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Friday, April 24 2009

Selbstdarstellung - AGGPG

D O K U M E N T A T I O N
Quelle:  http://web.archive.org/web/20020225045640/home.t-online.de/home/aggpg/slb.htm

Informationen zur AGGPG

(update 13.10.01)

Im Binnengefüge der Nation galten die Juden als 'Feind im Innern'. Die Grenzen
der Nation ließen nicht genügend Raum, um die Juden zu definieren; der Horizont
des nationalen Gedächtnisses reichte nicht weit genug, um deren
Identität zu durchschauen.
(Zygmunt Bauman: Dialektik der Ordnung. Die Modere und der Holocaust)
 

Ambivalence, ambiguity, equivocality ...  These words convey the feeling of
mystery and enigma; they also signal trouble, whose name is uncertainly, and a
dismal state of mind, called indecision or hesitation. When we say that things or
situations are ambivalent, what we mean is that we cannot be sure what is going
to happen, and so neither know how to behave, nor can predict what the outcome
of our actions will be. Instictively or by learned habit, we dislike and fear
ambivalence, that enemy of security and self-assurance. We are inclined to
believe that we would feel much safer and more comfortable if situations were
unambigous - if it were clear what to do and certain what would happen if we do it.
(Zygmunt Bauman: Modernity and Clarity. The Story of a Failed Romance)


 
 

Wer ist die AGGPG?

Die Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG; neu zudem: Gewalt in der Psychologie und Genetik; korrekt also: AGGPPGG [1]) gündete sich am 8. März 1996 nach einer Diskussionsrunde zur genitalen Verstümmelung vorwiegend in afrikanischen Ländern. Dort zeigte sich die Notwendigkeit, spezifisch auf die Situation intersexueller Menschen (dem Volksmund als Zwitter oder Hermaphroditen bekannt), vor allem Kindern, hinweisen zu müssen.

Beteiligt an der Gründung waren zunächst Heike Bödeker und Michel Reiter, welche beide kurz nach Geburt einer langjährigen medizinischen Prozedur ausgesetzt wurden mit dem Ziel, eindeutig einem Geschlecht zuzugehören und diese Zuweisung als Erwachsene ablegten. Sie verstehen sich heute weder als Frauen noch Männer, sondern haben normative Geschlechtervorstellungen ähnlich einer nicht annehmbaren Hülle abgestriffen. Zwischenzeitlichen haben personelle Wechsel stattgefunden.

Die AGGPG ist keine feste Gruppe oder ein e.V., sondern eine non-profit Initiative ohne zweckgebundene Finanzmittel zur Wahrung der Autonomie mit Website und Kontaktmöglichkeit. Die Initiative ist auch keine Selbsthilfegruppe, sie kann und will für andere keine Entscheidungen fällen. Auch versteht sie sich nicht als Konsum-, Delegations- und Dienstleistungsunternehmen. Da gleichfalls am Opportunismus kein Interesse besteht sowie immer wieder auf mehreren Parketts gleichzeitig getanzt wird (und bisweilen auch gar nicht), werden Sie die AGGPG schwer verorten und ihr auch keine Konzentration auf eine special-interest-Politik anhängen können - wenngleich radikale Kritik am binären und vereindeutigenden Denken bestehen bleibt und damit diese westliche Kultur in ihren Grundpfeilern angegriffen wird. Summa sumarum sind die Vorstellungen der AGGPG somit ungeeignet für die klassische parlamentarisch-kleingeistig ausgerichtete Lobbyarbeit.

Die Präferenz der AGGPG wird sich nach Bekanntgabe des Urteils vom Amtsgericht München hin zu einer kreativeren, eigenständigeren Arbeit verändern, ggf. mit separater Rubrik. Nicht Aktivismus und Öffentlichkeitsarbeit zur Skandalisierung der Praxen werden ausgedehnt oder akademsiche Fragestellungen perfektioniert (die Basisarbeit zu einem Paradigmenwechsel von der Zwei- zur Mehrwertigkeit leistet diese Webseite bereits), sondern der Fokus auf die eigenen Interessen gelegt. Insofern wird sich auch sukzessive weniger an der Realität als auf der sozialen Oberfläche bestehend Erscheinendem abgearbeitet werden. Zu beginnen wäre bspw. mit einer Filmproduktion, die andere Fragestellungen hat als jene nach der Geschlechternormalität.



Zur Ausgangslage

Wenn ein Kind geboren wird, dessen somatisches Geschlecht nicht klar für die Hebamme / den Arzt einzuordnen ist, spricht der medizinische Diskurs von Intersexualität im engeren Sinne. Gesellschaftliche Normvorgaben und Stigmaängste der Eltern führen zu der prekären Situation sich im Zwang zu sehen, das Kind geschlechtlich vereindeutigen zu müssen als auch Ärzte (vorrangig Endokrinologie und Chirurgie) mit dieser Aufgabe monetäre Vorteile, Prestige und Machbarkeitsphantasien verbinden können. Die Eingriffe sind langwierig, äußerst schmerzhaft und im medizinischen Sinne nicht notwendig. Sie verursachen irreversible körperliche Schäden und garantieren keinen Erfolg sowohl hinsichtlich Operationsergebnis als auch Geschlechtsidentität. Untersuchungen aus Qualitätskontrollen liegen international kaum vor und vorhandene Ergebnisse sprechen durchweg gegen Eingriffe. Binnen intersexueller Kreise wird die Prozedur als Folter beschrieben und suizidale Überlegungen sind üblich.

Dieser stark verkürzt wiedergegebenen Ausgangslage liegen zwei Elemente zugrunde:

  • Die körperliche Existenz mehr als zweier Geschlechter (wie sie heute verstanden werden als Konglomerat aus Chromosomensatz, primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen) ist generell nicht selten. Neuere Erhebungen nennen: USA 5,46 Mio, Deutschland 1,64 Mio, Italien 1,15 Mio, Frankreich 1,22 Mio, England: 1,17 Mio, Australien: 360.000, weltweit: ca. 120 Mio. Die Anzahl der bereits unmittelbar bei Geburt in frage gestellten Kids liegt bei rd. 0,1% der Bevölkerung, also rd. 1/20 der genannten Zahlen. Doch auch 6 Mio weltweit sind keine zu unterschätzende Präsenz.
  • Es findet kein adäquater sozialer Umgang statt, sondern eine Negation der Existenz und Abgabe an die Medizin zur Korrektur. Somit schließt sich ein Kreislauf, der Lobbyarbeit stark erschwert, aber auch alternative Optionen eröffnet.
Die fast perfekte Reibungslosigkeit im Ablauf der Genitalverstümmelungen läßt sich aus massgeblich drei Gründen ableiten:
  • Eltern rechnen nicht damit, dass ihre Frage "Was ist es denn?" mit der impliziten Erwartung "Junge oder Mädchen" nicht oder nicht leicht beantwortet und schon gar nicht sofort beantwortet werden kann. Hier besteht Mangel an Aufklärung und Beantwortungsoptionen, die eine Zweiteilung der Weltanschauung (tertium non datur) nicht bereithält.
  • Viele Menschen schämen sich ihrer Genitalien wie sie sich ihrer Körper schämen, den sie nur funktionalisiert akzeptieren. Hier soll nicht der Scham widersprochen werden, aber der Reflexionslosigkeit. Weil sie bei sich selbst lieber wegsehen, verstehen sie nicht, warum dieser kleine Mensch ihnen solche Angst macht. Und sie verstehen nicht, dass sie zur Selbstkonzeptionierung einer inneren Gewissheit über ihr Selbst auch ihren Körper brauchten, zu dem die Genitalien zentral gehören. Eine Gewissheit, die vor aller sozialen Geschlechtsverortung angesiedelt ist. Sie glauben dann allen Ernstes, wenn sie die Genitalien ihres Kindes manipulieren, würde dieses da schon hineinwachsen - irgendwie. Dies ist falsch, denn die Genitalien werden durch einen chirurgischen und / oder hormonellen Eingriff irreversibel zerstört.
  • Die klassische Logik, die das westliche Weltbild bestimmte, besteht aus drei elementaren Sätzen: a) der Satz der Identität von Denken und Sein (Lehre vom Begriff), b) der Satz vom verbotenen Widerspruch (Urteilslehre), c) der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (Lehre vom Schluß). (zum Verständnis der Bedeutung empfehlenswert: Fritz B. Simon (2001): Tödliche Konflikte. Zur Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege. Carl-Auer-Systeme) Diese Sätze sind logisch immanent falsch, wie Gotthard Günther durch Weiterentwicklung der hegel'schen Dialektik nachweisen konnte, denn überall dort, wo das Subjekt logisch denkt, könnte es sich selbst nicht denken. Dadurch wäre es zu keiner Reflexion fähig und Erkenntnis fände nicht statt. Dieses aus dem tertium non datur folgende Denken ist tatsächlich immanent verdrängend, wie Klaus Heinrich durch seinen Rekurs auf Mythenerzählungen nachweisen konnte. Doch es ist die Leitidee der Wissenschaft der letzten 2500 Jahre mit immanenter Einschreibung in modernes/mordendes, aufklärerisches Denken. Der Zwitter als Wahrnehmungsfigur stellt durch seine schiere Existenz die gesamte klassische Logik in Frage und alle daran anhängenden westlichen Denkkonzepte. Daher fordern Zwitterfiguren (heissen diese in vergeschlechtlichtlicher Hinsicht nun Hermaphrodit, Zwitter, Hijra, transgender usw, ist hierbei völlig irrelevant) das Abendland heraus, sich über sich selbst hinaus fortzuentwickeln. Zwitterfiguren sind die Zukunft dieser Kultur, die sich auf eine höhere Komplexitätsebene einstellen muss. Geisteswissenschaften sind dieser Herausforderung bislang nur unzureichend gefolgt und daher existieren noch keine adäquaten Handlungsanweisungen in Situationen, die mit den drei vorgenannten elementaren Sätzen brechen. Anstatt finden sich in Justiz, Militär und Medizin radikale Massnahmen, verein(ein)deutigte, nationale und identitätspolitische Grenzen stets neu zu definieren - ohne die eine Existenzberechtigung dieser Institutionen kaum gegeben wäre.
In heutiger Gesellschaft spiegelt sich der in das induktive Schließungsverfahren eingeschriebene Pragmatismus wieder. Verkörperungen sind von Relevanz. Jede Einzelne kann als Verkörperung des Ganzen betrachtet werden (buddhistisch-metative Sichtweise), das Ganze spiegelt sich in jeder einzelnen Verkörperung wieder (christologische Sichtweise; jeweils deduktive Schließungsverfahren) oder, wie aktuell, Verkörperungen bestehen in wenn- dann- Beziehungen ohne religiös-generative Ableitung und Abhängigkeit. Dieses auf Gesetzesbestimmungen gründende Vertragsverhältnis  (analoges Schließungsverfahren) beinhaltet Rechte und Pflichten und zieht soziale Verantwortlichkeit nach sich.
Mediziner wenden in Geschlechterfragen keine dieser Sichtweisen an, sondern postulieren alleine ihre dem nationalökonomischen Profit dienlichen Wertmaßstäbe. Sie werden substituiert von o.g. Gesamtkonstellation und können ihre reaktionären, dem Fundamentalismus (Wörterbuch: geistige Haltung, die durch kompromissloses Festhalten an [ideologischen, religiösen] Grundsätzen gekennzeichnet ist) geschuldeten Versprechen, eines der beiden Geschlechter herstellen zu können, erfolgreich verkaufen.
Gleichzeitig war es binnen aller Forschungsvorhaben seit Jahrhunderten konsequent nie Ziel, das von ihnen Verworfene zu verstehen, so dass heute überhaupt kein Wissen über vergeschlechtlichte Zwitterfiguren vorliegt. Aktuelle empirische Studien mit Intersexuellen in den USA müssen nun im Mai 2001 (newscientist.com) nach ca. drei Jahren vergeblicher Anstrengungen ihr Scheitern eingestehen. Justine Schober formulierte es konkret: "We don't know what to ask."
Der geistige Horizont jener vormals Geschlechtssegregation betreibenden Forschenden disqualifiziert sie per definitionem, das tertium datur bezüglich Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata zu erfassen. Aus diesem Grunde war es angebracht, für ein in Deutschland geplantes Forschungsvorhaben nur Sachverständige zuzulassen, welche "an der medizinischen Praxis der geschlechtszuweisenden Maßnahmen weder mittelbar noch unmittelbar beteiligt sind." Konkret müssen somit Forscher involviert werden, die sowohl mit der inhärenten Logik einer Kultur vertraut sind, welche mehr als zwei Geschlechter kennt als auch die Übersetzungsarbeit in westliche Denksysteme leisten können.

Angebote

Für Eltern, die nicht alleine den medizinischen Aussagen folgen und ‚blind‘ einwilligen wollen, gibt es somit seitens der AGGPG allgemeine Informations- sowie in sinnvollem Rahmen Beratungsmöglichkeiten als auch für erwachsene Intersexen zunehmend Vernetzungspotentiale entstehen, vor allem via Internet und email.

Neben den auf dieser Webseite kostenfrei zur Verfügung gestellten Informationen werden öffentlich Vorträge gehalten, Interviews gegeben (sofern die Angebote annehmbar sind) und schriftliche Beiträge erstellt. Die Kapazitätsgrenzen sind mit der Anzahl aktiver MitarbeiterInnen verknüpft. Thematisch ist das Feld sehr weit und komplex.



Theoretische Verortung und Perspektiven

Die AGGPG distanziert sich theoretisch sowohl von Körper-, Rasse- und Geschlechternormen als sie auch auf eklatante Mängel medizinischer und sozialkonstruktionistischer Diskurse hinweist. Intersexualität wird nicht als drittes, essentialisiertes und ontologisiertes Geschlecht verstanden, aber für die ewig Geschlechtsgläubigen wird auf jene in der Humanwissenschaft vorgefundenen ca. 4000 Geschlechtervarianten verwiesen. Konzepte im Dienste einer Kontrollgesellschaft werden abgelehnt. Jede Idee und das Vorgehen der Reduktion auf zwei Geschlechter sind scharf zu kritisiern. Auch alternative multiple Konzepte im Dienste eines geschlechtlichen Fixierungsmodells werden abgelehnt. Theoretische Entwürfe müssen vielmehr die diskursive Herstellung der Bipolarität als auch Lebensentwürfe außerhalb vorgesehener Strukturen einbeziehen, zugleich flexibel und diesseits des "anything goes" sein. Theoretische Weiterentwicklungen aus den Einsichten der AutorInnen Foucault, Irigary, Deleuze und Butler halten wir für partiell relevant. Gleichfalls relevant erscheinen aber auch politische Maßnahmen, Menschen einen Sprachraum zu eröffnen. Dieser ist nicht in den erneuten Dienst diziplinierender Maßnahmen zu stellen, sondern ein solcher biopolitisch motivierter Gebrauch zu verhindern. Politisches Fernziel ist es, gänzlich auf Geschlecht als Personen zugeschriebenes Merkmal zu verzichten. Hierzu liegen in juristischer Hinsicht bereits Konzepte in der Schublade.

Perspektivisch stehen weitere Forschungsfragen offen (z.B. Ermittlung historischer Zwitter als auch die Untersuchung des Einflusses nationalsozialistischen Gedankengutes an medizinischer Ideologie und konkreter Forschung seit 1950). In Planung befindlich ist noch immer eine  Buchveröffentlichung als auch Irritationen im Kontext normativer Restriktionen, etwa im schulischen Sexualkunde- und Genetikunterricht oder auf medizinischen und sexualpolitischen Versammlungen, hervorzurufen. Ferner soll zunächst mit juristischer Forcierung ein 'drittes Geschlecht' kulturuell eingeführt werden - etwa als "formalisierte Ambivalenz" (Heinrich), "Triologie der Konstitution des Ortes" (Irigary), "Eröffnung einer untotalisierbaren Pluralität der Menschen" (Levians), "Gestalt der Reflexion, die weder im Ich noch im Du lokalisiert ist, sondern die erst im Es, d.h. im Gegenstand, auftritt" (Gotthard Günther), kurz: als durchaus verkörperte, jedoch auch fluide Mittlerfigur und nicht als erneuter Determinismus.

Cyborgs / Postgender(Master of Arts; rtf-download) etwa, propagiert von Donna Haraway, sind eine interessante empirische Vorstellung, sofern sie reflektiert bleiben und nicht in einen Hype münden. Ob postgender der richtige Begriff ist, müsste noch diskutiert werden. Zwar würde er keine Differenzierungen in weiblich und männlich nötig haben, die Idee korreliert jedoch mit Technologiefreudigkeit. Postgender ist insofern lediglich als Metapher und epistemologischer Anreiz zu verstehen (s. hier ein kritischer Einwurf und hier eine Postgenderadaption; Film Gendernauts - 1999).
Dass andererseits transgender nur heisst, "lernen ich selbst zu sein", spricht vielleicht eine ähnliche Sehnsucht an, arbeitet aber mit anderer Methode und bleibt an menschlichen Bedürfnissen im nonvirtuellen Raum orientiert.
Man könnte diese und weitere Bestrebungen auch vereinfacht formulieren: Pansexualität ist im Kommen. Doch Leute, die tatsächlich als nondimorphisiert optisch erkennbar sind, haben realiter noch immer keinen Anspruch auf einen Platz in der Gesellschaft. Sowohl die Welt des individualisierten Lebensästheten als auch die ihn schützenden Institutionen sind im geschlechtlichen Bereich, jenem vorgeblich "wichtigsten Ordnungsprinzip" (Zeit), noch primär unreflektiert.
Eine Zwitterfigur bringt das Ende der Termini Sex und Gender mit sich und bedeutet damit das Ende jener traditionellen, mit der health community korrelierenden Genderstudies: exogender; the exodus of gender. Eine metaphysische Rückbindung nebst Letztbegründung ist nicht mehr möglich. Sie rückt vielmehr Dichotomien wie Kultur und Natur zusammen und überwindet damit die Grenzen. Erst jetzt wird deutlich, dass kategorielle Reinheiten nie existierten. Auch jene in den Genderstudies noch postulierte Spaltung zwischen Maskerade und Original, gender und sex, fällt im Dritten in sich zusammen. Übrig bleibt je nach Lesart das Unmarkierte, das Naturhafte, reiner Code oder Nakultur. Die Differenz zwischen Schein und Sein wird obsolet. Eine echte epistemologische Implusion, nicht nur übersteigerte Synthese, bei gleichzeitiger Multiplikation potentieller Deutungsmuster (die alten vier, noch phänomenologisch orientierten Interpretationsmodelle sind hier zu finden). Geschlechterzwänge sind passé. Das tertium datur ist der Ort der Transformation von äußerer in subjektive Macht, das die Individuen sich selbst neu erfinden läßt und wenn sie klug sind, sich nicht einer erneuten Dominanzkultur ausliefern. Das tertium ist zugleich die Schnittstelle zwischen zweiwertiger Logik und polykontexturalen Systemen.
Da eine völlig Aufhebung des Begriffes 'Geschlecht' ein Ärgernis der Genderproduktionsstätten stellt (s.u., zudem sog. Frauenzeitschriften, Ehe usw.), wird sozial ein drittes Geschlecht gewollt werden. Fliegenbeinzähler (Biologen und Mediziner) werden durch Täuschung (divide et impera) und Statistikfälschung dagegen weiterhin versuchen, die Zahl möglichst gering zu halten, ihre Strategie der Marginalisierung nebst Postensicherung nicht aufgeben und ihre Definitionsmacht fortschreiben wollen.

However, wir wollen der faschistoid motivierten Medizin in diesem Sektor damit in einem Nebenaspekt die Finanzen durch einen Legitimationsentzug streichen, ihnen das Definitionsmonopol entwenden sowie dieser Kultur (und uns) eine Bereicherung bzw. Lebensperspektive ermöglichen.
Kritisch anzumerken in diesem Kontext ist: "Der amerikanische Sozialanthropologe John Fiske befaßte sich außer mit der Kultur des Volkes auch mit der ökonomischen Dimension von Kultur-Mythen und seine Gedankengänge kann man auch auf die speziellen Mythen über die Gender und Sex anwenden: 1.) Sie sollen verkauft werden und die Einnahmen dienen dann a) zum Machterhalt der Produzenten, und b) als Ressourcen zur Produktion neuer Gender- und Sexmythen. 2.) Der Verkauf hat als Ziel, durch hohe Verkaufszahlen einen Wahrheitsgehalt des Genderbegriffs zu produzieren" (Quelle: www.annamagicart.com/ZIPs/Gender.zip) Der im Originaltext in einer Fussnote genannte Adolf Butenandt war Nobelpreisträger und Nazimediziner, sein Söhnchen Otfried bis in die späten 1990 Jahren an der Zwitterverstümmelung in München beteiligt. Wir denken, dies spricht für sich.

Daher gilt, so lange sich die Situation nicht verändert: "Diamanten gelten als besonders wertvoll, weil sie sehr selten sind. Intersexuelle jedoch, obwohl sie sehr selten sind, werden in westlichen Zivilisationen nicht hoch geachtet, wie in indianischen Kulturen, sondern werden in ihrer Integrität vernichtet. Das ist, als ob man Diamanten verbrennen würde, um sie der Kohle gleichzustellen, nur weil Kohle in größeren Mengen vorkommt. Das entsprechende Gesetz würde dann heißen: 'Es ist ein Naturgesetz, daß C12 als schwarze Kohle existiert. Diamanten sind ein Irrtum der Natur und sind deshalb der schwarzen Kohle anzupassen.'" (Quelle: ebd.)

Das Amtsgericht stellte klar, dass ihm Zwitter nicht unbekannt sind, sie gleichwohl bislang und auch mit diesem Urteil als nicht anerkannt bestätigt wurden. Dergestalt erfüllt ihre erzwungene soziale Abwesenheit eine zentrale Rolle zur Determination des geschlechtlich Gebotenen und Normierten: Zwitter stellen de facto ein sozial unzulässiges Geschlecht. Hinter dieser Konstellation steht ein Totem, das stets mit dem Tabu einher geht, es nicht zu töten oder zu verletzen.
Wenn geschlechtliche Vorgaben im Zuge der Emanzipation nicht mehr eingehalten werden, ist es eine schizophrene Dynamik, die Existenz von Zwittern zugleich zu tabuiseren und sie materiell zu eliminieren, statt sie als gleichberechtigt anzuerkennen (Def. schizoide Persönlichkeit: Zerfall emotionaler / handelnder und intellektueller / denkender Aspekte; s. Tertium datur: eine peinliche Befragung sowie Gilles Deleuze (1997): Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, Suhrkamp). Wenn Konformismen hingegen gefolgt wird, haben Zwitter als nonschizoide Ursprungsfigur einen sehr hohen Status inne:
 

Beschliessung Jurisprudenz soziale Verortung Zwitter Status des traditionellen Geschlechterverständnisses m / w
1. keine Aussage (Stand 2001) sakral, verworfen normierend, verdrängend
2. versagt die Eingriffe sakral, übersteigert normierend
3. akzeptiert ein 3. Geschlecht gleichberechtigt dekonstruierend, emanzipativ

In beiden zuvor genannten Fällen dürften medizinische Eingriffe nicht stattfinden. Da genau das jedoch der Fall ist, zielt die Diskussion um diese mit basalen gesellschaftlichen Verträgen brechenden Praxen sukzessive auf ein alternatives, nonbinäres Geschlechterverständnis, welches jene der Schizophrenie zugrunde liegende Ödipusfigur überwindet. Das Gegenteil der Absichten eines Verstümmelungsmanagements tritt ein, das selbst ohnehin nicht an einen Essentialsmus von "Geschlecht" glaubt, aber zur Profitabsicherung noch an Binaritäten festhält und doch nur mit einer kulturellen Sinnstiftung durch ihre Handlungen bricht: es delegitimiert sich selbst als weltfremd. [2]


Was können Sie konkret tun...

