Sunday, October 5 2008

Prof. Dr. Heino Meyer-Bahlburg: John Moneys Erbe

Zum ersten Mal wurde ich auf Prof. Dr. Heino F. L. Meyer-Bahlburg aufmerksam durch seine menschenverachtende, Pardon: "objektive" Studie, die in Deutschland 2005 vorgestellt worden war unter dem bezeichnenden Titel "Intersexuelle Syndrome - Drittes Geschlecht nicht erwünscht". Darin (und auch in unzähligen weiteren, nicht minder "seriösen" Studien) behauptet Meyer-Bahlburg allen Ernstes, Zwitter würden Zwangsoperationen frenetisch befürworten:

"Die überwiegende Mehrheit zeigte sich mit ihrem Geschlecht zufrieden und lehnte ein drittes Geschlecht strikt ab (85%). Die Befragten gaben an, dass sie sowohl mit dem äußeren Aussehen als auch mit der Funktionalität ihrer Geschlechtsorgane zufrieden seien [...]. Auch sollte nach Ansicht der Patienten die übliche Praxis beibehalten werden, dass die operativen Eingriffe bereits in frühen Jugendjahren durchgeführt werden sollten."

Meyer-Bahlburgs "objektive Studie" war derart offensichtlich gezinkt, dass in einem Kommentar dazu auch Prof. Dr. Westenfelder (der kaum verdächtig ist, Zwangsoperationen prinzipiell in Frage zu stellen) unmissverständlich festhielt:

"Zieht man z.B. in den einzelnen Auswertungsergebnissen die Gruppe der 17 CAIS, die zunächst ohne Intersexproblematik und ohne Operation zunächst als "normale" Mädchen aufwachsen, von dem Gesamtkollektiv ab, so kommt es in einigen Aussagen zur Umkehr der Ergebnisse. Bei der Bewertung der Aussagen zum OP-Trauma bleiben Art und Umfang der Operationen, z.B. bei CAIS und Minipenis, völlig unberücksichtigt [...]."  ("Retrospektive Erforschung des Intersex-Phänomens notwendig" -- Nach unten scrollen --> "Zweiter Kommentar")

Im vor kurzem erschienenen 'Medizyner-Gruselkabinett', Pardon: "medizinischen Fachbuch" mit dem Titel "Intersexualität bei Kindern" (Kurzbesprechung bei Kitty) darf Meyer-Bahlburg wieder unwidersprochen wüten, so u.a. in einem Abschnitt "Patientenmeinungen zur Genitaloperation": "Fast 70 Prozent" der Zwitter seien betreffend der von "Intersex-Aktivisten" aufgestellten Forderung "Genital-OPs nur mit Einwilligung der betroffenen Menschen" "nicht damit einverstanden", "47 Prozent" würden sich zudem für Zwangsoperationen "im ersten Lebensjahr" aussprechen, usw., ad nauseam. (S. 42)

Na ja, Meyer-Bahlburg kostete es wohl schon Überwindung, statt 85% neu bloss noch 70% Zwangs-OP-Befürworter_innen unterstellen zu dürfen. Ausserdem sehr bezeichnend: Dass Zwangsoperationen unterlassen werden sollten (bzw. nur schon könnten), stand in seiner "objektiven Studie", welche die "Intersex-Aktivisten" angeblich Lügen straft, "rein zufällig" gar nicht erst zur Auswahl, sondern lediglich "(1) nicht vor dem Erwachsenenalter, (2) nicht vor der Adoleszenz, (3) nicht vor dem Grundschulalter", (4) nicht vor dem 2. oder 3. Lebensjahr, (5) im ersten Lebensjahr" -- um hier nur auf den alleroffensichtlichsten Kotzbrocken hinzuweisen. Wie auch Kitty treffend schrieb: "man erstellt seine Studien so, wie sie gerade benötigt werden". Was (einmal mehr) zu beweisen war.

Trotz (oder wohl eher wegen?) seiner offensiv zur Schau getragenen Unseriösität und Menschenverachtung ist Prof. Dr. Heino F. L. Meyer-Bahlburg aktuell sowas wie der ungekrönte "Intersex"-King der "Church of Sexology": Mitglied im DSM-III Gender Disorder Comittee, bei DSM-IV Mitglied im Subcommittee on Gender Identity Disorders, seit 2002 Mitglied des Committee on Intersexuality for the Harry Benjamin International Gender Dysphoria Association (Quelle: en-Wiki) -- allesamt Schlüsselpositionen bei der laufenden Sexologen-Medizyner-Kampagne, Zwitter (noch) schlechter zu stellen und nach Belieben als "geisteskrank" einstufen und auf die "Trans-Schiene" abschieben zu können. Umgekehrt wird Meyer-Bahlburg auch gern zitiert, wenn es gilt, Transsexualität als "hirnorganische Intersexualität" zu definieren.

Laut seiner Homepage liegt Meyer-Bahlburgs "primärer klinischer Schwerpunkt" bei "Intersexuality / Disorders of sex development in children, adolescents, and adults.
Gender variants / Gender identity disorder in children and adolescents."  Wenig überraschend hatte er bereits mit dem unseligen John Money zusammengearbeitet. Als Milton Diamond im November 1995 in San Francisco das erste Mal die Wahrheit über David Reimer an einem medizinischen Kongress präsentierte, war Meyer-Bahlburg prompt zur Stelle, den "klinischen Standpunkt", Pardon: genitale Zwangsoperationen nichtsdestotrotz unverdrossen weiter zu propagieren: Ohne Zwangsoperationen bestünde die Gefahr, Kinder "würden von ihren Eltern abgelehnt und von anderen Kindern gehänselt zu werden" (vgl. diesen englischen Bericht von Bo Laurent a.k.a. Cheryl Chase). Die übliche Leier, die heute noch auch im Netzwerk bei Bedarf immer neu aufgewärmt wird. Als wären Eltern, die ihren Kindern genitale Zwangsoperationen aufzwingen, jemals fähig, diese wirklich zu akzeptieren, egal ob operiert oder nicht. (Aber das ist ein anderes Thema.)

Kaum ein heute aktiver Wissenschaftler hat wohl mehr zwangsoperierte Zwitter auf dem Gewissen als der saubere Prof. Dr. Heino F. L. Meyer-Bahlburg. Trotzdem wurde er von der "Intersex-Community" bisher kaum je prinzipiell kritisiert oder gar an den Pranger gestellt. Im Gegenteil, etwa bei OII könnte Mensch eher das Gefühl bekommen, dieses "Verdienst" stünde eigentlich Alice Dreger zu. Verkehrte Welt?

(Ums einmal mehr klar zu sagen, ich finde DSD Scheisse und letztlich wohl ein Eigentor. Trotzdem, nach allem was ich weiss, hat kaum jemand den Zwangsoperateuren bisher mehr eingeheizt und ihnen das zwangsoperieren mehr vergällt als Dreger, Chase a.k.a. Laurent & ISNA.)

Meiner Meinung nach höchste Zeit, den offensichtlich hoffnungslos zwangsoperationsgeilen Prof. Dr. Meyer-Bahlburg vermehrt öffentlich unter die Lupe zu nehmen und blosszustellen -- und falls er z.B. wieder mal in der Gegend an einem Kongress seine menschenverachtenden "objektiven Studien" predigt, ihm ev. auch mal etwas direkter die Meinung zu geigen ...

Nachtrag: Interessant auch diese Netzwerkpublikation aus 2001, die unverfroren behauptet, für die (erstrebte) "stabile Geschlechtsidentität" sei u.a. "das Alter des Kindes zum Zeitpunkt der genitalen Korrektur" entscheidend -- unter Berufung auf eine, ähm, Studie von Na-wem-wohl? (Plus von wegen psychologische Betreuung der Eltern, dass die mittlerweile quasi selbstverständlich sei -- obwohl Selbsthilfegruppen meist vom Gegenteil berichten. Plus, dass einmal mehr vollmundig angekündigt wird, es werde jetzt angeblich statistisch erfasst, wie häufig "Intersexualität" nun wirklich sei, bzw. "eine Studie zur Inzidenz von Intersexualität beim Neugeborenen unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Endokrinologie durch[geführt]". Und weiter mag ich fürs erste gar nicht mehr gucken ...)

Friday, October 3 2008

Forum für intersexuelle Menschen wieder online!

Nach einer langen "Reparatur-Auszeit" ist das Vereinsforum nun wieder online, inkl. allen alten Posts! Danke!

--> http://intersex-menschen-xyfrauen.de/phpBB2/

Zwangskastration und die Folgen: Zwitter bezahlen nicht nur mit ihrer Gesundheit!

Obwohl ich Mediziner sonst meide wie der Teufel das Weihwasser, raffte ich mich vor einigen Monaten dazu auf, eine Ärztin aufzusuchen, da ich gerne einigermassen gesund alt werden möchte. Vor fünf Jahren wurde bei mir eine Osteopenie (Vorstufe zu Osteoporose) diagnostiziert, die ich der Zwangskastration verdanke, wie viele meiner Mitzwitter, die schon lange eine fortgeschrittene Osteoporose haben, obwohl einige sogar viel jünger sind als ich! Da ich seit einiger Zeit vermehrt Rücken-, Knie- und Hüftschmerzen habe, befürchtete ich, dass sich meine Knochendichte in den letzten Jahren verschlechtert haben könnte.

Meine Ärztin überwies mich deshalb am 31.7. an ein Osteoporose-Institut in Zürich. Dieses Institut wendet das DEXA-Messverfahren an. Es handelt sich um ein sehr genaues Messverfahren, bei dem die Knochendichte an drei verschiedenen Stellen gemessen wird.

Die Krankenkasse empfiehlt für ein sicheres Resultat alle drei Messungen, übernimmt die Kosten jedoch nur dann vollumfänglich, wenn die Messung medizinisch indiziert ist. Sprich: Nur, wenn ein begründeter Verdacht auf Osteoporose zur Messung führt, in meinem Fall aufgrund der Zwangskastration und bereits bestehender verringerter Knochendichte gegeben, sonst bezahlt die Krankenkasse nur eine Messung, die anderen beiden muss man selber bezahlen. Damit muss man sich vor der Behandlung mittels Unterschrift einverstanden erklären. Was ich auch getan habe, denn:

Ich ging davon aus, dass meine Ärztin das Osteoporose-Institut über den Grund der Messung in Kenntnis gesetzt hat, dass somit kein Zweifel daran bestand, dass ich in die Kategorie derer gehöre, bei denen eine Messung medizinisch indiziert ist. Zusätzlich informierte ich die Ärztin vom Osteoporose-Institut während des Vorgesprächs detailliert über meine 'Diagnose' und erklärte die Zusammenhänge zwischen Zwangskastration und Osteoporose trotz Hormonersatztherapie - und anstehender Knochendichtemessung. Ihre "persönliche Frage" am Schluss, ob ich denn nun menstruiere, liess mich wieder einmal kurz erschaudern, ich ging jedoch trotzdem davon aus, dass der Fall klar sei.

