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Saturday, December 27 2008

Zwitter-Soli-Buttons für Deine Blogs und Homepages!

In einem Kommentar wurden wir neulich angefragt, ob wir keine Web-Solidaritätsbuttons anbieten könnten, die sich jede_r auf seine_ihre Webpräsenzen aufschalten kann, und die auf eine Page verlinken, wo alle wesentlichen Grundinformationen inkl. persönlichen Fallberichten noch einmal zusammengefasst sind. Nun, hier sind sie:

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!         Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!/Menschenrechte auch für Zwitter!         Menschenrechte auch für Zwitter!

Um die Buttons bei dir aufzuschalten, copy/paste sie einfach von oben rein oder füge folgenden Code ein:

<a href="http://zwischengeschlecht.org"><img title="Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!" alt="Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!" src="https://blog.zwischengeschlecht.info/public/Stop_genitale_ZwangsOPs.png" /></a>

oder

<a href="http://zwischengeschlecht.org"><img title="Schluss mit genitalen Zwangsoperatioenen! Menschenrechte auch für Zwitter!" alt="Schluss mit genitalen Zwangsoperatioenen! Menschenrechte auch für Zwitter!" src="https://blog.zwischengeschlecht.info/public/Zwischengeschlecht_anim.gif" /></a>

oder

<a href="http://zwischengeschlecht.org"><img title="Menschenrechte auch für Zwitter!" alt="Menschenrechte auch für Zwitter!" src="https://blog.zwischengeschlecht.info/public/Menschenrechte_f_Zwitter.png" /></a>

Die Buttons verlinken auf http://zwischengeschlecht.org. Dort hats unter 7. weitere konkrete Vorschläge, wie du aktiv bei der Beendigung der Zwangsoperationen an Zwittern mithelfen kannst. Die Infos sind im Wesentlichen eine Zusammenfassung diverser Flugblätter und Pressemitteilungen der letzten 14 Monate inkl. Linkliste zu Publikationen und Medienauftritten von und mit Zwittern. Anregungen/Ergänzungen/Kommentare willkommen.

Danke für Deine Solidarität!

Tuesday, December 23 2008

2008: Eine neue Zwitterbewegung! (Jahresrückblick, Teil 1)

Seit 1 1/4 Jahr versuchen wir auf Zwischengeschlecht.info, mit Pressemitteilungen, Demos, Eingaben usw. das in Öffentlichkeit und Politik herrschende Tabu der genitalen Zwangsoperationen an wehrlosen kleinen Zwitterkindern zu brechen. In dieser Zeit haben wir meiner unbescheidenen Meinung nach einiges erreicht:

Noch in keinem Jahr zuvor gab es so viele Medienberichte über Zwitter, waren die an ihnen begangenen medizinischen Verbrechen so oft und weitverbreitet öffentliches Thema. FernsehsprecherInnen redeten teils zur besten Sendezeit unverblümt von "Zwangskastrationen" und genitalen "Zwangsoperationen" an Zwittern. Eine friedliche Aktion vor dem Kinderspital Zürich erreichte via Medien über zwei Drittel (!) der Deutschschweizer Bevölkerung.

Die Ehrung Milton Diamonds im kurzerhand geenterten "2. Interdisziplinären Forum zur Intersexualität" durch Intersexuelle Menschen e.V. wurde zum bewegenden Höhepunkt der gesamten Veranstaltung. Der Wikipedia-Eintrag konnte nach mehreren Anläufen zumindest deutlich verbessert werden. Christianes Siege vor Gericht wurden bundesweit mit Empathie aufgenommen und etablierten das Wort "Zwitter" als positive Bezeichnung im Nachrichtenmainstream. Durch den Film "XXY" konnte die Thematik weiter vertieft werden. Nach einer geharnischten Kritik auf Zwischengeschlecht.info erklärte die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) ihre Zwangsbehandlungs-Leitlinie plötzlich für veraltet.

Der CEDAW-Schattenbericht von Intersexuelle Menschen e.V. brachte die Zwitter erstmals vor die UNO. Mit im Gepäck hatte die Delegation eine detaillierte Forderungsliste, die tags zuvor nebst den Medien auch allen Mitgliedern des Bundestags zugegangen war.

Und dies war nur der Anfang.

  1. Demo Landgericht Köln 12.12.07

Eine ganze Menge verschiedener Menschen wurden (nicht zuletzt dank der Zwitter Medien Offensive) 2008 zum ersten Mal überhaupt auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern aufmerksam. Langjährige Beobachter vermeldeten nicht zuletzt auf unseren Blog zurückgehende "ausführliche Berichterstattung" durch "ungewöhnlich viele" Mainstreammedien sowie "zunehmend selbstbewussteres Auftreten von Zwittern". Noch nie waren soviele Zwischengeschlechtliche so aktiv. Ein messbarer Erfolg der Vorarbeiten engagierter Einzelner seit Mitte der 90er, sowie weiterer Personen und Organisationen auf verschiedenen Schauplätzen.

Natürlich gab es auch Rückschläge, z.B. im Bundestag: Dort herrscht nach wie vor das Schweigen der MittäterInnen. DIE LINKE steht bezüglich einer vorformulierten Kleinen Anfrage seit 3 Monaten auf dem Schlauch – als wäre es ihre erklärte Absicht, sie ja erst nach der CEDAW-Session vom Ende Januar 2009 einzureichen, wenn die politische Sprengkraft auf ein Minimum verraucht ist. Die Grünen vereinnahmten die Zwitter zwar gern für ihren Yogyakarta-Vorstoss – waren für konkrete Zwitter-Anliegen aber das ganze Jahr eisern kein einziges Mal zu sprechen. Dafür gab es in Hamburg als Reaktion auf die Anfrage der Bundesregierung betreffend des CEDAW-Schattenberichts allein seit Mitte Oktober von der SPD nicht weniger als 3 kleine Anfragen – auf den 28.4.2009 ist inzwischen eine Expertenanhörung zu "Intersexualität" anberaumt ...

Die Bilanz ist positiv. Das Zwitter-Tabu wankt. Zwangsoperateure werden auch nächstes Jahr wenig zu lachen haben. Wohl muss der Druck zuerst noch um einiges weiter erhöht werden, doch früher oder später wird ihm auch die nach wie vor zu 150% ignorante Bundesregierung Rechnung tragen müssen. Proteste liegen in der Luft, und eine wirklich "schlagkräftige Zwitterlobby" scheint plötzlich kein blosser Wunschtraum mehr ...

--> Teil 2: Folgt ...
--> Teil 3: "Transgenderfraktion" vs. "Menschenrechtsfraktion"    

Thursday, December 18 2008

Zwitter-Flyer-Aktion in Soest 13.12.08

A*** [Name auf Wunsch entfernt, ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs] berichtet – wir gratulieren zur mutigen Aktion!

Am Samstag, den 13. Dezember 2008 waren [Name auf Wunsch entfernt, ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs] und ich in der Soester Innenstadt, um Flyer zu verteilen. Zunächst musste die Aktion beim zuständigen Ordnungsamt angemeldet werden. Die wollten zunächst eine Pauschale von 28,5 Euro erheben, das wäre die normale Gebühr.

Ich bat um Befreiung, da ich ja nichts daran vedienen sollte, habe die Befreiung auch zwei Tage später per Email Anhang erhalten.

Die Resonanz unserer Aktion war insgesamt positiv zu bewerten, nur einige bornierte Menschen gaben diskriminierende Bemerkungen ab. Es gibt immer noch eine Menge Menschen, die die Unterschiede zwischen intersexuell und transsexell nicht kennen oder kennen wollen. Hier besteht meines Erachtens noch ein erheblicher Aufwand von uns Zwittern, über Medien die Massen zu unterrichten.

Die Flyer konnten von [Name auf Wunsch entfernt, ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs] und mir auch im Rathaus am Schwarzen Brett angebracht werden, auch einige Apotheken und Geschäfte hatten nichts dagegen.

Der Soester Anzeiger war auch zugegen, jedoch konnte man uns nicht sagen, wann der Artikel erscheinen würde. In den sechs Stunden standen wir auch einer größeren Mengen an Interessierten Rede und Antwort. Trotz Rollstuhl war ich in den nächsten Tagen zu nichts mehr zu gebrauchen, kostet halt doch eine Menge an Kraft und Überwindung.

Schön wäre es, wenn sich meinen Beispiel einige Mitglieder anschließen würden und sich auch bereit erklären würden, ähnliche Aktionen durchzuführen.

Dabei reicht es manchmal schon, diverse Arztpraxen zu befragen, einige Flyer dort auslegen zu dürfen, auch Apotheken und Geschäfte würden da sicherlich mitmachen.

Allen noch ein besinnliches Weihnachtsfest wünscht euch

A*** [Name auf Wunsch entfernt, ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs]

>>> Der verteilte Flyer (Pdf Download 320 kb)

Thursday, December 11 2008

"Intersexualität": Aufforderung um Unterstützung an Deutschen Ethikrat

Sehr geehrte Frau Florian

Bezug nehmend auf unser Telefongespräch von letzter Woche und Ihr Gespräch mit unserem Vereinsmitglied [...] möchte ich Sie auf die Dringlichkeit hinweisen, mit der die Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen in Deutschland behandelt werden müssen.

Dazu lasse ich Ihnen erstmals ein paar Informationen zukommen, die Ihnen ein Bild über die Situation von Intersexuellen verschaffen sollen.

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INHALT

1. Einleitung
2. Studien des Netzwerks Intersexualität/DSD sprechen Klartext
3. Schattenbericht und Forderungsliste
4. Juristische Probleme und Diskriminierungen
a) Verjährung: Christiane Völling gewinnt in letzter Minute Zwitter-Prozess gegen ehemaligen Operateur
b) Diskrimierung gegenüber Knaben- und Mädchenbeschneidung
c) Diskriminierung Sterilisations- und Kastrationsverbot
5. Wir bitten um Ihre Unterstützung!

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1. Einleitung


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Bis heute werden Menschen, die mit "uneindeutigen" Geschlechtsmerkmalen geboren werden, ohne ihre Einwilligung zwangskastriert, an ihren "uneindeutigen" Genitalien zwangsoperiert und Zwangshormontherapien unterzogen, um ihr "uneindeutiges" Geschlecht zu "vereinheitlichen".

Allein in Deutschland leben schätzungsweise 80’000 bis 100’000 sogenannte Zwischengeschlechtliche, Intersexuelle, Zwitter oder Hermaphroditen.

Juristisch, politisch und sozial werden sie nach wie vor unsichtbar gemacht und ihrer (Menschen-)Rechte beraubt.

Siehe auch: Präambel Forderungsliste Intersexuelle Menschen e.V.:
http://intersex.schattenbericht.org/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV

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2. Studien des Netzwerks Intersexualität/DSD sprechen Klartext


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Bis heute schaut die Bundesregierung weg und negiert diese systematischen Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen, obwohl sie in den letzten zwölf Jahren mehrmals dazu aufgefordert wurde, zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen Implikationen Stellung zu nehmen.

Stattdessen propagiert die Bundesregierung die Zwangseingriffe aktiv mit tatsachenwidrigen Behauptungen:

  • Der Bundesregierung sei nicht bekannt, „dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert“ (14/5627).
  • Die Zwangsoperationen seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten deshalb dem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627).
  • "[G]rößer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden laut Bundesregierung gar beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig befinden" – allerdings vermochte die Bundesregierung dafür keine Belege anzuführen (16/4786).

Ausführlicher: Die Bundesregierung vs. Zwitter:
http://de.indymedia.org/2008/11/233955.shtml

Aktuelle Forschungsergebnisse des "Netzwerk Intersexualität/DSD" beweisen gegenüber den Behauptungen der Bundesregierung einmal mehr das Gegenteil:

  • Die meisten Opfer der menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ihr Leben lang leiden.
  • Nicht zwangsoperierte Zwitter haben im Vergleich eine deutlich höhere Lebensqualität.
  • Trotzdem werden nach wie vor über 80% aller Zwitter meist mehrfach zwangsoperiert.

Aktuelle Studienergebnisse in Deutschland: Ausführlicher hier:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen

Schon 2007 bekräftigte die "Hamburger Studie": Die "Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist eklatant hoch".

Denselben Tatbestand untermauert nun auch eine erste Vorveröffentlichung der "Lübecker Studie", mit 439 ProbandInnen die weltweit bisher größte Untersuchung der Folgen von Zwangsbehandlungen:

Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und auch Eltern intersexueller Kinder "gering" (S. 18 ). Vor allem erwachsene Intersexuelle sind "mit der medizinischen Behandlung sehr unzufrieden" (S. 37), insbesondere diejenigen, die keine psychologische Beratung erhalten haben (S. 19 ). (Obwohl Betroffenenorganisationen seit 15 Jahren psychologische Beratung als Muss fordern, ist sie immer noch die Ausnahme.)

Die Beratungszufriedenheit auch der Eltern ist signifikant geringer als bei "anderen chronischen Erkrankungen" (S. 18 ).

Eltern sowie Kinder und Jugendliche berichten von "Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität" (S. 21). Sowohl das körperliche als auch das psychische Wohlbefinden ist "deutlich niedriger" als bei Nicht-Intersexuellen (S. 21). Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist auch bei erwachsenen Intersexuellen deutlich niedriger als bei Nicht-Intersexuellen (S. 22).

Je mehr Zwangsoperationen durchgeführt wurden, desto stärker leidet die Lebensqualität besonders "im Bereich körperliche Schmerzen" (S. 22). "25 Prozent aller operierten StudienteilnehmerInnen" berichten von Komplikationen "im Anschluss an die Operationen" (S. 17).

Insbesondere bei operativ und hormonell dem weiblichen Geschlecht "angeglichenen" Intersexuellen sind "in den Bereichen allgemeine Lebensqualität, psychische und körperliche Gesundheit deutliche Unterschiede zur Vergleichsgruppe" (S. 22) zu finden.

Insgesamt leiden 45 Prozent der Erwachsenen unter psychischen Problemen, die "insbesondere die Arbeit und den Alltag" beeinträchtigen (S. 37).

Auch im Bereich "Sexualität und Partnerschaft" offenbart die Studie ein erschreckendes Bild:

Während bei nicht-intersexuellen Jugendlichen und Erwachsenen nur eine Minderheit keine Beziehungen und sexuelle Kontakte haben, sind die Verhältnisse bei Intersexuellen genau umgekehrt (S. 30-31).

Fast die Hälfte der Erwachsenen berichten "über eine Vielzahl von Problemen im Zusammenhang mit der Sexualität" wie "sexuelle Lustlosigkeit" oder "Schmerzen", zwei Drittel sehen "einen Zusammenhang zwischen diesen sexuellen Problemen und [...] den [...] medizinischen und chirurgischen Maßnahmen" (S. 31).

Die Studienergebnisse bestätigen überdies, je häufiger Intersexuelle Zwangsoperationen unterworfen werden, desto seltener leben sie in einer festen Partnerschaft – und umgekehrt (S. 31).