  • weisen Sie Schwangere oder Eltern, die sich mit einem Kinderwunsch tragen, auf die Möglichkeit hin, ein intersexuelles Kind zu bekommen
  • klären Sie Ihre Umgebung zu Existenz von und medizinischem Umgang mit Intersexen auf
  • weisen Sie Ratsuchende auf unterstützende Stellen hin (alle auf dieser WebSeite genannten Gruppen geben Informationen und, soweit sinnvoll, auch Entscheidungshilfen)
  • sprechen Sie mit Medizinern und weisen diese auf kritische Stimmen Intersexueller zur Methode der Geschlechtszuweisung hin
  • veranlassen Sie kooperative Mediziner zur Mitarbeit, um geschlechtliche Zuweisungen zu stoppen und den beteiligten Erwachsenen statt dessen bei Bedarf psychologische Hilfe in außerklinischem Kontext anzubieten
  • brechen Sie das Schweigen und tauschen Sie sich mit anderen aus
  • denken Sie daran: der Satz 'was nicht sein darf, das nicht sein kann' ist eine fadenscheinige Legitimation für Elimination
  • lernen Sie Ironie und bewerten Sie Ihre Situation nicht über: "...woman, children, and revolutionaries hate irony, which is the negation of all saving instincts, of all faith, of all devotion, of all actions." (Quelle: Linda Hutcheon 1995: Irony's Edge. The Theory and Politics of Irony. London, New York)
  • wenn Sie in eine ärztliche Beratungssituation geraten sind:
  • Zeichnen Sie alle Gespräche mit einem Aufnahmegerät auf und lassen Sie sich zur Begründung entscheidender Aussagen das Material aus Fachbüchern kopieren. Sie werden diese Unterlagen ggf. in einem Prozeß vor Gericht als Beweismaterial brauchen, wenn nicht bloß Aussage gegen Aussage stehen soll. Lassen Sie sich auch alle medizinische Akten stets in Kopie aushändigen. Rechtlich haben Sie darauf Anspruch. Fälle, in welchen chirurgische Eingriffe am Kind ohne Einwilligung und alleine zum Zwecke der geschlechtlichen Verein(ein)deutigung durchgeführt wurden, lassen zur Vorsicht raten.
  • Lassen Sie sich aufklären. Der informed consent ("informierte Einwilligung"; ein kritischer Vermerk dazu findet sich hier) ist Grundlage eines jeden Behandlungsvertrages. Er bedeutet eine umfassende, allgemein verständliche Aufklärung hinsichtlich der Diagnostik (dies impliziert auch, dass Ihr Kind ein intersexuelles Genitale hat und nicht nur Kürzel wie z.B. AGS), den Folgen aus etwaigen Eingriffen und solchen aus einem Unterlassen der Eingriffe. Zu vielen Fragestellungen existieren keine gesicherten Informationen oder nur Spekulationen. In solchen Fällen kann sich deswegen nicht schon für Eingriffe ausgesprochen werden.
  • Der Arzt hat den Regelungen des informed consent zu folgen, wenn er sich nicht strafbar machen will. Zur Beachtung des jeweiligen Wissensstandes gehört, Veröffentlichungen – auch ausländische, wenn nicht zu entlegen – zu diesem Bereich zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen.
  • Neuere Studien belegen, dass die spätere geschlechtliche Verortung eines intersexuellen Kindes sich oftmals unabhängig therapeutischer oder sozialisationsorientierter Art entwickelt und mithin nicht prognostizierbar ist. Gehen Sie nicht davon aus, die einmal getroffene Geschlechtszuordnung, gleich welche, würde für immer Bestand haben. Gehen Sie ferner nicht davon aus, Genitalien, die optisch maskulinisiert oder feminisiert werden, sähen dann auch entsprechend aus, wären nerval intakt oder entsprächen dem Wunsch des Kindes.
  • Treffen Sie niemals Entscheidungen sofort, auch wenn Sie unter Druck gesetzt werden (bspw. mit Lebensgefahr des Kindes bei Therapieablehnung gedroht wird).
  • Unterscheiden Sie bei den medizinischen "Angeboten" zwischen solchen kosmetischer und lebenserhaltender Art. Oft werden diese Optionen als einander bedingend verkauft. Dies ist eine Lüge. Nicht der Norm zu entsprechen, ist eine rein kosmetische Fragestellung und ein Behandlungsvertrag ist formaljuristisch ungültig. Eingriffe an den Geschlechtsmerkmalen ohne explizite Lebensgefahr sind in Ableitung des § 1631c BGB aus 1992 als schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) strafbar.
  • Juristisch gibt es keine Veranlassung für Eingriffe zur geschlechtlichen Vereindeutigung, da ein Standesbeamter keine körperliche Eindeutigkeit zur Eintragung fordern kann. Etwaige formale Geschlechtszuweisungen können mit dem § 47 PStG (Personenstandsgesetz) wieder geändert werden, wenn es sich nachweislich um eine Fehleintragung gehandelt hat. Eine solche konstatierte, von Anfang an bestehende Unrichtigkeit impliziert Personenstandsfälschung nach § 169 StGB (Strafgesetzbuch) für die Informationsgeber, i.d.R. das Geburtsklinikum. Beachten Sie, dass die Beantragung eines dritten Geschlechtes derzeit als Präzedenzfall in Arbeit ist und auch Sie einen solchen Antrag beim Standesamt des Geburtsortes Ihres Kindes formlos stellen können. Eine Fristsetzung für die Antragstellung besteht nicht: Die Option gilt somit auch für Erwachsene, die ihre ggf. jahrzehnte rückliegende Eintragung ändern lassen wollen.
  • Wenden Sie sich bei Bedarf für Rückfragen z.B. an die AGGPG, Ihre Anfragen werden weitergeleitet bzw. Ansprechpartner genannt. Einige Intersexen sind zu biologischen Fragestellungen besser informiert als Ärzte und besser qualifiziert als nach Lehrbuch geschulten Psychologen sind alle. Auch juristisch werden unsere Kenntnisse stets besser. Englischkenntnisse sind von Vorteil, denn Sie können sich international Informationen einholen.
  • Wundern Sie sich nicht, dass Sie den Kontakt bspw. zur AGGPG ärztlicherseits nicht genannt bekommen haben. Wir greifen Mediziner an und reden ihnen nicht nach dem Mund. Unsere Kritik richtet sich generell an die vorgeblich 'exakten', aber doch nur polarisiert formalisierten Wissenschaften. Spätestens seit Heisenberg ist deren Kausaldeterminismus obsolet, das sie jedoch nicht an der Brutalität der Zieldurchsetzung gehindert hätte. Die westliche Medizin und ihr Machbarkeitswahn ist Teil dieses Denkens. Der ärztliche Berufsstand und ihm ideell nachfolgende Vertretungen haben an einer Modifikation ihres Denkens bislang kein Interesse. Dies könnte sich allerdings bald ändern, denn am 12.10.01 fand die erste Lesung in der Angelegenheit im Bundestag statt.
  • Vergessen Sie nicht: als Eltern haben Sie auch juristisch die Pflicht, für Ihr Kind zu sorgen. Dieses hat ein grundgesetzlich verankertes Recht auch auf eine freie Persönlichkeitsentwicklung. Lassen Sie genitale Eingriffe zur geschlechtlichen Vereindeutigung vornehmen, mag dies vielleicht Ihrem privaten, ästhetischen Wohlbefinden dienen, aber Sie verstoßen gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, der EU-Menschenrechtskonvention und dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, ratifiziert am 20. November 1989. Sie handeln strafbar, denn Sie brechen mit Gesellschaftsverträgen, die Sie für sich selbstverständlich in Anspruch nehmen - etwa nicht einfach ermordet zu werden, nur weil Ihnen jemand mit schlechter Laune auf der Straße begegnet und Sie im Wege stehen. In medizinischen und kassenärztlichen Akten sind Ihre Adressangaben usw. erfasst, Sie bleiben in Ihrem Vorgehen nicht anonym und sobald Rechtssicherheit besteht, werden alle Fälle sukzessive juristisch überprüft werden.

...und was sollten Sie nicht tun?

  • verwechseln Sie nicht eine Geschlechtsanpassung erwachsener Transsexueller mit der Geschlechtszuweisung intersexueller Kindern, sondern differenzieren Sie hinsichtlich Freiwilligkeit, Zustimmungsfähigkeit und Intention, auch wenn aktuelle Zeitungsmeldungen dazu tendieren, alles unter die Fragestellung der Geschlechtszugehörigkeit zu subsumieren und damit dem medizinischen Impetus zuarbeiten.
  • verwechseln Sie nicht sexuelle  Lebensweisen (Homo- Hetero, Bisexualität u.a.m.) mit der Feststellung des anatomischen Geschlechtes, welche sich in den Begriffen 'Mann, 'Frau', 'zwittrig' / 'uneindeutig' wiederfinden (siehe Text 'theoretische Differenz...')
  • projezieren Sie nicht Ihre sexuellen Wünsche, geschlechtlichen Weltbilder und Ängste auf uns, sondern fragen Sie sich, warum Sie diese Gedanken haben und wie Sie sie verändern können
Zum Einlesen in den Komplex empfehlen sich u.a. die Texte dieser Webseite mit weiteren Links sowie weiterführende Literatur:

explizit:

  • John Colapinto (2000): Der Junge, der als Mädchen aufwuchs. Walter
  • Alice D. Dreger (1998): Hermaphrodites and the medical invention of sex. Havard University Press
  • Alice D. Dreger (1999): Intersex in the age of ethics. University Publishing Group
  • Anne Fausto-Sterling (2000): Sexing the body. Gender politics and the construction of sexuality. Basic Books
  • Michel Foucault (1998): Über Hermaphrodismus. Der Fall Herculine Barbin. Suhrkamp
  • Bernice L. Hausman (1995): Changing sex. Transsexualism, Technology and the Idea of Gender. Duke University Press
  • Suzanne J. Kessler (1998): Lessons from the intersexed. Ruttgers University Press
implizit:
  • Baudrillard, Jean (1991): Der symbolische Tausch und der Tod. Matthes & Seitz
  • Baudrillard, Jean (1996): Das perfekte Verbrechen. Matthes & Seitz
  • Bauman, Zygmunt (1995): Postmoderne Ethik. Hamburger Edition
  • Bataille, Georges (1997): Theorie der Religion. Matthes & Seitz
  • Bataille, Georges (1997): Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität. Matthes & Seitz
  • Bataille, Georges (1999): Die innere Erfahrung nebst Methode der Meditation und Postskriptum 1953. Matthes & Seitz
  • Bataille, Georges (2001): Die Aufhebung der Ökonomie. Matthes & Seitz
  • Günther, Gotthard (2000): Lebenslinien der Subjektivität. Kybernetische Reflexionen. Suppose (CompactDisk)
  • Günther, Gotthard (2000): Die Amerikanische Apokalypse. Profil*
  • Heinrich, Klaus (1987): Tertium datur. Eine religionsphilosophische Einführung in die Logik. Stroemfeld*
  • Herman, Judith Lewis (1993): Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahungen verstehen und überwinden. Kindler
  • Levinas, Emmanuel (1993): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Karl Alber
  • Miller, Alice (1983): Du sollst nicht merken. Variationen über das Paradies-Thema. Suhrkamp
  • *siehe hier einen Kurzüberblick mit Fragestellungen zur Hermaphroditenfigur vom Juni 2001, rtf-download, 75 k


Lassen Sie uns noch eine Anmerkung formulieren:
 

Es werden Milliarden DM jedes Jahr über Forschungen und Zwangsassimilation an als intersexuell deklarierten Körpern eingenommen. Umgerechnet bedeutet dies, daß ein Intersexueller bis zu seinem 18. Lebensjahr anderen - gegen seinen Willen - einen Mehrwert verschafft hat, wie ihn manche Arbeitnehmer ihr Leben lang nicht leisten werden. Weiterhin: Menschen, die sich als weiblich oder männlich definieren und eine Identität darauf aufbauen, können dies heute nur, weil Hermaphroditen sozial und kulturell nicht existieren. Gesetze, die auf einer Polarisierung der Geschlechter gründen, provitieren ebenfalls von einer binären Logik und gleiches gilt für Religionen und Philosophien, die montheistischen Ideologien anhängen, um daraus binäre Konzepte zu entwickeln. Soweit zu den Parasiten.

Um es klar zu formulieren: Wir (ein zugegeben problematisches Wort ob realer Heterogenität) haben den Rassismus, der einer Apartheid der Geschlechter inhärent ist, weder erfunden noch, und dies ist entscheidend, tragen wir ihn fort als wir dieser Gesellschaft auch absolut nichts schulden. Keine Aufklärung, keine von uns initiierte Besserung der Situation, ja noch nicht einmal die Beantwortung eines einzigen emails. Alle Leistungen, die von hier erbracht werden, erfolgen als Kredit und lediglich unter Vorbehalt. Sollten sie nicht in akzeptabler Zeit fruchten, werden wir uns andere Mittel als die der Mitteilung und des Dialoges suchen müssen. Und man wird uns gute Angebote machen müssen, um sie als akzeptabel zu werten.

Umgekehrt sieht die Lage anders aus: ein Staat ist dazu verpflichtet, für seine Staatsbürger (so politisch schwierig dieser Begriff auch ist) Sorge zu tragen. In Sachen Hermaphroditen hat er komplett versagt. Eine Gesellschaft, die sich human und demokratisch nennt, hat an dem Exampel der Zwitter ebenfalls komplett versagt. Gleiches gilt für eine Wissenschaft, die glaubt irgend etwas durch Rationalisierung sich aneignen zu können: die Aufklärung hat komplett versagt. Es ist bekannt: jene als intersexuell gelabelten Menschen werden bis heute in Deutschland gefoltert und sollen völlig unsichtbar sein. Sie sollen faktisch eliminiert werden. Von nicht vorhandenen Arbeitsplatzangeboten und sonstigen sozialen Leistungen usw. ist hier noch gar nicht die Rede - diese fehlen ohnehin.

Eine Verfolgung des state of the art der Wissenschaft zeigt andererseits: diese Gesellschaft ist durchdrungen von der Idee des Dritten und Mehrwertigen: u.a. Emmanuel Levinas, Klaus Heinrich, Gotthard Günther und Homi Bhabha schrieben hierzu bereits aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Perspektiven.
Zudem: Aggregatszustände des gleichen Stoffes (fest, flüssig, gas; ineinander transformierbar mittels Druck und/oder Temperatur), Stand-by-Schaltungen, intern analog arbeitende (und schnellere) Computer, Quantentechnik, gelbe Ampelschaltung (zur Beschleunigung des Verkehrsflusses), Neutronen, Antimaterie, Virtual Reality, Klone, Chimären, Hybriditätskonzepte, Fuzzylogic usw. sind teilsweise in den Alltag eingeflossene Beispiele aus Technik, Physik und Mathematik, die eine mittel- oder unmittelbare Zwitterlogik beinhalten.

Dass von A nicht auf B, von Idee nicht auf Manifestation geschlossen wird, sagt etwas aus über die sozialgeistige Begrenzung hiesiger Sozietät, jenen als primitiv abgewerteten nicht-westlichen Kulturen weit unterlegen, und ihren geschlechtlich konditionierten Menschen, die regelrecht fixiert darauf sind, uns bestenfalls als 'leidend', 'Betroffene', 'chronisch krank' oder 'Patienten' zu reduzieren, beleidigen und diffamieren. Und sie berichtet von politischen und wirtschaftlichen Interessensgruppierungen, Reduktionen gezielt herbeiführen und aufrecht erhalten zu wollen.

Sie werden es beim Lesen schon bemerkt haben: wir sind aus einem etwas anderen Holz geschnitzt als viele Menschen, die die Situation, die Hermaphroditen heute vorfinden, keinen Tag auch nur überleben würden. Summa sumarum: Rechnungen ohne uns gehen nicht auf.



[1] Die Notwendigkeint, diese Begrifflichkeit zu erweitern, speist sich aus unten wiedergegebenen hohlen Geschwafel von Hartmut Bosinski, ein Kollege von Milton Diamond und tätig an der ehemaligen Nazi-Eliteuniversität Kiel sowie Mitherausgeber des Lehrbuches "Sexualmedizin" (2001), welches die Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage vom März 2001 als Legitimation ihrer Verstümmelungsbefürwortung benutzte und folgendes aufschlussreiche Zitat enthält: "Der Großteil unseres heutigen Kenntisstandes für die .. Schritte der somatosexuellen (und teilweise auch psychosexuellen) Entwicklung verdankt sich dem Studium von klinisch relevanten Störungsbildern, den sog. Intersex-Syndromen." (S. 46) Für das Studium der OP-Techniken, Erblehre und Endokrinologie waren Zwitter maßgebliches Forschungsobjekt als die Kontinuität ihrer Vernichtung sich auch bis heute ungebrochen fortsetzt. John Money, der 1955 seine ohne jede empirische Evidenz entwickelte "Theorie" von der sozialgeschlechtlichen Entwicklung (Gender) einbrachte, die Verstümmelungen an Intersexen pseudotheoretisch untermauerte und aktiv propagierte, dessen Thesen seit 1970 nutzbar gemacht wurden zur Behandlung von Transsexualität und heute für gescheitert erklärt werden müssen, wurde mit großem Hallo von Feministinnen empfangen und zuletzt setzte Judith Butler seine Ideen in der noch immer gehypten Queertheory fort. Hier schließt sich der Kreis der ideell Beteiligten.

Das Zitat von Bosinski:
"Störungen der pränatalen sexuellen Differenzierung können zu Intersex-Syndromen führen, welche nicht selten mit psychosexuellen Entwicklungsproblemen einhergehen. Der Artikel gibt einen kurzen Überblick zur Historie und stellt gegenwärtig kontrovers diskutierte Guidelines für das medizinische Management von Intersex-Syndromen dar, die entweder eine frühzeitige Geschlechtszuschreibung und entsprechende operative Korrekturen oder aber ein weitgehend konservatives Vorgehen unter Berücksichtigung pränataler Hormoneinflüsse auf die Ausbildung der Geschlechtsidentität und die Vermeidung frühzeitiger Genitalkorrekturen favorisieren. Aus Sicht der Sexualmedizin werden Lösungsvorschläge unterbreitet, wobei besonders auf die Notwendigkeit eines auf den Einzelfall abgestimmten, interdisziplinären Vorgehens in hochspezialisierten Zentren unter Berücksichtigung biologischer und psychosozialer Einflussfaktoren und auf den unbefriedigenden Stand der Nachuntersuchungen hingewiesen wird. " (Quelle: MedGen 2001;13:42-45)

... sowie dem Wissen um Abtreibungen aufgrund geschlechtsspezifischer Unverträglichkeiten und ohnehin pränatalen Pfusch durch hormonelle Behandlungen der Mütter.
 

[2]  Das dumpfe Geschlechterkasperletheater verläuft wie folgt:

1.   Am kulturellen Anfang war die Bibel: Gott schuf den Menschen als Mann und Frau (und wer bitte war dann Gott?).
2.   Am philosophischen Anfang war das tertium non datur aus eben diesem Grunde.
3.   Am sozialen Anfang waren Medizin und Eltern: I. Alle Föten sind bis zur X. Woche beidgeschlechtlich, dann differenzieren sie sich aus in Mann und Frau.
      II. Sage mir, oh heiliger Arzt, was ist es denn, vermag ich es doch nicht selbst zu beurteilen.
3a. Dass eine solche zweigeteilte, deduktive Präskription aller naturwissenschaftlicher Verfahren spottet, tangiert uns Mediziner kein bißchen.
3b. Wenn jetzt doch mal ein uneindeutiger Mensch geboren wird, erklären wir Mediziner ihn als genital fehl- oder mißgebildet, aber eigentlich männlich oder weiblich.
3c. Wir ermitteln durch detaillierte Analyse, selbstredend nunmehr induktiv formuliert, das von uns erfundene Krankheitsbild.
3d. Wir bestätigen den beidgeschlechtlichen Menschen als Totem der Männer und Frauen und ignorieren das Tötungstabu, schließlich sind wir die Geschlechtermacher.
4.   Am rechtlichen Anfang war das Standesamt: Mediziner, mein Geschlechtergott, sage mir, was darf ich melden?
5.   Am revolutionären Anfang war der Zwitter: was soll das alles eigentlich? Seid ihr alle zu dumm, um logisch zu denken? Fehlt Bildung? Intelligenz?
      Was ist euer Problem, dass ihr euch so offensichtlich blamieren müßt?
6.   Am wissenschaftlichen Anfang waren Biologie und Genetik. Sie behaupteten nicht mehr, irgendeine Aussage über "Geschlecht" treffen zu können. Das wurde
      ihnen nicht nur von der Medizinergemeinde verübelt.
7.   Am sozialen Anfang II waren die Menschenrechtler und Pädagogen. Sie waren nicht mehr willens, einer Wissenschaft voller Lug und Trug Glauben zu schenken...
      Punkt 6 und 7 sind science fiction.


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Saturday, April 4 2009

LSVD: Menschenrechte für Zwitter als Wahlprüfstein!

Nebst über den Antrag "Menschrechte von Intersexuellen schützen" stimmt der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) dieses Wochenende an der 21. Verbandstagung vom 4./5. April in Berlin-Schöneberg wiederum auf Antrag des Bundesvorstandes ebenfalls ab über "Zehn Schritte zu Gleichstellung und Respekt. Lesben- und schwulenpolitische Prüfsteine zur Bundestagswahl 2009".

>>> PDF-Download "Prüfsteine zur Bundestagswahl 2009"

Als Wahlprüfstein Nr. 9 (von 10) ist darin wiederum auch die Forderung nach Menschenrechte für Zwitter enthalten:

9. Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen bekämpfen!

Menschen sind in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland entweder männlich oder weiblich. Alle Neugeborenen werden binnen kurzer Zeit nach der Geburt im Geburtsregister des Standesamtes mit Nennung des Geschlechtseintrages eingetragen. Menschen, die mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, haben bislang keinen rechtlichen Schutz. Obwohl körperlich gesund, werden die Betroffenen in der Mehrzahl der Fälle von frühstem Kindesalter an irreversiblen medikamentösen und chirurgischen Eingriffen unterzogen. Diese Zwangsbehandlungen stellen einen erheblichen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar. Die Zwangsanpassungen an die rechtlich geforderte Zweiteilung der Geschlechter sind eine schwerwiegende Form der Diskriminierung. 

Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen? 
Was werden Sie dafür tun, um Sorge zu tragen, dass Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung ein Recht auf freie Entfaltung und Selbstbestimmung gewährleistet wird?

Damit kommt der LSVD als erste LGBT-Organisiation einer Urforderung dieses Blogs nach (eins / zwei), nämlich Menschenrechte für Zwitter (namentlich das zentrale "Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde") als eigenständigen Punkt in die Agenda aufzunehmen, statt die Zwitter bloss "mitzumeinen" rsp. bestenfalls in der "gottgegebenen Reihenfolge" nach "sexuelle Identität" und "sexuelle Orientierung" usw. zuhinterst anzustellen (wie dies im andern Antrag teilweise leider immer noch der Fall ist). Dafür allen Beteiligten ein fettes Danke!!!

Erneut griff der LSVD bei diesem Antrag auf Textbausteine von Intersexuelle Menschen e.V. und Zwischengeschlecht.org zurück, wie sie u.a. in der Forderungsliste des Vereins und im CEDAW-Schattenbericht enthalten sind.

Auch an den übrigen Wahlprüfsteinen gibts übrigens aus meiner Sicht nix zu mosern, im Gegenteil ...

Auch dieser zweite Antrag muss dieses Wochenende erst noch von der Verbandstagung genehmigt werden. Einmal mehr sind wir gespannt auf das Abstimmungsresultat und hoffen auf das Beste! Nachtrag: Der Wahlprüfstein wurde einstimmig angenommen!

Nachtrag 2: Nun liegen auuch die Antworten der Parteien vor – und siehe da: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter!  

Siehe auch:
- Lesben- und Schwulenverband Deutschland fordert Menschenrechte für Zwitter! 
- LSVD: Menschenrechte für Zwitter als Wahlprüfstein! 
- Bundestagswahl 2009: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter! 
- CSD Konstanz & Kreuzlingen fordert Selbstbestimmung für Zwitter  

Sunday, March 22 2009

"Menschenrechte auch für Zwitter!" - vorwärts 20.2.09

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Nach den Protesten vor der UNO in Genf wurden wir vom "Vorwärts", der Zeitung der schweizer "Partei der Arbei (PdA)", um einen Hintergrundartikel angefragt. Eine Bitte, der wir gern entsprachen.

Da das Rad nicht jedesmal neu erfunden werden muss, hielten wir uns hauptsächlich an den Grundsatztext auf der Solipage dieses Blogs, seinerseits grösstenteils eine Kompilation von Flugblättern, Pressemitteilungen usw., die schon öfters auszugsweise auch in anderen Texten, politischen Vorstössen usw. Verwendung fand. Am 20. Februar wurde der Artikel dann, leicht bearbeitet und ergänzt um die Blogmeldung zur schriftlichen CEDAW-Rüge, als ganzseitiger Beitrag veröffentlicht. Danke!!

Zum Betrachten hier oder in das Foto klicken (jpg 480kb) und je nach Browser zusätzlich reinklicken zum aufklappen.

Nachfolgend die unbearbeitete Version des Artikels als Text:

Continue reading...

Thursday, March 19 2009

Lesben- und Schwulenverband Deutschland fordert Menschenrechte für Zwitter!

Der Vorstand des Lesben und Schwulenverbands Deutschland (LSVD) legt der 21. Verbandstagung vom 4./5. April in Berlin-Schöneberg einen Antrag "Menschrechte von Intersexuellen schützen. Intersexualität als gesellschaftliches Tabu bekämpfen" zur Abstimmung vor, der detailliert Menschenrechte auch für Zwitter fordert.

>>> PDF-Download

Darin zeigt sich der LSVD "schockiert über die Berichte über Menschenrechtsverletzungen, die in der Bundesrepublik Deutschland an zwischengeschlechtlichen [...] Menschen begangen wurden" und dankt Intersexuelle Menschen e.V. und XY-Frauen, "die diese Fakten im Rahmen des CEDAW-Alternativberichtes aufgearbeitet und veröffentlich haben".

Zur Beschreibung der Problematik greift der LSVD wiederholt auf Pressemitteilungen und Grundsatztexte von Intersexuelle Menschen e.V. und Zwischengeschlecht.org zurück sowie auf die Forderungsliste des Vereins, deren 5 Kernpunkte ebenfalls wörtlich übernommen werden. Weitere Abschnitte befassen sich fundiert mit den Diskriminierungen durch das Personenstandsrecht (inkl. Hinweis auf den Prozess von Michel Reiter): "Intersexuelle Menschen werden rechtlich gezwungen ihre Identität zu verleugnen." Auch die Yogyakarta-Prinzipien werden ins Feld geführt.

Kommentar: Na bitte, es geht doch! Der LSVD-Bundesvorstand macht einen mutigen ersten Schritt und zeigt, dass Solidarität mit Zwittern statt Vereinnahmung machbar ist, indem er die Forderungen des Vereins zu einem grossen Teil wörtlich aufnimmt und unterstützt, inkl. Einforderung des für Zwitter zentralen Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde.

Ich persönlich bin zwar – nicht zuletzt aufgrund der Vorgänge im Bundestag – nach wie vor sehr skeptisch, was das Winken mit Yogyakarta und insbesondere das Voranstellen von "sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität" vor das Recht auf körperliche Unversehrtheit den Zwittern konkret bringen soll, aber es ist klar, dass der LSVD letztlich auch profitieren will, und das ist m.E. auch zumindest nicht illegitim, solange es in der vorliegenden Form geschieht.

Zwar handelt es sich erst um einen Antrag, der am Verbandstag am 4./5. April noch genehmigt werden muss. Ich hoffe aber auf alle Fälle auf das Beste und sag schon jetzt allen an diesem Antrag Beteiligten DANKE!!!  Nachtrag: Die Resolition wurde einstimmig angenommen!

(Danke an Hänselodergretel für den Hinweis.)

Siehe auch:
- LSVD: Menschenrechte für Zwitter als Wahlprüfstein! 
- Bundestagswahl 2009: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter! 
- CSD Konstanz & Kreuzlingen fordert Selbstbestimmung für Zwitter 

Nachtrag 25.3.09: Der Antrag wurde inzwischen nochmals überarbeitet. Einige Änderungen sind m.E. Verbesserungen, andere jedoch nicht:

Sehr gut finde ich z.B., dass es nun Zeile 18ff. heisst: "Trotz der Varianz ihrer geschlechtlichen Anlagen sind bei der Mehrheit dieser Menschen keine  medizinischen Interventionen notwendig.", statt wie vorher "Neben der Varianz ihrer geschlechtlichen Anlagen liegen bei ihnen in der Mehrzahl der Fälle keine weiteren Merkmale vor." Auch Z. 25 die Änderung von "uneindeutigen Genitalien" zu "zwischengeschlechtlichen Genitalien" finde ich sehr gut.

Nicht gut finde ich hingegen z.B. die Änderung von alt Z. 10 "uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen" zu neu Z. 9 "männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen" – dadurch wird einmal mehr den immer noch verbreiteten, irrigen "Hermaphroditen-Mythen" von "Mann und Frau zugleich" Vorschub geleistet. Warum nicht z.B. "sogenannt uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen" oder "nicht eindeutig männlich oder weiblich zuordnungsbaren Geschlechtsmerkmalen"? Sehr schade finde ich auch, dass der Hinweis alt Z. 53 "Intersexuelle Menschen kommen in keiner offiziellen Statistik vor." ersatzlos gestrichen wurde. Warum bloss? Die Weigerung durch Medizyner und Bundesregierung, das (laut Ärzten zunehmend häufigere) Vorkommen zwischengeschlechtlicher Menschen (und damit auch die Häufigkeit der Zwangsoperationen!) verbindlich statistisch zu erfassen und die damit verbundenen Zahlenmanipulationen zwecks Verhinderung von Monitoring sind ein zentrales Problem, das ruhig erwähnt statt ausgelassen werden dürfte.

Gekürzt wurde übrigens auch der Titel des Antrags: von alt "Menschrechte von Intersexuellen schützen. Intersexualität als gesellschaftliches Tabu bekämpfen" zu neu "Menschenrechte von Intersexuellen schützen".

