Die Mediziner

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Saturday, December 20 2008

Schattenbericht: Bundesregierung leugnet Menschenrechtsverletzungen an Zwittern

Im CEDAW-Schattenbericht von Intersexuelle Menschen e.V. war auch ein detaillierter Fragenkatalog an die Bundesregierung enthalten. Diese Fragen (und die in den übrigen eingereichten Schattenberichten, hauptsächlich der Allianz von Frauenorganisationen) waren die Grundlage für einen vom CEDAW-Komittee erstellten, ausführlichen Fragenkatalog an die Bundesregierung. Mit Datum vom 21.11.2008 gingen nunmehr die Antworten der Bundesregierung ein. Betreffend der gravierenden Menschenrechtsverletzungen an Zwittern (Frage 24) hatte die Bundesregierung gerade mal einen einzigen Satz übrig: 

"Die Frage des Komittees kann nicht beantwortet werden, da die Bundesregierung zur Zeit über keine relevanten Informationen verfügt." ("The Committee’s question cannot be answered, since the Federal Government does not currently have any relevant information.")

Damit macht sich die Bundesregierung einmal mehr zur Mittäterin bei den genitalen Zwangsoperationen und sonstigen nicht-eingewilligten Zwangsbehandlungen an Zwittern. Und dies obendrein einmal mehr mit einer dreisten Lüge: mit der "Hamburger Studie" von 2007 und der "Lübecker Studie" von 2008 liegen der Bundesregierung sehr wohl "relevante Informationen" vor.

Leider hatte schon das CEDAW-Komittee (Übersichtsseite 43. Session) seine Hausaufgaben nur mangelhaft gemacht, sprich die konkreten Fragen der betroffenen Menschen aussen vor gelassen und durch eine doch etwas sehr allgemeine Frage ersetzt. Vom Institut für Menschenrechte (Berlin) hatte es dazu seinerzeit zwar geheissen, dass dies sogar noch besser sei, denn dann könne die Bundesregierung noch weniger ausweichen. Die konkrete Frage wurde Intersexuelle Menschen e.V. jedoch nicht mitgeteilt. Als der Wortlaut zusammen mit der "Antwort" der Bundesregierung bekannt wurde (PDF-Download), sowie dass dieser schon seit August feststand (PDF-Download), war die Konsternierung gross – so allgemein und schwammig war die Frage gehalten, dass die Zwitter darin nicht einmal mehr namentlich erwähnt wurden:

"24. Bitte liefern Sie Informationen zur Situation von Frauen, deren Geschlechtsidentität aufgrund eines medizinischen Entscheids neu zugewiesen wurde." ("24. Please provide information on the situation of women who have had their gender identity reassigned upon medical decision.")

Damit arbeitete das CEDAW-Komittee der Bundesregierung sozusagen in die Hand und lieferte einen Steilpass zur offiziellen Weiterführung der Ausrottung der Zwitter als Spezies mittels der "vereindeutigenden" Zwangsoperationen an ihren "uneindeutigen" Genitalen, ungeachtet des durch die oben erwähnten Studien eben wieder einmal bestätigten, massiven Leids, das diese menschenrechtswidrigen, nicht-eingewilligten Zwangseingriffe über die Opfer bringen.

UN-Ausschuss von Schattenbericht "sichtlich bewegt", hatte hoffnungsfroh der Titel der Pressemitteilung des Vereins vom 23.7.2008 gelautet. Der UN-Ausschuss mag bewegt gewesen sein - verstanden hat er unsere Lebenssituation - wie Frage Nr. 24 beweist - nicht einmal ansatzweise. Oder, noch schlimmer: Er verstand sie sehr wohl, wollte aber der Bundesregierung wegen ein paar wildgewordenen Zwittern nicht unnötig auf die Zehen treten.

Wir wurden - so sehe ich das - wieder einmal benutzt, über den Tisch gezogen. Intersexuelle Menschen e.V. ist zur Zeit am abklären, was für Mittel offenstehen, gegen dieses unhaltbare Vorgehen jetzt noch Widerspruch einzulegen. Der CEDAW-Ausschuss soll dazu aufgefordert werden, die Frage neu zu stellen. Die Bundesregierung müsste dann noch einmal antworten. Ob sie das tun wird und ob das zeitlich (bis Genf Januar 2009) überhaupt möglich sein wird, ist zu bezweifeln.

Wir werden nun wohl mit dieser unsinnigen Frage im Rücken im Januar 2009 in Genf stehen. Umso mehr hoffe ich, wir werden unsere Enttäuschung und Wut wenigstens vor dem Ausschuss selbst deutlich zur Sprache bringen – unterstützt von einer kraftvollen Demo auf der Place des Nations, die unmissverständlich zeigt, dass wir Zwitter die an uns unter Mittäterschaft der Bundesregierung begangenen medizinischen Verbrechen nicht mehr länger tatenlos hinnehmen.

Siehe auch:
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Die Bundesregierung vs. Zwitter
- Streicheleinheiten für die Bundesregierung

Monday, December 8 2008

"Who killed David Reimer?" - Wie Judith Butler und Friedemann Pfäfflin die medizinischen Verbrechen des John Money beschönigen und Moneys Schuld stattdessen Milton Diamond und John Colapinto in die Schuhe schieben wollen

Nachtrag 2012/2013: Heinz-Jürgen Voß (Blog) ist einer der leider raren Geschlechterforscher, bei dem die inhaltliche Kritik an der vereinnahmenden Ausblendung der Menschenrechtsverletzungen an Zwittern offensichtlich nicht nur zum einen Ohr rein und zum andern flugs wieder raus ging, sondern der die Argumente und Quellen auch zur Kenntnis nahm, und der seither immer mal wieder beweist, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat und die Anliegen der Überlebenden von kosmetischen Genitaloperationen ernst nimmt. Dafür im Namen dieses Blogs ein ganz herzliches Danke!
>>>
Heinz-Jürgen Voß: "Intersexualität - Intersex. Eine Intervention" (2012)
>>>
Heinz-Jürgen Voß: "Intersex: aktuelle Debatten und Entwicklungen in der BRD" (2013)

>>> Nachtrag 1 & 2 (siehe unten)

("Wer tötete David Reimer?")

Über David Reimers (22.08.1965–04.05.2004) tragische Geschichte muss ich hier wohl nicht ins Detail gehen (ansonsten siehe z.B. Süddeutsche / Wiki / Cicero / FAZ).

Obwohl David Reimer nicht "intersexuell" war, ist die Widerlegung von John Moneys Lügen über sein angeblich "erfolgreiches Zwillingsexperiment" an David und seinem Bruder Brian durch Milton Diamond ab 1995 und John Colapinto ab 1997 eines der entscheidenden Ereignisse (wenn nicht das entscheidende Ereignis), welches dem Kampf der sich organisierenden Zwitter gegen genitale Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und sonstige nicht eingewilligte "medizinische" Zwangs-"Behandlungen" in verstärktem Masse Auftrieb, Öffentlichkeit und Durchschlagskraft bescherte.

Wenig überraschend, dass von Seiten der "Church of Sexology" und der (ihr meist angegliederten) "Gender/Queer/Trans*-EnthusiastInnen" verstärkt daran gearbeitet wird, David Reimer, Milton Diamond und John Colapinto zu diskreditieren, um im Gegenzug John Money und seine speziell für Zwischengeschlechtliche so verhängnisvollen Gender-Thesen zu rehabilitieren.

Eine der beliebtesten Vorgehensweisen dazu ist, John Money aus der Schusslinie zu nehmen – und stattdessen Diamond und Colapinto die Schuld an David Reimers Selbstmord in die Schuhe zu schieben.

So z.B. aktuell Heinz-Jürgen Voß ("Dipl.-Biologin" und Queer-Aktivist) in seiner (ansonsten über weite Strecken lesenswerten!) Besprechung des (leider – ausgerechnet! – mit Ausnahme der Selbsthilfe-Kontaktadressen) empfehlenswerten neuen Buchs von Michael Gröneberg und Kathrin Zehnder (Hrsg.): "Intersex". Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes? Erfahrungen und Analysen (in Querelles-Net. Rezensionszeitschrift für Frauen und Geschlechterforschung). Mangels Belegstellen operiert Voß dabei u.a. mit der rhetorischen Wendung "besser wäre es indes":

[...] Bei dem oft betrachteten ‚Fall‘ John/Joan (bzw. Bruce/Brenda) und der Diskussion seines Selbstmordes ist es relevant – und dies findet sich nicht bei Richter-Appelt (S. 57) –, dass der Selbstmord im Jahr 2001 geschah, ein Jahr nach dem Erscheinen von J. Colapintos Buch, in dem dieser ‚Fall‘ beschrieben wurde und der volle, nicht anonymisierte Name John/Joans auftauchte. Ob das auch ein Auslöser für den Selbstmord war, ist nicht publiziert – besser wäre es indes, John/Joan aus der Position eines ‚Belegs‘ widerstrebender medizinischer Theorien zu entlassen, wegen derer er schon fortwährend zeitlebens befragt wurde (vgl. J. Butler in: Das Argument, 2002, Heft 242).

Bezeichnend auch, dass Voß erst einmal das Sterbedatum von David Reimer um 3 Jahre vorverlegt, um seine "These" besser "beweisen" zu können. Zudem sind die unmittelbaren Auslöser von David Reimers Selbstmord alles andere als "unpubliziert" (wenn auch kaum zufällig eher selten in "Gender-Studies"-Veröffentlichungen). Nebst dem vorangegangenen Selbstmord seines Zwilligsbruders heisst's dazu z.B. auf S. 3 im oben verlinkten Nachruf in der "Süddeutschen":

David Reimer heiratete schließlich eine Frau mit drei Kindern. Er arbeitete in einem Schlachthaus und bastelte an seinem Auto herum. Doch die Schatten des Missbrauchs in seiner Kindheit ließen ihn nicht los. Davids Frau Jane trennte sich nach zehn Jahren von ihm, er verlor seine Stelle und viel Geld bei Fehlinvestitionen.

Auch in diversen Interviews hatte Davids Mutter keinen Zweifel daran gelassen, dass es letztlich John Moneys verbrecherisches "Zwillingsexperiment" war, das David Reimers Leben kostete, wie auch das seines Bruders Brian. (Dass David Reimers Name in Colapintos Buch "auftauchte", erfolgte übrigens mit dessen ausdrücklicher Zustimmung. Zudem litt David Reimer wohl "fortwährend zeitlebens" weniger daran, "befragt" zu werden wegen "widerstrebender medizinischer Theorien" – niemand ausser Money zwang ihn zu Interviews – als vielmehr an den handfesten Folgen von Moneys menschenverachtendem "Experiment" inkl. Zwangskastration.)

Selbstredend, dass der von Voß geforderte Mantel des Schweigens über Davids Leben in erster Linie den Bestrebungen der Zwitter nach Selbstbestimmung schadet – und dafür den gewissenlosen Zwangsoperateuren und sonstigen ("Gender"-)Erben John Moneys nützt.

Kaum zufällig wird der "Colapinto/Diamond sind schuld"-Mythos auch vom früheren Money-Mitarbeiter Prof. Dr. Friedemann Pfäfflin regelmässig als "Tatsache" kolportiert, so z.B. in seinem angeblich objektiven "Gutachten" zu Sabrina Schwanczars Prozess (vgl. Dokumentation Zuschrift 2, worin Pfäfflin ebenfalls Diamond und Colapinto sowie die Zwitterbewegung als Sündenböcke aufbaut, um gleichzeitig seinen Kollegen Money zu entlasten – obendrein mit der "interessanten" rhetorischen Konstruktion, die Diskreditierung als "harmlose Frage" zu tarnen, die dann ruhig "unbeantwortet bleiben [kann]" nach dem Motto "Etwas bleibt immer hängen" – und wie auch Voß ebenfalls mit einem diskreditierenden Seitenhieb gegen die wegen ihrem Eintreten gegen Zwangsoperationen von vielen Zwittern geschätzte Hertha Richter-Appelt):

Diamond nahm 1995 mit dem inzwischen 30 Jahre alten Patienten Kontakt auf, der bis zur Pubertät als Mädchen aufgewachsen war, später aber doch als Mann leben wollte und lebte, ohne dass seine weitere Umwelt von seiner Vorgeschichte wusste, publizierte den Fall und vermittelte den Kontakt zu einem Journalisten, der den Kasus zu einer Monographie verarbeitete [...], aus der Anonymität riss und zum Paradefall einer Falschbehandlung stilisierte, an die sich die Bewegung der Intersexuellen eng anschloss (vgl. Interview mit Milton Diamond, geführt von Hertha Richter-Appelt am 31.1.2008 in Hamburg anlässlich des 2. Interdisziplinären Forums für Intersexualität, Zeitschrift für Sexualforschung, im Druck).

Dass sich der Patient schließlich als Reaktion auf den öffentlichen Wirbel, der um ihn gemacht wurde, suizidierte, wirft die Frage auf, welcher Teil seiner Behandlung, die ursprüngliche oder die spätere Behandlung durch die Medien ihm wohl mehr geschadet hat, doch kann diese Frage hier unbeantwortet bleiben.

Nachtrag 1: Wie Milton Diamond in dem paradoxerweise von Pfäfflin erwähnten Interview mit Hertha Richter Appelt erzählt (Zeitschrift für Sexualforschung 2008; 21; 369 – 376), wollte David Reimer "Money damals [1997] verklagen, aber sein Fall war in den USA bereits verjährt." (S. 174)

Ebenfalls kaum zufällig beruft sich Voss auf ein Vortrags-Transkript von Judith Butler, auf Deutsch in "Das Argument" erschienen als "Jemandem gerecht werden. Geschlechtsangleichung und Allegorien der Transsexualität". Voss' und Pfäfflins These, in Wahrheit seien Diamond und Colapinto schuld an David Reimers Tod und nicht John Money, findet sich dort so zwar nirgends.

Was sich hingegen auch in Judith Butlers Vortrag findet, sind Andeutungen, John Money sei besser als sein (mittlerweile verdient miserabler) Ruf, sowie übelste Verleumdungen, wonach u.a. ausgerechnet Milton Diamond Zwangsoperationen an Zwittern propagieren würde – letztere werden in "feministischen" Publikationen bei Bedarf nach wie vor munter weiter kolportiert (z.B. in Gabriele Dietzes ansonsten sehr lesenswertem Aufsatz "Schnittpunkte. Gender Studies und Hermaphroditismus", in: Dietze / Hark (Hrsg.): "Gender Kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie.", S. 46-68).

Judith Butler verdankt Money und seiner "Gender-Theorie" viel – mehr als sie ihm Credit gibt, nämlich offiziell wohlweislich überhaupt keinen, so dass heutzutage die meisten "Gender-Studies-AnhängerInnen" meinen, Butler habe "Gender" erfunden. Auch mit "Moneys Institut" (wie sie es nennt), der Johns Hopkins Uni in Baltimore, ist sie verbunden durch eine Professur kurz nach ihrem ersten Buch "Gender Trouble". In ihrem Vortrag vom 8. Mai 2001 an der FU Berlin verteidigte sie sowohl Money persönlich wie auch "Moneys Institut" – ebenfalls mittels einer rhetorischen "aber lassen wir es dabei bewenden"-Figur:

Als der Fall vor Kurzem in die Presse kam, kritisierten PsychiaterInnen und praktische ÄrztInnen das Auftreten von Moneys Institut. Sie beanstandeten vor allem Joans Indienstnahme als Beleg für Auffassungen von einer Neutralität der Geschlechtsidentität in der frühen Kindheit, einer Formbarkeit der Geschlechtsidentität und einer vorrangigen Rolle der Sozialisation bei der Herstellung der Geschlechtsidentität. Genau genommen ist das nicht alles, woran Money glaubt, aber lassen wir es dabei bewenden.