Intersexuelle Menschen e.V. fordert Gerechtigkeit!


Entgegen der Lippenbekenntnisse von Medizinern wird nach wie vor die überwiegende Mehrzahl zwischengeschlechtlicher Menschen mehrfach zwangsoperiert.

Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Komitee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstößen gegenüber intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Im kommenden Januar wird die Bundesregierung in Genf Rede und Antwort stehen müssen. Weitere Vorstöße sind in Vorbereitung.

Der Dachverband der deutschsprachigen Selbsthilfegruppen, Intersexuelle Menschen e.V., fordert ein Leben in Würde für alle zwischengeschlechtlichen Menschen, das sofortige Ende der von der Bundesregierung geduldeten, menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen und eine angemessene Entschädigung für alle Opfer!

Öffentliche Veranstaltung am Montag, 15. Dezember 2008 in Berlin:

Podiumsdiskussion, Vorstellung und Übergabe der CEDAW-Schattenberichte an die Bundesregierung >> http://www.boell.de/calendar/VA-viewevt-de.aspx?evtid=5707

Literatur und Quellen:

"Hamburger Studie"
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0

Vorabbericht der "Lübecker Studie"
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen

CEDAW-Schattenbericht
Intersexuelle Menschen e.V.
http://intersex.schattenbericht.org

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3. Schattenbericht und Forderungsliste

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Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Komitee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstössen an intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Bestandteil des Schattenberichts ist die Forderungsliste des Vereins Intersexuelle Menschen e.V., die am 20. Juli 2008 präsentiert wurde.

Darin sind verschiedene Menschenrechtsverletzungen, denen intersexuelle Menschen regelmässig ausgesetzt sind, detailliert dokumentiert.

http://intersex.schattenbericht.org

Dem Schattenbericht beigefügt war auch die Forderungsliste von Intersexuelle Menschen e.V.

http://intersex.schattenbericht.org/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV


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4. Juristische Probleme und Diskriminierungen

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a) Verjährung: Christiane Völling gewinnt in letzter Minute Zwitter-Prozess gegen ehemaligen Operateur

Am 12.12.2007 fand am Landgericht in Köln ein Prozess statt, der auf ein grosses Medienecho stiess und für zwischengeschlechtliche Menschen einen Meilenstein im Kampf für ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Würde darstellte. Mit einer Kundgebung vor dem Landgericht drückte der Verein Intersexuelle Menschen e.V. seine Solidarität mit Christiane Völling aus und forderte: Menschenrechte auch für Zwitter! Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!

Das erste Urteil erfolgte am 6.2.2008 am Landesgericht Köln: Christiane Völling gewann den Prozess gegen Ihren ehemaligen Operateur in erster Instanz! Richter Dietmar Reiprich hielt gleich zu Beginn fest: "Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt."

Vollständiges Gerichtsurteil:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2008/25_O_179_07grundurteil20080206.html)

Prozessbericht und Pressespiegel:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/02/07/Sieg-fur-Christiane-Volling

Am 3.9.2008 lehnte das Oberlandesgericht Köln die Berufung des Chirurgen einstimmig definitiv ab: "Der Chirurg hat die Patientin vor der Operation nicht hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer Einwilligung schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt."

Das Verfahren ging ans Landgericht zurück, wo bis heute über die Höhe des Schmerzensgeldes entschieden wird. Gefordert sind mindestens 100'000 Euro.

Vollständiger Beschluss der Zurückweisung:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koeln/j2008/5_U_51_08beschluss20080903.html

Pressespiegel:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/09/10/Von-Zwangsoperateur-schuldhaft-in-Selbstbestimmungsrecht-verletzt-Zwitterprozess-Pressespiegel-OLG-4608

Viele weitere Betroffene haben keine Möglichkeit zur Klage, da die herkömmlichen Verjährungsbestimmungen und die durch die Zwangsbehandlungen resultierenden Traumata eine rechtzeitige Klage verunmöglichen (ähnlich wie bei sexuellem Kindsmissbrauch). Auch Christiane Völling wäre die Verjährung um ein Haar zuvor gekommen.

b) Diskrimierung gegenüber Knaben- und Mädchenbeschneidung

Bei Knabenbeschneidungen handelt es sich in der Regel ebenfalls nicht um eingewilligte, medizinisch nicht indizierte Operationen, zu welcher auch die Erziehungsberechtigten keine Einwilligungserlaubnis haben. Die hat inzwischen auch das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. festgehalten:
http://web2.justiz.hessen.de/migration/rechtsp.nsf/92FC95DE06E27651C125734C0031B366/$file/04w01207.pdf
Auch bei Phimose wird deshalb inzwischen von Knabenbeschneidungen im Kleinkindalter abgeraten:
http://www.aerztezeitung.de/medizin/fachbereiche/paediatrie/default.aspx?sid=305805

Mittlerweile setzt sich gar die Auffassung durch, Beschneidungen an Knaben ohne Einwilligung der Betroffenen seien generell widerrechtlich:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=61273

Die Mädchenbeschneidung ist in Deutschland unbestrittenermassen prinzipiell strafrechtlich geächtet.

Obwohl juristisch wie auch betreffend der Folgen für die Opfer in vielfacher Hinsicht mit Knaben- und Mädchenbeschneidung vergleichbar, werden genitale uneingewilligte Zwangsoperationen ohne medizinische Indikation an jungen Intersexuellen nach wie vor systematisch praktiziert.

c) Diskriminierung Sterilisations- und Kastrationsverbot

In Deutschland sind Eltern zur Einwilligung von Kastration oder Sterilisation bei ihren Mündeln unbestrittenermassen nicht befugt. Trotzdem werden an Intersexuellen Kindern systematisch Zwangskastrationen durchgeführt.
http://www.lobby-fuer-menschenrechte.de/Intersexualitaet02.php


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5. Wir bitten um Ihre Unterstützung!

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Zwischengeschlechtliche Menschen werden systematisch medizinisch nicht notwendigen, traumatisierenden Zwangsbehandlungen unterworfen. Diese stellen einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar.

Intersexuelle Menschen e.V. fordert die vollständige Umsetzung und Anwendung der Menschenrechte auch für Intersexuelle. Unsere Anliegen dürfen nicht mehr länger ignoriert werden. Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung sind ein Teil unserer Gesellschaft und haben als gleichberechtigte Bürger ein Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung.

Wir bitten den Deutschen Ethikrat, sich mit unserer Situation ernsthaft auseinander zu setzen und seinen Beitrag zu leisten, damit diese Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen gegen Intersexuelle Menschen endlich ein Ende haben.

Ich bitte Sie um eine zeitnahe Stellungnahme.


Freundliche Grüsse

Daniela Truffer
1. Vorsitzende Intersexuelle Menschen e.V.


>>> 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen

Siehe auch:
- Erneute Anfrage um Unterstützung an Deutschen Ethikrat
- Deutscher Ethikrat reiht sich ein unter die MittäterInnen

Tuesday, December 9 2008

«Im Zweifelsfall ein Mädchen» - Zürcher Oberländer, 9.12.08

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Der "Bund"-Artikel von Pascale Hofmeier (Photo: Beat Schweizer), worin Netzwerk-Mitglied Prof. Dr. Primus Mullis frech behauptete, in der Schweiz würden "keine Zwangsoperationen" an Zwittern mehr gemacht, erschien heute auch im "Zürcher Oberländer".
>>>
Online hier

--> Ausführliche Kritik zum Artikel

Monday, December 8 2008

"Who killed David Reimer?" - Wie Judith Butler und Friedemann Pfäfflin die medizinischen Verbrechen des John Money beschönigen und Moneys Schuld stattdessen Milton Diamond und John Colapinto in die Schuhe schieben wollen

Nachtrag 2012/2013: Heinz-Jürgen Voß (Blog) ist einer der leider raren Geschlechterforscher, bei dem die inhaltliche Kritik an der vereinnahmenden Ausblendung der Menschenrechtsverletzungen an Zwittern offensichtlich nicht nur zum einen Ohr rein und zum andern flugs wieder raus ging, sondern der die Argumente und Quellen auch zur Kenntnis nahm, und der seither immer mal wieder beweist, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat und die Anliegen der Überlebenden von kosmetischen Genitaloperationen ernst nimmt. Dafür im Namen dieses Blogs ein ganz herzliches Danke!
>>>
Heinz-Jürgen Voß: "Intersexualität - Intersex. Eine Intervention" (2012)
>>>
Heinz-Jürgen Voß: "Intersex: aktuelle Debatten und Entwicklungen in der BRD" (2013)

>>> Nachtrag 1 & 2 (siehe unten)

("Wer tötete David Reimer?")

Über David Reimers (22.08.1965–04.05.2004) tragische Geschichte muss ich hier wohl nicht ins Detail gehen (ansonsten siehe z.B. Süddeutsche / Wiki / Cicero / FAZ).

Obwohl David Reimer nicht "intersexuell" war, ist die Widerlegung von John Moneys Lügen über sein angeblich "erfolgreiches Zwillingsexperiment" an David und seinem Bruder Brian durch Milton Diamond ab 1995 und John Colapinto ab 1997 eines der entscheidenden Ereignisse (wenn nicht das entscheidende Ereignis), welches dem Kampf der sich organisierenden Zwitter gegen genitale Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und sonstige nicht eingewilligte "medizinische" Zwangs-"Behandlungen" in verstärktem Masse Auftrieb, Öffentlichkeit und Durchschlagskraft bescherte.

Wenig überraschend, dass von Seiten der "Church of Sexology" und der (ihr meist angegliederten) "Gender/Queer/Trans*-EnthusiastInnen" verstärkt daran gearbeitet wird, David Reimer, Milton Diamond und John Colapinto zu diskreditieren, um im Gegenzug John Money und seine speziell für Zwischengeschlechtliche so verhängnisvollen Gender-Thesen zu rehabilitieren.

Eine der beliebtesten Vorgehensweisen dazu ist, John Money aus der Schusslinie zu nehmen – und stattdessen Diamond und Colapinto die Schuld an David Reimers Selbstmord in die Schuhe zu schieben.

So z.B. aktuell Heinz-Jürgen Voß ("Dipl.-Biologin" und Queer-Aktivist) in seiner (ansonsten über weite Strecken lesenswerten!) Besprechung des (leider – ausgerechnet! – mit Ausnahme der Selbsthilfe-Kontaktadressen) empfehlenswerten neuen Buchs von Michael Gröneberg und Kathrin Zehnder (Hrsg.): "Intersex". Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes? Erfahrungen und Analysen (in Querelles-Net. Rezensionszeitschrift für Frauen und Geschlechterforschung). Mangels Belegstellen operiert Voß dabei u.a. mit der rhetorischen Wendung "besser wäre es indes":

[...] Bei dem oft betrachteten ‚Fall‘ John/Joan (bzw. Bruce/Brenda) und der Diskussion seines Selbstmordes ist es relevant – und dies findet sich nicht bei Richter-Appelt (S. 57) –, dass der Selbstmord im Jahr 2001 geschah, ein Jahr nach dem Erscheinen von J. Colapintos Buch, in dem dieser ‚Fall‘ beschrieben wurde und der volle, nicht anonymisierte Name John/Joans auftauchte. Ob das auch ein Auslöser für den Selbstmord war, ist nicht publiziert – besser wäre es indes, John/Joan aus der Position eines ‚Belegs‘ widerstrebender medizinischer Theorien zu entlassen, wegen derer er schon fortwährend zeitlebens befragt wurde (vgl. J. Butler in: Das Argument, 2002, Heft 242).

Bezeichnend auch, dass Voß erst einmal das Sterbedatum von David Reimer um 3 Jahre vorverlegt, um seine "These" besser "beweisen" zu können. Zudem sind die unmittelbaren Auslöser von David Reimers Selbstmord alles andere als "unpubliziert" (wenn auch kaum zufällig eher selten in "Gender-Studies"-Veröffentlichungen). Nebst dem vorangegangenen Selbstmord seines Zwilligsbruders heisst's dazu z.B. auf S. 3 im oben verlinkten Nachruf in der "Süddeutschen":

David Reimer heiratete schließlich eine Frau mit drei Kindern. Er arbeitete in einem Schlachthaus und bastelte an seinem Auto herum. Doch die Schatten des Missbrauchs in seiner Kindheit ließen ihn nicht los. Davids Frau Jane trennte sich nach zehn Jahren von ihm, er verlor seine Stelle und viel Geld bei Fehlinvestitionen.

Auch in diversen Interviews hatte Davids Mutter keinen Zweifel daran gelassen, dass es letztlich John Moneys verbrecherisches "Zwillingsexperiment" war, das David Reimers Leben kostete, wie auch das seines Bruders Brian. (Dass David Reimers Name in Colapintos Buch "auftauchte", erfolgte übrigens mit dessen ausdrücklicher Zustimmung. Zudem litt David Reimer wohl "fortwährend zeitlebens" weniger daran, "befragt" zu werden wegen "widerstrebender medizinischer Theorien" – niemand ausser Money zwang ihn zu Interviews – als vielmehr an den handfesten Folgen von Moneys menschenverachtendem "Experiment" inkl. Zwangskastration.)

Selbstredend, dass der von Voß geforderte Mantel des Schweigens über Davids Leben in erster Linie den Bestrebungen der Zwitter nach Selbstbestimmung schadet – und dafür den gewissenlosen Zwangsoperateuren und sonstigen ("Gender"-)Erben John Moneys nützt.

Kaum zufällig wird der "Colapinto/Diamond sind schuld"-Mythos auch vom früheren Money-Mitarbeiter Prof. Dr. Friedemann Pfäfflin regelmässig als "Tatsache" kolportiert, so z.B. in seinem angeblich objektiven "Gutachten" zu Sabrina Schwanczars Prozess (vgl. Dokumentation Zuschrift 2, worin Pfäfflin ebenfalls Diamond und Colapinto sowie die Zwitterbewegung als Sündenböcke aufbaut, um gleichzeitig seinen Kollegen Money zu entlasten – obendrein mit der "interessanten" rhetorischen Konstruktion, die Diskreditierung als "harmlose Frage" zu tarnen, die dann ruhig "unbeantwortet bleiben [kann]" nach dem Motto "Etwas bleibt immer hängen" – und wie auch Voß ebenfalls mit einem diskreditierenden Seitenhieb gegen die wegen ihrem Eintreten gegen Zwangsoperationen von vielen Zwittern geschätzte Hertha Richter-Appelt):

Diamond nahm 1995 mit dem inzwischen 30 Jahre alten Patienten Kontakt auf, der bis zur Pubertät als Mädchen aufgewachsen war, später aber doch als Mann leben wollte und lebte, ohne dass seine weitere Umwelt von seiner Vorgeschichte wusste, publizierte den Fall und vermittelte den Kontakt zu einem Journalisten, der den Kasus zu einer Monographie verarbeitete [...], aus der Anonymität riss und zum Paradefall einer Falschbehandlung stilisierte, an die sich die Bewegung der Intersexuellen eng anschloss (vgl. Interview mit Milton Diamond, geführt von Hertha Richter-Appelt am 31.1.2008 in Hamburg anlässlich des 2. Interdisziplinären Forums für Intersexualität, Zeitschrift für Sexualforschung, im Druck).

