Am 20.5.09 war der 3. Prozesstag von Christiane Völlings Klage um
Schmerzensgeld gegen ihren Zwangsoperateur, der ihr 1977 (wie heute
noch bei Zwittern üblich) ohne Aufklärung die inneren Geschlechtsorgane
entfernt hatte. Vor dem Landgericht hatte sich ein gutes halbes Dutzend
solidarische Zwitter und Nicht-Zwitter zur Demo versammelt. In der Sache war
der Prozess mit dem
Urteil des Oberlandesgerichts vom 3.9.08 definitiv entschieden worden, es
ging nur noch um die Höhe des Schmerzensgeldes. Als Expertin war die "Netzwerk
DSD"-Endokrinologin Anette Richter-Unruh geladen, die dem Zwangsoperateur mit
ihren Aussagen arg in den Rücken fiel. Der gegnerische Anwalt versuchte einige
wenige Finten, kam damit jedoch nicht weit. Das Gericht liess durchblicken,
dass es Christianes Anliegen wohlgesonnen ist. Die Urteilsberatung wurde
angesetzt auf Mittwoch, 12.8.09 (nichtöffentliche Beratung).
3. Zwitterdemo vor dem Landgericht
Ein gutes halbes Dutzend Unentwegter hatte sich zur Demo vor dem Prozess
eingefunden. Wie schon bei den letzten beiden Kölner Demos waren nebst
Geschlechtsgenoss_innen von Christiane auch solidarische Nicht-Zwitter gut
vertreten. Die meisten waren zum Teil mehrere hundert Kilometer extra zum
Prozess angereist. Die Stimmung war gut und die mitgebrachten Flugblätter
gingen weg wie warme Semmeln – wie sich nach dem Prozess herausstellte, hatten
wir damit auch das Gericht und die Sachverständige erreicht. Die Polizei war
diesmal mit einem martialischen Aufgebot vertreten, das allerdings einem
gleichzeitig stattfindenden Russen-Mafia-Prozess galt. Trotzdem hatte das
verschärfte Sicherheitsaufgebot auch für uns Folgen: Kameras wurden diesmal nur
noch nach vorheriger Anmeldung zugelassen (deshalb aktuell keine Bilder aus dem
Gerichtssaal).
Christiane erzählt
Zu Beginn stellte Richter Dietmar Reiprich klar, dass der Prozess in der
Sache abgeschlossen ist, nachdem auch das OLG die Zwangskastration an
Christiane für klar widerrechtlich eingestuft hatte, es geht nunmehr "nur" noch
um die Höhe des zu zahlenden Schmerzensgeldes.
Zunächst hatte Christiane das Wort und schilderte, von gelegentlichen
Nachfragen unterbrochen, ungewöhnlich zurückhaltend ihre Leidensgeschichte und machte
geltend, seit der Zwangskastration mittlerweile ständig Antibiotika nehmen zu
müssen wegen wiederkehrenden, teilweise lebensgefährlichen Harnwegsinfektionen,
auch sonst sei ihr Immunsystem dauernd geschwächt und ihr körperliches
Temperaturempfinden beeinträchtigt.
Ausführlich gab sie auch Auskunft über psychische Beeinträchtigungen. Jahre
lang sei sie "auf der Flucht" gewesen, habe sich in ihre Arbeit vergraben,
öfters den Arbeitsort gewechselt, wollte alles hinter sich lassen, habe kein
Zuhause und auch keine Freunde oder sonstige wirklichen persönlichen Kontakte,
sondern lediglich ArbeitskollegInnen. Auf Nachfrage des Geichts führte sie
weiter aus, sie hätte noch nie einen Sexualpartner gehabt, das könne sie sich
auch heute noch nicht vorstellen. Nach einem Zusammenbruch, nachdem sie 2006
endlich die Wahrheit über sich selbst erfahren hatte, befinde sie sich in
psychotherapeutischer Behandlung, nach wöchentlichen
Kriseinterventionssitzungen beginne sie nun eine eigentliche
Psychotherapie.
Christianes Anwalt Georg Groth reichte zudem einige Beweisstücke ein wie
z.B. Fotos, die
belegen, dass Christiane vor der Zwangskastration ein erfülltes Leben als Frau
durchaus noch offengestanden hätte.
Zwangsoperatuer als Bauernopfer des "Netzwerk DSD"
Als nächstes war als Sachverständige die
"Netzwerk DSD"-Endokrinologin Anette Richter-Unruh an der Reihe. Wie sie
sagte, sei sie aktuell noch Privatdozentin, erhalte aber demnächst eine
ordentliche Professur. Ihre Ausführungen führten insbesondere bei den
anwesenden Zwittern wiederholt zu Kopfschütteln und ungläubigem Staunen.
Ungefragt behauptete sie etwa gleich zu Beginn, es sei auch vor 30 Jahren
höchst ungewöhnlich gewesen, dass der verurteilte Chirurg die Operation nicht
sofort unterbrochen und die Patientin vollumfänglich aufgeklärt habe, als er
laut dem Narkosebericht eine nicht-entartete weibliche Anatomie feststellte
(der eigentliche OP-Bericht war – wie bei Zwangsoperationen an Zwittern
generell üblich – auch in Christianes Fall bequemerweise längst "nicht mehr
auffindbar"). Entgegen dieser Behauptung ist mir für das laut Richter-Unruh
schon vor 30 Jahren "normale Vorgehen" kein einziges Beispiel bekannt (sie
selber führte auch keines an). Hingegen berichten alle mir bekannten Zwitter
übereinstimmend, wie ihnen dem Erziehungsgeschlecht widersprechende Gonaden
ohne ihre Einwilligung entfernt wurden – wie auch bei Christiane mit der
"Begründung", sie seien "verkümmert" und "entartet" gewesen, obwohl jedes Mal
das Gegenteil der Fall war. Ebenso waren sie auch in der Regel nicht über ihre
wirkliche Diagnose aufgeklärt worden. Damit fällt das "Netzwerk DSD" dem
bereits rechtskräftig verurteilten Chirurgen wider besseren Wissens in den
Rücken – wohl, um durch dieses Bauernopfer die Medizyner als Ganzes von
künftigen politischen Forderungen nach Pauschalentschädigung, wie sie aktuell
immer lauter werden, präventiv reinzuwaschen.
