Thursday, August 6 2009

Bundestagswahl 2009: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter!

Menschenrechte auch für Zwitter!
INHALT
1. Hintergrund
2. Überblick Theorie und Praxis aller Fraktionen
3. Die einzelnen Statements im Wortlaut
4. Statement LSVD


1. Hintergrund

In einem erstmaligen Wahlprüfstein Nr. 9 "Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen bekämpfen!" für die kommende Bundestagswahl 2009 monierte der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) den "erheblichen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde" der Zwitter durch die heute noch gängigen genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und Zwangshormontherapien. Und fragte alle Bundestagsparteien, ob und wie sie bereit seien, "sich dafür einzusetzen", diese "Zwangsbehandlungen" zu stoppen, damit "in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen"

13 Jahre nach Gründung der "Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGP)" (inkl. ebensolanger Kritik an LGBT-Vereinnahmung und "Kolonialisierungskaskaden") waren damit zentrale Forderungen der Zwitterbewegung bei den organisierten Schwulen und Lesben wirklich angekommen! Der Wahlprüfstein griff nicht zuletzt zurück auf Grundsatztexte von Zwischengeschlecht.org und Intersexuelle Menschen e.V., aus Pressemitteilungen, der Forderungsliste und dem CEDAW-Schattenbericht.


2. Überblick Theorie und Praxis der einzelnen Fraktionen

Mittlerweile liegen nun die Antworten der Bundestagsparteien vor. Und siehe da:

Mit Ausnahme der CDU/CSU geloben im Wahljahr 2009 alle Fraktionen mehr oder minder deutlich, das Selbstbestimmungsrecht der Zwitter hochzuhalten und die Zwitterbewegung in ihrem jahrzehntelangen Kampf um ihre Menschenrechte zu unterstützen!

Die konkrete Bilanz ihrer Taten im Bundestag während der letzten vier Wahlperioden ist in krassem Gegensatz dazu bisher gleich Null – mit einer einzigen Ausnahme ...

Nachfolgend ein Überblick zu Theorie und Praxis der einzelnen Fraktionen, gefolgt von sämtlichen Statements im Wortlaut sowie einem Statement dazu des LSVD:

Rang 1: Am explizitesten lehnt DIE LINKE "frühkindliche Eingriffe ab" und fordert, "dass es erst zu medizinischen Eingriffen für geschlechtsangleichende Maßnahmen kommen darf, wenn die Menschen einwilligungsfähig sind". Und kann als einzige Fraktion darauf verweisen, dass auch in ihrem offiziellen Wahlkampfprogramm die konkrete Forderung steht: "fremdbestimmte operative Eingriffe bei Intersexuellen unterbinden". Einziger Wermutstropfen: Die Forderung eines zusätzlichen, eigenen Geschlechtseintrags für Transgender mit Zwitterforderungen im selben Topf ist für Zwitter klar kontraproduktiv. DIE LINKE ist bisher die einzige Fraktion, die im Bundestag in den letzten 13 Jahren immer wieder konkrete Vorstösse unternommen hat zu Gunsten der Urforderung dieses Blogs "Menschenrechte auch für Zwitter!", siehe z.B. hier, hier und hier. >>> PDF-Download

Rang 2: Die FDP hat ihre Hausaugaben auf dem Papier umfassend und gut gemacht, "begrüßt, dass die Situation von intersexuellen Menschen in den vergangenen Jahren zunehmend Gegenstand öffentlicher Diskussionen geworden ist", fordert Selbstbestimmung für Intersexuelle und "schließt [...] Zwangsbehandlungen aus". Im Bundestag hat die FDP zu Gunsten der Zwitter bisher konkret nix unternommen. >>> PDF-Download

Rang 3: Die SPD findet wiederholt alles "äußerst schwierig", führt "konkurrierend[e] Rechtsgüter" ins Feld und kann sich zum Schluss grad noch knapp dazu durchringen, das "Selbstbestimmungsrecht des Kindes" sei "eines der herausragenden Menschenrechte". Im Bundestag hat die SPD zu Gunsten der Zwitter bisher konkret nix unternommen. >>> PDF-Download

Rang 4: Die Grünen haben das kürzeste Statement – und lassen doch kein Fettnäpfchen aus. Im ersten Satz fordern sie immerhin vollmundig: "Die Menschenrechte intersexueller Menschen müssen in vollem Umfang gewährleistet werden." Die weiteren 2 Sätze sind dann das übliche Transgender-Vereinnahmungs-Einmaleins: Zuerst mit dem Schrecken der genitalen Zwangsoperationen winken, bzw. wie die Grünen es nennen, "medizinisch unnötigen Operationen zur Geschlechtsanpassung unterworfen werden", um anschliessend – schwupps! – auf die eigenen Anliegen umzuschwenken, in diesem Falle ein drittes Geschlecht nicht etwa für Zwitter, sondern für alle, "die nicht als weiblich oder männlich leben wollen", sprich für alle Transgender! Zudem wollen die Grünen rein gar nix begriffen haben: Die Wendung "medizinisch unnötige Operationen zur Geschlechtsanpassung" suggeriert, es gäbe auch medizinisch notwendige – gibt es aber NICHT – OPs "zur Geschlechtsanpassung" an Zwitterkindern sind definitionsgemäss IMMER rein kosmetisch und medizinisch NIE indiziert! Im Bundestag haben die Grünen zu Gunsten der Zwitter bisher konkret nix unternommen – ausser Blablabla, Vereinnahmung, mehr Vereinnahmung, noch mehr Vereinnahmung und Schützenhilfe für unverbesserliche Zwangsoperateure. >>> PDF-Download

Rang 5: Die CDU/CSU ist die einzige Fraktion, die ihre Hausaufgaben nach wie vor nicht einmal ansatzweise gemacht hat. Unbeirrt propagiert sie weiterhin genitale Zwangsoperationen an Zwittern. Bezeichnenderweise sind Zwitter für CDU/CSU ein "Gender-Thema": es geht AUSSCHLIESSLICH um "das Merkmal 'sexuelle Identität'" und NIE um Selbstbestimmung oder körperliche Unversehrtheit. Im Bundestag hat die CDU/CSU zu Gunsten der Zwitter bisher konkret nix unternommen – ausser "Intersexualität" mit "sexueller Orientierung" zu verwechseln (und befindet sich damit in bester Gesellschaft mit vereinnahmenden LGBTs und Transgendern). >>> PDF-Download


3. Die einzelnen Statements im Wortlaut

Statement DIE LINKE: >>> PDF-Download

Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen? 
Was werden Sie dafür tun, um Sorge zu tragen, dass Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung ein Recht auf freie Entfaltung und Selbstbestimmung gewährleistet wird?

DIE LINKE setzt sich für die Rechte von Intersexuellen Menschen ein. Wir fordern, dass es erst zu medizinischen Eingriffen für geschlechtsangleichende Maßnahmen kommen darf, wenn die Menschen einwilligungsfähig sind. Deshalb lehnen wir frühkindliche Eingriffe ab, da sie zu schweren physischen und psychischen Folgen führen können.
Im Bundestagswahlkampfprogramm heißt es hierzu:
„Die LINKE fordert: Selbstbestimmungsrecht von inter‐ und transsexuellen Menschen ohne Einschränkung sichern: Personenstandsgesetz und das Vornamensrecht in diesem Sinne ändern; fremdbestimmte operative Eingriffe bei Intersexuellen unterbinden“.
DIE LINKE im Bundestag hat der Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode hierzu vier Anfragen zum Intersexualität gestellt. (DS 4322, 4786, 13269, 13270)
Im Antrag (DS 16/12893, s.o.) fordern wir, dass  beim Personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag neben den Eintragungen „weiblich“ und „männlich“ auch der Eintrag „inter sexuell“ oder „transgender“ möglich sein soll und der Eintrag „intersexuell“ und „transgender“ auf Antrag vom Eintrag im Reisepass abweichen kann.

Statement FDP: >>> PDF-Download

Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen? 
Was werden Sie dafür tun, um Sorge zu tragen, dass Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung ein Recht auf freie Entfaltung und Selbstbestimmung gewährleistet wird?

Die FDP begrüßt, dass die Situation von intersexuellen Menschen in den vergangenen Jahren zunehmend Gegenstand öffentlicher Diskussionen geworden ist. Damit wird ein Bewusstsein geschaffen für die spezifischen Probleme und Lebenssituationen der Betroffenen. Für intersexuelle Menschen muss sichergestellt werden, dass sie ihr Leben frei und selbstbestimmt leben können. Folgerichtig schließt dies die Vornahme von Zwangsbehandlungen aus. menschen, bei denen im Kindesalter ein operativer Eingriff zur eindeutigen Zuordnung des Geschlechts vorgenommen wurde und die diese Zuordnung später ablehnen, bedürfen der Unterstützung. Die FDP begrüßt daher die ehrenamtliche Arbeit von Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen zur Unterstützung und Begleitung von intersexuellen Menschen. Notwendig sind wissenschaftliche Untersuchungen über die Situation von Intersexuellen, um auf einer gesicherten Datengrundlage mögliche gesetzliche oder administrative Maßnahmen zu prüfen. Eine grundlegende Evaluation der sozialen und rechtlichen Situation intersexueller Menschen in Deutschland wäre darüber hinaus wünschenwert.

Statement SPD: >>> PDF-Download

Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen? 
Was werden Sie dafür tun, um Sorge zu tragen, dass Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung ein Recht auf freie Entfaltung und Selbstbestimmung gewährleistet wird?

Die Frage ist äußerst schwierig, da hier verschiedene Rechtsgüter - das Sorgerecht der Eltern über ihre zum Zeitpunkt des Eingriffs oft nicht rechtsfähigen Kinder, das Selbstbestimmungsrecht des Kindes etc - miteinander konkurrieren können. Auch die Lebenssituation von intersexuellen Kindern kann äußerst schwierig sein, da die Umwelt eben in der Regel erwartet, kein Geschlecht eindeutig zuordnen zu können. Mangelndes Wissen auf Seiten der Ärzte kann ein Übriges tun. Selbst die Sprache kann hier eine Barriere bilden. Für die betroffenen Kinder ist ihre Intersexualität wohl leider in jedem Fall nicht problemlos. Grundsätzlich ist die SPD aber dazu bereit, sich für eine adäquate Lösung zu engagieren. Das Selbstbestimmungsrecht ist eines der herausragenden Menschenrechte.

Statement Bündnis 90 / die Grünen: >>> PDF-Download

Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen? 
Was werden Sie dafür tun, um Sorge zu tragen, dass Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung ein Recht auf freie Entfaltung und Selbstbestimmung gewährleistet wird?

Die Menschenrechte intersexueller Menschen müssen in vollem Umfang gewährleistet werden. Intersexuelle Menschen, die mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, dürfen keinen medizinisch unnötigen Operationen zur Geschlechtsanpassung unterworfen werden. Deshalb setzen wir uns dafür ein, geschlechtliche Uneindeutigkeit zuzulassen, und fordern für Menschen, die nicht als weiblich oder männlich leben wollen, die Möglichkeit, sich unter einem dritten Geschlecht eintragen zu lassen. 

Statement CDU/CSU: >>> PDF-Download

Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen? 
Was werden Sie dafür tun, um Sorge zu tragen, dass Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung ein Recht auf freie Entfaltung und Selbstbestimmung gewährleistet wird?