Dass sich der Patient schließlich als Reaktion auf den öffentlichen Wirbel, der um ihn gemacht wurde, suizidierte, wirft die Frage auf, welcher Teil seiner Behandlung, die ursprüngliche oder die spätere Behandlung durch die Medien ihm wohl mehr geschadet hat, doch kann diese Frage hier unbeantwortet bleiben.

Nachtrag 1: Wie Milton Diamond in dem paradoxerweise von Pfäfflin erwähnten Interview mit Hertha Richter Appelt erzählt (Zeitschrift für Sexualforschung 2008; 21; 369 – 376), wollte David Reimer "Money damals [1997] verklagen, aber sein Fall war in den USA bereits verjährt." (S. 174)

Ebenfalls kaum zufällig beruft sich Voss auf ein Vortrags-Transkript von Judith Butler, auf Deutsch in "Das Argument" erschienen als "Jemandem gerecht werden. Geschlechtsangleichung und Allegorien der Transsexualität". Voss' und Pfäfflins These, in Wahrheit seien Diamond und Colapinto schuld an David Reimers Tod und nicht John Money, findet sich dort so zwar nirgends.

Was sich hingegen auch in Judith Butlers Vortrag findet, sind Andeutungen, John Money sei besser als sein (mittlerweile verdient miserabler) Ruf, sowie übelste Verleumdungen, wonach u.a. ausgerechnet Milton Diamond Zwangsoperationen an Zwittern propagieren würde – letztere werden in "feministischen" Publikationen bei Bedarf nach wie vor munter weiter kolportiert (z.B. in Gabriele Dietzes ansonsten sehr lesenswertem Aufsatz "Schnittpunkte. Gender Studies und Hermaphroditismus", in: Dietze / Hark (Hrsg.): "Gender Kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie.", S. 46-68).

Judith Butler verdankt Money und seiner "Gender-Theorie" viel – mehr als sie ihm Credit gibt, nämlich offiziell wohlweislich überhaupt keinen, so dass heutzutage die meisten "Gender-Studies-AnhängerInnen" meinen, Butler habe "Gender" erfunden. Auch mit "Moneys Institut" (wie sie es nennt), der Johns Hopkins Uni in Baltimore, ist sie verbunden durch eine Professur kurz nach ihrem ersten Buch "Gender Trouble". In ihrem Vortrag vom 8. Mai 2001 an der FU Berlin verteidigte sie sowohl Money persönlich wie auch "Moneys Institut" – ebenfalls mittels einer rhetorischen "aber lassen wir es dabei bewenden"-Figur:

Als der Fall vor Kurzem in die Presse kam, kritisierten PsychiaterInnen und praktische ÄrztInnen das Auftreten von Moneys Institut. Sie beanstandeten vor allem Joans Indienstnahme als Beleg für Auffassungen von einer Neutralität der Geschlechtsidentität in der frühen Kindheit, einer Formbarkeit der Geschlechtsidentität und einer vorrangigen Rolle der Sozialisation bei der Herstellung der Geschlechtsidentität. Genau genommen ist das nicht alles, woran Money glaubt, aber lassen wir es dabei bewenden.

Dass Butler zudem Diamond durchgehend als angeblichen Propagandist von Zwangseingriffen "denunziert", ist für mit der Materie Vertraute zwar nur noch lächerlich, hat aber System. Und ist zudem ebenfalls im Vortag von Butler kaum zufällig noch nicht mal seriös belegt, sondern lediglich mit einem einzelnen Zeitungsartikel, der zudem mutwillig "als Knabe erziehen" mit "zu einem Knaben zwangsoperieren" "verwechselt", sowie mit einem Kapitel aus "Sexing the Body" von Fausto-Sterling, in welchem Diamond gar nicht erwähnt wird – auch wenn Fausto-Sterling wohl mit Butler (und auch Voss) gemeinsam hat, dass ihnen "Gender-Fragen" und (ihre eigene) "Gender-Identität" wichtiger sind als ein raschestmögliches Ende der menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen an Zwittern ...

Auch wenn Milton Diamond als menschliches Wesen keineswegs unfehlbar ist, eine solch ungeheuerliche Behauptung wie diejenige Butlers, Diamond propagiere Zwangseingriffe an Zwittern, war im Jahre 2001, als Butler in Berlin ihren Vortrag hielt, klar nicht mehr mit Unwissenheit oder einem ehrlichen Versehen zu entschuldigen zu zahlreich sind gegenteilige Quellen.

Tatsache ist, dass Milton Diamond wohl derjenige Sexologe ist, der sich zumindest seit 1997 bis heute weltweit unermüdlich am nachhaltigsten gegen Zwangsoperationen und sonstige uneingewilligte Zwangs-"Behandlungen" an Zwittern einsetzt (zweifellos mehr als Voss, Butler und Fausto-Sterling zusammen – von Money und Pfäfflin ganz zu schweigen), wofür ihm weltweit praktisch alle Zwitter zutiefst dankbar sind (vgl. z.B. ISNA oder Intersexuelle Menschen e.V.)

Butler verbreitet selbstredend ihrerseits genau dieselbe Tasachenverdrehung auch über Cheryl Chase/ISNA:

[...] Diamond habe den Fall benutzt, um daraus eine Begründung für die operative Behandlung von Intersexen abzuleiten [...] Auf Angiers Frage, ob sie Diamonds Empfehlungen zur operativen Behandlung von Intersexen zustimme, antwortet Chase: ‘Die können sich nicht vorstellen, jemanden einfach in Ruhe zu lassen.’ 

Ebenso wird auch Colapinto von Zwittern in aller Welt für seine Verdienste hoch geschätzt und sein Buch auf praktisch allen einschlägigen Pages empfohlen (z.B. eins / zwei >> recommended resources / drei / vier).

Heinz-Jürgen Voß produziert hingegen trotz allem ev. guten Willen Texte wie z.B. "Geschlecht: Gender is Sex" (Rosa. Zeitschrift für Geschlechterforschung 36, Februar 08, S. 35-37 (Editorial & PDF-Download Inhaltsverzeichnis) --> Online-Volltext der ursprünglichen Version in neuroticker 13, September 2007), quasi eine etwas ausführlichere Blaupause für die Instrumentalisierung von Zwittern durch Transgender als "mehr-geschlechter.de" (vgl. >>> 6. Transgender), aber nach dem selben Motto:

Erstmal sichere ich mir die Aufmerksamkeit des Publikums durch Hinweis auf die krassen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern, um danach sogleich umzuschwenken auf den "Geschlechterzwang, dem wir alle unterworfen sind" und sodann exklusiv auf meine eigenen Transgender-Queer-Partikularinteressen (Abschaffung des Geschlechtereintrags via 3. Geschlecht) –  wenn ich dann später mal nach Belieben mein legales Geschlecht ändern oder weglassen kann und der "konstruierte Geschlechterzwang" so "beseitigt" ist, ist den Zwittern ja ev. auch geholfen – wo die Zwitter bis dahin (und auch danach) abbleiben, ist mir sch...egal ...

Ein Motto, das wohl auch Butler & Co. jederzeit unterschreiben – und nicht nur sie: Viele Zwangsoperateure rechtfertigen ihre Verbrechen bekanntlich ebenfalls auf genau dieselbe Tour: Solange "die Gesellschaft" die Geschlechter nicht abschafft, gehen uns die Menschenrechte der Zwitter am A... vorbei ...

Nachtrag 2: Siehe auch Diskussion im Vereinsforum!

Nachtrag 2012/2013: Heinz-Jürgen Voß (Blog) ist einer der leider raren Geschlechterforscher, bei dem die inhaltliche Kritik an der vereinnahmenden Ausblendung der Menschenrechtsverletzungen an Zwittern offensichtlich nicht nur zum einen Ohr rein und zum andern flugs wieder raus ging, sondern der die Argumente und Quellen auch zur Kenntnis nahm, und der seither immer mal wieder beweist, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat und die Anliegen der Überlebenden von kosmetischen Genitaloperationen ernst nimmt. Dafür im Namen dieses Blogs ein ganz herzliches Danke!
>>>
Heinz-Jürgen Voß: "Intersexualität - Intersex. Eine Intervention" (2012)
>>>
Heinz-Jürgen Voß: "Intersex: aktuelle Debatten und Entwicklungen in der BRD" (2013)

Siehe auch:
- Genitalverstümmelung & Gendertheorie: Hirschfeld-Money-Butler
- Instrumentalisierung von Zwittern: Kritik aus 2002
- Heinz-Jürgen Voß in "Liminalis" 3 (2009) – Zwitter-Vereinnahmung wie gehabt ... 
- Warum Zwitterforderungen, worin zu oberst nicht die schnellstmögliche Beendigung der Zwangsoperationen steht, keine Zwitterforderungen sind, sondern Vereinnahmung
- Vereinnahmung von Zwittern: Das Transgender-Netzwerk Berlin TGNB macht's vor ...
- QueerGrün missbrauchen Zwittersymbol für TSG-Kampagne
- "Intersexualität" = sexuelle Orientierung?!     
- Die Rede von der "psychischen Intersexualität"   

Friday, November 28 2008

"Menschen dazwischen" - Artikel in der LOS (Lesbenorganisation Schweiz) vom Mai 2008

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Seinerzeit in der Hektik untergegangen: Im Mai dieses Jahres erschien in der grössten Schweizer Lesbenzeitschrift LOS ein gelungener, informativer Artikel über Intersexualität, der Klartext redet über Zwangsoperationen, Christiane Völlings Sieg und die wichtigsten Forderungen von Intersexuelle Menschen e.V.

Leider wurde aus Versehen die vorletzte statt die letzte von mir abgesegnete Version abgedruckt. Deshalb ist unsinnigerweise im Zusammenhang mit unsereins von "Zweigeschlechtlichkeit" die Rede. Auch die Verwendung der Bezeichnung "eingeschlechtlich" ist natürlich falsch: "Die aufgezwungene Eingeschlechtlichkeit, der operative Eingriff, der aus Zwittern eingeschlechtliche Menschen macht (...)."

Bei 'meiner' Version stand im Übrigen "der operative und hormonelle Eingriff" ...

Aber ansonsten ein guter Artikel in der grössten Schweizer Lesbenzeitung. Danke!

>>> pdf-Download (360 KB)

Wednesday, November 26 2008

"Das dritte Geschlecht" - Eppendorfer - Zeitung für Psychiatrie 03/2008

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

„Zwitter“ wehren sich gegen genitale Zwangsoperationen zwecks Geschlechtszuweisung

Oops, seinerzeit irgendwie übersehen: Gelungener Artikel von Michael Freitag (PDF-Download 788 kb --> Artikel auf S. 3) in der März-Ausgabe dieses Magazins (Homepage).

Hintergrund des Artikels sind Christianes Prozess und das 2. Interdisziplinäre Forum zur Intersexualität. Zwar scheint der Autor noch nicht immer so ganz sattelfest jenseits der "herkömmlichen" Geschlechter, aber: Die Message stimmt! Nebst ExpertInnen werden Christiane und "Aktivisten von 'Intersexuelle Menschen e.V.'" zitiert. Doch auch die Mediziner liefern wiederholt bemerkenswerten O-Ton, auf den wir sie (und auch all ihre KollegInnen) immer wieder mal öffentlich behaften sollten ...

Monday, November 24 2008

Vorschlag für Kleine Anfrage im Bundestag: "Menschenrechte auch für Zwitter!"

Am 25.09.08 nach Absprache eingereicht bei DIE LINKE von Daniela Truffer im Namen von Intersexuelle Menschen e.V. >>> Chronologie

EINFÜHRUNG

Mit "uneindeutigen" Geschlechtsmerkmalen geborene Menschen werden in unserer Gesellschaft, die nur "Männer" und "Frauen" anerkennt, juristisch, politisch und sozial unsichtbar gemacht und diskriminiert. Die betroffenen Menschen selbst bezeichnen sich als Zwischengeschlechtliche, Hermaphroditen, Zwitter oder Intersexuelle, im Gegensatz zur medizinischen Bezeichnung DSD-Patienten (DSD = Disorders of Sex Development, deutsch: Störungen der Geschlechtsentwicklung), die von den betroffenen Menschen mehrheitlich vehement abgelehnt wird, da sie sich nicht als "gestört", sondern als Menschen mit einer Variation oder Besonderheit empfinden. Als "abnormal" klassifiziert, werden die in der Regel gesunden Körper Intersexueller zum medizinisch-chirurgischen Notfall erklärt: Ohne ihre Einwilligung werden sie meistens im Kindesalter an ihren intersexuellen Genitalien operiert, um diese zu "vereinheitlichen", wobei in Kauf genommen wird, dass ihr sexuelles Empfinden vermindert oder gänzlich zerstört wird. Bis in die 1980er Jahre war es gar üblich, einen zu kleinen Penis beziehungsweise eine zu große Klitoris zu amputieren. Diesen Operationen liegt keine medizinische Indikation zugrunde, es handelt sich um rein kosmetische Eingriffe.

Weiter werden betroffene Menschen ohne ihre Einwilligung systematisch kastriert, das heißt es werden ihnen die in der Regel gesunden, Hormone produzierenden inneren Geschlechtsorgane entfernt, was eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen zur Folge hat. Auch diese Kastrationen haben zumeist keine medizinische Indikation, sondern dienen wiederum lediglich der "Vereinheitlichung". Entsprechend dem "zugewiesenen Geschlecht" und nicht nach den individuellen körperlichen Bedürfnissen werden den Kastrierten ab der Pubertät künstliche Hormone verabreicht, was oft zu gravierenden gesundheitlichen Problemen führt. Zum Beispiel werden bei weiblicher Zuweisung prinzipiell Östrogene verabreicht, obwohl etwa betroffene Menschen mit Androgenresistenz von sich aus Testosterone produzieren würden, die dann vom Körper in Östrogene umgewandelt werden. Die Folgen dieser lediglich auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichteten Hormonersatztherapien sind unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Osteoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust. Schlimmer noch, wollen betroffene Menschen auf eine adäquatere Hormonersatztherapie wechseln, weigert sich die Krankenkasse, für die Kosten aufzukommen, da die Ärzte in der Regel lediglich Privatrezepte ausstellen. Zwar kommen in Deutschland die Ärzte nicht zuletzt aufgrund des Drucks der betroffenen Menschen und ihrer Selbsthilfeorganisationen langsam von der Praxis der systematischen Kastrationen ab. Die große Gruppe der Opfer dieser Praxis bleibt jedoch weiterhin ausgeblendet und ihrem Schicksal überlassen.