Dass Butler zudem Diamond durchgehend als angeblichen Propagandist von Zwangseingriffen "denunziert", ist für mit der Materie Vertraute zwar nur noch lächerlich, hat aber System. Und ist zudem ebenfalls im Vortag von Butler kaum zufällig noch nicht mal seriös belegt, sondern lediglich mit einem einzelnen Zeitungsartikel, der zudem mutwillig "als Knabe erziehen" mit "zu einem Knaben zwangsoperieren" "verwechselt", sowie mit einem Kapitel aus "Sexing the Body" von Fausto-Sterling, in welchem Diamond gar nicht erwähnt wird – auch wenn Fausto-Sterling wohl mit Butler (und auch Voss) gemeinsam hat, dass ihnen "Gender-Fragen" und (ihre eigene) "Gender-Identität" wichtiger sind als ein raschestmögliches Ende der menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen an Zwittern ...

Auch wenn Milton Diamond als menschliches Wesen keineswegs unfehlbar ist, eine solch ungeheuerliche Behauptung wie diejenige Butlers, Diamond propagiere Zwangseingriffe an Zwittern, war im Jahre 2001, als Butler in Berlin ihren Vortrag hielt, klar nicht mehr mit Unwissenheit oder einem ehrlichen Versehen zu entschuldigen zu zahlreich sind gegenteilige Quellen.

Tatsache ist, dass Milton Diamond wohl derjenige Sexologe ist, der sich zumindest seit 1997 bis heute weltweit unermüdlich am nachhaltigsten gegen Zwangsoperationen und sonstige uneingewilligte Zwangs-"Behandlungen" an Zwittern einsetzt (zweifellos mehr als Voss, Butler und Fausto-Sterling zusammen – von Money und Pfäfflin ganz zu schweigen), wofür ihm weltweit praktisch alle Zwitter zutiefst dankbar sind (vgl. z.B. ISNA oder Intersexuelle Menschen e.V.)

Butler verbreitet selbstredend ihrerseits genau dieselbe Tasachenverdrehung auch über Cheryl Chase/ISNA:

[...] Diamond habe den Fall benutzt, um daraus eine Begründung für die operative Behandlung von Intersexen abzuleiten [...] Auf Angiers Frage, ob sie Diamonds Empfehlungen zur operativen Behandlung von Intersexen zustimme, antwortet Chase: ‘Die können sich nicht vorstellen, jemanden einfach in Ruhe zu lassen.’ 

Ebenso wird auch Colapinto von Zwittern in aller Welt für seine Verdienste hoch geschätzt und sein Buch auf praktisch allen einschlägigen Pages empfohlen (z.B. eins / zwei >> recommended resources / drei / vier).

Heinz-Jürgen Voß produziert hingegen trotz allem ev. guten Willen Texte wie z.B. "Geschlecht: Gender is Sex" (Rosa. Zeitschrift für Geschlechterforschung 36, Februar 08, S. 35-37 (Editorial & PDF-Download Inhaltsverzeichnis) --> Online-Volltext der ursprünglichen Version in neuroticker 13, September 2007), quasi eine etwas ausführlichere Blaupause für die Instrumentalisierung von Zwittern durch Transgender als "mehr-geschlechter.de" (vgl. >>> 6. Transgender), aber nach dem selben Motto:

Erstmal sichere ich mir die Aufmerksamkeit des Publikums durch Hinweis auf die krassen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern, um danach sogleich umzuschwenken auf den "Geschlechterzwang, dem wir alle unterworfen sind" und sodann exklusiv auf meine eigenen Transgender-Queer-Partikularinteressen (Abschaffung des Geschlechtereintrags via 3. Geschlecht) –  wenn ich dann später mal nach Belieben mein legales Geschlecht ändern oder weglassen kann und der "konstruierte Geschlechterzwang" so "beseitigt" ist, ist den Zwittern ja ev. auch geholfen – wo die Zwitter bis dahin (und auch danach) abbleiben, ist mir sch...egal ...

Ein Motto, das wohl auch Butler & Co. jederzeit unterschreiben – und nicht nur sie: Viele Zwangsoperateure rechtfertigen ihre Verbrechen bekanntlich ebenfalls auf genau dieselbe Tour: Solange "die Gesellschaft" die Geschlechter nicht abschafft, gehen uns die Menschenrechte der Zwitter am A... vorbei ...

Nachtrag 2: Siehe auch Diskussion im Vereinsforum!

Nachtrag 2012/2013: Heinz-Jürgen Voß (Blog) ist einer der leider raren Geschlechterforscher, bei dem die inhaltliche Kritik an der vereinnahmenden Ausblendung der Menschenrechtsverletzungen an Zwittern offensichtlich nicht nur zum einen Ohr rein und zum andern flugs wieder raus ging, sondern der die Argumente und Quellen auch zur Kenntnis nahm, und der seither immer mal wieder beweist, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat und die Anliegen der Überlebenden von kosmetischen Genitaloperationen ernst nimmt. Dafür im Namen dieses Blogs ein ganz herzliches Danke!
>>>
Heinz-Jürgen Voß: "Intersexualität - Intersex. Eine Intervention" (2012)
>>>
Heinz-Jürgen Voß: "Intersex: aktuelle Debatten und Entwicklungen in der BRD" (2013)

Siehe auch:
- Genitalverstümmelung & Gendertheorie: Hirschfeld-Money-Butler
- Instrumentalisierung von Zwittern: Kritik aus 2002
- Heinz-Jürgen Voß in "Liminalis" 3 (2009) – Zwitter-Vereinnahmung wie gehabt ... 
- Warum Zwitterforderungen, worin zu oberst nicht die schnellstmögliche Beendigung der Zwangsoperationen steht, keine Zwitterforderungen sind, sondern Vereinnahmung
- Vereinnahmung von Zwittern: Das Transgender-Netzwerk Berlin TGNB macht's vor ...
- QueerGrün missbrauchen Zwittersymbol für TSG-Kampagne
- "Intersexualität" = sexuelle Orientierung?!     
- Die Rede von der "psychischen Intersexualität"   

Thursday, December 4 2008

Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!

INHALT

1. Mittäterschaft der Bundesregierung an den Zwangsoperationen
2. "Hamburger Studie" 2007: Behandlungszufriedenheit, Selbstmordrate, Sexualität
3. "Lübecker Studie" 2008
   a) Überblick und Download
   b) Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität bei Jugendlichen und Eltern
   c) Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität bei Erwachsenen
   d) Partnerschaft und Sexualität
   e) Einige kritische Anmerkungen zur Vorabveröffentlichung
4. Zwischengeschlecht.org fordert Gerechtigkeit!
5. Literatur und Quellen


1. Mittäterschaft der Bundesregierung an Zwangsoperationen

Bis heute werden Menschen, die mit "uneindeutigen" Geschlechtsmerkmalen geboren werden, ohne ihre Einwilligung zwangskastriert, an ihren "uneindeutigen" Genitalien zwangsoperiert und Zwangshormontherapien unterzogen, um ihr "uneindeutiges" Geschlecht zu "vereinheitlichen". Allein in Deutschland leben schätzungsweise 80’000 bis 100’000 sogenannte Zwischengeschlechtliche, "Intersexuelle", Zwitter oder Hermaphroditen  Juristisch, politisch und sozial werden sie nach wie vor unsichtbar gemacht und ihrer (Menschen-)Rechte beraubt.

Bis heute schaut die Bundesregierung weg und negiert diese systematischen Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen, obwohl sie in den letzten zwölf Jahren mehrmals dazu aufgefordert wurde, zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen Implikationen Stellung zu nehmen. (Nachtrag:  Auch auf die Fragen der CEDAW-Kommission behauptete die Bundesregierung mit Datum vom 21.11.08 einmal mehr unverfroren: "Wir haben keine relevanten Erkenntnisse dazu.")

Stattdessen propagiert die Bundesregierung die Zwangseingriffe aktiv mit tatsachenwidrigen Behauptungen: 

  • Der Bundesregierung sei nicht bekannt, „dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert“ (14/5627).

  • Die Zwangsoperationen seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten deshalb dem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627).

  • "[G]rößer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden laut Bundesregierung gar beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig befinden" – allerdings vermochte die Bundesregierung dafür keine Belege anzuführen (16/4786).

Siehe dazu auch:
- Die Bundesregierung vs. Zwitter
- Faule Eier für "die Bundesregierung"!
- Zwangsoperationen an Zwittern: Wer nicht hören will ...

Aktuelle, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Studien des "Netzwerk Intersexualität/DSD" beweisen gegenüber den Behauptungen der Bundesregierung einmal mehr das Gegenteil:

  • Die meisten Opfer der menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ihr Leben lang leiden.

  • Nicht zwangsoperierte Zwitter haben im Vergleich eine deutlich höhere Lebensqualität.

  • Trotzdem werden nach wie vor über 80% aller Zwitter meist mehrfach zwangsoperiert.

Zwischengeschlecht.org fordert deshalb einmal mehr die sofortige Beendigung der von der Bundesregierung geduldeten, menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen und Gerechtigkeit für die Geschädigten!


2. "Hamburger Studie" 2007

Die vom BMBF finanzierte "Hamburger Studie" bestätigte die von betroffenen Menschen seit Jahren immer wieder betonten, von der Bundesregierung aber bisher ignorierten Missstände in der "Behandlung" intersexueller Menschen:

"Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertet geschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehr zufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufrieden und das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T. unzufrieden."
(Christian Schäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern")

Zwangsoperierte Zwitter haben eine höhere Selbstmordrate als nicht-traumatisierte Nicht-Zwitter, vergleichbar mit traumatisierten Frauen nach körperlicher Misshandlung oder Kindesmissbrauch.
(Schützmann K, Brinkmann L, Richter-Appelt H. "Psychological distress, suicidal tendencies, and self-harming behaviour in adult persons with different forms of intersexuality" (2009) Arch Sex Behav. 2009 Feb;38(1):16-33
>>> Abstract via pubmed.gov)

"50 Prozent der [überlebenden zwangsoperierten] Personen haben Suizidgedanken geäußert."
(Antwort des Hamburger Senats auf Frage 21 der Grosse Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/1993, vom 13.02.2009 >>> Weitere Quellen und Links)

Genital zwangsoperierte Zwitter haben signifikant mehr Angst vor sexuellen Kontakten und mehr Angst vor Verletzungen beim Geschlechtsverkehr als "nur" zwangskastrierte.
(Vortrag von Hertha Richter-Appelt, 19.4.2009)
Kommentar: Das Auslassen von Auswertungen zur Lebensqualität zwangsoperierter Zwitter im Gegensatz zu nicht operierten ist nicht nur bei Netzwerk-Publikationen die Regel – die Medizyner freut's ...


3. "Lübecker Studie" 2008

a) Überblick und Download

Mit 439 Proband_innen ist die ebenfalls vom BMBF finanzierte "Lübecker Studie" die weltweit bisher grösste Untersuchung über die Folgen der Zwangsbehandlungen an Zwittern mit Teilnehmer_innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Am 5. Treffen des Netzwerks Intersexualität am 6. September 2008 in Kiel wurden erste Ergebnisse präsentiert. Mittlerweile ist ein Vorabbericht auch in schriftlicher Form auf der Netzwerk-Homepage veröffentlicht worden (>>> PDF-Download 232 kb).

Wie die „Hamburger Studie“ bestätigt auch die „Lübecker Studie“ die notorisch "Hohe Unzufriedenheit mit der medizinischen Behandlung" (Vortrag Kiel 6.9.2008) von Intersexuellen und unterstreicht die massiven psychischen und physischen Folgen der genitalen Zwangsoperationen und weiteren Zwangsbehandlungen.

Die "Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer" wurden unter anderem zur Behandlungszufriedenheit, gesundheitsbezogenen Lebensqualität, psychischen Gesundheit sowie Partnerschaft und Sexualität befragt.

Laut der Vorabveröffentlichung sind insgesamt „fast 81% aller Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen mindestens einmal im Zusammenhang mit ihrer besonderen Geschlechtsentwicklung operiert worden“, wobei „der Großteil der Operationen bereits bis zum Schulalter durchgeführt wurden“ (S. 16).

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)
 Präsentation zur "Lübecker Studie" im Bundestag, 2009
>>> PDF 2.3 Mb -> S. 3 "Beschreibung des Samples"

Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und auch Eltern intersexueller Kinder "gering" (S. 18).

Eltern beurteilen "die behandelnden Ärzte/Ärztinnen schlechter als Eltern von Kindern mit anderen chronischen Erkrankungen" (S. 18).


b) Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität bei Jugendlichen und Eltern

„Wie die Eltern, berichten auch die befragten Kinder und Jugendlichen selber von Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität. Im Gegensatz zu ihren Eltern sind es bei ihnen (...) vielmehr Beeinträchtigungen in den Bereichen Familie und körperliches Wohlbefinden. Besonders die Gruppe der 8 bis 12jährigen Kinder erscheint von Beeinträchtigungen der Lebensqualität betroffen zu sein." (S. 21)

Eltern von Kindern aller Alters- und Diagnosegruppen schätzen „die Lebensqualität ihrer Kinder im Bereich des psychischen Wohlbefindens deutlich niedriger ein als Eltern der Vergleichsgruppe“ (S. 21).

"Sowohl in den Einschätzungen der Eltern als auch der Kinder und Jugendlichen wird deutlich, dass die Lebensqualität insgesamt mit steigendem Alter abnimmt." (S. 21)

Eltern sind vor allem unzufrieden mit dem Diagnose- und Informationsmanagement und beklagen sich darüber, wie "schwierig"es sei, "kompetente fachärztliche Hilfe zu bekommen" (S. 19).


c) Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität bei Erwachsenen

Hier fällt das Resultat noch deutlicher aus: "Als Ergebnis zeigt sich, dass viele Erwachsene mit DSD mit der medizinischen Behandlung sehr unzufrieden sind." (S. 37)

Ein "zentrales Ergebnis" der Studie ist, dass sich insbesondere bei Intersexuellen, die operativ und hormonell dem weiblichen Geschlecht "angeglichen" wurden, "in den Bereichen allgemeine Lebensqualität, psychische und körperliche Gesundheit deutliche Unterschiede zur Vergleichsgruppe" (S. 22) finden.

Auffallend: Bei den Erwachsenen, die psychologische Beratung erhalten haben, ist die Behandlungszufriedenheit besser. (S. 19)

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist auch bei erwachsenen Intersexuellen deutlich niedriger als bei Nicht-Intersexuellen. (S. 22)

"Bei 25% aller operierten Studienteilnehmer und –innen ist es im Anschluss an die Operationen zu Komplikationen gekommen." (S. 17)

"Menschen, die mehr als drei Operationen im Zusammenhang mit der besonderen Geschlechtsentwicklung erlebt haben, haben im Bereich körperliche Schmerzen eine niedrigere Lebensqualität als Menschen mit wenigen oder gar keinen Operationen." (22)

Weiter unterstreicht die Studie "im Durchschnitt eine niedrigere Lebensqualität im Bereich des psychischen Wohlbefindens" (S. 22).