Durch eine geschlechtsspezifische Zuordnung bei intersexuellen Säuglingen und Kleinkindern wird aus sexualmedizinischer wie psychiatrischer Sicht eine ungestörte psychische Identitätsentwicklung gefördert. Die Behandlung von Intersexuellen muss denselben Voraussetzungen wie alle therapeutischen Maßnahmen unterliegen. So muss die medizinische Notwendigkeit ebenso vorliegen wie die rechtlich wirksame Einwilligung der Betroffenen bzw. ihrer rechtlichen Vertreter nach einer umfassenden Aufklärung. Die Diagnose, Behandlung und Rehabilitation muss nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen. Therapeutische Maßnahmen müssen sich immer am Einzelfall orientieren. 
Der Schutz intersexueller Menschen vor Diskriminierung  wird durch die Rechtsordnung gewährleistet. Intersexualität ist vom Schutzbereich des Merkmals „sexuelle Identität“ mit umfasst, wie in der Begründung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausdrücklich festgestellt ist.


4. Statement LSVD >>> PDF-Download

9. Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen bekämpfen!

Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen? 
Was werden Sie dafür tun, um Sorge zu tragen, dass Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung ein Recht auf freie Entfaltung und Selbstbestimmung gewährleistet wird?

CDU/CSU halten eine geschlechtsspezifische Zuordnung bei intersexuellen Säuglingen und Kleinkindern im Hinblick auf „eine ungestörte psychische Identitätsentwicklung“ für richtig, Voraussetzungen „für die Behandlung von Intersexuellen“ seien „die medizinische Notwendigkeit“ und „die rechtlich wirksame Einwilligung der Betroffenen bzw. ihrer rechtlichen Vertreter“. Diskriminierungsschutz werde durch das AGG abgedeckt. 
Die SPD ist grundsätzlich bereit, sich für eine adäquate Lösung im Sinne des Selbstbestimmungsrechts zu engagieren, auch wenn das Sorgerecht der Eltern mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kinder konkurrieren kann. 
Für die FDP schließt das Selbstbestimmungsrecht die Vornahme von Zwangsbehandlungen aus. Sie fordert wissenschaftliche Untersuchungen über die Situation von Intersexuellen, um auf gesicherter Datenbasis gesetzliche oder administrative Maßnahmen zu prüfen. 
Die Linke fordert, dass es „erst zu medizinischen Eingriffen für geschlechtsangleichende Maßnahmen kommen darf, wenn die Menschen einwilligungsfähig sind.“ Sie lehnt frühkindliche Eingriffe ab, „da sie zu schweren physischen und psychischen Folgen führen können“ und setzt sich für die Möglichkeit des personenstandsrechtlichen Eintrags „intersexuell“ ein. 
Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass intersexuelle Menschen, die mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, keinen medizinisch unnötigen Operationen zur Geschlechtsanpassung unterworfen werden. Geschlechtliche Uneindeutigkeit solle zugelassen und die Möglichkeit, sich unter einem dritten Geschlecht eintragen zu lassen, geschaffen werden.

Bundestags-Suchmaschine zu "Intersexualität":
http://suche.bundestag.de/searchAction.do?queryAll=&queryOne=intersexuell+intersexuelle+intersex

Siehe auch:
- CEDAW im Bundestag: Nach bekanntem Muster
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!  
- Lesben- und Schwulenverband Deutschland fordert Menschenrechte für Zwitter! 
- LSVD: Menschenrechte für Zwitter als Wahlprüfstein! 
- Bundestagswahl 2009: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter! 
- CSD Konstanz & Kreuzlingen fordert Selbstbestimmung für Zwitter  

Sunday, August 2 2009

Wie das Kaninchen vor der Schlange - Zwangsoperierte und (ehemalige) TäterInnen

Ausgeliefert!Wenn ich als Kind zum Arzt musste, wurde mir schon Stunden vorher übel, ich hatte kalte Hände, mein Körper versteifte sich. Dort angekommen war ich ganz starr vor Unbehagen und Angst, mein Herz klopfte laut, ich konnte nicht mehr denken und mich nicht mehr bewegen. Ich habe mich tot gestellt. Was für ein vernünftiges und folgsames Kind, dachten die wohl.

Heute, Jahrzehnte später, trete ich an die Öffentlichkeit, benenne das Unbenannte, setze mich für die Menschenrechte von Zwittern ein. Dabei komme ich immer wieder in Kontakt mit Medizinern und anderen, die von Berufswegen über Kinderschicksale entscheiden, sei es an Tagungen, in Gesprächen, Verhandlungen, Mails oder Telefonaten, überall dort, wo ich mich als (ehemaliges) Opfer 'zeige' und (ehemalige wie auch unverbesserliche) Täter mich 'anschauen'.

Dabei werde ich auch heute von den Gefühlen überwältigt, die ich als Kind hatte: Scham, Ekel, unterdrückte Wut, mein Körper reagiert ohne mein Zutun. Wenn ein Mediziner nur schon vor mir steht und mit mir redet, fühle ich mich körperlich in die Enge getrieben. Das zentrale Gefühl ist traurigerweise Selbstekel, als hätte ich das alles selber zu verschulden, was mir angetan wurde. Dieses verinnerlichte Gefühl, keine Grenzen zu haben, alle können mit mir machen, was sie wollen. Scham, Ekel, unterdrückte Wut.

Sogar bei einem ehemaligen Mediziner, der sich seiner Schuld bewusst ist und mich im Kampf gegen Zwangsoperationen unterstützen will, komme ich in diesen Zustand. In meinem Kopf laufen Bilder ab, die ich nur mit Mühe abschütteln kann. Ich bin zwar kein hilfloses Kind mehr, kann mich wehren, und dieser Mensch will mir nichts Böses, er bereut sogar und will helfen. Trotzdem möchte ich weglaufen, vor diesen Gefühlen, die wie ein Gift in meinem Magen rumoren, möchte aufhören mit all diesen Kontakten und mich dorthin verkriechen, wo es keine Blicke gibt. Aber dort wird sich nie etwas ändern, weder für mich noch für andere.

Es ist nicht einfach, von der eigenen Vergangenheit, dem eigenen Leiden zu abstrahieren. Wir müssen mit diesem Spannungsfeld leben, wenn wir uns mit Medizinern gemeinsam an einen Tisch setzen, um diese menschenunwürdige Situation zu verändern, sei es, um in Verhandlungen mit uneinsichtigen Medizinern Druck aufzubauen, um sie von Zwangsoperationen künftig möglichst abzuhalten, sei es, um mit den wenigen einsichtigen Medizinern zusammen zu arbeiten, die uns in unserem Kampf unterstützen wollen.

Weder wir noch diejenigen, bisher allzu seltenen, Mediziner, die uns unterstützen wollen, dürfen dabei ausser Acht lassen, dass die Vergangenheit ihren Schatten auf diesen Tisch wirft: das ehemalige Opfer wird sein Leben lang darunter leiden, was ihm angetan wurde. Die Jahrzehnte, in denen der ehemalige Täter dazu beitrug, diese Opfer zu schaffen, kann man nicht ungeschehen machen.

Ein Folteropfer wird ein Leben zusammenzucken, wenn es eine Uniform sieht. Ein Leben lang. So geht es auch Zwittern, die in diese gnadenlose Maschinerie geraten sind, wenn sie denen begegnen, die diese Maschinerie am Laufen halten oder einst hielten.

Trotzdem: Ohne die Auseinandersetzung mit (einsichtigen wie uneinsichtigen) Medizinern werden wir die Zwangsoperationen nicht abschaffen können.

Siehe auch:
- Rede 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008 
- Alle Posts unter "Trauma, Opferrolle, Befreiung"

Thursday, July 30 2009

"Intersexualität: Betroffene extrem belastet" - Hamburger Abendblatt 30.7.09

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

>>> Weiterer gelungener Artikel im Hamburger Abendblatt über Elisabeth "Hermaphrodit Müller, bitte, ich bin keine Fau!" von Angela Grosse mit dem vollständigen Titel "Intersexualität: Betroffene extrem belastet - Ein Leben zwischen den Geschlechtern". Einziges Manko: Einmal mehr wird von den Zwangsoperationen quasi nur in der Vergangenheit gesprochen, als wären sie heute scheints nicht mehr üblich – schön wär's!

Eine Woche nach "Ich wurde belogen und verstümmelt" redet Zwitter Eli im Abendblatt erneut Klartext. Auch Hertha Richter-Appelt steuert klare Statements bei über die "Hamburger Studie". Danke!

Monday, July 27 2009

Teilrezension zu "Bodies in Doubt" von Elizabeth Reis

>>>   hier --> Nachtrag

Thursday, July 23 2009

"Ich wurde belogen und verstümmelt" - Hamburger Abendblatt 23.7.09

Gratuliere, es ist sein Zwitter!

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

>>> Gelungenes Portrait von Hermaphrodit Elisabeth Müller plus >>> Infokasten aus der Feder von Rainer Burmeister mit dem vollständigen Titel: "Kirchenmusikerin wurde als Zwitter geboren: 'Ich wurde belogen und verstümmelt'". Zwitter Eli redet einmal mehr Klartext.

Aus der Sicht dieses Blogs weiter positiv zu vermerken, dass die von der Zwitter Medien Offensive seit Beginn geforderte Tendenz nach "eindeutigen" und "griffigen" Titeln, die von Anfang an unmissverständlich auf die menschenrechtswidrige Unterdrückung und Schädigung der Zwitter hinweisen, einmal mehr markant fortgeführt wird.

Einziger Wermutstropfen: Es fehlt noch der kleinste Hinweis, dass die meisten Zwitter schon als Kleinkinder auch an ihren Genitalien zwangsoperiert bzw. verstümmelt werden, mit allen bekannten Folgen, und nicht erst nach der Pubertät "nur" zwangskastriert wie u.a. Elisabeth Müller. Doch ansonsten Gratulation und Danke an Eli wie auch an den Autor!

>>> http://www.abendblatt.de/region/pinneberg/article1107250/Ich-wurde-belogen-und-verstuemmelt.html

>>> http://www.abendblatt.de/region/pinneberg/article1107251/Zwangsoperationen-verletzen-die-Menschenrechte.html

Sunday, July 19 2009

"Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD": Zwangsoperationen klar unzulässig - Dr. med. Jörg Woweries

Wie an anderer Stelle kritisiert, missbraucht die aktuelle AWMF-Leitlinie "Störungen der Geschlechtsentwicklung" die "Ethische[n] Grundsätze und Empfehlungen" der "Arbeitsgruppe Ethik" des "Netzwerk DSD" als Feigenblatt für Zwangsoperateure, bzw. als "Beleg" für die Behauptung, dass von Genitalverstümmelung bedrohte Zwitterkinder angeblich KEINE Rechte an ihrem eigenen Körper hätten – im Gegenteil stehe "rechtlich [...] letztlich den Eltern" die alleinige "Entscheidung zu".

Dies ist nicht nur juristischer Unsinn bzw. sträfliche Missachtung sämtlicher (übergeordneter) Grund- und Menschenrechte: Würden die Zwangsoperateure die "Ethische[n] Grundsätze und Empfehlungen" tatsächlich ernst nehmen und beachten, würden sie problemlos erkennen, dass kosmetische Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen im Gegenteil nicht nur aus ethischer Sicht klar unzulässig sind, sondern darüber hinaus juristisch strafbare Körperverletzungen darstellen (sowie Verstösse gegen das Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit).

Zu diesem Schluss kommt nach umfassender Würdigung der "Ethische[n] Grundsätze und Empfehlungen" im folgenden Gastbeitrag Dr. med. Jörg Woweries, ein erfahrener Kinderarzt – einer der Wenigen und Seltenen, der nicht nur erstens ein Gewissen sein eigen nennt, sondern zweitens auch lernte, auf es zu hören.

Dafür im Namen dieses Blogs ein herzliches Danke!!! 

Dr. med. Jörg Woweries:

"Weder Evidenz noch medizinische Indikation"

Vor kurzem wurden Ethische Grundsätze und Empfehlungen einer Expertengruppe veröffentlicht, und zwar von der Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität  zum Thema "Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“, publiziert in der Monatsschrift für Kinderheilkunde 2008 (156: 241-245) [>>> PDF-Download] .  