Weiter werden die betroffenen Menschen (und oft auch ihre Eltern) über ihre Besonderheit und die an ihnen vorgenommenen Eingriffe und deren lebenslangen Nebenwirkungen und Folgen meist ein Leben lang angelogen, um ihnen ihr wahres Geschlecht zu verheimlichen.

Die meisten Opfer dieser trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse heute noch gängigen Praxis tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ein Leben lang leiden.

In den letzten zwölf Jahren wurde die Bundesregierung durch Kleine Anfragen bisher vier Mal aufgefordert, zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen Implikationen Stellung zu nehmen (Drucksachen 13/5916, 14/5627, 16/4322, 16/4786). Von betroffenen Menschen wurde mehrfach kritisiert, dass auf wiederholt gestellte wesentliche Fragen keine Antworten erfolgten und generell die Sicht der betroffenen Menschen nicht einbezogen, sondern einseitig auf den Parteistandpunkt der "an einer Fortführung der bisherigen Praxis interessiert[en]" Mediziner zurückgegriffen wurde (Schattenbericht CEDAW 2008, 1.2).

Noch als die Bundesregierung zum dritten Mal in Folge nach Statistiken zum Vorkommen und zur Behandlung von intersexuellen Menschen gefragt wurde, lautete die Antwort: "Der Bundesregierung liegen keine bundesweit einheitlichen Erfassungen und Statistiken vor" (16/4786). Zwar wurde 2001 "voraussichtlich ab 2002" eine statistische Erfassung in Aussicht gestellt (14/5627), jedoch später nie mehr darauf Bezug genommen. Zu keinem Zeitpunkt wurden Konsequenzen gezogen aus diesem Nicht-Vorliegen genauer Daten und widersprüchlichen Teilangaben gemäß "Erkenntnisse[n] von Fachgesellschaften und Wissenschaft": zum Beispiel "etwa 150" Geburten jährlich "mit genitale[n] Fehlbildungen" gegenüber "7" Krankenhauseinweisungen "mit der Diagnose Hermaphroditismus [...] im Jahr 2004"; "etwa 1:4500" "genitale Fehlbildungen" gegenüber "etwa 8 000 bis 10 000" "schwerwiegenderen Abweichungen der Geschlechtsentwicklung" (16/4786). Geht es demgegenüber in wissenschaftlichen Publikationen um die Anzahl der zu Behandelnden, so heißt es bei 1:1000 sei keine "eindeutige Zuordnung" möglich, was gut 80 000 betroffenen Menschen entspricht (Finke/Höhne: "Intersexualität bei Kindern" 2008). Umso notwendiger wären deshalb aus Sicht der betroffenen Menschen exakte Statistiken und kontinuierliches Monitoring.

Durchgängig stellte sich die Bundesregierung auf den Standpunkt, die an intersexuellen Kindern ohne ihre Einwilligung vorgenommenen chirurgischen Eingriffe seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten deshalb dem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627). Weiter unterstellt die Bundesregierung, "größer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig befinden", vermag dafür jedoch keine Belege anzuführen (16/4786).

Möglicherweise bezog sich die Bundesregierung auf die in diesem Zusammenhang gerne zitierte amerikanische Studie von Meyer-Bahlburg aus dem Jahre 2004, die angeblich beweist, dass 85% der Befragten sich "mit ihrem Geschlecht zufrieden" zeigten (vgl. Aktuelle Urologie 2005; 36: 90-95). Die in dieser Studie vorgenommene Interpretation der Untersuchungsergebnisse ist jedoch alles andere als unumstritten. So hält etwa Prof. Dr. M. Westenfelder (Krefeld) unter anderem fest:

"Zieht man z.B. in den einzelnen Auswertungsergebnissen die Gruppe der 17 CAIS, die zunächst ohne Intersexproblematik und ohne Operation zunächst als 'normale' Mädchen aufwachsen, von dem Gesamtkollektiv ab, so kommt es in einigen Aussagen zur Umkehr der Ergebnisse." (http://www.thieme-connect.com/ejournals/html/uro/doi/10.1055/s-2005-870031)

Mittlerweile vorliegende Forschungsergebnisse des Netzwerks Intersexualität/DSD unterstreichen dies. So bestätigte etwa die "Hamburger Studie" die von betroffenen Menschen seit Jahren immer wieder betonten, von der Bundesregierung aber bisher ignorierten Missstände in der Behandlung intersexueller Menschen:

"Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertet geschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehr zufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufrieden und das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T. unzufrieden." (Christian Schäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern". http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0)

Auch die aktuelle "Lübecker Studie" bestätigt erneut die notorisch "Hohe Unzufriedenheit mit der medizinischen Behandlung" von Intersexuellen. Eltern von Betroffenen schätzten zudem deren Lebensqualität durchgehend besser ein als die Kinder selbst. (Vortrag von Dipl.-Psych. Eva Kleinemeier und Dipl.-Soz. Martina Jürgensen (Lübeck) anlässlich des 5. Bundesweiten Treffens "Netzwerk Intersexualität e.V." vom 6.9.2008 in Kiel. Erste Resultate in schriftlicher Form werden Anfang Oktober auf der Netzwerk-Homepage veröffentlicht.)

Dasselbe bestätigt die Feststellung: "Auch aus der Literatur ist bekannt, dass sich ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Menschen mit DSD im Lauf der Pubertät oder im Erwachsenenalter entschließt, das ihnen zugewiesene soziale Geschlecht zu wechseln." (M. Jürgensen; O. Hiort; U. Thyen: "Kinder und Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsentwicklung: Psychosexuelle und -soziale Entwicklung und Herausforderungen bei der Versorgung". Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3, March 2008, S. 226-233. http://www.netzwerk-is.uk-sh.de/is/fileadmin/documents/publikationen/Kinder_und_Jugendliche_mit_Stoerungen_der_Geschlechtsentwicklung.pdf)

Diese aktuellen Studien zur Situation Intersexueller in Deutschland unterstreichen also einmal mehr, dass die von der Bundesregierung durchgehend behauptete Ausrichtung auf das Kindeswohl nicht der Realität entspricht.

Aktuelle Entwicklungen deuten darauf hin, dass die zivilrechtlichen, strafrechtlichen und menschenrechtlichen Implikationen der uneingewilligten Behandlungen intersexueller Menschen in der Gesellschaft langsam zu einem Thema werden. Am 3. September 2008 gewann die Intersexuelle Christiane Völling den Prozess gegen ihren ehemaligen Operateur auch in 2. Instanz. Das Kölner Oberlandesgericht bestätigte, wie schon das Landgericht, dass das "Selbstbestimmungsrecht der Klägerin in ganz erheblichem Maße verletzt" worden sei (Az. 5 U 51/08). Mit ihrem Prozess löste Christiane Völling eine bis dahin noch nie da gewesene Medienresonanz aus und etablierte das Wort "Zwitter" in der Öffentlichkeit als positive Bezeichnung für Intersexuelle und ihre Forderung nach Selbstbestimmung (http://www.google.de/search?q=zwitterprozess). Selbsthilfegruppen weisen jedoch darauf hin, dass Christiane Völlings Anzeige buchstäblich im letzten Moment erfolgte, und berichten von einer Vielzahl von anderen Fällen, bei denen wegen der Traumatisierung der betroffenen Menschen und der oft "nicht mehr auffindbaren" Patientenakten eine Anzeige wegen Verjährung schlussendlich nicht mehr möglich war.

Für eine weitere Sensibilisierung der Öffentlichkeit sorgte auch der argentinische Spielfilm "XXY", der die Geschichte einer Intersexuellen erzählt.

Am 20. Juli 2008 publizierte der Dachverband Intersexuelle Menschen e.V. eine umfassende Forderungsliste von betroffenen Menschen zur Verbesserung ihrer Situation (http://www.intersexuelle-menschen.net/forderungen.html). Am 21. Juli 2008 präsentierte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in einem offiziellen Hearing dem UN-Ausschuss CEDAW einen eigenen Schattenbericht, dem die Forderungsliste ebenfalls beigelegt war (http://intersex.schattenbericht.org).

Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung sind ein Teil unserer Gesellschaft und haben als gleichberechtigte Bürger ein Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung. Die an ihnen begangenen medizinisch nicht notwendigen, traumatisierenden Zwangsbehandlungen stellen aus der Sicht der betroffenen Menschen einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar, auf deren Wiedergutmachung sie nach wie vor warten.

FRAGEN


A. Statistiken und Monitoring

1. Wie viele Kinder werden nach den Informationen der Bundesregierung jährlich in Deutschland geboren, die als intersexuell klassifiziert werden können (Angaben bitte in absoluten Zahlen und Prozent)?

Wenn der Bundesregierung keine exakten Zahlen zugänglich sind: Was gedenkt sie zu unternehmen, um solche künftig verfügbar zu haben? Wann wird dies der Fall sein?


2. Wie viele Säuglinge und Kinder im vorpubertären Alter werden pro Jahr nach der Diagnose der Intersexualität geschlechtszuweisenden medizinischen Maßnahmen (Hormonbehandlungen, Kastrationen, kosmetische Genitaloperationen, weitere Eingriffe) unterworfen (bitte aufgliedern)?

Wenn der Bundesregierung keine exakten Zahlen zugänglich sind: Was gedenkt sie zu unternehmen, um solche künftig verfügbar zu haben? Wann wird dies der Fall sein?


3. Geht die Bundesregierung einig mit der Ansicht betroffener Menschen, dass aufgrund der Widersprüchlichkeit der zugänglichen Zahlen und Statistiken zu Vorkommen und Behandlung von Intersexualität exakte Erhebungen und umfassendes Monitoring notwendig wären?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, was ist die Einschätzung der Bundesregierung?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


B. Behandlungszufriedenheit und Kindeswohl

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Äußerungen von Intersexuellen zu den an ihnen vorgenommenen Eingriffen sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


2. Ist der Bundesregierung bekannt, dass aktuelle Studien die Jahrzehnte lange Kritik einer Vielzahl von Intersexuellen an den an ihnen vorgenommenen Eingriffen bestätigt?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche aktuellen Studien zur Behandlungszufriedenheit von Intersexuellen in Deutschland sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


3. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von im Kindesalter am Genitale operierten Intersexuellen an einer Verminderung oder vollständigen Zerstörung der sexuellen Empfindungsfähigkeit leiden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Auswirkungen von Genitaloperationen auf das sexuelle Empfinden sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn der Bundesregierung keine Auswirkungen bekannt sind, was gedenkt sie zu unternehmen, um die Auswirkungen von Genitaloperationen auf das sexuelle Empfinden abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


4. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von kastrierten Intersexuellen an Folgeschäden der einzig auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichteten Hormonersatztherapie leiden?

Wenn ja, welche Folgen sind der Bundesregierung bekannt?
Wie bewertet sie diese und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Verträglichkeit der gängigen, einzig auf das zugewiesene Geschlecht ausgerichteten Hormonersatztherapien abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


5. Ist die Bundesregierung bereit, gemäß den Forderungen betroffener Menschen Forschungsvorhaben mit dem Ziel einer individuell abgestimmten und verträglicheren Hormonersatztherapie zu unterstützen?


6. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl der ohne ihre Einwilligung kastrierten und genitaloperierten Intersexuellen dadurch zusätzlich traumatisiert sind, dass ihnen ihr eigentliches Geschlecht verheimlicht wurde, und dass sie diese Traumatisierung als besonders gravierend empfinden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Äusserungen von Intersexuellen zu Traumatisierungen durch Verheimlichung ihres eigentlichen Geschlechts sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn der Bundesregierung keine bekannt sind, was gedenkt sie zu unternehmen, um die Auswirkungen der Verheimlichung abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


7. Geht die Bundesregierung einig mit der Ansicht betroffener Menschen, dass die Existenz und medizinische Behandlung Intersexueller einen sensiblen und tabuisierten Bereich darstellt, indem in der Vergangenheit zum Teil gravierende Fehler begangen wurden, welche das von der Bundesregierung postulierte Gebot des Kindeswohls prinzipiell in Frage stellen?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, was ist die Einschätzung der Bundesregierung?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


C. Psychologische Unterstützung und Peer Support

1. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Intersexuelle begleitend zu medizinischer Behandlung auch psychologische bzw. psychotherapeutische Betreuung?


2. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Intersexuelle begleitend zu medizinischer Behandlung und eventueller psychologischer bzw. psychotherapeutischer Betreuung auch Peer Support?


3. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Eltern Intersexueller psychologische bzw. psychotherapeutische Betreuung?


4. Erhalten nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Eltern Intersexueller begleitend zu eventueller psychologischer bzw. psychotherapeutischer Betreuung auch Peer Support?


5. Geht die Bundesregierung einig mit der Forderung betroffener Menschen nach Peer Support als die wirksamste Hilfe für Intersexuelle und ihre Eltern?

Wenn ja, was gedenkt sie zu unternehmen, um Peer Support für Intersexuelle und ihre Eltern zu gewährleisten?

Wenn nein, wie schätzt die Bundesregierung die Aussagen von betroffenen Menschen und ihren Eltern ein, dass Peer Support die wirksamste Hilfe darstellt?


D. Unterstützung der Selbsthilfe- und Beratungsinfrastruktur

1. Welche Unterstützung erfahren Intersexuelle und ihre Infrastruktur derzeit aus Bundesmitteln?


2. Hält die Bundesregierung Maßnahmen erforderlich, um den Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur für erwachsene intersexuelle Menschen zu unterstützen?

Wenn ja, was gedenkt sie zu unternehmen, um den Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur zu unterstützen?

Wenn nein, wie schätzt die Bundesregierung das Bedürfnis erwachsener intersexueller Menschen nach einer solchen Infrastruktur ein?


3. Was kann und will die Bundesregierung unternehmen, um die Einrichtung außerklinischer Kontaktzentren mit einem psychologischen Beratungsangebot für Intersexuelle zu fördern, welche die von Fachleuten und Interessensverbänden für wesentlich erachtete Kontaktaufnahme von Eltern und intersexuellen Kindern mit anderen Menschen in der gleichen Situation und die psychologische Beratung aller Beteiligten ermöglichen würde?


E. Akzeptanzfördernde Maßnahmen und Aufnahme in Lehrpläne

1. Ist die von der Bundesregierung in Drucksache 16/4786, Antwort C 5, in Aussicht gestellte Prüfung, ob und inwieweit allgemein zugängliche und akzeptanzfördernde Aufklärungsarbeiten über die Existenz intersexueller Menschen geeignet und erforderlich sind, inzwischen erfolgt?

Wenn ja, zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung gekommen?
Welche Schritte wird die Bundesregierung hin zu einer solchen Aufklärung unternehmen? Schließen diese Schritte die Aufnahme von Intersexualität in die Lehrpläne der Schulen und Berufsausbildungen mit ein, insbesondere in Biologie, Sexualkunde und den sozialen Fächern, sowie in der Ausbildung sämtlicher medizinischer und sozialer Berufe, z.B. von Ärzten, Hebammen, Krankenschwestern, Pflegern, Psychologen, Lehrkräften, Kindergärtnern, Sozialarbeitern usw.?

