Sunday, April 5 2009

OII Deutschland / IVIM setzt neu "Recht auf körperliche Unversehrtheit" an 1. Stelle der Forderungsliste

Nachdem auf diesem Blog seit längerem mehrfach kritisiert wurde, dass OII Deutschland / IVIM, statt das für Zwitter zentrale Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde hochzuhalten, dieses auf ihrer Zwitter-Forderungsliste in unwürdiger LGBT-Tradition "Gender" rsp."Geschlechtsidentität" und "sexueller Orientierung" unterordnet bzw. hinten anstellt (wie auch TrIQ, TGNB & Co., die es z.T. gleich ganz weglassen), wurde die IVIM-Forderungsliste nun unterdessen überarbeitet – und siehe da:

Die "Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (IVIM)", die Sektion Deutschland von "Organisation Intersex International (OII)", stellt in der am 25.3.09 aufdatierten Version ihrer Forderungsliste statt "Dekonstruktion von Geschlecht" neu "Das Recht auf körperliche Unversehrtheit" an die erste Stelle, gefolgt von "2. Das Recht auf Schutz vor medizinischer und/oder psychologischer Misshandlung, Bevormundung und Zwang".

Herzlichen Glückwunsch!

Der logische nächste Schritt wären nun entsprechende konkrete Aktionen ...

Saturday, April 4 2009

LSVD: Menschenrechte für Zwitter als Wahlprüfstein!

Nebst über den Antrag "Menschrechte von Intersexuellen schützen" stimmt der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) dieses Wochenende an der 21. Verbandstagung vom 4./5. April in Berlin-Schöneberg wiederum auf Antrag des Bundesvorstandes ebenfalls ab über "Zehn Schritte zu Gleichstellung und Respekt. Lesben- und schwulenpolitische Prüfsteine zur Bundestagswahl 2009".

>>> PDF-Download "Prüfsteine zur Bundestagswahl 2009"

Als Wahlprüfstein Nr. 9 (von 10) ist darin wiederum auch die Forderung nach Menschenrechte für Zwitter enthalten:

9. Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen bekämpfen!

Menschen sind in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland entweder männlich oder weiblich. Alle Neugeborenen werden binnen kurzer Zeit nach der Geburt im Geburtsregister des Standesamtes mit Nennung des Geschlechtseintrages eingetragen. Menschen, die mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, haben bislang keinen rechtlichen Schutz. Obwohl körperlich gesund, werden die Betroffenen in der Mehrzahl der Fälle von frühstem Kindesalter an irreversiblen medikamentösen und chirurgischen Eingriffen unterzogen. Diese Zwangsbehandlungen stellen einen erheblichen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar. Die Zwangsanpassungen an die rechtlich geforderte Zweiteilung der Geschlechter sind eine schwerwiegende Form der Diskriminierung. 

Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft chirurgische und/oder medikamentöse bzw. hormonelle Eingriffe nur mit der informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen? 
Was werden Sie dafür tun, um Sorge zu tragen, dass Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung ein Recht auf freie Entfaltung und Selbstbestimmung gewährleistet wird?

Damit kommt der LSVD als erste LGBT-Organisiation einer Urforderung dieses Blogs nach (eins / zwei), nämlich Menschenrechte für Zwitter (namentlich das zentrale "Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde") als eigenständigen Punkt in die Agenda aufzunehmen, statt die Zwitter bloss "mitzumeinen" rsp. bestenfalls in der "gottgegebenen Reihenfolge" nach "sexuelle Identität" und "sexuelle Orientierung" usw. zuhinterst anzustellen (wie dies im andern Antrag teilweise leider immer noch der Fall ist). Dafür allen Beteiligten ein fettes Danke!!!

Erneut griff der LSVD bei diesem Antrag auf Textbausteine von Intersexuelle Menschen e.V. und Zwischengeschlecht.org zurück, wie sie u.a. in der Forderungsliste des Vereins und im CEDAW-Schattenbericht enthalten sind.

Auch an den übrigen Wahlprüfsteinen gibts übrigens aus meiner Sicht nix zu mosern, im Gegenteil ...