●  Darin  heißt es z.B.:

„Maßnahmen, für die keine zufrieden stellende wissenschaftliche Evidenz vorliegt, sind besonders begründungs- und rechtfertigungspflichtig und bedürfen einer zwingenden medizinischen Indikation.“ (Hervorhebung d. Verf.)

Zu fragen ist 1.

--> Kann die Notwendigkeit für geschlechtsangleichende Operationen mit zufrieden stellender Evidenz belegt werden?

Antwort:    

- Es liegen keine Studien mit zufrieden stellender Evidenz vor.
(Die unterste Klasse, Evidenzklasse 5, also „Expertenmeinungen ohne explizite Bewertung der Evidenz“, will man doch wohl nicht gelten lassen?)

- Sogar in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF-Leitlinien der Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin von 2007 wird zugegeben,

dass kontrollierte Studien zu genitalen Korrekturoperationen nicht vorliegen und Untersuchungen zum Outcome unbefriedigend sind“. (Hervorhebung d. Verf.)

Zu fragen ist 2.

--> Liegt bei den zur Diskussion stehenden Eingriffen eine medizinische Indikation vor?   

Wenn man Verschlüsse oder Behinderungen im harnableitenden System sowie das Salzverlustsyndrom ausnimmt,

lautet die Antwort:   

- Es liegt weder eine vitale, noch eine medizinische Indikation vor.

Genau genommen sind es kosmetische Operationen oder Operationen aus soziokultureller Indikation;

- Sogar die AWMF-Leitlinien sagen:

„Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung sind nicht per se aus rein kosmetischen Gründen korrekturbedürftig und stellen bei einem Neugeborenen keinen chirurgischen Notfall dar, jedoch in der Regel einen psychosozialen Notfall.“

●  Ethische Grundsätze: 

„Maßnahmen, die irreversible Folgen für die Geschlechtsidentität oder negative Auswirkungen auf Sexualität oder Fortpflanzungsfähigkeit haben können, sind besonders begründungs- und rechtfertigungspflichtig und bedürfen einer zwingenden medizinischen Indikation
(Hervorhebung d. Verf.)

--> Genaue Angaben dazu, d.h. eine große Zahl von Beschwerden über die  Folgen, sind in den Ergebnissen des Netzwerkes Intersexualität zu finden.

Auch im neuesten Lehrbuch zur Intersexualität von Finke und Höhne von 2008 ["Intersexualität bei Kindern", Uni-Med Verlag Bremen]

schreibt H. F. L. Meyer-Bahlburg, der sich grundsätzlich für geschlechtsangleichende Operationen ausspricht:

„Gegen solche Operationen spricht, dass sie die Beeinträchtigung der erotischen Sensivität und der Orgasmusfähigkeit und damit der sexuellen Zufriedenheit und Lebensqualität riskieren.“ (Hervorhebung d. Verf.).

• Ethische Grundsätze: 

„Die Erziehung in einem sozialen Geschlecht ohne entsprechende operative ästhetische Korrekturen erhält dem Kind zudem
die Option auf einen evtl. notwendigen späteren Wechsel der Geschlechtsidentität“ (Hervorhebung d. Verf.)

--> "Auch aus der Literatur ist bekannt, dass sich ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Menschen mit DSD im Lauf der Pubertät oder im Erwachsenenalter entschließt, das ihnen zugewiesene soziale Geschlecht zu wechseln."
(M. Jürgensen; O. Hiort; U. Thyen: "Kinder und Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsentwicklung: Psychosexuelle und -soziale Entwicklung und Herausforderungen bei der Versorgung". Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3, March 2008, S. 226-233).

--> Auch dazu schreibt H. F. L. Meyer-Bahlburg, der sich – wie gesagt – grundsätzlich für geschlechtsangleichende Operationen ausspricht:

Unglücklicherweise ist jedoch ein späterer Geschlechtswechsel, der ja bei Intersexuellen gehäuft vorkommt, erschwert, wenn die ursprüngliche Geschlechtszuweisung mit einer geschlechtsbestätigenden Operation verbunden war.“ (Hervorhebung d. Verf.)

Die Häufigkeit eines späteren Wechsels in ein andres als das ursprünglich zugewiesene Geschlecht ist keine seltene Ausnahme, sie beträgt mit größerer Variation - je nach Sorgfalt der ersten Geschlechtszuweisung - bis zu 24% der von Preves untersuchten Fälle  (Sharon. E. Preves), in den „Netzwerken Intersex“ waren es 9-12%.

In der Studie von Sharon E. Preves, in der 37 intersexuelle Menschen im Erwachsenenalter in den USA befragt wurden, fühlten sich fast alle Interviewten erniedrigt durch die vielen Untersuchungen und Zwangsbehandlungen, denen sie sich unterziehen mussten, sie kamen sich vor wie Monster oder Freaks.

●  Trägt die Chirurgie zur Vereindeutigung des Genitale zum Wohl des Kindes bei? Handelt es  sich um einen Heileingriff? Dies betrifft §1627 BGB.

--> Es handelt sich nicht um einen Heileingriff. Eine chirurgische Heilbehandlung ist in keinem Fall erforderlich - abgesehen von den genannten Ausnahmen.

• Ethische Grundsätze:

„Die Verfügung über Organe oder Strukturen, die für die körperliche Integrität oder Geschlechtsidentität wichtig sind (z.B. Keimdrüsen), sollte in der Regel dem Betroffenen selbst überlassen bleiben“. (Hervorhebung d. Verf.)

--> Die Entfernung der Keimdrüsen wurde bislang zugelassen, wenn eine strenge medizinische Indikation behauptet und im Zusammenhang mit einer erforderlichen Heilbehandlung erfolgte. - §1631BGB -. Betroffene beklagen, dass in vielen Fällen dagegen verstoßen wurde.

Da es sich bei der Vereindeutigung des Genitale nicht um eine Heilbehandlung handelt, ist eine Entfernung der Keimdrüsen ohne Zustimmung der Betroffenen selbst nicht zulässig.

Die Entfernung der Keimdrüsen wurde bislang häufig schon im Kindesalter aus präventiven Gründen, also  wegen einer eventuell möglichen (!) späteren Entartung vorgenommen. Oft ohne genaue Kalkulation eines Entartungsrisikos, d.h. des Zeitraumes in dem sich ein Tumor ausbildet.

In den AWMF-Leitlinien zu DSD heißt es:

„Die Literaturangaben zum definitiven Risiko einer Entwicklung gonadaler Tumore sind dürftig.“

Das Risiko einer Entartung soll nicht geleugnet werden, aber hier muss grundlegend neu nachgedacht werden. Wichtig sind regelmäßige präventive Untersuchungen.

●  Ethische Grundsätze: 

„Generell muss den Eltern der Aufschub von prognostisch unsicheren Maßnahmen bis zur Entscheidungsreife des Kindes als erste Präferenz dargestellt werden.“

„ Die Verfügung über Organe und Strukturen, die für die körperliche Integrität oder Geschlechtsidentität wichtig sind (z. B. Keimdrüsen), sollten in der Regel – wenn keine gewichtigen, das Kindeswohl betreffenden Gründe entgegenstehen – dem Betroffenen selbst überlassen bleiben.“

Zusammengefasst lässt sich sagen:

Jede dieser Operationen ist eine ganz eindeutige Körperverletzung nach §223 oder §224 StGB.

Die hohe Zahl von Beschwerden über die meist mehrfachen Operationen, die oft erst im adulten Alter ganz bewusst werden, lassen es nicht zu, dass Eltern für ihre Kinder die Einwilligung geben.

Auch die Ethischen Grundsätze und Empfehlungen sind eindeutig:

Die Operationseinwilligung darf nur vom Betroffenen selbst gegeben werden, nicht stellvertretend von den Eltern. 

Bisher ist es zwar üblich ist, dass die Eltern  die Einwilligung erteilen. Sie sind auf Grund der von den Operateuren vorgebrachten „Informationen“ selbst Opfer.

Es muss aber bestritten und in Zukunft verhindert werden, dass bei kosmetischen Operationen, die zudem irreversibel sind, die Operationseinwilligung von den Eltern stellvertretend für das Kind vorgenommen werden darf. 

Sehr viele Intersexuelle sprechen dann, wenn sie erwachsen sind, von Zwangsoperationen.

Viele Betroffene fragen: wodurch unterscheiden sich die geschlechtsangleichenden Operationen von „Genitalverstümmelungen“ afrikanischer Ethnien, die wir zu Recht verurteilen? Es ist die gleiche fixe Idee, es „richtig“ zu machen. Es ist dort eine Jahrhunderte  alte Tradition, hier ein Jahrzehnte alter medizinischer Brauch, der erst seit wenigen Jahren hinterfragt wird, aber noch nicht geändert ist. Die Tabuisierung durch die medizinischen Praktiken hat noch nicht die Öffentlichkeit so erreicht, dass den geschlechtsangleichenden Operationen ein gleiches Verbot entgegengesetzt wird.

--> Die Gesellschaft des Kindes „darf erst recht nicht zum alleinigen Maßstab gemacht werden, wenn es um die Abwehr von Gefahren für das Kind geht, denn sonst hinge es von den Einstellungen und Präferenzen der Gemeinschaft ab, ob minderjährigen Mitgliedern Körperschäden zugefügt werden dürfen“. (Stehr, M., Putzke, H., Dietz, H-G. ["Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung"] – 2008).

Werden diese Empfehlungen verbindlich beachtet werden? Sind sie einklagbar, ohne dass Kinder gegen ihre Eltern klagen müssen? Wird sich ein Staatanwalt der Sache annehmen? Skepsis ist angebracht.

K[onstanze] Plett ["Intersexualität aus rechtlicher Perspektive"] weist darauf hin, dass das Recht, wie wir es in allen Staaten vorfinden, die auf der westeuropäischen Tradition beruhen, so sehr auf exklusiver Zweigeschlechtlichkeit basiert, dass diese Struktur bislang schwer aufzubrechen ist.

Hier muss grundlegend – gesetzgeberisch – nachgedacht werden, da nicht nur die Ethische[n] Grundsätze und Empfehlungen einer Expertengruppe von der Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität zum Thema „Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“ eindeutig gegen die zur Zeit praktizierten Vorgehensweise gerichtet sind. Auch die [UN-]Übereinkünfte über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau [CEDAW] und der Kinder [UN-Kinderrechtskonvention CESCR] stehen dem entgegen.

Nachtrag:
Dieser Aufsatz erschien 2010 in der Zeitschrift "frühe Kindheit" in einer erweiterten Fassung, d.h. vermischt mit zusätzlichem Gender- und Personenstandskram, der leider vom Kernproblem bloss ablenkt:
Jörg Woweries: "Intersexualität: Eine kinderrechtliche Perspektive"

In: "frühe Kindheit" 03/10, S. 18-22    >>> PDF-Download (174 kb)

Siehe auch:

- Amnesty: Zwangsoperationen "fundamentaler Verstoß" gegen körperliche Unversehrtheit 
- "Netzwerk DSD": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure 
- "Ethik als Feigenblatt?" - Zwischengeschlecht.org am "Forum Bioethik" des Deutschen Ethikrates zu "Intersexualität", 23.6.10
- "Ethik als Freifahrtschein für operieren auf Teufel komm raus" (Claudia Wiesemann)
- Susanne Ude-Koeller, Claudia Wiesemann: "Ethik und Informed Consent. Empfehlungen für die Behandlung intersexueller Kinder und Jugendlicher" - Kinderärztliche Praxis, 2005 
- Alice Dreger über EthikerInnen als MittäterInnen
- Genitalverstümmelung in Kinderkliniken: Wer sind die Täter? Was soll mit ihnen geschehen? 

Thursday, July 16 2009

"Wie Zwitter um Anerkennung kämpfen" @ Stern-TV 15.7.09 22:15

Kann ein Zwitter Sünde sein?