Wenn nein, in welchem Zeitrahmen wird die Bundesregierung zu entsprechenden Ergebnissen kommen?


F. Entschädigung

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen die Jahrzehnte lange Weigerung der Bundesregierung, die durch die nicht eingewilligten Eingriffe verursachten Leiden zur Kenntnis zu nehmen, als billigendes Inkaufnehmen und damit schädigendes staatliches Handeln betrachtet?

Was ist die Einschätzung der Bundesregierung dazu? Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


2. Ist der Bundesregierung bekannt, dass einer Vielzahl von Intersexuellen durch Traumatisierung, Hormonbehandlung und weitere Folgen der nicht eingewilligten medizinischen Eingriffe Zeit für ihr berufliches Fortkommen genommen wird und sie dadurch Einkommens- und Renteneinbussen erleiden?

Wenn ja, wie bewertet sie das?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, welche Auswirkungen von Traumatisierung, Hormonbehandlung und weiteren Folgen der nicht eingewilligten medizinischen Eingriffe auf das berufliche Fortkommen sind der Bundesregierung bekannt?
Wenn keine, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Auswirkungen abzuklären? In welchem Zeitrahmen?


3. Ist die Bundesregierung bereit, zusammen mit den verantwortlichen ärztlichen Standesorganisationen Mittel zur Entschädigung Intersexueller, die Opfer nicht eingewilligter medizinischer Geschlechtszuweisungen geworden sind, zur Verfügung zu stellen?

Wenn ja, welche Schritte gedenkt die Bundesregierung dahingehend zu unternehmen und in welchem Zeitrahmen?
Wenn nein, warum nicht?


G. Forschungen zum Thema Intersexualität

1. Werden mit Bundesmitteln medizinische Forschungen zu Ursachen und zur Behandlung von Intersexualität gefördert?

Wenn ja, an welche Institutionen und Einrichtungen werden diese in welcher Höhe vergeben?


2. Werden mit Bundesmitteln nicht-medizinische Forschungen zur Evaluation der sozialen und rechtlichen Situation intersexueller Menschen in Deutschland gefördert?

Wenn ja, an welche Institutionen und Einrichtungen werden diese in welcher Höhe vergeben?


H. Menschenrechtsfragen

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Vielzahl von Intersexuellen die nicht eingewilligten Eingriffe und ihre Folgen als eine Verletzung nicht nur der Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde empfinden, sondern auch als eine Verletzung der Kinderrechtskonvention (CRC), des Zivilpakts (ICCPR), des Sozialpakts (CESCR) und der Konvention gegen Folter (CAT)?

Wie bewertet sie diese Vorwürfe?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


2. Ist der Bundesregierung der Schattenbericht CEDAW 2008 des Dachverbandes Intersexuelle Menschen e.V. bekannt?

Wenn ja, wie bewertet sie diesen?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?


I. Forderungen betroffener Menschen

1. Sind der Bundesregierung die Forderungen des Dachverbandes Intersexuelle Menschen e.V. bekannt?

Wenn ja, wie bewertet sie diese?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, in welchem Zeitrahmen wird die Bundesregierung eine Abklärung vornehmen?


Siehe auch: Streicheleinheiten für die Bundesregierung

Saturday, November 22 2008

"Frau und Mann zugleich": A*** im "Soester Anzeiger" vom 22.11.2008

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

A*** [Name auf Wunsch entfernt, ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs] steht zwischen den Geschlechtern
Sie sagt: Oft wird das Skalpell angesetzt, um Körper der Norm anzupassen

Gelungenes Portrait im "Soester Anzeiger" von heute. A*** [Name auf Wunsch entfernt, ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs] redet Klartext u.a. über menschenrechtswidrige Zwangsoperationen und nicht eingewilligte Hormon-"Behandlungen", wie sie an Zwittern nach wie vor praktiziert werden, und über die dadurch entstehenden schwerwiegenden Schäden an Leib und Seele.

Interessant auch der Hintergrundkasten, der das Thema originell und knapp auf den Punkt bringt (auch wenn wie "üblich" letztlich einmal mehr wieder aus der "Störungs"-Perspektive :-(  -- es ist nach wie vor ein weiter Weg ...).

Glückwunsch und Danke!

--> zum Lesen hier oder ins Bild klicken + je nach Browser und Bildschirmgrösse ev. Bild dann nochmals (doppel-)klicken, um das Bild unverkleinert zu sehen

Nachtrag: Siehe auch Diskussion im öffentlichen Bereich des Hermaphroditforums.

Meine 2 Cent dazu: Jeder Artikel, in dem von Zwangsoperationen an Zwittern, Zwangskastrationen und sonstigen nicht eingewilligten "Behandlungen" und ihren Folgen die Rede ist, ist ein guter Artikel. Weil er dazu beiträgt, das Tabu um die realexistierenden Zwitter und die an ihnen begangenen Verbrechen zu brechen sprich den Druck auf die Medizyner zu erhöhen.

Den Vorschlag, der Presse verschärft eigene Glossare um die Ohren zu hauen, find ich gut – her damit!

Sunday, November 16 2008

Angeblich "keine Zwangsoperationen" in der Schweiz gemäss Prof. Primus Mullis - "Der Bund", 15.11.2008

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

In der Ausgabe der Schweizer Tageszeitung "Der Bund" vom 15. November 2008 erschien ein ganzseitiger Artikel "Frauen, Männer und Intersexuelle" über Intersexualität (Bild: Beat Schweizer/Der Bund).

>>> PDF-Download (402 kb)

Die Journalistin Pascale Hofmeier thematisiert anhand meiner Geschichte "Zwangskastrationen" und "Zwangsoperationen", spricht von "Aktivistinnen", die finden, dass ohne die Einwilligung des Kindes "keine kosmetischen Operationen durchgeführt werden" dürfen:

In der Ungewissheit zu leben, sei für Eltern und Kinder zwar schwierig, aber es gebe keine Alternative. «Intersexuelle Kinder sollen in dem Geschlecht aufwachsen dürfen, das sie selber wählen.» Und es müsse künftig «Intersexuell» als Geschlecht neben Mann und Frau zur Wahl stehen – auch für amtliche Dokumente.

"Heute würde man es anders machen", meint dazu Prof. Dr. med. Primus Mullis, Abteilungsleiter für pädiatrische Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, Medizinische Universitäts-Kinderklinik Bern – zumindest "[w]as die Schweiz betrifft":

Seit er am Inselspital arbeite, seit 1991, seien keine Zwangskastrationen mehr durchgeführt worden.

Mullis wehrt sich deshalb entschieden gegen den Vorwurf, "noch immer würden kosmetische Eingriffe an den Genitalien Neugeborener vorgenommen":

«Hier werden keine Zwangsoperationen durchgeführt.» Eine Ausnahme in kosmetischer Hinsicht bestehe bei Mädchen mit einem adrenogenitalen Syndrom, einem Überschuss an männlichen Hormonen. Die oft vergrösserte Klitoris werde wegen des sozialen Stigmas verkleinert.

Fazit: Allen schönen Worten zum Trotz - es wird also doch munter weiter zwangsoperiert, wie Professor Mullis schon andernorts festgestellt hat, wenn er beispielsweise von der unter Ärzten wachsenden Bereitschaft spricht, "ein unbestimmtes Geschlecht auch einmal sein zu lassen, wenn es sich medizinisch vertreten lässt" (1) oder betont, "dass es durchaus Arten von Geschlechtsstörungen gebe, die operationswürdig seien" – was sich jedoch "nur von Fall zu Fall und nicht generell" (2) beurteilen lasse. Bezeichnenderweise handelt es sich bei der "Ausnahme" AGS-"Mädchen" um die zahlenmässig grösste "Patientengruppe".

Der Artikel schliesst mit der Aussage der Soziologin Kathrin Zehnder, die einmal mehr Klartext redet:

«Die Ärzte klären Betroffene und Eltern oft nicht über die Möglichkeiten auf, mit den zuordnenden Eingriffen zu warten», sagt Zehnder. Dies sei einer der Gründe, weshalb Eltern oft nicht den Mut hätten, ihren Kindern die Entscheidung selber zu überlassen.

Bis es einmal soweit ist, muss der Druck auf die Mediziner weiter erhöht werden.

(Nachtrag: Auf bund.ch inzwischen offline.)

>>> Artikel PDF-Download (402 kb)

Siehe auch:
- Genitale Zwangsoperationen am Inselspital Bern 
- Aktion & Offener Brief Inselspital Bern 16.8.2009
- Do 18.3.10: Politischer Vorstoss betreffend kosmetische Genitaloperationen an Kindern im Inselspital Bern

Saturday, November 8 2008

Transsexuelle verklagt Ärzte wegen uneingewilligter Penisamputation

Sabrina Schwanczar war wie alle Transsexuellen in Deutschland damit konfrontiert, dass sie als Bedingung für die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags das Gutachterverfahren durchlaufen und eine "Geschlechtsangleichungs-OP" durchmachen musste. Bei letzterer wurde ihr der Penis ohne informierte Einwilligung kurzerhand amputiert (wie auch vielen Zwittern das "uneindeutige" Lustorgan); von den Ärzten wurde ihr gegenüber dazu behauptet, die Auslösung des Orgasmus sei problemlos auch über Harnröhrenmündung möglich. Aktuell hat Sabrina Schwanczar nun ein Ärztehaftungsverfahren angestrengt, das wir im Folgenden auszugsweise dokumentieren.

Auch wenn wir durchaus nicht mit allen Ansichten und Meinungen von Sabrina Schwanczar einverstanden sind (vgl. z.B. hier), finden wir ihren Prozess wichtig und möchten sie auf diese Weise solidarisch unterstützen.

--> Fortsetzung / Zur Dokumentation

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Saturday, November 1 2008

"Was wollt ihr?" - "Gerechtigkeit!" - "Wann wollt ihr sie?" - "Jetzt!"

Alle Fotos: © Guido / indymedia.org.uk

In den "westlichen Zivilisationen" sind die Menschenrechtsverletzungen an Zwittern durch die genitalen Zwangsoperatioenen wegen der langen Dauer, der Schwere der Verletzungen, der Anzahl der Opfer und der systematischen Durchführung wohl die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen seit dem 2. Weltkrieg. Doch verüben die "Ziviliserten" weiterhin auch insgesamt gravierendere Menschenrechtsverbrechen, doch inzwischen "nur" auswärts in "unterentwickelten Ländern". Doch auch vor der eigenen Haustüre gibt es "Randgruppen", die z.T. gar buchstäblich zum Abschuss freigegeben werden. Ein erster Blick über den "eigenen" Tellerrand hinaus:

In England wird im Durchschnitt jede Woche mindestens ein Mensch von Polizeibeamten getötet, Jahr für Jahr. Viele sterben langsam und qualvoll, z.B. durch Knüppelschläge auf den Kopf. Überproportional viele Opfer gehören ethnischen Minoritäten an, alle sind sie arm und wohnen in der jeweils "falschen" Gegend. Dasselbe Bild auch bei den täglichen vorzeitigen Todesfällen in Gefängnissen und Psychiatrien. Auch die Hinterbliebenen werden von den Behörden systematisch als Menschen 2. Klasse behandelt, nicht ein einziges Mal wurde bisher ein Beamter oder Arzt verurteilt.

Seit 10 Jahren marschieren Angehörige und Freunde der Opfer, organisiert in der "United Families and Friends Campaign (UFFC)", jeweils am letzten Samstag im Oktober in London vom Trafalgar Square zum Regierungssitz an der Downing Street 10, um an die Verstorbenen zu erinnern. Eine Delegation legt Blumen nieder und überreicht eine Petition, während die übrigen etwa 300 TeilnehmerInnen ihrer Wut mit Sprechchören Luft verschaffen.

Jedes Jahr kommen neue Hinterbliebene dazu. Ausser den Direktbetroffenen scheinen diese krassen Menschenrechtsverletzungen und Straftatbesände niemanden wirklich zu interessieren, auch das Medieninteresse bleibt unverhältnismässig gering, um ja das gut funktionierende Tabu nicht in Frage zu stellen. Trotzdem werden die Familien (und die wenigen UnterstützerInnen) auch am 31.10.2009 wiederkommen und ihre Trauer und ihre Wut zeigen.

Alle Fotos: © Guido / indymedia.org.uk

>>> Clip 2007

>>> Bilder, Berichte, Hintergründe (englisch): 2005 / 2006 / 2007 / 2008

>>> PigBrother.info: Tod im Polizeigewahrsam UK / Gerechtigkeit für Jean Charles de Menezes!

Siehe auch:
- Menschenrechtsverbrechen: Wer schweigt, macht sich mitschuldig    
- "Monsanto – mit Gift und Genen"  
- Von der Frauenbewegung lernen    

Wednesday, October 22 2008

Teil 2: Tagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG

Während der 1. Teil der Tagung vom Donnerstag um Fragen zur Ethik von medizinischen Behandlungen ging, die nichts direkt mit "Intersexualität" zu tun haben, aber vielfach ähnliche Fragen aufwerfen und interessante übergreifende Zusammenhänge aufzeigten, ging es am Freitag 10.10.08 in Göttingen spezifisch um die 'Behandlung' "Intersexueller". Ein Fazit zur gesamten Veranstaltung findet sich an Schluss dieses 2. Teils, ebenso wichtiges zur Zukunft der psychologischen Betreuung in Lübeck.