Die Studienergebnisse zeigen, "dass die psychische Gesundheit von Erwachsenen mit DSD deutlich schlechter ist": "Insgesamt sind bei 45%, also fast der Hälfte der von uns untersuchten Erwachsenen psychische Probleme vorhanden, hierbei bestehen keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen." (S. 24)

"Die emotionalen Probleme beeinträchtigen insbesondere die Arbeit und den Alltag der Erwachsenen mit einer besonderen Geschlechtsentwicklung." (S. 37)


d) Partnerschaft und Sexualität

Auch hier offenbart die Studie ein erschreckendes Bild:

"Über Dreiviertel der Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren mit DSD hat keinen festen Freund oder feste Freundin. [...] Über 75% haben bisher keine Erfahrungen mit Petting und 90% gaben an, noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Außerdem berichten Dreiviertel der Jugendlichen, sich noch nie selbst befriedigt zu haben." Bei nicht intersexuellen Jugendlichen sind die Verhältnisse gerade umgekehrt. (S. 30)

"Bei den Erwachsenen ist hervorzuheben, dass nur 40% in einer festen Partnerschaft leben. [...] Ein Viertel aller Erwachsenen gibt an, bisher noch keine Beziehung gehabt zu haben. Damit unterscheiden sich die Erwachsenen mit DSD unterscheiden deutlich von der Allgemeinbevölkerung. Dort geben 70% der über 17jährigen an, in einer festen Partnerschaft zu leben." (S. 30)

"Ein Viertel der Erwachsenen berichtet, bisher keine Erfahrungen mit Petting gemacht zu haben und sich auch noch nie selbst befriedigt zu haben. Ein Drittel hatte noch nie sexuelle Kontakte." (S. 31)

"Die von uns befragten Erwachsenen mit DSD berichten außerdem über eine Vielzahl von Problemen im Zusammenhang mit der Sexualität (z.B. sexuelle Lustlosigkeit; Schwierigkeit, sexuelle Kontakte herzustellen; Schwierigkeit erregt zu werden; Schmerzen). So leiden fast 40% an sexueller Lustlosigkeit, über 35% haben Probleme, sexuelle Kontakte herzustellen und ein Drittel der Erwachsenen mit DSD berichtet von Schwierigkeiten, sexuell erregt zu werden. 40% der Befragten geben an, Probleme zu haben, einen Orgasmus zu bekommen." (S. 31)

Zwei Drittel der befragten Erwachsenen sehen "einen Zusammenhang zwischen diesen sexuellen Problemen und ihrer besonderen Geschlechtsentwicklung und den damit einhergegangenen medizinischen und chirurgischen Maßnahmen". (S. 31)

Die Studienergebnisse bestätigen überdies, "dass die Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen bei denen plastische Operationen im Zusammenhang mit der DSD durchgeführt worden sind (33%), seltener in einer festen Partnerschaft leben als die Menschen, bei denen keine plastischen Operationen am Genitale durchgeführt worden sind (67%)."(S. 31)


e) Einige kritische Anmerkungen zur Vorabveröffentlichung

Insgesamt ist die Vorabveröffentlichung aus Betroffenensicht überwiegend positiv zu bewerten und bekräftigt (einmal mehr) die meisten Hauptkritikpunkte der Selbsthilfegruppen nicht nur in Deutschland. Trotzdem ist einmal mehr eine gewisse Nähe zum Parteistandpunkt der (Zwangs-)BehandlerInnen zu konstatieren. Generell wird abgeschwächt bzw. den Finger nicht zu sehr auf wunde Punkte gelegt (so fehlen z.B. konkrete Aussagen über Schmerzen im Genitalbereich nach "plastischen Operationen"). Es ist zu befürchten, dass diese Tendenz in späteren, "richtigen" Publikationen noch verstärkt zum Tragen kommen wird. Entgegen wiederholten Versprechen durften die Teilnehmer_innen bisher Publikationen stets nicht gegenlesen.

Im Folgenden einige konkrete Kritikpunkte an der Vorabveröffentlichung, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Die Studie scheint insbesondere vor durchgängigen, expliziten Vergleichen zu Wohlbefinden und Lebensqualität von Zwangsoperierten vs. Nicht-Operierten zurückzuschrecken. Trotzdem stellt diese "inoffizielle" Vorabveröffentlichung insofern einen Fortschritt dar, dass in "richtigen" Publikationen des "Netzwerk DSD/Intersexualität" Auswertungen zur Lebensqualität zwangsoperierter Zwitter im Vergleich zu nicht-operierten stets vollständig weggelassen wurden.

  • Zwar geht die Studie zu Beginn auf verschiedene Ansichten zu den (meist medizinischen) Bezeichnungen ein. Dass Betroffene vor allem die pathologisierende Komponente "Disorder" (= Störung) in "DSD" als verletzend erachten und vehement kritisieren, wird nicht einmal erwähnt.

  • Generell scheinen die Eltern in der Studie stärker gewichtet zu werden als die betroffenen Kinder – obwohl die Verfasserinnen in Kiel noch selbst festgehalten hatten, Eltern von Betroffenen schätzen deren Lebensqualität durchgehend besser ein als die Kinder selbst.

  • Die Studie setzt in unzulässiger Weise zwangszugewiesenes Geschlecht mit Geschlecht bzw. Geschlechtsidentität gleich.

  • Dass Proband_innen sich evtl. nicht als "Mann" oder "Frau", sondern z.B. als "Zwitter" identifizieren könnten, wird meist gar nicht erst in Betracht gezogen, in diese Richtung weisende Feststellungen werden tunlichst vermieden (die Ausnahmen "scheinen sich ihrer Geschlechtszugehörigkeit sehr unsicher zu sein" bzw. "insgesamt 11 Erwachsene (10%) [erreichen] einen ungewöhnlich hohen Wert auf der Transgenderskala" auf S. 29 bestätigen die Regel).

  • Gesundheitliche Probleme durch die ausschliesslich auf das zwangszugewiesene Geschlecht ausgerichtete Hormonersatztherapie (d.h. z.B. für CAIS-"Frauen" ausschliesslich körperfremdes Östrogen, obwohl der Körper ursprünglich Testosteron produzierte, das anschliessend in körpereigenes Östrogen umgewandelt wird) werden nicht berücksichtigt.

  • Die Jahrzehnte alte Menschenrechtsforderung nach Beendigung der nicht-eingewilligten Genitaloperationen ohne medizinischen Notwendigkeit wird weiterhin einfach überhört und gar nicht erst zur Kenntnis genommen.

Nachtrag 17.6.09: Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert


4. Zwischengeschlecht.org fordert Gerechtigkeit!

Die genitalen Zwangsoperationen und weitere nicht-eingewilligte Zwangseingriffe an Zwitterkindern sind die wohl gravierendste Menschenrechtsverletzung in den westlichen Demokratien seit dem 2. Weltkrieg.

Entgegen der Lippenbekenntnisse von Medizinern werden nach wie vor die meisten zwischengeschlechtlicher Menschen mehrfach zwangsoperiert.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Leben in Würde für alle zwischengeschlechtlichen Menschen, das sofortiges Ende der von der Bundesregierung geduldeten, menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen und eine angemessene Entschädigung für alle Opfer!

5. Literatur und Quellen:

"Hamburger Studie"
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0

Schützmann K, Brinkmann L, Richter-Appelt H. "Psychological distress, suicidal tendencies, and self-harming behaviour in adult persons with different forms of intersexuality" (2009)
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17943433

Antwort des Hamburger Senats auf Frage 21 der Grosse Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/1993, vom 13.02.2009
http://www.buergerschaft-hh.de/Parldok/tcl/PDDocView.tcl?mode=show&dokid=24867&page=0

Vorabbericht der "Lübecker Studie" (PDF)
http://www.netzwerk-is.uk-sh.de/is/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf

Präsentation der "Lübecker Studie" im Bundestag 2009 (PDF)
http://kastrationsspital.ch/public/Corpus-delicti_27-5-09.pdf

CEDAW-Schattenbericht Intersexuelle Menschen e.V.
http://intersex.schattenbericht.org

Forderungsliste Intersexuelle Menschen e.V.
https://blog.zwischengeschlecht.info/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV

Siehe auch:
- "Neuere Operationstechniken beeinträchtigten die Orgasmus-Fähigkeit stärker als ältere" - Lancet
- Offener Brief an das Kinderspital Zürich
- Schattenbericht: Bundesregierung leugnet Menschenrechtsverletzungen an Zwittern 
- Wie das "Netzwerk DSD/Intersexualität" seine Versprechen bricht - und Intersexuelle Menschen e.V. sich nicht wehrt
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert 

Oliver Tolmein über die "Lübecker Studie":
"Zwischenergebnisse für Zwitter: Ärzte müssen umdenken" (FAZ-online)
 

Katrin Ann Kunze †

Monday, December 1 2008

"Neuere Operationstechniken beeinträchtigten die Orgasmus-Fähigkeit stärker als ältere" - Lancet

Eine unlängst im Fachjournal Lancet veröffentlichte Studie bestätigt das wenig glückliche Leben der intersexuellen Frauen, denn deren Sexualität bleibt auf Dauer gestört. 39 zum Teil vielfach operierte Frauen im Alter zwischen 18 und 70 Jahren beteiligten sich an einer Befragung der Londoner Universitäts-Frauenklinik. 28 waren sexuell aktiv, davon drei mit Frauen. Elf hatten noch nie in ihrem Leben sexuelle Beziehungen. Keine der sexuellen Beziehungen verlief problemlos, sei es wegen Gefühllosigkeit in der Klitoris, Anorgasmie oder Hemmungen, sich mit dem Partner über die besondere Situation auszutauschen. Die Probleme waren bei Operierten wie Nicht-Operierten im Wesentlichen gleich häufig, mit Ausnahme der klitoralen Gefühlsstörungen. Neuere Operationstechniken beeinträchtigten die Orgasmus-Fähigkeit übrigens stärker als ältere.

http://www.aerztlichepraxis.de/aktuell/artikel/1054738984/gynaekologie/sexualitaet

(gefunden via transray)

Friday, November 14 2008

Lübeck: Doch psychologische Versorgung auch 2009?

Im 2. Teil des Berichts zur Netzwerktagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG vom Freitag 10.10.08 in Göttingen hatte ich folgendes geschrieben:

Die grösste Bombe der Abschlussrunde liess jedoch Eva Kleinemeier so nebenbei platzen: Nach Einstellung der Bundesförderung für das Netzwerk steht in Lübeck ab 2009 keine psychologische Beratung für Eltern und junge Zwischengeschlechtliche mehr zur Verfügung! (Wohlbemerkt dasselbe Netzwerk, das immer wieder behauptet, psychologische Betreuung sei im Rahmen des Netzwerks selbstverständlich und in Lübeck würden PsychologInnen "Bereits in ersten Diagnosegesprächen" beigezogen! Obwohl -- neben Peer Support -- psychologische Betreuung nebst von EthikerInnen auch von sämtlichen Selbsthilfegruppen seit Jahrzehnten als unabdingbar gefordert werden -- eine zentrale Forderung z.B. auch der bestimmt nicht als ärztefeindlich einzustufenden AGS-Eltern- und Patientenitiative seit 1992! Weiterer Kommentar wohl überflüssig ...)

Dazu erreichte mich inzwischen folgendes Statement von Eva Kleinemeier. Darin führt sie u.a. aus:

Momentan wird die psychologische Versorgung von zwei Netzwerkmitarbeiterinnen (meine Kollegin und ich) gewährleistet. Wir beiden haben keine Planstellen, sondern werden über die Klinische Studie im Netzwerk finanziert. Neben unseren Forschungsaufgaben (für die wir v.a. im Rahmen des Netzwerks finanziert werden, betreuen wir seit vielen Jahren auch Menschen, die in die DSD-Sprechstunde kommen. Unsere Stellen laufen Mitte 2009 (das hatte ich auch erwähnt) aus. Das heißt, momentan ist nicht gesichert, wer und wie die psychologische Versorgung aussehen wird, da es dafür momentan keine Gelder gibt. Auch das Netzwerk (in dem viele unterschiedliche Menschen Mitglied sind) wird dann kein Geld mehr dafür haben. Nichtsdestotrotz sind wir dabei Ideen zu entwickeln, wie wir die psychologische Versorgung hier fest etablieren können, auch ohne Fördergelder aus dem Netzwerk. In Lübeck gibt es eine kinder-und jugendpsychosomat. Abteilung, deren MitarbeiterInnen diese Aufgaben dann mit übernehmen würden! Die momentan Verantwortlichen im Netzwerk bemühen sich  in Lübeck, eine weitere gute psychologische Betreuung zu gewährleisten und werden an vielen (v.a. finanziellen) Schranken aufgehalten.

Grundsätzlich ist dies nicht allein die Schuld des Netzwerks, sondern des Gesundheitssystems insgesamt, da psychologischer Versorgung immer eine geringere Bedeutung zugemessen als medizinischer wird und Kliniken/Krankenkassen in diesem Bereich als erstes sparen! Das finde ich sehr problematisch und kann Ihnen nur zustimmen. Mir geht es v.a. darum darauf aufmerksam zu machen, dass alle Seiten in dem Bereich sich für den Erhalt und v.a. den Aufbau (in den meisten Einrichtungen gibt es das nämlich gar nicht) von psychologischer Betreuung bei DSD einsetzen müssen. Meines Erachtens müsste es auch fachliche Schulungen für psychologische, pflegerische und medizinische MitarbeiterInnen geben (auch daran arbeiten wir gerade).

Mein Kommentar: Ich glaube, ich spreche nicht nur für mich, wenn ich sage, dass ich mich sehr freue, dass z.Zt. in Lübeck Anstrengungen unternommen werden, die psychologische Versorgung allen Widrigkeiten zum Trotz auch künftig zu gewährleisten! Umso mehr, wenn daraus endlich eine ordentliche, feste Institution würde! Es war nicht meine Absicht, diesen Goodwill nicht zu würdigen oder herunterzumachen. Trotzdem bleiben für mich persönlich eine Menge Fragen, z.B.:
  • Wenn dem Netzwerk im Allgemeinen und Lübeck im Besonderen die von den betroffenen Menschen seit langem geforderte selbstverständliche & flächendeckende psychologische Versorgung ebenso wichtig ist, warum wird sie dann nicht offensiver gefordert?
  • Zu einer ordnungsgemässen psychologischen Versorgung gehörten m.E. selbstverständlich Planstellen in allen Kliniken / Kompetenzzentren. "Kreative Lösungen" wie z.B. das "Zweckentfremden" von Forschungsstellen zur psychologischen Betreuung sind bestimmt eine bessere Notlösung als gar keine Betreuung (was ich auch entsprechend hoch anrechnen möchte), zeigen aber letzlich bloss einmal mehr, wie prekär die Situation auch nach X Jahren Netzwerk nach wie vor ist, ohne dass ich diesbezüglich vom Netzwerk gross die Forderung vernehme, hier müsse sich endlich prinzipiell was ändern?! Oder habe ich etwas verpasst? Stattdessen wird meines Wissens nach wie verlinkt vollmundig behauptet, die psychologische Versorgung sei z.B. in Lübeck schon gewährleistet, und zwar auf eine Art und Weise, dass mensch annehmen muss, es handle sich dabei um eine reguläre und planmässige Versorgung.
  • Am diesjährigen Netzwerktreffen monierte z.B. die Vertreterin der AGS-Selbsthilfe wohl nicht zum ersten Mal, psychologische Betreuung sei "nach wie vor die Ausnahme und nicht die Regel". Gibt von Seiten des Netzwerks nur schon z.B. eine Übersicht, wo überhaupt reguläre psychologische Beratung angeboten wird (d.h. ordentliche Feststellen)? Und wo dies nicht der Fall ist, was für Bestrebungen im Gang sind, dies zu ändern?
Hervorheben möchte ich auch den von Eva Kleinemeier angesprochenen Punkt der mangelnden (bzw. wohl ziemlich nichtexistenten) Schulung. Aufnahme von "Intersexualität" in die Lehrpläne der angesprochenen Ausbildungen ist bekanntlich auch ein zentraler Punkt im Forderungskatalog von Intersexuelle Menschen e.V. Natürlich werden an sowas nicht alle klinisch Beteiligten bloss ihre Freude haben. M.E. erschöpft sich das Interesse der Mediziner-Zunft an Psychologie allzuoft schnell einmal darin, möglichst rasch eine "Geschlechtsidentität" prognostiziert zu bekommen, um dann so "genderoptimiert" und psychologisch abgesegnet möglichst unbehelligt weiter zwangsoperieren zu können. 

Reguläre, adäquate und funktionierende psychologische Versorgung (wie auch Peer Support!) sowohl für betroffene Menschen wie auch für betroffene Eltern sind  Grundvoraussetzungen, um die unsäglichen und menschenrechtswidrigen genitalen Zwangsoperationen endlich zu überwinden, sprich Zwittern endlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit rsp. auf informierte Einwilligung zuzugestehen! Nicht umsonst ist Gewährleistung von psychologischer Versorgung (ebenso wie Peer Support!) auch im Forderungskatalog von Intersexuelle Menschen e.V. ebenfalls eine zentrale Forderung. Wann wird sie endlich erfüllt?

