Die Mediziner

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Monday, August 31 2009

Keine Zwangsoperationen mehr in Biel? - Berner Zeitung, 17.8.09

Gratuliere, es ist sein Zwitter!Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Den ganzseitigen Artikel in der BZ von Andrea Sommer anlässlich der Aktion am Inselspital Bern schätzen mehrere Beteiligte als den insgesamt gelungensten ein. Dies wohl nicht zuletzt wegen der zusätzlichen Kästen zu Christianes Prozess und zum Offenen Brief, sowie wegen eines Aufsehen erregenden Interviews mit der Chefärztin der Kinderklinik in Biel, das wir nachfolgend dokumentieren:

>>> online bei der Berner Zeitung

«Betroffene sollen wählen»

Die Chefärztin der Bieler Kinderklinik Wildermeth wehrt sich gegen den Zwang zum eindeutigen Geschlecht.

In ihrer Aktion vor dem Inselspital von gestern prangerte die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org die Praxis der Zwangsoperationen an. Auch heute noch würden Kleinkinder unklaren Geschlechts mit dem Skalpell und ohne ihre Einwilligung zu Mädchen oder Buben gemacht.

Dass es auch anders geht, zeigt die Kinderklinik Wildermeth in Biel. Chefärztin Christine Aebi ist auf Kinderendokrinologie spezialisiert, also auf die Lehre der Hormone. Aebi wehrt sich gegen den Zwang zum eindeutigen Geschlecht. "Ob Mann oder Frau, das wird nicht allein durch das äussere Geschlecht bestimmt, sondern auch durch den Gender, also das innere Fühlen als Frau oder Mann."

Bei Säuglingen mit unklarem Geschlecht werde eine Chromosomenanalyse durchgeführt, die Aufschluss darüber gebe, ob das Kind eher ein Bub oder ein Mädchen ist, sagt Aebi. "Unabhängig vom Resultat raten wir den Eltern, zu warten, bis ihr Kind sein Geschlecht selber wählen kann." Die Eltern würden dies akzeptieren, sagt Aebi. "Natürlich brauchen sie dann Begleitung durch Fachleute." Laut Aebi ist eine Operation einzig aus gesundheitlichen Gründen angebracht. "Etwa dann, wenn es durch die Ausbildung der Geschlechtsorgane zu Infektionen der Nieren kommt oder der Stuhlgang behindert wird."

Aebi ist seit zehn Jahren Chefärztin der Kinderklinik Wildermeth. Davor praktizierte sie länger in Kanada. "Dort ist die Politik jene, dass man die Kinder sein lässt, wie sie geboren wurden, bis sie selber entscheiden können", so Aebi. In anderen Kulturen seien intersexuelle Menschen akzeptierter als in unseren Breitengraden. Etwa in Indien. Aebi: "Dort geht man davon aus, dass der Mensch gespalten wurde und das Weibliche und Männliche wieder in sich vereinen muss. Kommt ein zwischengeschlechtliches Kind zur Welt, dann ist dies ein Geschenk."

(Berner Zeitung, 17.08.2009, S. 19)

Solche Aussagen von MedizinerInnen wie die obigen von Christine Aebi machen immer froh und sind Anlass zu Optimismus und (Vor-)Freude auf eine bessere Zukunft – auch für kleine Zwitterkinder. Danke!!!

Ihrer Homepage nach verfügt die Bieler Kinderklinik Wildermeth gar nicht (mehr?) über eine urologisch-kinderchirurgische Abteilung, die auch Zwangsoperationen vornimmt.

Bleibt zu hoffen, dass auch diejenigen Spitäler, die nach wie vor Zwangsoperationen anbieten (in der Schweiz sind dies die Kinderspitäler in Basel, Bern, Lausanne, Luzern, Genf, St. Gallen und Zürich), endlich zur Besinnung kommen ...  

>>> Aktion & Offener Brief Inselspital Bern 16.8.2009

Wednesday, August 19 2009

GPGF Basel 10.-12.09.09: Stop Vereinnahmung des Zwittersymbols im Namen von "Gender" und "Psychiatrie"!

Wem gehört das Zwittersymbol?"Nature vs. Nurture" hat für Zwitter einen besonders bitteren Geschmack: Schliesslich wurde und wird dieser "theoretisch-akademische Diskurs" seit Jahrzehnten und bis auf den heutigen Tag buchstäblich an ihren zwangsoperierten Körpern ausgetragen.

Demnächst einmal mehr am "9. Kongress der interdisziplinären Gesellschaft für die psychische Gesundheit von Frauen und Genderfragen (GPGF)", heuer unter dem Motto "Gender – Psyche – Lebensphasen", dessen Eröffnungstag ganz dem Thema gewidmet ist: "Geschlechtsidentität: nature oder nurture?" Darin zentral platziert ein Referat von Hertha Richter-Appelt (--> "Hamburger Studie") mit dem Titel "Geschlechtidentität bei XY-Frauen und XX-Männern" (>>> Programm).

Continue reading...

Sunday, August 16 2009

Genitale Zwangsoperationen im Inselspital Bern

Menschenrechte auch für Zwitter!

Was 99% der Zwitter erlebt haben, ist verwandt mit sexuellem Missbrauch, ist verwandt mit Folter, ist verwandt mit Mädchchenbeschneidungen in Afrika, ist verwandt mit den medizinischen Experimenten, wie sie im 2. Weltkrieg in KZ‘s durchgeführt wurden

Wie in Basel, Lausanne, Luzern, Genf, St. Gallen und Zürich werden die Zwangsbehandlungen auch im Inselspital experimentell durchgeführt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne Qualitätssicherung und ohne jegliches Monitoring. Offiziell wird nicht einmal bekannt gegeben, wie viele und welche Eingriffe wo stattfinden.

Prof. Dr. med. Primus Mullis, Abteilungsleiter für pädiatrische Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, Medizinische Universitäts-Kinderklinik Bern, liess 2007 noch gönnerhaft durchblicken, "unter den Ärzten [wachse] die Bereitschaft, ein unbestimmtes Geschlecht auch einmal sein zu lassen" (Das Magazin 36/2007).

Zacharias Zachariou, Direktor der Kinderchirurgie des Inselspitals, betonte demgegenüber, wie wichtig es sei, "möglichst in den ersten zwei Jahren nach der Geburt zu einer Entscheidung zu kommen" – gefolgt von der klassischen 'Begründung': "Stellen Sie sich einmal den psychischen Druck für ein Kind vor, das nicht weiss, ob es ein Knabe oder Mädchen ist. Oder wenn es mit den Jungs in die Umkleidekabine geht und die anderen sehen, dass es keinen Penis hat!" (NZZaS 13.07.2008)

Aufgeschreckt durch die zunehmende Medienpräsenz unzufriedener Zwangsoperierter schwenkte Primus Mullis wenige Monate später gänzlich um und behauptete plötzlich: "Hier werden keine Zwangsoperationen durchgeführt." Um dann im selben Atemzug als "Ausnahme in kosmetischer Hinsicht" diejenigen "Mädchen" zu nennen, die mit dem so genannten adrenogenitalen Syndrom geboren werden: "Die oft vergrösserte Klitoris werde wegen des sozialen Stigmas verkleinert." Bezeichnenderweise handelt es sich bei der "Ausnahme" AGS-"Mädchen" um die zahlenmässig grösste "Patientengruppe". (Der Bund 15.11.2008)

Fazit: Wie überall in der Schweiz werden auch im Inselspital nach wie vor wehrlose Zwitterkinder genital zwangsoperiert!

>>> Aktion & Offener Brief Inselspital Bern 16.8.2009

Wednesday, July 15 2009

Intersexuelle Menschen e.V. distanziert sich stillschweigend vom "Netzwerk DSD"

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!Seit längerer Zeit steht der Verein "Intersexuelle Menschen e.V." von verschiedenen Seiten in der Kritik für sein unkritisches Verhältnis gegenüber dem "Netzwerk DSD/Intersexualität". Dies umso mehr, als durch das "Netzwerks DSD" zigfach Versprechen gebrochen und zentrale Anliegen der Zwitter demonstrativ nicht zur Kenntnis genommen wurden. Nun stoppte der Verein seine öffentliche Unterstützung des Netzwerkes – allerding ohne dies publik zu machen oder sonst irgend eine öffentliche Kritik zu formulieren.

Das "Netzwerk Intersexualität" (wie das heutige "Netzwerk DSD" ursprünglich hiess) existierte von 2003-2008. Es war ausschliesslich bundesfinanziert durch das BMBF und entstand nicht zuletzt auf Grund eines Antrags 14/6259 der Bundestagsfraktion DIE LINKE vom 12.06.2001 (>>> mehr).

In diesem Antrag wurde bereits festgelegt, dass das Netzwerk nicht selbstherrlich operieren darf, sondern "Interessenvertretungen von Intersexuellen" einbeziehen muss. Namentlich aufgeführt wurde im Antrag die von Michel Reiter mitbegründete "AGGP[G] (Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie)". Leider existierte diese bereits nicht mehr, als das "Netzwerk" schliesslich in die Gänge kam, und die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Selbsthilfegruppen waren entweder den Medizynern gegenüber allzu unkritisch ("AGS Eltern- und Patienteninitiative") oder der dem "Netzwerk" offensichtlich nicht gewachsen, um wirksam Paroli bieten zu können ("XY-Frauen", "Intersexuelle Menschen e.V.").

Im Gegenteil wurden insbesondere von Mitgliedern des aktuellen Vorstands von "Intersexuelle Menschen e.V." jahrelang jegliche konkreten Bestrebungen abgeklemmt, das "Netzwerk Intersexualität/DSD" endlich in die Pflicht zu nehmen und falls nötig auch öffentlich und politisch unter Druck zu setzen. Dies jeweils nach dem Motto "Wir haben den Fuss in der Türe, wir dürfen jetzt nicht zu laut auftreten, sonst verlieren wir alles" (ohne jeweils kritisch zu überprüfen, woraus dieses "alles" überhaupt bestand). So liessen sich Delegierte des Vereins eins ums andere Mal vom "Netzwerk" zu neuen Aussprachen und "Elefantenrunden" einladen, wo eins ums andere Mal schöne mündliche Versprechungen gemacht wurden, denen allerdings nie Taten folgten (oder nur schon ein versprochenes schriftliches Protokoll mit den Zusagen in schriftlicher Form).

Da das Netzwerk ausschliesslich von öffentlichen Geldern des BMBF finanziert wurde, hätte öffentlicher und politischer Druck durchaus Wirkungen zeigen können. Stattdessen legitimierte der Verein das "Netzwerk" jahrelang öffentlich mit folgender Ankündigung auf seiner Homepage:

Welches sind die Ziele von Intersexuelle Menschen e.V.?

[...] Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Akquisition von Fördergeldern der öffentlichen Hand zur Unterstützung der Arbeit sowohl von Intersexuelle Menschen e.V., als auch der einzelnen Selbsthilfegruppen und deren Mitglieder.
Zudem streben wir eine enge Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Intersexualität an, das im Rahmen des Förderprogramms „Seltene Erkrankungen“ beim Bundesministerium für Bildung und Forschung gegründet wurde und die Forschungsanstrengungen unterschiedlicher Teams von Wissenschaftlern im Bereich der Intersexualität bündelt (www.netzwerk-is.de).

Insbesondere der letzte Satz wurde von verschieden Aktivist_innen seit längerem kritisiert.

2009 ist nun die Netzwerkfinanzierung ausgelaufen und das ehemalige "Netzwerk" damit Geschichte. Anfang Jahr wurde deshalb die Nachfolgeorganisation "Netzwerk DSD" aus der Taufe gehoben, die Gelder fliessen nun vornehmlich aus EU-Kassen via die inzwischen ebenfalls neu gegründete Orgnisation "Euro DSD" (Olaf Hiort, 1. Vorsitzender des "Netzwerk DSD", ist auch bei "EuroDSD" der verantwortliche "Koordinator").

Ironie des Schicksals: Just nun, wo es nix mehr bringt, wurde im letzten Frühjahr schliesslich doch noch zunächst der oben zitierte, kritisierte Satz von der IMeV-Vereinspage entfernt, dito auch von der XY-Frauen-Page. (Mittlerweile wurde auf der Vereinshomepage auch der Rest des Abschnitts gestrichen.)

Dies alles klammheimlich, ohne dass es je öffentlich erklärt oder begründet wurde, geschweige denn, dass das "Netzwerk DSD" jemals öffentlich für seine gebrochenen Versprechen und das Unterlassen jeglicher konkreten Hilfe für geschädigte Zwitter angeprangert oder gar zur Rechenschaft gezogen wurde.

Die Medizyner freut's ...