Erstaunlich auch Richter-Unruhs Behauptung, bei AGS handle es sich nicht um
Intersexualität – damit straft sie sämtliche bisherigen Leitlinien Lügen, wo
AGS ausnahmslos mit aufgeführt ist, inkl. der aktuellen (unter der neuen
Medizyner-Bezeichnung "DSD" a.k.a. "Störungen der Geschlechtsentwicklung"), an
der sie persönlich
beteiligt war. Ebenfalls im Widerspruch dazu stand ihre Bemerkung
betreffend Christianes seelischen Beschwerden, "Inbalancen" seien bei Menschen
mit GID nichts ungewöhnliches, "siehe auch Trans- und Homosexualität" (GID =
Gender Identity Disorder = Geschlechtsidentitätsstörung – kaum zufällig
versuchen die Medizyner regelmässig, Zwitter, die mit ihrer Behandlung nicht
zufrieden sind,
auf die Trans- bzw. GID-Schiene zu zwängen, der Fehler liegt somit bei den
"geistesgestörten Patienten" und nicht bei den heute noch üblichen,
menschenrechtswidigen Zwangsbehandlungen der Medizyner).
Laut Richter-Unruh sei auch bei Christianes körperlichen Beschwerden nicht
sicher festzustellen, ob diese mit Kastration und Testosterontherapie
zusammenhängen würden. Sprich einmal mehr: Im Zweifel für die zwangsbehandelnde
Medizynerkaste.
Darauf wandte allerdings Richter Reiprich ein, auch ohne die körperlichen
Beschwerden hätte die Kammer aufgrund der massiven psychischen Folgen kein
Problem, auf die geforderte Mindestentschädigung von 100'000 Euro zu
kommen.
Fortsetzung folgt ...
Der gegenerische Anwalt versuchte es eher alibimässig noch mit der Finte,
Christiane hätte ja auch Trotz der Zwangskastration anschliessend mit Östrogen
statt Testosteron behandelt sowie die vermännlichenden Genitaloperationen
hätten unterlassen werden können, weshalb für die Folgen nicht der Chirurg
verantwortlich sei, kam damit jedoch nicht weit. Überhaupt schien er etwas
überfordert, hatte es auch schon vorher sträflich versäumt, darauf zu pochen,
dass das menschenrechtswidrige Verhalten seines Mandanten durchaus nicht der
individuelle Einzelfall war, als den es auch Richter-Unruh darzustellen
versuchte, sowie die Mitverantwortung der anderen behandelnden Medizyner und
insbesondere der Endokrinologen gebührend herauszustreichen, so dass einem der
verurteilte Chirurg rückblickend fast ein wenig Leid tun kann.
Stattdessen gab der Anwalt sich einmal mehr damit zufrieden, weiterhin eine
Verzögerungstaktik zu fahren und die Urteilsverkündung so weit wie möglich
hinauszuschieben. Diese wurde vom Gericht auf Mittwoch, 12. August 2009, um
9:00 Uhr, angesetzt. Es handelt sich um eine nicht-öffentliche
Urteilsverhandlung, das Urteil werde den Parteien anschliessend telefonisch
vorab mitgeteilt sowie danach schriftlich zugestellt. Bereits jetzt ist
abzusehen, dass der fehlbare Chirurg, der "partout
nicht zahlen" will, einmal mehr Berufung einlegen wird ...
Für Christiane ist die Sache damit trotz der definitiven Verurteilung ihres
Zwangsoperateurs vor OLG im letzten Jahr wegen des
"ohne Zweifel rechtswidrig[en]" Zwangseingriffs, der ihr
"Selbstbestimmungsrecht [...] in ganz erheblichem Maße verletzt" habe, wohl
noch lange nicht ausgestanden.
Siehe auch:
-
Zwangskastrationen an Zwittern: "Keine Mutanten züchten"
- Krebslüge & Zwangskastrationen an
Zwittern
- Lügen, Zwangseingriffe, Schweigegebote: ein Leben aus der
Krankenakte (Teil I)
-
"Intersex Infant - Surgical Abuse" - Video
-
Wie das "Netzwerk DSD/Intersexualität" seine Versprechen bricht
-
Weiße Kittel mit braunen Krägen, reloaded
- Hiort, Holterhus, Sinnecker, Kruse (Ärzteblatt 1999):
Aufzählung,
bei welchen "Syndromen" / Zuweisungen wann zwangskastriert werden
muss
Zwitterprozess Tag 3, 20.5.09:
-
"Menschenrechte auch für Zwitter!" – Flugblatt 20.5.09
-
"Schmerzensgeld-Prozess" - Sat1 NRW 19.5.09
-
Zwitterprozess: Erste Medienberichte zum 3. Prozesstag
-
Merkel & Co: Einladung zum Zwitterprozess!
-
Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg als Gutachter für Behandlungsfehler