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Leider erst allzu spät machten die Protagonist_innen auf diese Sendung aufmerksam mit dem vollständigen Titel: "Weder Mann noch Frau: Wie Zwitter um Anerkennung kämpfen".

Laut dem >>> Eintrag zur Sendung auf der Stern-TV Homepage (>>> alte Version) inkl. einem Glossar ist die Sendung gelungen – abgesehen von kleinen Schnitzern, z.B. "Jedes Jahr kommen in Deutschland rund 120 Zwitterkinder zur Welt" (noch Netzwerk-Chef Olaf Hiort geht laut der Hamburger Anhörung von mindestens 160 aus, vgl. Protokoll S. 18 – s. a. Die grosse "Intersex"-Statistiklüge). Auch diese Sendung bedeutet einmal mehr klar schlechte Nachrichten für alle Zwangsoperateure und wird weitere Menschen auf die Menschenrechtsverletzungen durch die genitalen Zwangsoperationen aufmerksam machen! Hipp, Hipp!! 

Wednesday, July 15 2009

Intersexuelle Menschen e.V. distanziert sich stillschweigend vom "Netzwerk DSD"

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!Seit längerer Zeit steht der Verein "Intersexuelle Menschen e.V." von verschiedenen Seiten in der Kritik für sein unkritisches Verhältnis gegenüber dem "Netzwerk DSD/Intersexualität". Dies umso mehr, als durch das "Netzwerks DSD" zigfach Versprechen gebrochen und zentrale Anliegen der Zwitter demonstrativ nicht zur Kenntnis genommen wurden. Nun stoppte der Verein seine öffentliche Unterstützung des Netzwerkes – allerding ohne dies publik zu machen oder sonst irgend eine öffentliche Kritik zu formulieren.

Das "Netzwerk Intersexualität" (wie das heutige "Netzwerk DSD" ursprünglich hiess) existierte von 2003-2008. Es war ausschliesslich bundesfinanziert durch das BMBF und entstand nicht zuletzt auf Grund eines Antrags 14/6259 der Bundestagsfraktion DIE LINKE vom 12.06.2001 (>>> mehr).

In diesem Antrag wurde bereits festgelegt, dass das Netzwerk nicht selbstherrlich operieren darf, sondern "Interessenvertretungen von Intersexuellen" einbeziehen muss. Namentlich aufgeführt wurde im Antrag die von Michel Reiter mitbegründete "AGGP[G] (Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie)". Leider existierte diese bereits nicht mehr, als das "Netzwerk" schliesslich in die Gänge kam, und die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Selbsthilfegruppen waren entweder den Medizynern gegenüber allzu unkritisch ("AGS Eltern- und Patienteninitiative") oder der dem "Netzwerk" offensichtlich nicht gewachsen, um wirksam Paroli bieten zu können ("XY-Frauen", "Intersexuelle Menschen e.V.").

Im Gegenteil wurden insbesondere von Mitgliedern des aktuellen Vorstands von "Intersexuelle Menschen e.V." jahrelang jegliche konkreten Bestrebungen abgeklemmt, das "Netzwerk Intersexualität/DSD" endlich in die Pflicht zu nehmen und falls nötig auch öffentlich und politisch unter Druck zu setzen. Dies jeweils nach dem Motto "Wir haben den Fuss in der Türe, wir dürfen jetzt nicht zu laut auftreten, sonst verlieren wir alles" (ohne jeweils kritisch zu überprüfen, woraus dieses "alles" überhaupt bestand). So liessen sich Delegierte des Vereins eins ums andere Mal vom "Netzwerk" zu neuen Aussprachen und "Elefantenrunden" einladen, wo eins ums andere Mal schöne mündliche Versprechungen gemacht wurden, denen allerdings nie Taten folgten (oder nur schon ein versprochenes schriftliches Protokoll mit den Zusagen in schriftlicher Form).

Da das Netzwerk ausschliesslich von öffentlichen Geldern des BMBF finanziert wurde, hätte öffentlicher und politischer Druck durchaus Wirkungen zeigen können. Stattdessen legitimierte der Verein das "Netzwerk" jahrelang öffentlich mit folgender Ankündigung auf seiner Homepage:

Welches sind die Ziele von Intersexuelle Menschen e.V.?

[...] Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Akquisition von Fördergeldern der öffentlichen Hand zur Unterstützung der Arbeit sowohl von Intersexuelle Menschen e.V., als auch der einzelnen Selbsthilfegruppen und deren Mitglieder.
Zudem streben wir eine enge Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Intersexualität an, das im Rahmen des Förderprogramms „Seltene Erkrankungen“ beim Bundesministerium für Bildung und Forschung gegründet wurde und die Forschungsanstrengungen unterschiedlicher Teams von Wissenschaftlern im Bereich der Intersexualität bündelt (www.netzwerk-is.de).

Insbesondere der letzte Satz wurde von verschieden Aktivist_innen seit längerem kritisiert.

2009 ist nun die Netzwerkfinanzierung ausgelaufen und das ehemalige "Netzwerk" damit Geschichte. Anfang Jahr wurde deshalb die Nachfolgeorganisation "Netzwerk DSD" aus der Taufe gehoben, die Gelder fliessen nun vornehmlich aus EU-Kassen via die inzwischen ebenfalls neu gegründete Orgnisation "Euro DSD" (Olaf Hiort, 1. Vorsitzender des "Netzwerk DSD", ist auch bei "EuroDSD" der verantwortliche "Koordinator").

Ironie des Schicksals: Just nun, wo es nix mehr bringt, wurde im letzten Frühjahr schliesslich doch noch zunächst der oben zitierte, kritisierte Satz von der IMeV-Vereinspage entfernt, dito auch von der XY-Frauen-Page. (Mittlerweile wurde auf der Vereinshomepage auch der Rest des Abschnitts gestrichen.)

Dies alles klammheimlich, ohne dass es je öffentlich erklärt oder begründet wurde, geschweige denn, dass das "Netzwerk DSD" jemals öffentlich für seine gebrochenen Versprechen und das Unterlassen jeglicher konkreten Hilfe für geschädigte Zwitter angeprangert oder gar zur Rechenschaft gezogen wurde.

Die Medizyner freut's ...

Siehe auch:
- Wie das "Netzwerk Intersexualität/DSD" seine Versprechen bricht     
- Netzwerk DSD/Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert
- Mein Rücktritt als 1. Vorsitzende von Intersexuelle Menschen e.V.
- 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008 
- "Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000

Friday, July 10 2009

"Intersexualität" = "sexuelle Identität und Lebensweise"??! – Grüne VereinnahmerInnen immer noch nichts gelernt

Im Bundestag stellen die Grünen einen >>> Antrag "Für einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie" (PDF). An und für sich eine gute Sache. Schlichtwegs unerträglich ist jedoch, wie die Grünen dabei einmal mehr die Leiden genital zwangsoperierter Zwitter für LGBT-Partikularinteressen instrumentalisieren.

Auch im fraglichen Antrag sind die Zwitter einmal mehr bloss als obligates Schlusslicht kommentarlos "mitgemeint" und die Grünen behaupten gar erneut, Zwitter seien kein biologisch-körperliches Geschlecht, sondern lediglich eine besondere Form von "sexueller Identität und Lebensweise". Diese unsägliche Vereinnahmung muss endlich aufhören!

Die genitalen Zwangsoperationen und sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffe an Zwittern sind die wohl gravierendste Menschenrechtsverletzung in den "westlichen Industrienationen" seit dem 2. Weltkrieg – in Ausmass, Umfang, Schwere und Systematik wirklich nicht zu vergleichen mit den vergleichsweise klar "harmloseren" Diskrimierungen, denen LGBTs ausgesetzt sind.

Nach wie vor wollen die Grünen das um keinen Preis wahrhaben, sondern versuchen stur nach dem Motto "bei LGBT 'mitgemeint'" die Zwangsoperationen usw. unter den Tisch zu wischen und stattdessen sich selbst auf Kosten der zwangsoperierten Zwitterkinder politisch zu profilieren. Nach wie vor ist DIE LINKE die einzige Partei, die bisher zugunsten der Zwitter im Bundestag konkrete Vorstösse startete – immerhin 7 in den letzten 13 Jahren (eins / zwei / drei).

Allen jahrelangen Lippenbekenntnissen und schönen Versprechen zum Trotz haben die Grünen bis heute zur Beendigung der massivsten Menschenrechtsverletzungen an Zwittern auf Bundesebene noch KEINEN EINZIGEN konkreten Schritt unternommen!

Stattdessen missbrauchen die "Gender- und QueerspezialistInnen" der Grünen, allen voran immer wieder Volker Beck und Irmingard Schewe-Gerigk, die Leiden der Zwitter regelmässig dazu, ihre eigenen LGB-Anliegen voranzutreiben, und degradieren die Zwitter dazu in steter Regelmässigkeit als (oft nur "mitgemeintes") Anhängsel ihrer eigenen Partikularinteressen. Falls sie "Intersexuelle" überhaupt erwähnen, dann STETS und IMMER in der anscheinend gottgegebenen Reihenfolge als Schlusslicht.

So auch einmal mehr in einem aktuellen Antrag >>> "Für einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie" (PDF).

"Intersexuelle" werden darin 7 mal erwähnt, und zwar – Überraschung! – JEDES MAL und AUSSCHLIESSLICH als kommentarlos mitgemeintes Anhängsel unter "Lesben,  Schwulen,  Bisexuellen und trans-  oder  intersexuellen Menschen"!

Dabei entblöden sich die Grünen weiter, die Zwitter dabei JEDES MAL und AUSSCHLIESSLICH kommentarlos unter "sexuelle[...] Identitäten und Lebensweisen" (S. 2 2x, S. 3 2x) einzubinden.

Während die Grünen in ihrem Antrag für "Schwule, Lesben und Transgender" bzw. für "Lesben, Schwule,  Bisexuelle und Transsexuelle" eine Vielzahl konkreter Anträge stellen, bleiben die Zwitter punkto konkrete Anträge einmal mehr KOMPLETT aussen vor, genitale Zwangoperationen und das dauernd missachtete Recht auf körperliche Unversehrtheit werden KEIN EINZIGES MAL angesprochen.

Dies alles ist umso beschämender, nachdem nun immerhin der LSVD inzwischen mit einem konkreten Wahlprüfstein zugunsten von "Menschenrechte auch für Zwitter!" ein konkretes Beispiel gesetzt hat, wie's auch anders geht. Nur haben die Grünen offensichtlich auch das verpennt ... Stattdessen verbrüdern sie sich noch mit den menschenverachtenden Zwangsoperateuren!

Wetten, dass sich das alles ziemlich schnell ändern würde, wenn von den grünen VereinnahmerInnen mal ein paar am eigenen Leibe genital zwangsoperiert oder nur schon zwangskastriert würden??!!

Gefunden via Bundestags-Suchmaschine zu "Intersexualität":
http://suche.bundestag.de/searchAction.do?queryAll=&queryOne=intersexuell+intersexuelle+intersex

Siehe auch:
-
- "Intersexualität" = sexuelle Orientierung??! 
- Lauter leere Versprechungen: Fachgespräch der Grünen 27.5.09
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert – Grüne wollen nix gemerkt haben
- Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen: Yogyakarta untaugliches Instrument
- QueerGrün missbrauchen Zwittersymbol für TSG-Kampagne
- "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?"      

Thursday, July 9 2009

Protokoll 2. Ausschusssitzung Hamburg: Laut Senat für Zwitter Geschlechtseintrag "Nicht bekannt" jetzt schon möglich

Das >>> Protokoll zur 2. Sitzung (PDF) des Ausschusses für Gesundheit und Verbraucherschutz zum Thema "Politischer Handlungsbedarf bei der Regelung für ärztliche Behandlungen von Hermaphroditen" vom 2. Juni 2009 ist jetzt erhältlich. Es handelt sich um die Nachfolgesitzung der Anhörung vom 29. April 2009 zum selben Thema. Schwerpunkt waren diesmal Stellungnahmen des Senats zu den Ergebnissen der Anhörung.