Denkste: Ein paar Tage später flattert eine Rechnung ins Haus, gemäss der ich die zwei Extra-Messungen selber bezahlen muss, und zwar umgerechnet 55 Euro, mit der Begründung:

"Diagnose: Hypogonadismus / Nichtpflichtleistung"

Fazit: Als zwangsoperierter Zwitter, der aufgrund der Kastration eine verminderte Knochendichte hat und eine regelmässige Knochendichtenmessung zwecks Schadensbegrenzung benötigt, soll ich jetzt noch draufzahlen, als ob ich diese ganze Misere selber verschuldet hätte, und meine zerstörte Hormonzufuhr aufgrund Zwangskastration wird unter "Unterfunktion der Keimdrüsen" subsumiert!

Meine Ärztin klärt nun ab, wie dieses "Missverständnis" entstehen konnte.

Im Übrigen nehme ich neben Östrogel seit neuestem auch Testogel - was bei einigen XY-Zwittern zu einer bemerkenswerten Verbesserung der Knochendichte und somit Steigerung der Lebensqualität geführt hat.

Letztere(s) gibt's jedoch für unsereins nur auf Privatrezept ... wenn überhaupt, wie gerade auch Kitty am eigenen Leib erfuhr ... obwohl sie zuvor sowohl in Lübeck beim Netzwerk und in Berlin bei der Charité mehrfach um Unterstützung nachgefragt hatte ... Fortsetzung folgt ...

Nella

Thursday, October 2 2008

"Intersexualität: Aus der Rolle gefallen" - Zeit v. 18.09.2008 + Nachtrag

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Interessanter Artikel von Eike Bruhin, der einerseits aufzeigt, dass sich im in den letzten Jahren dank Protesten von Zwittern einiges getan hat, aber andererseits (meist unfreiwillig) auch demonstriert, dass es sich dabei faktisch erst um schüchterne Anfänge handelt, und nicht längst überwundenes Unrecht, wie der Artikel schon zu Beginn (und auch später wiederholt) vollmundig behauptet:

"Eines von 5000 Kindern kommt nicht als Junge oder Mädchen zur Welt. Es sind Intersexuelle. Früher wurden sie oft vorschnell operiert und auf ein Geschlecht festgelegt. Heute lassen Eltern und Ärzte ihnen Zeit."

Typisch ebenfalls, wie mit 1:5000 auch die Zahl der real existierenden Zwitter in bekannter Manier heruntergespielt wird -- wie mittlerweile jedesmal, wenn's um die Folgen der menschenrechtswidrigen Zwangseingriffe geht. (Geht es hingegen um den 'Zugang' der Medizyner zur "Patientengruppe", nennen sie auch heute noch 1:1000.)

Auch die altbekannte, von den menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen ablenkende Reduktion des Themas auf "Gender" bzw. "Rollenverhalten" darf im Titel einmal mehr nicht fehlen ...

Korrekt hingegen, dass der Artikel den Schwerpunkt auf die positive Geschichte eines am äusseren Genitale unoperierten jungen Zwitters legt und einmal mehr plausibel aufzeigt, dass all die "Riesenprobleme", von denen die Medizyner jeweils fabulieren, die angeblich "nur durch frühzeitige Operationen" vermieden werden könnten, klar aus der Luft gegriffen sind -- zumindest solange die Eltern den Medizynern nicht auf den Leim kriechen und die wirklich gravierenden Probleme durch Lügen, Versteckspielen und Einwilligung in Zwangsbehandlungen erst hervorbringen. Positiv auch, dass "Intersex-Aktivisten", die z.B. "»Zwangskastrationen«" anprangern, zumindest mehrmals erwähnt werden, beginnend mit Michel Reiter, über den (und andere) die Zeit ja schon 2000 zum ersten Mal berichtete. Auch "XXY" und Christianes Prozess werden angeschnitten.

Wesentlich mehr Raum als die "Intersex-Aktivisten" erhalten selbstverständlich "ExpertInnen" vom Netzwerk, die -- Überraschung! -- unablässig betonen, heute sei mittlerweile natürlich alles "gaanz anders". Obwohl die Erfahrungen der Selbsthilfegruppen nach wie vor regelmässig das Gegenteil beweisen. Einmal mehr dürfen die "ExpertInnen" auch unwidersprochen die ewiggleiche Mär verbreiten, Zwangsoperationen seien hilfreich, wenn "die Eltern [...] Zweifel" hätten, ob ihr Kind mit den "Hänseleien" in "Kita oder Schule" "selbstbewusst umgehen" könnte, dann seien "kosmetische Operationen" nämlich notwendig, weil das Kind sich nur operiert "geborgen fühle", und das sei doch das "Entscheidend[e]", so zumindest Ute Thyen. In die gleiche Kerbe haut einmal mehr auch Knut Werner-Rosen: "Es geht nicht um die Operationen, es geht um die Eltern-Kind-Beziehung"  (Nachtrag: und stellt obendrein in einem Nebensatz "Aktivisten" frech mit "Ärzte[n]" gleich, die "den Familien die »richtige« Behandlung vorschreiben", was sie aber "Niemand dürfe", sprich offensichtlich auch nicht Menschenrechte oder das Strafgesetzbuch).

Als ob Eltern, die ihr Kind anlügen, es genitalen Zwangsoperationen unterwerfen und zum versteckspielen zwingen, jemals eine positive Beziehung zu ihrem "intersexuellen" Kind aufbauen könnten -- geschweige denn umgekehrt ...

In einer auf den Artikel folgenden Korrespondenz bemängelten auch Claudia und Frances Kreuzer, in Tat und Wahrheit habe sich "gar nichts geändert, nur die medizinischen Versprechen sind erneuert, modifiziert worden", und wiesen auch auf die unzähligen "zerbrochenen Familien" hin -- eben als Folge davon, dass Eltern, die ihre Kinder zwangsoperieren lassen, ihnen damit nie die von den "ExpertInnen" immer behaupteten "lebendige[n] Beziehungen" mit "Wertschätzung und Anerkennung" bieten können, weil sie ihnen damit immer nur zu verstehen geben, dass sie eben nicht willkommen und auch nicht geachtet und respektiert sind ...

Aber Hauptsache, den zwangsoperationsgeilen Medizynern geht auch weiterhin die gutbezahlte "Arbeit" nicht aus ...

Nachtrag: Leser_innenbrief von Claudia und Frances Kreuzer

Sunday, September 28 2008

Krebs- und andere Lügen am laufenden Band

"Das wird ja heute sowieso nicht mehr gemacht." So lautete unlängst die Antwort der Endokrinologin Dagmar l'Allemand am 5. Netzwerk-Treffen in Kiel auf die dort geäusserte Kritik an Zwangskastrationen und deren gesundheitliche Folgen. Bei anderen Gelegenheiten, insbesondere Medienauftritten, beteuern auch l'Allemands BerufskollegInnen immer wieder, dass Zwangskastrationen an Zwittern heute nur noch in Notfällen durchgeführt werden (eins, zwei, drei). Auch wenn dann andernorts wieder das Gegenteil propagiert respektive praktiziert wird (eins, zwei, drei).

Leider werden Zwischengeschlechtliche auch heute noch allzu oft systematisch zwangskastriert und an ihren Genitalien zwangsoperiert. An dieser menschenverachtenden Praxis hat sich (noch) nicht durchgängig wirklich etwas geändert.

Vor einigen Tagen erfuhr ich von einem Mitzwitter, der unter anderem als Onlineberater der Selbsthilfegruppe XY-Frauen tätig ist, dass sich eine Humangenetikerin an uns gewandt hat, die voller Zweifel ist, weil sie gleich drei Teenager mit CAIS betreut, die gemäss einem Kinderchirurgen alle "prophylaktisch" kastriert werden sollen!

Gerade bei der kompletten Androgenresistenz CAIS ist die Entartungsgefahr bei Gonaden jedoch sehr niedrig, wie mehrere Studien beweisen. Überflüssig zu sagen, dass in keinem der drei obengenannten Fälle die Gonaden entartet sind! Und trotzdem will der Kinderchirurg sie um jeden Preis rausschneiden.

Gut, dass es mittlerweile Selbsthilfegruppen und andere Interessensverbände von Zwittern gibt, die in der Öffentlichkeit Präsenz markieren und den Lügen so mancher Mediziner ein Bein stellen können! Gut, dass es auch verantwortungsvolle MedizinerInnen gibt, die sich über ihre Handlungen und deren Auswirkungen Gedanken machen - bevor es zu spät ist! Und für alle anderen bleibt zu hoffen, dass Christianes Prozess lediglich der Anfang war ...

Wednesday, September 17 2008

Mit der Hoffnung im Herzen

Wenn eines Tages Selbstbestimmung für Zwitter gesichert sein wird, werden Zwitter mit uneindeutigen Körpern aufwachsen, unversehrt an Leib und Seele. Dieses In-die-Welt-Gelangen von zwittrigen Körpern wird die grösste Revolution aller Zeiten sein, wird Angst und Ablehnung auslösen. Es wird nicht einfach werden, obwohl die meisten Zwitter in der männlichen oder der weiblichen Rolle leben werden. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen und will dazu gehören.

Nein, nicht obwohl, sondern weil sie sich für die männliche oder die weibliche Rolle entscheiden werden, werden Angst und Ablehnung da sein, denn das Volk der Männer wird von Andersmännern und das Volk der Frauen wird von Andersfrauen bevölkert und verändert werden.

Dieses In-die-Welt-Gelangen von zwittrigen Körpern wird letztlich dazu führen, dass immer mehr Zwitter in der Zwitterrolle leben werden. Unversehrt an Leib und Seele.

Wir werden dann alle nicht mehr leben. Aber lieber tot sein als so leben wie jetzt. Mit Freude tot sein, wenn Selbstbestimmung für Zwitter gesichert sein wird. Aber wahrscheinlich werden wir alle vorher sterben, mit der Hoffnung im Herzen, dass es eines Tages so sein wird.

Bild: "Bionic" by Alex 2005

Sunday, September 14 2008

Überlebende

"Was seid ihr denn für eine Truppe?" Wie so oft, wenn wir Zwitter uns treffen und als Gruppe auftreten, wollte auch heuer am 3. ISÖ-Treffen (InterSex Österreich) auf einer Alm im Raum Salzburg jemand wissen, was uns denn zusammenbringt.