Wednesday, March 4 2009

Reitschule Bern zeigt ganzen März Zwitterfilme

Die Reitschule Bern ist ein selbstverwaltetes Kulturzentrum mit einer im wahrsten Sinne des Wortes bewegten Geschichte seit über 25 Jahren. Das Kino in der Reitschule widmet seinen Zyklus für den Monat Märzden Zwittern! Danke!!!

Am Do 5.3. gibt es zudem um 19:30h eine Einführung ins Thema durch die versierte Sozialwissenschaftlerin Kathrin Zehnder, unter Zwittern bekannt u.a. als Co-Herausgeberin des empfehlenswerten Buches "Intersex". Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes?, das u.a. auch einen Beitrag von Karin Plattner von der Schweizerischen Elternselbsthilfe enthält.

Im Anschluss ist eine Diskussion vorgesehen – schön wäre es, wenn darauf auch in Bern die am dortigen Inselspital trotz gegenteiliger Lippenbekenntisse nach wie vor praktizierten genitalen Zwangsoperationen vermehrt öffentlich kritisch hinterfragt würden oder gar konkret politisch unter Beschuss gerieten ...

Nachfolgend ein Überblick über den Zyklus und die einzelnen Filme.

Aus der Einleitung zum Filmzyklus:

In der Schweiz leben zwischen 8000 und 20 000 Menschen, die medizinisch nicht klar geschlechtlich einordbar sind. Im Filmzyklus Intersexualität möchten wir intersexuellen Menschen eine Stimme geben und Filme zum Thema zusammen schauen. Was ist Geschlecht eigentlich? Gibt es wirklich nur die zwei, die auf Formularen anzukreuzen sind oder müssen wir unsere Geschlechterkonzepte überdenken?

Einmal mehr scheint es also womöglich (noch) eher um die "Feinheiten von Gender" zu gehen als um den aktuellen Kampf der Zwitter gegen genitale Zwangsoperationen und um Selbstbestimmung. Das Programm jedoch ist hochkarätig – und böte eigentlich zur Genüge Material aus erster Hand für einen kurzen Überblick über mehr als ein Jahrzehnt politischen Zwitterkampf:

Im Eröffnungsfilm "Die Katze wäre eher ein Vogel" (2007) am Do 5.3. / Fr 6.3. / Sa 28.3. erzählt u.a. ein Urgestein des organiserten Zwittertums, die Mitbegründerin von XY-Frauen und Intersexuelle Menschen e.V., Katrin Ann Kunze (siehe auch: Die Zeit 00 / Freitag 44/02). Weitere Interviewte sind unter anderem Lucie Veith (siehe auch: OB Netzwerk Sept 07 / taz 6.11.07 / Deutschlandfunk 6.7.08), Co-Autorin des Schattenberichts, der diesen Januar in Genf vor der Uno verhandelt und von der schweizerischen Gruppe Zwischengeschlecht.org mit Mahnwachen und einer Demo begleitet wurde, und Christiane Völling (im Film noch Thomas), die in Köln 2008 in zweiter Instanz einen vielbeachteten, beispiellosen Prozess gewann gegen den Chirurgen, der ihr – wie bei Zwittern üblich – ohne ihre informierte Einwilligung die inneren Geschlechtsorgane entfernte und sie dadurch laut Gericht "schuldhaft in [ihrem] Selbstbestimmungsrecht verletzt[e]" (siehe auch: Christianes Geschichte / Planetopia 16.12.07 Video / Kulturzeit 25.6.08).

Fr 6.3. / Sa 28.3. läuft mit "Das verordnete Geschlecht" (2001) DER deutschsprachige Zwitterfilm überhaupt, mit Interviews und Berichten von politischen und anderen Aktionen u.a. mit Michel Reiter, der mit Heike Bödeker in der Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG) 1996 die deutschsprachige Zwitterbewegung überhaupt begründete, und mit seinem Aufsehen erregenden Prozess über zwei Instanzen um sein Recht auf Personenstand "zwittrig" das Thema der massiven Menschenrechtsverletzungen an Zwittern zu Beginn des 21. Jahrhunderts erstmals einer breiteren Öffentlichkeit nahebrachte (siehe auch: Zeit-Magazin 28.1.99 / GEO Wissen 26/00 / Arranca 14 / Vortrag 30.6.00). Michel Reiter hielt viele Vorträge, u.a. am 3.7.01 auch einen in der Reitschule (PDF-Download) ...
Ebenfalls mit von der Partie: Elisabeth "Hermaphrodit Müller, bitte, ich bin keine Frau", ebenfalls Mitbegründerin von XY-Frauen und Intersexuelle Menschen e.V., heute noch als Aktivistin dabei, aus Funk und Fernsehen auch bekannt als "Zwitter Eli" sowie berühmt für ihre Zarah Leander-Adaption "Kann ein Zwitter Sünde sein?" (siehe auch: dradio 20.3.06 / advaita 14/06 (PDF) / MDR 18.1.08 (mp3 15.1 MB)
Weiter bemerkenswert an diesem Film: Co-Filmemacher Oliver Tolmein, Rechtsanwalt und Publizist u.a. mit einem exzellenten Blog "Biopolitik" auf FAZ-Online, der sich nach wie vor engagiert für die Menschenrechte (auch) der Zwitter einsetzt.

Sa 7.3. / Sa 14.3. / Fr 20.3. zeichnet "Erik(A) - der Mann, der Weltmeisterin wurde" (2005) die Geschichte der erfolgreichen österreichischen Sportlerin Schinegger nach, die nach einer Geschlechtskontrolle des Olympischen Komitees als "Scheinzwitter" mit männlichem Chromosomensatz von der Teilnahme ausgeschlossen wurde, sich darauf freiwillig Operationen unterzog und anschliessend als Mann seine Karriere fortsetzte. Eine aussergewöhnliche Biographie, die auf den ersten Blick nichts mit dem Kampf der Zwitter zu tun hat – ausser, dass sie treffend illustriert, wieviel besser es Zwittern geht, wenn sie das Glück haben, nicht als Kinder zwangskastriert und zwangsoperiert werden, sondern untraumatisiert aufwachsen und später möglichst freie Entscheidungen über sich selbst treffen können – für die allermeisten Zwitter nach wie vor eine Utopie, wie auch ein aktuelles, denkwürdiges scheinbares Dementi aus dem Inselspital einmal mehr beweist.

Ebenfalls aus Österreich kommt der am Fr 13.3. / Do 19.3. gezeigte "Tintenfischalarm" (2005) und erzählt die bewegende Geschichte von Alex, dem wie so vielen anderen Zwitterkindern mit der "Begründung" "Pseudohermaphroditus masculinus" die Hoden und das Lustorgan kurzerhand amputiert wurden, damit das "uneindeutige" Kind künftig als Mädchen durchginge. Auch bei Alex ein letztlich vergebliches, für das Opfer aber extrem schmerzhaftes und zerstörerisches "Experiment" scheinbar mitgefühlloser Medizyner. Alex beginnt eine Flucht nach vorn und entkommt so dem Schicksal von über 30% seiner Geschlechtsgenoss_innen, die sich selbst das Leben nehmen (siehe auch: Alex Jürgens Geschichte / "Tintenfischalarm"-Bio 2006 / Presseheft (DOC). Alex ist Mitbegründer der österreichischen Selbsthilfegruppe intersex.at.

Mit "XXY" (2007) steht zu guter Letzt Sa 21.3. / Fr 27.3. der wohl allererste SPIELFILM über einen Zwitter (Nachtrag: Diese Ehre gehört "Both" (2005) von Lisett Barcellos) im Programm, der letztes Jahr zu Recht weltweit Furore machte. Trotz des leider unglücklich gewählten, missverständlichen und nicht ganz ungefährlichen Titels (ein herzliches Dankeschön in dieser Beziehung an den CH-Verleiher Xenix, der seiner Verantwortung gerecht wurde und aktiv mithalf, Medien und Öffentlichkeit zu informieren – ein Beispiel, das darauf auch in Deutschland Schule machte!) waren die allermeisten Zwitter von dem stimmungsvollen Film begeistert und feierten ihn als "menschlichen Film über Zwitter". Eine Zwitter-Utopie, wo endlich einmal auch zwischengeschlechtliche Menschen so richtig mit einer Protagonist_in mitfiebern können, die_der allen Schwierigkeiten zum Trotz schliesslich von beiden Eltern so akzeptiert wird, wie sie_er ist, den drohenden Zwangsoperationen (einmal mehr) glücklich entgeht und sein_ihr Selbstbestimmungsrecht erfolgreich durchsetzen kann! Zwitter-Aktivist_innen nahmen "XXY" international als Aufhänger, um auf ihren Kampf gegen genitale Zwangsoperationen öffentlich aufmerksam zu machen.

Wer übrigens im Zwitter-Zyklus des Reitschule-Kinos Beiträge zur schweizer Zwitterbewegung um Zwischengeschlecht.org und intersex.ch vermisst, von der in den letzten 18 Monaten auch über die Landesgrenzen hinaus entscheidende Impulse ausgingen, die u.a. auch die Berliner "Gigi, Zeitschrift für sexuelle Emanzipation" aufhorchen liessen, kann sich hier online einen durchaus geigneten, kurzen Vorfilm zu Gemüte führen: Letzten Sommer schaffte es die "Tagesschau" in einem gelungenen Beitrag über einen Protest vor dem Zürcher Kinderspital in nur 2'22" viel Wesentliches knackig auf den Punkt zu bringen – schon der einleitende Moderator liess es sich nicht nehmen, an einem Sonntagabend in der Hauptausgabe das Wort "kastriert" noch extra zu betonen ...

Vorführzeiten siehe: http://www.reitschule.ch/reitschule/kino/index.shtml

Siehe auch: 2008: Eine neue Zwitterbewegung! (Jahresrückblick, Teil 1)

Monday, March 2 2009

Hamburg: Erneut historische Grosse Zwitter-Anfrage!!

Nach den bisher 3 kleinen Anfragen der SPD noch im alten Jahr und einer Grossen Anfrage von DIE LINKE im Januar reicht nun die SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft eine weitere Grosse Anfrage nach – von erneut historischen Ausmassen!

Nicht nur wird der Senat akribisch auf seine zahlreichen faulen Ausreden und leeren Versprechungen behaftet. Zum ersten mal überhaupt werden die (ironischerweise vom Bund finanzierten) grossen Zwitterstudien der letzten Jahre, nämlich die "Hamburger Studie" von 2007 sowie die "Lübecker Studie" von 2008, konsequent ins Feld geführt – sowohl der Hamburger Senat wie auch die Bundesregierung hatten diese Studien (wohl wegen der an Deutlichkeit kaum zu wünschen übriglassenden Beweise für die gravierenden Schäden durch die Zwangseingriffe) bisher stets kategorisch ausgeklammert. Dito die Forderungsliste von Intersexuelle Menschen e.V. Weiter macht sich die Anfrage überzeugend für ein offizielles 3. Geschlecht für Zwitter stark!

Ein weiterer Erfolg der Zwitter-Öffentlichkeitsarbeit nicht zuletzt dieses Blogs!

Noch braucht es wohl eine ganze Menge weiteren öffentlichen und politischen Druck, bevor der Hamburger Senat (und andere Verantwortliche inkl. Bundesregierung) die massiven, verfassungs- und menschenrechtswidrigen medizinischen Verbrechen an Zwittern endlich nicht mehr leugnen – und, ebenfalls längst überfällig, ihre dunklen Allianzen mit den Medizynern überdenken, sowie die historischen Verbindungen der Zwangseingriffe an Zwittern zurück ins "3. Reich" aufarbeiten.

Trotzdem, u.a. mit der kürzlichen Rüge der UNO an die Bundesregierung, der auf Mittwoch 29. April 2009 in Hamburg festgesetzen "Expertenanhörung" zum Thema und nicht zuletzt auch mit dieser erneut exzellenten Grossen Anfrage sind entscheidende erste Schritte auf dem langen Weg getan!

(Danke an Michel Reiter für den Hinweis)

Drucksache 19/2413
Schriftliche Große Anfrage "Zwischengeschlechtliche Menschen"
der Abgeordneten Anja Domres, Dr. Peter Tschentscher, Thomas Böwer, Dr. Martin Schäfer, Elke Badde, Dr. Monika Schaal und Fraktion (SPD) vom 20.02.09
Nachtrag: Link zum PDF-Download Große Anfrage 19/2413
http://www.spd-fraktion-hamburg.de/buergerschaft/grosse-anfragen/b/10749.html

Da der SPD-Server leider öfters down ist und die Anfrage in der Hamburger Parlamentsdatenbank noch nicht heruntergeladen werden konnte, nachfolgend der Text der Grossen Anfrage:

In der Bundesrepublik Deutschland leben mehr als 80.000 Hermaphroditen. Vier Fünftel von ihnen wurden ohne eigene Zustimmung im Kindesalter im Rahmen eines sogenannten „geschlechtsangleichenden Eingriffs“ zum Teil mehrfach operiert. Ein Großteil von ihnen empfindet dies heute als fremdbestimmte Festlegung auf ein Geschlecht, mit dem er sich so nicht identifiziert sowie als Verstümmelung und als Beraubung seiner Menschenrechte. Viele sind traumatisiert und haben massive psychische und physische Schäden davon getragen. Die Hamburger Studie 2007 (vgl. http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0) und die Lübecker Studie 2008 (http://www.netztwerk-dsd.uk-sh.de/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/ Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf) zeigen außerdem, dass die Behandlungs-unzufriedenheit von Betroffenen und deren Eltern eklatant hoch ist und insbesondere betroffene Kinder und Jugendliche ihre Lebensqualität deutlich niedriger bewerten als eine Vergleichsgruppe von Nichtbetroffenen.

Angesichts dessen, dass in anderen Gesellschaften als Zwitter Geborene ohne einen sogenannten „geschlechtsangleichenden Eingriff“ gesund alt werden, stellt sich die Frage, ob bei uns eine solche Operation wirklich auch immer medizinisch indiziert ist oder ob nicht bereits die Verletzung einer Norm-Vorstellung des behandelnden Arztes oder die Befürchtung späterer psychosozialer Beeinträchtigungen (Hänseleien) als medizinische Indikationen verstanden werden. Wenn dem so ist, ist nicht das Geborensein als Zwitter das Übel, das (operativ) bekämpft werden muss, sondern ein überholtes Bewusstsein in der Gesellschaft. Dieses zu ändern muss absoluten Vorrang haben vor einer irreversiblen operativen Festlegung auf ein anderes Geschlecht! Auch die Hamburger Studie kommt zu dem Ergebnis, dass im überwiegenden Teil der Fälle eine medizinische Indikation nicht vorhanden sei, weshalb ein Hinausschieben der Entscheidung und Behandlung in ein entscheidungsfähiges Alter zu überlegen wäre. Es scheine daher in den meisten Fällen sinnvoll zu sein, die Entscheidung pro oder contra „geschlechtskorrigierender“ Eingriffe auf ein Alter zu verlegen, in dem die Patienten urteils- und einwilligungsfähig sind.

Es gilt, Gesellschaft, Medizin und Politik für diese Fragen zu sensibilisieren.

Deswegen fragen wir den Senat:

1. Sind dem Senat bzw. der Fachbehörde die Ergebnisse der Hamburger Intersex-Studie 2007 und der Lübecker Studie 2008 bekannt? Wenn ja, wie werden sie bewertet? Wenn nein, gedenkt der Senat bzw. die Fachbehörde sich damit zu befassen? Wenn nochmals nein, warum nicht?

2. Die Hamburger Intersex-Studie 2007 kommt unter anderem zu dem Ergebnis: „Alle Personen der Studie erhielten medizinische Interventionen, obwohl nur für wenige eine medizinische Indikation gegeben ist.“ Stimmt der Senat darin überein, dass entsprechende Interventionen rechtswidrig sind und im Falle von Operationen den Straftatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung erfüllen? Wenn ja, sieht der Senat bzw. die Fachbehörde mittlerweile die Notwendigkeit sich mit der Frage der Entschädigung der Opfer zu beschäftigen?

3. Der Senat stellt in seiner Antwort in Drucksache 19/1678 zu 15. und 16. Möglichkeiten der Hilfe für Genitaloperierte vor. Darunter psychologische und psychotherapeutische Hilfe sowie Nachsorge- und Versorgungsmöglichkeiten für Genitaloperierte im UKE. Stimmt der Senat der Auffassung zu, dass es besser wäre, überflüssige Operationen zu vermeiden, als erst zu operieren und dann hinterher Nachsorge- und Weiterversorgungs-Pakete anbieten zu müssen, oder geht der Senat noch immer davon aus, dass in Hamburg niemand unnötiger Weise operiert worden ist und weiterhin wird?

4. Sind dem Senat bzw. der Fachbehörde die Forderungen des Vereins intersexuelle Menschen e.V. (http://inter-sexuelle-menschen.net/forderungen. html) bekannt? Wenn ja, wie bewertet er insbesondere die Einführung unter Punkt 1) dort? Wenn nein, gedenkt sich der Senat damit zu befassen? Wenn nochmals nein, warum nicht?

5. Auf die Fragen 3.a) bis c) und 4. aus Drucksache 19/1238 antwortet der Senat, eine Einzelfallauszählung, bei wie vielen Hermaphroditenkindern von 1950 bis heute sogenannte „geschlechtsangleichende Eingriffe“ durchgeführt worden sind, sei in der für die Bearbeitung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Wir erbitten daher die Beantwortung der Fragen 3.a) bis c) und 4. aus Drucksache 19/1238 jetzt im Rahmen dieser Großen Anfrage.

6. Der Senat antwortet in Drucksache 19/1678 auf die Frage 17. „Trifft es zu, dass Betroffenen am UKE Akten nicht herausgegeben worden sind?“ mit „Nein. […]“ Die Fragesteller dieser Großen Anfrage können eine Zeugin benennen, die aussagt, das UKE weigere sich, ihre Akten herauszugeben, und sie kenne weitere Fälle von Betroffenen, denen die Aktenherausgabe ebenfalls verweigert wird. Die Zeugin der Fragesteller ist bereit, dem Senat mit ihrem vollen Namen als Auskunftsperson zur Verfügung zu stehen. Wie bewertet der Senat diesen neuen Sachverhalt und was wird er unternehmen?

7. Die Ergebnisse der Hamburger Studie zeigen, dass die bisherige Behandlung das Ziel einer möglichst eindeutigen Geschlechtszuweisung – also „weiblich“ oder „männlich“ – verfolgte. Eine solche Festlegung ist jedoch gar nicht im Interesse der Betroffenen. Zwittrigkeit darf grundsätzlich nicht als „krankhafter, abnormer Zustand“ angesehen werden, der „behandelt“ werden muss! Hermaphroditen fordern deshalb eine Anerkennung als eigenes, drittes Geschlecht. Derzeit gesetzliche Bestimmungen tragen jedoch dazu bei, eine entsprechende gesellschaftliche Akzeptanz zu verhindern. So sind in standesamtlichen Urkunden derzeit nur die Einträge „weiblich“ oder „männlich“ erlaubt, nicht aber etwa „Hermaphrodit“, „zwittrig“ oder „Zwitter“. Bereits im Preußen des 18. Jahrhunderts war dies sehr wohl möglich. Erst im sogenannten „Dritten Reich“ wurde entschieden, dass es nur noch die Einträge „weiblich“ oder „männlich“ zu geben hat. Die Folgen, die sich daraus ergeben, waren damals für Hermaphroditen katastrophal. Doch auch heute noch wirkt sich offenbar ein normativer Druck, sich auf ein anderes Geschlecht – nämlich „weiblich“ oder „männlich“ – festlegen zu müssen, auf Entscheidungen zugunsten eines sogenannten „geschlechtsangleichenden Eingriffs“ aus.
a) Auch wenn der Senat sich, wie aus der Antwort zur Drucksache 19/1678,4. hervorgeht, bisher noch nicht damit befasst hat, ob er über den Bundesrat eine Gesetzesinitiative starten wird, die den Eintrag „zwittrig“ in standesamtlichen Dokumenten erlaubt: Wie bewertet er bzw. die Fachbehörde denn die Relevanz dieses Themas und gedenkt er bzw. die Fachbehörde, sich in Zukunft damit zu befassen?
b) Gibt es auf Bundesebene Initiativen zur Veränderung der o.g. Rechtslage? Wenn ja, welche?
c) Gibt es in anderen Bundesländern Diskussionen bzw. Initiativen die o.g. Rechtslage zu verändern? Wenn ja, welche?
d) Maßgebend für die Beurkundung der Geschlechtszugehörigkeit im Geburtenbuch ist laut Antwort des Senats in Drucksache 19/1678,2. die Bescheinigung des Arztes oder der Hebamme. Wie entscheiden Arzt oder Hebamme bei der Diagnose „uneindeutiges Geschlecht“ über die Geschlechtszugehörigkeit, wenn die Eltern die Zustimmung zu einem sogenannten „geschlechtsangleichenden Eingriff“ verweigern? Nach welchen Kriterien legen sich dann Arzt oder Hebamme auf die einzigen vorgegebenen Möglichkeiten „weiblich“ oder „männlich“ fest? Wie entscheiden sie, wenn eine sogenannte „Chromosomen-Abnormalie“ (weder XX- noch XY-Kombination) vorliegt? „Mädchen“ oder „Junge“?
e) Standesamtsrechtlich ist eine Beurkundung entweder „weiblich“ oder „männlich“ zwingend vorgesehen. Gedenkt der Senat sich mit der Frage zu befassen, wie er es bewertet, dass bei sogenanntem „uneindeutigen Geschlecht“ in jedem Fall eine falsche Beurkundung erfolgen muss („weiblich“ ist nicht richtig und „männlich“ auch nicht) und Kindern damit definitiv ein falsches Geschlecht zugewiesen wird?
f) Dem Senat bzw. der Fachbehörde ist nicht bekannt, dass im Preußen des 18. Jahrhunderts der Eintrag „zwittrig“ erlaubt war und ein Zwang zu einer standesamtsrechtlichen Festlegung auf entweder „männlich“ oder „weiblich“ erst unter den Nazis erfolgte. Es sei weiter nicht bekannt, wie die Eintragung in standesamtliche Urkunden in der Geschichte vorgenommen wurde, heißt es in Drucksache 19/1678, Frage 3. Hält der Senat bzw. die Fachbehörde diese spezielle Frage für nicht relevant genug, sich bei Historikern fachkundig zu machen, oder lehnt es der Senat generell ab, sich bei Historikern schlau zu machen?
g) Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Komitee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstößen an intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Am kommenden Januar wird die Bundesregierung aufgrund der oben genannten Gesetzeslage in Genf Rede und Antwort stehen müssen. Ist dem Senat dies bewusst und gedenkt er sich mit der Frage der Bewertung dieser Tatsache zu befassen? Wenn nein, warum nicht?

Saturday, December 20 2008

Schattenbericht: Bundesregierung leugnet Menschenrechtsverletzungen an Zwittern

Im CEDAW-Schattenbericht von Intersexuelle Menschen e.V. war auch ein detaillierter Fragenkatalog an die Bundesregierung enthalten. Diese Fragen (und die in den übrigen eingereichten Schattenberichten, hauptsächlich der Allianz von Frauenorganisationen) waren die Grundlage für einen vom CEDAW-Komittee erstellten, ausführlichen Fragenkatalog an die Bundesregierung. Mit Datum vom 21.11.2008 gingen nunmehr die Antworten der Bundesregierung ein. Betreffend der gravierenden Menschenrechtsverletzungen an Zwittern (Frage 24) hatte die Bundesregierung gerade mal einen einzigen Satz übrig: 

"Die Frage des Komittees kann nicht beantwortet werden, da die Bundesregierung zur Zeit über keine relevanten Informationen verfügt." ("The Committee’s question cannot be answered, since the Federal Government does not currently have any relevant information.")

Damit macht sich die Bundesregierung einmal mehr zur Mittäterin bei den genitalen Zwangsoperationen und sonstigen nicht-eingewilligten Zwangsbehandlungen an Zwittern. Und dies obendrein einmal mehr mit einer dreisten Lüge: mit der "Hamburger Studie" von 2007 und der "Lübecker Studie" von 2008 liegen der Bundesregierung sehr wohl "relevante Informationen" vor.

Leider hatte schon das CEDAW-Komittee (Übersichtsseite 43. Session) seine Hausaufgaben nur mangelhaft gemacht, sprich die konkreten Fragen der betroffenen Menschen aussen vor gelassen und durch eine doch etwas sehr allgemeine Frage ersetzt. Vom Institut für Menschenrechte (Berlin) hatte es dazu seinerzeit zwar geheissen, dass dies sogar noch besser sei, denn dann könne die Bundesregierung noch weniger ausweichen. Die konkrete Frage wurde Intersexuelle Menschen e.V. jedoch nicht mitgeteilt. Als der Wortlaut zusammen mit der "Antwort" der Bundesregierung bekannt wurde (PDF-Download), sowie dass dieser schon seit August feststand (PDF-Download), war die Konsternierung gross – so allgemein und schwammig war die Frage gehalten, dass die Zwitter darin nicht einmal mehr namentlich erwähnt wurden:

"24. Bitte liefern Sie Informationen zur Situation von Frauen, deren Geschlechtsidentität aufgrund eines medizinischen Entscheids neu zugewiesen wurde." ("24. Please provide information on the situation of women who have had their gender identity reassigned upon medical decision.")

Damit arbeitete das CEDAW-Komittee der Bundesregierung sozusagen in die Hand und lieferte einen Steilpass zur offiziellen Weiterführung der Ausrottung der Zwitter als Spezies mittels der "vereindeutigenden" Zwangsoperationen an ihren "uneindeutigen" Genitalen, ungeachtet des durch die oben erwähnten Studien eben wieder einmal bestätigten, massiven Leids, das diese menschenrechtswidrigen, nicht-eingewilligten Zwangseingriffe über die Opfer bringen.

UN-Ausschuss von Schattenbericht "sichtlich bewegt", hatte hoffnungsfroh der Titel der Pressemitteilung des Vereins vom 23.7.2008 gelautet. Der UN-Ausschuss mag bewegt gewesen sein - verstanden hat er unsere Lebenssituation - wie Frage Nr. 24 beweist - nicht einmal ansatzweise. Oder, noch schlimmer: Er verstand sie sehr wohl, wollte aber der Bundesregierung wegen ein paar wildgewordenen Zwittern nicht unnötig auf die Zehen treten.

Wir wurden - so sehe ich das - wieder einmal benutzt, über den Tisch gezogen. Intersexuelle Menschen e.V. ist zur Zeit am abklären, was für Mittel offenstehen, gegen dieses unhaltbare Vorgehen jetzt noch Widerspruch einzulegen. Der CEDAW-Ausschuss soll dazu aufgefordert werden, die Frage neu zu stellen. Die Bundesregierung müsste dann noch einmal antworten. Ob sie das tun wird und ob das zeitlich (bis Genf Januar 2009) überhaupt möglich sein wird, ist zu bezweifeln.

Wir werden nun wohl mit dieser unsinnigen Frage im Rücken im Januar 2009 in Genf stehen. Umso mehr hoffe ich, wir werden unsere Enttäuschung und Wut wenigstens vor dem Ausschuss selbst deutlich zur Sprache bringen – unterstützt von einer kraftvollen Demo auf der Place des Nations, die unmissverständlich zeigt, dass wir Zwitter die an uns unter Mittäterschaft der Bundesregierung begangenen medizinischen Verbrechen nicht mehr länger tatenlos hinnehmen.