Wednesday, October 22 2008

Teil 2: Tagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG

Während der 1. Teil der Tagung vom Donnerstag um Fragen zur Ethik von medizinischen Behandlungen ging, die nichts direkt mit "Intersexualität" zu tun haben, aber vielfach ähnliche Fragen aufwerfen und interessante übergreifende Zusammenhänge aufzeigten, ging es am Freitag 10.10.08 in Göttingen spezifisch um die 'Behandlung' "Intersexueller". Ein Fazit zur gesamten Veranstaltung findet sich an Schluss dieses 2. Teils, ebenso wichtiges zur Zukunft der psychologischen Betreuung in Lübeck.

1. Referat
Petra Zackheim
Technion-Israel Institute of Technology, Israel
"Eine Bombe werfen: Dilemmas in einer Intersex-Situation"
Den martialischen Titel begründete die Vortragende damit, dass Eltern, wenn bei Kindern "Intersexualität" diagnostiziert wird, "unter Feuer" stünden, sowie mit der ethischen Sprengkraft des "Dilemmas". Im Zentrum des Vortrags stand ein erschütternder Fallbericht (Publikation in Vorbereitung) über die psychotherapeutische Behandlung (und Erforschung, muss wohl hinzugefügt werden) eines Zwillingspaars arabischer Herkunft mit der Diagnose 17-Beta-HSD-Mangel. Wie es sich "gehört", wurden beide zwangskastriert, Pardon, "orchidektomiert", und zwar im Alter von 4 Jahren, das eine Kind jedoch nur einseitig. Dieses vermännlichte im Zeitraum von 9 1/2 bis 10 Jahren und lebt seither als Knabe, während das andere Kind ein "Mädchen" blieb. Erst darauf begann die Behandlung im medizinischen Zentrum Rambam, wo auch die Vortragende arbeitet. Wie ich es verstand, versucht sie schwerpunktmässig in Interviews herauszufinden, wie sich die "Identität" der Zwillinge unterscheidet. Von der Umgebung sei der "Geschlechtswechsel" des Knaben gut aufgenommen worden. Er selbst habe die neue Rolle akzeptiert, auch wenn er es nicht möge, zu kämpfen, aber er tue es, weil er müsse ("Jungs kämpfen, Mädchen beklagen sich"). Sein Traumberuf sei Modedesigner. Dem Mädchen gehe es vergleichsweise schlechter, was auch damit zusammenhänge, dass in ihrer Kultur eine unfruchtbare Frau es schwer habe. Laut eigener Aussage fühle sie sich "60% weiblich und 40% männlich", wäre aber gern "100% weiblich", da ihr der Weg ihres Bruders nicht mehr offen steht. Sie sage heute noch, die Ärzte hätten ihr als Kind "den Uterus herausgenommen". Ein Argument der Vortragenden gegen chirurgische Zuweisungen war, dass auch bei "normalen" Jungen und Mächen der Prozess der Bewusstwerdung des eigenenen Geschlechts und der damit verbundenen Indentitätsfragen und des Verhaltens ein jahrelanger Prozess sei, dessen Ausgang bei "Intersexuellen" erst recht nicht in den ersten 2 jahren prognostiziert werden könne. Leider bestand ein Grossteil des Referat aus einer Abhandlung über die biologischen Aspekte von "Intersexualität" von gonadalem bis "Gehirn"-Geschlecht (in Anführungszeichen schon bei der Votrtragenden) usw., den wohl die meisten Anwesenden schon mehrfach gehört hatten, weshalb die in der Zusammenfassung angekündigten ethischen Fragestellungen definitiv zu kurz kamen (oder gleich aussen vor gelassen wurden). Zwar lesen sich diese auch in der hiesigen Situation über weite Strecken utopisch, was sie aber nicht weniger interessant macht:

- Wie können wir de Eltern mit angemessener psychologischer Beratung bei der Entscheidungsfindung helfen?
- Wie unterrichten wir Eltern über das da Recht ihrer Kinder "zu wissen"?
- Wie helfen wir den Kindern zu entscheiden? Wieviel zeit braucht es für psychologisch ausgereifte Entscheidungen?
- Wie gerichtet sollen Informationen, Beratung und psychologische Erziehung vermittelt werden?
- Wie kann die Evaluation betreffend Gerichtsverfahren in den psychosozialen Behandlungsplan integriert werden?
- Wie sollen Differenzen in Behandlungsansätzen, speziell im Bezug auf ethische Fragen, gehandhabt werden?

Speziell dünkte mich befremdend, dass die Vortragende von vornherein unterstellte, die Mediziner hätten dem einen Zwillingskind absichtlich lediglich einen Hoden entfernt, und über die Motivation dazu mutmasste, weshalb ich in der Diskussion u.a. darauf hinwies, dass nicht vollständige Entfernung von Leistenhoden auch in Europa öfters zu konstatieren sei, obwohl die Mediziner jedesmal eine vollständige Enfernung angestrebt hätten, und dass auch das mit der immer wieder beschworenen "Krebsgefahr" letzlich bloss eine Ausrede sei, um hormonell "reinen Tisch" zu machen und dann nach eigenem Gutdünken zuweisen zu können, was sich auch daran zeige, dass keine seriösen Untersuchungen zur wirklichen Krebsgefahr vorliegen und auch gar nicht angestrebt werden. Der anwesende Kinderchirurg Maximilian Stehr (siehe auch 1. Teil) führte dazu aus, bei nicht abgestiegenen Hoden sei die Krebsgefahr "10-20 mal höher", was aber in Prozentzahlen immer noch sehr gering sei. Trotzdem empfehle er die prophylaktische Entnahme, da eine verlässliche Vorsorgeuntersuchungen nur mittels Magnetresonanztomographie (MRT) zu machen seien (Ultraschall sei zu wenig sicher), was zu aufwändig sei.

Da frag ich mich doch hier persönlich einfach einmal mehr (siehe Stichwort "Jungenbeschneidung" im 1. Teil), ob irgendjemand auch bei "normalen" Männern und Frauen sowas sagen würde, und weshalb bei solchen Praktiken an Zwittern nach wie vor nicht sogleich ein empörter Aufschrei durch die EthikerInnen-Gemeinde geht, sekundiert von Menschenrechtsorganisationen, Gleichstellungsinstitutionen usw. ...

2. Referat
Maria Luisa Di Pietro / Andrea Virdis
"Klinische und bioethische Aspekte bei Geschlechtszuweisungen von Kindern mit nicht-eindeutigen Genitalen"
Leider benötigte der Referent (die erstgenannte Autorin war nicht angereist) den Löwenanteil seiner Redezeit, um (sichtlich fasziniert) erneut im Detail die Feinheiten von gonadalem bis Gehirngeschlecht abzuhandeln (diesmal ohne Anführungsstriche), gefolgt von den Unterschieden zwischen "pseudo" und "echten" Hermaphroditen sowie der Lebensgeschichte von David Reimer (dass auch dessen Bruder sich umbrachte, liess er hingegen aus). Sprich für Ethik blieb erst recht kaum mehr Raum. Immerhin forderte der Referent abschliessend:

- Einbezug der Patienten
- Psychologische Begleitung
- Informierte Einwilligung für chirurgische Eingriffe und Hormonbehandlungen

Und konstatierte dazu lapidar, dass Ethiker jeweils nur Empfehlungen machen können, falls sie überhaupt gefragt werden; in der Regel finde kaum ein klinischer Bezug oder Kontakt statt, dass Ärzte sich jemals nach ethischen Implikationen z.B. bei Zwangsoperationen erkundigen, sei die absolute Ausnahme (ein Beispiel, von dem er erzählte, fand unter den anwesenden Fachpersonen dann auch entsprechende Beachtung). Zudem führe das Thema "Intersexualität" auch im medizinethischen Diskurs eine krasse Randexistenz, im Fachbuch für Medizinethik bekomme es grad mal 2 Seiten. (Wäre noch hinzuzufügen, dass auch in Deutschland ethische Aspekte in der Mediziner-Ausbildung sowieso nach wie vor systematisch ausgeblendet werden.)

In der Diskussion räumte M. Stehr ein, die modernen OP-Techniken zur Klitorisreduktion würden darauf abzielen, das Empfinden zu erhalten, genaueres wisse man aber erst "in 10-20 Jahren" (das übliche Argument, doch m.E. immerhin schon mal ehrlicher, als die auch schon z.B. am diesjährigen Netzwerktreffen vernommene Behauptung, die Empfindlichkeit bleibe zu 100% erhalten, das sei einfach so). (Leider kannte ich zu diesem Zeitpunkt das Fachbuch "Ethics and Intersex", Ed. Sharon Sytsma, noch nicht, das auch in der im Eingang ausgelegten Fachliteratur aus der Universitatsbibliothek der co-veranstaltenden Abteilung für Medizinethik und Geschichte der Medizin fehlte. Darin werden die aktuellen Untersuchungen zum Thema diskutiert -- mit dem Ergebnis, dass auch die neueren OP-Methoden das sexuelle Empfinden klar beinträchtigen, vgl. S. xxiv -- nachzulesen hier -- und S. 208-210 im Beitrag "Adult Outcomes of Feminizing Surgery" von Sarah Creighton. --> Vielsagende Besprechung des Buches durch eine Juristin in der CH-Ärztezeitung, ab S. 2.)

Eva Kleinemeier vom Netzwerk (Lübeck) hielt im weiteren Verlauf der Diskussion erfreulicherweise fest, die bei ihnen betreuten Fälle von nicht operierten Mädchen mit AGS würden belegen, dass es für Kinder durchaus möglich sei, mit uneindeutigem Genitale zu leben. (Eine Erkenntnis, die auch von Eltern in den Medien wiederholt berichtet wurde eins / zwei -- bloss die Zwangsoperateure stellen sich nach wie vor taub.)

3. Referat
Claudia Wiesemann
Universität Göttingen
"Ethische Richtlinien für die medizinische Handhabung von Intersexualität von Kindern und Jugendlichen: eine kritische Würdigung"
Eine Vorbemerkung: Die Referentin ist sowohl Vorsteherin der co-veranstaltenden Abteilung für Medizinethik und Geschichte der Medizin wie auch der Arbeitsgruppe Ethik des Netzwerks, welche im März 2008 in der Monatsschrift Kinderheilkunde deren "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD" publizierte (--> PDF-Download 35 kb, kurze Kritik dazu siehe Nellas Rede am Netzwerktreffen).
Als Einstieg ins Thema wählte die Referentin die Berichterstattung in den Medien zu Christianes Prozess (siehe Pressespiegel eins / zwei), welche sie als "aufgeschlossen" und "nicht auf einen Freak-Standpunkt reduzierend" lobte (siehe dazu auch das Gigi-Editorial#54).
Danach kritiserte sie Money's Zwangszuweisungs-"Optimal Gender Policy", welche
- die Idee von körperlicher Integrität und Wohlbefinden "auf nicht-uneindeutige Genitale reduziert",
- den durch die Medizinalisierung enstehenden Schaden "unterschätzen" würde und
- auf "Nicht-Offenlegung" gegenüber den Patienten beruht, was Peer Support faktisch verunmögliche.
Demgegenüber würde das von Kipnis/Diamond geforderte Moratorium von nicht-eingewilligten OPs
- Gefahr laufen, die Bedürfnisse des Kindes zu unterschätzen, um ihm späteren Nutzen als Erwachsenen zu ermöglichen
- zu sehr das Konzept der Irreversibilität betonen
- und die Eltern-Kind-Beziehung ignorieren. (Das "ewige Thema", vgl. hierzu auch die jüngste "Zeit-Kontroverse".)
Cheryl Chase betone demgegenüber den Konflikt zwischen Eltern und Kind.
Weiter kritisierte die Referentin, für das absolute "Beste Interesse" des Kindes gäbe es letzlich gar keinen Massstab. Es bestehe ein Konflikt zwischen auf der einen Seite den
- Ansprüchen von Familien auf Privatspäre und Familienautonomie (gemeint war wohl eher Elternautonomie)
und andrerseits Ansprüchen der Kinder auf
- ihre individuellen Rechte
- Mitbeteiligung der Kinder in der Entscheidungsfindung
- Förderung einer guten Eltern-Kind-Beziehung
- Peer Support
- dass lediglich Behandlungen angeboten werden mit guter bzw. bester erwiesener Wirkung
- wozu Ergebnisstudien zu tätigen seien.

In der abschliessenden Diskussionsrunde hielt die Referentin zudem fest, es gebe in der BRD sehr wohl Gesetze gegen Kastration und Sterilisation bei Kindern -- sie würden aber bei Intersexuellen nicht angewendet. Der Referent vom Vortag Pekka Louhiala forderte die EthikerInnen zudem auf, sich vermehrt in die Belange und Kreise der MedizinerInnen einzumischen (und begrüsste dazu explizit die Publikation der Netzwerk-Empfehlungen in der Kinderheilkunde-Monatsschrift), zu oft würden EthikerInnen unter sich bleiben und ihre Empfehlungen deshalb erst recht nie berücksichtigt. Ich selber tat mein möglichstes, u.a. für die Forderungsliste des Vereins und den Schattenbericht Werbung zu machen. (Leider schaffte ich es nicht mehr, noch eine grundsätzliche Debatte zum Gebrach den Un-Begriffs DSD anzuzetteln zu versuchen, der auch innerhalb der Ethikempfehlungen unhinterfragt durchgehend gebraucht wird, obwohl die Ethikgruppe behauptet, "das Unbehagen und die Ablehnung von Fremdzuschreibungen" zu "respektieren" und "alternative Eigenentwürfe" zu "akzeptieren".)

Die grösste Bombe der Abschlussrunde liess jedoch Eva Kleinemeier so nebenbei platzen: Nach Einstellung der Bundesförderung für das Netzwerk steht in Lübeck ab 2009 keine psychologische Beratung für Eltern und junge Zwischengeschlechtliche mehr zur Verfügung!  (Nachtrag: Kommentar von Eva Kleinemeier) (Wohlbemerkt dasselbe Netzwerk, das immer wieder behauptet, psychologische Betreuung sei im Rahmen des Netzwerks selbstverständlich und in Lübeck würden PsychologInnen "Bereits in ersten Diagnosegesprächen" beigezogen! Obwohl -- neben Peer Support -- psychologische Betreuung nebst von EthikerInnen auch von sämtlichen Selbsthilfegruppen seit Jahrzehnten als unabdingbar gefordert werden -- eine zentrale Forderung z.B. auch der bestimmt nicht als ärztefeindlich einzustufenden AGS-Eltern- und Patientenitiative seit 1992! Weiterer Kommentar wohl überflüssig ...)

Fazit: Obwohl ich mir in der Diskussion wiederholt als Störefried betrachtet vorkam, war die Tagung interessant und ist meine persönliche Bilanz positiv. Aus meiner Sicht wäre wünschenswert, dass sich künftig vermehrt betroffene Menschen in solche Diskussionen einmischen würden (auch wenn ich verstehen kann, dass das nicht einfach ist, erst recht wenn mensch emotional weniger Abstand hat als ich und sich dann haarsträubende Dinge anhören muss und gar noch angefeindet wird). Die z.B. an der Vereinsitzung im Vorfeld geäusserten Bedenken, die Tagung würde primär der eigenen Absicherung des Netzwerks für die nicht besonders griffigen und auch nicht wirklich menschenrechtskonformen Ethik-Empfehlungen dienen, fand ich jedoch so nicht bestätigt. Trotzdem fand ich es bedenklich, wie gross auch bei den EthikerInnen der Abstand zu den Opfern der Medizyner m.E. nach wie vor fühlbar ist. Manche der geladenen Expertinnen", vor allem, wenn es spezifisch um "Intersexualität" ging, dünkten mich überfordert und nicht wirklich übergreifend mit dem Thema vertraut. Bezeichnand auch das geringe (Fach-)Publikumsinteresse an der Tagung.

Bleibt zum Schluss die bohrende Frage, inwieweit solche Ethikveranstaltungen und -Gruppen den Medizynern nicht letztlich doch bloss als Feigenblatt dienen, um möglichst ungestört weiter zwangsoperieren zu können ... Von diesen menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen werden sie letztlich keine Ethikdebatten und sonstige Unverbindlichkeiten abhalten, sondern erst massenhaft weitere Gerichtsprozesse -- und andere Formen konkreten Drucks in der Öffentlichkeit, im Parlament und nicht zuletzt auch vor ihrer eigenen Haustüre!