Eine berechtigte Frage: Wir kommen aus verschiedenen Ländern, Österreich, Schweiz, Deutschland, sind verschieden alt und sehen ganz unterschiedlich aus. Das macht die Leute neugierig, denn was uns verbindet, ist nicht gleich erkennbar - geschweige denn vorstellbar. Weder sind wir alle im selben Jahr geboren, noch haben wir alle dasselbe T-Shirt eines Turnvereins an oder laufen in Lederjacken rum und haben unsere Motorradl vor der Hütten parkiert.

"Wir sind Überlebende eines Flugzeugabsturzes", ging mir einmal durch den Kopf, als wieder jemand fragte: genauso vom Schicksal zusammen gewürfelt, genauso verbindet uns etwas, das über alle Unterschiede hinweg geht.

Wir haben uns alle verändert seit dem letzten Jahr. Und dennoch war es, als wäre seit dem letzten Treffen keine Zeit vergangen.

Nella

"XXY" in Südafrika als "Kinderpornographie" verboten!

Das südafrikanische "Film and Publication Board" hat dem schwullesbischen Filmfestival "Out in Africa", das aktuell in Johannesburg und Kapstadt läuft, die Aufführung von XXY verboten: Der Film "laufe auf Kinderpornographie heraus" ... Das Festival hält demgegenüber fest, in Südafrika seien schon Filme mit expliziteren Sexszenen zwischen "normalen" Jugendlichen problemlos in Mainstream-Kinos gelaufen seien, z.B. Larry Clarks "Ken Park". Das Festival will wenn möglich mit Hilfe des "Freedom of Expression Institute" rekurrieren.

Wieder einmal typisch zudem ein "Ausrutscher" in der englischen Originalmeldung von Mail & Guardian, als der Film zusammengefasst wird: Der Chirurg, der Alex einer Genitaloperation unterziehen will, wolle der "Jugendlichen helfen, sich für eine Geschlechtsidentität zu entscheiden". Na, vielen Dank auch. Sowas kann wohl nur von nem privilegierten "Normalo"-Journi stammen, der/die nie im Leben Gefahr lief, solcherart "Hilfe" unterzogen zu werden ...

(Gefunden via Intersex-Feed des genderfree-blogs.)

Die grosse "Intersex"-Statistik-Lüge

Frage: Wieviele "Intersexuelle" — Pardon: "geschlechtsentwicklungsmässig Gestörte" bzw. "DSD-Patienten" — gibt's nun wirklich?

Antwort: Schweigen ...

Und egal wieviele "hochgerechnete" Zahlen auch herumgereicht werden: Letztlich weiss es niemand genau.

Der Staat weiss es nicht, will es nicht wissen und besteht darauf, dass alle Zwitter lediglich als "Mann" oder "Frau" erfasst werden. Der einzige Stand, der über exakte Zahlen verfügen könnte, sind ausgerechnet die Medizyner, deren Jahrzehnte lange moralische Korruptheit speziell gegenüber dieser besonderen "Patientengruppe" deren aktuellen Probleme grösstenteils überhaupt erst verschuldete.

Wenn Medizyner zu sehr vertuschen

Zwar geben die Medizyner mittlerweile vermehrt zu, dass "früher Fehler gemacht" wurden (sprich heute nicht mehr, da ist die "Behandlung besser""auch wenn entsprechende Studienergebnisse noch konsolidiert werden müssen"). Stets sorgsam ausgeblendet bleiben allerdings die realexistierenden Opfer dieser "früheren Fehler". Auch aus den exakten Statistiken. Nach wie vor wurde die Zahl der in Deutschland lebenden "Intersexuellen" nie konkret erfasst, sondern (aber nur wenns denn wirklich sein muss) lediglich "hochgerechet", von den Medizynern aktuell nach folgenden Schlüssel:

  • 1:1000 rsp. 80'000-100'000 Personen in Deutschland — wenn es darum geht, sich Zugang zur "Patientengruppe" zu verschaffen (Quelle: Finke/Höhne: "Intersexualität bei Kindern", Bremen: Uni-Med 2008, S. 4)

Der Rest war Schweigen, wegschauen, Akten verloren ...

Und auf keinen Fall die aktuellen Daten rausrücken, bewahre. Lieber nach wie vor gar nicht erst erheben! (Obwohl in Bundestag neue Anfragen vorliegen, gibt es "offiziellen Zahlen", die jünger sind als 2004.)

Oft berufen sich die Medizyner (wie auch bei anderen "kritischen" Themen) auf "Datenschutz" — obwohl statistische Daten genau nicht unter Datenschutz stehen, sondern im Gegenteil von öffentlichem Interesse sind.

So können die Medizyner die Statistik dann jeweils nach Lust, Laune und Bedarf "hochrechnen". Den Vogel schiesst dabei einmal mehr das "Netzwerk DSD" ab, das dabei offenbar noch nicht einmal rechnen kann, sondern allen Ernstes behauptet, 80'000'000 : 5'000 = 8'000-10'000:

Laut Statistik liegt die Häufigkeit bei 1:5.000; d.h., dass eines von 5000 Kindern mit DSD zur Welt kommt. Demnach leben in Deutschland heute ungefähr 8.000 bis 10.000 Menschen mit DSD. (Quelle: http://www.netzwerk-dsd.uk-sh.de/teen-is/index.php?id=62#Frage2)

Und niemand wills gemerkt haben ...

»Die meisten Fälle sind medizinisch keine Notfälle« Professor Olaf Hiort, Kinder- und Jugendarzt am Universitätsklinikum Lübeck(Apotheken-Umschau, 1.6.11)

Auch in der Anhörung vor der Hamburger Bürgerschaft drückte sich "Netzwerk DSD"- sowie "Euro DSD"-Chef Olaf Hiort bewusst kryptisch aus (mensch beachte auch die verräterische Formulierung "danach wurde nicht gefragt"):

Dazu hat meine Kollegin Frau Thyen eine umfangreiche Untersuchung gemacht. [...] Das heißt, 160 Kinder wären das in zwei Jahren, also es bleibt bei 80 pro Jahr. Wobei man die in Berücksichtigung nehmen muss, die quasi so unauffällig wirken zum Zeitpunkt der Geburt, dass die Diagnosestellung erst sehr viel später erfolgt; das kann durchaus sein, danach wurde nicht gefragt. Das heißt, das verdoppelt die Zahl sicherlich noch einmal. (Protokoll S. 18)

Das heisst, bei "sicherlicher Verdoppelung" wären es in Deutschland mindestens 160 Geburten pro Jahr! Kurioserweise behandelt aber nur schon die Klinik in Lübeck, wo Hiort und Thyen arbeiten, laut eigenen Aussagen auf der "EuroDSD"-Homepage über 100 "DSD Patient_innen" pro Jahr:

During the last 15 years, approximately 1750 DSD patients were cared for at the University of Lübeck

Und einmal mehr wills niemand gemerkt haben ...

Ein beliebter Trick ist auch, die Definition von Intersexualität so einzuengen, dass am Ende das gewünschte statistische Resultat herauskommt, vgl. dazu etwa die Formulierung verräterische Formulierung "schwerwiegendere[...] Abweichungen" im offiziellen Statement der Bundesregierung zum Thema: "Die Gesamtzahl der schwerwiegenderen Abweichungen der Geschlechtsentwicklung liegt in Deutschland etwa 8 000 bis 10 000." (Drucksache 16/4786).

Dabei gab etwa gegenüber dem ZDF "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort unumwunden zu: "Leichtere Fehlbildungen des Genitale sind relativ häufig [...]. Hierzu gehört zum Beispiel die Hypospadie, eine Fehlöffnung der Harnröhre beim Jungen." Dass auch diese "Leichtere[n] Fehlbildungen" alle ohne medizinische Notwendigkeit möglichst rasch chirurgisch "korrigiert" werden (oft mit schrecklichen Komplikationen), liess Hiort allerdings vornehm aus ... 

Fazit: Mindestens jedes 1000. Kind landet auf dem OP-Tisch!

Zwischengeschlecht.org und andere Betroffenenorganiatonen (z.B. ISNA) gehen bis zum Bekanntwerden verlässlicher Zahlen weiterhin aus von einem Vorkommen von mindestens 1:1000, d.h. mindestes jedes 1000. Neugeborene ist "undeutig" bzw. "atypisch" genug, um den Rest seines Lebens mit höchster Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrigen genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen, Zwangshormonbehandlungen oder sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffen ausgeliefert zu sein! Die Intersex Society of North America geht gar davon aus, dass auf 1000 Geburten 1-2 Kinder kosmetisch genitaloperiert werden.

(Zwar wird in der Fachliteratur über Intersexualität oft auch die Zahl von "nur" 1:2000 genannt, vgl. etwa Ulla Fröhling: "Leben zwischen den Geschlechtern" oder Claudia Lang: "Intersexualität". Vgl. ebenfalls Netzwerk-Pressemitteilung der Universität Lübeck (Hiort/Thyen/Holterhus/Richter-Appelt): "Bei einer von 2000 Geburten lässt sich das Geschlecht des Neugeborenen nicht exakt bestimmen." Diese Zahl geht jedoch von einer verengenden "Intersex"-Definition aus, die nicht alle kosmetischen Genitaloperationen an Kindern mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen berücksichtigt und z.B. "Hypospadie" ausschliesst.)

Das heisst, allein in Deutschland wird JEDEN TAG mindestens ein Kind genital zwangsoperiert!

Bei ca. 680'000 Geburten pro Jahr in Deutschland (Stand 2006, "Die niedrigste Geburtenzahl seit dem Ende des 2. Weltkrieges", Quelle: Statistisches Bundesamt (PDF), Wiesbaden 2007) kommen demnach jährlich ca. 680 "uneindeutige" bzw. "atypische" Kinder auf die Welt. Wird zusätzlich berücksichtigt, dass sogar laut der frisierten Version der nternationalen "Lübecker Studie" nach wie vor 90% aller Kinder und Jugendlichen mindestens 1x kosmetisch "genitalkorrigiert" wird, und mehr als jedes 5. Zwitterkind über 12 Jahren sogar mindestens 2x zwangsoperiert ist, folgt daraus, dass allein in Deutschland JEDEN TAG mehr als ein wehrloses Zwitterkind genital zwangsoperiert wird! Plus in der Schweiz und in Österreich zusätzlich JEDE WOCHE je mindestens eines! 