Siehe auch:
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Die Bundesregierung vs. Zwitter
- Streicheleinheiten für die Bundesregierung

Thursday, December 11 2008

"Intersexualität": Aufforderung um Unterstützung an Deutschen Ethikrat

Sehr geehrte Frau Florian

Bezug nehmend auf unser Telefongespräch von letzter Woche und Ihr Gespräch mit unserem Vereinsmitglied [...] möchte ich Sie auf die Dringlichkeit hinweisen, mit der die Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen in Deutschland behandelt werden müssen.

Dazu lasse ich Ihnen erstmals ein paar Informationen zukommen, die Ihnen ein Bild über die Situation von Intersexuellen verschaffen sollen.

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INHALT

1. Einleitung
2. Studien des Netzwerks Intersexualität/DSD sprechen Klartext
3. Schattenbericht und Forderungsliste
4. Juristische Probleme und Diskriminierungen
a) Verjährung: Christiane Völling gewinnt in letzter Minute Zwitter-Prozess gegen ehemaligen Operateur
b) Diskrimierung gegenüber Knaben- und Mädchenbeschneidung
c) Diskriminierung Sterilisations- und Kastrationsverbot
5. Wir bitten um Ihre Unterstützung!

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1. Einleitung


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Bis heute werden Menschen, die mit "uneindeutigen" Geschlechtsmerkmalen geboren werden, ohne ihre Einwilligung zwangskastriert, an ihren "uneindeutigen" Genitalien zwangsoperiert und Zwangshormontherapien unterzogen, um ihr "uneindeutiges" Geschlecht zu "vereinheitlichen".

Allein in Deutschland leben schätzungsweise 80’000 bis 100’000 sogenannte Zwischengeschlechtliche, Intersexuelle, Zwitter oder Hermaphroditen.

Juristisch, politisch und sozial werden sie nach wie vor unsichtbar gemacht und ihrer (Menschen-)Rechte beraubt.

Siehe auch: Präambel Forderungsliste Intersexuelle Menschen e.V.:
http://intersex.schattenbericht.org/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV

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2. Studien des Netzwerks Intersexualität/DSD sprechen Klartext


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Bis heute schaut die Bundesregierung weg und negiert diese systematischen Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen, obwohl sie in den letzten zwölf Jahren mehrmals dazu aufgefordert wurde, zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen Implikationen Stellung zu nehmen.

Stattdessen propagiert die Bundesregierung die Zwangseingriffe aktiv mit tatsachenwidrigen Behauptungen:

  • Der Bundesregierung sei nicht bekannt, „dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert“ (14/5627).
  • Die Zwangsoperationen seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten deshalb dem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627).
  • "[G]rößer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden laut Bundesregierung gar beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig befinden" – allerdings vermochte die Bundesregierung dafür keine Belege anzuführen (16/4786).

Ausführlicher: Die Bundesregierung vs. Zwitter:
http://de.indymedia.org/2008/11/233955.shtml

Aktuelle Forschungsergebnisse des "Netzwerk Intersexualität/DSD" beweisen gegenüber den Behauptungen der Bundesregierung einmal mehr das Gegenteil:

  • Die meisten Opfer der menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ihr Leben lang leiden.
  • Nicht zwangsoperierte Zwitter haben im Vergleich eine deutlich höhere Lebensqualität.
  • Trotzdem werden nach wie vor über 80% aller Zwitter meist mehrfach zwangsoperiert.

Aktuelle Studienergebnisse in Deutschland: Ausführlicher hier:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen

Schon 2007 bekräftigte die "Hamburger Studie": Die "Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist eklatant hoch".

Denselben Tatbestand untermauert nun auch eine erste Vorveröffentlichung der "Lübecker Studie", mit 439 ProbandInnen die weltweit bisher größte Untersuchung der Folgen von Zwangsbehandlungen:

Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und auch Eltern intersexueller Kinder "gering" (S. 18 ). Vor allem erwachsene Intersexuelle sind "mit der medizinischen Behandlung sehr unzufrieden" (S. 37), insbesondere diejenigen, die keine psychologische Beratung erhalten haben (S. 19 ). (Obwohl Betroffenenorganisationen seit 15 Jahren psychologische Beratung als Muss fordern, ist sie immer noch die Ausnahme.)

Die Beratungszufriedenheit auch der Eltern ist signifikant geringer als bei "anderen chronischen Erkrankungen" (S. 18 ).

Eltern sowie Kinder und Jugendliche berichten von "Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität" (S. 21). Sowohl das körperliche als auch das psychische Wohlbefinden ist "deutlich niedriger" als bei Nicht-Intersexuellen (S. 21). Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist auch bei erwachsenen Intersexuellen deutlich niedriger als bei Nicht-Intersexuellen (S. 22).

Je mehr Zwangsoperationen durchgeführt wurden, desto stärker leidet die Lebensqualität besonders "im Bereich körperliche Schmerzen" (S. 22). "25 Prozent aller operierten StudienteilnehmerInnen" berichten von Komplikationen "im Anschluss an die Operationen" (S. 17).

Insbesondere bei operativ und hormonell dem weiblichen Geschlecht "angeglichenen" Intersexuellen sind "in den Bereichen allgemeine Lebensqualität, psychische und körperliche Gesundheit deutliche Unterschiede zur Vergleichsgruppe" (S. 22) zu finden.

Insgesamt leiden 45 Prozent der Erwachsenen unter psychischen Problemen, die "insbesondere die Arbeit und den Alltag" beeinträchtigen (S. 37).

Auch im Bereich "Sexualität und Partnerschaft" offenbart die Studie ein erschreckendes Bild:

Während bei nicht-intersexuellen Jugendlichen und Erwachsenen nur eine Minderheit keine Beziehungen und sexuelle Kontakte haben, sind die Verhältnisse bei Intersexuellen genau umgekehrt (S. 30-31).

Fast die Hälfte der Erwachsenen berichten "über eine Vielzahl von Problemen im Zusammenhang mit der Sexualität" wie "sexuelle Lustlosigkeit" oder "Schmerzen", zwei Drittel sehen "einen Zusammenhang zwischen diesen sexuellen Problemen und [...] den [...] medizinischen und chirurgischen Maßnahmen" (S. 31).

Die Studienergebnisse bestätigen überdies, je häufiger Intersexuelle Zwangsoperationen unterworfen werden, desto seltener leben sie in einer festen Partnerschaft – und umgekehrt (S. 31).

Intersexuelle Menschen e.V. fordert Gerechtigkeit!


Entgegen der Lippenbekenntnisse von Medizinern wird nach wie vor die überwiegende Mehrzahl zwischengeschlechtlicher Menschen mehrfach zwangsoperiert.

Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Komitee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstößen gegenüber intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Im kommenden Januar wird die Bundesregierung in Genf Rede und Antwort stehen müssen. Weitere Vorstöße sind in Vorbereitung.

Der Dachverband der deutschsprachigen Selbsthilfegruppen, Intersexuelle Menschen e.V., fordert ein Leben in Würde für alle zwischengeschlechtlichen Menschen, das sofortige Ende der von der Bundesregierung geduldeten, menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen und eine angemessene Entschädigung für alle Opfer!

Öffentliche Veranstaltung am Montag, 15. Dezember 2008 in Berlin:

Podiumsdiskussion, Vorstellung und Übergabe der CEDAW-Schattenberichte an die Bundesregierung >> http://www.boell.de/calendar/VA-viewevt-de.aspx?evtid=5707

Literatur und Quellen:

"Hamburger Studie"
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0

Vorabbericht der "Lübecker Studie"
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen

CEDAW-Schattenbericht
Intersexuelle Menschen e.V.
http://intersex.schattenbericht.org

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3. Schattenbericht und Forderungsliste

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Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Komitee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstössen an intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Bestandteil des Schattenberichts ist die Forderungsliste des Vereins Intersexuelle Menschen e.V., die am 20. Juli 2008 präsentiert wurde.

Darin sind verschiedene Menschenrechtsverletzungen, denen intersexuelle Menschen regelmässig ausgesetzt sind, detailliert dokumentiert.

http://intersex.schattenbericht.org

Dem Schattenbericht beigefügt war auch die Forderungsliste von Intersexuelle Menschen e.V.

http://intersex.schattenbericht.org/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV


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4. Juristische Probleme und Diskriminierungen

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a) Verjährung: Christiane Völling gewinnt in letzter Minute Zwitter-Prozess gegen ehemaligen Operateur

Am 12.12.2007 fand am Landgericht in Köln ein Prozess statt, der auf ein grosses Medienecho stiess und für zwischengeschlechtliche Menschen einen Meilenstein im Kampf für ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Würde darstellte. Mit einer Kundgebung vor dem Landgericht drückte der Verein Intersexuelle Menschen e.V. seine Solidarität mit Christiane Völling aus und forderte: Menschenrechte auch für Zwitter! Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!

Das erste Urteil erfolgte am 6.2.2008 am Landesgericht Köln: Christiane Völling gewann den Prozess gegen Ihren ehemaligen Operateur in erster Instanz! Richter Dietmar Reiprich hielt gleich zu Beginn fest: "Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt."

Vollständiges Gerichtsurteil:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2008/25_O_179_07grundurteil20080206.html)

Prozessbericht und Pressespiegel:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/02/07/Sieg-fur-Christiane-Volling

Am 3.9.2008 lehnte das Oberlandesgericht Köln die Berufung des Chirurgen einstimmig definitiv ab: "Der Chirurg hat die Patientin vor der Operation nicht hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer Einwilligung schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt."

Das Verfahren ging ans Landgericht zurück, wo bis heute über die Höhe des Schmerzensgeldes entschieden wird. Gefordert sind mindestens 100'000 Euro.

Vollständiger Beschluss der Zurückweisung:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koeln/j2008/5_U_51_08beschluss20080903.html

Pressespiegel:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/09/10/Von-Zwangsoperateur-schuldhaft-in-Selbstbestimmungsrecht-verletzt-Zwitterprozess-Pressespiegel-OLG-4608

Viele weitere Betroffene haben keine Möglichkeit zur Klage, da die herkömmlichen Verjährungsbestimmungen und die durch die Zwangsbehandlungen resultierenden Traumata eine rechtzeitige Klage verunmöglichen (ähnlich wie bei sexuellem Kindsmissbrauch). Auch Christiane Völling wäre die Verjährung um ein Haar zuvor gekommen.

b) Diskrimierung gegenüber Knaben- und Mädchenbeschneidung

Bei Knabenbeschneidungen handelt es sich in der Regel ebenfalls nicht um eingewilligte, medizinisch nicht indizierte Operationen, zu welcher auch die Erziehungsberechtigten keine Einwilligungserlaubnis haben. Die hat inzwischen auch das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. festgehalten:
http://web2.justiz.hessen.de/migration/rechtsp.nsf/92FC95DE06E27651C125734C0031B366/$file/04w01207.pdf
Auch bei Phimose wird deshalb inzwischen von Knabenbeschneidungen im Kleinkindalter abgeraten:
http://www.aerztezeitung.de/medizin/fachbereiche/paediatrie/default.aspx?sid=305805

Mittlerweile setzt sich gar die Auffassung durch, Beschneidungen an Knaben ohne Einwilligung der Betroffenen seien generell widerrechtlich:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=61273

Die Mädchenbeschneidung ist in Deutschland unbestrittenermassen prinzipiell strafrechtlich geächtet.

Obwohl juristisch wie auch betreffend der Folgen für die Opfer in vielfacher Hinsicht mit Knaben- und Mädchenbeschneidung vergleichbar, werden genitale uneingewilligte Zwangsoperationen ohne medizinische Indikation an jungen Intersexuellen nach wie vor systematisch praktiziert.

c) Diskriminierung Sterilisations- und Kastrationsverbot

In Deutschland sind Eltern zur Einwilligung von Kastration oder Sterilisation bei ihren Mündeln unbestrittenermassen nicht befugt. Trotzdem werden an Intersexuellen Kindern systematisch Zwangskastrationen durchgeführt.
http://www.lobby-fuer-menschenrechte.de/Intersexualitaet02.php


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5. Wir bitten um Ihre Unterstützung!

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Zwischengeschlechtliche Menschen werden systematisch medizinisch nicht notwendigen, traumatisierenden Zwangsbehandlungen unterworfen. Diese stellen einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar.

Intersexuelle Menschen e.V. fordert die vollständige Umsetzung und Anwendung der Menschenrechte auch für Intersexuelle. Unsere Anliegen dürfen nicht mehr länger ignoriert werden. Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung sind ein Teil unserer Gesellschaft und haben als gleichberechtigte Bürger ein Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung.

Wir bitten den Deutschen Ethikrat, sich mit unserer Situation ernsthaft auseinander zu setzen und seinen Beitrag zu leisten, damit diese Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen gegen Intersexuelle Menschen endlich ein Ende haben.

Ich bitte Sie um eine zeitnahe Stellungnahme.


Freundliche Grüsse

Daniela Truffer
1. Vorsitzende Intersexuelle Menschen e.V.


>>> 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen

Siehe auch:
- Erneute Anfrage um Unterstützung an Deutschen Ethikrat
- Deutscher Ethikrat reiht sich ein unter die MittäterInnen

Thursday, December 4 2008

Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!

INHALT

1. Mittäterschaft der Bundesregierung an den Zwangsoperationen
2. "Hamburger Studie" 2007: Behandlungszufriedenheit, Selbstmordrate, Sexualität
3. "Lübecker Studie" 2008
   a) Überblick und Download
   b) Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität bei Jugendlichen und Eltern
   c) Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität bei Erwachsenen
   d) Partnerschaft und Sexualität
   e) Einige kritische Anmerkungen zur Vorabveröffentlichung
4. Zwischengeschlecht.org fordert Gerechtigkeit!
5. Literatur und Quellen


1. Mittäterschaft der Bundesregierung an Zwangsoperationen

Bis heute werden Menschen, die mit "uneindeutigen" Geschlechtsmerkmalen geboren werden, ohne ihre Einwilligung zwangskastriert, an ihren "uneindeutigen" Genitalien zwangsoperiert und Zwangshormontherapien unterzogen, um ihr "uneindeutiges" Geschlecht zu "vereinheitlichen". Allein in Deutschland leben schätzungsweise 80’000 bis 100’000 sogenannte Zwischengeschlechtliche, "Intersexuelle", Zwitter oder Hermaphroditen  Juristisch, politisch und sozial werden sie nach wie vor unsichtbar gemacht und ihrer (Menschen-)Rechte beraubt.

Bis heute schaut die Bundesregierung weg und negiert diese systematischen Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen, obwohl sie in den letzten zwölf Jahren mehrmals dazu aufgefordert wurde, zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen Implikationen Stellung zu nehmen. (Nachtrag:  Auch auf die Fragen der CEDAW-Kommission behauptete die Bundesregierung mit Datum vom 21.11.08 einmal mehr unverfroren: "Wir haben keine relevanten Erkenntnisse dazu.")

Stattdessen propagiert die Bundesregierung die Zwangseingriffe aktiv mit tatsachenwidrigen Behauptungen: 

  • Der Bundesregierung sei nicht bekannt, „dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert“ (14/5627).

  • Die Zwangsoperationen seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten deshalb dem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627).

  • "[G]rößer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden laut Bundesregierung gar beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig befinden" – allerdings vermochte die Bundesregierung dafür keine Belege anzuführen (16/4786).

Siehe dazu auch:
- Die Bundesregierung vs. Zwitter
- Faule Eier für "die Bundesregierung"!
- Zwangsoperationen an Zwittern: Wer nicht hören will ...

Aktuelle, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Studien des "Netzwerk Intersexualität/DSD" beweisen gegenüber den Behauptungen der Bundesregierung einmal mehr das Gegenteil:

  • Die meisten Opfer der menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ihr Leben lang leiden.

  • Nicht zwangsoperierte Zwitter haben im Vergleich eine deutlich höhere Lebensqualität.

  • Trotzdem werden nach wie vor über 80% aller Zwitter meist mehrfach zwangsoperiert.

Zwischengeschlecht.org fordert deshalb einmal mehr die sofortige Beendigung der von der Bundesregierung geduldeten, menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen und Gerechtigkeit für die Geschädigten!


2. "Hamburger Studie" 2007

Die vom BMBF finanzierte "Hamburger Studie" bestätigte die von betroffenen Menschen seit Jahren immer wieder betonten, von der Bundesregierung aber bisher ignorierten Missstände in der "Behandlung" intersexueller Menschen:

"Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertet geschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehr zufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufrieden und das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T. unzufrieden."
(Christian Schäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern")

Zwangsoperierte Zwitter haben eine höhere Selbstmordrate als nicht-traumatisierte Nicht-Zwitter, vergleichbar mit traumatisierten Frauen nach körperlicher Misshandlung oder Kindesmissbrauch.
(Schützmann K, Brinkmann L, Richter-Appelt H. "Psychological distress, suicidal tendencies, and self-harming behaviour in adult persons with different forms of intersexuality" (2009) Arch Sex Behav. 2009 Feb;38(1):16-33
>>> Abstract via pubmed.gov)

"50 Prozent der [überlebenden zwangsoperierten] Personen haben Suizidgedanken geäußert."
(Antwort des Hamburger Senats auf Frage 21 der Grosse Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/1993, vom 13.02.2009 >>> Weitere Quellen und Links)

Genital zwangsoperierte Zwitter haben signifikant mehr Angst vor sexuellen Kontakten und mehr Angst vor Verletzungen beim Geschlechtsverkehr als "nur" zwangskastrierte.
(Vortrag von Hertha Richter-Appelt, 19.4.2009)
Kommentar: Das Auslassen von Auswertungen zur Lebensqualität zwangsoperierter Zwitter im Gegensatz zu nicht operierten ist nicht nur bei Netzwerk-Publikationen die Regel – die Medizyner freut's ...


3. "Lübecker Studie" 2008

a) Überblick und Download

Mit 439 Proband_innen ist die ebenfalls vom BMBF finanzierte "Lübecker Studie" die weltweit bisher grösste Untersuchung über die Folgen der Zwangsbehandlungen an Zwittern mit Teilnehmer_innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Am 5. Treffen des Netzwerks Intersexualität am 6. September 2008 in Kiel wurden erste Ergebnisse präsentiert. Mittlerweile ist ein Vorabbericht auch in schriftlicher Form auf der Netzwerk-Homepage veröffentlicht worden (>>> PDF-Download 232 kb).

Wie die „Hamburger Studie“ bestätigt auch die „Lübecker Studie“ die notorisch "Hohe Unzufriedenheit mit der medizinischen Behandlung" (Vortrag Kiel 6.9.2008) von Intersexuellen und unterstreicht die massiven psychischen und physischen Folgen der genitalen Zwangsoperationen und weiteren Zwangsbehandlungen.

Die "Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer" wurden unter anderem zur Behandlungszufriedenheit, gesundheitsbezogenen Lebensqualität, psychischen Gesundheit sowie Partnerschaft und Sexualität befragt.

Laut der Vorabveröffentlichung sind insgesamt „fast 81% aller Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen mindestens einmal im Zusammenhang mit ihrer besonderen Geschlechtsentwicklung operiert worden“, wobei „der Großteil der Operationen bereits bis zum Schulalter durchgeführt wurden“ (S. 16).

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)
 Präsentation zur "Lübecker Studie" im Bundestag, 2009
>>> PDF 2.3 Mb -> S. 3 "Beschreibung des Samples"

Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und auch Eltern intersexueller Kinder "gering" (S. 18).

Eltern beurteilen "die behandelnden Ärzte/Ärztinnen schlechter als Eltern von Kindern mit anderen chronischen Erkrankungen" (S. 18).


b) Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität bei Jugendlichen und Eltern

„Wie die Eltern, berichten auch die befragten Kinder und Jugendlichen selber von Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität. Im Gegensatz zu ihren Eltern sind es bei ihnen (...) vielmehr Beeinträchtigungen in den Bereichen Familie und körperliches Wohlbefinden. Besonders die Gruppe der 8 bis 12jährigen Kinder erscheint von Beeinträchtigungen der Lebensqualität betroffen zu sein." (S. 21)

Eltern von Kindern aller Alters- und Diagnosegruppen schätzen „die Lebensqualität ihrer Kinder im Bereich des psychischen Wohlbefindens deutlich niedriger ein als Eltern der Vergleichsgruppe“ (S. 21).

"Sowohl in den Einschätzungen der Eltern als auch der Kinder und Jugendlichen wird deutlich, dass die Lebensqualität insgesamt mit steigendem Alter abnimmt." (S. 21)

Eltern sind vor allem unzufrieden mit dem Diagnose- und Informationsmanagement und beklagen sich darüber, wie "schwierig"es sei, "kompetente fachärztliche Hilfe zu bekommen" (S. 19).


c) Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität bei Erwachsenen

Hier fällt das Resultat noch deutlicher aus: "Als Ergebnis zeigt sich, dass viele Erwachsene mit DSD mit der medizinischen Behandlung sehr unzufrieden sind." (S. 37)

Ein "zentrales Ergebnis" der Studie ist, dass sich insbesondere bei Intersexuellen, die operativ und hormonell dem weiblichen Geschlecht "angeglichen" wurden, "in den Bereichen allgemeine Lebensqualität, psychische und körperliche Gesundheit deutliche Unterschiede zur Vergleichsgruppe" (S. 22) finden.

Auffallend: Bei den Erwachsenen, die psychologische Beratung erhalten haben, ist die Behandlungszufriedenheit besser. (S. 19)

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist auch bei erwachsenen Intersexuellen deutlich niedriger als bei Nicht-Intersexuellen. (S. 22)

"Bei 25% aller operierten Studienteilnehmer und –innen ist es im Anschluss an die Operationen zu Komplikationen gekommen." (S. 17)

"Menschen, die mehr als drei Operationen im Zusammenhang mit der besonderen Geschlechtsentwicklung erlebt haben, haben im Bereich körperliche Schmerzen eine niedrigere Lebensqualität als Menschen mit wenigen oder gar keinen Operationen." (22)

Weiter unterstreicht die Studie "im Durchschnitt eine niedrigere Lebensqualität im Bereich des psychischen Wohlbefindens" (S. 22).

Die Studienergebnisse zeigen, "dass die psychische Gesundheit von Erwachsenen mit DSD deutlich schlechter ist": "Insgesamt sind bei 45%, also fast der Hälfte der von uns untersuchten Erwachsenen psychische Probleme vorhanden, hierbei bestehen keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen." (S. 24)

"Die emotionalen Probleme beeinträchtigen insbesondere die Arbeit und den Alltag der Erwachsenen mit einer besonderen Geschlechtsentwicklung." (S. 37)


d) Partnerschaft und Sexualität

Auch hier offenbart die Studie ein erschreckendes Bild:

"Über Dreiviertel der Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren mit DSD hat keinen festen Freund oder feste Freundin. [...] Über 75% haben bisher keine Erfahrungen mit Petting und 90% gaben an, noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Außerdem berichten Dreiviertel der Jugendlichen, sich noch nie selbst befriedigt zu haben." Bei nicht intersexuellen Jugendlichen sind die Verhältnisse gerade umgekehrt. (S. 30)

"Bei den Erwachsenen ist hervorzuheben, dass nur 40% in einer festen Partnerschaft leben. [...] Ein Viertel aller Erwachsenen gibt an, bisher noch keine Beziehung gehabt zu haben. Damit unterscheiden sich die Erwachsenen mit DSD unterscheiden deutlich von der Allgemeinbevölkerung. Dort geben 70% der über 17jährigen an, in einer festen Partnerschaft zu leben." (S. 30)

"Ein Viertel der Erwachsenen berichtet, bisher keine Erfahrungen mit Petting gemacht zu haben und sich auch noch nie selbst befriedigt zu haben. Ein Drittel hatte noch nie sexuelle Kontakte." (S. 31)

"Die von uns befragten Erwachsenen mit DSD berichten außerdem über eine Vielzahl von Problemen im Zusammenhang mit der Sexualität (z.B. sexuelle Lustlosigkeit; Schwierigkeit, sexuelle Kontakte herzustellen; Schwierigkeit erregt zu werden; Schmerzen). So leiden fast 40% an sexueller Lustlosigkeit, über 35% haben Probleme, sexuelle Kontakte herzustellen und ein Drittel der Erwachsenen mit DSD berichtet von Schwierigkeiten, sexuell erregt zu werden. 40% der Befragten geben an, Probleme zu haben, einen Orgasmus zu bekommen." (S. 31)

Zwei Drittel der befragten Erwachsenen sehen "einen Zusammenhang zwischen diesen sexuellen Problemen und ihrer besonderen Geschlechtsentwicklung und den damit einhergegangenen medizinischen und chirurgischen Maßnahmen". (S. 31)

Die Studienergebnisse bestätigen überdies, "dass die Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen bei denen plastische Operationen im Zusammenhang mit der DSD durchgeführt worden sind (33%), seltener in einer festen Partnerschaft leben als die Menschen, bei denen keine plastischen Operationen am Genitale durchgeführt worden sind (67%)."(S. 31)


e) Einige kritische Anmerkungen zur Vorabveröffentlichung

Insgesamt ist die Vorabveröffentlichung aus Betroffenensicht überwiegend positiv zu bewerten und bekräftigt (einmal mehr) die meisten Hauptkritikpunkte der Selbsthilfegruppen nicht nur in Deutschland. Trotzdem ist einmal mehr eine gewisse Nähe zum Parteistandpunkt der (Zwangs-)BehandlerInnen zu konstatieren. Generell wird abgeschwächt bzw. den Finger nicht zu sehr auf wunde Punkte gelegt (so fehlen z.B. konkrete Aussagen über Schmerzen im Genitalbereich nach "plastischen Operationen"). Es ist zu befürchten, dass diese Tendenz in späteren, "richtigen" Publikationen noch verstärkt zum Tragen kommen wird. Entgegen wiederholten Versprechen durften die Teilnehmer_innen bisher Publikationen stets nicht gegenlesen.

Im Folgenden einige konkrete Kritikpunkte an der Vorabveröffentlichung, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Die Studie scheint insbesondere vor durchgängigen, expliziten Vergleichen zu Wohlbefinden und Lebensqualität von Zwangsoperierten vs. Nicht-Operierten zurückzuschrecken. Trotzdem stellt diese "inoffizielle" Vorabveröffentlichung insofern einen Fortschritt dar, dass in "richtigen" Publikationen des "Netzwerk DSD/Intersexualität" Auswertungen zur Lebensqualität zwangsoperierter Zwitter im Vergleich zu nicht-operierten stets vollständig weggelassen wurden.

  • Zwar geht die Studie zu Beginn auf verschiedene Ansichten zu den (meist medizinischen) Bezeichnungen ein. Dass Betroffene vor allem die pathologisierende Komponente "Disorder" (= Störung) in "DSD" als verletzend erachten und vehement kritisieren, wird nicht einmal erwähnt.

  • Generell scheinen die Eltern in der Studie stärker gewichtet zu werden als die betroffenen Kinder – obwohl die Verfasserinnen in Kiel noch selbst festgehalten hatten, Eltern von Betroffenen schätzen deren Lebensqualität durchgehend besser ein als die Kinder selbst.