Siehe auch:
- Wie das "Netzwerk Intersexualität/DSD" seine Versprechen bricht     
- Netzwerk DSD/Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert
- Mein Rücktritt als 1. Vorsitzende von Intersexuelle Menschen e.V.
- 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008 
- "Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000

Friday, July 10 2009

"Intersexualität" = "sexuelle Identität und Lebensweise"??! – Grüne VereinnahmerInnen immer noch nichts gelernt

Im Bundestag stellen die Grünen einen >>> Antrag "Für einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie" (PDF). An und für sich eine gute Sache. Schlichtwegs unerträglich ist jedoch, wie die Grünen dabei einmal mehr die Leiden genital zwangsoperierter Zwitter für LGBT-Partikularinteressen instrumentalisieren.

Auch im fraglichen Antrag sind die Zwitter einmal mehr bloss als obligates Schlusslicht kommentarlos "mitgemeint" und die Grünen behaupten gar erneut, Zwitter seien kein biologisch-körperliches Geschlecht, sondern lediglich eine besondere Form von "sexueller Identität und Lebensweise". Diese unsägliche Vereinnahmung muss endlich aufhören!

Die genitalen Zwangsoperationen und sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffe an Zwittern sind die wohl gravierendste Menschenrechtsverletzung in den "westlichen Industrienationen" seit dem 2. Weltkrieg – in Ausmass, Umfang, Schwere und Systematik wirklich nicht zu vergleichen mit den vergleichsweise klar "harmloseren" Diskrimierungen, denen LGBTs ausgesetzt sind.

Nach wie vor wollen die Grünen das um keinen Preis wahrhaben, sondern versuchen stur nach dem Motto "bei LGBT 'mitgemeint'" die Zwangsoperationen usw. unter den Tisch zu wischen und stattdessen sich selbst auf Kosten der zwangsoperierten Zwitterkinder politisch zu profilieren. Nach wie vor ist DIE LINKE die einzige Partei, die bisher zugunsten der Zwitter im Bundestag konkrete Vorstösse startete – immerhin 7 in den letzten 13 Jahren (eins / zwei / drei).

Allen jahrelangen Lippenbekenntnissen und schönen Versprechen zum Trotz haben die Grünen bis heute zur Beendigung der massivsten Menschenrechtsverletzungen an Zwittern auf Bundesebene noch KEINEN EINZIGEN konkreten Schritt unternommen!

Stattdessen missbrauchen die "Gender- und QueerspezialistInnen" der Grünen, allen voran immer wieder Volker Beck und Irmingard Schewe-Gerigk, die Leiden der Zwitter regelmässig dazu, ihre eigenen LGB-Anliegen voranzutreiben, und degradieren die Zwitter dazu in steter Regelmässigkeit als (oft nur "mitgemeintes") Anhängsel ihrer eigenen Partikularinteressen. Falls sie "Intersexuelle" überhaupt erwähnen, dann STETS und IMMER in der anscheinend gottgegebenen Reihenfolge als Schlusslicht.

So auch einmal mehr in einem aktuellen Antrag >>> "Für einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie" (PDF).

"Intersexuelle" werden darin 7 mal erwähnt, und zwar – Überraschung! – JEDES MAL und AUSSCHLIESSLICH als kommentarlos mitgemeintes Anhängsel unter "Lesben,  Schwulen,  Bisexuellen und trans-  oder  intersexuellen Menschen"!

Dabei entblöden sich die Grünen weiter, die Zwitter dabei JEDES MAL und AUSSCHLIESSLICH kommentarlos unter "sexuelle[...] Identitäten und Lebensweisen" (S. 2 2x, S. 3 2x) einzubinden.

Während die Grünen in ihrem Antrag für "Schwule, Lesben und Transgender" bzw. für "Lesben, Schwule,  Bisexuelle und Transsexuelle" eine Vielzahl konkreter Anträge stellen, bleiben die Zwitter punkto konkrete Anträge einmal mehr KOMPLETT aussen vor, genitale Zwangoperationen und das dauernd missachtete Recht auf körperliche Unversehrtheit werden KEIN EINZIGES MAL angesprochen.

Dies alles ist umso beschämender, nachdem nun immerhin der LSVD inzwischen mit einem konkreten Wahlprüfstein zugunsten von "Menschenrechte auch für Zwitter!" ein konkretes Beispiel gesetzt hat, wie's auch anders geht. Nur haben die Grünen offensichtlich auch das verpennt ... Stattdessen verbrüdern sie sich noch mit den menschenverachtenden Zwangsoperateuren!

Wetten, dass sich das alles ziemlich schnell ändern würde, wenn von den grünen VereinnahmerInnen mal ein paar am eigenen Leibe genital zwangsoperiert oder nur schon zwangskastriert würden??!!

Gefunden via Bundestags-Suchmaschine zu "Intersexualität":
http://suche.bundestag.de/searchAction.do?queryAll=&queryOne=intersexuell+intersexuelle+intersex

Siehe auch:
-
- "Intersexualität" = sexuelle Orientierung??! 
- Lauter leere Versprechungen: Fachgespräch der Grünen 27.5.09
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert – Grüne wollen nix gemerkt haben
- Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen: Yogyakarta untaugliches Instrument
- QueerGrün missbrauchen Zwittersymbol für TSG-Kampagne
- "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?"      

Thursday, July 9 2009

Protokoll 2. Ausschusssitzung Hamburg: Laut Senat für Zwitter Geschlechtseintrag "Nicht bekannt" jetzt schon möglich

Das >>> Protokoll zur 2. Sitzung (PDF) des Ausschusses für Gesundheit und Verbraucherschutz zum Thema "Politischer Handlungsbedarf bei der Regelung für ärztliche Behandlungen von Hermaphroditen" vom 2. Juni 2009 ist jetzt erhältlich. Es handelt sich um die Nachfolgesitzung der Anhörung vom 29. April 2009 zum selben Thema. Schwerpunkt waren diesmal Stellungnahmen des Senats zu den Ergebnissen der Anhörung.

Die Bombe war zweifellos, nach Auffassung des Senats sehe

das Personenstandsgesetz in Deutschland [...] aktuell keine Verpflichtung vor, bei der Anmeldung des Kindes nach der Geburt auch das Geschlecht festzulegen. Wenn das Geschlecht zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt sei, könne dies auch so eingetragen werden. Es werde derzeit eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz diskutiert, nach der auch der Eintrag beim Standesamt, dass das Geschlecht nicht festgestellt sei, zulässig sei. Es werde danach keine Frist gesetzt, innerhalb der das Geschlecht festgelegt werden müsse. (S. 3)

Sieht fast so aus, als würde der seinerzeitige Prozess von Michel Reiter um Anerkennung eines 3. Geschlechtseintrags "zwittrig" doch noch späte Früchte tragen, obwohl er seinerzeit in 2 Instanzen unterlag ...

Nachtrag: >>> Thread dazu im Hermaphroditforum

Nach wie vor zu keinen konkreten Stellungnahmen durchringen kann sich der Senat auch betreffend der von RechtsexpertInnen und EthikerInnen weitgehend unbestrittenen Widerrechtlichkeit der genitalen Zwangsoperationen und Zwangskastrationen an Zwittern (vgl. auch seine wirklich beschämenden Antworten auf die Grossen Anfragen). 

Einmal mehr versteckt er sich hinter den nicht minder beschämenden Ausreden der Bundesregierung und führt weiter insbesondere die auf diesem Blog bereits eingehend kritisierte, nebulöse aktuelle AWMF-Leitline mehrfach ins Feld, die aus durchsichtigen Gründen u.a. behauptet, eine klare Trennung von "kosmetische" vs. medizinisch indizierte Operationen sei angeblich nicht möglich (AWMF-Leitlinie, "Chirurgische Therapie"). Tatsache ist demgegenüber, dass die weitaus häufigsten Eingriffe, die sog. "Klitorisreduktionen" und "Penisaufrichtungen" klar ausschliesslich kosmetisch sind, während lediglich Operationen medizinisch indiziert sind, wenn es z.B. darum geht, einen blockierten Harnabfluss zu ermöglichen, oder bestehende (und nicht medizynerseits eingebildete!) Tumore zu entfernen.

Auf die Stichworte "Menschenrechtsverträge" und "UNO" waschen sich die Delegierten des Senats die Hände wie gehabt in Unschuld rsp. in der altbewährte Zauberformel "sei ihnen nicht bekannt", garniert mit den üblichen schönen Ankündigungen: "Es müsse überprüft werden, ob es Auswirkungen auf deutsche Regelungen gebe." (S. 5)

Empörend auch, wie der Senat ohne Belege behauptet, "Die Einschätzung der Mediziner dazu [= Notwendigkeit medizinischer Eingriffe] habe sich in den letzten Jahren dramatisch verändert." (S. 2) Tatsache ist, noch die frisierte Version der "Lübecker Studie" belegt, dass nach wie vor 87% der Kinder zwischen 4 und 12 Jahren genital zwangsoperiert sind, über ein Viertel davon hat 3 und mehr Zwangsoperationen hinter sich! (Zum Vergleich: Von den heute Erwachsenen sind 90% genital zwangsoperiert, davon ebenfalls über ein Viertel mindestens 3 mal.) (Tabelle "Operationen nach Altersgruppen", S. 4)

Einmal mehr verbreitet der Senat ungehemmt das Medizynermärchen, Zwangskastrationen an Intersexuellen seien gar keine Kastrationen und würden deshalb nicht unter das "Kastrationsgesetz" fallen (S. 6). Tatsache ist, die Medizyner selbst sprechen oft genug von "Castratio", und auch die heute eher favorisierte Umschreibung "Gonadektomie" bedeutet dasselbe.

Auch in Sachen Statistiklüge hält es der Senat strikt mit den Medizynern, indem er ungeniert widersprüchliche Angaben zur Häufigkeit von Zwittern von sich gibt und ansonsten alles lieber weiterhin im Ungewissen belässt rsp. auf die strikt "individuelle Betrachtung des Einzelfalls" beschränkt haben will (S. 2), statt der Sache endlich auf den Grund zu gehen und verlässliche Zahlen zu beschaffen sowohl zum Vorkommen wie auch der "Behandlung" der Zwitter, sowie auch zum Verhältnis kosmetische vs. wirklich medizinisch notwendige Eingriffe.

Bezeichnend auch, wie der Senat pauschal weiter behauptet, "Formalrechtlich könnten Eltern ihre Einwilligung zu Operationen jeder Art geben", sowie, "es gebe nur einen Eingriff, nämlich die Sterilisation, zu dem die Eltern ihre Einwilligung nicht erteilen könnten" (die dann bei den Zwittern laut Senat ja gar keine Sterilisation bzw. Kastration ist, siehe oben). Ähm, schon mal was von übergeordneten Menschenrechten gehört, oder vom Grundgesetz auf körperliche Unversehrtheit?! Für den Senat offensichtlich alles "nicht bekannt[e]" Fremdwörter, bzw. auf Zwitter anscheinend nicht anwendbar.

Fazit: Es ist noch ein weiter Weg für die Urforderung dieses Blogs "Menschenrechte auch für Zwitter!", und ohne massiven zusätzlichen politischen, öffentlichen und juristischen Druck bleibt das wohl schlicht eine Fata Morgana bzw. ein frommer Wunschtraum.

Siehe auch:
- Hamburg: Ausschuss-Protokoll + Nachfolgesitzung 2.6.09 
- "Netzwerk DSD"-Chef Olaf Hiort: "keine Qualitätskontrolle" bei Zwangsoperationen an Zwittern 
- Hamburger Senat reiht sich ein unter die MittäterInnen
- Antwort der Bundesregierung zur 2. Kleinen Anfrage – Leugnen, Wegschauen, Schweigen wie gehabt ...   

Wednesday, July 1 2009

Antwort der Bundesregierung zur 2. Kleinen Anfrage – Leugnen, Wegschauen, Schweigen wie gehabt ... (16/13270)

Menschenrechte auch für Zwitter!

Nun liegt auch die Antwort vor zur 2. der beiden aktuellen Kleinen Anfragen der Fraktion DIE LINKE mit dem Schwerpunkt "Medizinische Aspekte und die Förderung Betroffener" (Drucksache 16/13270). Einmal mehr stellt sich die Bundesregierung – Überraschung! – praktisch vorbehaltslos und vollumfänglich hinter die Zwangsoperateure.

Nach wie vor lautet die fast durchgängige Standardlüge, Pardon, -antwort:

Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.

Sogar wo die Bundesregierung nach 13-jährigem kontinuierlichen Nachhaken durch regelmässige kleine Anfragen sowie nach einer ersten Rüge durch den UN-Ausschuss CEDAW gezwungenermassen mikroskopische erste Schritte nach vorn unternimmt, kann sie es nicht lassen, sich gleichzeitig über die Betroffenen und ihre Leiden an den menschenrechtswidrigen Zwangseingriffen lustig zu machen, z.B. in Antwort 9:

Der Bundesregierung ist bekannt, dass von Betroffenen in Einzelfällen auch so genannte „Traumatisierungen“ als Spätfolge berichtet werden. Über deren Umfang liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.