Auch dieser zweite Antrag muss dieses Wochenende erst noch von der Verbandstagung genehmigt werden. Einmal mehr sind wir gespannt auf das Abstimmungsresultat und hoffen auf das Beste! Nachtrag: Der Wahlprüfstein wurde einstimmig angenommen!

Nachtrag 2: Nun liegen auuch die Antworten der Parteien vor – und siehe da: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter!  

Siehe auch:
- Lesben- und Schwulenverband Deutschland fordert Menschenrechte für Zwitter! 
- LSVD: Menschenrechte für Zwitter als Wahlprüfstein! 
- Bundestagswahl 2009: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter! 
- CSD Konstanz & Kreuzlingen fordert Selbstbestimmung für Zwitter  

Thursday, April 2 2009

Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert

Nella hat inzwischen im Namen von Intersexuelle Menschen e.V. Prof. Olaf Hiort und das "Netzwerk DSD" betreffend der geplanten "Klinische[n] Studie zur Testosteronsubstitution bei kompletter Androgenresistenz" in einer >>> offiziellen Stellungnahme (auch) zu praktischem Handeln aufgefordert zugunsten aller Zwangskastrierten, die eine adäquate Hormonersatztherapie nach wie vor aus eigener Tasche bezahlen müssen:

[...] Es ist mehr als unwürdig, dass zwangskastrierte Zwitter sich mit Ärzten und Krankenkassen herumschlagen müssen, weil Testosteronsubstitution bei XY-chromosomalen Intersexuellen, die als "Frau" leben, als Off Label-Use gilt. Faktisch sind wir der Willkür bzw. dem Wohlmeinen oder gar Mitleid der uns jeweils behandelnden ÄrztInnen ausgeliefert.

Wir wollen aber kein Wohlmeinen oder Mitleid, sondern unser gutes Recht! [...] Nicht umsonst fordert Intersexuelle Menschen e.V. [...] "Evaluierung von Wirkungen und Machbarkeit der verschiedenen Hormonersatztherapien nach den individuellen Bedürfnissen und Wünschen der betroffenen Menschen (Testosteron, Östrogen oder beides)" für alle Betroffenen. [...]

Was ausserdem bei Ihrer Argumentation für die geplante Studie aus unserer Sicht sehr stört, ist die Unterschlagung der Tatsache, dass es sich auch bei der Östrogen-HET um einen Off Label-Use handelt. [...] Diese scheinheilige Ungleichbehandlung ist klar entwürdigend und diskriminierend.

Leider hatte es es das Netzwerk meines Wissens nach in all den vergangenen Jahren versäumt, uns von uneingewilligten Kastrationen betroffene Menschen konkret dabei zu unterstützen, damit wir, mit welcher Diagnose auch immer, unsere Hormonersatztherapie frei wählen und anstandslos bezahlt kriegen. Als offizielle Fachstelle für Intersexualität hätten Sie uns und unseren Bedürfnissen mehr als einmal Gehör verschaffen und sich für sie stark machen können. Oder habe ich etwas verpasst? An Rückmeldungen aus Betroffenenseite hat es – wie Ihre Mail zeigt – wohl kaum gemangelt.

Wenn es Ihnen Ernst ist mit dem Ziel der geplanten Studie, "XY-Frauen" eine von der Krankenkasse anerkannte Testosteronsubstitution zu ermöglichen, bitte ich Sie deshalb dringend, zusätzlich auch andere Möglichkeiten nach Kräften zu verfolgen.