  • Die Studie setzt in unzulässiger Weise zwangszugewiesenes Geschlecht mit Geschlecht bzw. Geschlechtsidentität gleich.

  • Dass Proband_innen sich evtl. nicht als "Mann" oder "Frau", sondern z.B. als "Zwitter" identifizieren könnten, wird meist gar nicht erst in Betracht gezogen, in diese Richtung weisende Feststellungen werden tunlichst vermieden (die Ausnahmen "scheinen sich ihrer Geschlechtszugehörigkeit sehr unsicher zu sein" bzw. "insgesamt 11 Erwachsene (10%) [erreichen] einen ungewöhnlich hohen Wert auf der Transgenderskala" auf S. 29 bestätigen die Regel).

  • Gesundheitliche Probleme durch die ausschliesslich auf das zwangszugewiesene Geschlecht ausgerichtete Hormonersatztherapie (d.h. z.B. für CAIS-"Frauen" ausschliesslich körperfremdes Östrogen, obwohl der Körper ursprünglich Testosteron produzierte, das anschliessend in körpereigenes Östrogen umgewandelt wird) werden nicht berücksichtigt.

  • Die Jahrzehnte alte Menschenrechtsforderung nach Beendigung der nicht-eingewilligten Genitaloperationen ohne medizinischen Notwendigkeit wird weiterhin einfach überhört und gar nicht erst zur Kenntnis genommen.

Nachtrag 17.6.09: Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert


4. Zwischengeschlecht.org fordert Gerechtigkeit!

Die genitalen Zwangsoperationen und weitere nicht-eingewilligte Zwangseingriffe an Zwitterkindern sind die wohl gravierendste Menschenrechtsverletzung in den westlichen Demokratien seit dem 2. Weltkrieg.

Entgegen der Lippenbekenntnisse von Medizinern werden nach wie vor die meisten zwischengeschlechtlicher Menschen mehrfach zwangsoperiert.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Leben in Würde für alle zwischengeschlechtlichen Menschen, das sofortiges Ende der von der Bundesregierung geduldeten, menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen und eine angemessene Entschädigung für alle Opfer!

5. Literatur und Quellen:

"Hamburger Studie"
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0

Schützmann K, Brinkmann L, Richter-Appelt H. "Psychological distress, suicidal tendencies, and self-harming behaviour in adult persons with different forms of intersexuality" (2009)
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17943433

Antwort des Hamburger Senats auf Frage 21 der Grosse Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/1993, vom 13.02.2009
http://www.buergerschaft-hh.de/Parldok/tcl/PDDocView.tcl?mode=show&dokid=24867&page=0

Vorabbericht der "Lübecker Studie" (PDF)
http://www.netzwerk-is.uk-sh.de/is/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf

Präsentation der "Lübecker Studie" im Bundestag 2009 (PDF)
http://kastrationsspital.ch/public/Corpus-delicti_27-5-09.pdf

CEDAW-Schattenbericht Intersexuelle Menschen e.V.
http://intersex.schattenbericht.org

Forderungsliste Intersexuelle Menschen e.V.
https://blog.zwischengeschlecht.info/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV

Siehe auch:
- "Neuere Operationstechniken beeinträchtigten die Orgasmus-Fähigkeit stärker als ältere" - Lancet
- Offener Brief an das Kinderspital Zürich
- Schattenbericht: Bundesregierung leugnet Menschenrechtsverletzungen an Zwittern 
- Wie das "Netzwerk DSD/Intersexualität" seine Versprechen bricht - und Intersexuelle Menschen e.V. sich nicht wehrt
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert 

Oliver Tolmein über die "Lübecker Studie":
"Zwischenergebnisse für Zwitter: Ärzte müssen umdenken" (FAZ-online)
 

Katrin Ann Kunze †

Monday, November 24 2008

Rohfassung vom 24.11.08 der Kleinen Anfragen 16/12769 und 16/12770

Von DIE LINKE überarbeitete Fassung vom 24.11.08 der Zuarbeit von Daniela Truffer vom 25.9.08. Wurde dann weiterverwurstet zu den Kleinen Anfragen 16/12769 und 16/12770.

Zur Situation intersexueller Menschen in der Bundesrepublik Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland wird eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren. Die Betroffenen Menschen selbst bezeichnen sich als Zwischengeschlechtliche, Hermaphroditen, Zwitter oder Intersexuelle. Der medizinische Fachausdruck lautet: DSD-Patienten (DSD = Disorders of Sexual Development, deutsch: Störungen der Geschlechtsentwicklung). In medizinischen Fachkreisen herrscht die Meinung vor, dass diese Störung durch medizinische Eingriffe bereits im frühen Stadium der kindlichen Entwicklung korrigiert werden müsste. Deshalb kommt es häufig schon im Kindesalter zu Operationen an den Genitalien, mit dem Ziel sie einem Geschlecht zuzuordnen. Selbsthilfeorganisationen behaupten, dass es bis in die 1980er Jahre medizinische Praxis gewesen sei, einen zu kleinen Penis beziehungsweise eine zu große Klitoris zu amputieren. Dabei gilt es aus den heutigen Erkenntnissen als fraglich, ob dem eine medizinische Indikation zugrunde liegt und, ob diese medizinischen Eingriffe im Sinne der Betroffenen waren und sind. So kommt die "Hamburger Studie" zu dem Ergebnis: "Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertet geschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehr zufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufrieden und das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T. unzufrieden." (Christian Schäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern". http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0)

Die Folgen dieser medizinischen Eingriffe können eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen zur Folge haben. Bei der weiblichen Zuweisung des Geschlechts wurden häufig Östrogene verabreicht, obwohl etwa betroffene Menschen mit Androgenresistenz von sich aus Testosterone produzieren würden, die dann vom Körper in Östrogene umgewandelt werden. Die Folgen der Hormonersatztherapien können unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Osteoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust zur Folge haben. Viele Betroffene haben das Problem, dass sie bei einem Wechsel der Hormonersatztherapie, die Kosten eigenständig tragen müssen, weil die GKV die Kosten nicht übernimmt.
Die Kritik der betroffenen Menschen und ihrer Selbsthilfeorganisationen hat in den vergangenen Jahren zu einem Rückgang der frühzeitigen medizinischen Eingriffe geführt.

Viele betroffene Menschen beklagen, dass sie (und oft auch ihre Eltern) über die Besonderheit der an ihnen vorgenommenen Eingriffe und deren lebenslangen Folgewirkungen nicht ausreichend aufgeklärt wurden, dabei hätten diese Eingriffe massive psychische und physische Schäden zur Folge unter denen sie ein Leben lang leiden würden.

Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Menschen mit DSD im Lauf der Pubertät oder im Erwachsenenalter entschließt, das ihnen zugewiesene soziale Geschlecht zu wechseln." (M. Jürgensen; O. Hiort; U. Thyen: "Kinder und Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsentwicklung: Psychosexuelle und -soziale Entwicklung und Herausforderungen bei der Versorgung". Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3, March 2008, S. 226-233.  http://www.netzwerk-is.uk-sh.de/is/fileadmin/documents/publikationen/Kinder_und_Jugendliche_mit_Stoerungen_der_Geschlechtsentwicklung.pdf).

Auch von Gerichten wird mittlerweile anerkannt, dass diese medizinischen Eingriffe das Selbstbestimmungsrecht verletzen können. Am 3. September 2008 gewann die Intersexuelle Christiane Völling den Prozess gegen ihren ehemaligen Operateur auch in 2. Instanz. Das Kölner Oberlandesgericht bestätigte, wie schon das Landgericht, dass das "Selbstbestimmungsrecht der Klägerin in ganz erheblichem Maße verletzt" worden sei (Az. 5 U 51/08).

Am 21. Juli 2008 präsentierte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in einem offiziellen Hearing dem UN-Ausschuss CEDAW einen eigenen Schattenbericht, dem die Forderungsliste ebenfalls beigelegt war (http://intersex.schattenbericht.org). Dieser Schattenbericht belegt, dass eine große Anzahl von Betroffenen die derzeitige medizinische Praxis als problematisch ansieht.


Wir fragen die Bundesregierung:


1. Wie viele Kinder werden nach den Informationen der Bundesregierung jährlich in Deutschland geboren, die als intersexuell klassifiziert werden können (Angaben bitte in absoluten Zahlen und Prozent)?

Wenn der Bundesregierung keine exakten Zahlen zugänglich sind: Gibt es Überlegungen diese Zahlen Statistisch zu erfassen, so wie dies in der Antwort XX der Drucksache XX zugesagt wurde?

2. Wie viele Säuglinge und Kinder im vorpubertären Alter werden pro Jahr nach der Diagnose DSD geschlechtszuweisenden medizinische behandelt (Hormonbehandlungen, Genitaloperationen, etc.) unterworfen (Wir bitten um eine aufgliedern)?

Wenn der Bundesregierung keine exakten Zahlen zugänglich sind: Gibt es Überlegungen diese Zahlen statistisch zu erheben?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik von einigen Betroffenen, an den an Ihnen vorgenommen medizinischen Eingriffen?


Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

4. Welche Studien sind der Bundesregierung zur Behandlungszufriedenheit und -unzufridenheit von Intersexuellen in Deutschland bekannt?

Wie beurteilt sie diese?
Insbesondere: Wie beurteilt die Bundesrepublik die Studien ( bspw o.g. „Hamburger Studie“)  die die Kritik einiger Betroffener stützt?

Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

5. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von im Kindesalter am Genitale operierten Intersexuellen an einer Verminderung oder vollständigen Zerstörung der sexuellen Empfindungsfähigkeit leiden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Auswirkungen von Genitaloperationen auf das sexuelle Empfinden sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

6 . Wenn der Bundesregierung keine Auswirkungen bekannt sind, was gedenkt sie zu unternehmen, um die Auswirkungen von Genitaloperationen auf das sexuelle Empfinden abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


7. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von kastrierten Intersexuellen an Folgeschäden der einzig auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichteten Hormonersatztherapie leiden?

Wenn ja, welche Folgen sind der Bundesregierung bekannt?
Wie beurteilt sie diese und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Verträglichkeit der gängigen, einzig auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichteten Hormonersatztherapien abzuklären? In welchem Zeitrahmen?

8. Ist die Bundesregierung bereit, gemäß den Forderungen betroffener Menschen Forschungsvorhaben mit dem Ziel einer individuell abgestimmten und verträglicheren Hormonersatztherapie zu unterstützen?

9 . Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl der ohne ihre Einwilligung kastrierten und genitaloperierten Intersexuellen dadurch zusätzlich traumatisiert sind, dass ihnen ihr eigentliches Geschlecht verheimlicht wurde, und dass sie diese Traumatisierung als besonders gravierend empfinden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Äusserungen von Intersexuellen zu Traumatisierungen durch Verheimlichung ihres eigentlichen Geschlechts sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn der Bundesregierung keine bekannt sind, was gedenkt sie zu unternehmen, um die Auswirkungen der Verheimlichung abzuklären?

10. Geht die Bundesregierung einig mit der Ansicht betroffener Menschen, dass die Existenz und medizinische Behandlung Intersexueller einen sensiblen und tabuisierten Bereich darstellt, indem in der Vergangenheit zum Teil gravierende Fehler begangen wurden, welche das von der Bundesregierung postulierte Gebot des Kindeswohls prinzipiell in Frage stellen?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, was ist die Einschätzung der Bundesregierung?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

11. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Intersexuelle begleitend zu medizinischer Behandlung auch psychologische bzw. psychotherapeutische Betreuung?
Wenn ja, in welcher Anzahl?

12. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Intersexuelle begleitend zu medizinischer Behandlung und eventueller psychologischer bzw. psychotherapeutischer Betreuung auch Peer Support?
Wenn ja, in welcher Anzahl?

13. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Eltern Intersexueller psychologische bzw. psychotherapeutische Betreuung?


14. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Eltern Intersexueller begleitend zu eventueller psychologischer bzw. psychotherapeutischer Betreuung auch Peer Support?
Wenn ja, in welcher Anzahl?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung betroffener Menschen nach Peer Support für Intersexuelle und ihre Eltern?

16 .Gibt es Überlegungen der Bundesregierung Peer Support für Intersexuelle und ihre Eltern zu unterstützen?

17. Welche Unterstützung erfahren Intersexuelle und ihre Infrastruktur derzeit aus Bundesmitteln?

18. Hält die Bundesregierung Maßnahmen erforderlich, um den Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur für erwachsene intersexuelle Menschen zu unterstützen?

Wenn ja, was gedenkt sie zu unternehmen, um den Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur zu unterstützen?

Wenn nein, wie schätzt die Bundesregierung das Bedürfnis erwachsener intersexueller Menschen nach einer solchen Infrastruktur ein?

19. Was kann und will die Bundesregierung unternehmen, um die Einrichtung außerklinischer Kontaktzentren mit einem psychologischen Beratungsangebot für Intersexuelle zu fördern, welche die von Fachleuten und Interessensverbänden für wesentlich erachtete Kontaktaufnahme von Eltern und intersexuellen Kindern mit anderen Menschen in der gleichen Situation und die psychologische Beratung aller Beteiligten ermöglichen würde?


20. Ist die von der Bundesregierung in Drucksache 16/4786, Antwort C 5, in Aussicht gestellte Prüfung, ob und inwieweit allgemein zugängliche und akzeptanzfördernde Aufklärungsarbeiten über die Existenz intersexueller Menschen geeignet und erforderlich sind, inzwischen erfolgt?

Wenn ja, zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung gekommen?

21. Welche Schritte wird die Bundesregierung hin zu einer solchen Aufklärung unternehmen? Schließen diese Schritte die Aufnahme von Intersexualität in die Lehrpläne der Schulen und Berufsausbildungen mit ein, insbesondere in Biologie, Sexualkunde und den sozialen Fächern, sowie in der Ausbildung sämtlicher medizinischer und sozialer Berufe, z.B. von Ärzten, Hebammen, Krankenschwestern, Pflegern, Psychologen, Lehrkräften, Kindergärtnern, Sozialarbeitern usw.?

Wenn nein, in welchem Zeitrahmen wird die Bundesregierung zu entsprechenden Ergebnissen kommen?

22. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen die Jahrzehnte lange Weigerung der Bundesregierung, die durch die nicht eingewilligten Eingriffe verursachten Leiden zur Kenntnis zu nehmen, als billigendes Inkaufnehmen und damit schädigendes staatliches Handeln betrachtet?

Was ist die Einschätzung der Bundesregierung dazu? Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


23. Ist der Bundesregierung bekannt, dass einer Vielzahl von Intersexuellen durch Traumatisierung, Hormonbehandlung und weitere Folgen der nicht eingewilligten medizinischen Eingriffe Zeit für ihr berufliches Fortkommen genommen wird und sie dadurch Einkommens- und Renteneinbussen erleiden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Auswirkungen von Traumatisierung, Hormonbehandlung und weiteren Folgen der nicht eingewilligten medizinischen Eingriffe auf das berufliche Fortkommen sind der Bundesregierung bekannt?
Wenn keine, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Auswirkungen abzuklären? In welchem Zeitrahmen?

24. Ist die Bundesregierung bereit, zusammen mit den verantwortlichen ärztlichen Standesorganisationen Mittel zur Entschädigung Intersexueller, die Opfer nicht eingewilligter medizinischer Geschlechtszuweisungen geworden sind, zur Verfügung zu stellen?

Wenn ja, welche Schritte gedenkt die Bundesregierung dahingehend zu unternehmen und in welchem Zeitrahmen?
Wenn nein, warum nicht?

25. Werden mit Bundesmitteln medizinische Forschungen zu Ursachen und zur Behandlung von Intersexualität gefördert?

Wenn ja, an welche Institutionen und Einrichtungen werden diese in welcher Höhe vergeben?


26. Werden mit Bundesmitteln nicht-medizinische Forschungen zur Evaluation der sozialen und rechtlichen Situation intersexueller Menschen in Deutschland gefördert?

Wenn ja, an welche Institutionen und Einrichtungen werden diese in welcher Höhe vergeben?


27. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen die nicht eingewilligten Eingriffe und ihre Folgen als eine Verletzung nicht nur der Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde empfinden, sondern auch als eine Verletzung der Kinderrechtskonvention (CRC), des Zivilpakts (ICCPR), des Sozialpakts (CESCR) und der Konvention gegen Folter (CAT)?

Wie bewertet sie diese Vorwürfe?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

28. Ist der Bundesregierung der Schattenbericht CEDAW 2008 des Dachverbandes Intersexuelle Menschen e.V. bekannt?

Wenn ja, wie bewertet sie diesen?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

29. Sind der Bundesregierung die Forderungen des Dachverbandes Intersexuelle Menschen e.V. bekannt?

Wenn ja, wie bewertet sie diese?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, in welchem Zeitrahmen wird die Bundesregierung eine Abklärung vornehmen?

Vorschlag für Kleine Anfrage im Bundestag: "Menschenrechte auch für Zwitter!"

Am 25.09.08 nach Absprache eingereicht bei DIE LINKE von Daniela Truffer im Namen von Intersexuelle Menschen e.V. >>> Chronologie

EINFÜHRUNG

Mit "uneindeutigen" Geschlechtsmerkmalen geborene Menschen werden in unserer Gesellschaft, die nur "Männer" und "Frauen" anerkennt, juristisch, politisch und sozial unsichtbar gemacht und diskriminiert. Die betroffenen Menschen selbst bezeichnen sich als Zwischengeschlechtliche, Hermaphroditen, Zwitter oder Intersexuelle, im Gegensatz zur medizinischen Bezeichnung DSD-Patienten (DSD = Disorders of Sex Development, deutsch: Störungen der Geschlechtsentwicklung), die von den betroffenen Menschen mehrheitlich vehement abgelehnt wird, da sie sich nicht als "gestört", sondern als Menschen mit einer Variation oder Besonderheit empfinden. Als "abnormal" klassifiziert, werden die in der Regel gesunden Körper Intersexueller zum medizinisch-chirurgischen Notfall erklärt: Ohne ihre Einwilligung werden sie meistens im Kindesalter an ihren intersexuellen Genitalien operiert, um diese zu "vereinheitlichen", wobei in Kauf genommen wird, dass ihr sexuelles Empfinden vermindert oder gänzlich zerstört wird. Bis in die 1980er Jahre war es gar üblich, einen zu kleinen Penis beziehungsweise eine zu große Klitoris zu amputieren. Diesen Operationen liegt keine medizinische Indikation zugrunde, es handelt sich um rein kosmetische Eingriffe.

Weiter werden betroffene Menschen ohne ihre Einwilligung systematisch kastriert, das heißt es werden ihnen die in der Regel gesunden, Hormone produzierenden inneren Geschlechtsorgane entfernt, was eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen zur Folge hat. Auch diese Kastrationen haben zumeist keine medizinische Indikation, sondern dienen wiederum lediglich der "Vereinheitlichung". Entsprechend dem "zugewiesenen Geschlecht" und nicht nach den individuellen körperlichen Bedürfnissen werden den Kastrierten ab der Pubertät künstliche Hormone verabreicht, was oft zu gravierenden gesundheitlichen Problemen führt. Zum Beispiel werden bei weiblicher Zuweisung prinzipiell Östrogene verabreicht, obwohl etwa betroffene Menschen mit Androgenresistenz von sich aus Testosterone produzieren würden, die dann vom Körper in Östrogene umgewandelt werden. Die Folgen dieser lediglich auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichteten Hormonersatztherapien sind unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Osteoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust. Schlimmer noch, wollen betroffene Menschen auf eine adäquatere Hormonersatztherapie wechseln, weigert sich die Krankenkasse, für die Kosten aufzukommen, da die Ärzte in der Regel lediglich Privatrezepte ausstellen. Zwar kommen in Deutschland die Ärzte nicht zuletzt aufgrund des Drucks der betroffenen Menschen und ihrer Selbsthilfeorganisationen langsam von der Praxis der systematischen Kastrationen ab. Die große Gruppe der Opfer dieser Praxis bleibt jedoch weiterhin ausgeblendet und ihrem Schicksal überlassen.

Weiter werden die betroffenen Menschen (und oft auch ihre Eltern) über ihre Besonderheit und die an ihnen vorgenommenen Eingriffe und deren lebenslangen Nebenwirkungen und Folgen meist ein Leben lang angelogen, um ihnen ihr wahres Geschlecht zu verheimlichen.

Die meisten Opfer dieser trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse heute noch gängigen Praxis tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ein Leben lang leiden.

In den letzten zwölf Jahren wurde die Bundesregierung durch Kleine Anfragen bisher vier Mal aufgefordert, zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen Implikationen Stellung zu nehmen (Drucksachen 13/5916, 14/5627, 16/4322, 16/4786). Von betroffenen Menschen wurde mehrfach kritisiert, dass auf wiederholt gestellte wesentliche Fragen keine Antworten erfolgten und generell die Sicht der betroffenen Menschen nicht einbezogen, sondern einseitig auf den Parteistandpunkt der "an einer Fortführung der bisherigen Praxis interessiert[en]" Mediziner zurückgegriffen wurde (Schattenbericht CEDAW 2008, 1.2).

Noch als die Bundesregierung zum dritten Mal in Folge nach Statistiken zum Vorkommen und zur Behandlung von intersexuellen Menschen gefragt wurde, lautete die Antwort: "Der Bundesregierung liegen keine bundesweit einheitlichen Erfassungen und Statistiken vor" (16/4786). Zwar wurde 2001 "voraussichtlich ab 2002" eine statistische Erfassung in Aussicht gestellt (14/5627), jedoch später nie mehr darauf Bezug genommen. Zu keinem Zeitpunkt wurden Konsequenzen gezogen aus diesem Nicht-Vorliegen genauer Daten und widersprüchlichen Teilangaben gemäß "Erkenntnisse[n] von Fachgesellschaften und Wissenschaft": zum Beispiel "etwa 150" Geburten jährlich "mit genitale[n] Fehlbildungen" gegenüber "7" Krankenhauseinweisungen "mit der Diagnose Hermaphroditismus [...] im Jahr 2004"; "etwa 1:4500" "genitale Fehlbildungen" gegenüber "etwa 8 000 bis 10 000" "schwerwiegenderen Abweichungen der Geschlechtsentwicklung" (16/4786). Geht es demgegenüber in wissenschaftlichen Publikationen um die Anzahl der zu Behandelnden, so heißt es bei 1:1000 sei keine "eindeutige Zuordnung" möglich, was gut 80 000 betroffenen Menschen entspricht (Finke/Höhne: "Intersexualität bei Kindern" 2008). Umso notwendiger wären deshalb aus Sicht der betroffenen Menschen exakte Statistiken und kontinuierliches Monitoring.

Durchgängig stellte sich die Bundesregierung auf den Standpunkt, die an intersexuellen Kindern ohne ihre Einwilligung vorgenommenen chirurgischen Eingriffe seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten deshalb dem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627). Weiter unterstellt die Bundesregierung, "größer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig befinden", vermag dafür jedoch keine Belege anzuführen (16/4786).

Möglicherweise bezog sich die Bundesregierung auf die in diesem Zusammenhang gerne zitierte amerikanische Studie von Meyer-Bahlburg aus dem Jahre 2004, die angeblich beweist, dass 85% der Befragten sich "mit ihrem Geschlecht zufrieden" zeigten (vgl. Aktuelle Urologie 2005; 36: 90-95). Die in dieser Studie vorgenommene Interpretation der Untersuchungsergebnisse ist jedoch alles andere als unumstritten. So hält etwa Prof. Dr. M. Westenfelder (Krefeld) unter anderem fest:

"Zieht man z.B. in den einzelnen Auswertungsergebnissen die Gruppe der 17 CAIS, die zunächst ohne Intersexproblematik und ohne Operation zunächst als 'normale' Mädchen aufwachsen, von dem Gesamtkollektiv ab, so kommt es in einigen Aussagen zur Umkehr der Ergebnisse." (http://www.thieme-connect.com/ejournals/html/uro/doi/10.1055/s-2005-870031)

Mittlerweile vorliegende Forschungsergebnisse des Netzwerks Intersexualität/DSD unterstreichen dies. So bestätigte etwa die "Hamburger Studie" die von betroffenen Menschen seit Jahren immer wieder betonten, von der Bundesregierung aber bisher ignorierten Missstände in der Behandlung intersexueller Menschen:

"Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertet geschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehr zufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufrieden und das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T. unzufrieden." (Christian Schäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern". http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0)

Auch die aktuelle "Lübecker Studie" bestätigt erneut die notorisch "Hohe Unzufriedenheit mit der medizinischen Behandlung" von Intersexuellen. Eltern von Betroffenen schätzten zudem deren Lebensqualität durchgehend besser ein als die Kinder selbst. (Vortrag von Dipl.-Psych. Eva Kleinemeier und Dipl.-Soz. Martina Jürgensen (Lübeck) anlässlich des 5. Bundesweiten Treffens "Netzwerk Intersexualität e.V." vom 6.9.2008 in Kiel. Erste Resultate in schriftlicher Form werden Anfang Oktober auf der Netzwerk-Homepage veröffentlicht.)

Dasselbe bestätigt die Feststellung: "Auch aus der Literatur ist bekannt, dass sich ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Menschen mit DSD im Lauf der Pubertät oder im Erwachsenenalter entschließt, das ihnen zugewiesene soziale Geschlecht zu wechseln." (M. Jürgensen; O. Hiort; U. Thyen: "Kinder und Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsentwicklung: Psychosexuelle und -soziale Entwicklung und Herausforderungen bei der Versorgung". Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3, March 2008, S. 226-233. http://www.netzwerk-is.uk-sh.de/is/fileadmin/documents/publikationen/Kinder_und_Jugendliche_mit_Stoerungen_der_Geschlechtsentwicklung.pdf)

Diese aktuellen Studien zur Situation Intersexueller in Deutschland unterstreichen also einmal mehr, dass die von der Bundesregierung durchgehend behauptete Ausrichtung auf das Kindeswohl nicht der Realität entspricht.

Aktuelle Entwicklungen deuten darauf hin, dass die zivilrechtlichen, strafrechtlichen und menschenrechtlichen Implikationen der uneingewilligten Behandlungen intersexueller Menschen in der Gesellschaft langsam zu einem Thema werden. Am 3. September 2008 gewann die Intersexuelle Christiane Völling den Prozess gegen ihren ehemaligen Operateur auch in 2. Instanz. Das Kölner Oberlandesgericht bestätigte, wie schon das Landgericht, dass das "Selbstbestimmungsrecht der Klägerin in ganz erheblichem Maße verletzt" worden sei (Az. 5 U 51/08). Mit ihrem Prozess löste Christiane Völling eine bis dahin noch nie da gewesene Medienresonanz aus und etablierte das Wort "Zwitter" in der Öffentlichkeit als positive Bezeichnung für Intersexuelle und ihre Forderung nach Selbstbestimmung (http://www.google.de/search?q=zwitterprozess). Selbsthilfegruppen weisen jedoch darauf hin, dass Christiane Völlings Anzeige buchstäblich im letzten Moment erfolgte, und berichten von einer Vielzahl von anderen Fällen, bei denen wegen der Traumatisierung der betroffenen Menschen und der oft "nicht mehr auffindbaren" Patientenakten eine Anzeige wegen Verjährung schlussendlich nicht mehr möglich war.

