinderchirurgen in den Kinderkliniken den
Eltern medizinisch nicht notwendige, irreversible Genitaloperationen
aufdrängen.
Eine Mutter: „Wir Eltern wurden von den Ärzten massiv unter Druck
gesetzt, das Kind geschlechtsbestimmend operieren zu lassen, obwohl es
vollkommen gesund war und keine Beschwerden hatte. Nicht zu operieren, wäre für
das Kind ein gesellschaftliches Desaster, lautete die Begründung. Die Rede war
zuerst von einem Mädchen. ‘Aber wir machen auch einen Jungen daraus, wenn Ihnen
das lieber ist’, bot uns die Ärztin an.“
„ökonomische Interessen“ der Kinderkliniken
Vereinzelt sprechen verantwortungsvolle Ärzte Missstände seit längerem an
und kritisieren offen die fehlende Einhaltung zentraler medizinischer
Standards: „Kliniken behalten Kinder aus ökonomischen Interessen.“
Und nennen durch
interne Abrechnungen belegte Zahlen: „Plastische Rekonstruktion der
Vulva: ERLÖS € 8175,12“
Leider stößt solche interne Kritik in den Medizinerverbänden mit unschöner
Regelmäßigkeit auf taube Ohren ...
OLG Köln: „schuldhaft in Selbstbestimmungsrecht
verletzt“
2009 war es Christiane Völling als erster überhaupt gelungen, in Köln einen
Chirurg für einen Zwangseingriff an einem Zwitter wenigstens zivilrechtlich vor
die Justiz zu bringen. Mit Erfolg: Nach 2-jährigem „Zwitterprozess“ wurden ihr
in 3. Instanz
100‘000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.
Laut OLG Köln hatte der Zwangsoperateur Christiane Völling „vor der
Operation nicht hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer
Einwilligung schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht
verletzt“, und zwar „in ganz erheblichem Maße“ (5
U 51/08).
Seither scheiterten wiederum alle Versuche, einen Zwangsoperateur vor
Gericht zu bringen, stets am selben Knackpunkt – Verjährung.
UNO rügte Bundesregierung – Politik als Mittäterin
2009 gelangten Zwangsoperierte zum ersten Mal mit einem Schattenbericht an
die UNO. In der Folge rügte das
UN-Komitee CEDAW die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der
Schutzpflicht gegenüber potentiellen und bereits geschädigten Opfern. Trotzdem
weigert sich die Bundesregierung weiterhin, die Menschenrechtsverletzungen
durch die Genitalverstümmelungen durch angemessene Schritte künftig zu
verhindern ...
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot
von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und „Menschenrechte auch für
Zwitter!“.
Freundliche Grüsse
n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfegruppe Intersex.ch
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.
Mitglied XY-Frauen
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse_at_zwischengeschlecht.info
http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info
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"STOP Genitalverstümmelung als 'Rohmaterial' für die
Geschlechterforschung!"
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"11th EMBL/EMBO": Unethische Forscher als Zulieferer der
Genitalabschneider