Und um konkrete Unterstützung bei einem Vorschlag, der dieselben Ziele hat:

  • Menschen mit CAIS (und andere XY-chromosomale Zwitter), die eine HET mit Testosteron wünschen oder neu auf eine solche umstellen möchten, sollen bei Ihren Kontakten mit ÄrztInnen, Krankenkassen und Apotheken mit einem in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk herausgegeben Infoblatt unterstützt werden. Darin ist kurz und knapp der aktuelle Wissensstand betreffend Hormonersatztherapien bei xy-chromosomalen Intersexuellen festgehalten. Das Netzwerk bestimmt zudem eine Ansprechperson, die ihren Namen und Kontaktdaten auf dieses Papier setzt, welche sich bereit erklärt, Betroffene bei Problemen mit der Testosteronsubstitution zu unterstützen. Mit diesem Infoblatt können Betroffen bei Bedarf ihre Ärzte auffordern, diesen Experten des Netzwerks zu kontaktieren und sich zu informieren. 
  • Dieses Infoblatt soll betroffenen zwischengeschlechtlichen XY-Menschen konkret helfen, auf Wunsch eine von der Krankenkasse bezahlte HET mit Testosteron zu ermöglichen, Ärzte dazu zu verpflichten, entsprechende Rezepte auszustellen und eine bedingungslose Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse einzufordern. Das Netzwerk könnte so konkret zur Beendigung der aktuellen unwürdigen Situation helfen, ohne dass zuerst etwa völkerrechtliche oder juristische Instanzen bemüht werden müssten. 

>>> Das vollständige Schreiben ans "Netzwerk DSD"

Siehe auch:
- "Netzwerk DSD" plant Testostudie für Zwangskastrierte mit CAIS
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- PRESSEMITTEILUNG: Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber bezahlen
- Testo-Studie: Doch keine Placebos

Thursday, March 26 2009

"Netzwerk DSD" plant Testostudie für Zwangskastrierte mit CAIS

Das Problem ist altbekannt: Viele Zwitter werden nicht nur genital zwangsoperiert, sondern in der Regel ebenfalls bereits als Kinder mit der Pauschal-Ausrede "Krebsgefahr" zusätzlich zwangskastriert und benötigen deshalb für den Rest ihres Lebens eine so genannte "Hormonersatz Therapie (HET)". Da die meisten dieser Zwangskastrierten "zu Mädchen gemacht" werden, besteht die HET prinzipiell aus Östrogen – obwohl viele Zwitterkörper "von Haus aus" Testosteron produzieren (und dieses je nach Bedarf in körpereiges Östrogen umwandeln – Zwitter mit so genanntem "Androgen-Insuffizienz-Syndom (AIS)").

Diese Östro-HETs wurden nie klinisch getestet, den Zwangsoperierten werden Präparate aufgezwungen, die eigentlich nur für Frauen in der Menopause zugelassen sind, d.h. die Östro-HETs erfolgen (seit Jahrzehnten!) experimentell als "Off Label-Use". Obwohl die negativen Folgen von Östro-HET bei Zwittern, deren Körper eigentlich Testo brauchten, seit längerem auch in der medizinischen Literatur bekannt sind (unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Osteoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust), weigern sich die Mediziner bis heute, zwangskastrierten Zwittern eine HET nach Bedarf und Wunsch zuzugestehen.

Mehrere Betroffene begannen schliesslich, auf eigene Faust Testo zu nehmen, viele davon mit positiven Resultaten. Jedoch weigern sich die Mediziner meist, den Betroffenen Rezepte auszustellen, die von der Kasse übernommen werden – bezeichnenderweise gern mit der Ausrede, HET mit Testo sei "Off Label-Use" ... Sprich, die Zwangskastrierten müssen eine adäquate HET noch aus der eigenen Tasche bezahlen! Seit Jahren besteht deshalb die Forderung an die Mediziner und insbesondere das Netzwerk, diesem Unfug endlich ein Ende zu bereiten.

Am 6.3.2009 ging nun beim Dachverband der Selbsthilfegruppen Intersexuelle Menschen e.V. eine Mail ein von Prof. Olaf Hiort mit dem Betreff "Klinische Studie zur Testosteronsubstitution bei kompletter Androgenresistenz". Eine solche war schon seit längerem im Gespräch. Nachdem jedoch letztes Jahr die Netzwerk-Gelder ausliefen und eine Fortsetzung der Finanzierung letzten Sommer abgelehnt wurde, lag das Projekt zunächst auf Eis. Olaf Hiort hatte es nun "bei einem anderen Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eingereicht", und dort sei es "als sehr gut bewertet worden".