1. Referat
Petra Zackheim
Technion-Israel Institute of Technology, Israel
"Eine Bombe werfen: Dilemmas in einer Intersex-Situation"
Den martialischen Titel begründete die Vortragende damit, dass Eltern, wenn bei Kindern "Intersexualität" diagnostiziert wird, "unter Feuer" stünden, sowie mit der ethischen Sprengkraft des "Dilemmas". Im Zentrum des Vortrags stand ein erschütternder Fallbericht (Publikation in Vorbereitung) über die psychotherapeutische Behandlung (und Erforschung, muss wohl hinzugefügt werden) eines Zwillingspaars arabischer Herkunft mit der Diagnose 17-Beta-HSD-Mangel. Wie es sich "gehört", wurden beide zwangskastriert, Pardon, "orchidektomiert", und zwar im Alter von 4 Jahren, das eine Kind jedoch nur einseitig. Dieses vermännlichte im Zeitraum von 9 1/2 bis 10 Jahren und lebt seither als Knabe, während das andere Kind ein "Mädchen" blieb. Erst darauf begann die Behandlung im medizinischen Zentrum Rambam, wo auch die Vortragende arbeitet. Wie ich es verstand, versucht sie schwerpunktmässig in Interviews herauszufinden, wie sich die "Identität" der Zwillinge unterscheidet. Von der Umgebung sei der "Geschlechtswechsel" des Knaben gut aufgenommen worden. Er selbst habe die neue Rolle akzeptiert, auch wenn er es nicht möge, zu kämpfen, aber er tue es, weil er müsse ("Jungs kämpfen, Mädchen beklagen sich"). Sein Traumberuf sei Modedesigner. Dem Mädchen gehe es vergleichsweise schlechter, was auch damit zusammenhänge, dass in ihrer Kultur eine unfruchtbare Frau es schwer habe. Laut eigener Aussage fühle sie sich "60% weiblich und 40% männlich", wäre aber gern "100% weiblich", da ihr der Weg ihres Bruders nicht mehr offen steht. Sie sage heute noch, die Ärzte hätten ihr als Kind "den Uterus herausgenommen". Ein Argument der Vortragenden gegen chirurgische Zuweisungen war, dass auch bei "normalen" Jungen und Mächen der Prozess der Bewusstwerdung des eigenenen Geschlechts und der damit verbundenen Indentitätsfragen und des Verhaltens ein jahrelanger Prozess sei, dessen Ausgang bei "Intersexuellen" erst recht nicht in den ersten 2 jahren prognostiziert werden könne. Leider bestand ein Grossteil des Referat aus einer Abhandlung über die biologischen Aspekte von "Intersexualität" von gonadalem bis "Gehirn"-Geschlecht (in Anführungszeichen schon bei der Votrtragenden) usw., den wohl die meisten Anwesenden schon mehrfach gehört hatten, weshalb die in der Zusammenfassung angekündigten ethischen Fragestellungen definitiv zu kurz kamen (oder gleich aussen vor gelassen wurden). Zwar lesen sich diese auch in der hiesigen Situation über weite Strecken utopisch, was sie aber nicht weniger interessant macht:

- Wie können wir de Eltern mit angemessener psychologischer Beratung bei der Entscheidungsfindung helfen?
- Wie unterrichten wir Eltern über das da Recht ihrer Kinder "zu wissen"?
- Wie helfen wir den Kindern zu entscheiden? Wieviel zeit braucht es für psychologisch ausgereifte Entscheidungen?
- Wie gerichtet sollen Informationen, Beratung und psychologische Erziehung vermittelt werden?
- Wie kann die Evaluation betreffend Gerichtsverfahren in den psychosozialen Behandlungsplan integriert werden?
- Wie sollen Differenzen in Behandlungsansätzen, speziell im Bezug auf ethische Fragen, gehandhabt werden?

Speziell dünkte mich befremdend, dass die Vortragende von vornherein unterstellte, die Mediziner hätten dem einen Zwillingskind absichtlich lediglich einen Hoden entfernt, und über die Motivation dazu mutmasste, weshalb ich in der Diskussion u.a. darauf hinwies, dass nicht vollständige Entfernung von Leistenhoden auch in Europa öfters zu konstatieren sei, obwohl die Mediziner jedesmal eine vollständige Enfernung angestrebt hätten, und dass auch das mit der immer wieder beschworenen "Krebsgefahr" letzlich bloss eine Ausrede sei, um hormonell "reinen Tisch" zu machen und dann nach eigenem Gutdünken zuweisen zu können, was sich auch daran zeige, dass keine seriösen Untersuchungen zur wirklichen Krebsgefahr vorliegen und auch gar nicht angestrebt werden. Der anwesende Kinderchirurg Maximilian Stehr (siehe auch 1. Teil) führte dazu aus, bei nicht abgestiegenen Hoden sei die Krebsgefahr "10-20 mal höher", was aber in Prozentzahlen immer noch sehr gering sei. Trotzdem empfehle er die prophylaktische Entnahme, da eine verlässliche Vorsorgeuntersuchungen nur mittels Magnetresonanztomographie (MRT) zu machen seien (Ultraschall sei zu wenig sicher), was zu aufwändig sei.

Da frag ich mich doch hier persönlich einfach einmal mehr (siehe Stichwort "Jungenbeschneidung" im 1. Teil), ob irgendjemand auch bei "normalen" Männern und Frauen sowas sagen würde, und weshalb bei solchen Praktiken an Zwittern nach wie vor nicht sogleich ein empörter Aufschrei durch die EthikerInnen-Gemeinde geht, sekundiert von Menschenrechtsorganisationen, Gleichstellungsinstitutionen usw. ...

2. Referat
Maria Luisa Di Pietro / Andrea Virdis
"Klinische und bioethische Aspekte bei Geschlechtszuweisungen von Kindern mit nicht-eindeutigen Genitalen"
Leider benötigte der Referent (die erstgenannte Autorin war nicht angereist) den Löwenanteil seiner Redezeit, um (sichtlich fasziniert) erneut im Detail die Feinheiten von gonadalem bis Gehirngeschlecht abzuhandeln (diesmal ohne Anführungsstriche), gefolgt von den Unterschieden zwischen "pseudo" und "echten" Hermaphroditen sowie der Lebensgeschichte von David Reimer (dass auch dessen Bruder sich umbrachte, liess er hingegen aus). Sprich für Ethik blieb erst recht kaum mehr Raum. Immerhin forderte der Referent abschliessend:

- Einbezug der Patienten
- Psychologische Begleitung
- Informierte Einwilligung für chirurgische Eingriffe und Hormonbehandlungen

Und konstatierte dazu lapidar, dass Ethiker jeweils nur Empfehlungen machen können, falls sie überhaupt gefragt werden; in der Regel finde kaum ein klinischer Bezug oder Kontakt statt, dass Ärzte sich jemals nach ethischen Implikationen z.B. bei Zwangsoperationen erkundigen, sei die absolute Ausnahme (ein Beispiel, von dem er erzählte, fand unter den anwesenden Fachpersonen dann auch entsprechende Beachtung). Zudem führe das Thema "Intersexualität" auch im medizinethischen Diskurs eine krasse Randexistenz, im Fachbuch für Medizinethik bekomme es grad mal 2 Seiten. (Wäre noch hinzuzufügen, dass auch in Deutschland ethische Aspekte in der Mediziner-Ausbildung sowieso nach wie vor systematisch ausgeblendet werden.)

In der Diskussion räumte M. Stehr ein, die modernen OP-Techniken zur Klitorisreduktion würden darauf abzielen, das Empfinden zu erhalten, genaueres wisse man aber erst "in 10-20 Jahren" (das übliche Argument, doch m.E. immerhin schon mal ehrlicher, als die auch schon z.B. am diesjährigen Netzwerktreffen vernommene Behauptung, die Empfindlichkeit bleibe zu 100% erhalten, das sei einfach so). (Leider kannte ich zu diesem Zeitpunkt das Fachbuch "Ethics and Intersex", Ed. Sharon Sytsma, noch nicht, das auch in der im Eingang ausgelegten Fachliteratur aus der Universitatsbibliothek der co-veranstaltenden Abteilung für Medizinethik und Geschichte der Medizin fehlte. Darin werden die aktuellen Untersuchungen zum Thema diskutiert -- mit dem Ergebnis, dass auch die neueren OP-Methoden das sexuelle Empfinden klar beinträchtigen, vgl. S. xxiv -- nachzulesen hier -- und S. 208-210 im Beitrag "Adult Outcomes of Feminizing Surgery" von Sarah Creighton. --> Vielsagende Besprechung des Buches durch eine Juristin in der CH-Ärztezeitung, ab S. 2.)

Eva Kleinemeier vom Netzwerk (Lübeck) hielt im weiteren Verlauf der Diskussion erfreulicherweise fest, die bei ihnen betreuten Fälle von nicht operierten Mädchen mit AGS würden belegen, dass es für Kinder durchaus möglich sei, mit uneindeutigem Genitale zu leben. (Eine Erkenntnis, die auch von Eltern in den Medien wiederholt berichtet wurde eins / zwei -- bloss die Zwangsoperateure stellen sich nach wie vor taub.)

3. Referat
Claudia Wiesemann
Universität Göttingen
"Ethische Richtlinien für die medizinische Handhabung von Intersexualität von Kindern und Jugendlichen: eine kritische Würdigung"
Eine Vorbemerkung: Die Referentin ist sowohl Vorsteherin der co-veranstaltenden Abteilung für Medizinethik und Geschichte der Medizin wie auch der Arbeitsgruppe Ethik des Netzwerks, welche im März 2008 in der Monatsschrift Kinderheilkunde deren "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD" publizierte (--> PDF-Download 35 kb, kurze Kritik dazu siehe Nellas Rede am Netzwerktreffen).
Als Einstieg ins Thema wählte die Referentin die Berichterstattung in den Medien zu Christianes Prozess (siehe Pressespiegel eins / zwei), welche sie als "aufgeschlossen" und "nicht auf einen Freak-Standpunkt reduzierend" lobte (siehe dazu auch das Gigi-Editorial#54).
Danach kritiserte sie Money's Zwangszuweisungs-"Optimal Gender Policy", welche
- die Idee von körperlicher Integrität und Wohlbefinden "auf nicht-uneindeutige Genitale reduziert",
- den durch die Medizinalisierung enstehenden Schaden "unterschätzen" würde und
- auf "Nicht-Offenlegung" gegenüber den Patienten beruht, was Peer Support faktisch verunmögliche.
Demgegenüber würde das von Kipnis/Diamond geforderte Moratorium von nicht-eingewilligten OPs
- Gefahr laufen, die Bedürfnisse des Kindes zu unterschätzen, um ihm späteren Nutzen als Erwachsenen zu ermöglichen
- zu sehr das Konzept der Irreversibilität betonen
- und die Eltern-Kind-Beziehung ignorieren. (Das "ewige Thema", vgl. hierzu auch die jüngste "Zeit-Kontroverse".)
Cheryl Chase betone demgegenüber den Konflikt zwischen Eltern und Kind.
Weiter kritisierte die Referentin, für das absolute "Beste Interesse" des Kindes gäbe es letzlich gar keinen Massstab. Es bestehe ein Konflikt zwischen auf der einen Seite den
- Ansprüchen von Familien auf Privatspäre und Familienautonomie (gemeint war wohl eher Elternautonomie)
und andrerseits Ansprüchen der Kinder auf
- ihre individuellen Rechte
- Mitbeteiligung der Kinder in der Entscheidungsfindung
- Förderung einer guten Eltern-Kind-Beziehung
- Peer Support
- dass lediglich Behandlungen angeboten werden mit guter bzw. bester erwiesener Wirkung
- wozu Ergebnisstudien zu tätigen seien.

In der abschliessenden Diskussionsrunde hielt die Referentin zudem fest, es gebe in der BRD sehr wohl Gesetze gegen Kastration und Sterilisation bei Kindern -- sie würden aber bei Intersexuellen nicht angewendet. Der Referent vom Vortag Pekka Louhiala forderte die EthikerInnen zudem auf, sich vermehrt in die Belange und Kreise der MedizinerInnen einzumischen (und begrüsste dazu explizit die Publikation der Netzwerk-Empfehlungen in der Kinderheilkunde-Monatsschrift), zu oft würden EthikerInnen unter sich bleiben und ihre Empfehlungen deshalb erst recht nie berücksichtigt. Ich selber tat mein möglichstes, u.a. für die Forderungsliste des Vereins und den Schattenbericht Werbung zu machen. (Leider schaffte ich es nicht mehr, noch eine grundsätzliche Debatte zum Gebrach den Un-Begriffs DSD anzuzetteln zu versuchen, der auch innerhalb der Ethikempfehlungen unhinterfragt durchgehend gebraucht wird, obwohl die Ethikgruppe behauptet, "das Unbehagen und die Ablehnung von Fremdzuschreibungen" zu "respektieren" und "alternative Eigenentwürfe" zu "akzeptieren".)

Die grösste Bombe der Abschlussrunde liess jedoch Eva Kleinemeier so nebenbei platzen: Nach Einstellung der Bundesförderung für das Netzwerk steht in Lübeck ab 2009 keine psychologische Beratung für Eltern und junge Zwischengeschlechtliche mehr zur Verfügung!  (Nachtrag: Kommentar von Eva Kleinemeier) (Wohlbemerkt dasselbe Netzwerk, das immer wieder behauptet, psychologische Betreuung sei im Rahmen des Netzwerks selbstverständlich und in Lübeck würden PsychologInnen "Bereits in ersten Diagnosegesprächen" beigezogen! Obwohl -- neben Peer Support -- psychologische Betreuung nebst von EthikerInnen auch von sämtlichen Selbsthilfegruppen seit Jahrzehnten als unabdingbar gefordert werden -- eine zentrale Forderung z.B. auch der bestimmt nicht als ärztefeindlich einzustufenden AGS-Eltern- und Patientenitiative seit 1992! Weiterer Kommentar wohl überflüssig ...)

Fazit: Obwohl ich mir in der Diskussion wiederholt als Störefried betrachtet vorkam, war die Tagung interessant und ist meine persönliche Bilanz positiv. Aus meiner Sicht wäre wünschenswert, dass sich künftig vermehrt betroffene Menschen in solche Diskussionen einmischen würden (auch wenn ich verstehen kann, dass das nicht einfach ist, erst recht wenn mensch emotional weniger Abstand hat als ich und sich dann haarsträubende Dinge anhören muss und gar noch angefeindet wird). Die z.B. an der Vereinsitzung im Vorfeld geäusserten Bedenken, die Tagung würde primär der eigenen Absicherung des Netzwerks für die nicht besonders griffigen und auch nicht wirklich menschenrechtskonformen Ethik-Empfehlungen dienen, fand ich jedoch so nicht bestätigt. Trotzdem fand ich es bedenklich, wie gross auch bei den EthikerInnen der Abstand zu den Opfern der Medizyner m.E. nach wie vor fühlbar ist. Manche der geladenen Expertinnen", vor allem, wenn es spezifisch um "Intersexualität" ging, dünkten mich überfordert und nicht wirklich übergreifend mit dem Thema vertraut. Bezeichnand auch das geringe (Fach-)Publikumsinteresse an der Tagung.

Bleibt zum Schluss die bohrende Frage, inwieweit solche Ethikveranstaltungen und -Gruppen den Medizynern nicht letztlich doch bloss als Feigenblatt dienen, um möglichst ungestört weiter zwangsoperieren zu können ... Von diesen menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen werden sie letztlich keine Ethikdebatten und sonstige Unverbindlichkeiten abhalten, sondern erst massenhaft weitere Gerichtsprozesse -- und andere Formen konkreten Drucks in der Öffentlichkeit, im Parlament und nicht zuletzt auch vor ihrer eigenen Haustüre!

Siehe auch: Lübeck: Doch psychologische Versorgung auch 2009?

Monday, October 13 2008

Di 14.10. um 22.15 VOX: Zwitter @ Stern TV: "Weder Mann noch Frau! Leben als Zwitter"

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Morgen Dienstag zu leider üblich später Stunde kommt die langerwartete Reportage auf Stern TV mit Claudia und Frances Kreuzer, Raphael "Garou" L. (der Begründer des Hermaphroditforums) und Elisabeth "Museli" Müller ("Hermaphrodit Müller, bitte, ich bin keine Frau")! Wir sind gespannt!