58% aller Kinder von 0-3 Jahren sind zwangsoperiert. 87% aller Kinder von 4-12 Jahren sind zwangsoperiert. 91% aller Jugendlichen sind zwangsoperiert. 90% aller Erwachsenen sind zwangsoperiert. (BMBF-Studie mit 434 Proband_innen, 2009)

>>> BMBF-finanzierte "Lübecker Studie" mit 434 Proband_innen (2009)


Zwangsoperationen, Zwittertabu und Statistiklügen müssen aufhören!

Freiwillig werden die Medizyner kaum von ihren menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen absehen – sonst sie hätten sie inzwischen längst getan.

Umso wichtiger ist es, auf politischem Wege Druck aufzusetzen, sprich: in parlamentarischen Vorstössen immer wieder aktuelle Zahlen/Statistiken zu verlangen. Z.B. wieviele "geschlechtlich gestörte" Kinder kommen jährlich in "Behandlung", wie sieht die Diagnosenverteilung aus, welche "Störungsbehebungs-Massnahmen" werden zu welchem Zeitpunkt ergriffen, werden auch die Eltern betreut und wenn ja wie, ist Peer Support für Eltern und Kinder gewährleistet, und wie stehts aktuell auch mit den übrigen Punkten der Forderungliste, dem Schattenbericht usw.? Bzw., weshalb hat sich da ein weiteres Jahr lang immer noch nichts entscheidendes getan? Und dabei Bundesregierung und Medizyner jedes Mal erneut auf ihre gesammelten Ausreden und Lügen zu behaften.

Die Behandlung "geschlechtsentwicklungsmässig gestörter" Patient_innen ist offensichtlich ein hochsensibler und dabei tabuisierter Bereich, in dem "früher" regelmässig schändlich versagt wurde, wie z.T. sogar die Mediziner zugeben und u.a. die Netzwerkstudien auch statisch erhärten.

Folglich ist kontinuierliches Monitoring angesagt, und wo das nicht verfügbar ist (d.h. für "Intersexuelle" – Pardon: "DSD-Patienten" – eigentlich fast in allen Bereichen), wäre es höchste Zeit.

Auch, soweit das überhaupt noch möglich ist, für Wiedergutmachung für die realexistierenden Opfer der "früheren Behandlungsfehler"!

Siehe auch:
- "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort: "Intersexuelle" nur ein Bruchteil aller chirurgischen Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken
Streicheleinheiten für die Bundesregierung
- Faule Eier für "die Bundesregierung"!
- Diskussion auf dem Hermaphroditforum

Thursday, September 11 2008

5. Netzwerk-Treffen Kiel 6.9.08: Intersexualität ade - DSD ahoi!

Das Treffen des Netzwerks Intersexualität kannte ich bisher nur vom Hörensagen. Am letzten Samstag war ich im Namen des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. zum ersten Mal dabei.

1. Zukunft des Netzwerks

Erster Programmpunkt war die "Weiterentwicklung" des Netzwerks, das im Verein "Netzwerk Intersexualität e.V." organisiert ist. Dieser wurde vor fünf Jahren gegründet, nachdem der Bundestag am 12.6.2001 einem Antrag der PDS um Bereitstellung von Geldern für "Forschungen zur Lebenssituation intersexueller Menschen" zugestimmt hatte. (Nachtrag: Parallel dazu hatte sich Ute Thyen bei einer Ausschreibung des BMBF beworben, das schliesslich die Fördergelder sprach, siehe Kommentar von Eva Hampel.) Ende dieses Jahres laufen diese Forschungsgelder aus. An der Mitgliederversammlung wurde nun beschlossen, den Verein in neuer Form trotzdem weiterlaufen zu lassen. Insbesondere soll der etablierte Austausch zwischen den einzelnen im Netzwerk organisierten Kliniken weiter geführt werden, zum Teil nun neu durch diese finanziert.

Diese Entwicklung ist auch aus unserer Sicht positiv und entspricht der unter Punkt 2) der Forderungsliste des Vereins verlangten "Bildung von spezialisierten Kompetenzzentren zur Behandlung intersexueller Menschen", damit nicht mehr jeder Feld-, Wald- und Wiesenchirurg sich nach Lust und Laune an intersexuellen Genitalien "weiterbilden" kann, wie es immer noch allzu oft der Fall ist.

Neu können nun auch betroffene Menschen ordentliche Mitglieder werden (bisher konnte lediglich der Verein als Körperschaft Mitglied werden und Betroffene hatten deshalb auch nur eine Stimme).

Aus unserer Sicht klar negativ ist dagegen die anlässlich der Neugründung des Netzwerks vorgenommene Nomenklaturbereinigung: aus "Netzwerk Intersexualität" wird neu "Netzwerk-DSD". Lediglich im Titel der Satzung steht noch "Netzwerk DSD/Intersexualität". Wurde zudem in der alten Satzung DSD noch mit "Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung" 'übersetzt', ist nun durchgängig von "Störungen" die Rede. Intersexuelle sind nun somit alle "geschlechtsentwicklungsmässig Gestörte". Vielen Dank auch.

2. "Vorstellung und Diskussion der Selbsthilfeinitiativen zur gesundheitlichen Versorgung der IS-Betroffenen"

Als nächstes standen Inputs unseres Vereins und der AGS-Eltern- und Patienteninitiative e.V. auf der Traktandenliste. Dieser mittlerweile etablierte Programmpunkt hat bekanntlich letztes Jahr in Bochum zu einem Eklat geführt, als bei einem sachlichen Referat von Frances Kreuzer über gesetzliche Vorgaben bei Kastration und Sterilisation diverse Mediziner und ein Psychologe pöbelnd und polternd den Saal verliessen (eins / zwei). Den Verantwortlichen war offensichtlich daran gelegen, eine Wiederholung dieses Skandals zu verhindern. Während ich meine Rede hielt, hörten alle gesittet zu und klatschten am Schluss.

Danach hielt Claudia Kreuzer ein kurzes Referat zu den Folgen der Fehlbehandlungen. Die anschliessend aufkeimende Diskussion wird aufgeregt kontrolliert, zu wenig Zeit und überhaupt ist jetzt Schluss mit Streiten. Nicht so einfach, wenn zum Beispiel die Endokrinologin PD Dr. med. Dagmar l'Allemand-Jander auf Claudias Ausführungen nichts Gescheiteres zu tun hat, als Intersexualität mit anderen chronischen Krankheiten zu vergleichen, die doch auch lebenslanger Behandlung bedürfen.

Auf Claudias Aufforderung, doch bitte zu erklären, was mit einem gonadektomierten XY-Zwitter geschieht, wenn er in der Pubertät mit Östrogenen 'therapiert' wird, weiss Dr. l'Allemand nichts zu antworten, ausser ein schnippisches: "Wollt ihr denn keine Behandlung?" Und: "Sie haben meine Frage nicht verstanden." Und um daraufhin zum Kastrationsvorwurf noch mit einer wegwerfenden Handbewegung zu sagen: "Das wird ja heute sowieso nicht mehr gemacht." (Nachtrag: Bericht einer von Dr. l'Allemand im Ostschweizer Kinderspital 'beratenen' Mutter.)

Ich darf noch kurz darauf hinweisen, dass ich erst nach der 'Behandlung' chronisch krank wurde, schon als Kind ein vermindertes Knochenwachstum hatte, dann heisst es schon wieder: bitte nicht, zu wenig Zeit – nein, nein, das geht nicht. Man darf nur einmal etwas sagen oder fragen und auf die Antwort darf keine Erwiderung folgen – zu wenig Zeit. Notabene obwohl Claudia ihr Referat kürzer als geplant hielt.

Als nächste referierte die 1. Vorsitzende Ursula Durant zum Thema "Wünsche der AGS-Initiative", die als erstes gleich betont, für sie habe AGS nichts mit Intersexualität zu tun. Die Initiative wird (wie schon der Name sagt) vor allem von Eltern und sich als PatientInnen Definierenden getragen. Diese sind in der Regel für Behandlungen und beschweren sich daher besonders darüber, dass es zu wenig Kompetenzzentren und Fachleute gibt. Zu Recht. Wenn behandelt werden, dann richtig.

Ganz klar auch die Ansicht der Mediziner in der nachfolgenden Diskussion: AGS-Menschen müssen behandelt werden, alles andere wäre Unrecht (gemeint ist nicht nur der Salzverlust, sondern auch die Genitaloperationen). Der AGS-Initiative ist denn auch der Ruf nach Selbstbestimmung ein Dorn im Auge. Was den Medizinern natürlich zupass kommt. AGS-Initiative als Pufferzone zwischen Medizinern und Kampfzwittern?

Generell stellen sich Mediziner unverändert auf den Standpunkt, dass das Gewebe beim Baby viel weicher ist und nicht so doll blutet, wenn man reinschneidet, weshalb eine frühe Operation hervorragende Resultate zeitigt. Dies sei auch für die Kinder das Beste, Kinderpsychologen würden bestätigen, das in den ersten zwei Lebensjahren behandelte Kinder sich an die Operationen nicht mehr erinnern und deshalb auch nicht traumatisiert würden. Noch mehr Entscheidungsdruck auf den Eltern. Zudem sei erwiesen, dass mit den neuen Operationsmethoden die Sensibilität zu 100% erhalten bleibt, das sei einfach so.

Aus Sicht der AGS-Initiative sind Operationen zwar nicht in jedem Fall unbedingt erforderlich, jedoch sei ab einer bestimmten Grösse der Klitoris die Lebensqualität massiv vermindert, die betroffenen Frauen würden ein Leben lang nie Fahrrad fahren, ja sogar lediglich auf einem Gummiring sitzen können. Kinder mit einer Gaumenspalte oder einem offenen Rückgrat würden auch schon als Babies operiert.

Hier wäre aus meiner Sicht wünschenswert, wenn betroffene AGS-Menschen, die sich im Gegensatz zur Initiative als "intersexuell" definieren, Stellung beziehen und auch mit der AGS-Initiative einen kritischen Dialog pflegen und/oder einen Argumentekatalog erarbeiten würden. Dies umso mehr, da sich abzeichnet, dass die Chirurgen nach den Protesten vor allem der AIS-Menschen sich bei diesen künftig eher zurückhalten, und sich dafür vermehrt auf Menschen mit AGS konzentrieren werden. Aus demselben Grund fände ich es auch wichtig, generell mit der AGS-Initiative kritisch und differenziert in Verbindung zu bleiben. Es gibt dort auch Eltern, die sich, wie zum Beispiel die 1. Vorsitzende Ursula Durant, trotz des Drängens der Ärzte gegen eine Operation ihrer Kinder entschieden. Und obwohl die Initiative sich explizit als nicht intersexuell definiert, gebe es dort einige Mitglieder, die vermännlicht seien, mit Bart und so weiter, und die nun unglücklich und allein in ihren Zimmern vor dem Computer leben würden, und denen offensichtlich niemand wirklich hilft.