Siehe auch: Lübeck: Doch psychologische Versorgung auch 2009?

Friday, October 10 2008

Tagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG (Teil 1)

Ich hatte mich kurzfristig entschlossen, an dieser 2-tägigen Veranstaltung teilzunehmen (Pressemitteilung zur Veranstaltung / Ankündigung auf der Göttinger Uni-Homepage), veranstaltet von der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen und der Arbeitsgruppe "Intersexualität und Ethik" im "Netzwerk DSD/Intersexualität". Zwischen beiden Gruppierungen gibt es personelle Überschneidungen: Prof. Dr. Claudia Wiesemann steht beiden Organisationen vor, Susanne Ude-Koeller ist ebenfalls beiderorts dabei. Die Netzwerk-Arbeitsgruppe erarbeitete auch die "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD", publiziert in der Monatsschrift Kinderheilkunde 3/2008 (umsonst zugängliche Zusammenfassung).

Das Programm gliederte sich in 2 Teile, die ich auch für diese Berichterstattung übernehme. Am 1. Tag ging es um verschiedene Aspekte, die nicht direkt mit "Intersexualität" zu tun haben, jedoch vielfach ähnliche Fragen aufwerfen und interessante Zusammenhänge aufzeigten. Am 2. Tag ging es dann spezifisch um "Intersex"-Themen.

Auch wenn ich im Verlauf der Veranstaltung mehr als einmal leer schlucken musste, war sie insgesamt doch interessant und ich habe eine Menge neu erfahren. Die Tagung wurde durchgehend auf englisch gehalten, auf meine Kappe gehende falsche Übersetzungen von Fachbegriffen bitte ich mitzuteilen. Nachfolgend meine Zusammenfassung des 1. Tages:

1. Referat
Marie Fox / Michael Thomson
Universität Keele, England
"Bestes Interesse" und anwaltschaftliche Vertretung von Kindern: Eine Beschneidungsfallstudie
Aus der Zusammenfassung: Kritisiert wurde ein allzu lasche Handhabung des Kinderschutzes in England und eine allzugrosse Bereitschaft der behandelnden Mediziner, welche Beschneidungen alleine nach dem Gutdünken der Eltern vornehmen, ohne jede Rücksicht auf Schutz der Kinder vor ungewollten Eingriffen, was nach Ansicht der Referenten "abwegig" ist, zumal in England theoretisch straffere Kinderschutzvorschriften existieren als etwa in den USA. Die Referenten schlagen deshalb vor, statt nur nach "besten Interessen" zusätzlich auch nach "Bedürfnissen" gegenüber "(möglichen) Schäden" zu fragen, um das Recht auf körperliche Unversehrtheit der betroffenen Kinder besser verteidigen zu können.

In der Diskussion erregte eine Stellungnahme des Kinderchirurgen Maximilian Stehr besonderes Aufsehen, der radikal gegen nicht medizinisch indizierte Beschneidungen an Knaben ist. Er veröffentlichte kürzlich dazu auch einen ebenfalls Aufsehen erregenden Artikel im Deutschen Ärzteblatt, weil er die Meinung vertritt, dass solche medizinisch nicht notwendigen Beschneidungen in jedem Fall einen Straftatbestand darstellen. In der Kinderchirurgie in München, wo er als Oberarzt praktiziert, werden solche Beschneidungen deshalb nicht mehr durchgeführt.

Da ich erst am Donnerstag Morgen anreisen konnte, verpasste ich die ersten 2 Vorträge und Diskussionen. Beim anschliessenden Beisammensein in der Kneipe wurde mir dann von einer Drittperson zunächst fälschlicherweise berichtet, in München würden  auch keine genitalen Zwangsoperationen an Zwittern mehr durchgeführt. Dem ist aber leider nicht so, wie ich von Herr Stehr am nächsten Tag durch Nachfragen erfuhr -- wäre auch zu schön gewesen: Im Gegenteil werden auch Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität in München z.B. Kinder mit AGS nach wie vor meist im Alter von 4-7 Monaten zwangsoperiert. Das ist wohl der Unterschied zwischen "normalen" und "uneindeutigen" Genitalen: Während bei "normalen" Penissen sich langsam durchsetzt, dass auch die Vorhaut nicht einfach nach Gutdünken der Eltern und Ärzte beschnippelt werden darf, gilt bei "intersexuellen" Genitalen das Selbstbestimmungsrecht weiterhin nix ... So bleibt es weiterhin bei einem einzigen Arzt, von dem ich weiss, dass er aus Gewissensgründen an Zwitterkindern keine genitalen Zwangsoperationen mehr durchführt ...

Wie mir Herr Stehr weiter berichtete, habe er auf den Ärteblatt-Artikel einige "böse Leserbriefe" erhalten, "vor allem von niedergelassenen Ärzten", die eine bewährte Einnahmequelle verlieren würden, wenn sich Stehrs Ansicht allgemein durchsetzt ...

2. Referat
Sabine Müller
Universität Aachen
Cochlea Implantate bei gehörlosen Babies -- "Bestes Interesse" versus die Interessen der Gehörlosen Nation
Aus der Zusammenfassung und einem Gespräch mit der Referentin: Bei gehörlosen Kindern ist es mittlerweile möglich, ihnen mittels eines Implantats im den Gehörgängen und einem "Gehörapparat", der mittels Magnet aussen am Schädel befestigt wird, einem Gehörsinn zu ermöglichen. Obwohl die Technik noch nicht ausgereift ist und im Verlgeich zum natürlichen Gehörsinn umständlich rudimentär bleibt, ist es gehörlos geborenen Kindern so trotzdem möglich, Geräusche zu hören und auch sprechen zu lernen. Dazu muss der Eingriff aleerdings in den ersten 2 Lebensjahren durchgeführt werden, weil sonst die Gehörareale des Gehirns nicht entwickelt werden und irreversibel verkümmern. Demgegenüber könnte der Eingriff später rückgängig gemacht werden, was aber keine betroffenen Menschen anstreben würden. Trotzdem werden die Eingriffe von Verbänden von gehörlos Geborenen kritisiert, weil damit ihre Kultur inkl. Gebärdensprache akut vom Aussterben bedroht ist. Trotzdem argumentiert die Referentin für das Recht der betroffenen Kinder auf Gehör.

3. Referat
Pekka Louhiala
Universität Helsinki, Finnland
Über das Recht auf Grösse -- können Östrogenbehandlungen für grossgewachsene Mädchen überhaupt gerechtfertigt werden?
Der Referent untersuchte die weltweite wissenschaftliche Literatur zum Thema: Seit 50 Jahren werden hochgewachsene Mädchen mit Östro (oder eine Östro-Testo-Kombination) behandelt, um ihr Wachstum vorzeitig "einzufrieren", weil sie sonst unter ihrer Grösse unter "psychosozialen Problemen" leiden würden (Minderwertigkeitsgefühle, Probleme einen Partner zu finden, wobei die Mädchen ihrer Übergrösse die Schuld dafür geben). Möglich sind 6 cm weniger Wachstum, wenn die Behandlung im "Knochenalter" von 10 Jahren beginnt, bei 13 Jahren sind noch 2 cm weniger möglich, während bei 14 Jahren keine Wirkung mehr eintritt. Nebenwirkungen sind eine vorgezogenen Pubertät und verminderte Fruchtbarkeit. Auch hier gibt es dazu weltweit keine verlässlichen Statistiken, wie oft das Verfahren angewendet wurde, jedoch ist die Tendenz abnehmend, weil das "Problem" offensichtlich seine soziale Relevanz verliere. Bezeichnend, dass in allen Studien nie ethische Überlegungen oder Überprüfungen mit Vergleichsgruppen angestellt wurden, sprich der Nutzen vs. Schaden der Behandlung war nie erwiesen, abgestellt wurde immer auf die Wünsche der Eltern, bzw. vornehmlich der Mütter (die Töchter hätten meist keine Meinung geäussert und die Väter wurden gar nicht befragt). Eine australische Studie legte zudem nahe, dass behandelte wie unbehandelte grosse Mädchen/Frauen gleich überdurchschnittlich an Depressionen und anderen Problemen litten. In allen Studien durchgehend nicht reflektiert wurde, dass die Untersuchungen und Behandlungen an sich den Mädchen erst recht die Botschaft vermittelt: Du bist nicht in Ordnung. Interessant auch, dass in vielen Studien die Übergrösse schnell mal als "Krankheit" bezeichnet wird. Der Referent stand der Methode skeptisch gegenüber, würde aber (hypothetisch) wohl doch seinen Einwilligung geben, wenn z.B. seine Frau und seine Tochter darauf bestehen würden.

In der Diskussion wurde u.a. darauf hingewiesen, dass kleine Männer auch Probleme haben, eine Partnerin zu finden, ebenfalls "zu intelligente" Frauen, und ob dann in dem Fall eine "Dummheitsbehandlung" angemessen wäre? Meinerseits wies ich auf das allgemeinmenschliche Problem hin, einem Körpermerkmal "die Schuld" für irgendwelche Probleme/Unzufriedenheiten zu geben, was m.E. (und auch meiner eigenen Erfahrung nach) dazu führen kann, dass nach ev. medizinischer "Entfernung" dann einfach das nächste Merkmal gesucht und auch gefunden wird, was dann einen Teufelskreis in Bewegung setzen kann, was der Referent auch als mögliche Ursache für "Schönheits-OP-Sucht" ansprach.

4. Referat
Maya Peled-Raz
Universität Haifa, Israel
"Bestes Interesse" von Kindern bei nicht-therapeutischen Eingriffen
Die Referentin gab einen Überblick zum Begriff "Bestes Interesse" aus juristischer Perspektive: Zunächst einmal dient der Begriff dazu, die Befugnisse z.B. der Eltern zu beschränken. Es gibt jedoch 2 Möglichkeiten, "Bestes Interesse" zu verstehen: Einerseits, die Interessen des Kindes zu maximieren; andrerseits, seine Interessen zumindest nicht bedeutend zu vermindern. Leider würde in der internationalen Rechtssprechung meist von der 2., schwächeren Bedeutung ausgegangen. Zudem wird eine Abwägung vorgenommen zwischen Kindesinteresse, Autonomie der Familie (d.h. des Willens der Eltern), der religiösen Praxis der Eltern, und den Interessen von "Kindern allgemein". Weiter führe das Prinzip der Vermeidung bedeutenden Schadens dazu, dass bei grösserem Nutzen auch gleichzeitig grösserer Schaden in Kauf genommen werden darf. Oft würden Gerichte (etwa bei nicht-therapeutischer Forschung oder bei Organspenden von Geschwistern) zudem schnell mal spekulativen Nutzen als gegeben annehmen, die Interpretation von "Nutzen" generell möglichst weit spannen und "Opfer" von individuellen Kindern als legitim betrachten ...

5. Referat
Imme Petersen / Regine Kollek
Universität Hamburg
Herausforderungen gewebsbasierter Forschung: Empirischer Überblick über die Einstellungen von Eltern und Ihre Bedürfnisse betreffend informierte Einwilligung und Datenschutz
Die Referentin erarbeitet zu diesem Thema eine Studie. Praktisch jedes Kind mit Krebs nehme an medizinischen Versuchen teil. In den meisten Fällen werden Gewebsproben gesammelt und damit geforscht. In der BRD ist dies legal, solange ein direkter Nutzen für den Patienten oder eine Gruppe von Patienten daraus entstehe, das Risiko nur minimal sei und die Eltern ihre Einwilligung geben. Nationale und internationale Bestimmungen forderten mittlerweile generell nebst der Einwilligung der Eltern (consent), die informiert, kompetent und frei erfolgen müsse, auch die Zustimmung (assent) der Kinder. Nebst Fragen der Zustimmung sind zudem auch folgende tangiert: Datenschutz und Vertraulichkeit, Informationsrechte und -Pflichten.

In der Diskussion kam u.a. heraus, dass es z.B. in England Kindern zwar leicht gemacht werde, ihre Zustimmung zu geben -- im Gegensatz zum Anbringen eines Widerspruchs (dissent) ...

Ein klinischer Mediziner wies zudem darauf hin, dass es in der realen Welt halt oft so aussehe, dass letztlich der Arzt entscheide, weil die Eltern gar nicht fähig sind, eine informierte und kompetente Entscheidung zu treffen, da sie weder willens noch fähig seien, sich das dazu nötige Wissen innert nützlicher Frist anzueignen, weshalb es in der Praxis dann so laufe, dass der Mediziner zu den Eltern eine Vertrauensbeziehung aufbaut und seine Arbeit mehr darin sieht, sie von seiner eigenen Entscheidung zu überzeugen ...

Was im Fall von gewebsprobenbasierter Krebsforschung ev. weniger problematisch sein mag, weil es ev. kaum zu keinen direkten Schädigungen von Kindern führt. Bloss läufts ja in der realen Welt auch bei genitalen Zwangsoperationen nach derselben Praxis -- und dort siehts für Zwitter bekanntlich rasch mal ungleich düsterer aus ...

--> Fortsetzung: Teil 2

Monday, October 6 2008

Veranstaltungen diese Woche

Diskussion in Berlin u.a. mit Knut Werner-Rosen und Ins A. Kromminga
Di 7.10.2008, 18-21h, Oranienstr. 106, 10969 Berlin, Raum E 109

Nachtrag: Ins' Input auf dem GenderFreeBlog

Internationaler Kongress in Göttingen, veranstaltet vom der Netzwerk-Arbeitsgruppe Ethik und Universitätsmedizin Göttingen, Abt. Ethik in der Medizin und Medizingeschichte:
THE RIGHTS OF CHILDREN IN MEDICINE, Do-Fr 9.-10.10.2008
Mehr Infos, Programm und Anmeldung

Nachtrag: Bericht auf diesem Blog

Sunday, October 5 2008

Prof. Dr. Heino Meyer-Bahlburg: John Moneys Erbe

Zum ersten Mal wurde ich auf Prof. Dr. Heino F. L. Meyer-Bahlburg aufmerksam durch seine menschenverachtende, Pardon: "objektive" Studie, die in Deutschland 2005 vorgestellt worden war unter dem bezeichnenden Titel "Intersexuelle Syndrome - Drittes Geschlecht nicht erwünscht". Darin (und auch in unzähligen weiteren, nicht minder "seriösen" Studien) behauptet Meyer-Bahlburg allen Ernstes, Zwitter würden Zwangsoperationen frenetisch befürworten:

"Die überwiegende Mehrheit zeigte sich mit ihrem Geschlecht zufrieden und lehnte ein drittes Geschlecht strikt ab (85%). Die Befragten gaben an, dass sie sowohl mit dem äußeren Aussehen als auch mit der Funktionalität ihrer Geschlechtsorgane zufrieden seien [...]. Auch sollte nach Ansicht der Patienten die übliche Praxis beibehalten werden, dass die operativen Eingriffe bereits in frühen Jugendjahren durchgeführt werden sollten."