Die Bombe war zweifellos, nach Auffassung des Senats sehe

das Personenstandsgesetz in Deutschland [...] aktuell keine Verpflichtung vor, bei der Anmeldung des Kindes nach der Geburt auch das Geschlecht festzulegen. Wenn das Geschlecht zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt sei, könne dies auch so eingetragen werden. Es werde derzeit eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz diskutiert, nach der auch der Eintrag beim Standesamt, dass das Geschlecht nicht festgestellt sei, zulässig sei. Es werde danach keine Frist gesetzt, innerhalb der das Geschlecht festgelegt werden müsse. (S. 3)

Sieht fast so aus, als würde der seinerzeitige Prozess von Michel Reiter um Anerkennung eines 3. Geschlechtseintrags "zwittrig" doch noch späte Früchte tragen, obwohl er seinerzeit in 2 Instanzen unterlag ...

Nachtrag: >>> Thread dazu im Hermaphroditforum

Nach wie vor zu keinen konkreten Stellungnahmen durchringen kann sich der Senat auch betreffend der von RechtsexpertInnen und EthikerInnen weitgehend unbestrittenen Widerrechtlichkeit der genitalen Zwangsoperationen und Zwangskastrationen an Zwittern (vgl. auch seine wirklich beschämenden Antworten auf die Grossen Anfragen). 

Einmal mehr versteckt er sich hinter den nicht minder beschämenden Ausreden der Bundesregierung und führt weiter insbesondere die auf diesem Blog bereits eingehend kritisierte, nebulöse aktuelle AWMF-Leitline mehrfach ins Feld, die aus durchsichtigen Gründen u.a. behauptet, eine klare Trennung von "kosmetische" vs. medizinisch indizierte Operationen sei angeblich nicht möglich (AWMF-Leitlinie, "Chirurgische Therapie"). Tatsache ist demgegenüber, dass die weitaus häufigsten Eingriffe, die sog. "Klitorisreduktionen" und "Penisaufrichtungen" klar ausschliesslich kosmetisch sind, während lediglich Operationen medizinisch indiziert sind, wenn es z.B. darum geht, einen blockierten Harnabfluss zu ermöglichen, oder bestehende (und nicht medizynerseits eingebildete!) Tumore zu entfernen.

Auf die Stichworte "Menschenrechtsverträge" und "UNO" waschen sich die Delegierten des Senats die Hände wie gehabt in Unschuld rsp. in der altbewährte Zauberformel "sei ihnen nicht bekannt", garniert mit den üblichen schönen Ankündigungen: "Es müsse überprüft werden, ob es Auswirkungen auf deutsche Regelungen gebe." (S. 5)

Empörend auch, wie der Senat ohne Belege behauptet, "Die Einschätzung der Mediziner dazu [= Notwendigkeit medizinischer Eingriffe] habe sich in den letzten Jahren dramatisch verändert." (S. 2) Tatsache ist, noch die frisierte Version der "Lübecker Studie" belegt, dass nach wie vor 87% der Kinder zwischen 4 und 12 Jahren genital zwangsoperiert sind, über ein Viertel davon hat 3 und mehr Zwangsoperationen hinter sich! (Zum Vergleich: Von den heute Erwachsenen sind 90% genital zwangsoperiert, davon ebenfalls über ein Viertel mindestens 3 mal.) (Tabelle "Operationen nach Altersgruppen", S. 4)

Einmal mehr verbreitet der Senat ungehemmt das Medizynermärchen, Zwangskastrationen an Intersexuellen seien gar keine Kastrationen und würden deshalb nicht unter das "Kastrationsgesetz" fallen (S. 6). Tatsache ist, die Medizyner selbst sprechen oft genug von "Castratio", und auch die heute eher favorisierte Umschreibung "Gonadektomie" bedeutet dasselbe.

Auch in Sachen Statistiklüge hält es der Senat strikt mit den Medizynern, indem er ungeniert widersprüchliche Angaben zur Häufigkeit von Zwittern von sich gibt und ansonsten alles lieber weiterhin im Ungewissen belässt rsp. auf die strikt "individuelle Betrachtung des Einzelfalls" beschränkt haben will (S. 2), statt der Sache endlich auf den Grund zu gehen und verlässliche Zahlen zu beschaffen sowohl zum Vorkommen wie auch der "Behandlung" der Zwitter, sowie auch zum Verhältnis kosmetische vs. wirklich medizinisch notwendige Eingriffe.

Bezeichnend auch, wie der Senat pauschal weiter behauptet, "Formalrechtlich könnten Eltern ihre Einwilligung zu Operationen jeder Art geben", sowie, "es gebe nur einen Eingriff, nämlich die Sterilisation, zu dem die Eltern ihre Einwilligung nicht erteilen könnten" (die dann bei den Zwittern laut Senat ja gar keine Sterilisation bzw. Kastration ist, siehe oben). Ähm, schon mal was von übergeordneten Menschenrechten gehört, oder vom Grundgesetz auf körperliche Unversehrtheit?! Für den Senat offensichtlich alles "nicht bekannt[e]" Fremdwörter, bzw. auf Zwitter anscheinend nicht anwendbar.

Fazit: Es ist noch ein weiter Weg für die Urforderung dieses Blogs "Menschenrechte auch für Zwitter!", und ohne massiven zusätzlichen politischen, öffentlichen und juristischen Druck bleibt das wohl schlicht eine Fata Morgana bzw. ein frommer Wunschtraum.

Siehe auch:
- Hamburg: Ausschuss-Protokoll + Nachfolgesitzung 2.6.09 
- "Netzwerk DSD"-Chef Olaf Hiort: "keine Qualitätskontrolle" bei Zwangsoperationen an Zwittern 
- Hamburger Senat reiht sich ein unter die MittäterInnen
- Antwort der Bundesregierung zur 2. Kleinen Anfrage – Leugnen, Wegschauen, Schweigen wie gehabt ...   

Tuesday, July 7 2009

Neuerscheinung: "Between XX and XY: Intersexuality and the Myth of the two Sexes" von Gerald N. Callahan

Englische Sachbücher zum Thema jagen sich aktuell: Weniger als einen Monat nach "Bodies in Doubt" folgt nun eine Veröffentlichung des Immunologen Gerard N. Callahan. Zwar zielt der Titel einmal mehr klar in Richtung "Genderkacke", wonach zwangsoperierte Zwitter regelmässig lediglich zur Dekonstruktion missbraucht werden, und einmal mehr werden auch im Innern die gravierenden Menschenrechtsverletzungen durch die genitalen Zwangsoperatioenen und sonstigen Zwangseingriffe anscheinend nicht als solche konkret angesprochen.

Trotzdem bedeutet auch dieses Buch allem Anschein nach letztlich einmal mehr schlechte Nachrichten für alle Zwangsoperateure.

Laut einer interessanten englischen Rezi samt Interview auf salon.com beginnt das Buch programmatisch und effektvoll mit dem Bericht über einen (statistisch häufigen) Suizid eines belogenen und zwangsoperierten Zwitters. Anlass für Gerald Callahan, sich mit dem Thema zu beschäftigen, war das Zwittertabu rsp. die Feststellung, dass es viel mehr Zwitter gibt, als er jemals gedacht hätte oder auch die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen vermuten liessen, und er sich zu wundern begann, warum er vorher nie davon gehört hatte.

Callahan befragte auch Zwitter für das Buch. In seinem Statement zur "Behandlung" im Interview bleibt zwar Peer Support einmal mehr unerwähnt und es werden einmal mehr "ideale Situationen" beschworen, in denen der betroffene Mensch "direkt an Entscheidungen zu irreversiblen Eingriffen mitbeteiligt wird", statt dass Klartext geredet würde über die systematischen medizinischen Verbrechen an Zwittern. Doch immerhin wird (anders als aktuell z.B. durch das "Netzwerk DSD") das durch Zwangsoperationen verursachte schwere Leid mehrfach konkret benannt.

Auch diese Veröffentlichung wird somit dazu beitragen, das Zwittertabu weiter zu bekämpfen und es den Zwangsoperateuren und ihren Helfershelfern und Brötchengebern erschweren, unerkannt weiter Zwitter zu verstümmeln und zu traumatisieren.

Eine "wissenschaftlichen" Online-Besprechung von New Scientist schafft es trotzdem prompt, das Problem der Zwangsoperationen kurzerhand "auszulassen". Demgegenüber redet eine Online-Besprechung des oben verlinkten Salon-Interviews durch den "Transgender-Redakteur" des Denver Examiner Klartext und beweist, dass auch aus dieser Perspektive locker ohne Vereinahmung berichtet und aufgeklärt werden kann ...

Nachtrag: Besprechung & Interview in der Los Angeles Times vom 21.8.09.

Siehe auch:
- "Unseres Wissens zufolge unternehmen 80% der Intersexen Suizidversuche, hiervon 25% erfolgreich" - AGGPG 1998   

Monday, July 6 2009

Artikel über Lukas vom Transmission-Blog in der FAZ

Nicht-vereinnahmender, gelungener Artikel von Anne-Dore Krohn:

>>> Transsexualität: Eigentlich wie bei jedem guten Paar

Lukas auf seinem Blog zu Intersex (eins / zwei), Christianes Prozesssieg und
Trans* vs. Inter*
.

Wednesday, July 1 2009

Antwort der Bundesregierung zur 2. Kleinen Anfrage – Leugnen, Wegschauen, Schweigen wie gehabt ... (16/13270)

Menschenrechte auch für Zwitter!

Nun liegt auch die Antwort vor zur 2. der beiden aktuellen Kleinen Anfragen der Fraktion DIE LINKE mit dem Schwerpunkt "Medizinische Aspekte und die Förderung Betroffener" (Drucksache 16/13270). Einmal mehr stellt sich die Bundesregierung – Überraschung! – praktisch vorbehaltslos und vollumfänglich hinter die Zwangsoperateure.

Nach wie vor lautet die fast durchgängige Standardlüge, Pardon, -antwort:

Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.

Sogar wo die Bundesregierung nach 13-jährigem kontinuierlichen Nachhaken durch regelmässige kleine Anfragen sowie nach einer ersten Rüge durch den UN-Ausschuss CEDAW gezwungenermassen mikroskopische erste Schritte nach vorn unternimmt, kann sie es nicht lassen, sich gleichzeitig über die Betroffenen und ihre Leiden an den menschenrechtswidrigen Zwangseingriffen lustig zu machen, z.B. in Antwort 9:

Der Bundesregierung ist bekannt, dass von Betroffenen in Einzelfällen auch so genannte „Traumatisierungen“ als Spätfolge berichtet werden. Über deren Umfang liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.

Hier kommt nicht nur zum Schaden der Zwangsoperierten noch der Spott der MittäterInnen dazu, sondern diese Antwort ist auch (einmal mehr) klar gelogen. Wie leider nach wie vor praktisch alle anderen Antworten auch ...

Einmal mehr wird's wohl von den übrigen Bundestagsparteien eh niemand gemerkt haben wollen. Ebenso wie sich mit Ausnahme von DIE LINKE bisher auch jede andere Fraktion stets zu gut war, auf Bundesebene überhaupt irgend einen konkreten Vorstoss zu Gunsten der Zwitter zu unternehmen – obwohl die Menschenrechtsverletzungen an Zwitterkindern (nicht nur in Deutschland) wohl die gravierendsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem 2. Weltkrieg darstellen.