Bei der Studie geht es laut Olaf Hiort darum, dass die Testosteronsubstitution bei CAIS ("Betroffene mit anderen Formen von DSD/Intersexualität sind von der Studie ausgeschlossen") in Zukunft zugelassen, sprich "vom Gesetzgeber und von den Krankenkassen" anerkannt wird.

Damit liegt der Ball nun bei den Zwittern. IMeV und die Selbsthilfegruppen suchen zur Zeit nach potientiellen Kandidat_innen, die mitmachen – was jedoch nicht nur einfach sein wird, da die Teilnehmenden drastischen körperlichen und seelischen Strapazen ausgesetzt werden.

Mein Kommentar:

Auf den ersten Blick eine erfreuliche und vielversprechende Nachricht: Endlich eine Studie, die beweisen soll, dass es CAIS-Menschen mit Testosteron besser geht! Auf den zweiten Blick sieht das Ganze jedoch etwas anders aus.

Obwohl ich das im ersten Augenblick dachte, geht es bei dieser Studie nicht darum, Kastrationen zukünftig als noch unsinniger darzustellen und deshalb letztlich abzuschaffen. Diese Studie tangiert den Kastrationsgrund "Krebsgefahr" nicht. Es geht lediglich um den "Off Label-Use".

Dagegen ist im Grunde genommen auch nichts einzuwenden. Viele von uns wären froh darum, sich nicht mehr mit renitenten Medizinern und Krankenkassen rumschlagen zu müssen.

Die "Versuchskaninchen" müssen sich jedoch für diese Studie einem sehr drakonischen Regime unterziehen:

"Es ist eine zweizeitige Behandlung mit Testosteron gegen Östrogene vorgesehen, wobei das Präparat 'geblindet' wird, d. h. die Behandelte weiß nicht, welches Präparat sie gerade bekommt.  Die Behandlungsdauer ist insgesamt mit einem Jahr angesetzt, dabei dürfen 2 Monate vor Behandlungsbeginn keine Hormone eingenommen werden und zwischen den beiden Therapiearmen jeweils auch einen Monats nichts..  Also ein langwieriger Vorgang, um die Effekte der Behandlung zu erfassen.  Dies würde an 4 Zentren in Deutschland erfolgen, die festgelegt werden.  Es sind ingesamt 8 Vorstellungstermine vorgesehen. Natürlich werden den Studienteilnehmern keine Kosten entstehen."

Nur, wenn mindestens 30 CAIS-Frauen bereit sind, an dieser Studie teilzunehmen, kriegt das Netzwerk diese vom BMBF bewilligt und bezahlt.

Bei dieser Studie mitzumachen, und insbesondere über Monate jeweils jede HET abzusetzen, bedeutet aber für die betreffenden Zwitter ein Jahr lang massive körperliche und seelische Probleme, die beispielsweise für das Berufsleben je nach dem auch bleibende negative Auswirkungen haben können. O-Ton Hiort: "Ich hoffe, diese mail schreckt Sie jetzt nicht zu sehr ab." Aufgrund dieser heftigen "Auflagen" wird Prof. Hiort eventuell keine 30 Proband_innen zusammen kriegen, die diese hormonellen Strapazen und sonstigen Unannehmlichkeiten auf sich nehmen werden wollen oder können.

In diesem Fall kann sich das Netzwerk dann künftig darauf berufen, dass die Betroffenen leider nicht interessiert sind, und sich die Hände in Unschuld waschen – statt endlich dafür zu sorgen, dass künftig ALLE zwangskastrierten Zwitter Hormone nach ihren Bedürfnissen und Wünschen von der Kasse bezahlt kriegen (und nicht nur solche mit CAIS)! Weil dies wäre nun wirklich das allermindeste, was uns zwangskastrierten Zwittern zustünde!