Meyer-Bahlburgs "objektive Studie" war derart offensichtlich gezinkt, dass in einem Kommentar dazu auch Prof. Dr. Westenfelder (der kaum verdächtig ist, Zwangsoperationen prinzipiell in Frage zu stellen) unmissverständlich festhielt:

"Zieht man z.B. in den einzelnen Auswertungsergebnissen die Gruppe der 17 CAIS, die zunächst ohne Intersexproblematik und ohne Operation zunächst als "normale" Mädchen aufwachsen, von dem Gesamtkollektiv ab, so kommt es in einigen Aussagen zur Umkehr der Ergebnisse. Bei der Bewertung der Aussagen zum OP-Trauma bleiben Art und Umfang der Operationen, z.B. bei CAIS und Minipenis, völlig unberücksichtigt [...]."  ("Retrospektive Erforschung des Intersex-Phänomens notwendig" -- Nach unten scrollen --> "Zweiter Kommentar")

Im vor kurzem erschienenen 'Medizyner-Gruselkabinett', Pardon: "medizinischen Fachbuch" mit dem Titel "Intersexualität bei Kindern" (Kurzbesprechung bei Kitty) darf Meyer-Bahlburg wieder unwidersprochen wüten, so u.a. in einem Abschnitt "Patientenmeinungen zur Genitaloperation": "Fast 70 Prozent" der Zwitter seien betreffend der von "Intersex-Aktivisten" aufgestellten Forderung "Genital-OPs nur mit Einwilligung der betroffenen Menschen" "nicht damit einverstanden", "47 Prozent" würden sich zudem für Zwangsoperationen "im ersten Lebensjahr" aussprechen, usw., ad nauseam. (S. 42)

Na ja, Meyer-Bahlburg kostete es wohl schon Überwindung, statt 85% neu bloss noch 70% Zwangs-OP-Befürworter_innen unterstellen zu dürfen. Ausserdem sehr bezeichnend: Dass Zwangsoperationen unterlassen werden sollten (bzw. nur schon könnten), stand in seiner "objektiven Studie", welche die "Intersex-Aktivisten" angeblich Lügen straft, "rein zufällig" gar nicht erst zur Auswahl, sondern lediglich "(1) nicht vor dem Erwachsenenalter, (2) nicht vor der Adoleszenz, (3) nicht vor dem Grundschulalter", (4) nicht vor dem 2. oder 3. Lebensjahr, (5) im ersten Lebensjahr" -- um hier nur auf den alleroffensichtlichsten Kotzbrocken hinzuweisen. Wie auch Kitty treffend schrieb: "man erstellt seine Studien so, wie sie gerade benötigt werden". Was (einmal mehr) zu beweisen war.

Trotz (oder wohl eher wegen?) seiner offensiv zur Schau getragenen Unseriösität und Menschenverachtung ist Prof. Dr. Heino F. L. Meyer-Bahlburg aktuell sowas wie der ungekrönte "Intersex"-King der "Church of Sexology": Mitglied im DSM-III Gender Disorder Comittee, bei DSM-IV Mitglied im Subcommittee on Gender Identity Disorders, seit 2002 Mitglied des Committee on Intersexuality for the Harry Benjamin International Gender Dysphoria Association (Quelle: en-Wiki) -- allesamt Schlüsselpositionen bei der laufenden Sexologen-Medizyner-Kampagne, Zwitter (noch) schlechter zu stellen und nach Belieben als "geisteskrank" einstufen und auf die "Trans-Schiene" abschieben zu können. Umgekehrt wird Meyer-Bahlburg auch gern zitiert, wenn es gilt, Transsexualität als "hirnorganische Intersexualität" zu definieren.

Laut seiner Homepage liegt Meyer-Bahlburgs "primärer klinischer Schwerpunkt" bei "Intersexuality / Disorders of sex development in children, adolescents, and adults.
Gender variants / Gender identity disorder in children and adolescents."  Wenig überraschend hatte er bereits mit dem unseligen John Money zusammengearbeitet. Als Milton Diamond im November 1995 in San Francisco das erste Mal die Wahrheit über David Reimer an einem medizinischen Kongress präsentierte, war Meyer-Bahlburg prompt zur Stelle, den "klinischen Standpunkt", Pardon: genitale Zwangsoperationen nichtsdestotrotz unverdrossen weiter zu propagieren: Ohne Zwangsoperationen bestünde die Gefahr, Kinder "würden von ihren Eltern abgelehnt und von anderen Kindern gehänselt zu werden" (vgl. diesen englischen Bericht von Bo Laurent a.k.a. Cheryl Chase). Die übliche Leier, die heute noch auch im Netzwerk bei Bedarf immer neu aufgewärmt wird. Als wären Eltern, die ihren Kindern genitale Zwangsoperationen aufzwingen, jemals fähig, diese wirklich zu akzeptieren, egal ob operiert oder nicht. (Aber das ist ein anderes Thema.)

Kaum ein heute aktiver Wissenschaftler hat wohl mehr zwangsoperierte Zwitter auf dem Gewissen als der saubere Prof. Dr. Heino F. L. Meyer-Bahlburg. Trotzdem wurde er von der "Intersex-Community" bisher kaum je prinzipiell kritisiert oder gar an den Pranger gestellt. Im Gegenteil, etwa bei OII könnte Mensch eher das Gefühl bekommen, dieses "Verdienst" stünde eigentlich Alice Dreger zu. Verkehrte Welt?

(Ums einmal mehr klar zu sagen, ich finde DSD Scheisse und letztlich wohl ein Eigentor. Trotzdem, nach allem was ich weiss, hat kaum jemand den Zwangsoperateuren bisher mehr eingeheizt und ihnen das zwangsoperieren mehr vergällt als Dreger, Chase a.k.a. Laurent & ISNA.)

Meiner Meinung nach höchste Zeit, den offensichtlich hoffnungslos zwangsoperationsgeilen Prof. Dr. Meyer-Bahlburg vermehrt öffentlich unter die Lupe zu nehmen und blosszustellen -- und falls er z.B. wieder mal in der Gegend an einem Kongress seine menschenverachtenden "objektiven Studien" predigt, ihm ev. auch mal etwas direkter die Meinung zu geigen ...

Nachtrag: Interessant auch diese Netzwerkpublikation aus 2001, die unverfroren behauptet, für die (erstrebte) "stabile Geschlechtsidentität" sei u.a. "das Alter des Kindes zum Zeitpunkt der genitalen Korrektur" entscheidend -- unter Berufung auf eine, ähm, Studie von Na-wem-wohl? (Plus von wegen psychologische Betreuung der Eltern, dass die mittlerweile quasi selbstverständlich sei -- obwohl Selbsthilfegruppen meist vom Gegenteil berichten. Plus, dass einmal mehr vollmundig angekündigt wird, es werde jetzt angeblich statistisch erfasst, wie häufig "Intersexualität" nun wirklich sei, bzw. "eine Studie zur Inzidenz von Intersexualität beim Neugeborenen unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Endokrinologie durch[geführt]". Und weiter mag ich fürs erste gar nicht mehr gucken ...)

Friday, October 3 2008

Zwangskastration und die Folgen: Zwitter bezahlen nicht nur mit ihrer Gesundheit!

Obwohl ich Mediziner sonst meide wie der Teufel das Weihwasser, raffte ich mich vor einigen Monaten dazu auf, eine Ärztin aufzusuchen, da ich gerne einigermassen gesund alt werden möchte. Vor fünf Jahren wurde bei mir eine Osteopenie (Vorstufe zu Osteoporose) diagnostiziert, die ich der Zwangskastration verdanke, wie viele meiner Mitzwitter, die schon lange eine fortgeschrittene Osteoporose haben, obwohl einige sogar viel jünger sind als ich! Da ich seit einiger Zeit vermehrt Rücken-, Knie- und Hüftschmerzen habe, befürchtete ich, dass sich meine Knochendichte in den letzten Jahren verschlechtert haben könnte.

Meine Ärztin überwies mich deshalb am 31.7. an ein Osteoporose-Institut in Zürich. Dieses Institut wendet das DEXA-Messverfahren an. Es handelt sich um ein sehr genaues Messverfahren, bei dem die Knochendichte an drei verschiedenen Stellen gemessen wird.

Die Krankenkasse empfiehlt für ein sicheres Resultat alle drei Messungen, übernimmt die Kosten jedoch nur dann vollumfänglich, wenn die Messung medizinisch indiziert ist. Sprich: Nur, wenn ein begründeter Verdacht auf Osteoporose zur Messung führt, in meinem Fall aufgrund der Zwangskastration und bereits bestehender verringerter Knochendichte gegeben, sonst bezahlt die Krankenkasse nur eine Messung, die anderen beiden muss man selber bezahlen. Damit muss man sich vor der Behandlung mittels Unterschrift einverstanden erklären. Was ich auch getan habe, denn:

Ich ging davon aus, dass meine Ärztin das Osteoporose-Institut über den Grund der Messung in Kenntnis gesetzt hat, dass somit kein Zweifel daran bestand, dass ich in die Kategorie derer gehöre, bei denen eine Messung medizinisch indiziert ist. Zusätzlich informierte ich die Ärztin vom Osteoporose-Institut während des Vorgesprächs detailliert über meine 'Diagnose' und erklärte die Zusammenhänge zwischen Zwangskastration und Osteoporose trotz Hormonersatztherapie - und anstehender Knochendichtemessung. Ihre "persönliche Frage" am Schluss, ob ich denn nun menstruiere, liess mich wieder einmal kurz erschaudern, ich ging jedoch trotzdem davon aus, dass der Fall klar sei.

Denkste: Ein paar Tage später flattert eine Rechnung ins Haus, gemäss der ich die zwei Extra-Messungen selber bezahlen muss, und zwar umgerechnet 55 Euro, mit der Begründung:

"Diagnose: Hypogonadismus / Nichtpflichtleistung"

Fazit: Als zwangsoperierter Zwitter, der aufgrund der Kastration eine verminderte Knochendichte hat und eine regelmässige Knochendichtenmessung zwecks Schadensbegrenzung benötigt, soll ich jetzt noch draufzahlen, als ob ich diese ganze Misere selber verschuldet hätte, und meine zerstörte Hormonzufuhr aufgrund Zwangskastration wird unter "Unterfunktion der Keimdrüsen" subsumiert!

Meine Ärztin klärt nun ab, wie dieses "Missverständnis" entstehen konnte.

Im Übrigen nehme ich neben Östrogel seit neuestem auch Testogel - was bei einigen XY-Zwittern zu einer bemerkenswerten Verbesserung der Knochendichte und somit Steigerung der Lebensqualität geführt hat.

Letztere(s) gibt's jedoch für unsereins nur auf Privatrezept ... wenn überhaupt, wie gerade auch Kitty am eigenen Leib erfuhr ... obwohl sie zuvor sowohl in Lübeck beim Netzwerk und in Berlin bei der Charité mehrfach um Unterstützung nachgefragt hatte ... Fortsetzung folgt ...

Nella

Sunday, September 28 2008

Krebs- und andere Lügen am laufenden Band

"Das wird ja heute sowieso nicht mehr gemacht." So lautete unlängst die Antwort der Endokrinologin Dagmar l'Allemand am 5. Netzwerk-Treffen in Kiel auf die dort geäusserte Kritik an Zwangskastrationen und deren gesundheitliche Folgen. Bei anderen Gelegenheiten, insbesondere Medienauftritten, beteuern auch l'Allemands BerufskollegInnen immer wieder, dass Zwangskastrationen an Zwittern heute nur noch in Notfällen durchgeführt werden (eins, zwei, drei). Auch wenn dann andernorts wieder das Gegenteil propagiert respektive praktiziert wird (eins, zwei, drei).

Leider werden Zwischengeschlechtliche auch heute noch allzu oft systematisch zwangskastriert und an ihren Genitalien zwangsoperiert. An dieser menschenverachtenden Praxis hat sich (noch) nicht durchgängig wirklich etwas geändert.

Vor einigen Tagen erfuhr ich von einem Mitzwitter, der unter anderem als Onlineberater der Selbsthilfegruppe XY-Frauen tätig ist, dass sich eine Humangenetikerin an uns gewandt hat, die voller Zweifel ist, weil sie gleich drei Teenager mit CAIS betreut, die gemäss einem Kinderchirurgen alle "prophylaktisch" kastriert werden sollen!

Gerade bei der kompletten Androgenresistenz CAIS ist die Entartungsgefahr bei Gonaden jedoch sehr niedrig, wie mehrere Studien beweisen. Überflüssig zu sagen, dass in keinem der drei obengenannten Fälle die Gonaden entartet sind! Und trotzdem will der Kinderchirurg sie um jeden Preis rausschneiden.

Gut, dass es mittlerweile Selbsthilfegruppen und andere Interessensverbände von Zwittern gibt, die in der Öffentlichkeit Präsenz markieren und den Lügen so mancher Mediziner ein Bein stellen können! Gut, dass es auch verantwortungsvolle MedizinerInnen gibt, die sich über ihre Handlungen und deren Auswirkungen Gedanken machen - bevor es zu spät ist! Und für alle anderen bleibt zu hoffen, dass Christianes Prozess lediglich der Anfang war ...

Sunday, September 14 2008

Die grosse "Intersex"-Statistik-Lüge

Frage: Wieviele "Intersexuelle" — Pardon: "geschlechtsentwicklungsmässig Gestörte" bzw. "DSD-Patienten" — gibt's nun wirklich?

Antwort: Schweigen ...

Und egal wieviele "hochgerechnete" Zahlen auch herumgereicht werden: Letztlich weiss es niemand genau.

Der Staat weiss es nicht, will es nicht wissen und besteht darauf, dass alle Zwitter lediglich als "Mann" oder "Frau" erfasst werden. Der einzige Stand, der über exakte Zahlen verfügen könnte, sind ausgerechnet die Medizyner, deren Jahrzehnte lange moralische Korruptheit speziell gegenüber dieser besonderen "Patientengruppe" deren aktuellen Probleme grösstenteils überhaupt erst verschuldete.

Wenn Medizyner zu sehr vertuschen

Zwar geben die Medizyner mittlerweile vermehrt zu, dass "früher Fehler gemacht" wurden (sprich heute nicht mehr, da ist die "Behandlung besser""auch wenn entsprechende Studienergebnisse noch konsolidiert werden müssen"). Stets sorgsam ausgeblendet bleiben allerdings die realexistierenden Opfer dieser "früheren Fehler". Auch aus den exakten Statistiken. Nach wie vor wurde die Zahl der in Deutschland lebenden "Intersexuellen" nie konkret erfasst, sondern (aber nur wenns denn wirklich sein muss) lediglich "hochgerechet", von den Medizynern aktuell nach folgenden Schlüssel:

  • 1:1000 rsp. 80'000-100'000 Personen in Deutschland — wenn es darum geht, sich Zugang zur "Patientengruppe" zu verschaffen (Quelle: Finke/Höhne: "Intersexualität bei Kindern", Bremen: Uni-Med 2008, S. 4)

Der Rest war Schweigen, wegschauen, Akten verloren ...

Und auf keinen Fall die aktuellen Daten rausrücken, bewahre. Lieber nach wie vor gar nicht erst erheben! (Obwohl in Bundestag neue Anfragen vorliegen, gibt es "offiziellen Zahlen", die jünger sind als 2004.)

Oft berufen sich die Medizyner (wie auch bei anderen "kritischen" Themen) auf "Datenschutz" — obwohl statistische Daten genau nicht unter Datenschutz stehen, sondern im Gegenteil von öffentlichem Interesse sind.

So können die Medizyner die Statistik dann jeweils nach Lust, Laune und Bedarf "hochrechnen". Den Vogel schiesst dabei einmal mehr das "Netzwerk DSD" ab, das dabei offenbar noch nicht einmal rechnen kann, sondern allen Ernstes behauptet, 80'000'000 : 5'000 = 8'000-10'000:

Laut Statistik liegt die Häufigkeit bei 1:5.000; d.h., dass eines von 5000 Kindern mit DSD zur Welt kommt. Demnach leben in Deutschland heute ungefähr 8.000 bis 10.000 Menschen mit DSD. (Quelle: http://www.netzwerk-dsd.uk-sh.de/teen-is/index.php?id=62#Frage2)

Und niemand wills gemerkt haben ...

»Die meisten Fälle sind medizinisch keine Notfälle« Professor Olaf Hiort, Kinder- und Jugendarzt am Universitätsklinikum Lübeck(Apotheken-Umschau, 1.6.11)

Auch in der Anhörung vor der Hamburger Bürgerschaft drückte sich "Netzwerk DSD"- sowie "Euro DSD"-Chef Olaf Hiort bewusst kryptisch aus (mensch beachte auch die verräterische Formulierung "danach wurde nicht gefragt"):

Dazu hat meine Kollegin Frau Thyen eine umfangreiche Untersuchung gemacht. [...] Das heißt, 160 Kinder wären das in zwei Jahren, also es bleibt bei 80 pro Jahr. Wobei man die in Berücksichtigung nehmen muss, die quasi so unauffällig wirken zum Zeitpunkt der Geburt, dass die Diagnosestellung erst sehr viel später erfolgt; das kann durchaus sein, danach wurde nicht gefragt. Das heißt, das verdoppelt die Zahl sicherlich noch einmal. (Protokoll S. 18)

Das heisst, bei "sicherlicher Verdoppelung" wären es in Deutschland mindestens 160 Geburten pro Jahr! Kurioserweise behandelt aber nur schon die Klinik in Lübeck, wo Hiort und Thyen arbeiten, laut eigenen Aussagen auf der "EuroDSD"-Homepage über 100 "DSD Patient_innen" pro Jahr:

During the last 15 years, approximately 1750 DSD patients were cared for at the University of Lübeck

Und einmal mehr wills niemand gemerkt haben ...