Für eine weitere Sensibilisierung der Öffentlichkeit sorgte auch der argentinische Spielfilm "XXY", der die Geschichte einer Intersexuellen erzählt.

Am 20. Juli 2008 publizierte der Dachverband Intersexuelle Menschen e.V. eine umfassende Forderungsliste von betroffenen Menschen zur Verbesserung ihrer Situation (http://www.intersexuelle-menschen.net/forderungen.html). Am 21. Juli 2008 präsentierte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in einem offiziellen Hearing dem UN-Ausschuss CEDAW einen eigenen Schattenbericht, dem die Forderungsliste ebenfalls beigelegt war (http://intersex.schattenbericht.org).

Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung sind ein Teil unserer Gesellschaft und haben als gleichberechtigte Bürger ein Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung. Die an ihnen begangenen medizinisch nicht notwendigen, traumatisierenden Zwangsbehandlungen stellen aus der Sicht der betroffenen Menschen einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar, auf deren Wiedergutmachung sie nach wie vor warten.

FRAGEN


A. Statistiken und Monitoring

1. Wie viele Kinder werden nach den Informationen der Bundesregierung jährlich in Deutschland geboren, die als intersexuell klassifiziert werden können (Angaben bitte in absoluten Zahlen und Prozent)?

Wenn der Bundesregierung keine exakten Zahlen zugänglich sind: Was gedenkt sie zu unternehmen, um solche künftig verfügbar zu haben? Wann wird dies der Fall sein?


2. Wie viele Säuglinge und Kinder im vorpubertären Alter werden pro Jahr nach der Diagnose der Intersexualität geschlechtszuweisenden medizinischen Maßnahmen (Hormonbehandlungen, Kastrationen, kosmetische Genitaloperationen, weitere Eingriffe) unterworfen (bitte aufgliedern)?

Wenn der Bundesregierung keine exakten Zahlen zugänglich sind: Was gedenkt sie zu unternehmen, um solche künftig verfügbar zu haben? Wann wird dies der Fall sein?


3. Geht die Bundesregierung einig mit der Ansicht betroffener Menschen, dass aufgrund der Widersprüchlichkeit der zugänglichen Zahlen und Statistiken zu Vorkommen und Behandlung von Intersexualität exakte Erhebungen und umfassendes Monitoring notwendig wären?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, was ist die Einschätzung der Bundesregierung?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


B. Behandlungszufriedenheit und Kindeswohl

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Äußerungen von Intersexuellen zu den an ihnen vorgenommenen Eingriffen sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


2. Ist der Bundesregierung bekannt, dass aktuelle Studien die Jahrzehnte lange Kritik einer Vielzahl von Intersexuellen an den an ihnen vorgenommenen Eingriffen bestätigt?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche aktuellen Studien zur Behandlungszufriedenheit von Intersexuellen in Deutschland sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


3. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von im Kindesalter am Genitale operierten Intersexuellen an einer Verminderung oder vollständigen Zerstörung der sexuellen Empfindungsfähigkeit leiden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Auswirkungen von Genitaloperationen auf das sexuelle Empfinden sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn der Bundesregierung keine Auswirkungen bekannt sind, was gedenkt sie zu unternehmen, um die Auswirkungen von Genitaloperationen auf das sexuelle Empfinden abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


4. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von kastrierten Intersexuellen an Folgeschäden der einzig auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichteten Hormonersatztherapie leiden?

Wenn ja, welche Folgen sind der Bundesregierung bekannt?
Wie bewertet sie diese und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Verträglichkeit der gängigen, einzig auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichteten Hormonersatztherapien abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


5. Ist die Bundesregierung bereit, gemäß den Forderungen betroffener Menschen Forschungsvorhaben mit dem Ziel einer individuell abgestimmten und verträglicheren Hormonersatztherapie zu unterstützen?


6. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl der ohne ihre Einwilligung kastrierten und genitaloperierten Intersexuellen dadurch zusätzlich traumatisiert sind, dass ihnen ihr eigentliches Geschlecht verheimlicht wurde, und dass sie diese Traumatisierung als besonders gravierend empfinden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Äusserungen von Intersexuellen zu Traumatisierungen durch Verheimlichung ihres eigentlichen Geschlechts sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn der Bundesregierung keine bekannt sind, was gedenkt sie zu unternehmen, um die Auswirkungen der Verheimlichung abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


7. Geht die Bundesregierung einig mit der Ansicht betroffener Menschen, dass die Existenz und medizinische Behandlung Intersexueller einen sensiblen und tabuisierten Bereich darstellt, indem in der Vergangenheit zum Teil gravierende Fehler begangen wurden, welche das von der Bundesregierung postulierte Gebot des Kindeswohls prinzipiell in Frage stellen?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, was ist die Einschätzung der Bundesregierung?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


C. Psychologische Unterstützung und Peer Support

1. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Intersexuelle begleitend zu medizinischer Behandlung auch psychologische bzw. psychotherapeutische Betreuung?


2. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Intersexuelle begleitend zu medizinischer Behandlung und eventueller psychologischer bzw. psychotherapeutischer Betreuung auch Peer Support?


3. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Eltern Intersexueller psychologische bzw. psychotherapeutische Betreuung?


4. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Eltern Intersexueller begleitend zu eventueller psychologischer bzw. psychotherapeutischer Betreuung auch Peer Support?


5. Geht die Bundesregierung einig mit der Forderung betroffener Menschen nach Peer Support als die wirksamste Hilfe für Intersexuelle und ihre Eltern?

Wenn ja, was gedenkt sie zu unternehmen, um Peer Support für Intersexuelle und ihre Eltern zu gewährleisten?

Wenn nein, wie schätzt die Bundesregierung die Aussagen von betroffenen Menschen und ihren Eltern ein, dass Peer Support die wirksamste Hilfe darstellt?


D. Unterstützung der Selbsthilfe- und Beratungsinfrastruktur

1. Welche Unterstützung erfahren Intersexuelle und ihre Infrastruktur derzeit aus Bundesmitteln?


2. Hält die Bundesregierung Maßnahmen erforderlich, um den Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur für erwachsene intersexuelle Menschen zu unterstützen?

Wenn ja, was gedenkt sie zu unternehmen, um den Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur zu unterstützen?

Wenn nein, wie schätzt die Bundesregierung das Bedürfnis erwachsener intersexueller Menschen nach einer solchen Infrastruktur ein?


3. Was kann und will die Bundesregierung unternehmen, um die Einrichtung außerklinischer Kontaktzentren mit einem psychologischen Beratungsangebot für Intersexuelle zu fördern, welche die von Fachleuten und Interessensverbänden für wesentlich erachtete Kontaktaufnahme von Eltern und intersexuellen Kindern mit anderen Menschen in der gleichen Situation und die psychologische Beratung aller Beteiligten ermöglichen würde?


E. Akzeptanzfördernde Maßnahmen und Aufnahme in Lehrpläne

1. Ist die von der Bundesregierung in Drucksache 16/4786, Antwort C 5, in Aussicht gestellte Prüfung, ob und inwieweit allgemein zugängliche und akzeptanzfördernde Aufklärungsarbeiten über die Existenz intersexueller Menschen geeignet und erforderlich sind, inzwischen erfolgt?

Wenn ja, zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung gekommen?
Welche Schritte wird die Bundesregierung hin zu einer solchen Aufklärung unternehmen? Schließen diese Schritte die Aufnahme von Intersexualität in die Lehrpläne der Schulen und Berufsausbildungen mit ein, insbesondere in Biologie, Sexualkunde und den sozialen Fächern, sowie in der Ausbildung sämtlicher medizinischer und sozialer Berufe, z.B. von Ärzten, Hebammen, Krankenschwestern, Pflegern, Psychologen, Lehrkräften, Kindergärtnern, Sozialarbeitern usw.?

Wenn nein, in welchem Zeitrahmen wird die Bundesregierung zu entsprechenden Ergebnissen kommen?


F. Entschädigung

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen die Jahrzehnte lange Weigerung der Bundesregierung, die durch die nicht eingewilligten Eingriffe verursachten Leiden zur Kenntnis zu nehmen, als billigendes Inkaufnehmen und damit schädigendes staatliches Handeln betrachtet?

Was ist die Einschätzung der Bundesregierung dazu? Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


2. Ist der Bundesregierung bekannt, dass einer Vielzahl von Intersexuellen durch Traumatisierung, Hormonbehandlung und weitere Folgen der nicht eingewilligten medizinischen Eingriffe Zeit für ihr berufliches Fortkommen genommen wird und sie dadurch Einkommens- und Renteneinbussen erleiden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Auswirkungen von Traumatisierung, Hormonbehandlung und weiteren Folgen der nicht eingewilligten medizinischen Eingriffe auf das berufliche Fortkommen sind der Bundesregierung bekannt?
Wenn keine, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Auswirkungen abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


3. Ist die Bundesregierung bereit, zusammen mit den verantwortlichen ärztlichen Standesorganisationen Mittel zur Entschädigung Intersexueller, die Opfer nicht eingewilligter medizinischer Geschlechtszuweisungen geworden sind, zur Verfügung zu stellen?

Wenn ja, welche Schritte gedenkt die Bundesregierung dahingehend zu unternehmen und in welchem Zeitrahmen?
Wenn nein, warum nicht?


G. Forschungen zum Thema Intersexualität

1. Werden mit Bundesmitteln medizinische Forschungen zu Ursachen und zur Behandlung von Intersexualität gefördert?

Wenn ja, an welche Institutionen und Einrichtungen werden diese in welcher Höhe vergeben?


2. Werden mit Bundesmitteln nicht-medizinische Forschungen zur Evaluation der sozialen und rechtlichen Situation intersexueller Menschen in Deutschland gefördert?

Wenn ja, an welche Institutionen und Einrichtungen werden diese in welcher Höhe vergeben?


H. Menschenrechtsfragen

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen die nicht eingewilligten Eingriffe und ihre Folgen als eine Verletzung nicht nur der Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde empfinden, sondern auch als eine Verletzung der Kinderrechtskonvention (CRC), des Zivilpakts (ICCPR), des Sozialpakts (CESCR) und der Konvention gegen Folter (CAT)?

Wie bewertet sie diese Vorwürfe?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


2. Ist der Bundesregierung der Schattenbericht CEDAW 2008 des Dachverbandes Intersexuelle Menschen e.V. bekannt?

Wenn ja, wie bewertet sie diesen?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


I. Forderungen betroffener Menschen

1. Sind der Bundesregierung die Forderungen des Dachverbandes Intersexuelle Menschen e.V. bekannt?

Wenn ja, wie bewertet sie diese?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, in welchem Zeitrahmen wird die Bundesregierung eine Abklärung vornehmen?


Siehe auch: Streicheleinheiten für die Bundesregierung

Saturday, November 8 2008

Transsexuelle verklagt Ärzte wegen uneingewilligter Penisamputation

Sabrina Schwanczar war wie alle Transsexuellen in Deutschland damit konfrontiert, dass sie als Bedingung für die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags das Gutachterverfahren durchlaufen und eine "Geschlechtsangleichungs-OP" durchmachen musste. Bei letzterer wurde ihr der Penis ohne informierte Einwilligung kurzerhand amputiert (wie auch vielen Zwittern das "uneindeutige" Lustorgan); von den Ärzten wurde ihr gegenüber dazu behauptet, die Auslösung des Orgasmus sei problemlos auch über Harnröhrenmündung möglich. Aktuell hat Sabrina Schwanczar nun ein Ärztehaftungsverfahren angestrengt, das wir im Folgenden auszugsweise dokumentieren.

Auch wenn wir durchaus nicht mit allen Ansichten und Meinungen von Sabrina Schwanczar einverstanden sind (vgl. z.B. hier), finden wir ihren Prozess wichtig und möchten sie auf diese Weise solidarisch unterstützen.

--> Fortsetzung / Zur Dokumentation

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Wednesday, October 22 2008

Teil 2: Tagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG

Während der 1. Teil der Tagung vom Donnerstag um Fragen zur Ethik von medizinischen Behandlungen ging, die nichts direkt mit "Intersexualität" zu tun haben, aber vielfach ähnliche Fragen aufwerfen und interessante übergreifende Zusammenhänge aufzeigten, ging es am Freitag 10.10.08 in Göttingen spezifisch um die 'Behandlung' "Intersexueller". Ein Fazit zur gesamten Veranstaltung findet sich an Schluss dieses 2. Teils, ebenso wichtiges zur Zukunft der psychologischen Betreuung in Lübeck.

1. Referat
Petra Zackheim
Technion-Israel Institute of Technology, Israel
"Eine Bombe werfen: Dilemmas in einer Intersex-Situation"
Den martialischen Titel begründete die Vortragende damit, dass Eltern, wenn bei Kindern "Intersexualität" diagnostiziert wird, "unter Feuer" stünden, sowie mit der ethischen Sprengkraft des "Dilemmas". Im Zentrum des Vortrags stand ein erschütternder Fallbericht (Publikation in Vorbereitung) über die psychotherapeutische Behandlung (und Erforschung, muss wohl hinzugefügt werden) eines Zwillingspaars arabischer Herkunft mit der Diagnose 17-Beta-HSD-Mangel. Wie es sich "gehört", wurden beide zwangskastriert, Pardon, "orchidektomiert", und zwar im Alter von 4 Jahren, das eine Kind jedoch nur einseitig. Dieses vermännlichte im Zeitraum von 9 1/2 bis 10 Jahren und lebt seither als Knabe, während das andere Kind ein "Mädchen" blieb. Erst darauf begann die Behandlung im medizinischen Zentrum Rambam, wo auch die Vortragende arbeitet. Wie ich es verstand, versucht sie schwerpunktmässig in Interviews herauszufinden, wie sich die "Identität" der Zwillinge unterscheidet. Von der Umgebung sei der "Geschlechtswechsel" des Knaben gut aufgenommen worden. Er selbst habe die neue Rolle akzeptiert, auch wenn er es nicht möge, zu kämpfen, aber er tue es, weil er müsse ("Jungs kämpfen, Mädchen beklagen sich"). Sein Traumberuf sei Modedesigner. Dem Mädchen gehe es vergleichsweise schlechter, was auch damit zusammenhänge, dass in ihrer Kultur eine unfruchtbare Frau es schwer habe. Laut eigener Aussage fühle sie sich "60% weiblich und 40% männlich", wäre aber gern "100% weiblich", da ihr der Weg ihres Bruders nicht mehr offen steht. Sie sage heute noch, die Ärzte hätten ihr als Kind "den Uterus herausgenommen". Ein Argument der Vortragenden gegen chirurgische Zuweisungen war, dass auch bei "normalen" Jungen und Mächen der Prozess der Bewusstwerdung des eigenenen Geschlechts und der damit verbundenen Indentitätsfragen und des Verhaltens ein jahrelanger Prozess sei, dessen Ausgang bei "Intersexuellen" erst recht nicht in den ersten 2 jahren prognostiziert werden könne. Leider bestand ein Grossteil des Referat aus einer Abhandlung über die biologischen Aspekte von "Intersexualität" von gonadalem bis "Gehirn"-Geschlecht (in Anführungszeichen schon bei der Votrtragenden) usw., den wohl die meisten Anwesenden schon mehrfach gehört hatten, weshalb die in der Zusammenfassung angekündigten ethischen Fragestellungen definitiv zu kurz kamen (oder gleich aussen vor gelassen wurden). Zwar lesen sich diese auch in der hiesigen Situation über weite Strecken utopisch, was sie aber nicht weniger interessant macht:

- Wie können wir de Eltern mit angemessener psychologischer Beratung bei der Entscheidungsfindung helfen?
- Wie unterrichten wir Eltern über das da Recht ihrer Kinder "zu wissen"?
- Wie helfen wir den Kindern zu entscheiden? Wieviel zeit braucht es für psychologisch ausgereifte Entscheidungen?
- Wie gerichtet sollen Informationen, Beratung und psychologische Erziehung vermittelt werden?
- Wie kann die Evaluation betreffend Gerichtsverfahren in den psychosozialen Behandlungsplan integriert werden?
- Wie sollen Differenzen in Behandlungsansätzen, speziell im Bezug auf ethische Fragen, gehandhabt werden?

Speziell dünkte mich befremdend, dass die Vortragende von vornherein unterstellte, die Mediziner hätten dem einen Zwillingskind absichtlich lediglich einen Hoden entfernt, und über die Motivation dazu mutmasste, weshalb ich in der Diskussion u.a. darauf hinwies, dass nicht vollständige Entfernung von Leistenhoden auch in Europa öfters zu konstatieren sei, obwohl die Mediziner jedesmal eine vollständige Enfernung angestrebt hätten, und dass auch das mit der immer wieder beschworenen "Krebsgefahr" letzlich bloss eine Ausrede sei, um hormonell "reinen Tisch" zu machen und dann nach eigenem Gutdünken zuweisen zu können, was sich auch daran zeige, dass keine seriösen Untersuchungen zur wirklichen Krebsgefahr vorliegen und auch gar nicht angestrebt werden. Der anwesende Kinderchirurg Maximilian Stehr (siehe auch 1. Teil) führte dazu aus, bei nicht abgestiegenen Hoden sei die Krebsgefahr "10-20 mal höher", was aber in Prozentzahlen immer noch sehr gering sei. Trotzdem empfehle er die prophylaktische Entnahme, da eine verlässliche Vorsorgeuntersuchungen nur mittels Magnetresonanztomographie (MRT) zu machen seien (Ultraschall sei zu wenig sicher), was zu aufwändig sei.

Da frag ich mich doch hier persönlich einfach einmal mehr (siehe Stichwort "Jungenbeschneidung" im 1. Teil), ob irgendjemand auch bei "normalen" Männern und Frauen sowas sagen würde, und weshalb bei solchen Praktiken an Zwittern nach wie vor nicht sogleich ein empörter Aufschrei durch die EthikerInnen-Gemeinde geht, sekundiert von Menschenrechtsorganisationen, Gleichstellungsinstitutionen usw. ...

2. Referat
Maria Luisa Di Pietro / Andrea Virdis
"Klinische und bioethische Aspekte bei Geschlechtszuweisungen von Kindern mit nicht-eindeutigen Genitalen"
Leider benötigte der Referent (die erstgenannte Autorin war nicht angereist) den Löwenanteil seiner Redezeit, um (sichtlich fasziniert) erneut im Detail die Feinheiten von gonadalem bis Gehirngeschlecht abzuhandeln (diesmal ohne Anführungsstriche), gefolgt von den Unterschieden zwischen "pseudo" und "echten" Hermaphroditen sowie der Lebensgeschichte von David Reimer (dass auch dessen Bruder sich umbrachte, liess er hingegen aus). Sprich für Ethik blieb erst recht kaum mehr Raum. Immerhin forderte der Referent abschliessend:

- Einbezug der Patienten
- Psychologische Begleitung
- Informierte Einwilligung für chirurgische Eingriffe und Hormonbehandlungen

Und konstatierte dazu lapidar, dass Ethiker jeweils nur Empfehlungen machen können, falls sie überhaupt gefragt werden; in der Regel finde kaum ein klinischer Bezug oder Kontakt statt, dass Ärzte sich jemals nach ethischen Implikationen z.B. bei Zwangsoperationen erkundigen, sei die absolute Ausnahme (ein Beispiel, von dem er erzählte, fand unter den anwesenden Fachpersonen dann auch entsprechende Beachtung). Zudem führe das Thema "Intersexualität" auch im medizinethischen Diskurs eine krasse Randexistenz, im Fachbuch für Medizinethik bekomme es grad mal 2 Seiten. (Wäre noch hinzuzufügen, dass auch in Deutschland ethische Aspekte in der Mediziner-Ausbildung sowieso nach wie vor systematisch ausgeblendet werden.)

In der Diskussion räumte M. Stehr ein, die modernen OP-Techniken zur Klitorisreduktion würden darauf abzielen, das Empfinden zu erhalten, genaueres wisse man aber erst "in 10-20 Jahren" (das übliche Argument, doch m.E. immerhin schon mal ehrlicher, als die auch schon z.B. am diesjährigen Netzwerktreffen vernommene Behauptung, die Empfindlichkeit bleibe zu 100% erhalten, das sei einfach so). (Leider kannte ich zu diesem Zeitpunkt das Fachbuch "Ethics and Intersex", Ed. Sharon Sytsma, noch nicht, das auch in der im Eingang ausgelegten Fachliteratur aus der Universitatsbibliothek der co-veranstaltenden Abteilung für Medizinethik und Geschichte der Medizin fehlte. Darin werden die aktuellen Untersuchungen zum Thema diskutiert -- mit dem Ergebnis, dass auch die neueren OP-Methoden das sexuelle Empfinden klar beinträchtigen, vgl. S. xxiv -- nachzulesen hier -- und S. 208-210 im Beitrag "Adult Outcomes of Feminizing Surgery" von Sarah Creighton. --> Vielsagende Besprechung des Buches durch eine Juristin in der CH-Ärztezeitung, ab S. 2.)

Eva Kleinemeier vom Netzwerk (Lübeck) hielt im weiteren Verlauf der Diskussion erfreulicherweise fest, die bei ihnen betreuten Fälle von nicht operierten Mädchen mit AGS würden belegen, dass es für Kinder durchaus möglich sei, mit uneindeutigem Genitale zu leben. (Eine Erkenntnis, die auch von Eltern in den Medien wiederholt berichtet wurde eins / zwei -- bloss die Zwangsoperateure stellen sich nach wie vor taub.)

3. Referat
Claudia Wiesemann
Universität Göttingen
"Ethische Richtlinien für die medizinische Handhabung von Intersexualität von Kindern und Jugendlichen: eine kritische Würdigung"
Eine Vorbemerkung: Die Referentin ist sowohl Vorsteherin der co-veranstaltenden Abteilung für Medizinethik und Geschichte der Medizin wie auch der Arbeitsgruppe Ethik des Netzwerks, welche im März 2008 in der Monatsschrift Kinderheilkunde deren "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD" publizierte (--> PDF-Download 35 kb, kurze Kritik dazu siehe Nellas Rede am Netzwerktreffen).
Als Einstieg ins Thema wählte die Referentin die Berichterstattung in den Medien zu Christianes Prozess (siehe Pressespiegel eins / zwei), welche sie als "aufgeschlossen" und "nicht auf einen Freak-Standpunkt reduzierend" lobte (siehe dazu auch das Gigi-Editorial#54).
Danach kritiserte sie Money's Zwangszuweisungs-"Optimal Gender Policy", welche
- die Idee von körperlicher Integrität und Wohlbefinden "auf nicht-uneindeutige Genitale reduziert",
- den durch die Medizinalisierung enstehenden Schaden "unterschätzen" würde und
- auf "Nicht-Offenlegung" gegenüber den Patienten beruht, was Peer Support faktisch verunmögliche.
Demgegenüber würde das von Kipnis/Diamond geforderte Moratorium von nicht-eingewilligten OPs
- Gefahr laufen, die Bedürfnisse des Kindes zu unterschätzen, um ihm späteren Nutzen als Erwachsenen zu ermöglichen
- zu sehr das Konzept der Irreversibilität betonen
- und die Eltern-Kind-Beziehung ignorieren. (Das "ewige Thema", vgl. hierzu auch die jüngste "Zeit-Kontroverse".)
Cheryl Chase betone demgegenüber den Konflikt zwischen Eltern und Kind.
Weiter kritisierte die Referentin, für das absolute "Beste Interesse" des Kindes gäbe es letzlich gar keinen Massstab. Es bestehe ein Konflikt zwischen auf der einen Seite den
- Ansprüchen von Familien auf Privatspäre und Familienautonomie (gemeint war wohl eher Elternautonomie)
und andrerseits Ansprüchen der Kinder auf
- ihre individuellen Rechte
- Mitbeteiligung der Kinder in der Entscheidungsfindung
- Förderung einer guten Eltern-Kind-Beziehung
- Peer Support
- dass lediglich Behandlungen angeboten werden mit guter bzw. bester erwiesener Wirkung
- wozu Ergebnisstudien zu tätigen seien.

In der abschliessenden Diskussionsrunde hielt die Referentin zudem fest, es gebe in der BRD sehr wohl Gesetze gegen Kastration und Sterilisation bei Kindern -- sie würden aber bei Intersexuellen nicht angewendet. Der Referent vom Vortag Pekka Louhiala forderte die EthikerInnen zudem auf, sich vermehrt in die Belange und Kreise der MedizinerInnen einzumischen (und begrüsste dazu explizit die Publikation der Netzwerk-Empfehlungen in der Kinderheilkunde-Monatsschrift), zu oft würden EthikerInnen unter sich bleiben und ihre Empfehlungen deshalb erst recht nie berücksichtigt. Ich selber tat mein möglichstes, u.a. für die Forderungsliste des Vereins und den Schattenbericht Werbung zu machen. (Leider schaffte ich es nicht mehr, noch eine grundsätzliche Debatte zum Gebrach den Un-Begriffs DSD anzuzetteln zu versuchen, der auch innerhalb der Ethikempfehlungen unhinterfragt durchgehend gebraucht wird, obwohl die Ethikgruppe behauptet, "das Unbehagen und die Ablehnung von Fremdzuschreibungen" zu "respektieren" und "alternative Eigenentwürfe" zu "akzeptieren".)

Die grösste Bombe der Abschlussrunde liess jedoch Eva Kleinemeier so nebenbei platzen: Nach Einstellung der Bundesförderung für das Netzwerk steht in Lübeck ab 2009 keine psychologische Beratung für Eltern und junge Zwischengeschlechtliche mehr zur Verfügung!  (Nachtrag: Kommentar von Eva Kleinemeier) (Wohlbemerkt dasselbe Netzwerk, das immer wieder behauptet, psychologische Betreuung sei im Rahmen des Netzwerks selbstverständlich und in Lübeck würden PsychologInnen "Bereits in ersten Diagnosegesprächen" beigezogen! Obwohl -- neben Peer Support -- psychologische Betreuung nebst von EthikerInnen auch von sämtlichen Selbsthilfegruppen seit Jahrzehnten als unabdingbar gefordert werden -- eine zentrale Forderung z.B. auch der bestimmt nicht als ärztefeindlich einzustufenden AGS-Eltern- und Patientenitiative seit 1992! Weiterer Kommentar wohl überflüssig ...)

Fazit: Obwohl ich mir in der Diskussion wiederholt als Störefried betrachtet vorkam, war die Tagung interessant und ist meine persönliche Bilanz positiv. Aus meiner Sicht wäre wünschenswert, dass sich künftig vermehrt betroffene Menschen in solche Diskussionen einmischen würden (auch wenn ich verstehen kann, dass das nicht einfach ist, erst recht wenn mensch emotional weniger Abstand hat als ich und sich dann haarsträubende Dinge anhören muss und gar noch angefeindet wird). Die z.B. an der Vereinsitzung im Vorfeld geäusserten Bedenken, die Tagung würde primär der eigenen Absicherung des Netzwerks für die nicht besonders griffigen und auch nicht wirklich menschenrechtskonformen Ethik-Empfehlungen dienen, fand ich jedoch so nicht bestätigt. Trotzdem fand ich es bedenklich, wie gross auch bei den EthikerInnen der Abstand zu den Opfern der Medizyner m.E. nach wie vor fühlbar ist. Manche der geladenen Expertinnen", vor allem, wenn es spezifisch um "Intersexualität" ging, dünkten mich überfordert und nicht wirklich übergreifend mit dem Thema vertraut. Bezeichnand auch das geringe (Fach-)Publikumsinteresse an der Tagung.