Hier kommt nicht nur zum Schaden der Zwangsoperierten noch der Spott der MittäterInnen dazu, sondern diese Antwort ist auch (einmal mehr) klar gelogen. Wie leider nach wie vor praktisch alle anderen Antworten auch ...

Einmal mehr wird's wohl von den übrigen Bundestagsparteien eh niemand gemerkt haben wollen. Ebenso wie sich mit Ausnahme von DIE LINKE bisher auch jede andere Fraktion stets zu gut war, auf Bundesebene überhaupt irgend einen konkreten Vorstoss zu Gunsten der Zwitter zu unternehmen – obwohl die Menschenrechtsverletzungen an Zwitterkindern (nicht nur in Deutschland) wohl die gravierendsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem 2. Weltkrieg darstellen.

Trotz alledem wage ich zu behaupten: Es wir der Tag kommen, an dem nebst den Zwangsoperateuren auch ihre Brötchengeber und KomplizInnen zur Rechenschaft gezogen werden. Ihre Verbrechen sind bekannt und bestens dokumentiert, wie auch die vorliegende Antwort einmal mehr illustriert.

>>> Pressemeldung 1.7.09    >>> Antworten 16/13270 (PDF)

Siehe auch:
- Erste Antwort auf die neuen kleinen Anfragen – Bundesregierung deckt ZwangsOPs wie üblich ... (16/13270)
- DIE LINKE: 2 neue Kleine Anfragen "Zur Situation intersexueller Menschen" im Bundestag! (16/12769 + 16/12769)
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Faule Eier für "die Bundesregierung"! 

Gonade um Gonade, Lustorgan um Lustorgan!

Thursday, June 25 2009

"Netzwerk DSD"/"Euro DSD": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure

Die (auch von diesem Blog) oft kritisierte vorherige AMWF-Leitlinie "Störungen der sexuellen Differenzierung" (2003-2008) ("Entwicklungsstufe 1") der Urologenvereinigung DGU ist inzwischen auf dem Netz offiziell nicht mehr einsehbar, als hätte sie nie existiert.

In der >>> neuen AWMF-Leitlinie "Störungen der Geschlechtsentwicklung" ("Entwicklungsstufe 1 + IDA") vertritt nun ein "multidisziplinäres" Konglomerat unter Federführung der "Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ)" den aktuellen Branchenkonsens der GenitalverstümmlerInnen.

Zum ersten Mal überhaupt sind in der neuen AWMF-Leitlinie auch 2 Selbsthilfegruppen kommentierend mitbeteiligt und erwähnt, nämlich die "XY-Elterngruppe" und die "AGS-Eltern-und Patienteninitiative e.V."

Auf den ersten Blick liest sich die neue "Leitlinie" tatsächlich einiges freundlicher als die alte, die Kommentare der Selbsthilfegruppen stellen Verbesserungen dar, auch die "Ethische[n] Grundsätze und Empfehlungen bei DSD" der "Arbeitsgruppe Ethik" werden mehrfach gewürdigt.

Unter dem Strich werden jedoch wehrlosen Zwitterkindern "letztlich" (!!!) einmal mehr jegliche (Menschen-)Rechte abgesprochen.

Als Beleg für die juristische Rechtlosigkeit der Kinder wird – Überraschung! – ausgerechnet die "Grundsätze und Empfehlungen" der "Arbeitsgruppe Ethik" des "Netzwerks DSD/Intersexualiät" [110] namentlich herausgestrichen (meine Hervorhebung):

Ein uneindeutiges Genitale kann eine erhebliche psychosoziale Belastung der Eltern und der Familie bedeuten [23, 84, 110]

Rechtlich steht letztlich den Eltern die Entscheidung zu (aus: Ethische Grundsätze und Empfehlungen zum therapeutischen Umgang mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung (DSD) / Intersexualität bei Kindern und Jugendlichen) [110]

Fazit: Schnipp, schnipp!! Es wird munter weiter widerrechtlich genitalverstümmelt und zwnagsoperiert wie eh und je – einfach neu unter Berufung auf das Netzwerk-Ethikpapier! Erst Recht unter dem neuen Label der Netzwerk-Nachfolgeorganisation "EuroDSD"!

Als AutorInnen der aktuellen "Leitlinie" firmieren:

P.M. Holterhus, B. Köhler, E. Korsch, A. Richter-Unruh.

Nebst der DGKJ mitbeteiligt waren:

Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Endokrinologie (APE) als Sektion der
der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ)
sowie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Arbeitsgruppe Disorders of Sex Development (DSD) der APE

Untenstehend in chronologischer Reihenfolge alle Ausschnitte, in denen sich die "Leitlinie" auf das Ethikpapier beruft, gefolgt von der Quellenfussnote:

Ein uneindeutiges Genitale kann eine erhebliche psychosoziale Belastung der Eltern und der Familie bedeuten [23, 84, 110]

Die Geschlechtszuordnung soll dabei auf der Grundlage einer Diagnostik und unter Einbeziehung von Experten, nach Möglichkeit in einem Zentrum mit einem erfahrenen multidisziplinären Team (mit erfahrenen Kinderendokrinologen, Kinderchirurgen oder Kinderurologen, klinischen Psychologen oder Kinder- und Jugendpsychiater, Gynäkologen, Genetiker, Neonatologen, Sozialarbeiter, Pflegenden und Ethikern) und nach offener Darlegung und mit Beteiligung der Eltern und deren Beratern erfolgen [105, 106, 107, 110, 111]

Genitale Korrekturoperationen jeglicher Art werden zur Zeit kontrovers diskutiert, da kontrollierte Studien dazu nicht vorliegen und Untersuchungen zum Outcome unbefriedigend sind [15, 44, 67, 76, 89, 110]

Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung sind nicht per se aus rein kosmetischen Gründen korrekturbedürftig und stellen bei einem Neugeborenen keinen chirurgischen, jedoch in der Regel einen psychosozialen Notfall dar. Jede Therapieentscheidung, die nicht eine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit des Kindes abwenden soll, muss unter Vermeidung von Zeitdruck und unter hinreichender Abwägung unterschiedlicher Optionen im Gespräch mit Vertretern des therapeutischen Teams und den Eltern sorgfältig geprüft werden. Das therapeutische Team muss die Eltern von Anfang an und umfassend in die Entscheidungsfindung und Therapieplanung einbeziehen und sich davon überzeugen, dass sie die geplanten Maßnahmen, deren Bedeutung und Tragweite verstanden haben. Rechtlich steht letztlich den Eltern die Entscheidung zu (aus: Ethische Grundsätze und Empfehlungen zum therapeutischen Umgang mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung (DSD) / Intersexualität bei Kindern und Jugendlichen) [110].

110.  Wiesmann C, Dörries A, Hampel E, Janssen-Schmidchen G, Korsch E, Kraus-Kinsky E, Leriche C, Loeser E, Müller L, Reutter H, Rothärmel S, Sinnecker G, Ude-Koeller S, Werner-Rosen K, Zöller G, eine weitere Person aus der Gruppe der Betroffenen. Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität „Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“ Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD. Therapeutischer Umgang mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung/Intersexualität bei Kindern und Jugendlichen. Monatschr Kinderheilk 156: 241-245, 2008

>>> AMWF-Leitlinie "Störungen der Geschlechtsentwicklung"

>>> "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD" (PDF-Download)

Siehe auch:
- "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD": Zwangsoperationen klar unzulässig (Dr.med. Jörg Woweries)
- Wie das "Netzwerk DSD"/"Euro DSD" die "Lübecker Studie" frisiert 
- "Euro-DSD"-Zwangsoperateure: transsexuell = intersexuell??!
- "Ethik als Feigenblatt?" - Zwischengeschlecht.org zum "Forum Bioethik", Deutscher Ethikrat 23.6.10

Saturday, June 20 2009

"DSDnet"/"Euro-DSD"/etc.-Chef Olaf Hiort: "keine Qualitätskontrolle" bei Intersex-Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken

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Menschenrechte auch für Zwitter!

Wie schon im entsprechenden Post nachgetragen, streicht Michel Reiter in einer treffenden Analyse des Protokolls (PDF) der parlamentarischen Anhörung in Hamburg (--> 14.6.09) einige vielsagende Zitate heraus wie z.B. "Es gibt keine Qualitätskontrolle" (obwohl im Gesundheitswesen Qualitätsmanagement eigentlich vorgeschrieben wäre) und erläutert näher, was das konkret bedeutet.

Prädikat: Unbedingt lesen! (--> 14.6.09)

Das ganze entsprechende Zitat von "EuroDSD"- und "Netzwerk Intersexualität/DSD"-Chef Prof. Dr. Olaf Hiort (im PDF-Protokoll auf S. 40) lautet übrigens:

Es gibt keine Qualitätskontrolle, und alleine in Hamburg würde ich drei oder vier Krankenhäuser benennen können, die solche Operationen durchführen oder durchgeführt haben.

Mit Verweis auf ein Beispiel für "soziale Indikation[en]" (statt medizinische Notwendigkeit) für "solche Operationen" in AWMF-Leitlinien und der "Illegalität dieser Sichtweise" hebt Michel  weiter ein Zitat von Konstanze Plett im Anhörungsprotokoll hervor (PDF S. 18):

"Ich habe in Diskussionen auch gehört, ja, weil die Eltern an ihrem ungewöhnlichen Kind leiden, muss das Kind irgendwie unauffällig gemacht werden. Aber das ist aus juristischer Sicht nun überhaupt nicht vertretbar, dass ich einen Menschen behandle, um andere Menschen zu kurieren. Also Heileingriff geht immer nur an dem Menschen selber, der betroffen ist."

Bleibt zu befürchten, dass das "Netzwerk DSD" und die Nachfolgeorganisationen "EuroDSD", "NSDnet", "DSD-Life" etc. der Politik und der Öffentlickeit vermehrt frisierte Versionen z.B. der "Lübecker Studie" als Nachreichung der bisher fehlenden "Qualitätskontrolle" bzw. als "wissenschaftliche Rechtfertigung" und sonstige Lippenbekenntnisse zur Vertuschung/Fortführung der menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen verkaufen wird – und die Bundesregierung als langjährige Mittäterin weiterhin noch so gern mitspielt ...

Nachtrag: Wichtiger Vorschlag von Einhorn, wie gegen die Verfälschung der "Lübecker Studie" vorgegangen werden kann, hier in den Kommentaren.

>>> Olaf Hiort: "Genitalverstümmelungen durchaus im Interesse der Betroffenen"
>>> Olaf Hiort: "Erwachsene Betroffene haben kein Recht zu kritisieren"
>>> Olaf Hiort: "Genitalverstümmelung der übliche Weg - wegen den Eltern"
>>> Olaf Hiort: "Intersexuelle nur Bruchteil aller Genitalverstümmelten"

Wednesday, June 17 2009

Wie das "Netzwerk DSD"/"Euro DSD" die "Lübecker Studie" frisiert

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>>> "EuroDSD": Lübecker Zwitterstudie frisiert (Pressemitteilung 14.11.09)

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)>>> PDF 2.3 Mb -> S. 3 (Vortrag Berlin 27.05.2009, Folie 6)
Nach wie vor sind 90% aller Diagnostizierten zwangsoperiert :-(

Menschenrechte auch für Zwitter!

Bisher hoben sich die BMBF-finanzierten Netzwerk-Studien wohltuend ab von unseriösen Vorgängerprojekten à la Meyer-Bahlburg, die von vornherein auf Pro-Zwangsops designt waren und prompt auch Resultate brachten, die frappant an realkommunistische Wahlresultate erinnerten.

>>> Das Corpus Delicti als PDF (2.34 MB):
Martina Jürgensen: "Klinische Evaluationsstudie im Netzwerk DSD/Intersexualität: Zentrale Ergebnisse", Vortrag 27.05.2009

Die diversen Veröffentlichungen zur "Hamburger Studie" und die Vorabveröffentlichung der "Lübecker Studie" wirkten demgegenüber einiges glaubwürdiger und redeten immer (zumindest auch) Klartext. Einige Beispiele:   >>> mehr

  • Zwangsoperierte Zwitter haben eine höhere Selbstmordrate als nicht-traumatisierte Nicht-Zwitter, vergleichbar mit traumatisierten Frauen nach körperlicher Misshandlung oder Kindesmissbrauch. (Schützmann/Brinkmann/Richter-Appelt, Arch Sex Behav. 2009 Feb;38(1):16-33)

  • Genital zwangsoperierte Zwitter haben signifikant mehr Angst vor sexuellen Kontakten und mehr Angst vor Verletzungen beim Geschlechtsverkehr als "nur" zwangskastrierte. (Vortrag von Hertha Richter-Appelt, 19.4.2009)

  • "Menschen, die mehr als drei Operationen im Zusammenhang mit der besonderen Geschlechtsentwicklung erlebt haben, haben im Bereich körperliche Schmerzen eine niedrigere Lebensqualität als Menschen mit wenigen oder gar keinen Operationen." (Vorabbericht zur Lübecker Studie, S. 22)

But the times they are a-changing!