4. Netzwerk-Forschungsprojekte

Als nächster Punkt standen "Kurzberichte aus den Forschungsprojekten" auf dem Programm. Zuerst berichteten Eva Kleinemeier und Martina Jürgensen (Lübeck) über den Stand der Auswertungsarbeiten in der Klinischen Evaluationsstudie "Medizinische und chirurgische Behandlungsergebnisse, psychosexuelle Entwicklung und gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Störungen der Geschlechtsentwicklung". Diese verwendet zum Teil dieselben Datensätze wie schon die Hamburger Studie. (Nachtrag: Dies ist ein Irrtum, es handelt sich um 2 unabhängige Studien, siehe Kommentar on Eva Hampel.) Erste Resultate in schriftlicher Form würden Anfang Oktober 2008 auf der Netzwerk-Homepage veröffentlicht. Die Studie hatte 439 Beteiligte, davon 3/4 Kinder und Jugendliche. Auch diese Lübecker Studie bestätigt einmal mehr die notorisch "hohe" Behandlungsunzufriedenheit. Insbesondere kritisierten Betroffene auch das "schlechte Informationsmanagement durch Ärzte/Ärztin". Während "Kinder und Jugendliche mit DSD" keine "vermehrten Verhaltensauffälligkeiten" zeigen würden, hätten "ca. 50% der Erwachsenen mit DSD [...] psychische/emotionale Probleme". Eltern von Betroffenen schätzen zudem deren Lebensqualität durchgehend besser ein als die Kinder selbst.

Bei den nachfolgenden Fachreferaten betrug meine partielle Verstehensresistenz mindestens 80%. Aber etwas ist mir dennoch geblieben: In einer Tabelle "Phänotypen und Häufigkeiten von Patienten mit 46,XY DSD ohne Nebenniereninsuffizienz und SF1-Mutationen" (Einteilung in vier Kategorien) steht: "Äusseres Genitale" = "Mikropenis", "Testes" = "Ja". Bei "Geschlecht" steht aber das biologische Symbol für "weiblich". Einmal mehr wird munter biologisches Geschlecht und zugewiesenes Geschlecht verwechselt bzw. gleichgesetzt. Was soll man dazu noch sagen?

5. Fazit

Trotz persönlichem Unwohlsein und Vorbehalten finde ich es wichtig, dass wir Zwitter auch künftig am Netzwerktreffen teilnehmen, den Medizinern in die Augen schauen und ihnen ins Gewissen reden. Auch wenn es illusorisch ist, davon gleich die grosse Veränderung zu erwarten. Über weite Strecken ist es ein abgekartetes Spiel, und wir waren nur die Alibi-Zwitter. Wir sind Störenfriede und Nervensägen mit unserem Gerede über Selbstbestimmung, Würde und Menschenrechtsverletzungen. Wir sind Dinosaurier, anstrengend wie alte Leute, die ständig vom Krieg erzählen – das wollen sie uns auf alle Fälle weismachen. Aber das ist ja nichts Neues. Ein paar Nette hat es ja trotzdem darunter – wie überall. Auch die Mediziner sind kein monolithischer Block. Es gibt verschiedene Fraktionen mit verschiedenen Interessen. Nicht alle finden es nur gut, wie über uns bestimmt wird.

Insofern finde ich es schon mal einen Fortschritt, dass die Mediziner sich mit unserer Anwesenheit abgefunden haben. Was sich für mich auch darin ausdrückte, dass die meisten der Verantwortlichen sich die Mühe nahmen, mich und die Delegation der AGS-Initiative persönlich zu verabschieden.

Auf der Sollseite bleibt festzuhalten, dass das Selbstbestimmungsrecht für Zwitter über weiteste Strecken nach wie vor kein Thema ist. Zwar geben die meisten Mediziner mittlerweile zu, dass "früher" gravierende Fehler gemacht wurden. Die zahlreiche Gruppe der Opfer dieser Fehler wird aber nach wie vor ignoriert und im Regen stehen gelassen. Beispielsweise ist es bis heute nicht selbstverständlich, dass Zwangskastrierte, die aus gesundheitlichen Gründen auf Testosteron angewiesen sind, dieses von der Krankenkasse erstattet kriegen, sondern sie müssen es oft selber bezahlen, und wer kein Geld hat, hat halt Pech. Wo Fehler gemacht wurden, müssten diese auch, soweit es geht, wiedergutgemacht werden (siehe auch Forderungsliste). Psychologische Betreuung für Eltern und Betroffene ist immer noch für die wenigsten überhaupt ein Thema, Peer Support jedoch sogar für diese wenigen nach wie vor ein absolutes Fremdwort – oder zumindest tun sie so. Zwar haben wir an alle Anwesenden nochmals eine Forderungsliste verteilt, ob diese aber auch gelesen und zur Kenntnis genommen werden wird, steht auf einem anderen Blatt.

Bezeichnend auch, dass jetzt, wo die Forschungsgelder auslaufen, viele Mitglieder kurzfristig gar nicht mehr erst ans Treffen kamen. Deshalb blieb vom reichhaltigen Mittagsbuffet jede Menge übrig. Gut, dass wir eine grosse Plastikbox dabei hatten ...

Nella

Siehe auch: Rede 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008

Wednesday, September 10 2008

Von Zwangsoperateur "schuldhaft in Selbstbestimmungsrecht verletzt" - "Zwitterprozess"-Pressespiegel OLG 4.9.08

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

>>> Vollständiges Gerichtsurteil (5 U 51/08)

Christianes glanzvoller definitiver Sieg auch vor dem OLG vom 3.9.2008 vermochte wieder mehr Medienecho zu generieren als als die provisorische Rückweisung zuvor. Erneute Steigerung verspricht die nächste Prozessphase, wenn über die Höhe des Schmerzensgeldes entschieden wird.

Das gute Dutzend Berichte, das ich bisher auf dem Netz fand (Ergänzungen willkommen) deckt einmal mehr ein grosses Spektrum ab von mehr oder weniger engagierten, sauber recherchierten Berichten bis hin zu grotesken Verzerrungen offensichtlich überforderter bis mutwilliger RedakteurInnen.

(Bild: Der Westen)

Positiv ist m.E. zu werten, dass es einmal mehr bei der überwiegenden Mehrzahl der Berichte klar um einen "Zwitterprozess" geht, in dem ein Zwitter wegen einer uneingewilligten OP klagt und gewinnt, weil "Der Chirurg [...] die Patientin vor der Operation nicht hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer Einwilligung schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt" hatte, wie das OLG in seinem nicht mehr anfechtbaren Urteil unmissverständlich festhielt, sowie (meine Hervorhebungen):

"Nach den Angaben in der Behandlungsdokumentation der Medizinischen Klinik über die der Klägerin zuteil gewordene Aufklärung bedarf es keiner näheren Erörterung, dass das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin in ganz erheblichem Maße verletzt worden ist. Damit fehlte es an einer wirksamen Einwilligung der Klägerin in die Operation, so dass sie ohne Zweifel rechtswidrig war." (5 U 51/08)

Christianes Prozess hat das Wort "Zwitter" als positive Bezeichnung für Zwischengeschlechtliche und ihre Forderung nach Selbstbestimmung im Nachrichten-Mainstream durchgesetzt!

Die Bezeichnung "Intersexuell" ist demgegenüber in der Berichterstattung rückgängig, aber immer noch verbreitet. Trotzdem tun sich die deutschen Medien nach wie vor schwer, beispielsweise Zwangskastrationen oder genitale Zwangsoperationen an Zwittern deutsch und deutlich unmissverständlich anzuprangern -- das Ausmass der Ignoranz und chronischen Verdrängung der ganzen Wahrheit ist (wie auch in anderen Fällen) allem Erreichten zum Trotz nach wie vor erschreckend hoch.

Gerne verzichten könnte ich z.B. auf die ständigen Versuche, den eigentlichen Sachverhalt auf die Konstellation "Krankenpflegerin gegen Arzt" zu reduzieren und damit quasi als interne Standesangelegenheit zu entsorgen, oder mittels der typischen Trans*-Berichterstattungs-Terminologie wie "Geschlechtsumwandlung", "weibliche Geschlechtsorgane" usw. das eigentliche Kernthema einmal mehr aussen vor zu lassen -- verhängnisvolle Tendenzen, wie sie in den allermeisten Berichten zumindest durchscheinen. Handkehrum steht das Wort "Zwitter" noch in den peinlichsten Meldungen mindestens einmal.

Diese z.T. gegenläufigen Tendenzen finden sich alle bereits in der ursprünglichen Pressemitteilung des OLG vom 4. September unter dem Titel Kölner »Zwitterprozess«: Krankenpflegerin obsiegt auch in 2. Instanz (auch als PDF-Download 16 kb), mit Ausnahme der "Geschlechtsumwandlung" sind alle obigen Zitate dort bereits mehr oder weniger prominent versammelt. Dass das OLG sich überhaupt bemüssigt sah, eine Pressemitteilung zu verschicken (was es nur sehr unregelmässig tut), bekräftigt einmal mehr das öffentliche Interesse am "Zwitterprozess". (Nachtrag: Inzwischen ist auch das vollständige Urteil online.)

Auch der Kölner Stadtanzeiger schreibt sowohl von einem "beispiellosen" Zwitterprozess und "Selbstbestimmungsrecht verletzt", die Schlagzeile lautet jedoch einmal mehr Krankenpflegerin siegt gegen Chirurgen, oder zumindest ist die Rubrik "Zwitterprozess" in deutlich kleinerer Schrift wiedergegeben.

Später Sieg im "Zwitterprozess" heissts bei der Kölner Rundschau, sinnigerweise in der Rubrik »Kriminalität«!

"Zwitterprozess": Krankenpflegerin siegt erneut gegen Chirurgen berichtet Der Westen in einem korrekten Artikel. Prominent werden einmal mehr auch die Demo und die Forderung "Menschenrechte auch für Zwitter" bildlich in Erinnerung gebracht (siehe Bild oben). Danke!

"Zwitterprozess": Krankenpflegerin siegt erneut gegen Chirurgen titelte auch die Ibbenbürener Volkszeitung.

Mit "Zwitterprozess: Christiane/Thomas V. bekommt wieder Recht hat der Express offensichtlich noch nicht mitbekommen, dass Christiane unterdessen nicht mehr Thomas ist. Cool hingegen, dass bildlich einmal mehr die Demo und das klassische Transparent "Menschenrechte auch für Zwitter" rezykliert werden.