Trotz alledem wage ich zu behaupten: Es wir der Tag kommen, an dem nebst den Zwangsoperateuren auch ihre Brötchengeber und KomplizInnen zur Rechenschaft gezogen werden. Ihre Verbrechen sind bekannt und bestens dokumentiert, wie auch die vorliegende Antwort einmal mehr illustriert.

>>> Pressemeldung 1.7.09    >>> Antworten 16/13270 (PDF)

Siehe auch:
- Erste Antwort auf die neuen kleinen Anfragen – Bundesregierung deckt ZwangsOPs wie üblich ... (16/13270)
- DIE LINKE: 2 neue Kleine Anfragen "Zur Situation intersexueller Menschen" im Bundestag! (16/12769 + 16/12769)
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Faule Eier für "die Bundesregierung"! 

Gonade um Gonade, Lustorgan um Lustorgan!

Tuesday, June 30 2009

"Monsanto – mit Gift und Genen"

In den "westlichen Zivilisationen" sind die genitalen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern durch die genitalen Zwangsoperatioenen wegen der langen Dauer, der Schwere der Verletzungen, der Anzahl der Opfer und der systematischen Durchführung wohl die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen seit dem 2. Weltkrieg. In "unterentwickelten Ländern" kümmern sich die selben "Zivilisierten" allerdings oft noch weit weniger um menschenrechtliche oder ethische Bedenken. Ein weiterer Blick über den "eigenen" Tellerrand hinaus:

>>> Video: Monsanto – mit Gift und Genen (deutsche Version)

>>> Video: The World according to Monsanto (englische Version)

Eine sehenswerte Dokumentation von 2007 über die Machenschaften des Chemie- und Biotechmultis Monsanto.


Monsanto hatte u.a. "bewiesen", dass sowohl Dioxin wie auch das im Vietnamkrieg flächendeckend verwendete, dioxinhaltige "Entlaubungsmittel" Agent Orange, dem Millionen Menschen ausgesetzt wurden, weder krebserregend, noch mutagen oder sonstwie gefährlich sei. Noch heute, 40 Jahre später, zahlen unschuldige Kinder die Zeche für diese "wissenschaftlichen Beweise", in Vietnam (siehe Bild) wie auch in Amerika (vielen Soldaten und ihren Nachkommen ging und geht es auch nicht besser (englisch)). Bis heute musste Monsanto sich nie dafür gerichtlich verantworten ...

Heute dominiert Monsanto mit ähnlichen Methoden den Markt für genetisch veränderte Saaten zu 90% und konnte u.a. durchsetzen, dass die entsprechenden Produkte bzw. ihre Unschädlichkeit nie wirklich getestet werden mussten, wie dies z.B. bei Nahrungszusätzen der Fall ist (ehrliche WissenschafterInnen an Universitäten oder in Regierungsstellen, die sich querstellten, wurden regelmässig geschasst, geächtet und juristisch unter Druck gesetzt). Alles in allem also ein weiterer, diesmal weltweit angelegter Menschenversuch ...

Für sensibilisierte Zuschauer_innen ergeben sich auch weitere interessante Parallelen im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverletzungen an Zwittern durch Medizyner und die Komplizenschaft der PolitikerInnen, aber auch allgemein betreffend "gesicherten" Erkenntnissen, die Macht der "ExpertInnen", korrupte KomplizInnen, und wie auch Herr und Frau NormalverbraucherIn das Recht auf informierte Entscheidungen vielfach ganz rasch mal abhanden kommen kann ...

Siehe auch:
- Menschenrechtsverbrechen: Wer schweigt, macht sich mitschuldig  
- "Was wollt ihr?" - "Gerechtigkeit!" - "Wann wollt ihr sie?" - "Jetzt!" 
- Von der Frauenbewegung lernen

Friday, June 26 2009

Neuerscheinung: "Bodies in Doubt: An American History of Intersex" von Elizabeth Reis

Allem Anschein nach eine weitere Veröffentlichung primär aus der Gender Studies Perspektive, diesmal aus dem Verlag der Johns Hopkins University (der Heim-Uni von John Money & Co. sowie Ort der ersten Professur von Judith Butler). Elizabeth Reis war bisher vor allem bekannt dür ihren Vorschlag, das "Disorder" in DSD durch "Divergence" zu ersetzen (englisches PDF).

Die bisher zugänglichen Infos zum Buch lassen die Befürchtung aufkommen, die Geschichte der Kritik der Betroffenen an den Zwangsoperationen bleibe einmal mehr aussen vor. Mensch darf gespannt sein, ob der Abschnitt "OPs in den Zwanzigern und Dreissigern" die längst überfällige kritische Aufarbeitung der medizinischen Verbrechen von Prof. Dr. Hugh "Schnipp, Schnapp!" Hampton Young bringt, der an der Johns Hopkins University das Zwangsoperieren salonfähig machte und so die chirurgischen Voraussetzungen für John Money schuf (der allzuoft als Alleinschuldiger an den Menschenrechtsverbrechen an Zwittern geschildert wird).

Erster Eindruck: Punkto Menschenrechte und Ethik wird es das Buch wohl schwer haben, an das exzellente "Surgically Shaping Children" (Hrsg. Erik Parens) heranzukommen aus dem gleichen Verlag (in Zusammenarbeit mit dem Hastings Center).

>>> Vorabinfo Oregon University

Inhaltsverzeichnis (laut OpenLibrary.org):

  1. Hermaphrodites, monstrous births, and same-sex intimacy in early America 
  2. From monsters to deceivers : early 19th century          
  3. The conflation of hermaphrodites and sexual perverts at the turn of the century
  4. Cutting the gordian knot : gonads, marriage, and surgery 1920s and 1930s
  5. Psychology, john money, and the gender of rearing 1940s, 1950s, 1960s

Nachtrag zum 4. Kapitel (OPs während der 20er und 30er):

Leider entpuppt sich das Buch einmal mehr als die übliche Zwangsoperateur-Verharmlosung. Zwar gibt es einen Abschnitt "Soziale Rechtfertigung für die Operationen" (hier wie im folgenden handelt es sich jeweils um meine Übersetzungen), wo belegt wird, dass die "primäre Motivation" für die Chirurgen "eher sozialer Art" seien als "strikt medizinisch" (S. 86). Dass es (mit der einzigen Ausnahme von Verschlüssen oder Behinderungen im harnableitenden System, die aber nicht erwähnt werden) schlichtwegs keinerlei medizinische Begründung für die Genitaloperationen überhaupt gibt, wird hingegen vornehm ausgelassen.

Absolut enttäuschend auch der Abschnitt "Ethik der Operationen" – ethische Erwägungen bleiben dort nämlich ebenfalls schlicht aussen vor. Zwar wird einmal kurz festgehalten, "Chirurgen selbst" hätten später "bestürzt auf diese Periode zurück[ge]blickt", die einzige angeführte Belegstelle nimmt aber nicht einmal konkret auf Genitaloperationen an Zwittern Bezug, sondern es geht um das Anlegen künstlicher Dickdarmausgänge (S. 91). Zwar räumt die Autorin an einer Stelle ein, "Männer, Frauen und Kinder kamen zu den Ärzten auf der Suche nach Hilfe, und verliessen sie oft in einem schlechteren Zustand, körperlich und seelisch, als sie sie aufsuchten" (S. 91), aber genauer will sie es offenbar lieber nicht wissen.

Die kritischste Aussage, zu der sich Elizabeth Reis durchzuringen vermag, lautet: "In den 20ern und 30ern, offen gesagt, experimentierten die Ärzte mit den Körpern all ihrer PatientInnen" (S. 91), sowie folgende Passage, die wohl allen heutzutage zwangsoperierten Zwittern als der pure Hohn vorkommen wird: "Wir können vernünftigerweise nicht von der Vergangenheit diejenigen Standards verlangen, die wir heute erwarten, aber wir können kritisch sein gegenüber allzu optimistischen Berichten, welche die Mediziner über ihre chirurgischen Praktiken veröffentlichten. Heute verlangen PatientInnen und ÄrztInnen [!!!!!] [...] evidenzbasierte Behandlungen." (S. 92)

Dementsprechend kommt auch Hugh Hampton Young, der unselige Wegbereiter John Moneys, der die Zwangsoperationen in unsäglicher "Fleischlego-Manier" im Johns Hopkins Universitätsspital zur Serienreife brachte, ohne jegliche ethische oder gar menschenrechtliche Kritik weg – kritisert wird er einzig dafür, dass er zu sehr in den damaligen Ideen vom "falschen" und dem "richtigen Geschlecht" verhaftet gewesen sei.

(Wenigstens geht Elizabeth Reis damit nicht soweit wie Anne Fausto-Sterling, die in ihrem Buch "Sexing the Body" für Dr. "Schnipp, Schnapp" Young ausschliesslich Lob übrig hat [!!!], und sich gar zur Behauptung versteigt, Young habe nie Zwitter "zur Behandlung zwingen wollen", siehe dort S. 42 – peinlicherweise bringt Fausto-Sterling auf S. 92 selbst ein Beispiel, das das Gegenteil belegt ...)

Ein rarer Lichtblick, auf S. 113 räumt Elizabeth Reis immerhin ein, es sei leicht zu verstehen, wie die Medizyner darauf verfielen, die verhängnisvollen GenitalOPs möglichst früh an Kleinkindern zu praktizieren (die können sich nämlich nicht wehren, und auch Eltern sind im ersten Schock am leichtesten herumzukriegen).

Fazit, auch bei Elizabeth Reis' "Bodies in Doubt" geht einmal mehr weniger um Ethik und Menschenrechte auch für Zwitter, sondern um "Gender"(Theorie). Trotzdem bietet das Buch einen ergreifenden historischen Überblick über die Behandlungsmethoden an Zwittern, wenn auch eine Tendenz zur allgmeinen Schönfärbung und zur Verklärung der "aufgeklärten" Gegenwart im Speziellen unübersehbar sind.

Thursday, June 25 2009

"Netzwerk DSD"/"Euro DSD": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure

Die (auch von diesem Blog) oft kritisierte vorherige AMWF-Leitlinie "Störungen der sexuellen Differenzierung" (2003-2008) ("Entwicklungsstufe 1") der Urologenvereinigung DGU ist inzwischen auf dem Netz offiziell nicht mehr einsehbar, als hätte sie nie existiert.

In der >>> neuen AWMF-Leitlinie "Störungen der Geschlechtsentwicklung" ("Entwicklungsstufe 1 + IDA") vertritt nun ein "multidisziplinäres" Konglomerat unter Federführung der "Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ)" den aktuellen Branchenkonsens der GenitalverstümmlerInnen.

Zum ersten Mal überhaupt sind in der neuen AWMF-Leitlinie auch 2 Selbsthilfegruppen kommentierend mitbeteiligt und erwähnt, nämlich die "XY-Elterngruppe" und die "AGS-Eltern-und Patienteninitiative e.V."

Auf den ersten Blick liest sich die neue "Leitlinie" tatsächlich einiges freundlicher als die alte, die Kommentare der Selbsthilfegruppen stellen Verbesserungen dar, auch die "Ethische[n] Grundsätze und Empfehlungen bei DSD" der "Arbeitsgruppe Ethik" werden mehrfach gewürdigt.

Unter dem Strich werden jedoch wehrlosen Zwitterkindern "letztlich" (!!!) einmal mehr jegliche (Menschen-)Rechte abgesprochen.