Bleibt zum Schluss die bohrende Frage, inwieweit solche Ethikveranstaltungen und -Gruppen den Medizynern nicht letztlich doch bloss als Feigenblatt dienen, um möglichst ungestört weiter zwangsoperieren zu können ... Von diesen menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen werden sie letztlich keine Ethikdebatten und sonstige Unverbindlichkeiten abhalten, sondern erst massenhaft weitere Gerichtsprozesse -- und andere Formen konkreten Drucks in der Öffentlichkeit, im Parlament und nicht zuletzt auch vor ihrer eigenen Haustüre!

Siehe auch: Lübeck: Doch psychologische Versorgung auch 2009?

Friday, October 10 2008

Tagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG (Teil 1)

Ich hatte mich kurzfristig entschlossen, an dieser 2-tägigen Veranstaltung teilzunehmen (Pressemitteilung zur Veranstaltung / Ankündigung auf der Göttinger Uni-Homepage), veranstaltet von der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen und der Arbeitsgruppe "Intersexualität und Ethik" im "Netzwerk DSD/Intersexualität". Zwischen beiden Gruppierungen gibt es personelle Überschneidungen: Prof. Dr. Claudia Wiesemann steht beiden Organisationen vor, Susanne Ude-Koeller ist ebenfalls beiderorts dabei. Die Netzwerk-Arbeitsgruppe erarbeitete auch die "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD", publiziert in der Monatsschrift Kinderheilkunde 3/2008 (umsonst zugängliche Zusammenfassung).

Das Programm gliederte sich in 2 Teile, die ich auch für diese Berichterstattung übernehme. Am 1. Tag ging es um verschiedene Aspekte, die nicht direkt mit "Intersexualität" zu tun haben, jedoch vielfach ähnliche Fragen aufwerfen und interessante Zusammenhänge aufzeigten. Am 2. Tag ging es dann spezifisch um "Intersex"-Themen.

Auch wenn ich im Verlauf der Veranstaltung mehr als einmal leer schlucken musste, war sie insgesamt doch interessant und ich habe eine Menge neu erfahren. Die Tagung wurde durchgehend auf englisch gehalten, auf meine Kappe gehende falsche Übersetzungen von Fachbegriffen bitte ich mitzuteilen. Nachfolgend meine Zusammenfassung des 1. Tages:

1. Referat
Marie Fox / Michael Thomson
Universität Keele, England
"Bestes Interesse" und anwaltschaftliche Vertretung von Kindern: Eine Beschneidungsfallstudie
Aus der Zusammenfassung: Kritisiert wurde ein allzu lasche Handhabung des Kinderschutzes in England und eine allzugrosse Bereitschaft der behandelnden Mediziner, welche Beschneidungen alleine nach dem Gutdünken der Eltern vornehmen, ohne jede Rücksicht auf Schutz der Kinder vor ungewollten Eingriffen, was nach Ansicht der Referenten "abwegig" ist, zumal in England theoretisch straffere Kinderschutzvorschriften existieren als etwa in den USA. Die Referenten schlagen deshalb vor, statt nur nach "besten Interessen" zusätzlich auch nach "Bedürfnissen" gegenüber "(möglichen) Schäden" zu fragen, um das Recht auf körperliche Unversehrtheit der betroffenen Kinder besser verteidigen zu können.

In der Diskussion erregte eine Stellungnahme des Kinderchirurgen Maximilian Stehr besonderes Aufsehen, der radikal gegen nicht medizinisch indizierte Beschneidungen an Knaben ist. Er veröffentlichte kürzlich dazu auch einen ebenfalls Aufsehen erregenden Artikel im Deutschen Ärzteblatt, weil er die Meinung vertritt, dass solche medizinisch nicht notwendigen Beschneidungen in jedem Fall einen Straftatbestand darstellen. In der Kinderchirurgie in München, wo er als Oberarzt praktiziert, werden solche Beschneidungen deshalb nicht mehr durchgeführt.

Da ich erst am Donnerstag Morgen anreisen konnte, verpasste ich die ersten 2 Vorträge und Diskussionen. Beim anschliessenden Beisammensein in der Kneipe wurde mir dann von einer Drittperson zunächst fälschlicherweise berichtet, in München würden  auch keine genitalen Zwangsoperationen an Zwittern mehr durchgeführt. Dem ist aber leider nicht so, wie ich von Herr Stehr am nächsten Tag durch Nachfragen erfuhr -- wäre auch zu schön gewesen: Im Gegenteil werden auch Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität in München z.B. Kinder mit AGS nach wie vor meist im Alter von 4-7 Monaten zwangsoperiert. Das ist wohl der Unterschied zwischen "normalen" und "uneindeutigen" Genitalen: Während bei "normalen" Penissen sich langsam durchsetzt, dass auch die Vorhaut nicht einfach nach Gutdünken der Eltern und Ärzte beschnippelt werden darf, gilt bei "intersexuellen" Genitalen das Selbstbestimmungsrecht weiterhin nix ... So bleibt es weiterhin bei einem einzigen Arzt, von dem ich weiss, dass er aus Gewissensgründen an Zwitterkindern keine genitalen Zwangsoperationen mehr durchführt ...

Wie mir Herr Stehr weiter berichtete, habe er auf den Ärteblatt-Artikel einige "böse Leserbriefe" erhalten, "vor allem von niedergelassenen Ärzten", die eine bewährte Einnahmequelle verlieren würden, wenn sich Stehrs Ansicht allgemein durchsetzt ...

2. Referat
Sabine Müller
Universität Aachen
Cochlea Implantate bei gehörlosen Babies -- "Bestes Interesse" versus die Interessen der Gehörlosen Nation
Aus der Zusammenfassung und einem Gespräch mit der Referentin: Bei gehörlosen Kindern ist es mittlerweile möglich, ihnen mittels eines Implantats im den Gehörgängen und einem "Gehörapparat", der mittels Magnet aussen am Schädel befestigt wird, einem Gehörsinn zu ermöglichen. Obwohl die Technik noch nicht ausgereift ist und im Verlgeich zum natürlichen Gehörsinn umständlich rudimentär bleibt, ist es gehörlos geborenen Kindern so trotzdem möglich, Geräusche zu hören und auch sprechen zu lernen. Dazu muss der Eingriff aleerdings in den ersten 2 Lebensjahren durchgeführt werden, weil sonst die Gehörareale des Gehirns nicht entwickelt werden und irreversibel verkümmern. Demgegenüber könnte der Eingriff später rückgängig gemacht werden, was aber keine betroffenen Menschen anstreben würden. Trotzdem werden die Eingriffe von Verbänden von gehörlos Geborenen kritisiert, weil damit ihre Kultur inkl. Gebärdensprache akut vom Aussterben bedroht ist. Trotzdem argumentiert die Referentin für das Recht der betroffenen Kinder auf Gehör.

3. Referat
Pekka Louhiala
Universität Helsinki, Finnland
Über das Recht auf Grösse -- können Östrogenbehandlungen für grossgewachsene Mädchen überhaupt gerechtfertigt werden?
Der Referent untersuchte die weltweite wissenschaftliche Literatur zum Thema: Seit 50 Jahren werden hochgewachsene Mädchen mit Östro (oder eine Östro-Testo-Kombination) behandelt, um ihr Wachstum vorzeitig "einzufrieren", weil sie sonst unter ihrer Grösse unter "psychosozialen Problemen" leiden würden (Minderwertigkeitsgefühle, Probleme einen Partner zu finden, wobei die Mädchen ihrer Übergrösse die Schuld dafür geben). Möglich sind 6 cm weniger Wachstum, wenn die Behandlung im "Knochenalter" von 10 Jahren beginnt, bei 13 Jahren sind noch 2 cm weniger möglich, während bei 14 Jahren keine Wirkung mehr eintritt. Nebenwirkungen sind eine vorgezogenen Pubertät und verminderte Fruchtbarkeit. Auch hier gibt es dazu weltweit keine verlässlichen Statistiken, wie oft das Verfahren angewendet wurde, jedoch ist die Tendenz abnehmend, weil das "Problem" offensichtlich seine soziale Relevanz verliere. Bezeichnend, dass in allen Studien nie ethische Überlegungen oder Überprüfungen mit Vergleichsgruppen angestellt wurden, sprich der Nutzen vs. Schaden der Behandlung war nie erwiesen, abgestellt wurde immer auf die Wünsche der Eltern, bzw. vornehmlich der Mütter (die Töchter hätten meist keine Meinung geäussert und die Väter wurden gar nicht befragt). Eine australische Studie legte zudem nahe, dass behandelte wie unbehandelte grosse Mädchen/Frauen gleich überdurchschnittlich an Depressionen und anderen Problemen litten. In allen Studien durchgehend nicht reflektiert wurde, dass die Untersuchungen und Behandlungen an sich den Mädchen erst recht die Botschaft vermittelt: Du bist nicht in Ordnung. Interessant auch, dass in vielen Studien die Übergrösse schnell mal als "Krankheit" bezeichnet wird. Der Referent stand der Methode skeptisch gegenüber, würde aber (hypothetisch) wohl doch seinen Einwilligung geben, wenn z.B. seine Frau und seine Tochter darauf bestehen würden.

In der Diskussion wurde u.a. darauf hingewiesen, dass kleine Männer auch Probleme haben, eine Partnerin zu finden, ebenfalls "zu intelligente" Frauen, und ob dann in dem Fall eine "Dummheitsbehandlung" angemessen wäre? Meinerseits wies ich auf das allgemeinmenschliche Problem hin, einem Körpermerkmal "die Schuld" für irgendwelche Probleme/Unzufriedenheiten zu geben, was m.E. (und auch meiner eigenen Erfahrung nach) dazu führen kann, dass nach ev. medizinischer "Entfernung" dann einfach das nächste Merkmal gesucht und auch gefunden wird, was dann einen Teufelskreis in Bewegung setzen kann, was der Referent auch als mögliche Ursache für "Schönheits-OP-Sucht" ansprach.

4. Referat
Maya Peled-Raz
Universität Haifa, Israel
"Bestes Interesse" von Kindern bei nicht-therapeutischen Eingriffen
Die Referentin gab einen Überblick zum Begriff "Bestes Interesse" aus juristischer Perspektive: Zunächst einmal dient der Begriff dazu, die Befugnisse z.B. der Eltern zu beschränken. Es gibt jedoch 2 Möglichkeiten, "Bestes Interesse" zu verstehen: Einerseits, die Interessen des Kindes zu maximieren; andrerseits, seine Interessen zumindest nicht bedeutend zu vermindern. Leider würde in der internationalen Rechtssprechung meist von der 2., schwächeren Bedeutung ausgegangen. Zudem wird eine Abwägung vorgenommen zwischen Kindesinteresse, Autonomie der Familie (d.h. des Willens der Eltern), der religiösen Praxis der Eltern, und den Interessen von "Kindern allgemein". Weiter führe das Prinzip der Vermeidung bedeutenden Schadens dazu, dass bei grösserem Nutzen auch gleichzeitig grösserer Schaden in Kauf genommen werden darf. Oft würden Gerichte (etwa bei nicht-therapeutischer Forschung oder bei Organspenden von Geschwistern) zudem schnell mal spekulativen Nutzen als gegeben annehmen, die Interpretation von "Nutzen" generell möglichst weit spannen und "Opfer" von individuellen Kindern als legitim betrachten ...

5. Referat
Imme Petersen / Regine Kollek
Universität Hamburg
Herausforderungen gewebsbasierter Forschung: Empirischer Überblick über die Einstellungen von Eltern und Ihre Bedürfnisse betreffend informierte Einwilligung und Datenschutz
Die Referentin erarbeitet zu diesem Thema eine Studie. Praktisch jedes Kind mit Krebs nehme an medizinischen Versuchen teil. In den meisten Fällen werden Gewebsproben gesammelt und damit geforscht. In der BRD ist dies legal, solange ein direkter Nutzen für den Patienten oder eine Gruppe von Patienten daraus entstehe, das Risiko nur minimal sei und die Eltern ihre Einwilligung geben. Nationale und internationale Bestimmungen forderten mittlerweile generell nebst der Einwilligung der Eltern (consent), die informiert, kompetent und frei erfolgen müsse, auch die Zustimmung (assent) der Kinder. Nebst Fragen der Zustimmung sind zudem auch folgende tangiert: Datenschutz und Vertraulichkeit, Informationsrechte und -Pflichten.

In der Diskussion kam u.a. heraus, dass es z.B. in England Kindern zwar leicht gemacht werde, ihre Zustimmung zu geben -- im Gegensatz zum Anbringen eines Widerspruchs (dissent) ...

Ein klinischer Mediziner wies zudem darauf hin, dass es in der realen Welt halt oft so aussehe, dass letztlich der Arzt entscheide, weil die Eltern gar nicht fähig sind, eine informierte und kompetente Entscheidung zu treffen, da sie weder willens noch fähig seien, sich das dazu nötige Wissen innert nützlicher Frist anzueignen, weshalb es in der Praxis dann so laufe, dass der Mediziner zu den Eltern eine Vertrauensbeziehung aufbaut und seine Arbeit mehr darin sieht, sie von seiner eigenen Entscheidung zu überzeugen ...

Was im Fall von gewebsprobenbasierter Krebsforschung ev. weniger problematisch sein mag, weil es ev. kaum zu keinen direkten Schädigungen von Kindern führt. Bloss läufts ja in der realen Welt auch bei genitalen Zwangsoperationen nach derselben Praxis -- und dort siehts für Zwitter bekanntlich rasch mal ungleich düsterer aus ...

--> Fortsetzung: Teil 2

Wednesday, September 17 2008

Mit der Hoffnung im Herzen

Wenn eines Tages Selbstbestimmung für Zwitter gesichert sein wird, werden Zwitter mit uneindeutigen Körpern aufwachsen, unversehrt an Leib und Seele. Dieses In-die-Welt-Gelangen von zwittrigen Körpern wird die grösste Revolution aller Zeiten sein, wird Angst und Ablehnung auslösen. Es wird nicht einfach werden, obwohl die meisten Zwitter in der männlichen oder der weiblichen Rolle leben werden. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen und will dazu gehören.

Nein, nicht obwohl, sondern weil sie sich für die männliche oder die weibliche Rolle entscheiden werden, werden Angst und Ablehnung da sein, denn das Volk der Männer wird von Andersmännern und das Volk der Frauen wird von Andersfrauen bevölkert und verändert werden.

Dieses In-die-Welt-Gelangen von zwittrigen Körpern wird letztlich dazu führen, dass immer mehr Zwitter in der Zwitterrolle leben werden. Unversehrt an Leib und Seele.

Wir werden dann alle nicht mehr leben. Aber lieber tot sein als so leben wie jetzt. Mit Freude tot sein, wenn Selbstbestimmung für Zwitter gesichert sein wird. Aber wahrscheinlich werden wir alle vorher sterben, mit der Hoffnung im Herzen, dass es eines Tages so sein wird.

Bild: "Bionic" by Alex 2005

Sunday, September 14 2008

Die grosse "Intersex"-Statistik-Lüge

Frage: Wieviele "Intersexuelle" — Pardon: "geschlechtsentwicklungsmässig Gestörte" bzw. "DSD-Patienten" — gibt's nun wirklich?

Antwort: Schweigen ...

Und egal wieviele "hochgerechnete" Zahlen auch herumgereicht werden: Letztlich weiss es niemand genau.

Der Staat weiss es nicht, will es nicht wissen und besteht darauf, dass alle Zwitter lediglich als "Mann" oder "Frau" erfasst werden. Der einzige Stand, der über exakte Zahlen verfügen könnte, sind ausgerechnet die Medizyner, deren Jahrzehnte lange moralische Korruptheit speziell gegenüber dieser besonderen "Patientengruppe" deren aktuellen Probleme grösstenteils überhaupt erst verschuldete.

Wenn Medizyner zu sehr vertuschen

Zwar geben die Medizyner mittlerweile vermehrt zu, dass "früher Fehler gemacht" wurden (sprich heute nicht mehr, da ist die "Behandlung besser""auch wenn entsprechende Studienergebnisse noch konsolidiert werden müssen"). Stets sorgsam ausgeblendet bleiben allerdings die realexistierenden Opfer dieser "früheren Fehler". Auch aus den exakten Statistiken. Nach wie vor wurde die Zahl der in Deutschland lebenden "Intersexuellen" nie konkret erfasst, sondern (aber nur wenns denn wirklich sein muss) lediglich "hochgerechet", von den Medizynern aktuell nach folgenden Schlüssel:

  • 1:1000 rsp. 80'000-100'000 Personen in Deutschland — wenn es darum geht, sich Zugang zur "Patientengruppe" zu verschaffen (Quelle: Finke/Höhne: "Intersexualität bei Kindern", Bremen: Uni-Med 2008, S. 4)

Der Rest war Schweigen, wegschauen, Akten verloren ...

Und auf keinen Fall die aktuellen Daten rausrücken, bewahre. Lieber nach wie vor gar nicht erst erheben! (Obwohl in Bundestag neue Anfragen vorliegen, gibt es "offiziellen Zahlen", die jünger sind als 2004.)

Oft berufen sich die Medizyner (wie auch bei anderen "kritischen" Themen) auf "Datenschutz" — obwohl statistische Daten genau nicht unter Datenschutz stehen, sondern im Gegenteil von öffentlichem Interesse sind.

So können die Medizyner die Statistik dann jeweils nach Lust, Laune und Bedarf "hochrechnen". Den Vogel schiesst dabei einmal mehr das "Netzwerk DSD" ab, das dabei offenbar noch nicht einmal rechnen kann, sondern allen Ernstes behauptet, 80'000'000 : 5'000 = 8'000-10'000:

Laut Statistik liegt die Häufigkeit bei 1:5.000; d.h., dass eines von 5000 Kindern mit DSD zur Welt kommt. Demnach leben in Deutschland heute ungefähr 8.000 bis 10.000 Menschen mit DSD. (Quelle: http://www.netzwerk-dsd.uk-sh.de/teen-is/index.php?id=62#Frage2)

Und niemand wills gemerkt haben ...

»Die meisten Fälle sind medizinisch keine Notfälle« Professor Olaf Hiort, Kinder- und Jugendarzt am Universitätsklinikum Lübeck(Apotheken-Umschau, 1.6.11)

Auch in der Anhörung vor der Hamburger Bürgerschaft drückte sich "Netzwerk DSD"- sowie "Euro DSD"-Chef Olaf Hiort bewusst kryptisch aus (mensch beachte auch die verräterische Formulierung "danach wurde nicht gefragt"):

Dazu hat meine Kollegin Frau Thyen eine umfangreiche Untersuchung gemacht. [...] Das heißt, 160 Kinder wären das in zwei Jahren, also es bleibt bei 80 pro Jahr. Wobei man die in Berücksichtigung nehmen muss, die quasi so unauffällig wirken zum Zeitpunkt der Geburt, dass die Diagnosestellung erst sehr viel später erfolgt; das kann durchaus sein, danach wurde nicht gefragt. Das heißt, das verdoppelt die Zahl sicherlich noch einmal. (Protokoll S. 18)

Das heisst, bei "sicherlicher Verdoppelung" wären es in Deutschland mindestens 160 Geburten pro Jahr! Kurioserweise behandelt aber nur schon die Klinik in Lübeck, wo Hiort und Thyen arbeiten, laut eigenen Aussagen auf der "EuroDSD"-Homepage über 100 "DSD Patient_innen" pro Jahr:

During the last 15 years, approximately 1750 DSD patients were cared for at the University of Lübeck

Und einmal mehr wills niemand gemerkt haben ...

Ein beliebter Trick ist auch, die Definition von Intersexualität so einzuengen, dass am Ende das gewünschte statistische Resultat herauskommt, vgl. dazu etwa die Formulierung verräterische Formulierung "schwerwiegendere[...] Abweichungen" im offiziellen Statement der Bundesregierung zum Thema: "Die Gesamtzahl der schwerwiegenderen Abweichungen der Geschlechtsentwicklung liegt in Deutschland etwa 8 000 bis 10 000." (Drucksache 16/4786).

Dabei gab etwa gegenüber dem ZDF "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort unumwunden zu: "Leichtere Fehlbildungen des Genitale sind relativ häufig [...]. Hierzu gehört zum Beispiel die Hypospadie, eine Fehlöffnung der Harnröhre beim Jungen." Dass auch diese "Leichtere[n] Fehlbildungen" alle ohne medizinische Notwendigkeit möglichst rasch chirurgisch "korrigiert" werden (oft mit schrecklichen Komplikationen), liess Hiort allerdings vornehm aus ... 

Fazit: Mindestens jedes 1000. Kind landet auf dem OP-Tisch!

Zwischengeschlecht.org und andere Betroffenenorganiatonen (z.B. ISNA) gehen bis zum Bekanntwerden verlässlicher Zahlen weiterhin aus von einem Vorkommen von mindestens 1:1000, d.h. mindestes jedes 1000. Neugeborene ist "undeutig" bzw. "atypisch" genug, um den Rest seines Lebens mit höchster Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrigen genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen, Zwangshormonbehandlungen oder sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffen ausgeliefert zu sein! Die Intersex Society of North America geht gar davon aus, dass auf 1000 Geburten 1-2 Kinder kosmetisch genitaloperiert werden.

(Zwar wird in der Fachliteratur über Intersexualität oft auch die Zahl von "nur" 1:2000 genannt, vgl. etwa Ulla Fröhling: "Leben zwischen den Geschlechtern" oder Claudia Lang: "Intersexualität". Vgl. ebenfalls Netzwerk-Pressemitteilung der Universität Lübeck (Hiort/Thyen/Holterhus/Richter-Appelt): "Bei einer von 2000 Geburten lässt sich das Geschlecht des Neugeborenen nicht exakt bestimmen." Diese Zahl geht jedoch von einer verengenden "Intersex"-Definition aus, die nicht alle kosmetischen Genitaloperationen an Kindern mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen berücksichtigt und z.B. "Hypospadie" ausschliesst.)

Das heisst, allein in Deutschland wird JEDEN TAG mindestens ein Kind genital zwangsoperiert!

Bei ca. 680'000 Geburten pro Jahr in Deutschland (Stand 2006, "Die niedrigste Geburtenzahl seit dem Ende des 2. Weltkrieges", Quelle: Statistisches Bundesamt (PDF), Wiesbaden 2007) kommen demnach jährlich ca. 680 "uneindeutige" bzw. "atypische" Kinder auf die Welt. Wird zusätzlich berücksichtigt, dass sogar laut der frisierten Version der nternationalen "Lübecker Studie" nach wie vor 90% aller Kinder und Jugendlichen mindestens 1x kosmetisch "genitalkorrigiert" wird, und mehr als jedes 5. Zwitterkind über 12 Jahren sogar mindestens 2x zwangsoperiert ist, folgt daraus, dass allein in Deutschland JEDEN TAG mehr als ein wehrloses Zwitterkind genital zwangsoperiert wird! Plus in der Schweiz und in Österreich zusätzlich JEDE WOCHE je mindestens eines! 

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)

>>> BMBF-finanzierte "Lübecker Studie" mit 434 Proband_innen (2009)


Zwangsoperationen, Zwittertabu und Statistiklügen müssen aufhören!

Freiwillig werden die Medizyner kaum von ihren menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen absehen – sonst sie hätten sie inzwischen längst getan.

Umso wichtiger ist es, auf politischem Wege Druck aufzusetzen, sprich: in parlamentarischen Vorstössen immer wieder aktuelle Zahlen/Statistiken zu verlangen. Z.B. wieviele "geschlechtlich gestörte" Kinder kommen jährlich in "Behandlung", wie sieht die Diagnosenverteilung aus, welche "Störungsbehebungs-Massnahmen" werden zu welchem Zeitpunkt ergriffen, werden auch die Eltern betreut und wenn ja wie, ist Peer Support für Eltern und Kinder gewährleistet, und wie stehts aktuell auch mit den übrigen Punkten der Forderungliste, dem Schattenbericht usw.? Bzw., weshalb hat sich da ein weiteres Jahr lang immer noch nichts entscheidendes getan? Und dabei Bundesregierung und Medizyner jedes Mal erneut auf ihre gesammelten Ausreden und Lügen zu behaften.

Die Behandlung "geschlechtsentwicklungsmässig gestörter" Patient_innen ist offensichtlich ein hochsensibler und dabei tabuisierter Bereich, in dem "früher" regelmässig schändlich versagt wurde, wie z.T. sogar die Mediziner zugeben und u.a. die Netzwerkstudien auch statisch erhärten.

Folglich ist kontinuierliches Monitoring angesagt, und wo das nicht verfügbar ist (d.h. für "Intersexuelle" – Pardon: "DSD-Patienten" – eigentlich fast in allen Bereichen), wäre es höchste Zeit.

Auch, soweit das überhaupt noch möglich ist, für Wiedergutmachung für die realexistierenden Opfer der "früheren Behandlungsfehler"!

Siehe auch:
- "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort: "Intersexuelle" nur ein Bruchteil aller chirurgischen Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken
Streicheleinheiten für die Bundesregierung
- Faule Eier für "die Bundesregierung"!
- Diskussion auf dem Hermaphroditforum

Sunday, July 20 2008

Forderungen Intersexuelle Menschen e.V.

PRESSEMITTEILUNG von Intersexuelle Mernschen e.V.
vom 20.07.2008

Intersexuelle Menschen e.V. freut sich, zum ersten Mal eine umfassende Forderungsliste von betroffenen Menschen zur Verbesserung ihrer unwürdigen Situation und zur Beendigung der an ihnen immer noch täglich begangenen Menschenrechtsverletzungen vorstellen zu können.

Insbesondere wenden wir uns an
- alle Bundestagsfraktionen
- das Netzwerk Intersexualität
- die medizinischen Fachgesellschaften DGKCH, DGE, DGU und DGGG
mit der Aufforderung um Stellungnahme innert nützlicher Frist, was sie konkret zu tun gedenken, um unsere Forderungen zu verwirklichen.


Untenstehende Forderungsliste ist zudem Bestandteil des Schattenberichts, den Intersexuelle Menschen e.V. morgen Montag, 21.7.2008, vor dem UN-Ausschuss CEDAW in New York präsentieren wird.

Mit freundlichen Grüssen

Daniela Truffer
1. Vorsitzende Intersexuelle Menschen e.V.

Nachtrag 29.04.2009: Bisher kam von keiner einzigen der oben angeschriebenen Organisationen eine Rückmeldung – obwohl z.B. das "Netzwerk DSD/Intersexualität" dazu mehrmals kontaktiert wurde.


FORDERUNGEN INTERSEXUELLE MENSCHEN e.V.