(Bild: Express)

Chirurg muss intersexueller Frau Schmerzensgeld zahlen, betiteln die Aachener Nachrichten die ddp-Meldung.

Intersexuelle setzt Klage gegen Arzt wegen OP durch, die Agentur afp bleibt als einzige komplett am alten medizinischen Begriff kleben und lässt "Zwitter" aussen vor.

Super erfreulich m.E. hingegen, wie über das Urteil auf Branchenwebsites berichtet wird, so z.B. auf gesundheitsnews.imedo.de, www.anwalt.de/rechtstipps, anwaltmagazin.de, www.juraforum.de, www.jurion.de, juris.de! Respekt!

Nachtrag: Auch die Ärzte Zeitung vermeldet unter der Rubrik "Praxis & Wirtschaft" die dpa-Meldung: "Zwitterprozess": Chirurg muss Krankenpflegerin entschädigen.

Ebenso die Frankfurter Rundschau unter dem Titel "Zwitterprozess": Abermals Sieg gegen Chirurgen.

Titelmässig definitiv auf dem absteigenden Ast ist Focus mit Köln: Schmerzensgeld für ungewollte OP (interessant auch die Kommentare dort).

Von wegen Kommentare: Interessant auch, wie auf de.indymedia.org einmal mehr Kommentare stehen bleiben à la "Jedoch kann ich mir auch nicht so recht vorstellen das ein Arzt z.B. bei jemanden einbricht, die Persin mit Gas beteubt und dann eine Geschlechtsentfernung durchführt." oder "was war der arzt denn für einer, dass er 100.000 € bezahlen muss. hat der überhaupt soviel geld?", während Kritik daran versteckt wird (aber mitunter trotzdem wirkt).

Gleich mit zwei Titeln für denselben Bericht operiert topnews.de -- leider alle beide von der unsichtbarmachenden und verleugnenden Art: Schmerzengeld wegen Entfernung weiblicher Geschlechtorgane rechtens & Schmerzengeld wegen Entfernung weiblicher Geschlechtorgane bestätigt

Das Schlusslicht der Berichte bildet diesmal wohl die net-tribune.de mit Schmerzensgeld für Geschlechtsumwandlung ohne Zustimmung.

Letzterer Artikel wurde zu Recht auch im Hermaphroditforum kritisiert (06.09.2008 11:30). Ihn jedoch zugleich als Referenz für die "Medienresonanzen" zu erklären und den Prozess wie scheints im OII-Forum deshalb als Ganzes gleich in Frage zu stellen halte ich für wenig sinnvoll, siehe auch Nellas Kommentar (08.09.2008 22:13) und die sonstige Diskussion. Und die ebenfalls von Michel im selben Thread auszugsweise zitierte Dissertation (05.09.2008 17:49) verpasst m.E. vor lauter Fixierung auf die (eigene) (Trans-)Gender-Thematik (einmal mehr) komplett, worums eigentlich geht (wie auch schon "Liminalis"), und spiegelt dadurch (einmal mehr) bloss die üblichen Vereinnahmungsmechanismen. Umgekehrt waren an der Demo zum 1. Prozesstag auch einige solidarische Transgender vertreten, die vormachten, dass es auch anders geht ...

PS: So nebenbei -- hätten Nella und ich die Pressearbeit "unseren Transgenderfreunden" überlassen oder uns an deren Kategorien angelehnt, hätte es die Presseresonanz entweder gar nicht gegeben, oder sie wäre von Stichworten wie "Geschlechtsidentität", "sexuelle Minderheiten", "(Trans-)Gender" usw. usf. geprägt geworden ... wie ja auch in einzelnen Fällen versucht wurde, Christiane als "(Trans-)Genderkämpferin" vor den eigenen Karren zu spannen.

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Bericht 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Christiane: Der kampf geht weiter
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG
- Internationale Artikelübersicht auf OII

- Zwitterprozess: 3. Prozesstag 20.5.09 – "Netzwerk DSD" fällt Chirurgen in den Rücken  

Tuesday, September 9 2008

Wenn Ärzte zu sehr lügen ...

Ich werde ab und zu gefragt, wie ich als "Normal-XY" dazu komme, mich gegen Zwangsoperationen an Zwittern einzusetzen und sie in ihrem Kampf gegen die Medizyner zu unterstützen. Wie die meisten hatte auch ich keine Ahnung von den an Zwittern begangenen Menschenrechtsverbrechen, bis ich Nella kennenlernte. Da ich mich schon länger mit Menschenrechtsfragen beschäftige, war ich erst recht geschockt, dass sowas unerkannt quasi vor unser aller Haustüre systematisch geschieht. Auch als Nicht-Zwitter hatte ich zudem so meine (wenn auch vergleichsweise "harmlosen") Erlebnisse mit Medizynern. Hier also eine kurze Zusammenfassung dazu:

Wäre ich gewalttätig, der erste Mensch, dem ich das Nasenbein brechen würde, wäre der Arzt am Universitätsspital, der mir sagte, er werde mir eine Gewebsprobe aus der Lunge nehmen, damit er danach eine genaue Diagnose geben könne. Dann schnallte er mich auf der Liege fest, und als ich nach der dritten Probe zu protestieren begann, narkotisierte er mich mit Rohypnol und wollte nachher nicht mehr gewusst haben, wieviele Proben er schlussendlich rausrupfte  -- "mindestens sieben" stand in der Krankenakte, plus eine 'Verlegenheitsdiagnose'. Leider war ich damals nicht in der Verfassung, mich irgendwie z.B. öffentlich wehren zu können.

Der Grund, warum Ärzte bei mir auch als Kaste schlecht dastehen, liegt aber am Tod meines Grossvaters. (Ich habe auf englisch mal ausführlicher darüber geschrieben.) Wenn hart sein bedeutet, auch chronische Schmerzen ertragen zu können und dabei noch zu lächeln, dass mensch es höchstens an den Mundwinkeln sieht, war er der härteste Mann dem ich je begegnete. Als er nach dem zweiten Herzschlag ins Spital eingeliefert wurde (freiwillig und bei Bewusstsein wäre er nie dort hingegangen) und gut eine Woche danach starb, hatte ich ihn nicht besuchen dürfen. Wie ich 10 Jahre später zunächst durch Zufall erfuhr: Nachdem er den Herzschlag überlebt hatte, wurden langsam seine Füsse schwarz, starben ihm bei lebendigen Leibe ab. Die Ärzte wollten amputieren, doch dafür war er zu schwach, hätte die Operation nicht überlebt. Also liessen sie ihn mit den Füssen dran langsam sterben. Die ganze Nacht habe er jeweils geschrien und gebetet, der Liebe Gott möge doch mit dem Sterben etwas vorwärts machen. Offensichtlich waren sie (aus welchen Gründen auch immer) mal wieder etwas knauserig gewesen mit dem Morphium.

Ich könnte noch weiter machen mit anderen Menschen, die offensichtlich ebenfalls mit einem Körper gesegnet sind, bei dem oft einfach nicht funktionieren will, was sich sonst an tausenden von Patienten doch stets so gut bewährte, und von Ärzten, die trotzdem einfach stur nach Plan weitermachten.

Ich habe auch noch paar eigene solche Erinnerungen an Operationen, Verletzungen, absterbendes Gewebe, weitere Komplikationen usw.

Alles in allem hatt ich wohl trotzdem jedes Mal Glück, ich kann z.B. noch laufen, meine Hände gebrauchen usw.

Und mehr als einmal dachte ich: Scheisse, was bin ich froh, geschah das jetzt nicht z.B. mit meinem Lustorgan.

Dies war noch bevor ich Nella kennen lernte. Seither ist die Ärzte-Kaste in meinem Ansehen nicht unbedingt gestiegen.

Genitale Zwangsoperationen gehören geahndet und die TäterInnen bestraft. Auch wenn es individuelle Ärzte gibt, die ihr Gewissen nicht von vornherein verdrängen, als Kaste werden sie mit den Zwangsoperationen erst unter Druck aufhören.

Sunday, September 7 2008

Rede 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008


Fast hätte ich es nicht geschafft. Wie immer, wenn ich vor Ärzten reden oder vor einem Spital eine Presseerklärung abgeben muss, wurde ich schon drei Tage vorher langsam richtig unausstehlich, der Weltuntergang steht unmittelbar bevor und ich hoffe nur noch, dass er rechtzeitig stattfindet oder ich schwer krank werde, damit ich nicht hingehen muss. Damit es so richtig schlimm wird, fange ich dann jeweils noch einen Streit mit meinem Freund an, sage ihm, ich wolle ihn nie mehr sehen, verpasse deswegen meine Therapiestunde und werde gewalttätig gegen meinen Laptop, auf dem ich neben dieser blöden Pressemitteilung noch diese besch... Rede für das Netzwerktreffen schreiben soll.

Am nächsten Tag sehen wir beide ziemlich alt aus, sind immer noch unausstehlich und zu nichts zu gebrauchen. Irgendwie kriegen wir dann den Flug trotzdem noch und schaffen es tatsächlich nach Kiel, wo wir um elf todmüde in der Jugendherberge ankommen, das Bett beziehen und immer noch kaum zu etwas zu gebrauchen sind.

Am nächsten Morgen stehe ich um sieben auf. Mir ist schlecht, aber wenigstens haben wir immer noch keine Rede, also muss ich auch keine halten, weshalb es mir gleich ein bisschen besser geht. Als ich gerade meinen Mitzwittern eine SMS schicken will, dass meine Rede leider ausfällt und sie umdisponieren müssen, steht mein Freund auch auf und überredet mich, nach dem Frühstück zu versuchen, die Rede doch noch zu schreiben. Mir ist schon wieder schlecht, ich habe keinen Hunger mehr und will mein Müsli nicht essen. Aber er lässt nicht locker: "Ein Löffel für Hiort, ein Löffel für Schwöbel, ein Löffel für Krege, ..." Ich könnte ihm den Teller ins Gesicht schmeissen, aber irgendwie kriegen wir dann anschliessend in einer knappen Stunde doch noch sowas wie eine Rede hin und schaffen es noch knapp pünktlich zum Netzwerktreffen, das jedoch eine Stunde früher als auf meiner Traktandenliste vermerkt begonnen hatte. Da ich die Rede nirgends ausdrucken konnte, schreibe ich sie von Hand ab und halte sie dann tatsächlich und ohne dabei zu kotzen. Darauf bin ich am meisten stolz.

Und hier ist sie:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitzwitter

Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, hier ein paar Worte sagen zu dürfen. Ich bin Daniela Truffer, 1. Vorsitzende von Intersexuelle Menschen e.V. Vielleicht nicht gerade der ideale Job für jemanden, der Mühe hat, sich vor Menschen hinzustellen wie jetzt.