Als Beleg für die juristische Rechtlosigkeit der Kinder wird – Überraschung! – ausgerechnet die "Grundsätze und Empfehlungen" der "Arbeitsgruppe Ethik" des "Netzwerks DSD/Intersexualiät" [110] namentlich herausgestrichen (meine Hervorhebung):

Ein uneindeutiges Genitale kann eine erhebliche psychosoziale Belastung der Eltern und der Familie bedeuten [23, 84, 110]

Rechtlich steht letztlich den Eltern die Entscheidung zu (aus: Ethische Grundsätze und Empfehlungen zum therapeutischen Umgang mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung (DSD) / Intersexualität bei Kindern und Jugendlichen) [110]

Fazit: Schnipp, schnipp!! Es wird munter weiter widerrechtlich genitalverstümmelt und zwnagsoperiert wie eh und je – einfach neu unter Berufung auf das Netzwerk-Ethikpapier! Erst Recht unter dem neuen Label der Netzwerk-Nachfolgeorganisation "EuroDSD"!

Als AutorInnen der aktuellen "Leitlinie" firmieren:

P.M. Holterhus, B. Köhler, E. Korsch, A. Richter-Unruh.

Nebst der DGKJ mitbeteiligt waren:

Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Endokrinologie (APE) als Sektion der
der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ)
sowie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Arbeitsgruppe Disorders of Sex Development (DSD) der APE

Untenstehend in chronologischer Reihenfolge alle Ausschnitte, in denen sich die "Leitlinie" auf das Ethikpapier beruft, gefolgt von der Quellenfussnote:

Ein uneindeutiges Genitale kann eine erhebliche psychosoziale Belastung der Eltern und der Familie bedeuten [23, 84, 110]

Die Geschlechtszuordnung soll dabei auf der Grundlage einer Diagnostik und unter Einbeziehung von Experten, nach Möglichkeit in einem Zentrum mit einem erfahrenen multidisziplinären Team (mit erfahrenen Kinderendokrinologen, Kinderchirurgen oder Kinderurologen, klinischen Psychologen oder Kinder- und Jugendpsychiater, Gynäkologen, Genetiker, Neonatologen, Sozialarbeiter, Pflegenden und Ethikern) und nach offener Darlegung und mit Beteiligung der Eltern und deren Beratern erfolgen [105, 106, 107, 110, 111]

Genitale Korrekturoperationen jeglicher Art werden zur Zeit kontrovers diskutiert, da kontrollierte Studien dazu nicht vorliegen und Untersuchungen zum Outcome unbefriedigend sind [15, 44, 67, 76, 89, 110]

Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung sind nicht per se aus rein kosmetischen Gründen korrekturbedürftig und stellen bei einem Neugeborenen keinen chirurgischen, jedoch in der Regel einen psychosozialen Notfall dar. Jede Therapieentscheidung, die nicht eine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit des Kindes abwenden soll, muss unter Vermeidung von Zeitdruck und unter hinreichender Abwägung unterschiedlicher Optionen im Gespräch mit Vertretern des therapeutischen Teams und den Eltern sorgfältig geprüft werden. Das therapeutische Team muss die Eltern von Anfang an und umfassend in die Entscheidungsfindung und Therapieplanung einbeziehen und sich davon überzeugen, dass sie die geplanten Maßnahmen, deren Bedeutung und Tragweite verstanden haben. Rechtlich steht letztlich den Eltern die Entscheidung zu (aus: Ethische Grundsätze und Empfehlungen zum therapeutischen Umgang mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung (DSD) / Intersexualität bei Kindern und Jugendlichen) [110].

110.  Wiesmann C, Dörries A, Hampel E, Janssen-Schmidchen G, Korsch E, Kraus-Kinsky E, Leriche C, Loeser E, Müller L, Reutter H, Rothärmel S, Sinnecker G, Ude-Koeller S, Werner-Rosen K, Zöller G, eine weitere Person aus der Gruppe der Betroffenen. Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität „Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“ Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD. Therapeutischer Umgang mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung/Intersexualität bei Kindern und Jugendlichen. Monatschr Kinderheilk 156: 241-245, 2008

>>> AMWF-Leitlinie "Störungen der Geschlechtsentwicklung"

>>> "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD" (PDF-Download)

Siehe auch:
- "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD": Zwangsoperationen klar unzulässig (Dr.med. Jörg Woweries)
- Wie das "Netzwerk DSD"/"Euro DSD" die "Lübecker Studie" frisiert 
- "Euro-DSD"-Zwangsoperateure: transsexuell = intersexuell??!
- "Ethik als Feigenblatt?" - Zwischengeschlecht.org zum "Forum Bioethik", Deutscher Ethikrat 23.6.10

Saturday, June 20 2009

"DSDnet"/"Euro-DSD"/etc.-Chef Olaf Hiort: "keine Qualitätskontrolle" bei Intersex-Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken

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Menschenrechte auch für Zwitter!

Wie schon im entsprechenden Post nachgetragen, streicht Michel Reiter in einer treffenden Analyse des Protokolls (PDF) der parlamentarischen Anhörung in Hamburg (--> 14.6.09) einige vielsagende Zitate heraus wie z.B. "Es gibt keine Qualitätskontrolle" (obwohl im Gesundheitswesen Qualitätsmanagement eigentlich vorgeschrieben wäre) und erläutert näher, was das konkret bedeutet.

Prädikat: Unbedingt lesen! (--> 14.6.09)

Das ganze entsprechende Zitat von "EuroDSD"- und "Netzwerk Intersexualität/DSD"-Chef Prof. Dr. Olaf Hiort (im PDF-Protokoll auf S. 40) lautet übrigens:

Es gibt keine Qualitätskontrolle, und alleine in Hamburg würde ich drei oder vier Krankenhäuser benennen können, die solche Operationen durchführen oder durchgeführt haben.

Mit Verweis auf ein Beispiel für "soziale Indikation[en]" (statt medizinische Notwendigkeit) für "solche Operationen" in AWMF-Leitlinien und der "Illegalität dieser Sichtweise" hebt Michel  weiter ein Zitat von Konstanze Plett im Anhörungsprotokoll hervor (PDF S. 18):

"Ich habe in Diskussionen auch gehört, ja, weil die Eltern an ihrem ungewöhnlichen Kind leiden, muss das Kind irgendwie unauffällig gemacht werden. Aber das ist aus juristischer Sicht nun überhaupt nicht vertretbar, dass ich einen Menschen behandle, um andere Menschen zu kurieren. Also Heileingriff geht immer nur an dem Menschen selber, der betroffen ist."

Bleibt zu befürchten, dass das "Netzwerk DSD" und die Nachfolgeorganisationen "EuroDSD", "NSDnet", "DSD-Life" etc. der Politik und der Öffentlickeit vermehrt frisierte Versionen z.B. der "Lübecker Studie" als Nachreichung der bisher fehlenden "Qualitätskontrolle" bzw. als "wissenschaftliche Rechtfertigung" und sonstige Lippenbekenntnisse zur Vertuschung/Fortführung der menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen verkaufen wird – und die Bundesregierung als langjährige Mittäterin weiterhin noch so gern mitspielt ...

Nachtrag: Wichtiger Vorschlag von Einhorn, wie gegen die Verfälschung der "Lübecker Studie" vorgegangen werden kann, hier in den Kommentaren.

>>> Olaf Hiort: "Genitalverstümmelungen durchaus im Interesse der Betroffenen"
>>> Olaf Hiort: "Erwachsene Betroffene haben kein Recht zu kritisieren"
>>> Olaf Hiort: "Genitalverstümmelung der übliche Weg - wegen den Eltern"
>>> Olaf Hiort: "Intersexuelle nur Bruchteil aller Genitalverstümmelten"

Wednesday, June 17 2009

Erste Antwort auf die neuen kleinen Anfragen – Bundesregierung deckt ZwangsOPs wie üblich ... (16/13269)

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!Die Antworten auf die erste der 2 kleinen Anfragen von DIE LINKE liegen vor (Drucksache 16/13269).

Die Bundesregierung etabliert sich weiter als Mittäterin bei den Zwangseingriffen und deckt die Zwangsoperateure nach der üblichen Doppelmoral: Rechtliche Schritte gegen Zwangsops sind "nicht erforderlich", "[s]olange keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen" – für das fortgesetzte Dulden und Propagieren der Zwangsoperationen brauchts allerdings keine "gesicherten Erkenntnisse" ...

Die übliche Heuchelei auch, wie die Bundesregierung unter "Festlegung des Geschlechts" mutwillig Personenstand und menschenrechtswidrige ZwangsOPs vermischt ...

Ebenfalls typisch: In der Pressmitteilung ist einzig vom Personenstandsrecht die Rede ...  

>>> Pressemeldung 17.6.09    >>> Antworten 16/13269 (PDF)

Siehe auch:
- Antwort der Bundesregierung zur 2. Kleinen Anfrage – Leugnen, Wegschauen, Schweigen wie gehabt ... (16/13270)
- DIE LINKE: 2 neue Kleine Anfragen "Zur Situation intersexueller Menschen" im Bundestag! (16/12769 + 16/12769) 
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Faule Eier für "die Bundesregierung"!

Gonade um Gonade, Lustorgan um Lustorgan!

Wie das "Netzwerk DSD"/"Euro DSD" die "Lübecker Studie" frisiert

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>>> "EuroDSD": Lübecker Zwitterstudie frisiert (Pressemitteilung 14.11.09)

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)>>> PDF 2.3 Mb -> S. 3 (Vortrag Berlin 27.05.2009, Folie 6)
Nach wie vor sind 90% aller Diagnostizierten zwangsoperiert :-(

Menschenrechte auch für Zwitter!

Bisher hoben sich die BMBF-finanzierten Netzwerk-Studien wohltuend ab von unseriösen Vorgängerprojekten à la Meyer-Bahlburg, die von vornherein auf Pro-Zwangsops designt waren und prompt auch Resultate brachten, die frappant an realkommunistische Wahlresultate erinnerten.

>>> Das Corpus Delicti als PDF (2.34 MB):
Martina Jürgensen: "Klinische Evaluationsstudie im Netzwerk DSD/Intersexualität: Zentrale Ergebnisse", Vortrag 27.05.2009

Die diversen Veröffentlichungen zur "Hamburger Studie" und die Vorabveröffentlichung der "Lübecker Studie" wirkten demgegenüber einiges glaubwürdiger und redeten immer (zumindest auch) Klartext. Einige Beispiele:   >>> mehr

  • Zwangsoperierte Zwitter haben eine höhere Selbstmordrate als nicht-traumatisierte Nicht-Zwitter, vergleichbar mit traumatisierten Frauen nach körperlicher Misshandlung oder Kindesmissbrauch. (Schützmann/Brinkmann/Richter-Appelt, Arch Sex Behav. 2009 Feb;38(1):16-33)

  • Genital zwangsoperierte Zwitter haben signifikant mehr Angst vor sexuellen Kontakten und mehr Angst vor Verletzungen beim Geschlechtsverkehr als "nur" zwangskastrierte. (Vortrag von Hertha Richter-Appelt, 19.4.2009)

  • "Menschen, die mehr als drei Operationen im Zusammenhang mit der besonderen Geschlechtsentwicklung erlebt haben, haben im Bereich körperliche Schmerzen eine niedrigere Lebensqualität als Menschen mit wenigen oder gar keinen Operationen." (Vorabbericht zur Lübecker Studie, S. 22)

But the times they are a-changing!

Mittlerweile sind die Hamburger ja aus dem "neuen" Netzwerk DSD und der Nachfolgeorganisation "EuroDSD" irgendwie draussen. Und aus Lübeck weht nicht erst seit gestern nicht nur für Zwitter, die an der Studie teilnahmen und auf weitere Veröffentlichungen mit Klartext gehofft hatten, ein mittlerweile deutlich rauherer Wind .

Schon nach der Vorabveröffentlichung Ende 2008 waren Stimmen laut geworden, die befürchteten, künftige "offizielle" Publikationen würden auf Kosten der Zwangsoperierten wohl wieder mehr auf medizynerfreundlich getrimmt (--> 3. e) Kritische Anmerkungen).