Mittlerweile sind die Hamburger ja aus dem "neuen" Netzwerk DSD und der Nachfolgeorganisation "EuroDSD" irgendwie draussen. Und aus Lübeck weht nicht erst seit gestern nicht nur für Zwitter, die an der Studie teilnahmen und auf weitere Veröffentlichungen mit Klartext gehofft hatten, ein mittlerweile deutlich rauherer Wind .

Schon nach der Vorabveröffentlichung Ende 2008 waren Stimmen laut geworden, die befürchteten, künftige "offizielle" Publikationen würden auf Kosten der Zwangsoperierten wohl wieder mehr auf medizynerfreundlich getrimmt (--> 3. e) Kritische Anmerkungen).

Weiter hatte das "Netzwerk DSD" unter den Zwischengeschlechtlichen weitherum Empörung ausgelöst wegen des mehrfach gebrochenen Versprechens, Teilnehmende würden die Publikation im Voraus zu lesen bekommen mit der Möglichkeit zu Kommentaren (ähnlich der DGKJ-Leitlinie). Ausserdem war Zusammenarbeit mit Zwitterorganisationen Bedingung bei der Vergabe der BMBF-Gelder für das Netzwerk!

Doch noch die pessimistischten düsteren Vorahnungen wurden nun vom "Netzwerk DSD"/"EuroDSD" an einem Vortrag über die "Lübecker Studie" an einem Fachgespräch im Bundestag vom 27.05.2009 deutlich übertroffen!   >>> Bericht von Kitty

Betreffend der zentralen Frage, ob die Zwangsoperierten durch diese menschenrechtswidrigen Eingriffe mit oft verheerenden Folgen in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt werden, behauptete die von Lübeck als Expertin an die 2. Anhörung der Bundestagsfraktion der Grünen delegierte Martina Jürgensen schamlos und mit noch krasserer Durchgängigkeit als seinerzeit Meyer-Bahlburg, nämlich 100% ausnahmslos:

  • keine Unterschiede bei der LQ [Lebensqualität] (Gesamtwert) bei unterschiedlichen medizinischen Interventionen

bzw.

  • keine Unterschiede zwischen operierten und nicht-operierten Personen

usw.

Wie gesagt, durchgängig 100%ig das selbe Fazit, egal ob es sich um die Lebensqualität, psychische Gesundheit oder "psychosexuelle Entwicklung" von Kinder, Jugendlichen oder Erwachsenen handelt – JEDESMAL, wenn überhaupt ein Vergleich Zwangsoperiert–Nichtoperiert gemacht wird!

Kommt dazu: Von den über Dreijährigen Teilnehmer_innen der Studie waren laut dem Vortrag ingsesamt nach wie vor 87%-91% Prozent kosmetisch zwangsoperiert – davon ein Fünftel mindestens 3 Mal! Willkommen im 21. Jahrhundert!

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)
--> PDF S. 3
>>> Das Corpus Delicti als PDF (2.34 MB)

Unter den anwesenden Zwischengeschlechtlichen war die Konsternierung gross, und noch ein Arzt sagte mir später im Gespräch, eine solche Verfälschung hätte er nicht erwartet.

Zwar räumte Martina Jürgensen einmal mehr ein, auch laut der "Lübecker Studie" gäbe es einen "grossen"

  • Problembereich von Jugendlichen und Erwachsenen mit DSD: Partnerschaft und Sexualität [vgl. auch Vorabbericht]

Just bei diesem "grossen Problembereich" unterschied Martina Jürgensen dann übrigens nicht mehr nach Operierten und Nicht-Operierten. (Auch über die – auch laut der Lübecker Studie notorisch schlechte – Behandlungszufriedenheit der Zwangsoperierten schwieg sie sich durchgehend vormehm aus.)

In der auf den Vortrag folgenden Diskussionsrunde sprach ich Martina Jürgensen sowohl auf die u.a. ihrem eigenen Vorabbericht widersprechende Behauptungen an, Operierte hätten insgesamt keinerlei Nachteile gegenüber Nicht-Zwangsoperierten Zwittern, wie auch auf die Auslassung des Vergleichs zwischen Zwangsoperierten und Nicht-Operierten ausgerechnet beim zentralen "grossen Problem".

Im ersten Anlauf wollte Martina Jürgensen grösstenteils gar nicht verstehen, worum es ging. Als ich nochmals nachhakte, gab sie dann zu verstehen, jetzt wisse sie, was ich meine, aber durch ein grössere Vergleichsgruppe als bei den Resultaten der Vorabveröffentlichung hätten sich deshalb die Resultate geändert, ausserdem bestehe auch bezüglich des Problemfelds Sexualität und Partnerschaft keine Unterschiede zwischen Zwangsoperierten und Nicht-Operierten, da gebe es "keine Korrelation". Danach war die Diskussion dazu (welche die Gesprächsleiterin der Grünen am liebsten schon vorher abgeklemmt hätte) zu Ende.

Mittlerweile traue ich Martina Jürgensen et. al. und dem "Netzwerk DSD"/"Euro DSD" voll und ganz zu, dass sie solches (und weiteres) auch künftig in den "offiziellen" Publikationen zur Studie bevorzugt absondern werden. So besehen macht es auch durchaus Sinn, dass das "Netzwerk DSD" es vorzieht, langjährige Versprechen gegenüber den Studienteilnehmer_innen zu brechen und und lieber hinter den Rücken der Zwangsoperierten zu publizieren.

Mal abgesehen davon, dass bei Vergleichen innerhalb der Untersuchungsgruppe (wie z.B. Zwangsoperierte vs. Nicht-Operierte) die Vergleichsgruppe gar keine Rolle spielt (!), und es schlicht weltfremd ist, zu behaupten, dass Zwangsoperierte zwar laut Vorabbericht der "lübecker Studie" häufiger "körperliche Schmerzen" im Genitalbereich haben (S. 22), dies aber angeblich ausgerechnet im "grossen Problembereich [...] Partnerschaft und Sexualität" keine Auswirkungen haben soll.

Dass das "Netzwerk DSD"/"EuroDSD" solches offiziell so rumposaunt (und die Grüne Bundestagsfraktion es prompt nicht bemerkt haben will, s.a. bei Kitty), ist ein herber Schlag ins Gesicht und eine klare Kriegserklärung an alle Zwangsoperierten, die mit ihrer Behandlung nicht zufrieden sind (auch laut der Vorabveröffentlichung der "Lübecker Studie" klar die Mehrheit!).

Diese Desinformation ist die offensichtlich Antwort des "Netzwerks der unverbesserlichen Zwangsoperateure" auf die neu erstarkte Zwitterbewegung, auf das zunehmend öffentlich bekannt werden der Menschenrechtsverletzungen durch die genitalen Zwangsoperationen und der Forderung der Zwangsoperierten nach "Menschenrechte auch für Zwitter!"

>>> Das Corpus Delicti als PDF (2.34 MB):
Martina Jürgensen: "Klinische Evaluationsstudie im Netzwerk DSD/Intersexualität: Zentrale Ergebnisse", Vortrag 27.05.2009

An der Veranstaltung waren übrigens auch mehrere Mitglieder sowohl von IVIM (die vor Beginn ein Faltblatt verteilten) wie auch von Intersexuelle Menschen e.V. anwesend. Bisher haben beide Organisationen noch nicht öffentlich Stellung zu diesem ungeheuerlichen Vorgang bezogen ...

Nachtrag: Wichtiger Vorschlag von Einhorn, wie gegen die Verfälschung der "Lübecker Studie" vorgegangen werden kann, hier in den Kommentaren.

>>> 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen
>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken: Fakten und Zahlen

>>> "EuroDSD": Lübecker Zwitterstudie frisiert (Pressemitteilung 14.11.09)

Siehe auch:
- Bericht von Kitty über das Fachgespräch vom 27.5.09 und das Corpus delicti
- Fachgespräch der Grünen, Berlin Mi 27.5.09 14-18h  
-
"Netzwerk DSD"/"Euro DSD": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure 
-
Wie das "Netzwerk Intersexualität/DSD" seine Versprechen bricht   
- "Euro-DSD"-Zwangsoperateure: transsexuell = intersexuell??! 
-
Netzwerk DSD/Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008
- "Netzwerk DSD"-Chef Olaf Hiort: "keine Qualitätskontrolle" bei Zwangsoperationen an Zwittern  
- "Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000  

Sunday, May 31 2009

Zwitterprozess: 3. Prozesstag 20.5.09 – "Netzwerk DSD" fällt Chirurgen in den Rücken


Am 20.5.09 war der 3. Prozesstag von Christiane Völlings Klage um Schmerzensgeld gegen ihren Zwangsoperateur, der ihr 1977 (wie heute noch bei Zwittern üblich) ohne Aufklärung die inneren Geschlechtsorgane entfernt hatte. Vor dem Landgericht hatte sich ein gutes halbes Dutzend solidarische Zwitter und Nicht-Zwitter zur Demo versammelt. In der Sache war der Prozess mit dem Urteil des Oberlandesgerichts vom 3.9.08 definitiv entschieden worden, es ging nur noch um die Höhe des Schmerzensgeldes. Als Expertin war die "Netzwerk DSD"-Endokrinologin Anette Richter-Unruh geladen, die dem Zwangsoperateur mit ihren Aussagen arg in den Rücken fiel. Der gegnerische Anwalt versuchte einige wenige Finten, kam damit jedoch nicht weit. Das Gericht liess durchblicken, dass es Christianes Anliegen wohlgesonnen ist. Die Urteilsberatung wurde angesetzt auf Mittwoch, 12.8.09 (nichtöffentliche Beratung).

3. Zwitterdemo vor dem Landgericht

Ein gutes halbes Dutzend Unentwegter hatte sich zur Demo vor dem Prozess eingefunden. Wie schon bei den letzten beiden Kölner Demos waren nebst Geschlechtsgenoss_innen von Christiane auch solidarische Nicht-Zwitter gut vertreten. Die meisten waren zum Teil mehrere hundert Kilometer extra zum Prozess angereist. Die Stimmung war gut und die mitgebrachten Flugblätter gingen weg wie warme Semmeln – wie sich nach dem Prozess herausstellte, hatten wir damit auch das Gericht und die Sachverständige erreicht. Die Polizei war diesmal mit einem martialischen Aufgebot vertreten, das allerdings einem gleichzeitig stattfindenden Russen-Mafia-Prozess galt. Trotzdem hatte das verschärfte Sicherheitsaufgebot auch für uns Folgen: Kameras wurden diesmal nur noch nach vorheriger Anmeldung zugelassen (deshalb aktuell keine Bilder aus dem Gerichtssaal).

Christiane erzählt

Zu Beginn stellte Richter Dietmar Reiprich klar, dass der Prozess in der Sache abgeschlossen ist, nachdem auch das OLG die Zwangskastration an Christiane für klar widerrechtlich eingestuft hatte, es geht nunmehr "nur" noch um die Höhe des zu zahlenden Schmerzensgeldes.

Zunächst hatte Christiane das Wort und schilderte, von gelegentlichen Nachfragen unterbrochen, ungewöhnlich zurückhaltend ihre Leidensgeschichte und machte geltend, seit der Zwangskastration mittlerweile ständig Antibiotika nehmen zu müssen wegen wiederkehrenden, teilweise lebensgefährlichen Harnwegsinfektionen, auch sonst sei ihr Immunsystem dauernd geschwächt und ihr körperliches Temperaturempfinden beeinträchtigt.

Ausführlich gab sie auch Auskunft über psychische Beeinträchtigungen. Jahre lang sei sie "auf der Flucht" gewesen, habe sich in ihre Arbeit vergraben, öfters den Arbeitsort gewechselt, wollte alles hinter sich lassen, habe kein Zuhause und auch keine Freunde oder sonstige wirklichen persönlichen Kontakte, sondern lediglich ArbeitskollegInnen. Auf Nachfrage des Geichts führte sie weiter aus, sie hätte noch nie einen Sexualpartner gehabt, das könne sie sich auch heute noch nicht vorstellen. Nach einem Zusammenbruch, nachdem sie 2006 endlich die Wahrheit über sich selbst erfahren hatte, befinde sie sich in psychotherapeutischer Behandlung, nach wöchentlichen Kriseinterventionssitzungen beginne sie nun eine eigentliche Psychotherapie.