Von klein an wurde ich gelehrt, nicht aufzufallen, am Besten gar nicht zu existieren. Von klein auf habe ich gelernt, dass es etwas Unangenehmes ist, im Mittelpunkt zu stehen und alle schauen mich komisch an und reden über mich. Wenn ich mich jetzt heute trotzdem hier hinstelle, so tue ich dies in der Hoffnung, dass Kinder wie ich es einmal besser haben sollen.

Ich werde oft gefragt, ob es mir nicht recht sei, dass ich zu einem Mädchen gemacht wurde, ob ich lieber ein Junge wäre. Dass ich vielleicht hätte so sein wollen, wie ich geboren wurde, steht dabei meistens gar nicht zur Debatte. Und am allerwenigsten, dass ich nie gefragt wurde, dass ich das hätte selber entscheiden wollen. Weil das ist es, was mir am meisten zu schaffen macht, sogar noch mehr als die Folgen der Operationen, dass ich nie gefragt wurde, dass von allem Anfang über mich hinweg entschieden wurde.

Damit stehe ich nicht allein. Praktisch alle zwischengeschlechtlichen Menschen, die ich kenne, leiden darunter, dass über sie bestimmt wurde und sie nicht selber entscheiden durften. Nicht umsonst steht in praktisch allen Forderungslisten von zwischengeschlechtlichen Menschen zuoberst die Frage der Einwilligung der Betroffenen. So auch in der Forderungsliste unseres Vereins. Über eine inhaltliche Stellungnahme des Netzwerks zu dieser würden wir uns nach wie vor freuen.

Leider ist Selbstbestimmung für Intersexuelle aber auch heute immer noch kein Thema. Zwar wurden in den letzten Jahrzehnten in der Behandlung vor allem technisch viele Fortschritte gemacht, dieser zentrale Punkt wurde jedoch nie grundsätzlich angegangen. Zwar gibt es heute Empfehlungen der Arbeitsgruppe Ethik des Netzwerks, die in die richtige Richtung zielen. Jedoch sind sie nach wie vor unverbindlich formuliert und haben bloss fakultativen Charakter. In den aktuellen Behandlungsrichtlinien und Artikeln der ausführenden Ärzte steht jedoch weiterhin praktisch ausnahmslos, operative Eingriffe seien am Besten in den ersten zwei Lebensjahren durchzuführen. Zu fragen seien lediglich die Eltern, das Einverständnis der zu operierenden Person sei nicht erforderlich.

Dem möchte ich als Betroffene einmal mehr entschieden widersprechen.

Glücklicherweise deuten die aktuellsten Entwicklungen darauf hin, dass die zivilrechtlichen, strafrechtlichen und menschenrechtlichen Implikationen solcher uneingewilligter Behandlungen in der Gesellschaft langsam zu einem Thema werden. Vor zwei Tagen gewann Christiane Völling auch in der 2. Instanz den Prozess gegen ihren ehemaligen Operateur. Mit ihrem Prozess löste sie eine bis dahin noch nie da gewesene Medienresonanz aus. Weitere Prozesse von ohne ihre Einwilligung operierten Intersexuellen sind in Vorbereitung.

Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Kommittee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstössen an intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Am kommenden Januar wird die Bundesregierung in Genf Rede und Antwort stehen müssen. Weitere Schattenberichte, unter anderem zur Kinderrechtskonvention, sind ebenfalls in Vorbereitung. Ebenso weitere politische Vorstösse und Aufklärung der Öffentlichkeit.

Im Namen der Betroffenen möchte ich Sie einmal mehr bitten, der zentralen Frage der Selbstbestimmung und informierten Einwilligung von zwischengeschlechtlichen Menschen endlich auch in der Praxis umfassend Rechnung zu tragen.

Solange noch die Möglichkeit besteht, dies von sich aus zu tun.

Ich danke Ihnen.

P.S.: Beim Mittagessen plauderten wir angeregt mit den Vertreterinnen der AGS-Selbsthilfegruppe und einem Professor. Als ich einmal mehr auf die Folgen von Zwangsoperationen hinwies, sagte dieser, wohl ohne es böse zu meinen: "Aber sie stehen ja noch hier." Wenn der wüsste ...

Ausführlicher Bericht über das Treffen:
5. Netzwerk-Treffen Kiel 6.9.08: Intersexualität ade - DSD ahoi!

Thursday, September 4 2008

Kölner "Zwitterprozess" - Christiane siegt definitiv auch in 2. Instanz

Bild: 1. Prozestag, 12.12.07, LG Köln

Heute rief uns Christiane Völling an: Das Oberlandesgericht Köln hat die Berufung ihres Zwangsoperateurs einstimmig definitiv abgelehnt! Der Chirurg hatte die Intersexuelle am 12.8.1977 ohne ihre Einwilligung kastriert und ihr die inneren Geschlechtsorgane entfernt - ein bei mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geborenen Menschen heute noch übliches menschenrechtswidriges Vorgehen. Am 6.2.2008 wurde der Chirurg deshalb vom Landgericht Köln zu einer Schmerzensgeldzahlung verurteilt.

Bereits am 30.6.2008 hatte der 5. Senat des OLG die Berufung wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg zurück gewiesen, worauf der Beklagte nach einer Fristerstreckung Gegenvorstellung erhoben hatte. Das OLG beschloss am 3.9.2008 einstimmig, die Berufung ohne mündliche Verhandlung zurück zu weisen. Der Beschluss ist nicht mehr anfechtbar.

Auch Christianes Anwalt Georg Groth bestätigte auf Anfrage:

"Nach § 522 Abs. 3 der Zivilprozessordnung ist dieser Beschluss nicht anfechtbar. Theoretisch könnte der Beklagte zwar noch eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einreichen, was jedoch kaum Aussicht auf Erfolg hat. Da keine Verfassungsfragen tangiert wurden, wäre auch ein Gang vor das Bundesverfassungsgericht abenteuerlich."

Das Verfahren geht somit ans Landgericht zurück, wo nun über die Höhe des Schmerzensgeldes entschieden werden soll. Gefordert sind mindestens 100'000 Euro.

Christiane Völling:

"Ich kann es noch gar nicht richtig fassen nach dem ganzen Stress der letzten Monate. Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Diese Zwangskastration ist eine Straftat."

Christiane betonte insbesondere ihre Dankbarkeit gegenüber ihrem Anwalt Georg Groth, der ihr die Kosten für das Honorar und die Gerichtskosten vorstreckte.

Wir gratulieren Christiane ganz herzlich und freuen uns mit ihr!

>>> Pressespiegel: Von Zwangsoperateur "schuldhaft in Selbstbestimmungsrecht verletzt"


Bleibt zu hoffen, dass alle Mediziner, die heute noch zwischengeschlechtliche Menschen ohne ihre Einwilligung kastrieren und an ihren Genitalien zwangsoperieren, sich dieses Urteil kräftig hinter die Ohren schreiben.

Diese menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen an intersexuellen Menschen müssen endlich aufhören!


Bereits sind weitere Gerichtsverfahren in Vorbereitung, doch es ist noch ein langer Weg, bis die an Zwischengeschlechtlichen Jahrzehnte lang begangenen systematischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit endlich gesühnt und soweit wie noch möglich wieder gut gemacht sind.


>>> Pressespiegel: Von Zwangsoperateur "schuldhaft in Selbstbestimmungsrecht verletzt"

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Bericht 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG
- Internationale Artikelübersicht auf OII

Tuesday, September 2 2008

Einige können jederzeit zurück

In der letzten Ausgabe der Samstagsbeilage "Das Magazin" NR 35 vom 30.08.2008 ist ein sehr interessanter Artikel über die Geschichte der schwarzen Amerikaner, ihren langen Weg "von der Sklaverei bis zum schwarzen Präsidentschaftskandidaten": "Black America, 1" (Teil 2 erscheint in der nächsten Ausgabe).

Eine Passage hat mich besonders berührt, wo es um die Identität der Schwarzen geht, und um die Frage, ob ein Weisser jemals überhaupt erahnen kann, was diese Identität ausmacht, was es heisst, Rassismus zu erfahren und damit zu leben:

"Es ist eine komplexe Welt, diese Welt der Identität, voller Fragen, die sich einem Weissen nie stellen. (...) Es war wohl Absicht, dass mir Toland vor dem Abschied vom Experiment eines Mannes berichtete, der sich die Haut gefärbt und ein halbes Jahr als Schwarzer gelebt habe, um am eigenen Leib zu erfahren, was Rassismus ist. So gehe das nicht, meinte er, und blickte mich mit grossen, wässrigen Augen an: 'Er wusste, dass er jederzeit zurück konnte.'"

Ich bin nicht schwarz und will mir auch keine ungebührlichen Vergleiche anmassen. Und dennoch: Auch mein Leben ist durch eine Art Rassismus geprägt, auch ich muss mich mit Leuten auseinandersetzen, die sich mit mir identifizieren und meinen, sie sässen im selben Boot.

Diese Menschen werden jedoch nie nachfühlen können, wie das ist, wenn man im Kindesalter ohne seine Einwilligung an seinen Genitalien zwangsoperiert wird und sein Leben lang mit den psychischen und physischen Folgen fertig werden muss.

Wir können unsere Identität nicht ausziehen und in den Schrank hängen.

Nella

Sunday, August 31 2008

Nachtrag zu RTL2-Sendung "Explosiv" vom 28.8.08

Auf Anfrage teilte Anja Kumst mit, dass die Produktionsfirma Motivi sie erst 30 Stunden vor der Ausstrahlung des Beitrags darüber informierte, dass sie nicht in der Sendung dabei sein werde. Die faule Ausrede: Man wolle sich auf drei Protagonisten/Geschichten beschränken. Entschieden wurde das Ganze wohl schon viel früher, nämlich beim Schneiden. Anjas Eindruck: "Ich war denen wohl zu normal." Dass sie wie erwähnt gegenüber RTL2 offensiv die politische Forderung nach einem dritten Geschlecht vertreten hatte (wie z.B. auch schon bei ihrem Auftritt bei Polylux), war wohl auch nicht gerade förderlich ...

Siehe auch:
- Diskussion im öffentlichen Bereich des IS-Menschen-Forums
- Besprechung "Nicht Frau, nicht Mann! - Mein Leben als Zwitter" - RTL2 28.8.08
- Fatale "Explosiv"-Ankündigung: RTL krebst zurück

Friday, August 29 2008

"Nicht Frau, nicht Mann! - Mein Leben als Zwitter" - RTL2 28.8.08

Die Zwitter Medien Offensive geht weiter!