Ein beliebter Trick ist auch, die Definition von Intersexualität so einzuengen, dass am Ende das gewünschte statistische Resultat herauskommt, vgl. dazu etwa die Formulierung verräterische Formulierung "schwerwiegendere[...] Abweichungen" im offiziellen Statement der Bundesregierung zum Thema: "Die Gesamtzahl der schwerwiegenderen Abweichungen der Geschlechtsentwicklung liegt in Deutschland etwa 8 000 bis 10 000." (Drucksache 16/4786).

Dabei gab etwa gegenüber dem ZDF "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort unumwunden zu: "Leichtere Fehlbildungen des Genitale sind relativ häufig [...]. Hierzu gehört zum Beispiel die Hypospadie, eine Fehlöffnung der Harnröhre beim Jungen." Dass auch diese "Leichtere[n] Fehlbildungen" alle ohne medizinische Notwendigkeit möglichst rasch chirurgisch "korrigiert" werden (oft mit schrecklichen Komplikationen), liess Hiort allerdings vornehm aus ... 

Fazit: Mindestens jedes 1000. Kind landet auf dem OP-Tisch!

Zwischengeschlecht.org und andere Betroffenenorganiatonen (z.B. ISNA) gehen bis zum Bekanntwerden verlässlicher Zahlen weiterhin aus von einem Vorkommen von mindestens 1:1000, d.h. mindestes jedes 1000. Neugeborene ist "undeutig" bzw. "atypisch" genug, um den Rest seines Lebens mit höchster Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrigen genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen, Zwangshormonbehandlungen oder sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffen ausgeliefert zu sein! Die Intersex Society of North America geht gar davon aus, dass auf 1000 Geburten 1-2 Kinder kosmetisch genitaloperiert werden.

(Zwar wird in der Fachliteratur über Intersexualität oft auch die Zahl von "nur" 1:2000 genannt, vgl. etwa Ulla Fröhling: "Leben zwischen den Geschlechtern" oder Claudia Lang: "Intersexualität". Vgl. ebenfalls Netzwerk-Pressemitteilung der Universität Lübeck (Hiort/Thyen/Holterhus/Richter-Appelt): "Bei einer von 2000 Geburten lässt sich das Geschlecht des Neugeborenen nicht exakt bestimmen." Diese Zahl geht jedoch von einer verengenden "Intersex"-Definition aus, die nicht alle kosmetischen Genitaloperationen an Kindern mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen berücksichtigt und z.B. "Hypospadie" ausschliesst.)

Das heisst, allein in Deutschland wird JEDEN TAG mindestens ein Kind genital zwangsoperiert!

Bei ca. 680'000 Geburten pro Jahr in Deutschland (Stand 2006, "Die niedrigste Geburtenzahl seit dem Ende des 2. Weltkrieges", Quelle: Statistisches Bundesamt (PDF), Wiesbaden 2007) kommen demnach jährlich ca. 680 "uneindeutige" bzw. "atypische" Kinder auf die Welt. Wird zusätzlich berücksichtigt, dass sogar laut der frisierten Version der nternationalen "Lübecker Studie" nach wie vor 90% aller Kinder und Jugendlichen mindestens 1x kosmetisch "genitalkorrigiert" wird, und mehr als jedes 5. Zwitterkind über 12 Jahren sogar mindestens 2x zwangsoperiert ist, folgt daraus, dass allein in Deutschland JEDEN TAG mehr als ein wehrloses Zwitterkind genital zwangsoperiert wird! Plus in der Schweiz und in Österreich zusätzlich JEDE WOCHE je mindestens eines! 

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)

>>> BMBF-finanzierte "Lübecker Studie" mit 434 Proband_innen (2009)


Zwangsoperationen, Zwittertabu und Statistiklügen müssen aufhören!

Freiwillig werden die Medizyner kaum von ihren menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen absehen – sonst sie hätten sie inzwischen längst getan.

Umso wichtiger ist es, auf politischem Wege Druck aufzusetzen, sprich: in parlamentarischen Vorstössen immer wieder aktuelle Zahlen/Statistiken zu verlangen. Z.B. wieviele "geschlechtlich gestörte" Kinder kommen jährlich in "Behandlung", wie sieht die Diagnosenverteilung aus, welche "Störungsbehebungs-Massnahmen" werden zu welchem Zeitpunkt ergriffen, werden auch die Eltern betreut und wenn ja wie, ist Peer Support für Eltern und Kinder gewährleistet, und wie stehts aktuell auch mit den übrigen Punkten der Forderungliste, dem Schattenbericht usw.? Bzw., weshalb hat sich da ein weiteres Jahr lang immer noch nichts entscheidendes getan? Und dabei Bundesregierung und Medizyner jedes Mal erneut auf ihre gesammelten Ausreden und Lügen zu behaften.

Die Behandlung "geschlechtsentwicklungsmässig gestörter" Patient_innen ist offensichtlich ein hochsensibler und dabei tabuisierter Bereich, in dem "früher" regelmässig schändlich versagt wurde, wie z.T. sogar die Mediziner zugeben und u.a. die Netzwerkstudien auch statisch erhärten.

Folglich ist kontinuierliches Monitoring angesagt, und wo das nicht verfügbar ist (d.h. für "Intersexuelle" – Pardon: "DSD-Patienten" – eigentlich fast in allen Bereichen), wäre es höchste Zeit.

Auch, soweit das überhaupt noch möglich ist, für Wiedergutmachung für die realexistierenden Opfer der "früheren Behandlungsfehler"!

Siehe auch:
- "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort: "Intersexuelle" nur ein Bruchteil aller chirurgischen Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken
Streicheleinheiten für die Bundesregierung
- Faule Eier für "die Bundesregierung"!
- Diskussion auf dem Hermaphroditforum

Thursday, September 11 2008

5. Netzwerk-Treffen Kiel 6.9.08: Intersexualität ade - DSD ahoi!

Das Treffen des Netzwerks Intersexualität kannte ich bisher nur vom Hörensagen. Am letzten Samstag war ich im Namen des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. zum ersten Mal dabei.

1. Zukunft des Netzwerks

Erster Programmpunkt war die "Weiterentwicklung" des Netzwerks, das im Verein "Netzwerk Intersexualität e.V." organisiert ist. Dieser wurde vor fünf Jahren gegründet, nachdem der Bundestag am 12.6.2001 einem Antrag der PDS um Bereitstellung von Geldern für "Forschungen zur Lebenssituation intersexueller Menschen" zugestimmt hatte. (Nachtrag: Parallel dazu hatte sich Ute Thyen bei einer Ausschreibung des BMBF beworben, das schliesslich die Fördergelder sprach, siehe Kommentar von Eva Hampel.) Ende dieses Jahres laufen diese Forschungsgelder aus. An der Mitgliederversammlung wurde nun beschlossen, den Verein in neuer Form trotzdem weiterlaufen zu lassen. Insbesondere soll der etablierte Austausch zwischen den einzelnen im Netzwerk organisierten Kliniken weiter geführt werden, zum Teil nun neu durch diese finanziert.

Diese Entwicklung ist auch aus unserer Sicht positiv und entspricht der unter Punkt 2) der Forderungsliste des Vereins verlangten "Bildung von spezialisierten Kompetenzzentren zur Behandlung intersexueller Menschen", damit nicht mehr jeder Feld-, Wald- und Wiesenchirurg sich nach Lust und Laune an intersexuellen Genitalien "weiterbilden" kann, wie es immer noch allzu oft der Fall ist.

Neu können nun auch betroffene Menschen ordentliche Mitglieder werden (bisher konnte lediglich der Verein als Körperschaft Mitglied werden und Betroffene hatten deshalb auch nur eine Stimme).

Aus unserer Sicht klar negativ ist dagegen die anlässlich der Neugründung des Netzwerks vorgenommene Nomenklaturbereinigung: aus "Netzwerk Intersexualität" wird neu "Netzwerk-DSD". Lediglich im Titel der Satzung steht noch "Netzwerk DSD/Intersexualität". Wurde zudem in der alten Satzung DSD noch mit "Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung" 'übersetzt', ist nun durchgängig von "Störungen" die Rede. Intersexuelle sind nun somit alle "geschlechtsentwicklungsmässig Gestörte". Vielen Dank auch.

2. "Vorstellung und Diskussion der Selbsthilfeinitiativen zur gesundheitlichen Versorgung der IS-Betroffenen"

Als nächstes standen Inputs unseres Vereins und der AGS-Eltern- und Patienteninitiative e.V. auf der Traktandenliste. Dieser mittlerweile etablierte Programmpunkt hat bekanntlich letztes Jahr in Bochum zu einem Eklat geführt, als bei einem sachlichen Referat von Frances Kreuzer über gesetzliche Vorgaben bei Kastration und Sterilisation diverse Mediziner und ein Psychologe pöbelnd und polternd den Saal verliessen (eins / zwei). Den Verantwortlichen war offensichtlich daran gelegen, eine Wiederholung dieses Skandals zu verhindern. Während ich meine Rede hielt, hörten alle gesittet zu und klatschten am Schluss.

Danach hielt Claudia Kreuzer ein kurzes Referat zu den Folgen der Fehlbehandlungen. Die anschliessend aufkeimende Diskussion wird aufgeregt kontrolliert, zu wenig Zeit und überhaupt ist jetzt Schluss mit Streiten. Nicht so einfach, wenn zum Beispiel die Endokrinologin PD Dr. med. Dagmar l'Allemand-Jander auf Claudias Ausführungen nichts Gescheiteres zu tun hat, als Intersexualität mit anderen chronischen Krankheiten zu vergleichen, die doch auch lebenslanger Behandlung bedürfen.

Auf Claudias Aufforderung, doch bitte zu erklären, was mit einem gonadektomierten XY-Zwitter geschieht, wenn er in der Pubertät mit Östrogenen 'therapiert' wird, weiss Dr. l'Allemand nichts zu antworten, ausser ein schnippisches: "Wollt ihr denn keine Behandlung?" Und: "Sie haben meine Frage nicht verstanden." Und um daraufhin zum Kastrationsvorwurf noch mit einer wegwerfenden Handbewegung zu sagen: "Das wird ja heute sowieso nicht mehr gemacht." (Nachtrag: Bericht einer von Dr. l'Allemand im Ostschweizer Kinderspital 'beratenen' Mutter.)

Ich darf noch kurz darauf hinweisen, dass ich erst nach der 'Behandlung' chronisch krank wurde, schon als Kind ein vermindertes Knochenwachstum hatte, dann heisst es schon wieder: bitte nicht, zu wenig Zeit – nein, nein, das geht nicht. Man darf nur einmal etwas sagen oder fragen und auf die Antwort darf keine Erwiderung folgen – zu wenig Zeit. Notabene obwohl Claudia ihr Referat kürzer als geplant hielt.

Als nächste referierte die 1. Vorsitzende Ursula Durant zum Thema "Wünsche der AGS-Initiative", die als erstes gleich betont, für sie habe AGS nichts mit Intersexualität zu tun. Die Initiative wird (wie schon der Name sagt) vor allem von Eltern und sich als PatientInnen Definierenden getragen. Diese sind in der Regel für Behandlungen und beschweren sich daher besonders darüber, dass es zu wenig Kompetenzzentren und Fachleute gibt. Zu Recht. Wenn behandelt werden, dann richtig.

Ganz klar auch die Ansicht der Mediziner in der nachfolgenden Diskussion: AGS-Menschen müssen behandelt werden, alles andere wäre Unrecht (gemeint ist nicht nur der Salzverlust, sondern auch die Genitaloperationen). Der AGS-Initiative ist denn auch der Ruf nach Selbstbestimmung ein Dorn im Auge. Was den Medizinern natürlich zupass kommt. AGS-Initiative als Pufferzone zwischen Medizinern und Kampfzwittern?

Generell stellen sich Mediziner unverändert auf den Standpunkt, dass das Gewebe beim Baby viel weicher ist und nicht so doll blutet, wenn man reinschneidet, weshalb eine frühe Operation hervorragende Resultate zeitigt. Dies sei auch für die Kinder das Beste, Kinderpsychologen würden bestätigen, das in den ersten zwei Lebensjahren behandelte Kinder sich an die Operationen nicht mehr erinnern und deshalb auch nicht traumatisiert würden. Noch mehr Entscheidungsdruck auf den Eltern. Zudem sei erwiesen, dass mit den neuen Operationsmethoden die Sensibilität zu 100% erhalten bleibt, das sei einfach so.

Aus Sicht der AGS-Initiative sind Operationen zwar nicht in jedem Fall unbedingt erforderlich, jedoch sei ab einer bestimmten Grösse der Klitoris die Lebensqualität massiv vermindert, die betroffenen Frauen würden ein Leben lang nie Fahrrad fahren, ja sogar lediglich auf einem Gummiring sitzen können. Kinder mit einer Gaumenspalte oder einem offenen Rückgrat würden auch schon als Babies operiert.

Hier wäre aus meiner Sicht wünschenswert, wenn betroffene AGS-Menschen, die sich im Gegensatz zur Initiative als "intersexuell" definieren, Stellung beziehen und auch mit der AGS-Initiative einen kritischen Dialog pflegen und/oder einen Argumentekatalog erarbeiten würden. Dies umso mehr, da sich abzeichnet, dass die Chirurgen nach den Protesten vor allem der AIS-Menschen sich bei diesen künftig eher zurückhalten, und sich dafür vermehrt auf Menschen mit AGS konzentrieren werden. Aus demselben Grund fände ich es auch wichtig, generell mit der AGS-Initiative kritisch und differenziert in Verbindung zu bleiben. Es gibt dort auch Eltern, die sich, wie zum Beispiel die 1. Vorsitzende Ursula Durant, trotz des Drängens der Ärzte gegen eine Operation ihrer Kinder entschieden. Und obwohl die Initiative sich explizit als nicht intersexuell definiert, gebe es dort einige Mitglieder, die vermännlicht seien, mit Bart und so weiter, und die nun unglücklich und allein in ihren Zimmern vor dem Computer leben würden, und denen offensichtlich niemand wirklich hilft.

4. Netzwerk-Forschungsprojekte

Als nächster Punkt standen "Kurzberichte aus den Forschungsprojekten" auf dem Programm. Zuerst berichteten Eva Kleinemeier und Martina Jürgensen (Lübeck) über den Stand der Auswertungsarbeiten in der Klinischen Evaluationsstudie "Medizinische und chirurgische Behandlungsergebnisse, psychosexuelle Entwicklung und gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Störungen der Geschlechtsentwicklung". Diese verwendet zum Teil dieselben Datensätze wie schon die Hamburger Studie. (Nachtrag: Dies ist ein Irrtum, es handelt sich um 2 unabhängige Studien, siehe Kommentar on Eva Hampel.) Erste Resultate in schriftlicher Form würden Anfang Oktober 2008 auf der Netzwerk-Homepage veröffentlicht. Die Studie hatte 439 Beteiligte, davon 3/4 Kinder und Jugendliche. Auch diese Lübecker Studie bestätigt einmal mehr die notorisch "hohe" Behandlungsunzufriedenheit. Insbesondere kritisierten Betroffene auch das "schlechte Informationsmanagement durch Ärzte/Ärztin". Während "Kinder und Jugendliche mit DSD" keine "vermehrten Verhaltensauffälligkeiten" zeigen würden, hätten "ca. 50% der Erwachsenen mit DSD [...] psychische/emotionale Probleme". Eltern von Betroffenen schätzen zudem deren Lebensqualität durchgehend besser ein als die Kinder selbst.