Weiter hatte das "Netzwerk DSD" unter den Zwischengeschlechtlichen weitherum Empörung ausgelöst wegen des mehrfach gebrochenen Versprechens, Teilnehmende würden die Publikation im Voraus zu lesen bekommen mit der Möglichkeit zu Kommentaren (ähnlich der DGKJ-Leitlinie). Ausserdem war Zusammenarbeit mit Zwitterorganisationen Bedingung bei der Vergabe der BMBF-Gelder für das Netzwerk!

Doch noch die pessimistischten düsteren Vorahnungen wurden nun vom "Netzwerk DSD"/"EuroDSD" an einem Vortrag über die "Lübecker Studie" an einem Fachgespräch im Bundestag vom 27.05.2009 deutlich übertroffen!   >>> Bericht von Kitty

Betreffend der zentralen Frage, ob die Zwangsoperierten durch diese menschenrechtswidrigen Eingriffe mit oft verheerenden Folgen in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt werden, behauptete die von Lübeck als Expertin an die 2. Anhörung der Bundestagsfraktion der Grünen delegierte Martina Jürgensen schamlos und mit noch krasserer Durchgängigkeit als seinerzeit Meyer-Bahlburg, nämlich 100% ausnahmslos:

  • keine Unterschiede bei der LQ [Lebensqualität] (Gesamtwert) bei unterschiedlichen medizinischen Interventionen

bzw.

  • keine Unterschiede zwischen operierten und nicht-operierten Personen

usw.

Wie gesagt, durchgängig 100%ig das selbe Fazit, egal ob es sich um die Lebensqualität, psychische Gesundheit oder "psychosexuelle Entwicklung" von Kinder, Jugendlichen oder Erwachsenen handelt – JEDESMAL, wenn überhaupt ein Vergleich Zwangsoperiert–Nichtoperiert gemacht wird!

Kommt dazu: Von den über Dreijährigen Teilnehmer_innen der Studie waren laut dem Vortrag ingsesamt nach wie vor 87%-91% Prozent kosmetisch zwangsoperiert – davon ein Fünftel mindestens 3 Mal! Willkommen im 21. Jahrhundert!

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)
--> PDF S. 3
>>> Das Corpus Delicti als PDF (2.34 MB)

Unter den anwesenden Zwischengeschlechtlichen war die Konsternierung gross, und noch ein Arzt sagte mir später im Gespräch, eine solche Verfälschung hätte er nicht erwartet.

Zwar räumte Martina Jürgensen einmal mehr ein, auch laut der "Lübecker Studie" gäbe es einen "grossen"

  • Problembereich von Jugendlichen und Erwachsenen mit DSD: Partnerschaft und Sexualität [vgl. auch Vorabbericht]

Just bei diesem "grossen Problembereich" unterschied Martina Jürgensen dann übrigens nicht mehr nach Operierten und Nicht-Operierten. (Auch über die – auch laut der Lübecker Studie notorisch schlechte – Behandlungszufriedenheit der Zwangsoperierten schwieg sie sich durchgehend vormehm aus.)

In der auf den Vortrag folgenden Diskussionsrunde sprach ich Martina Jürgensen sowohl auf die u.a. ihrem eigenen Vorabbericht widersprechende Behauptungen an, Operierte hätten insgesamt keinerlei Nachteile gegenüber Nicht-Zwangsoperierten Zwittern, wie auch auf die Auslassung des Vergleichs zwischen Zwangsoperierten und Nicht-Operierten ausgerechnet beim zentralen "grossen Problem".

Im ersten Anlauf wollte Martina Jürgensen grösstenteils gar nicht verstehen, worum es ging. Als ich nochmals nachhakte, gab sie dann zu verstehen, jetzt wisse sie, was ich meine, aber durch ein grössere Vergleichsgruppe als bei den Resultaten der Vorabveröffentlichung hätten sich deshalb die Resultate geändert, ausserdem bestehe auch bezüglich des Problemfelds Sexualität und Partnerschaft keine Unterschiede zwischen Zwangsoperierten und Nicht-Operierten, da gebe es "keine Korrelation". Danach war die Diskussion dazu (welche die Gesprächsleiterin der Grünen am liebsten schon vorher abgeklemmt hätte) zu Ende.

Mittlerweile traue ich Martina Jürgensen et. al. und dem "Netzwerk DSD"/"Euro DSD" voll und ganz zu, dass sie solches (und weiteres) auch künftig in den "offiziellen" Publikationen zur Studie bevorzugt absondern werden. So besehen macht es auch durchaus Sinn, dass das "Netzwerk DSD" es vorzieht, langjährige Versprechen gegenüber den Studienteilnehmer_innen zu brechen und und lieber hinter den Rücken der Zwangsoperierten zu publizieren.

Mal abgesehen davon, dass bei Vergleichen innerhalb der Untersuchungsgruppe (wie z.B. Zwangsoperierte vs. Nicht-Operierte) die Vergleichsgruppe gar keine Rolle spielt (!), und es schlicht weltfremd ist, zu behaupten, dass Zwangsoperierte zwar laut Vorabbericht der "lübecker Studie" häufiger "körperliche Schmerzen" im Genitalbereich haben (S. 22), dies aber angeblich ausgerechnet im "grossen Problembereich [...] Partnerschaft und Sexualität" keine Auswirkungen haben soll.

Dass das "Netzwerk DSD"/"EuroDSD" solches offiziell so rumposaunt (und die Grüne Bundestagsfraktion es prompt nicht bemerkt haben will, s.a. bei Kitty), ist ein herber Schlag ins Gesicht und eine klare Kriegserklärung an alle Zwangsoperierten, die mit ihrer Behandlung nicht zufrieden sind (auch laut der Vorabveröffentlichung der "Lübecker Studie" klar die Mehrheit!).

Diese Desinformation ist die offensichtlich Antwort des "Netzwerks der unverbesserlichen Zwangsoperateure" auf die neu erstarkte Zwitterbewegung, auf das zunehmend öffentlich bekannt werden der Menschenrechtsverletzungen durch die genitalen Zwangsoperationen und der Forderung der Zwangsoperierten nach "Menschenrechte auch für Zwitter!"

>>> Das Corpus Delicti als PDF (2.34 MB):
Martina Jürgensen: "Klinische Evaluationsstudie im Netzwerk DSD/Intersexualität: Zentrale Ergebnisse", Vortrag 27.05.2009

An der Veranstaltung waren übrigens auch mehrere Mitglieder sowohl von IVIM (die vor Beginn ein Faltblatt verteilten) wie auch von Intersexuelle Menschen e.V. anwesend. Bisher haben beide Organisationen noch nicht öffentlich Stellung zu diesem ungeheuerlichen Vorgang bezogen ...

Nachtrag: Wichtiger Vorschlag von Einhorn, wie gegen die Verfälschung der "Lübecker Studie" vorgegangen werden kann, hier in den Kommentaren.

>>> 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen
>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken: Fakten und Zahlen

>>> "EuroDSD": Lübecker Zwitterstudie frisiert (Pressemitteilung 14.11.09)

Siehe auch:
- Bericht von Kitty über das Fachgespräch vom 27.5.09 und das Corpus delicti
- Fachgespräch der Grünen, Berlin Mi 27.5.09 14-18h  
-
"Netzwerk DSD"/"Euro DSD": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure 
-
Wie das "Netzwerk Intersexualität/DSD" seine Versprechen bricht   
- "Euro-DSD"-Zwangsoperateure: transsexuell = intersexuell??! 
-
Netzwerk DSD/Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008
- "Netzwerk DSD"-Chef Olaf Hiort: "keine Qualitätskontrolle" bei Zwangsoperationen an Zwittern  
- "Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000  

Tuesday, June 16 2009

Neue Rezis zu "Intersex – Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes?"

Das empfehlenswerte, von Kathrin Zehnder und Michael Groneberg herausgegebene Buch schlägt weiter Wellen, wie akteuelle Besprechungen in  "Schweizerische Ärztezeitung" und im CH-JuristInnenfachblatt "Plädoyer" belegen. Dies ist umso erfreulicher, da insbesondere die juristische Debatte auch in der Schweiz immer noch ganz am Anfang steht.

In der SÄZ 23/2009 wird das Buch von der Theologin Heike Walz besprochen. Schon der Haupttitel "Für ein menschenwürdiges Dasein «intersexueller» Personen" sowie einzelne Zwischentitel wie "Die Stimme von Betroffenen hören" oder "Die Einzigartigkeit und das «Dazwischen» von «Intersex» respektieren" deuten die insgesamt erfreuliche Tendenz zu Klartext an, ebenso folgende drei Ausschnitte:

Auch wenn der Band kein Patentrezept geben will, ist eine gemeinsame Richtung erkennbar: Ein «menschenwürdiges Dasein für Intersexuelle» (Groneberg, S. 141) auf der Basis der Menschenrechte bzw. dem Recht des Kindes auf Selbstbestimmung. Die Würde der Betroffenen zu respektieren, Informationen vollumfänglich zugänglich zu machen, «Intersex» zu enttabuisieren und die Normen hinsichtlich des Geschlechts zu erweitern [...].

Während beispielsweise das mittelalterliche kanonische Recht vorsah, dass Intersexuelle als Erwachsene ihr Geschlecht wählen, setzt im 18. Jahrhundert die Medizin ein «wahres Geschlecht» fest. Angesichts der Vielfalt der Kriterien zur Feststellung des Geschlechts zeigt [Michael Groneberg], dass die Anato-
mie nicht ausreicht.

Mirjam Werlen zeigt auf, dass das schweizerische Recht in Übereinstimmung mit der Kinderrechtskonvention (KRK) dem Grundsatz folgt: «Im Zweifel für die Kindesinteressen.» Steht das Recht auf Selbstbestimmung über die eigene Geschlechtsidentität im Zentrum, müssen ihrer Meinung nach chirurgische Eingriffe medizinisch zwingend indiziert sein, während kosmetische Operationen die Urteilsfähigkeit des Kindes (ab dem dritten bis sechsten Lebensjahr) abwarten sollten. [...] Das Geschlecht eines intersexuellen Kindes sollte im Zivilstandsregister unter Vorbehalt einer späteren Ergänzung eingetragen werden können.

Kommentar: Auch wenn zu befürchten ist, dass es primär noch massiv mehr handfesten politischen und juristischen Druck braucht, bis die in der Regel unverbesserlichen Zwangsoperateure einst widerwillig von ihrem menschenverachtenden Tun ablassen werden, setzt die Besprechung doch schon mal ein positives Signal.

>>> Die ganze Besprechung als PDF

Die Rezension in "Plädoyer" 3/09 ist im Vergleich sehr kurz und bringt kaum Klartext, ist aber immerhin ein Anfang:

Jedes Jahr werden in der Schweiz schätzungsweise rund dreissig Babys geboren, deren Geschlecht nicht eindeutig ist. Medizinisch gilt Intersexualität – nicht zu verwechseln mit Transsexualität – als zu korrigierende Störung. Oft erfolgt eine Operation weniger aus medizinischen Gründen, sondern zwecks eindeutiger Zuordnung, in Zweifelsfall zum weiblichen Geschlecht. Im interdisziplinären Band beleuchtet die Juristin Mirjam Werlen den Stellenwert der körperlichen und psychischen Unversehrtheit der betroffenen Kinder, etwa im Zusammenhang mit der Kinderrechtskonvention, der Bundesverfassung oder den zivilrechtlichen Regelungen zur Einwilligungsfähigkeit. 

Bewertung: Guter Überblick zum Thema, dank umfangreichem Glossar auch ohne Vorkenntnisse zugänglich. (tom)

Siehe auch:
- Besprechung bei Kitty     
- "Who killed David Reimer?"
- Zürich: Habilitation untersucht rechtliche Schlechterstellung der Zwitter seit der Moderne
- Zwitter: Akzeptieren statt zwangsoperieren! – Oliver Tolmein (2002)

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