Nach mehreren Verschiebungen endlich auf RTL2 zu gewohnt später Stunde 23:10-00:10 der "Explosiv"-Beitrag mit Christiane Völling, A*** und Frances und Claudia Kreuzer-Clüsserath!

Die haarsträubende Ankündigung des Films auf der RTL-Homepage von Mitte Juli liess schon Befürchtungen entstehen, dass der Beitrag dem Thema "Intersexualität" nicht wirklich gerecht werden würde. Leider haben sich diese Befürchtungen bestätigt.

Ähnlich wie im Spiegel-TV-Beitrag vom 1.4. auf VOX, in dem Christiane und Andrea genauso sympathisch und berührend mitwirkten und ebenfalls Klartext redeten, wird durch die unsinnigen Aussagen der Kommentatoren das Bild vermittelt, es gehe bei Intersexualität in erster Linie darum, dass mit einer nochmaligen Geschlechtsangleichung eine 'falsche' Zwangszuweisung wieder gut gemacht werden kann.

Was soll zwitter denn von so rigiden Aussagen halten wie "Frausein heisst auch, sich wie eine Frau anzuziehen", "Sie muss lernen als Frau zu leben, sich weiblich zu schminken", "eine richtige Frau" und "verheiratet als Mann und Frau"? Solche Statements gründen ja gerade auf Vorstellungen von Geschlechtsidentität, die letztendlich zur operative Angleichung an Zwittern führen! Warum nicht ein: Jeder intersexuelle Mensch soll selber entscheiden können, wie er als Zwitter, Mann oder Frau leben will. Eine solche Aussage wäre wohl zu 'explosiv' gewesen.

Die Folgen der Zwangsoperationen werden nur am Rande erwähnt. Die Botschaft, dass Zwischengeschlechtliche selber darüber entscheiden dürfen sollen, in welchem Geschlecht sie leben wollen, kommt nur am Rande rüber. Der Fokus ist darauf gerichtet, wie man doch noch eine "richtige Frau" oder ein "richtiger Mann" werden kann.

Die Leiden aufgrund von Zwangsoperationen ohne Einwilligung lassen sich mit ein bisschen shoppen gehen weder beheben noch filmisch darstellen. Bei dieser Art der Darstellung lassen sie sich höchstens erahnen. Obwohl ich eher der Überzeugung bin, dass die meisten ZuschauerInnen wieder einmal denken werden, es handle sich bei Intersexualität um eine besondere Form von Transsexualität.

Aber vielleicht spiegelt der Beitrag auch ganz einfach wider, dass viele Zwitter 'ganz normale' Männer oder Frauen sein möchten? Der Darstellung des Umstands, dass sie aber selber darüber entscheiden möchten, und was passiert, wenn sie das nicht tun können, hätte jedoch etwas mehr Rechnung getragen werden können.

Ich frage mich bloss, warum Anja Kumst, die in den Interviews offensiv die politische Forderung nach einem dritten Geschlecht vertreten hatte, obwohl angekündigt, im Beitrag letztendlich nicht vorkam.

Nella

Siehe auch:
-
Nachtrag zu RTL2-Sendung "Explosiv" vom 28.8.08
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Fatale "Explosiv"-Ankündigung: RTL krebst zurück

Tuesday, August 26 2008

"Geschlechterfahnder und Gerüchte" - FAZ 25.8.08 über Sarah Gronert und Diskrimierung von Zwittern im Sport

Die Zwitter Medien Offensive geht weiter!

>>> Artikel von Oliver Tolmein in der gestrigen Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Danke!

Siehe auch:
- Gerechtigkeit für Santhi Soundarajan!
- Diskriminierung von Zwittern im Sport weltweit
- Sarah Gronert
- "Caster Semenya wird als Zwitter verheizt"
- Diskriminierung von Zwittern im Sport: Der "Fall" Caster Semenya (I) 
- Der "Fall" Caster Semenya und die Medien (II): "The Guardian" und "Freitag.de" propagieren Genitalverstümmelungen
- Der "Fall" Caster Semenya und die Medien (III): 4 Artikel von solidarischen Nicht-Zwittern
- Zwitter solidarisieren sich mit Caster Semenya (V)
- Protest gegen Diskriminierung von Zwittern im Sport, IOC 19.11.09

>>> Report on Discrimination of Hermaphrodites in Sports
>>>
Open Letter to IOC Chief Jacques Rogge demanding Justice for Santhi and Caster

Sunday, August 24 2008

"Zwangsoperiert - Jetzt fordern Zwitter Selbstbestimmung" - Surprise 22.08.08

Die Zwitter Medien Offensive geht weiter!

Im Strassenmagazin "Surprise" Nr. 183 vom 22. August 2008 ist ein Portrait über mich Titelgeschichte:

"Frann oder Mau? - Bloss nichts Zweideutiges: Um klare Verhältnisse zu schaffen, werden Zwitter bereits im Kleinkindalter zwangsoperiert. Ob Mädchen oder Bube, darüber entscheiden Ärzte und Eltern, nicht aber die Betroffenen."

Dank an die Verfasserin Ivana Leiseder für den Artikel, der unsere wichtigsten Anliegen auf den Punkt bringt! Und auch den GrafikerInnen für das aufrüttelnde Titelbild, das die schockierende Thematik treffend umsetzt.

Ebenfalls erfreulich, dass auch Karin Plattner von der Schweizerischen Elternselbsthilfegruppe mit einem guten Zitat zu Wort kommt:

"Die Ärzte wollten so rasch wie möglich operieren. Man versuchte uns einzureden, andernfalls drohe das soziale Aus von uns respektive unserem Kind." Die Plattners gehören zu den wenigen Eltern, die sich gegen eine Operation entschieden haben. Heute sind sie froh darum: "Warum hätten wir unser Kind operieren lassen sollen? Es ist ja völlig gesund. Ausserdem hat, entgegen der Ankündigung der Ärzte, niemand Probleme mit der Intersexualität unseres Kindes, im Gegenteil." Später soll es einmal selbst entscheiden können, ob es Frau, Mann oder beides sein möchte. "Dies wird in unserem Umfeld sehr gut akzeptiert."

Entlarvend einmal mehr die Aussagen der Mediziner (die sich den CH-Medien neuerdings konsequent verweigern), die - allen schönen Lippenbekenntnissen zum Trotz - letztlich den Zwangsoperierten wie üblich knallhart jegliches Recht über ihren eigenen Körper absprechen:

"Die Entscheidung für oder gegen einen Eingriff liegt bei den Eltern." Man bemühe sich heute, die Eltern zu betreuen und sie, soweit möglich, über ihr Kind zu informieren. Gleichzeitig würden medizinische und soziale Abklärungen veranlasst, aufgrund derer ein Spezialistenteam ein möglichst individuelles therapeutisches Vorgehen für das jeweilige Kind suchen. Dass sich Eltern bei der Geburt ihres Kindes für nicht mehr umkehrbare Operationen entscheiden müssten, sei kaum mehr der Fall. "Die Option abzuwarten wird immer häufiger auch von ärztlicher Seite befürwortet." Allerdings räumt Weber unverhohlen ein: "Das Schweizer Gesetz verlangt, dass jedem Kind ein Geschlecht zugeordnet wird."

Als ob für einen Geschlechtseintrag zuerst eine Zwangs-OP nötig wäre ...

Leider handelt es sich nicht mehr ganz um den von Ivana Leiseder (freie Mitarbeiterin bei "Surprise") geschriebenen und von mir autorisierten Text. Die zuständige "Suprise"-Redakteurin hat nachträglich Aussagen gestrichen oder stark gekürzt, die meines Erachtens wichtig gewesen wären, beispielsweise meine Beschreibung der Folgen von Zwangskastrationen.

Besonders bedenklich: Offenbar ist es bei "Surprise" Brauch, sogar autorisierte Zitate nach Gutdünken zu verändern. Aus meiner ursprünglichen Aussage:

„Auch heute noch geschehen massive Menschenrechtsverletzungen, werden Intersexuelle ohne Einwilligung und ohne eingehende Aufklärung genitalen Zwangsoperationen unterzogen - und das muss aufhören“, meint Truffer, die inzwischen eine Selbsthilfegruppe für intersexuelle Menschen gegründet hat.

wurde kurzerhand:

"Zwar werden die Eltern heute informiert, aber noch immer werden Intersexuelle ohne ihre Einwilligung und ohne eingehende Aufklärung Zwangsoperationen unterzogen. Das muss aufhören", fordert Truffer.

Mein Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen wird weggelassen und durch eine Aussage über informierte Eltern ersetzt, die ich in dieser Form nie gemacht habe.

Und das ausgerechnet beim Strassenmagazin "Surprise", das ich für seinen sozialen Anspruch sehr schätze!

Nella

Siehe auch: Vorschau "Surprise"

>>> Surprise-Homepage         >>> Vorschau auf die aktuelle Nummer

Saturday, August 23 2008

Warum Nicht-Biozwitter allesamt privilegiert sind

Hm, warum denn bloss? Nun, aus einem sehr einfachen Grund:

Weil Nicht-Biozwitter (wie ich auch) allesamt das Privileg hatten, mit einem intakten Körper aufzuwachsen -- ohne Medizyner, die uns unsere gesunden Genitalien und Reproduktionsorgane ohne unsere Einwilligung nach Lust und Laune zurechtschnibbelten, amputierten und herausrissen -- wie sie das bei Biozwittern bekanntlich systematisch tun. Inkl. aller Folgen wie z.B. Traumatisierung und lebenslange Hormonersatztherapie.

Und jedeR Nicht-Biozwitter, der sich nur mal kurz ehrlich überlegt, was sowas bedeutet im Gegensatz zu den eigenen Nicht-Privilegien, was dies für ihn/sie ganz konkret bedeuten würde, merkt schnell einmal -- dass die an Zwittern heute noch täglich begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einer ganz anderen Liga spielen als all unsere eigenen, im Vergleich kleinen Unrechtserfahrungen und "Diskriminierungsgefahr[en]".

Mit ganz wenigen Ausnahmen, wie z.B. Folteropfer oder Opfer von sexuellem Kindsmissbrauch.

Öhm, und offensichtlich auch mit Ausnahme aller "phänotypisch freiwilligen" Transgender-Möchtegern-Biozwitter & Co., aber die merken's aus gewissen Gründen (die wiederum mit der Verdrängung ihres Privilegiert-Seins als Nicht-Zwitter zusammenhängen) einfach nicht so schnell ...

Siehe auch:
- "Vom Nutzen unseres Ärgers" (Von der Frauenbewegung lernen)
- Warum nicht alle Bio-Zwitter gleich nicht-privilegiert sind  

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