Christianes Anwalt Georg Groth reichte zudem einige Beweisstücke ein wie z.B. Fotos, die belegen, dass Christiane vor der Zwangskastration ein erfülltes Leben als Frau durchaus noch offengestanden hätte.

Zwangsoperatuer als Bauernopfer des "Netzwerk DSD"

Als nächstes war als Sachverständige die "Netzwerk DSD"-Endokrinologin Anette Richter-Unruh an der Reihe. Wie sie sagte, sei sie aktuell noch Privatdozentin, erhalte aber demnächst eine ordentliche Professur. Ihre Ausführungen führten insbesondere bei den anwesenden Zwittern wiederholt zu Kopfschütteln und ungläubigem Staunen.

Ungefragt behauptete sie etwa gleich zu Beginn, es sei auch vor 30 Jahren höchst ungewöhnlich gewesen, dass der verurteilte Chirurg die Operation nicht sofort unterbrochen und die Patientin vollumfänglich aufgeklärt habe, als er laut dem Narkosebericht eine nicht-entartete weibliche Anatomie feststellte (der eigentliche OP-Bericht war – wie bei Zwangsoperationen an Zwittern generell üblich – auch in Christianes Fall bequemerweise längst "nicht mehr auffindbar"). Entgegen dieser Behauptung ist mir für das laut Richter-Unruh schon vor 30 Jahren "normale Vorgehen" kein einziges Beispiel bekannt (sie selber führte auch keines an). Hingegen berichten alle mir bekannten Zwitter übereinstimmend, wie ihnen dem Erziehungsgeschlecht widersprechende Gonaden ohne ihre Einwilligung entfernt wurden – wie auch bei Christiane mit der "Begründung", sie seien "verkümmert" und "entartet" gewesen, obwohl jedes Mal das Gegenteil der Fall war. Ebenso waren sie auch in der Regel nicht über ihre wirkliche Diagnose aufgeklärt worden. Damit fällt das "Netzwerk DSD" dem bereits rechtskräftig verurteilten Chirurgen wider besseren Wissens in den Rücken – wohl, um durch dieses Bauernopfer die Medizyner als Ganzes von künftigen politischen Forderungen nach Pauschalentschädigung, wie sie aktuell immer lauter werden, präventiv reinzuwaschen. 

Erstaunlich auch Richter-Unruhs Behauptung, bei AGS handle es sich nicht um Intersexualität – damit straft sie sämtliche bisherigen Leitlinien Lügen, wo AGS ausnahmslos mit aufgeführt ist, inkl. der aktuellen (unter der neuen Medizyner-Bezeichnung "DSD" a.k.a. "Störungen der Geschlechtsentwicklung"), an der sie persönlich beteiligt war. Ebenfalls im Widerspruch dazu stand ihre Bemerkung betreffend Christianes seelischen Beschwerden, "Inbalancen" seien bei Menschen mit GID nichts ungewöhnliches, "siehe auch Trans- und Homosexualität" (GID = Gender Identity Disorder  = Geschlechtsidentitätsstörung – kaum zufällig versuchen die Medizyner regelmässig, Zwitter, die mit ihrer Behandlung nicht zufrieden sind, auf die Trans- bzw. GID-Schiene zu zwängen, der Fehler liegt somit bei den "geistesgestörten Patienten" und nicht bei den heute noch üblichen, menschenrechtswidigen Zwangsbehandlungen der Medizyner).

Laut Richter-Unruh sei auch bei Christianes körperlichen Beschwerden nicht sicher festzustellen, ob diese mit Kastration und Testosterontherapie zusammenhängen würden. Sprich einmal mehr: Im Zweifel für die zwangsbehandelnde Medizynerkaste.

Darauf wandte allerdings Richter Reiprich ein, auch ohne die körperlichen Beschwerden hätte die Kammer aufgrund der massiven psychischen Folgen kein Problem, auf die geforderte Mindestentschädigung von 100'000 Euro zu kommen.


Fortsetzung folgt ...

Der gegenerische Anwalt versuchte es eher alibimässig noch mit der Finte, Christiane hätte ja auch Trotz der Zwangskastration anschliessend mit Östrogen statt Testosteron behandelt sowie die vermännlichenden Genitaloperationen hätten unterlassen werden können, weshalb für die Folgen nicht der Chirurg verantwortlich sei, kam damit jedoch nicht weit. Überhaupt schien er etwas überfordert, hatte es auch schon vorher sträflich versäumt, darauf zu pochen, dass das menschenrechtswidrige Verhalten seines Mandanten durchaus nicht der individuelle Einzelfall war, als den es auch Richter-Unruh darzustellen versuchte, sowie die Mitverantwortung der anderen behandelnden Medizyner und insbesondere der Endokrinologen gebührend herauszustreichen, so dass einem der verurteilte Chirurg rückblickend fast ein wenig Leid tun kann.

Stattdessen gab der Anwalt sich einmal mehr damit zufrieden, weiterhin eine Verzögerungstaktik zu fahren und die Urteilsverkündung so weit wie möglich hinauszuschieben. Diese wurde vom Gericht auf Mittwoch, 12. August 2009, um 9:00 Uhr, angesetzt. Es handelt sich um eine nicht-öffentliche Urteilsverhandlung, das Urteil werde den Parteien anschliessend telefonisch vorab mitgeteilt sowie danach schriftlich zugestellt. Bereits jetzt ist abzusehen, dass der fehlbare Chirurg, der "partout nicht zahlen" will, einmal mehr Berufung einlegen wird ...

Für Christiane ist die Sache damit trotz der definitiven Verurteilung ihres Zwangsoperateurs vor OLG im letzten Jahr wegen des "ohne Zweifel rechtswidrig[en]" Zwangseingriffs, der ihr "Selbstbestimmungsrecht [...] in ganz erheblichem Maße verletzt" habe, wohl noch lange nicht ausgestanden.

Siehe auch:
- Zwangskastrationen an Zwittern: "Keine Mutanten züchten"
- Krebslüge & Zwangskastrationen an Zwittern
-
- "Intersex Infant - Surgical Abuse" - Video
- Wie das "Netzwerk DSD/Intersexualität" seine Versprechen bricht
- Weiße Kittel mit braunen Krägen, reloaded
- Hiort, Holterhus, Sinnecker, Kruse (Ärzteblatt 1999):
   Aufzählung, bei welchen "Syndromen" / Zuweisungen wann zwangskastriert werden muss  

Zwitterprozess Tag 3, 20.5.09:
- "Menschenrechte auch für Zwitter!" – Flugblatt 20.5.09
- "Schmerzensgeld-Prozess" - Sat1 NRW 19.5.09
- Zwitterprozess: Erste Medienberichte zum 3. Prozesstag
- Merkel & Co: Einladung zum Zwitterprozess!
- Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg als Gutachter für Behandlungsfehler    

Tuesday, May 19 2009

Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg als Gutachter für Behandlungsfehler ...

Wie bei Intersexuellen heute noch üblich, hatte der Chirurg Prof. Dr. L. der Intersexuellen Christiane Völling 1977 die inneren Geschlechtsorgane entfernt, ohne sie über ihr wahres Geschlecht aufzuklären. In einem Aufsehen erregenden Pilotprozess wurde Prof. Dr. L. deswegen mit Urteil vom 3. September 2008 letztinstanzlich zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt: "Der Chirurg hat die Patientin vor der Operation nicht hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer Einwilligung schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt." (5 U 51/08)

Der verurteilte Chirurg will jedoch "partout nicht zahlen" und lehnte auch einen Vergleichsvorschlag des für die Festsetzung der Höhe des Schmerzensgeldes zuständigen Landgerichts Köln rundheraus ab. Deshalb ist Christiane Völling gezwungen, weiter zu prozessieren. Morgen Mittwoch, den 20. Mai, kommt es deshalb im Landgericht Köln zu einer weiteren Verhandlung. Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org ruft auf zu einer Kundgebung vor dem Landgericht um 14:00 Uhr.

Laut diversen Einträgen auf der Homepage der Ärztekammer Nordrhein ist Prof. Dr. L. dort auch nach diesem letztinstanzlichen Urteil weiterhin als Gutachter  beschäftigt – ausgerechnet bei der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler!

Eine Gutachtertätigkeit, die Fragen aufwirft. Offensichtlich sind sich medizinische Standesorganisationen der Tragweite der an Zwittern systematisch begangenen Menschenrechtsverletzungen durch genitale Zwangsoperationen und sonstige nicht-eingewilligte Zwangseingriffe, denen vor allem Zwitterkinder nach wie vor systematisch unterworfen werden, immer noch alles andere als bewusst.

Christiane Völling: "Wie kann sich die Ärztekammer Nordrhein einen solchen Gutachter noch erlauben? Wo bleibt da die Würde?"

Tuesday, April 28 2009

Testo-Studie: Doch keine Placebos

Innerhalb der Selbsthilfegruppen bestand die Befürchtung, zusätzlich zu den längeren Absetzungen jeglicher HET zu Beginn und in der Mitte der geplanten klinischen Studie würden auch Placebos verabreicht, was die Absetzung noch einmal drastisch verlängert hätte. Der Studienverantwortliche Olaf Hiort gibt hierzu Entwarnung:

"Wir haben uns auf Grund der zu erwartenden kleinen Zahl an Teilnehmenden dafür entschieden, dass ein sogenannten doppel-blindes Cross-over Design verfolgt wird.  Dabei kommt kein Placebo zum Einsatz, sondern die Hormone werden als Gelpräparation geruchs- und verpackungsneutral geliefert und auf die Haut aufgetragen und nach einer bestimmten Zeitvorgabe gewechselt."

(Im Anschluss an die Pressemitteilung zum Thema hatte Nella plötzlich doch noch eine Antwort von Olaf Hiort auf ihre offizielle Stellungnahme erhalten. Leider ging Olaf Hiort weder darin noch in der folgenden Mail je inhaltlich auf die eigentliche Stellungnahme ein bzw. auf den pragmatischen flankierenden Vorschlag zur Behebung des Problems, dass zwangskastrierte Zwitter eine adäquate HET nach wie vor aus der eigenen Tasche bezahlen müssen ...)

Siehe auch:
- "Netzwerk DSD" plant Testostudie für Zwangskastrierte mit CAIS
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- PRESSEMITTEILUNG: Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber bezahlen

Sunday, April 26 2009

Wie das "Netzwerk DSD/Intersexualität" seine Versprechen bricht - und Intersexuelle Menschen e.V. sich nicht wehrt

Ein Beispiel von vielen:

Nach dem Eklat beim Netzwerktreffen 2007 in Bochum und der darauf folgenden öffentlichen Kritik kam es am 1.11.2007 zu einer Aussprache zwischen VertreterInnen des "Netzwerk DSD/Intersexualität" und einer Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. Dabei ging es unter anderem auch um die Veröffentlichungspolitik der Lübecker Netzwerkstudie. Dazu wurde vereinbart, dass betroffene Studienteilnehmer_innen die Publikationen im Voraus gegenlesen können und einen "Kommentar und die Anregungen und die Kritik dann entweder noch berücksichtigt oder zumindest als Diskussion mit veröffentlicht" werden.

Entgegen dieser Vereinbarung publizierte das "Netzwerk DSD/Intersexualität" im November 2008 auf seiner Homepage eine erste Veröffentlichung der Studienergebnisse, ohne dass irgendwer von den betroffenen Studienteilnehmer_innen diese im Voraus zu Gesicht bekam.

Auf eine entsprechende Beschwerde bei den Publikationsverantwortlichen des "Netzwerk DSD/Intersexualität" erfolgte am 24.11.2008 eine erneute Zusage, dass betroffene Studienteilnehmer_innen bei künftigen Publikationen "die Texte vorab bekommen, sobald eine Auswertung fertig ist". Es wurde vereinbart, dass eine Arbeitsgruppe von Intersexuelle Menschen e.V. die Publikationen im Voraus per Mail erhalten und sie anschliessend kommentieren kann.

Auch dieses Versprechen wurde in der Folge vom "Netzwerk DSD/Intersexualität" erneut gebrochen.

Statt die Texte wie vereinbart vorab per Mail zu erhalten, erhielten die seinerzeitigen Vereinsdelegierten der Sitzung vom 1.11.2007 am 3.3.2009 eine Mail, worin sich das "Netzwerk DSD/Intersexualität" (ironischerweise) auf die besagte Aussprache vom 1.11.2007 und die damaligen Vereinbarungen bezieht und darüber informiert, "dass die ersten zwei Publikationen, die sich auf die Ergebnisse der Klinischen Evaluationsstudie beziehen, in Kürze fertig gestellt werden". Es handle sich dabei um zwei Artikel: "Der eine beschäftigt sich mit der allgemeinen Situation von Jugendlichen, der andere mit der psychosexuellen Entwicklung von Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen."