Zwischengeschlechtliche, also mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geborene Menschen, die man als Intersexuelle, Hermaphroditen oder Zwitter bezeichnet, werden in unserer Gesellschaft, die nur "Männer" und "Frauen" anerkennt, juristisch, politisch und sozial unsichtbar gemacht. Als "abnormal" klassifiziert, werden ihre gesunden Körper zum medizinischen Notfall erklärt: Ohne ihre Einwilligung werden sie in der Regel im Kindesalter an ihren uneindeutigen Genitalien operiert, um diese zu "vereinheitlichen", wobei in Kauf genommen wird, dass ihr sexuelles Empfinden vermindert oder gänzlich zerstört wird. Zudem werden sie systematisch kastriert, das heißt es werden ihnen die gesunden, Hormone produzierenden inneren Geschlechtsorgane entfernt, was eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen zur Folge hat, die oft zu gravierenden gesundheitlichen Problemen führt. Die meisten Opfer dieser Praxis tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ein Leben lang leiden. Medizinische Studien belegen dies (Hamburger Intersex-Studie 2007).

Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung sind ein Teil unserer Gesellschaft und haben als gleichberechtigte Bürger ein Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung. Die an ihnen begangenen medizinisch nicht notwendigen, traumatisierenden Zwangsbehandlungen stellen einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar. Um künftige Opfer dieser menschenrechtswidrigen Praxis zu verhindern und die bestehenden Opfer soweit als möglich zu entschädigen und zu rehabilitieren, stellt der Verein Intersexuelle Menschen e.V. folgende Forderungen auf:


1) Keine nicht lebens- oder gesundheitsnotwendigen Eingriffe ohne informierte Einwilligung der betroffenen Menschen:

- Chirurgische und/oder medikamentöse/hormonelle Eingriffe sind zu unterlassen, so lange ihnen keine lebensbedrohliche Indikation zugrunde liegt.
- Kosmetische Eingriffe dürfen nur mit ausdrücklicher informierter Einwilligung der betroffenen Menschen unter vollständiger zu dokumentierender schriftlicher Aufklärung erfolgen.
- Die Eltern sind vollumfänglich und wahrheitsgetreu aufzuklären; analog gilt für die betroffenen Menschen selbst eine stufenweise, altersgerechte Aufklärung über ihre Besonderheit.
- Die behandelnden Mediziner haben den betroffenen Menschen über alle gegenwärtigen und zukünftigen Risiken von Eingriffen sowie bei deren Unterlassung vollumfänglich schriftlich aufzuklären. Dies gilt insbesondere bei Entfernung hormonproduzierender Organe und daraus resultierenden medikamentösen Hormonersatztherapien.
- Die behandelnden Mediziner haben den betroffenen Menschen bzw. deren Eltern unaufgefordert bei Entlassung eine vollständige Kopie der Patientenakte auszuhändigen.


2) Schaffung verbindlicher "Standards of care" unter Einbezug der betroffenen Menschen und ihrer Organisationen:

- Bildung von spezialisierten Kompetenzzentren zur Behandlung intersexueller Menschen.
- Ausbildung von auf Intersexualität spezialisierten Fachkräften.
- Bildung von Beratungsteams für Eltern bei Fällen von Intersexualität, bestehend aus Medizinern, Psychologen und betroffenen Menschen sowie betroffenen Eltern ("Peer Support").
- Bildung von Beratungsteams für betroffene Menschen, bestehend aus Medizinern, Psychologen und betroffenen Menschen ("Peer Support"), welche diese von klein auf kontinuierlich unterstützen.
- Flächendeckende Einrichtung von Beratungsstellen für betroffene Menschen und Angehörige, die paritätisch mit nicht betroffenen Spezialisten und betroffenen Menschen besetzt sein müssen.
- Besondere finanzielle und strukturelle Förderung geeigneter Selbsthilfegruppen.
- Einsetzen geeigneter betroffener Menschen als Beobachter von Studien zur Intersexualität.
- Umfassende Evaluierung von Wirkungen und Machbarkeit der verschiedenen nach Kastration notwendigen lebenslangen Hormonersatztherapien nach den individuellen Bedürfnissen und Wünschen der betroffenen Menschen (Testosteron, Östrogen oder beides), sowie unter Berücksichtigung des Lebensalters (ggf. Eintrag der Indikation in die Zulassung des jeweiligen Medikamentes).


3) Aufnahme von Intersexualität in die Lehrpläne der Schulen und Berufsausbildungen:

- Das Thema "Geschlechtsdifferenzierung und Varianten" wird an allen Schulen Bestandteil der Lehrpläne in Biologie, Sexualkunde und in den sozialen Fächern.
- In der Ausbildung sämtlicher medizinischer und sozialer Berufe, z.B. von ÄrztInnen, Hebammen, Krankenschwestern, PflegerInnen, PsychologInnen, LehrerInnen, KindergärtnerInnen, SozialarbeiterInnen etc., wird Intersexualität verpflichtender Bestandteil des Lehrplans.


4) Entschädigung und Rehabilitation geschädigter Betroffener:

- Einrichtung eines Hilfs- und Entschädigungsfonds für Betroffene. Der Fonds soll alimentiert werden durch a) den Staat als politisch Verantwortlicher für die Fehlbehandlungen und b) die für die Fehlbehandlungen konkret verantwortlichen ärztlichen Standesorganisationen, zum Beispiel der Endokrinologen, Urologen, Gynäkologen, Kinderchirurgen.
- Generelle Aufstockung der Rentenbeträge aller Betroffenen, die Opfer der Medizin geworden sind, auf das durchschnittliche mittlere Rentenniveau mit der Begründung, dass Intersexuellen durch Traumatisierung und gesundheitsschädigende Hormonbehandlung Zeit für ihr berufliches Fortkommen genommen wird.
- Rentenrechtliche Regelung für intersexuelle Menschen allgemein und spezielle Regelung für von geschlechtszuweisenden Zwangsmaßnahmen Betroffene.
- Einrichtung eines Rehabilitationsplanes und eines entsprechenden Zentrums zur Wiederherstellung der körperlichen Gesundheit soweit als möglich.
- Befreiung von Zuschlägen bei Krankenversicherungsbeiträgen und jeglichen Zuzahlungen.
- Erstellung einer Tabelle zur Feststellung des durch die Behandlung/Nichtbehandlung/Falschbehandlung verursachten Grades der Behinderung.
- Eröffnung und Förderung eines besonderen Zugangs betroffener Menschen zu Bildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Zwecke des Ausgleichs der durch die Gesellschaft erlittenen Suppressionen der sozialen und beruflichen Kompetenz (REHA).
- Rechtsanspruch auf Feststellung der erlittenen Schäden durch ein unabhängiges, noch zu definierendes Gremium, falls frühere Behandlungs-/Befundsberichte nicht mehr zu beschaffen sind.


5) Einarbeitung des Begriffes "Intersexualität" in geltendes Recht:

- Bei Neugeborenen mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen erfolgt beim Standesamt ein lediglich provisorischer Geschlechtseintrag (analog zum Preussischen Landrecht, unter gleichzeitigem Verbot medizinischer Behandlungen ohne eingewilligte Zustimmung der betroffenen Menschen wie unter 1) beschrieben). Geschlechtsneutrale Vornamen sind zulässig.
- Betroffene Menschen haben die Möglichkeit, ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit per Willenserklärung eine Änderung des eingetragenen Geschlechts und/oder Vornamens zu erwirken. Falls von der betroffenen Person gewünscht, sind nunmehr auch kosmetische Eingriffe mit informierter Einwilligung der betroffenen Menschen zulässig.
- Für den Geschlechtseintrag wird als dritte Option "zwischengeschlechtlich/intersexuell/zwittrig" eingeführt.
- In die Definitionsfindung, bei welchen Diagnosen dieses Verfahren zutrifft, sind die betroffenen Menschen und ihre Organisationen angemessen mit einzubeziehen.
- Die Verjährungsfristen bei nicht eingewilligten Eingriffen werden aufgehoben, da durch die vielfach dokumentierte vorsätzliche Zurückhaltung der Krankenunterlagen und Verheimlichung der Diagnosen die üblichen Verjährungsfristen in der Regel verpasst werden. (Hinfällig bei Einrichtung eines Fondsmodells wie unter 1) beschrieben, an welchem Ärztevereinigungen sich beteiligen.)
- Umfassender Schutz für intersexuelles Leben, auch des ungeborenen Lebens. Intersexualität allein darf kein Abtreibungsgrund sein.

Saturday, July 12 2008

"Kampf gegen Zwangsoperation" - Tachles 28/2008

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Gelungener Artikel (leider kostenpflichtig) von Joel Hoffmann in der jüdischen Wochenzeitschrift Tachles.

--> Infos zum Protest

Nachfolgend einige Ausschnitte aus dem Artikel:

Menschen mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen werden als Kleinkinder operativ einem Geschlecht zugewiesen, ohne Einwilligung der Betroffenen. Doch der Widerstand gegen Zwangsgeschlechtszuweisung und Kastration wird lauter.

[...]

Massive Schäden an Körper und Seele 

Diese Kastration hat eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen zur Folge. Für die meisten Zwangsoperierten sind massive psychische und physische Schäden, unter denen sie ein Leben lang leiden, die Folge dieser Praxis. Obwohl wissenschaftliche Studien dies belegen, halten Ärzte und Politiker an dieser Praxis der Geschlechtszuweisung fest.

[...]

Nachrichten von barbarischen Beschneidungen respektive von genitalen Verstümmelungen an kleinen Mädchen schockieren und rufen Politiker von rechts bis links auf den Plan, zu Recht. Über die qualvollen Eingriffe bei Zwittern hingegen wird nach wie vor geschwiegen.

Aus: tachles, Nr. 28 vom 11. Juli 2008

Friday, July 4 2008

"Das dritte Geschlecht" – Schweizer Familie, 24.02.05


     D O K U M E N T A T I O N

     © Schweizer Familie, 24.02.2005

     Nummer 8/05, Seite 86

     (Rubrik Gesundheit)
 

Das dritte Geschlecht

Es gibt Kinder, bei denen nicht klar ist, ob sie Mädchen oder Jungen sind. Die Eltern und Fachärzte stehen dann vor heiklen Entscheidungen.

Text: Nicole Tabanyi


Als Karin Plattner, 29, in einer milden Mainacht ihr erstes Kind zur Welt brachte, erblickte die Hebamme Jeanette Gröbli ein hübsches Neugeborenes mit rosigen Lippen und grossen Augen. Als ihr Blick hinunter zum Bauchnabel und dann weiter zu den Beinchen glitt, stand ihr Herz jedoch für einen Augenblick still. «Auf die Frage der Mutter, ob es ein Mädchen oder Junge sei, antwortete ich: «Ich weiss es nicht»», erinnert sich die Hebamme an die Nacht, in der sie zum ersten Mal ein Baby sah, das so offensichtlich anders war als alle andern.

Uneindeutiges Geschlecht

Erst nach diversen Abklärungen, bei denen Blut, Urin und Chromosomensatz des Kindes untersucht wurden, stand die Diagnose fest: Das Kind, das Karin Plattner geboren hat, ist intersexuell. Es leidet an Pseudohermaphroditismus masculinus, das heisst, es hat männliche Chromosomen, aber ein uneindeutiges Genitale.

Was heute als Intersexualität bezeichnet wird, ist eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft: die Zweigeschlechtigkeit. In der Antike wurden so genannte Hermaphroditen verehrt, später wurden sie aus der Gesellschaft ausgestossen und im vergangenen Jahrhundert auf Jahrmärkten zur Schau gestellt. Auch Karin Plattner hat bisher nur anonym über dieses Thema gesprochen und wagt sich zum ersten Mal mit Foto an die Öffentlichkeit.

Seit den Fünfzigerjahren versuchen Chirurgen, Kindern, die intersexuell sind, mittels Operation eine eindeutige Geschlechtszugehörigkeit zu geben. In den Siebzigern waren solche Eingriffe gar Standard. Sie gehen auf den US-Sexualforscher John Money zurück. Er behauptete, dass man aus Mädchen Jungen, aus Jungen Mädchen und aus Intersexuellen sowohl Jungen als auch Mädchen machen könne - wenn sie nur zum entsprechenden Geschlecht erzogen würden. Diese These ist inzwischen widerlegt. Man weiss, dass Intersexuelle nach einer Operation Grenzgänger zwischen den Geschlechtern bleiben. Und: «Ein Neugeborenes oder ein Kleinkind sollte nicht zum Mädchen oder zum Jungen gemacht werden», meinen viele operierte Intersexuelle empört, die sich heute «verstümmelt», «von den Ärzten verraten» und von «den Eltern im Stich gelassen» fühlen. Doch wie kommt es dazu, dass ein Mensch intersexuell ist? Bis zur sechsten Woche weist jeder Embryo ein intersexuelles Genitale auf - also ein Geschlecht, aus dem beides werden kann. Dann entwickelt sich der Embryo durch hormonelle Impulse zum männlichen (XY-Chromosom) oder weiblichen (XX-Chromosom) Menschen.

Auf dem Weg zur Frau oder zum Mann kann es bei den Chromosomen, Enzymen oder Hormonen zu den verschiedensten Variationen kommen: Darum kann jemand durchaus von der Erbanlage her weiblich oder männlich sein und trotzdem eine andere Gestalt haben. «Mein Kind hat zwar einen männlichen Chromosomensatz, da die Körperzellen aber teilweise resistent gegen das männliche Hormon Testosteron sind, entwickelte sich der Körper weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich: eine seltene Form der Intersexualität», sagt Karin Plattner.

20 verschiedene Formen

Ähnlich verhält es sich bei der Gruppe Intersexueller, die sich XY-Frauen nennen: Von den Chromosomen her (Genotyp) sind XY-Frauen zwar männlich, ihr Erscheinungsbild (Phänotyp) und ihr äusseres Genitale jedoch eindeutig weiblich. Sie sind von andern Mädchen bis zu ihrer Pubertät nicht zu unterscheiden. Dann allerdings bleiben bei ihnen Achsel- und Schamhaare aus, weswegen man sie auch «Hairless-women» (Haarlose Frauen) nennt.

Nahezu zwanzig verschiedene Formen von Intersexualität werden heute unterschieden. Im Gegensatz zur Transsexualität, bei der die Betroffenen das Gefühl haben, durch einen Irrtum der Natur im falschen Körper zu leben, hat Intersexualität nachweisbar biologische Ursachen.

«Intersexuelle sind Menschen, die an einer angeborenen Fehlbildung leiden, allerdings ist diese nicht immer schon bei der Geburt sichtbar», weiss Marcus G. Schwöbel, Chefarzt der Kinderchirurgie am Kinderspital Luzern (siehe Interview). Bei manchen Betroffenen entdecken die Ärzte erst in der Pubertät die Intersexualität, weil beispielsweise die Menstruation oder eben die Schamhaare ausbleiben.
Wie oft Intersexualität vorkommt, ist schwer zu sagen. Schätzungsweise kommt jedes 5000. bis 7000. Neugeborene so auf die Welt. Das medizinische Nachschlagwerk «Pschyrembel Wörterbuch Sexualität» gibt sogar an, dass von 2000 Personen eine in irgendeiner Form intersexuell ist. Klaffen Chromosomen und Erscheinungsbild auseinander, so ist die gängige Behandlung nach wie vor eine Operation, bei der dem Kind meist vor dem zweiten Lebensjahr das intersexuelle Genitale in die weibliche oder männliche Richtung angepasst wird.

Bei andern Operationen aber sind die Chirurgen zunehmend zurückhaltend. Beispielsweise wenn ein intersexueller Mensch eine vergrösserte Klitoris oder einen Hoden, aber keinen Penis hat. «Bis vor zehn Jahren haben Ärzte und Eltern gemeinsam darüber entschieden, welche Geschlechtsidentität dem Kind gegeben werden soll. Heute möchte man die Entscheidung vermehrt dem Kind selbst überlassen, ob es später als Mann oder Frau leben will», sagt der Experte Marcus G. Schwöbel.

Auch Karin Plattner will ihrem inzwischen sechsjährigen Kind keine Identität aufzwingen. Den Termin für eine Operation haben sie und ihr Mann nach reiflicher Überlegung abgesagt. «Die Ärzte meinten, die Gesellschaft ertrage es nicht, wenn ein Kind anders sei als die andern, und rieten uns deshalb zu einem Eingriff. Trotz aller Ratschläge fühlten wir uns im Stich gelassen und wussten lange Zeit gar nicht, was los war.» Ihr Kind wächst im Moment als Mädchen auf. Später soll es selber die Entscheidung treffen können, ob es als Mann, Frau oder als intersexueller Mensch durchs Leben gehen möchte. «Ob sich Intersexuelle je ganz zum einen oder andern Geschlecht zuordnen können, bezweifle ich», sagt die Mutter. «Und sicher wird die Pubertät eine der schwierigsten Phasen werden.»

Aufklärung ist wichtig

Nach eindrücklichen Besuchen von Treffen Intersexueller in Deutschland hat Karin Plattner eine erste Selbsthilfegruppe für Intersexuelle in der Schweiz gegründet. Mitinitiantin ist die Hebamme Jeanette Gröbli, die inzwischen Weiterbildungskurse für Hebammen, Krankenschwestern und interessierte Gruppierungen anbietet. Ziel der Kurse ist es, dem medizinische Fachpersonal das Thema Intersexualität näher zu bringen. Zu unbändig sei der Wille der Mediziner und Forscher, an solchen Kindern zu experimentieren, sagt die Hebamme. Deswegen sei Aufklärung schon vor dem Gebärsaal wichtig.

«Wir wollen betroffene Kinder vor neugierigen Blicken und Übergriffen schützen und den Eltern eine solche Odyssee ersparen», sagt Hebamme Jeanette Gröbli. «Und vielleicht lernt unsere Gesellschaft eines Tages, dass Intersexualität sein darf und nicht nur etwas ist, was verschwiegen und vertuscht werden muss.»

Adresse: SI Selbsthilfe Intersexualität Schweiz; Postfach 4066; 4002 Basel; Mail: info_at_si-global.ch

«Positive Reaktionen»

Der Arzt Marcus G. Schwöbel beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Intersexualität und operiert zweigeschlechtliche Kinder.

Schweizer Familie: Weshalb ist eine eindeutige Geschlechtsidentität so wichtig?

Marcus G. Schwöbel: Eltern von Kindern, die an einem intersexuellen Genitale leiden, stehen vor einem Dilemma. Sie fragen sich, ob ihr Kind nun ein Bub oder ein Mädchen ist, und wollen ihrem Kind die Möglichkeit geben, eine bestimmte Richtung zu leben. Die Idee unserer Chirurgie ist, dass wir versuchen, dem Kind die äusseren Formen zu geben, die seiner Geschlechtsidentität am besten entsprechen.

Bei welchen Kindern ist ein chirurgischer Eingriff denn ratsam?

Eindeutig ist die Entscheidung dann, wenn wir dem Kind durch den Eingriff die ihm gemässe Identität geben können. Zum Beispiel einem Mädchen, welches an einem so genannten AGS-Syndrom leidet (weibliche Chromosomen mit Vermännlichung des äusseren Geschlechts), den weiblichen Weg ermöglichen. Ebenso klar ist die Entscheidung bei einem Knaben mit Hoden und einem fehlgebildeten Penis. Hier hilft die Chirurgie, dem Patienten ein ihm gemässes Leben zu führen. Schwierig wird die Entscheidung dann, wenn ein Kind Hoden und eine Vagina aufweist. Hier besteht heute die Tendenz, eine Operation aufzuschieben.

In welche Richtung operieren Sie?

Da wir versuchen, jedem Kind die ihm gemässe Identität zu geben, operieren wir etwa gleich häufig in die weibliche wie in die männliche Richtung.

Wie alt sind die Kinder bei diesen Eingriffen?

In der Regel etwa zwei Jahre alt. Bis Mitte der Neunzigerjahre war es üblich, noch früher zu operieren, da man Fälle von Intersexualität als Notfälle betrachtete. Die Geschlechtsidentität soll möglichst früh nach der Geburt des Kindes vorhanden sein, so die damalige Meinung. Heute überlässt man die Entscheidung zunehmend den Eltern, wann und ob eine Operation durchgeführt werden soll.
Sind die Betroffenen mit der Wahl ihres Geschlechtes zufrieden?

Die wenigen Rückmeldungen von erwachsenen Patientinnen und Patienten sind fast durchwegs positiv. Ähnliche Resultate kommen aus grösseren amerikanischen und britischen Kliniken. Nur selten streben erwachsene Patientinnen und Patienten einen Geschlechtswechsel an, auch wenn sie mit ihrem Aussehen nicht durchwegs zufrieden sind.

>>> Offener Brief an das Kinderspital Luzern, 22.8.2010

>>> Pressemitteilung vom 19.8.2010
>>> Kosmetische Genitaloperationen im Kinderspital Luzern 
>>> "Demonstration vor dem Luzerner Kantonsspital" - zisch.ch, 22.8.10 
>>>
"Der Zwang zum Geschlecht" - Zentralschweiz am Sonntag, 22.8.10

Siehe auch:
- Chefarzt Dr. Marcus Schwöbel: genitale Zwangsoperationen an Kindern der "normale Weg" 
- Schweiz: Terre des Femmes und Amnesty International gegen Zwangsoperationen
- "Der Beschneidungsskandal": Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung
- Beschneidungsexpertin: Zwangsoperationen an Zwittern = Genitalverstümmelung Typ IV
- Amnesty: Zwangsoperationen "fundamentaler Verstoß" gegen körperliche Unversehrtheit
- Terre des Femmes: Genitalverstümmelungen an Zwittern gleich schädlich wie weibliche Genitalverstümmelung
- Genitale Zwangsoperationen im Inselspital Bern
- Zürcher Kinderspital propagiert Zwangskastrationen an Zwittern
- USA: Seriengenitalverstümmler Prof. Dr. Dix Phillip Poppas von Ethikerinnen geoutet
- Genitalverstümmler und Zwangsoperateure in Baden-Württemberg
- "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort: "Intersexuelle" nur ein Bruchteil aller chirurgischen Genitalverstümmelungen 

Tuesday, July 1 2008

Lügen, Zwangseingriffe, Schweigegebote: ein Leben aus der Krankenakte (Teil II)

Menschenrechte auch für Zwitter!>>> Teil I

Lügen und Halbwahrheiten


Die Mediziner haben meine Eltern angelogen und in der Folge angewiesen, wie sie mich zu erziehen hätten:

"Das Kind ist ein Mädchen und wird es bleiben, die ganze Erziehung hat sich danach zu richten. Mit niemandem ausser den Eltern u. dem Arzt (...) soll über die Geschlechtfrage weiter diskutiert werden."

Meinen Eltern wurde verschwiegen, dass ich chromosomal männlich bin und dass man meine Hoden entfernt hatte. Natürlich wurde ihnen auch verschwiegen, dass man einen Fehler gemacht hatte. Meine Eltern wurden also in der Folge systematisch belogen:

"Die Eltern fragten dann natürlich ob das Mädchen Kinder haben könne, und es wurde gesagt, dass dies fraglich sei."

oder mit absurden Halbwahrheiten abgespiesen:

"Beide Eltern sind übrigens gut orientiert über die Situation. Sie wissen, dass Daniela ein Mädchen ist, und dass es ein Mädchen bleiben wird. Sie wissen, dass man die missgebildeten Ovarien entfernen musste, da sonst die Gefahr einer Virilisierung bestanden hätte; (...)." (3.2.72)

Erstens hatte ich nie Eierstöcke und zweitens kann man mit Eierstöcken nicht vermännlichen!
Auch ich wurde permanent belogen und mit unsinnigen Aussagen 'ruhig gestellt':

"21.8.79 Daniela ist beunruhigt wegen ausbleibender Menses, ob dies nicht schaden könne.
Erklärt, dass Gebärmutter so klein sei, dass keine Menses zu erwarten seien. Es schade nichts, wenn Frauen keine Menses hätten."

Genitalkorrektur statt Herzoperation

Ich wurde dann doch älter als vorgesehen. Ich war sieben Jahre alt, als die Mediziner sich dazu entschlossen, die komplizierte Herzoperation durchzuführen, obwohl die Prognose nicht sehr gut war:

"Die Operation des Endokardkissendefektes ist an sich sehr schwierig und zeigt eine hohe Operationsmortalität von rund 50 % bei der kompletten Form. In diesem Fall besteht zusätzlich eine Hypoplasie der linken Seite mit wahrscheinlicher Mitralstenose, was die Operationschancen noch weiter verschlechtert. (...) Die Gesamtprognose zusammen mit dem Pseudohermaphroditismus und dem schweren Vitium schauen wir als nicht sehr gut an. Allerdings kann erfahrungsgemäss keine Dauer angegeben werden. Trotzdem glauben wir nicht, dass das Mädchen das Erwachsenenalter erreichen wird."

Wegen Voruntersuchungen zur Herzoperation war ich im Februar 1972 im Krankenhaus. Aufgrund einer Infektion konnten diese Voruntersuchungen jedoch nicht durchgeführt werden. Und da ich schon mal dort war, wurde kurzerhand mein Genital korrigiert, wie folgender Auszug aus meiner Krankenakte dokumentiert:

"Da die Kardiologen wegen eines interkurrenten Streptococceninfektes den geplanten Herzkatheterismus hinausschieben mussten, haben wir die Gelegenheit benutzt, die schon 1965 geplante Genitalkorrektur vorzunehmen."

Aus dem Bericht nach der Operation vom 10.2.1972:

"Wichtig für den Wochenenddienstarzt: Falls die Eltern Auskunft über die Kleine wünschen, ist es wichtig zu wissen, was den Eltern über das Mädchen von der 'Med. Klinik ' gesagt wurde. Es steht in den vorangehenden Seiten unter 'Besprechung mit den Eltern'.
Post. Op.: Kind zeigt die Zeichen des Schocks. Nachblut. Es wird PPL Lsg infundiert. Zudem erbricht das Kind viel. Die starke Bronchitis, die sie seit Tagen hat, lässt leicht nach.
Starke Hämatome bds. der Clit()oris. Rechts bläulich-schwärzliche Verfärbung. Beginn einer Nekrose?"

14.2.72. Die Hämatome bds. der Clit()oris sind fluktuierend. Ueber Nacht hat die Kleine wieder nachgeblut()et, tiefer Quick?
Das Kind hustet nach wie vor stark. Links basal sind einige trockene RG zu hören. kein Fieber."

Schwester "Annemarie" war dann für die Wundversorgung und das „nachts beide Hände anbinden“ zuständig.

Neun Tage später ging es schon weiter:

"Heute (19.2.72) wurde Daniela wieder in die Kindermedizin zurückverlegt in der Hoffnung, dass im Laufe der nächsten Woche der Herzkatheterismus durchgeführt werden kann. Wenn die Operationswunde wie bisher weiter komplikationslos abheilt, dürfte für diesen Eingriff, bei dem Inguinal eingegangen werden muss, nichts im Wege stehen."

Fazit: Zum zweiten Mal wurde ich trotz meines lebensbedrohenden Herzfehlers aufgrund meines uneindeutigen Geschlechts operiert! Keine Rede von Infektionsgefahr mehr! Die Mediziner stellten ihre Definitionsmacht über mein Leben!

Fortsetzung

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