Die offizielle Ankündigung enthält zwar wieder einmal mehr die üblichen kleinen Fehler (z.B. "Hoden quasi per Kastration entfernt" -- per Zwangskastration müsste das doch heissen!), doch ansonsten klingts schon mal nicht schlecht ...

Wiederholung: Sa 18.10.2008 um 13:40h

Besprechung: Stern TV ist klar eine Boulevardsendung. Nachdem früher dieses Jahr in Spiegel TV und Explosiv (Produktion: Motivi) Zwitter 2x in Boulevard-Gefässen von offensichtlich inkompetenten SendungsmacherInnen m.E. nicht angemessen präsentiert wurden (um nicht zu sagen unter aller Sau), trotz des mutigen und klaren Einsatzes der darin auftretenden Zwischengeschlechtlichen und ihrer FreundInnen, kommen nun Norbert und Heike Güldenpfennig und zeigen ihren unfähigen KollegInnen, was eine Harke ist ...

Sprich die Sendung erfüllt zwar klar die geforderten Boulevard-Massstäbe, d.h. es geht um krasse Geschichten, heftige Emotionen, Sex, Geschlechtsteile und nicht-alltägliche Menschen, doch diese Menschen werden trotz der genreüblichen Gemeinplätze wie Homestory samt Familienfotos etc. mit Würde dargestellt (so zumindest mein Eindruck), dürfen ausführlich Klartext reden -- und, ganz neu: Auch die Kommentar-SprecherInnen reden Klartext, auch über Zwangseingriffe und Menschenrechtsverletzungen (statt wie bei den bisherigen Boulevard-Sendungen stets beim obligaten Mann-Frau-Blabla stecken zu bleiben).

Schon im Vorspann nahm der Sprecher das Wort "Zwangskastration" in den Mund -- und das nicht zum letzten Mal! Auch "Zwangsoperationen" und ihre Folgen wurden in jedem Block von neuem eindringlich thematisiert, ebenso die Forderungen nach Selbstbestimmung für Zwitter. Hipp, hipp! Weiter fand ich cool, wie auch deutlich gezeigt wurde, dass die sympathisch dargestellten Protagonist_innen sich klar gegen das an ihnen begangene Unrecht zur Wehr setzen, und das mit Schwung und nicht erst sei gestern! Sogar die Homepage der xy-frauen.de wurde vom Sprecher genannt. Einzig bei Garou fand ich schade, dass seine Arbeit mit dem Hermaphroditforum und auch seine Homepage in der Sendung nicht entsprechend gewürdigt wurden, sondern schlicht unter den Tisch fielen.

Doch alles in allem, zumindest von mir aus ein ganz herzliches Dankeschön an die SendungsmacherInnen Norbert und Heike Güldenpfennig! Und herzlichen Dank einmal mehr auch allen beteiligten Zwittern und ihren FreundInnen! Es braucht eine gehörige Portion Mut, so an die Öffentlichkeit zu gehen (erst recht, wenn mensch wie im vorliegenden Format faktisch kein Vetorecht hat das fertige Produkt erst nachträglich sieht), doch ohne (auch) solchen mutigen Einsatz kommt die Sache der Zwitter letztlich kaum voran. Diese Sendung war m.E. ein weiterer grosser Schritt nach vorn in Richtung Abschaffung des Zwittertabus, und damit auch ein guter Tritt ans Schienbein aller unverbesserlichen Zwangsoperateure & Co. ...

Siehe auch: Öffentliche Kommentare auf dem Vereinsforum und auf dem Hermaphroditforum

Sowie auch: Gästebucheinträge auf Garous Homepage und Diskussionen im Esoterik-Forum und WurzelWerk-Forum.

Tuesday, October 7 2008

"Aussen bin ich hübsch, doch im Innern ruiniert" - Migros-Magazin 41, 06.10.2008

PDF Download 300kb

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Gelungener Artikel von Thomas Müller (PDF Download 298kb). Nella redet einmal mehr Klartext über die an Zwittern systematisch begangenen Menschenrechtsverletzungen:

(Nachtrag: Siehe auch Diskussion auf dem Vereinsforum)

"Daniela Truffer (43) kam als Zwitter auf die Welt. Schritt für Schritt wurde sie zur Frau umoperiert. Heute kämpft sie für das Recht auf Selbstbestimmung und für die Anerkennung eines 3. Geschlechts: intersexuell. [...] Mit den «genitalen Zwangsoperationen» würden Ärzte mehr Probleme verursachen als lindern, davon sind die Selbsthilfegruppen der Betroffenen überzeugt. [...] «Selbstbestimmung für Intersexuelle ist auch heute noch kein Thema», bedauert Truffer. Deshalb setzt sie sich vehement dafür ein, dass nicht lebensnotwendige Operationen künftig nur noch mit dem Einverständnis der Betroffenen durchgeführt werden. Fachleute aus der Sozialwissenschaft [...] unterstützen diese Auffassung, namhafte Juristen wie die Zürcher Rechtsprofessorin Andrea Büchler pochen ebenfalls auf auf das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen."

Christianes Prozess wird erwähnt, Intersexuelle Menschen e.V. sowie der CEDAW-Schattenbericht, desgleichen die systematischen Zwangskastrationen an Zwittern und ihre Folgen. Die Schweizerische Selbshilfegruppe ist ebenso verlinkt wie die Elternselbsthilfe.

Auch die Sozialwissenschafterin Kathrin Zehnder (die schon in der Schweizer Ärztezeitung kein Blatt vor den Mund nahm) redet in einem "ExpertInnen-Kasten" Klartext, etwa auf die Frage, ob "diese operativen Eingriffe" an Kindern "sinnvoll" seien:

"Nein. Solche Eingriffe sind schwerwiegend, schmerzhaft, sie können die sexuelle Sensibilität nehmen und sind nicht rückgängig zu machen. [...]"

Auch Zehnder kritisiert zudem die Ignoranz der Ethikkommissionen und anderer Aufsichtsorgane:

"Die Schweizerischen Ethikkommissionen haben sich bisher mit dem Thema nicht auseinandergesetzt. Auch die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften schweigt."

Umso erfreulicher, dass das Migros-Magazin in einer Auflage von knapp 1.6 Millionen herauskommt und in der Deutschschweiz eine MACH-Reichweite von 55% erreicht. Denn je mehr Leute von den an Zwittern systematisch begangenen Menschenrechtsverletzungen erfahren, desto schneller werden die Medizyner endlich mit den genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und sonstigen nicht eingewilligten "Behandlungen" aufhören müssen ...

(Bild: Esther Michel / Migros-Magazin)

Thursday, October 2 2008

"Intersexualität: Aus der Rolle gefallen" - Zeit v. 18.09.2008 + Nachtrag

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Interessanter Artikel von Eike Bruhin, der einerseits aufzeigt, dass sich im in den letzten Jahren dank Protesten von Zwittern einiges getan hat, aber andererseits (meist unfreiwillig) auch demonstriert, dass es sich dabei faktisch erst um schüchterne Anfänge handelt, und nicht längst überwundenes Unrecht, wie der Artikel schon zu Beginn (und auch später wiederholt) vollmundig behauptet:

"Eines von 5000 Kindern kommt nicht als Junge oder Mädchen zur Welt. Es sind Intersexuelle. Früher wurden sie oft vorschnell operiert und auf ein Geschlecht festgelegt. Heute lassen Eltern und Ärzte ihnen Zeit."

Typisch ebenfalls, wie mit 1:5000 auch die Zahl der real existierenden Zwitter in bekannter Manier heruntergespielt wird -- wie mittlerweile jedesmal, wenn's um die Folgen der menschenrechtswidrigen Zwangseingriffe geht. (Geht es hingegen um den 'Zugang' der Medizyner zur "Patientengruppe", nennen sie auch heute noch 1:1000.)

Auch die altbekannte, von den menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen ablenkende Reduktion des Themas auf "Gender" bzw. "Rollenverhalten" darf im Titel einmal mehr nicht fehlen ...

Korrekt hingegen, dass der Artikel den Schwerpunkt auf die positive Geschichte eines am äusseren Genitale unoperierten jungen Zwitters legt und einmal mehr plausibel aufzeigt, dass all die "Riesenprobleme", von denen die Medizyner jeweils fabulieren, die angeblich "nur durch frühzeitige Operationen" vermieden werden könnten, klar aus der Luft gegriffen sind -- zumindest solange die Eltern den Medizynern nicht auf den Leim kriechen und die wirklich gravierenden Probleme durch Lügen, Versteckspielen und Einwilligung in Zwangsbehandlungen erst hervorbringen. Positiv auch, dass "Intersex-Aktivisten", die z.B. "»Zwangskastrationen«" anprangern, zumindest mehrmals erwähnt werden, beginnend mit Michel Reiter, über den (und andere) die Zeit ja schon 2000 zum ersten Mal berichtete. Auch "XXY" und Christianes Prozess werden angeschnitten.

Wesentlich mehr Raum als die "Intersex-Aktivisten" erhalten selbstverständlich "ExpertInnen" vom Netzwerk, die -- Überraschung! -- unablässig betonen, heute sei mittlerweile natürlich alles "gaanz anders". Obwohl die Erfahrungen der Selbsthilfegruppen nach wie vor regelmässig das Gegenteil beweisen. Einmal mehr dürfen die "ExpertInnen" auch unwidersprochen die ewiggleiche Mär verbreiten, Zwangsoperationen seien hilfreich, wenn "die Eltern [...] Zweifel" hätten, ob ihr Kind mit den "Hänseleien" in "Kita oder Schule" "selbstbewusst umgehen" könnte, dann seien "kosmetische Operationen" nämlich notwendig, weil das Kind sich nur operiert "geborgen fühle", und das sei doch das "Entscheidend[e]", so zumindest Ute Thyen. In die gleiche Kerbe haut einmal mehr auch Knut Werner-Rosen: "Es geht nicht um die Operationen, es geht um die Eltern-Kind-Beziehung"  (Nachtrag: und stellt obendrein in einem Nebensatz "Aktivisten" frech mit "Ärzte[n]" gleich, die "den Familien die »richtige« Behandlung vorschreiben", was sie aber "Niemand dürfe", sprich offensichtlich auch nicht Menschenrechte oder das Strafgesetzbuch).

Als ob Eltern, die ihr Kind anlügen, es genitalen Zwangsoperationen unterwerfen und zum versteckspielen zwingen, jemals eine positive Beziehung zu ihrem "intersexuellen" Kind aufbauen könnten -- geschweige denn umgekehrt ...

In einer auf den Artikel folgenden Korrespondenz bemängelten auch Claudia und Frances Kreuzer, in Tat und Wahrheit habe sich "gar nichts geändert, nur die medizinischen Versprechen sind erneuert, modifiziert worden", und wiesen auch auf die unzähligen "zerbrochenen Familien" hin -- eben als Folge davon, dass Eltern, die ihre Kinder zwangsoperieren lassen, ihnen damit nie die von den "ExpertInnen" immer behaupteten "lebendige[n] Beziehungen" mit "Wertschätzung und Anerkennung" bieten können, weil sie ihnen damit immer nur zu verstehen geben, dass sie eben nicht willkommen und auch nicht geachtet und respektiert sind ...

Aber Hauptsache, den zwangsoperationsgeilen Medizynern geht auch weiterhin die gutbezahlte "Arbeit" nicht aus ...

Nachtrag: Leser_innenbrief von Claudia und Frances Kreuzer

Sunday, September 28 2008

Krebs- und andere Lügen am laufenden Band

"Das wird ja heute sowieso nicht mehr gemacht." So lautete unlängst die Antwort der Endokrinologin Dagmar l'Allemand am 5. Netzwerk-Treffen in Kiel auf die dort geäusserte Kritik an Zwangskastrationen und deren gesundheitliche Folgen. Bei anderen Gelegenheiten, insbesondere Medienauftritten, beteuern auch l'Allemands BerufskollegInnen immer wieder, dass Zwangskastrationen an Zwittern heute nur noch in Notfällen durchgeführt werden (eins, zwei, drei). Auch wenn dann andernorts wieder das Gegenteil propagiert respektive praktiziert wird (eins, zwei, drei).

Leider werden Zwischengeschlechtliche auch heute noch allzu oft systematisch zwangskastriert und an ihren Genitalien zwangsoperiert. An dieser menschenverachtenden Praxis hat sich (noch) nicht durchgängig wirklich etwas geändert.

Vor einigen Tagen erfuhr ich von einem Mitzwitter, der unter anderem als Onlineberater der Selbsthilfegruppe XY-Frauen tätig ist, dass sich eine Humangenetikerin an uns gewandt hat, die voller Zweifel ist, weil sie gleich drei Teenager mit CAIS betreut, die gemäss einem Kinderchirurgen alle "prophylaktisch" kastriert werden sollen!

Gerade bei der kompletten Androgenresistenz CAIS ist die Entartungsgefahr bei Gonaden jedoch sehr niedrig, wie mehrere Studien beweisen. Überflüssig zu sagen, dass in keinem der drei obengenannten Fälle die Gonaden entartet sind! Und trotzdem will der Kinderchirurg sie um jeden Preis rausschneiden.

Gut, dass es mittlerweile Selbsthilfegruppen und andere Interessensverbände von Zwittern gibt, die in der Öffentlichkeit Präsenz markieren und den Lügen so mancher Mediziner ein Bein stellen können! Gut, dass es auch verantwortungsvolle MedizinerInnen gibt, die sich über ihre Handlungen und deren Auswirkungen Gedanken machen - bevor es zu spät ist! Und für alle anderen bleibt zu hoffen, dass Christianes Prozess lediglich der Anfang war ...

Wednesday, September 10 2008

Von Zwangsoperateur "schuldhaft in Selbstbestimmungsrecht verletzt" - "Zwitterprozess"-Pressespiegel OLG 4.9.08

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

>>> Vollständiges Gerichtsurteil (5 U 51/08)

Christianes glanzvoller definitiver Sieg auch vor dem OLG vom 3.9.2008 vermochte wieder mehr Medienecho zu generieren als als die provisorische Rückweisung zuvor. Erneute Steigerung verspricht die nächste Prozessphase, wenn über die Höhe des Schmerzensgeldes entschieden wird.

Das gute Dutzend Berichte, das ich bisher auf dem Netz fand (Ergänzungen willkommen) deckt einmal mehr ein grosses Spektrum ab von mehr oder weniger engagierten, sauber recherchierten Berichten bis hin zu grotesken Verzerrungen offensichtlich überforderter bis mutwilliger RedakteurInnen.