Von der Vereinbarung, die Texte vorab zugeschickt zu kriegen und einen Kommentar schreiben zu können, war plötzlich keine Rede mehr. Denn "aus rechtlichen Gründen" sei es nicht möglich, "unveröffentlichte Manuskripte im Vorfeld zu verschicken oder einem größeren Kreis zugänglich zu machen". Ein konkreter Beleg für diese Behauptung wurde nicht mitgeliefert.

Als Ersatz machte das "Netzwerk DSD/Intersexualität" in besagter Mail vom 3.3.2009 zwei sehr kurzfristige Terminvorschläge, an denen je eine der Veröffentlichungen in Lübeck für kurze Zeit eingesehen werden könnten: 18.3. und 8.4.2009 (Rückmeldung/Anmeldung bis 12.3.2009). Die "relativ kurzfristige Terminplanung" wurde damit begründet, dass die Auswertungen "später als erwartet fertig gestellt werden" konnten und "die Manuskripte aus personellen Gründen zeitnah eingereicht werden" müssen.

Deshalb bleibe dem "Netzwerk DSD/Intersexualität" "leider wenig Spielraum".

Und uns Betroffenen wieder einmal weniger als das!

Wieder einmal hat es das "Netzwerk DSD/Intersexualität" geschafft, sich um sein Versprechen vom 1.11.2007 herum zu reden.

Eine der Delegierten teilte darauf mit, dass sie den Termin vom 18.3. wahrnehmen werde. Über das Resultat wurden bisher weder der Vorstand noch die Vereinsmitglieder unterrichtet.

Die andere Delegierte beschwerte sich beim Netzwerk in einem persönlichen Mail, dass sich das "Netzwerk Intersexualität/DSD" "wieder einmal über die Abmachungen" hinweg setze. Da sie keinen der beiden Termine wahrnehmen konnte, forderte sie die vertrauliche Zustellung der Manuskripte. Das "Netzwerk DSD/Intersexualität" ging darauf wie gewohnt nicht weiter ein.

Wenig überraschend ist schon jetzt abzusehen, dass auch bei allen weiteren Publikationen zur Lübecker Netzwerkstudie die betroffenen Studienteilnehmer_innen wie gehabt aussen vor bleiben werden. (Welcher Mediziner will schon jedes Mal einen womöglich kritischen Kommentar von Betroffenenseite?)

Ebenso ist absehbar, dass Intersexuelle Menschen e.V. all diese gebrochenen Versprechen, die beim "Netzwerk Intersexualität/DSD" sozusagen schon Tradition sind, nie öffentlich rügen oder sich wirksam dagegen zur Wehr setzen wird.

Siehe auch:
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert
- Intersexuelle Menschen e.V. distanziert sich stillschweigend vom "Netzwerk DSD" 
-
Netzwerk DSD/Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- Mein Rücktritt als 1. Vorsitzende von Intersexuelle Menschen e.V.
- 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008 
- "Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000 

Thursday, March 26 2009

"Netzwerk DSD" plant Testostudie für Zwangskastrierte mit CAIS

Das Problem ist altbekannt: Viele Zwitter werden nicht nur genital zwangsoperiert, sondern in der Regel ebenfalls bereits als Kinder mit der Pauschal-Ausrede "Krebsgefahr" zusätzlich zwangskastriert und benötigen deshalb für den Rest ihres Lebens eine so genannte "Hormonersatz Therapie (HET)". Da die meisten dieser Zwangskastrierten "zu Mädchen gemacht" werden, besteht die HET prinzipiell aus Östrogen – obwohl viele Zwitterkörper "von Haus aus" Testosteron produzieren (und dieses je nach Bedarf in körpereiges Östrogen umwandeln – Zwitter mit so genanntem "Androgen-Insuffizienz-Syndom (AIS)").

Diese Östro-HETs wurden nie klinisch getestet, den Zwangsoperierten werden Präparate aufgezwungen, die eigentlich nur für Frauen in der Menopause zugelassen sind, d.h. die Östro-HETs erfolgen (seit Jahrzehnten!) experimentell als "Off Label-Use". Obwohl die negativen Folgen von Östro-HET bei Zwittern, deren Körper eigentlich Testo brauchten, seit längerem auch in der medizinischen Literatur bekannt sind (unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Osteoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust), weigern sich die Mediziner bis heute, zwangskastrierten Zwittern eine HET nach Bedarf und Wunsch zuzugestehen.

Mehrere Betroffene begannen schliesslich, auf eigene Faust Testo zu nehmen, viele davon mit positiven Resultaten. Jedoch weigern sich die Mediziner meist, den Betroffenen Rezepte auszustellen, die von der Kasse übernommen werden – bezeichnenderweise gern mit der Ausrede, HET mit Testo sei "Off Label-Use" ... Sprich, die Zwangskastrierten müssen eine adäquate HET noch aus der eigenen Tasche bezahlen! Seit Jahren besteht deshalb die Forderung an die Mediziner und insbesondere das Netzwerk, diesem Unfug endlich ein Ende zu bereiten.

Am 6.3.2009 ging nun beim Dachverband der Selbsthilfegruppen Intersexuelle Menschen e.V. eine Mail ein von Prof. Olaf Hiort mit dem Betreff "Klinische Studie zur Testosteronsubstitution bei kompletter Androgenresistenz". Eine solche war schon seit längerem im Gespräch. Nachdem jedoch letztes Jahr die Netzwerk-Gelder ausliefen und eine Fortsetzung der Finanzierung letzten Sommer abgelehnt wurde, lag das Projekt zunächst auf Eis. Olaf Hiort hatte es nun "bei einem anderen Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eingereicht", und dort sei es "als sehr gut bewertet worden".

Bei der Studie geht es laut Olaf Hiort darum, dass die Testosteronsubstitution bei CAIS ("Betroffene mit anderen Formen von DSD/Intersexualität sind von der Studie ausgeschlossen") in Zukunft zugelassen, sprich "vom Gesetzgeber und von den Krankenkassen" anerkannt wird.

Damit liegt der Ball nun bei den Zwittern. IMeV und die Selbsthilfegruppen suchen zur Zeit nach potientiellen Kandidat_innen, die mitmachen – was jedoch nicht nur einfach sein wird, da die Teilnehmenden drastischen körperlichen und seelischen Strapazen ausgesetzt werden.

Mein Kommentar:

Auf den ersten Blick eine erfreuliche und vielversprechende Nachricht: Endlich eine Studie, die beweisen soll, dass es CAIS-Menschen mit Testosteron besser geht! Auf den zweiten Blick sieht das Ganze jedoch etwas anders aus.

Obwohl ich das im ersten Augenblick dachte, geht es bei dieser Studie nicht darum, Kastrationen zukünftig als noch unsinniger darzustellen und deshalb letztlich abzuschaffen. Diese Studie tangiert den Kastrationsgrund "Krebsgefahr" nicht. Es geht lediglich um den "Off Label-Use".

Dagegen ist im Grunde genommen auch nichts einzuwenden. Viele von uns wären froh darum, sich nicht mehr mit renitenten Medizinern und Krankenkassen rumschlagen zu müssen.

Die "Versuchskaninchen" müssen sich jedoch für diese Studie einem sehr drakonischen Regime unterziehen:

"Es ist eine zweizeitige Behandlung mit Testosteron gegen Östrogene vorgesehen, wobei das Präparat 'geblindet' wird, d. h. die Behandelte weiß nicht, welches Präparat sie gerade bekommt.  Die Behandlungsdauer ist insgesamt mit einem Jahr angesetzt, dabei dürfen 2 Monate vor Behandlungsbeginn keine Hormone eingenommen werden und zwischen den beiden Therapiearmen jeweils auch einen Monats nichts..  Also ein langwieriger Vorgang, um die Effekte der Behandlung zu erfassen.  Dies würde an 4 Zentren in Deutschland erfolgen, die festgelegt werden.  Es sind ingesamt 8 Vorstellungstermine vorgesehen. Natürlich werden den Studienteilnehmern keine Kosten entstehen."

Nur, wenn mindestens 30 CAIS-Frauen bereit sind, an dieser Studie teilzunehmen, kriegt das Netzwerk diese vom BMBF bewilligt und bezahlt.

Bei dieser Studie mitzumachen, und insbesondere über Monate jeweils jede HET abzusetzen, bedeutet aber für die betreffenden Zwitter ein Jahr lang massive körperliche und seelische Probleme, die beispielsweise für das Berufsleben je nach dem auch bleibende negative Auswirkungen haben können. O-Ton Hiort: "Ich hoffe, diese mail schreckt Sie jetzt nicht zu sehr ab." Aufgrund dieser heftigen "Auflagen" wird Prof. Hiort eventuell keine 30 Proband_innen zusammen kriegen, die diese hormonellen Strapazen und sonstigen Unannehmlichkeiten auf sich nehmen werden wollen oder können.

In diesem Fall kann sich das Netzwerk dann künftig darauf berufen, dass die Betroffenen leider nicht interessiert sind, und sich die Hände in Unschuld waschen – statt endlich dafür zu sorgen, dass künftig ALLE zwangskastrierten Zwitter Hormone nach ihren Bedürfnissen und Wünschen von der Kasse bezahlt kriegen (und nicht nur solche mit CAIS)! Weil dies wäre nun wirklich das allermindeste, was uns zwangskastrierten Zwittern zustünde!

Dass man die Anerkennung der Testosteronsubstitution bei CAIS-Menschen und anderen Zwittern "vom Gesetzgeber und von den Krankenkassen" auch auf anderem Wege  erreichen könnte, und erst noch ohne Risiken und Nebenwirkungen, wird regelmässig unterschlagen. Ebenso, dass auch die Östrogensubstitution ebenfalls klar einen "Off Label-Use" darstellt.

Wenn also bei Östro trotz "Off Label-Use" problemlos ordentliche Rezepte möglich sind, trotz der erwiesenen Schäden, so sollte das eigentlich auch für Testosteron der Fall sein – alles andere ist unethisch, diskriminierend und unsere Menschenrechte einmal mehr mit Füssen tretend. Dies zumindest meine Meinung. Woran es dazu jedoch nach wie vor hapert, ist genügend öffentlicher Druck, nicht zuletzt von Seiten des Netzwerks ...

Trotzdem wäre es wie gesagt sehr zu begrüssen, wenn die Studie stattfinden würde, und ich möchte alle potentiellen Kandidat_innen dazu aufrufen, eine Teilnahme zu prüfen.

Nella

Siehe auch:
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- PRESSEMITTEILUNG: Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber bezahlen
- Testo-Studie: Doch keine Placebos

Monday, March 16 2009

Treffen "Netzwerk DSD" vom 28.2.09 in Lübeck

In kleinerem Rahmen als auch schon fand das erste Treffen des "neuen" Netzwerk DSD statt (vormals "Netzwerk Intersexualität"). Nachdem die seinerzeitigen Forschungsgelder Ende letztes Jahr ausliefen, wurde am letzten Treffen vom 6.9.08 beschlossen, das Netzwerk als Verein mit neuen Statuten und neuem Namen weiterlaufen zu lassen, um die etablierten Kontakte zwischen den beteiligten Kliniken weiterzupflegen. Das neue Netzwerk ist zudem eingebunden in "Euro DSD".

Von Seiten der Selbsthilfegruppen war für Intersexuelle Menschen e.V. und XY-Frauen diesmal Elisabeth "Museli" Müller ("Hermaphrodit Müller bitte, ich bin keine Frau") mit dabei. Auch die AGS Eltern- und Patienteninitiative war wiederum durch eine Mutter und eine betroffene Person vertreten.

Viel Platz nahmen bei dieser ersten Sitzung Interna in Anspruch. Bedauerlicherweise startet das "neue" Netzwerk ziemlich "chirurgenlastig", der neue Vorstand besteht aus einem Endokrinologen und zwei ChirurgInnen: Olaf Hiort (1. Vorsitzender, zugleich "Projektleiter" bei "EuroDSD"), Susanne Krege (2. Vorsitzende), Lutz Wünsch (Kassenwart). Ausführlich besprochen wurde die neue Satzung des Vereins (mehr dazu im Bericht vom letzten Treffen).