Bei den nachfolgenden Fachreferaten betrug meine partielle Verstehensresistenz mindestens 80%. Aber etwas ist mir dennoch geblieben: In einer Tabelle "Phänotypen und Häufigkeiten von Patienten mit 46,XY DSD ohne Nebenniereninsuffizienz und SF1-Mutationen" (Einteilung in vier Kategorien) steht: "Äusseres Genitale" = "Mikropenis", "Testes" = "Ja". Bei "Geschlecht" steht aber das biologische Symbol für "weiblich". Einmal mehr wird munter biologisches Geschlecht und zugewiesenes Geschlecht verwechselt bzw. gleichgesetzt. Was soll man dazu noch sagen?

5. Fazit

Trotz persönlichem Unwohlsein und Vorbehalten finde ich es wichtig, dass wir Zwitter auch künftig am Netzwerktreffen teilnehmen, den Medizinern in die Augen schauen und ihnen ins Gewissen reden. Auch wenn es illusorisch ist, davon gleich die grosse Veränderung zu erwarten. Über weite Strecken ist es ein abgekartetes Spiel, und wir waren nur die Alibi-Zwitter. Wir sind Störenfriede und Nervensägen mit unserem Gerede über Selbstbestimmung, Würde und Menschenrechtsverletzungen. Wir sind Dinosaurier, anstrengend wie alte Leute, die ständig vom Krieg erzählen – das wollen sie uns auf alle Fälle weismachen. Aber das ist ja nichts Neues. Ein paar Nette hat es ja trotzdem darunter – wie überall. Auch die Mediziner sind kein monolithischer Block. Es gibt verschiedene Fraktionen mit verschiedenen Interessen. Nicht alle finden es nur gut, wie über uns bestimmt wird.

Insofern finde ich es schon mal einen Fortschritt, dass die Mediziner sich mit unserer Anwesenheit abgefunden haben. Was sich für mich auch darin ausdrückte, dass die meisten der Verantwortlichen sich die Mühe nahmen, mich und die Delegation der AGS-Initiative persönlich zu verabschieden.

Auf der Sollseite bleibt festzuhalten, dass das Selbstbestimmungsrecht für Zwitter über weiteste Strecken nach wie vor kein Thema ist. Zwar geben die meisten Mediziner mittlerweile zu, dass "früher" gravierende Fehler gemacht wurden. Die zahlreiche Gruppe der Opfer dieser Fehler wird aber nach wie vor ignoriert und im Regen stehen gelassen. Beispielsweise ist es bis heute nicht selbstverständlich, dass Zwangskastrierte, die aus gesundheitlichen Gründen auf Testosteron angewiesen sind, dieses von der Krankenkasse erstattet kriegen, sondern sie müssen es oft selber bezahlen, und wer kein Geld hat, hat halt Pech. Wo Fehler gemacht wurden, müssten diese auch, soweit es geht, wiedergutgemacht werden (siehe auch Forderungsliste). Psychologische Betreuung für Eltern und Betroffene ist immer noch für die wenigsten überhaupt ein Thema, Peer Support jedoch sogar für diese wenigen nach wie vor ein absolutes Fremdwort – oder zumindest tun sie so. Zwar haben wir an alle Anwesenden nochmals eine Forderungsliste verteilt, ob diese aber auch gelesen und zur Kenntnis genommen werden wird, steht auf einem anderen Blatt.

Bezeichnend auch, dass jetzt, wo die Forschungsgelder auslaufen, viele Mitglieder kurzfristig gar nicht mehr erst ans Treffen kamen. Deshalb blieb vom reichhaltigen Mittagsbuffet jede Menge übrig. Gut, dass wir eine grosse Plastikbox dabei hatten ...

Nella

Siehe auch: Rede 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008

Tuesday, August 19 2008

"Intersex Infant - Surgical Abuse" - Video

Gratuliere, es ist ein Zwitter!Bewegender Fernseh-Clip (leider nur auf englisch) über einen jungen Zwitter und wie seine Eltern ihn durch ihre hartnäckige Entschlossenheit vor der genitalen Zwangsoperation retten konnten. Prompt kamen ihnen die Medizyer als nächstes mit der "Krebslüge". Als die Eltern schliesslich in eine Biopsie einwilligten, kastrierten die Medizyner das Kind stattdessen kurzerhand mit der Begründung, der Hoden sei "entartet" gewesen -- obwohl die anschliessende Gewebeuntersuchung "normales, gesundes Hodengewebe" ergab. Die Eltern wollen nun gegen die Medizyner vorgehen. --> Video gucken hier oder ins Bild klicken

Tuesday, July 29 2008

Deutsche Apotheker verhöhnen Zwitter

Einerseits ist es ein gutes Zeichen, wenn die Werbung sich auf die Zwitter zu besinnen beginnt. Weil es zeigt, dass "Des Zwitters Sieg" (Stern) und die auf Christianes Prozess folgende, nach wie vor anhaltende Zwitter-Medienoffensive bei "Otto Normalverbraucher" mittlerweile genug angekommen ist, dass die "Werbefritzen" ihren Niederschlag im öffentlichen Unbewussten als Potenzial für eine Kampagne einschätzen -- und ihrerseits als Echokammer aktiv werden.

Jeder zusätzliche Kanal, auf dem Zwitter irgendwie im Programm sind, ist zum jetzigen Zeitpunkt, wo das Zwitter-Tabu bestenfalls gut angeknackst ist, erstmal ein guter Kanal.

Andrerseits zeigt die Schock-Kampagne der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ABDA (Flyer als PDF / Pressemitteilung / dpa-Meldung) drastisch, dass es mit der öffentlichen Anerkennung von zwischengeschlechtlichen Menschen immer noch grad mal so weit her ist, dass (nicht nur) die "Werbefritzen" und ihre Auftraggeber offensichtlich das Gefühl haben, auf dem Buckel der Zwitter könnten sie quasi wie einst im Wilden Westen mit allem ungestraft durchkommen. Auch noch mit Werbung auf Kosten der Opfer von medizinischen Zwangsbehandlungen wie z.B. Christiane. Die Fotomontage, welche die ABDA als Mittel zum Erregen der Aufmerksamkeit für ihre Kampagne benutzen, wiederspiegelt genau Christianes Schicksal, die von einem gewissenlosen Medizyner- und Pharmabetrieb ohne ihre Einwilligung zwangsvirilisiert wurde.

Mit Verlaub, dieses Appellieren an den "Anti-Zwitterreflex" in in der Bevölkerung als Mittel zur Bekämpfung von importbedingten Umsatzeinbussen ausgerechnet durch die Deutschen Apotheker (bei denen die meisten Zwitter nach der "prophylaktischen" Zwangskastration ein Leben lang künstliche Ersatzhormone kaufen müssen, oft aus eigener Tasche!) zeugt nicht nur von fraglichem Geschmack. Sondern ist eine klare Verletzung der Menschenwürde aller Zwitter! Und, so nebenbei, der Menschenwürde aller Trans*menschen auch.

Beschwerden bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ABDA durch zwischengeschlechtliche Menschen führten bisher zu keiner Besserung -- im Gegenteil, die betroffenen Menschen wurden auch noch telefonisch direkt verhöhnt!

An diesem Beispiel wird sich zeigen, ob die Bundesdiskriminierungsstelle usw. wirklich etwas taugen. Oder dasselbe verdienen wie "die Bundesregierung".

Nachtrag: Siehe auch Thread im Vereinsforum.

Thursday, July 10 2008

Christiane Völling: Chirurg blitzt mit Berufung ab!

Wie Christiane Völling mitteilt, tagte das Oberlandesgericht Köln am 30.6.2008 hinter verschlossenen Türen, um über das weitere Verfahren im Prozess gegen ihren damaligen Operateur zu befinden. Dieser war am 6. Februar vor dem Landesgericht Köln in erster Instanz zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt worden, weil er der zwischengeschlechtlichen Christiane Völling ohne ihre informierte Einwilligung gesunde Eierstöcke und Gebärmutter entfernt hatte, die angeblich "entartet" gewesen seien.

Inzwischen hat Christiane nun die Verfügung vom OLG Köln erhalten und schreibt:

Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück zu weisen.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Das Berufungsvorbringen nötigt nicht zu weiterer Sachaufklärung oder ergänzender Beweiserhebung oder zu weiterer mündlicher Verhandlung.

Der Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen......

Der fehlbare Chirurg, der Christiane Völling ohne ihre informierte Einwilligung die inneren Geschlechtsorgane entfernte und sich dabei auf "Krebsgefahr" berief, blitzt also auch vor dem OLG ab!

Aber noch ist es nicht ausgestanden. Der Chirurg kann immer noch auf einer mündlichen Verhandlung vor Oberlandesgericht bestehen. Eine rechtskräftige Verurteilung hätte Folgen nicht nur für ihn, sondern auch für sämtliche Kliniken und alle seiner Standesgenossen, für die menschenrechtswidrige Zwangsoperationen auch an Kleinkindern nach wie vor Standard sind. Es ist deshalb zu befürchten, dass der Chirurg weiterhin auf Zeit spielen wird um eine rechtskräftige Verurteilung um jeden Preis zu vermeiden.

Einmal mehr muss Christiane Völling mehrere Wochen abwarten ...

Nachtrag: Bericht in der Aachener Zeitung vom 29.7. Der Chirurg habe eine Frist bis 15. August ...

Fortsetzung:  >>> Kölner "Zwitterprozess" - Christiane siegt definitiv auch in 2. Instanz

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Bericht 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG

Sunday, July 6 2008

Chefarzt Marcus Schwöbel: genitale Zwangsoperationen an Kindern der "normale Weg"

PD Dr. med. Marcus-Georg Schwöbel, Chefarzt der Abteilung Kinderchirurgie des Kinderspitals Luzern, nennt in der Presse gern die goldene Zahl von "rund 50" genitalen Zwangsoperationen -- Pardon: "geschlechtszuweisenden Behandlungen" --,  an denen er bisher "beteiligt" war. (1)

mehr --> http://kastrationsspital.ch

Friday, July 4 2008

Ein weiterer "Experte" ohne Ahnung ...

... der mutwillig inter und trans nicht unterscheiden kann (oder will): Der "international renommierte Reproduktionsmediziner und Männerkundler Prof. Dr. Eberhard Nieschlag" nennt den Transsexuellen Thomas Beatie, der ein Kind gebar, eine "Frau mit einem intersexuellen Problem."  www.welt.de (Naja, die Tendenz des Artikels ist auch sonst ziemlich bezeichnend ...)

(Gefunden via Intersex-Feed des genderfree-blogs.)

Saturday, May 31 2008

Lübeck: Klinikdirektor propagiert genitale Zwangsoperationen an Kindern!

Prof. Dr. med. Lucas Wessel (Bild links), Direktor der Klinik für Kinderchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Lübeck, und Privatdozent Dr. med. Lutz Wünsch (Bild rechts), Oberarzt ebenda, reihen sich beide ein in die "Alte Garde der unverbesserlich zwangsoperationsgeilen Medizyner" ...

Weniger als 4 Monate nach der Veröffentlichung der "Hamburger Studie", die einmal mehr nachwies, dass die Behandlungsunzufriedenheit zwangsoperierter Zwitter "eklatant hoch" ist (Zitat Fachzeitschrift Gynäkologische Endokrinologie -- zwei Drittel aller befragten Zwangsbehandelten sind "z.T. unzufrieden" bis "sehr unzufrieden"!!!), behaupten die ehrenwerten Zwangsoperateure in einem Artikel Chirurgische Strategien bei Störungen [sic!] der Geschlechtsentwicklung vom 1. März in der Monatsschrift Kinderheilkunde einfach frech das Gegenteil:

"[G]eschlechtsangleichende Genitalkorrektur[en]"
, nicht nur von Wessel und Wünsch mit Vorliebe "im ersten Lebensjahr" ohne Einwilligung der Patient_innen durchgeführt, seien nämlich "[t]rotz vieler ungelöster Probleme [...] überwiegend hilfreich"! Fragt sich bloss, für wen ...

Schlimmer noch, blindlings und stur beharren sie darauf, diese medizinisch unnötigen genitalen Zwangsoperationen weiterhin an wehrlosen Säuglingen durchzuführen, obwohl sie indirekt selber zugeben, dass die "Langzeitergebnisse" für die Patient_innen bisher alles andere als optimal sind:

Verbesserte Technik und Durchführung im ersten Lebensjahr lassen bessere Langzeitergebnisse erwarten, auch wenn entsprechende Studienergebnisse noch konsolidiert werden müssen.

Offensichtlich betrachten Wessel, Wünsch und Konsorten Zwitter als 'Menschenmaterial', mit dem sie nach eigenem Gutdünken experimentieren dürfen ... Hauptsache, sie können auch künftig nach Lust und Laune an wehrlosen Säuglingen ungestraft weiter zwangsoperieren ...   :-(  :-(  :-(

Noch der einzige Lichtblick des Artikels, dass nämlich laut Wessel und Wünsch "Indikation und Zeitpunkt" der prophylaktischen Zwangskastrationen (wegen angeblicher Krebsgefahr) neuerdings "dem individuellen Tumorrisiko angepasst werden" müssten, hinterlässt einen ziemlich bitteren Nachgeschmack, wenn mensch bedenkt, wie dieses "individuelle Tumorrisiko" in (nicht nur) deutschen Kastrationskliniken in der Regel bestimmt wird: noch im Jahre 2008 falls überhaupt, dann anhand von seit Jahrzehnten veralteten, pauschalen "Erkenntnissen" und "Risikozahlen" ...   :-(  :-(  :-(

Nicht gesundheitsrelevante Zwangsbehandlungen (wozu kosmetische genitale Zwangsoperationen und auch prophylaktische Zwangskastrationen fraglos zählen) sowie Aufrufe dazu verstossen gegen die Menschenwürde und gehören straf- und zivilrechtlich geahndet!

Friday, May 30 2008

Nach Kritik auf diesem Blog: Urologen erklären Zwangs-Leitlinien für veraltet!

Auf diesem Blog und auf dem IS-Menschen-Forum wurden die menschenverachtenden "Leitlinien" der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) "Störungen der sexuellen Differenzierung", die genitale Zwangs-OPs und Zwangskastrationen für Zwitter vorschreiben, vor gut einer Woche scharf kritisiert -- mit ungeahnten Folgen:

Mittlerweile wurden diese beschämenden "Leitlinien" rückwirkend auf Februar 2008 ausser Kraft gesetzt!

Wer sie unter dem ursprünglichen Link anklicken will, erhält lediglich noch eine 404-Fehlermeldung "Nicht gefunden". Stattdessen wurden sie am 26.5. klammheimlich in die Liste der "nicht aktualisierte[n] Leitlinie[n]" verbannt mit dem rückwirkenden Hinweis "gültig bis: 01/2008". (Nachtrag 17.3.09: Mittlerweile heisst's auch dort nur noch "404 not found". >>> online hier im Archiv Auf der AWMF-Leitlinienpage heisst es dazu: "Nicht aktualisierte Leitlinien werden von der AWMF nicht mehr publiziert. Falls Sie ältere Leitlinien suchen, fragen Sie bitte die herausgebende(n) Fachgesellschaft(en)." )

Da sag ich zur Abwechslung mal: "Danke, Danke, Danke!" (Und geh schon mal was entkorken ...)

Bleibt zu hoffen, dass dieses für-veraltet-erklären nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt, sondern auch konkrete Auswirkungen auf die tägliche Urologen-OP-Praxis haben wird!

Und dass die "Leitlinien" gelegentlich kompetent überarbeitet (z.b. anhand der Überlegungen der Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität „Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“) und dann wieder online gestellt werden!

Holzauge bleib wachsam ...

Siehe auch:
- "Netzwerk DSD": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure
- "Netzwerk DSD"-Chef Olaf Hiort: "keine Qualitätskontrolle" bei Zwangsoperationen an Zwittern
- Erste Antwort auf die neuen kleinen Anfragen – Bundesregierung deckt ZwangsOPs wie üblich ...
Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert

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