(Bild: Der Westen)

Positiv ist m.E. zu werten, dass es einmal mehr bei der überwiegenden Mehrzahl der Berichte klar um einen "Zwitterprozess" geht, in dem ein Zwitter wegen einer uneingewilligten OP klagt und gewinnt, weil "Der Chirurg [...] die Patientin vor der Operation nicht hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer Einwilligung schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt" hatte, wie das OLG in seinem nicht mehr anfechtbaren Urteil unmissverständlich festhielt, sowie (meine Hervorhebungen):

"Nach den Angaben in der Behandlungsdokumentation der Medizinischen Klinik über die der Klägerin zuteil gewordene Aufklärung bedarf es keiner näheren Erörterung, dass das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin in ganz erheblichem Maße verletzt worden ist. Damit fehlte es an einer wirksamen Einwilligung der Klägerin in die Operation, so dass sie ohne Zweifel rechtswidrig war." (5 U 51/08)

Christianes Prozess hat das Wort "Zwitter" als positive Bezeichnung für Zwischengeschlechtliche und ihre Forderung nach Selbstbestimmung im Nachrichten-Mainstream durchgesetzt!

Die Bezeichnung "Intersexuell" ist demgegenüber in der Berichterstattung rückgängig, aber immer noch verbreitet. Trotzdem tun sich die deutschen Medien nach wie vor schwer, beispielsweise Zwangskastrationen oder genitale Zwangsoperationen an Zwittern deutsch und deutlich unmissverständlich anzuprangern -- das Ausmass der Ignoranz und chronischen Verdrängung der ganzen Wahrheit ist (wie auch in anderen Fällen) allem Erreichten zum Trotz nach wie vor erschreckend hoch.

Gerne verzichten könnte ich z.B. auf die ständigen Versuche, den eigentlichen Sachverhalt auf die Konstellation "Krankenpflegerin gegen Arzt" zu reduzieren und damit quasi als interne Standesangelegenheit zu entsorgen, oder mittels der typischen Trans*-Berichterstattungs-Terminologie wie "Geschlechtsumwandlung", "weibliche Geschlechtsorgane" usw. das eigentliche Kernthema einmal mehr aussen vor zu lassen -- verhängnisvolle Tendenzen, wie sie in den allermeisten Berichten zumindest durchscheinen. Handkehrum steht das Wort "Zwitter" noch in den peinlichsten Meldungen mindestens einmal.

Diese z.T. gegenläufigen Tendenzen finden sich alle bereits in der ursprünglichen Pressemitteilung des OLG vom 4. September unter dem Titel Kölner »Zwitterprozess«: Krankenpflegerin obsiegt auch in 2. Instanz (auch als PDF-Download 16 kb), mit Ausnahme der "Geschlechtsumwandlung" sind alle obigen Zitate dort bereits mehr oder weniger prominent versammelt. Dass das OLG sich überhaupt bemüssigt sah, eine Pressemitteilung zu verschicken (was es nur sehr unregelmässig tut), bekräftigt einmal mehr das öffentliche Interesse am "Zwitterprozess". (Nachtrag: Inzwischen ist auch das vollständige Urteil online.)

Auch der Kölner Stadtanzeiger schreibt sowohl von einem "beispiellosen" Zwitterprozess und "Selbstbestimmungsrecht verletzt", die Schlagzeile lautet jedoch einmal mehr Krankenpflegerin siegt gegen Chirurgen, oder zumindest ist die Rubrik "Zwitterprozess" in deutlich kleinerer Schrift wiedergegeben.

Später Sieg im "Zwitterprozess" heissts bei der Kölner Rundschau, sinnigerweise in der Rubrik »Kriminalität«!

"Zwitterprozess": Krankenpflegerin siegt erneut gegen Chirurgen berichtet Der Westen in einem korrekten Artikel. Prominent werden einmal mehr auch die Demo und die Forderung "Menschenrechte auch für Zwitter" bildlich in Erinnerung gebracht (siehe Bild oben). Danke!

"Zwitterprozess": Krankenpflegerin siegt erneut gegen Chirurgen titelte auch die Ibbenbürener Volkszeitung.

Mit "Zwitterprozess: Christiane/Thomas V. bekommt wieder Recht hat der Express offensichtlich noch nicht mitbekommen, dass Christiane unterdessen nicht mehr Thomas ist. Cool hingegen, dass bildlich einmal mehr die Demo und das klassische Transparent "Menschenrechte auch für Zwitter" rezykliert werden.

(Bild: Express)

Chirurg muss intersexueller Frau Schmerzensgeld zahlen, betiteln die Aachener Nachrichten die ddp-Meldung.

Intersexuelle setzt Klage gegen Arzt wegen OP durch, die Agentur afp bleibt als einzige komplett am alten medizinischen Begriff kleben und lässt "Zwitter" aussen vor.

Super erfreulich m.E. hingegen, wie über das Urteil auf Branchenwebsites berichtet wird, so z.B. auf gesundheitsnews.imedo.de, www.anwalt.de/rechtstipps, anwaltmagazin.de, www.juraforum.de, www.jurion.de, juris.de! Respekt!

Nachtrag: Auch die Ärzte Zeitung vermeldet unter der Rubrik "Praxis & Wirtschaft" die dpa-Meldung: "Zwitterprozess": Chirurg muss Krankenpflegerin entschädigen.

Ebenso die Frankfurter Rundschau unter dem Titel "Zwitterprozess": Abermals Sieg gegen Chirurgen.

Titelmässig definitiv auf dem absteigenden Ast ist Focus mit Köln: Schmerzensgeld für ungewollte OP (interessant auch die Kommentare dort).

Von wegen Kommentare: Interessant auch, wie auf de.indymedia.org einmal mehr Kommentare stehen bleiben à la "Jedoch kann ich mir auch nicht so recht vorstellen das ein Arzt z.B. bei jemanden einbricht, die Persin mit Gas beteubt und dann eine Geschlechtsentfernung durchführt." oder "was war der arzt denn für einer, dass er 100.000 € bezahlen muss. hat der überhaupt soviel geld?", während Kritik daran versteckt wird (aber mitunter trotzdem wirkt).

Gleich mit zwei Titeln für denselben Bericht operiert topnews.de -- leider alle beide von der unsichtbarmachenden und verleugnenden Art: Schmerzengeld wegen Entfernung weiblicher Geschlechtorgane rechtens & Schmerzengeld wegen Entfernung weiblicher Geschlechtorgane bestätigt

Das Schlusslicht der Berichte bildet diesmal wohl die net-tribune.de mit Schmerzensgeld für Geschlechtsumwandlung ohne Zustimmung.

Letzterer Artikel wurde zu Recht auch im Hermaphroditforum kritisiert (06.09.2008 11:30). Ihn jedoch zugleich als Referenz für die "Medienresonanzen" zu erklären und den Prozess wie scheints im OII-Forum deshalb als Ganzes gleich in Frage zu stellen halte ich für wenig sinnvoll, siehe auch Nellas Kommentar (08.09.2008 22:13) und die sonstige Diskussion. Und die ebenfalls von Michel im selben Thread auszugsweise zitierte Dissertation (05.09.2008 17:49) verpasst m.E. vor lauter Fixierung auf die (eigene) (Trans-)Gender-Thematik (einmal mehr) komplett, worums eigentlich geht (wie auch schon "Liminalis"), und spiegelt dadurch (einmal mehr) bloss die üblichen Vereinnahmungsmechanismen. Umgekehrt waren an der Demo zum 1. Prozesstag auch einige solidarische Transgender vertreten, die vormachten, dass es auch anders geht ...

PS: So nebenbei -- hätten Nella und ich die Pressearbeit "unseren Transgenderfreunden" überlassen oder uns an deren Kategorien angelehnt, hätte es die Presseresonanz entweder gar nicht gegeben, oder sie wäre von Stichworten wie "Geschlechtsidentität", "sexuelle Minderheiten", "(Trans-)Gender" usw. usf. geprägt geworden ... wie ja auch in einzelnen Fällen versucht wurde, Christiane als "(Trans-)Genderkämpferin" vor den eigenen Karren zu spannen.

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Bericht 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Christiane: Der kampf geht weiter
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG
- Internationale Artikelübersicht auf OII

- Zwitterprozess: 3. Prozesstag 20.5.09 – "Netzwerk DSD" fällt Chirurgen in den Rücken  

Sunday, September 7 2008

Rede 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008


Fast hätte ich es nicht geschafft. Wie immer, wenn ich vor Ärzten reden oder vor einem Spital eine Presseerklärung abgeben muss, wurde ich schon drei Tage vorher langsam richtig unausstehlich, der Weltuntergang steht unmittelbar bevor und ich hoffe nur noch, dass er rechtzeitig stattfindet oder ich schwer krank werde, damit ich nicht hingehen muss. Damit es so richtig schlimm wird, fange ich dann jeweils noch einen Streit mit meinem Freund an, sage ihm, ich wolle ihn nie mehr sehen, verpasse deswegen meine Therapiestunde und werde gewalttätig gegen meinen Laptop, auf dem ich neben dieser blöden Pressemitteilung noch diese besch... Rede für das Netzwerktreffen schreiben soll.

Am nächsten Tag sehen wir beide ziemlich alt aus, sind immer noch unausstehlich und zu nichts zu gebrauchen. Irgendwie kriegen wir dann den Flug trotzdem noch und schaffen es tatsächlich nach Kiel, wo wir um elf todmüde in der Jugendherberge ankommen, das Bett beziehen und immer noch kaum zu etwas zu gebrauchen sind.

Am nächsten Morgen stehe ich um sieben auf. Mir ist schlecht, aber wenigstens haben wir immer noch keine Rede, also muss ich auch keine halten, weshalb es mir gleich ein bisschen besser geht. Als ich gerade meinen Mitzwittern eine SMS schicken will, dass meine Rede leider ausfällt und sie umdisponieren müssen, steht mein Freund auch auf und überredet mich, nach dem Frühstück zu versuchen, die Rede doch noch zu schreiben. Mir ist schon wieder schlecht, ich habe keinen Hunger mehr und will mein Müsli nicht essen. Aber er lässt nicht locker: "Ein Löffel für Hiort, ein Löffel für Schwöbel, ein Löffel für Krege, ..." Ich könnte ihm den Teller ins Gesicht schmeissen, aber irgendwie kriegen wir dann anschliessend in einer knappen Stunde doch noch sowas wie eine Rede hin und schaffen es noch knapp pünktlich zum Netzwerktreffen, das jedoch eine Stunde früher als auf meiner Traktandenliste vermerkt begonnen hatte. Da ich die Rede nirgends ausdrucken konnte, schreibe ich sie von Hand ab und halte sie dann tatsächlich und ohne dabei zu kotzen. Darauf bin ich am meisten stolz.

Und hier ist sie:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitzwitter

Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, hier ein paar Worte sagen zu dürfen. Ich bin Daniela Truffer, 1. Vorsitzende von Intersexuelle Menschen e.V. Vielleicht nicht gerade der ideale Job für jemanden, der Mühe hat, sich vor Menschen hinzustellen wie jetzt.

Von klein an wurde ich gelehrt, nicht aufzufallen, am Besten gar nicht zu existieren. Von klein auf habe ich gelernt, dass es etwas Unangenehmes ist, im Mittelpunkt zu stehen und alle schauen mich komisch an und reden über mich. Wenn ich mich jetzt heute trotzdem hier hinstelle, so tue ich dies in der Hoffnung, dass Kinder wie ich es einmal besser haben sollen.

Ich werde oft gefragt, ob es mir nicht recht sei, dass ich zu einem Mädchen gemacht wurde, ob ich lieber ein Junge wäre. Dass ich vielleicht hätte so sein wollen, wie ich geboren wurde, steht dabei meistens gar nicht zur Debatte. Und am allerwenigsten, dass ich nie gefragt wurde, dass ich das hätte selber entscheiden wollen. Weil das ist es, was mir am meisten zu schaffen macht, sogar noch mehr als die Folgen der Operationen, dass ich nie gefragt wurde, dass von allem Anfang über mich hinweg entschieden wurde.

Damit stehe ich nicht allein. Praktisch alle zwischengeschlechtlichen Menschen, die ich kenne, leiden darunter, dass über sie bestimmt wurde und sie nicht selber entscheiden durften. Nicht umsonst steht in praktisch allen Forderungslisten von zwischengeschlechtlichen Menschen zuoberst die Frage der Einwilligung der Betroffenen. So auch in der Forderungsliste unseres Vereins. Über eine inhaltliche Stellungnahme des Netzwerks zu dieser würden wir uns nach wie vor freuen.

Leider ist Selbstbestimmung für Intersexuelle aber auch heute immer noch kein Thema. Zwar wurden in den letzten Jahrzehnten in der Behandlung vor allem technisch viele Fortschritte gemacht, dieser zentrale Punkt wurde jedoch nie grundsätzlich angegangen. Zwar gibt es heute Empfehlungen der Arbeitsgruppe Ethik des Netzwerks, die in die richtige Richtung zielen. Jedoch sind sie nach wie vor unverbindlich formuliert und haben bloss fakultativen Charakter. In den aktuellen Behandlungsrichtlinien und Artikeln der ausführenden Ärzte steht jedoch weiterhin praktisch ausnahmslos, operative Eingriffe seien am Besten in den ersten zwei Lebensjahren durchzuführen. Zu fragen seien lediglich die Eltern, das Einverständnis der zu operierenden Person sei nicht erforderlich.

Dem möchte ich als Betroffene einmal mehr entschieden widersprechen.

Glücklicherweise deuten die aktuellsten Entwicklungen darauf hin, dass die zivilrechtlichen, strafrechtlichen und menschenrechtlichen Implikationen solcher uneingewilligter Behandlungen in der Gesellschaft langsam zu einem Thema werden. Vor zwei Tagen gewann Christiane Völling auch in der 2. Instanz den Prozess gegen ihren ehemaligen Operateur. Mit ihrem Prozess löste sie eine bis dahin noch nie da gewesene Medienresonanz aus. Weitere Prozesse von ohne ihre Einwilligung operierten Intersexuellen sind in Vorbereitung.

Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Kommittee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstössen an intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Am kommenden Januar wird die Bundesregierung in Genf Rede und Antwort stehen müssen. Weitere Schattenberichte, unter anderem zur Kinderrechtskonvention, sind ebenfalls in Vorbereitung. Ebenso weitere politische Vorstösse und Aufklärung der Öffentlichkeit.

Im Namen der Betroffenen möchte ich Sie einmal mehr bitten, der zentralen Frage der Selbstbestimmung und informierten Einwilligung von zwischengeschlechtlichen Menschen endlich auch in der Praxis umfassend Rechnung zu tragen.

Solange noch die Möglichkeit besteht, dies von sich aus zu tun.

Ich danke Ihnen.

P.S.: Beim Mittagessen plauderten wir angeregt mit den Vertreterinnen der AGS-Selbsthilfegruppe und einem Professor. Als ich einmal mehr auf die Folgen von Zwangsoperationen hinwies, sagte dieser, wohl ohne es böse zu meinen: "Aber sie stehen ja noch hier." Wenn der wüsste ...

Ausführlicher Bericht über das Treffen:
5. Netzwerk-Treffen Kiel 6.9.08: Intersexualität ade - DSD ahoi!

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