In einem 2. Teil wurde es dann für die Vertreter_innen der Selbsthilfegruppen spannend: Viele der Anwesenden sprachen sich für eine Verbesserung der psychologischen Unterstützung aus ("psychosoziale Versorgung von DSD-Patienten" im Jargon der anwesenden MedizinerInnen). Die einseitig ausschliesslich durch Endokrinologen und Chirurgen vorgenommene "Beratung" der Eltern wie der (in der Folge – Überraschung! – nach wie vor meist zwangsoperierten) jungen Zwitter wird schon seit 1992 von allen Selbsthilfegruppen einhellig kritisiert – und stattdessen erstmal umfassende und kompetente psychologische Unterstützung gefordert! Trotzdem ist es heute noch so, dass funktionierende psychologische Betreuung durch spezialisierte Fachkräfte (entgegen anderslautenden Lippenbekenntnissen auch aus dem Netzwerk) nach wie vor klar die Ausnahme darstellt. Letzten Angaben zufolge ist z.B. sogar in der Netzwerk-Hochburg Lübeck die psychologische Versorgung für das laufende Jahr nicht wirklich gesichert. Zu oft wird auch von Medizinerseite der Kontakt zu den Selbsthilfegruppen Trotz anderslautender Versprechen bewusst nicht hergestellt. Neuen Zündstoff erhielt die Ur-Forderung der Selbsthilfegruppen nach psychologischer Unterstützung nicht zuletzt durch die jüngste Lübecker Netzwerkstudie, die klar zeigt, dass Betroffene mit psychologischer Unterstützung eine bessere Lebensqualität haben. Forderungen und vor allem konkrete Schritte durch das Netzwerk zur allgemeinen Sicherstellung der "psychosoziale[n] Versorgung" für ALLE Zwitter und ihre Angehörigen wären demnach klar zu begrüssen – Fortsetzung folgt ...

Von Seiten der Selbsthilfegruppen wurde auch der unter Betroffen klar abgelehnte und als Affront und Unwort empfundene Begriff "Störung" kritisiert, der nun in der neuen Satzung durchgegend verwendet wird (im "alten" Netzwerk wurde das englische "Disorder" jeweils noch stillschweigend mit "Besonderheit" "übersetzt"). Von Seiten der AGS-Initiative wurde auf Milton Diamonds "freundlichere Beschreibung" "Varieties of Sex Development" hingewiesen, was unter den Anwesenden überraschenderweise überwiegend auf Zustimmung gestossen sei. Elisabeth Müllers Beitrag zur Diskussion:

Mein Kommentar dazu: es gelte hier nicht, irgendwelche großzügigen Freundlichkeiten zu verteilen, sondern den zwischengeschlechtlichen Menschen schlichtweg Menschenrechte zu gewähren. Zu Krege sagte ich: "Ihnen sagt doch auch keiner, daß Sie eine gestörte Körper- und Geschlechtsentwicklung haben".

Für zwangsoperierte und dadurch traumatisierte Zwitter kostet es aus naheliegenden Gründen immer starke Nerven, bei Mediziner-Veranstaltungen mit dabei zu sein. Vorletzen Herbst war es bei einem Netzwerktreffen in Buchum zudem zu unschönen Szenen gekommen, als viele Mediziner und ein Psychologe bei einem Vortrag von Betroffenen lauthals pöbelnd den Saal verliessen (eins / zwei) – eine unrühmliche Tradition seit 2000. Wie schon beim letzten Treffen scheint es auch dem "neuen" Netzwerk wichtig, dies künftig besser zu machen. Wie Elisabeth Müller berichtet, habe es bei ihr einzig mit der Anrede nicht auf Anhieb geklappt:

Als mir Versammlungleiterin Ute Thyen sehr höflich und mit Achtung  das Wort erteilte "Bitte, Frau Müller", habe ich mit beherrschter Stimme richtig gestellt, daß ich Hermaphrodit Müller sei.

Kommentar: Noch 1999 wurde Michel Reiter in Berlin von der Teilnahme an einem Kongress durch die Security kurzerhand ausgeschlossen. Offensichtlich haben die Proteste der letzten anderthalb Jahrzehnte zumindest einiges bewirkt. Bleibt zu hoffen, dass nicht zuletzt durch die neu erstarkte Zwitterbewegung die Mediziner auch künftig damit leben müssen, dass wo immer sie sich treffen, auch Vertreter_innen der betroffenen Menschen dabei sind und respektvoll angehört werden müssen!

Schön zu erfahren auch, dass die langjährige, begründete Kritik am menschenverachtenden Unwort "Störung" anscheinend mittlerweile auch im "Netzwerk der Geschlechtsentwicklungsgestörten" langsam anzukommen scheint. Zu schön, wenn nun das Netzwerk (und alle angeschlossenen Spitäler und vertretenen Standesorganisationen) in Namen (und Statuten) demnächst "freundlicher" würde(n) – auch und erst recht in den Behandlungsleitlinien! Denn nicht zuletzt dort hapert's nach wie vor gewaltig! Fortsetzung folgt ...

Siehe auch:
- 5. Netzwerk-Treffen Kiel 6.9.08: Intersexualität ade - DSD ahoi!
- Lübeck: Doch psychologische Versorgung auch 2009?
- Tagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG
- Netzwerk Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders

Friday, March 6 2009

CEDAW im Bundestag: Nach bekanntem Muster

Mittlerweile ist das provisorische Sitzungsprotokoll (Nachtrag >>> vollständiges Protokoll als PDF) der 208. Sitzung vom 5.3. online. Die Bundesregierung war in Sachen CEDAW wie üblich vertereten durch Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

In Sachen Zwitter machte es sich die Ministerin denkbar einfach: Schweigen wie gehabt.

Auch zu allen anderen Themen rezyklierte sie zuverlässig altbekanntes: Das CEDAW-Komitee hat Deutschland nur gelobt, alles paletti, weiter nix ...

Allerdings hatte die Ministerin dabei die Rechnung letztlich ohne die Aufmerksamkeit der Abgeordneten gemacht. Aus dem Redebeitrag von Ina Lenk (FDP):

Auch die Alternativberichte der Allianz von Frauenorganisationen in Deutschland und des Juristinnenbunds sind bisher nicht im Ausschuss diskutiert worden. Frau Ministerin, Sie haben eine hauseigene Pressemitteilung vom 13. Februar zitiert, die wortgleich mit einer Pressemitteilung aus Ihrem Haus vom 4. März ist.

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unglaublich!)

Eine hauseigene Pressemitteilung, in der sich die Regierung über den Klee lobt, reicht aber wahrlich nicht aus.

Wiederholt wurde auch von Abgeordneten moniert, die Bundesregierung hätte die Empfehlungen des CEDAW-Komitees noch immer nicht ins Deutsche übersetzt – und auch das englische Original dem Parlament schlicht vorenthalten (!!) ...

Trotzdem war es dem Parlament nicht entgangen, dass die Bundesregierung in diesem "brisanten Papier" (Oliver Tolmein) nicht zuletzt wegen mangelnden Schutzes der Menschenrechte der Zwitter klar gerügt sowie zur Abfassung eines diesbezüglichen Zwischenberichts verknurrt wurde, was in der gestrigen Debatte dann verdankenswerter Weise auch sage und schreibe 3 (!!!) Parlamentarierinnen aufgriffen:

Irmingard Schewe-Gerigke (Grüne) erinnerte die Bundesregierung u.a. an die für Zwitter zentrale Empfehlung 62 des Komitees. In diesem Zusammenhang tauchte in der gestrigen Bundestagsdebatte gar das erste Mal das Wort "intersexuell" auf - im Gegensatz zu den CEDAW-Empfehlungen allerdings wieder in der "traditionellen", scheinbar gottgegebenen Reihenfolge:

Sie reagieren nur, wenn Sie das Bundesverfassungsgericht dazu zwingt. Das betrifft in letzter Zeit - das steht auch in den Berichten - die transsexuellen und intersexuellen Menschen. Dazu findet sich kein Wort von Ihnen im Länderreport. Die Rüge der Vereinten Nationen kam postwendend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Nicht, dass ich persönlich die Reaktionsfähigkeit irgendeiner Bundesregierung der letzten 60 Jahre in Sachen Zwitter höher einschätzen würde. Diesbezüglich finde ich die Beschreibung ziemlich akkurat. Nur: Dass es zu "Intersexuellen" z.B. gar keine Bundesverfassungsgerichtsentscheide gibt, wer weiss das schon? Wen interessiert das schon?

Das zweite Mal wurden Zwitter erwähnt von Caren Marks (SPD) – mensch beachte die Reihenfolge, oho!

Wir wollen keine Diskriminierungen von lesbischen Frauen oder inter- und transsexuellen Menschen.

Dito zum Dritten wurden Zwitter und der Schattenbericht eingebracht von Kirsten Tackmann (DIE LINKE):

Noch viel mehr Kritik steht im Alternativbericht zur UN-Frauenkonvention CEDAW, den uns Abgeordneten im vergangenen Dezember 28 Frauenorganisationen vorgelegt haben, gemeinsam mit einem alarmierenden Bericht zur Situation inter- sowie transsexueller Menschen in unserem Land. Dieser engagierten Arbeit ist es zu verdanken, dass die real existierenden Mängel der bundesdeutschen Gleichstellungspolitik und Frauenpolitik deutlich benannt wurden. Alle diese Berichte widersprechen dem allzu selbstgefälligen Bericht der Bundesregierung in ganz wesentlichen Punkten. Aber Kritik nutzt nur, wenn sie gehört wird. Deshalb sehe ich diese Alternativberichte als Hausaufgaben für das Parlament und uns Abgeordnete. Wir müssen erzwingen, dass die Bundesregierung die UN-Frauenkonvention endlich erlebbar durchsetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Endlich ein Votum, das konkrete Taten fordert! Leider ist aber genau DIE LINKE diejenige Partei, deren eigene "Aktivitäten" dieses Lippenbekenntnis zumindest in Sachen Zwittern klar Lügen strafen: seit über 5 Monaten sitzt die Linke auf dem Schlauch bei einer praktisch fixfertigen kleinen Zwitter-Anfrage, die sich u.a. genau auf den Schattenbericht bezieht und von der Bundesregierung diesbezüglich Rechenschaft verlangt und sie zum Handeln auffordert!

Fazit: Das die Zwitter wenigstens erwähnt werden, und nicht mal mehr ausschliesslich als Schlusslicht, ist ja schon mal etwas. Alles in allem reicht es es aber konkret noch lange nicht für eine Trendwende: Mit wohlklingenden Absichtserklärungen, denen keine Taten folgen, ist den Zwittern nicht geholfen (noch sonstwem) ... Genau an letzterem haperts aber speziell im Bundestag nach wie vor, und zwar gewaltig! Wann folgen auch dort – wie jüngst in Hamburg – endlich massiert konkrete und hartnäckige Vorstösse? Wer macht den Anfang? Wer zieht alles nach? Und nicht zuletzt: Wieviele bleiben dran, bis endlich konkrete Resultate herausspringen?

Ansonsten werden auch morgen, nächste Woche, nächstes Jahr usw. wehrlose Zwitterkinder nach dem altbekannten Programm zwangsoperiert. Und alle werden sie im Bundestag weiter dazu schweigen (oder allenfalls schön reden) und weiter wegschauen.

So wurden auch in der heutigen Pressemitteilung des Bundestags zur CEDAW-Debatte die Zwitter einmal mehr schon gar nicht erst erwähnt ... Auch die gestrige DDP-Meldung unterschlägt die Zwitter, erwähnt aber (im Gegensatz zur Bundestagsmeldung)  immerhin in einem Nebensatz "25 Beanstandungen der UN zum jüngsten deutschen CEDAW-Bericht".

(Danke an Lucie für den Hinweis auf das 2. und 3. Zwitter-Zitat. Im provisorischen Protokoll noch nicht enthalten: die Behandlung des Yogyakarta-Antrags und weiterer der Grünen später in derselben Sitzung.)

Nachtrag: Bundestag lehnt Yogyakarta-Vorstoss der Grünen ab

Bundestags-Suchmaschine zu "Intersexualität":
http://suche.bundestag.de/searchAction.do?queryAll=&queryOne=intersexuell+intersexuelle+intersex

Siehe auch:
- Schattenbericht Intersexuelle Menschen e.V.
- Schattenbericht: Bundesregierung leugnet Menschenrechtsverletzungen an Zwittern 
- Zwitter-Demos vor der UNO 26.1.
- Weitere Medienberichte zu Genf
- Genf: UNO mahnt Bundesregierung
- CEDAW: Schriftliche Empfehlungen an die Bundesregierung
- Oliver Tolmein zu CEDAW-Empfehlungen
- Offener Brief des Deutschen Juristinnenbundes erwähnt Zwitter

Wednesday, February 25 2009

Leugnen, wegschauen, schweigen – Hamburger Senat reiht sich ein unter die MittäterInnen

Am 14.1.09 war in Hamburg nach drei Kleinen Anfragen die historische Grosse Zwitter-Anfrage eingereicht worden. Inzwischen liegen die Antworten des Senats vor.

Leider zeigte sich der Senat der Herausforderung alles andere als gewachsen. Statt sich schützend vor die Opfer der Zwangsoperationen zu stellen, stellt sich der Senat einmal mehr vor die TäterInnen. Statt Format zu beweisen und sich um inhaltliche Antworten zu bemühen, folgte er dem sattsam bekannten Beispiel der Bundesregierung (eins / zwei / drei / vier) und macht sich ebenfalls zum Komplizen der Zwangsoperateure.

Falls der Hamburger Senat jedoch hoffte, mit seiner Nicht-Antwort auf die historische Grosse Zwitter-Anfrage wäre das leidige Thema endlich wieder unter dem Tisch, hat er die Rechnung allerdings wohl ohne die Hamburgische Bürgerschaft gemacht – deren Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz hatte noch im alten Jahr beschlossen, am Mi 29. April 2009 eine Expertenanhörung zum Thema durchzuführen!

Drucksache 19/1993
Schriftliche Große Anfrage "Zwischengeschlechtliche Menschen"
der Abgeordneten Kersten Artus, Dora Heyenn, Christiane Schneider, Norbert Hackbusch, Elisabeth Baum, Dr. Joachim Bischoff, Wolfgang Joithe-von Krosigk, Mehmet Yildiz (DIE LINKE) vom 14.01.09
und Antwort des Hamburger Senats vom 13.02.09
>>> Link zu PDF-Download

Ironischerweise erfolgte die Antwort des Senats mit demselben Datum vom 13.2.09, mit dem in Genf das CEDAW-Committee in einem laut dem Rechtsanwalt Oliver Tolmein "brisanten Papier", nämlich seinen "Abschliessenden Bemerkungen und Empfehlungen", die Bundesregierung nunmehr auch schriftlich offiziell aufforderte, "effektive Anstrengungen zu unternehmen", "die Menschenrechte" der Zwitter "zu schützen", sowie deren Durchsetzung auch in den Ländern und Kommunen zu fördern ...

Bei seinen Ausreden machte es sich der Senat denkbar einfach – wohl im Glauben, wegen "diesen paar wildgewordenen zwangsoperierten Zwittern" werde eh niemand genauer hinschauen.

Je nach Bedarf ist z.B. entweder alles dermassen unbekannt, dass eine konkrete Antwort dem Senat unmöglich erscheint – oder aber dieselbe Sache ist derart erschöpfend bekannt, dass sie gar erst nicht überprüft zu werden braucht:

So ist dem Senat betreffend der Zahl der in Hamburg durchgeführten genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und Hormon-Zwangsbehandlungen "eine Antwort auf diese Fragen nicht möglich" mit der scharfsinnigen Begründung, "Eine einheitliche und randscharfe Definition des Begriffes „intersexuell“, „disorder of sex development“ oder „zwischengeschlechtlich“ gibt es nicht" – unter Verweis auf niemand anderen als die Bundesregierung (Einleitung sowie Antworten 1-3). Aus demselben Grund gäbe es  "kein einheitliches „medizinisches Interventionskonzept"" (Antwort 16) und aus demselben Grund würden auch "Die erfragten Daten [...] statistisch nicht erfasst." (Antworten 4-5)

Andrerseits weiss der Senat dann sehr genau: "Unter den Sammelbegriff „Intersexualität“ fallen mehr als hundert Dysfunktionen" (Einleitung). Und behauptet treuherzig, betreffend "Intersexualität" und ihre "Behandlung" sei die internationale Wissenslage derart klar und standardisiert, dass "experimentelle Studien" zu den Auswirkungen der Zwangseingriffe nicht nur nicht durchgeführt wurden, sondern auch gar nicht notwendig seien: "Wenn in der internationalen Literatur hinreichend aussagekräftige Studien zu einer Thematik vorliegen, werden diese Erkenntnisse nicht erneut lokal überprüft." (Antwort 7)

Ebenso willkürlich je nach Bedarf hält es der Senat mit dem Datenschutz: Einerseits dürfen Medizyner Patientendaten scheinbar nach Lust und Laune publizieren und weitergeben, sofern "die Daten der betroffenen Person nicht mehr zugeordnet werden können" (Antwort 14). Andrerseits kann der Senat nicht einmal Zahlenangaben zu Zwangsbehandelten machen "aus Gründen der Schweigepflicht und des Datenschutzes" (Antwort 19).

Vielsagend auch die nachfolgend vollständig wiedergegebene, erschöpfende Antwort des Senats, ob die Freie und Hansestadt Hamburg bereit sei, Zwangsoperierten Zwittern Opferschutzanwälte zur Seite zu stellen, um die erlittenen Rechtsverletzungen aufzuklären und soweit noch möglich einzudämmen: "Damit hat sich der Senat nicht befasst." (Antwort 15)

Der grösste Skandal der Nicht-Antworten des Senats ist jedoch die wahrhaft ungeheuerliche Behauptung, Eltern dürften nicht nur ihre Kinder nach eigenem Gutdünken willkürlich verstümmeln lassen und ihnen nach Lust und Laune gesunde Organe amputieren lassen – nein, die Zwangsoperierten hätten danach nicht einmal ein Recht auf Information über die an ihnen begangenen Verbrechen:

"Im Übrigen ist bei nicht einwilligungsfähigen Kindern und Jugendlichen die Einwilligung der Personensorgeberechtigten maßgeblich. Die Information dieser Kinder beziehungsweise Jugendlichen durch die Ärzte und Psychologen kann daher nur im Einvernehmen mit den Personensorgeberechtigten erfolgen, denen die Entscheidung über die Zustimmung zu einer vorgeschlagenen Behandlungsweise obliegt. Soweit die Kinder beziehungsweise Jugendlichen einwilligungsfähig sind beziehungsweise geworden sind, können sie ihren Anspruch auf Information gegenüber den behandelnden Ärzten selbst geltend machen." (Antwort 16)

Dazu passend: Auf die Frage, was der Senat zu unternehmen gedenkt, dass Akten nicht mehr (wie meist) vernichtet würden, bevor die dereinst "einwilligungsfähig gewordenen" Zwangsoperierten sie überhaupt sehen, geht der Senat einmal mehr gar nicht erst ein ... (Antwort 17)

Kommentar:

Offensichtlich hat jedes Haustier mehr Rechte als ein Hamburger Zwitterkind!

Auf welcher Seite der Hamburger Senat steht, auf jener der Medizyner-Verbrecher oder jener der Zwangsoperierten, dürfte damit restlos geklärt sein.

Bleibt die Frage, auf welcher Seite die Hamburgische Bürgerschaft steht ...

Siehe auch:
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Rechtsanwalt Oliver Tolmein: "Deutschland gerügt: Menschenrechte von Zwittern nicht geschützt"
- Rechtsprofessorin Konstanze Plett: “Intersexualität aus rechtlicher Perspektive”

Friday, February 6 2009

Internationaler Tag gegen Mädchenbeschneidung (aber die Zwitter operiert nur ruhig weiter, sind ja keine Frauen, äh, Menschen ...)

Heute am 6. Februar ist der "Internationale Tag Zero Tolerance for FGM – Keine Toleranz für Weibliche Genitalverstümmelung". Dazu gabs Dutzende Pressemitteilungen von Bundesministerien, einzelnen Bundestagsparteien, dem Frauenring, Terre des Femmes usw. usf. Da wird tapfer gegen menschenrechsverletzende Gebräuche aus dem 'finsteren Afrika' protestiert und zum Handeln aufgerufen. "Es darf keine Toleranz bei Gewalt gegen Frauen geben", sind sich mal wieder alle einig blablabla.

Gewohntes "Detail": Keine einzige dieser Pressemitteilungen richtete sich (auch) gegen die von Bundesregierung und Bundestagsparteien geduldeten bzw. geförderten Genitalverstümmelungen an Zwittern vor der eigenen Haustüre! Und das 4 Tage, nachdem die Bundesrepublik von der UNO für das Tolerieren ebendieser (durchaus vergleichbaren) Praktiken gerügt wurde, unter Anwesenheit auch vieler Frauenvertreterinnen aus Deutschland. Und obwohl bekanntlich 85% aller Zwitter zu Frauen zwangsoperiert werden. Aber naja, manche Frauen werden halt wohl immer etwas gleicher bleiben, und Zwitter sind ja bekanntlich keine Menschen ...

Siehe auch: "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?"

Nachtrag: Danke an alle Frauen, die bei ihren Organisationen gegen die Auslassung der Zwitter protestierten!

Nachtrag 2: Dass es problemlos auch anders geht, macht die argentinische Zeitung Pagina 12 vor, die ausdrücklich aus Anlass des heutigen Tages einen Artikel über Intersexaktivismus brachte (auf spanisch).

Siehe auch:
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal") 
- "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?" 
- Bundesärztekammer gegen genitale "Zwangsoperationen" – natürlich nur bei "Mädchen und Frauen" ...
- Schweiz: Terre des Femmes und Amnesty gegen Zwangsoperationen an Zwittern 
- Zwitter und Patriarchat aus feministischer Perspektive  

Thursday, January 22 2009

Deutscher Ethikrat reiht sich ein unter die MittäterInnen

So nah liegen das Neue und das Alte beieinander: Nur wenige Tage nach der sensationellen ersten Grossen Zwitter-Anfrage in Hamburg erreichte Nella ein Mail als Antwort auf ihre detaillierte Anfrage beim Deutschen Ethikrat, das ist so traurig, ich weiss gar nicht, wie ich's schreiben soll. Ich zitiere es deshalb einfach:

-------- Original-Nachricht --------
Betreff:         AW: Intersexualität: Menschenrechtsverletzungen und
Diskriminierungen
Datum:         Mon, 19 Jan 2009 13:15:46 +0100
Von:         Ulrike Florian <florian_at_ethikrat.org>
An:         <vorstand_at_intersexuelle-menschen.net>
CC:         'Dr. Joachim Vetter' <vetter_at_ethikrat.org>

Sehr geehrte Frau Truffer,

zunächst danke ich Ihnen sehr für Ihre Nachricht vom 10. Dezember und
die ausführlichen Informationen und weiterführenden Links zur
Problematik der Intersexualität.

Die von Ihnen an den Deutschen Ethikrat herangetragene Bitte, sich mit
diesem Problemkreis auseinanderzusetzen, ist in die am Folgetag
abgehaltenen Beratungen des Rates über sein Arbeitsprogramm für das Jahr
2009 eingeflossen.

Die Vielfalt an Themen, mit denen sich der Ethikrat auseinandersetzen
möchte, führt jedoch zwangsläufig dazu, dass eine Auswahl getroffen
werden muss - nähere Informationen hierzu finden Sie auf der Website des
Deutschen Ethikrates unter http://www.ethikrat.org/de_themen/index.php.

Zu den Themen, die keinen Eingang in das Arbeitsprogramm des Jahres 2009
gefunden haben, zählt u. a. leider auch das Thema der Intersexualität.

Dafür bitten wir um Ihr Verständnis.

Mit allen guten Wünschen für das Jahr 2009 und freundlichen Grüßen

Ulrike Florian

______________________________________

Deutscher Ethikrat
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin

Tel:      +49 +30 203 70-246
Fax:     +49 +30 203 70-252
E-Mail: florian_at_ethikrat.org
URL:    http://www.ethikrat.org


Öhm, vielleicht doch Mini-Kommentar gefällig?
Es handelt sich wohlbemerkt um denselben Ethikrat, der 2008 als Schwerpunkt "Kosmetische Operationen an Kindern" im Schwerpunkt hatte. Ich weiss, dass viele Zwitter und solidarische Nicht-Zwitter grosse Hoffnungen in den Ethikrat gesetzt hatten. Zu Recht. Eine couragierte Stellungnahme hätte manchem jungen Zwitter höchstwahrscheinlich mehrere genitale Zwangsoperationen erspart. Manchmal könnt mensch einfach nicht soviel saufen, wie mensch kotzen möchte. Aber (ich gebe zu, ich weiss nicht, was der Ethikrat konkret betreffend "Kosmetische Operationen an Kindern" letzes Jahr behandelte und bewirkte, ich schätz jetzt einach mal) Nasenoperationen an den Kids reicher Eltern, das ist n dringliches Thema, boa. Schäm dich, deutscher Ethikrat. Mensch braucht bloss zu gucken, wer euch finanziert, um zu wissen, wen ihr vor gerechter Strafe schützt. Das Blut wohl Hunderter zwangsoperierter Zwitter klebt an euren Händen. Macht nur weiter so. Und jetzt, ähm, hör ich wohl besser auf, bevor ich noch ernsthaft ausfällig werde ...

Nachtrag: Immerhin ist nun seit dem 3.4.09 im Jahresbericht 2008 des Ethikrats an den Bundestag (16/12510 >>> PDF-Download) auf S. 13 offiziell festgehalten, dass der Ethikrat "Hilfegesuche von Betroffenen" auch zum Thema "Intersexualität" erhalten hatte. 

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