Dass man die Anerkennung der Testosteronsubstitution bei CAIS-Menschen und anderen Zwittern "vom Gesetzgeber und von den Krankenkassen" auch auf anderem Wege  erreichen könnte, und erst noch ohne Risiken und Nebenwirkungen, wird regelmässig unterschlagen. Ebenso, dass auch die Östrogensubstitution ebenfalls klar einen "Off Label-Use" darstellt.

Wenn also bei Östro trotz "Off Label-Use" problemlos ordentliche Rezepte möglich sind, trotz der erwiesenen Schäden, so sollte das eigentlich auch für Testosteron der Fall sein – alles andere ist unethisch, diskriminierend und unsere Menschenrechte einmal mehr mit Füssen tretend. Dies zumindest meine Meinung. Woran es dazu jedoch nach wie vor hapert, ist genügend öffentlicher Druck, nicht zuletzt von Seiten des Netzwerks ...

Trotzdem wäre es wie gesagt sehr zu begrüssen, wenn die Studie stattfinden würde, und ich möchte alle potentiellen Kandidat_innen dazu aufrufen, eine Teilnahme zu prüfen.

Nella

Siehe auch:
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert
- PRESSEMITTEILUNG: Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber bezahlen
- Testo-Studie: Doch keine Placebos

Wednesday, March 25 2009

LSVD: Änderungen am Zwitter-Antrag

Wie berichtet, legt der Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland der kommenden Verbandstagung vom 4./5. April einen Antrag vor, der sich für Menschenrechte auch für Zwitter stark macht. Daran wurden zwischenzeitlich Änderungen vorgenommen, m.E. teils zum besseren, teils auch nicht. Nach der Einschätzung des Bundesvorstandes hat der Antrag gute Chancen, angenommen zu werden. Wir drücken die Daumen! An der Verbandstagung wird Lucie Veith für Intersexuelle Menschen e.V. ein Referat halten. Die konkreten Änderungen im Antrag mit Kommentar >>> hier unter Nachtrag 25.3.

Siehe auch:
- Lesben- und Schwulenverband Deutschland fordert Menschenrechte für Zwitter! 
- LSVD: Menschenrechte für Zwitter als Wahlprüfstein! 
- Bundestagswahl 2009: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter! 
- CSD Konstanz & Kreuzlingen fordert Selbstbestimmung für Zwitter 

Sunday, March 22 2009

"Menschenrechte auch für Zwitter!" - vorwärts 20.2.09

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Nach den Protesten vor der UNO in Genf wurden wir vom "Vorwärts", der Zeitung der schweizer "Partei der Arbei (PdA)", um einen Hintergrundartikel angefragt. Eine Bitte, der wir gern entsprachen.

Da das Rad nicht jedesmal neu erfunden werden muss, hielten wir uns hauptsächlich an den Grundsatztext auf der Solipage dieses Blogs, seinerseits grösstenteils eine Kompilation von Flugblättern, Pressemitteilungen usw., die schon öfters auszugsweise auch in anderen Texten, politischen Vorstössen usw. Verwendung fand. Am 20. Februar wurde der Artikel dann, leicht bearbeitet und ergänzt um die Blogmeldung zur schriftlichen CEDAW-Rüge, als ganzseitiger Beitrag veröffentlicht. Danke!!

Zum Betrachten hier oder in das Foto klicken (jpg 480kb) und je nach Browser zusätzlich reinklicken zum aufklappen.

Nachfolgend die unbearbeitete Version des Artikels als Text:

Continue reading...

Spendenaktion für Christiane erfolgreich!

Christiane während eines der vielen, vielen Interviews. Köln, 12.12.07.

Wie berichtet, muss Christiane Völling dem Landgericht Köln 2000.-- Euro bezahlen, damit ihr Prozess fortgesetzt wird. Nach einem Spendenaufruf hier und durch Intersexuelle Menschen e.V. gingen nun, zusammen mit dem Ertrag der 1. Spendenaktion, innert der nötigen Frist genügend Spenden ein, um diese Auflage zu bezahlen! Hip, hip!

Christiane teilt dazu mit, dass sie sich ganz herzlich bei allen Spender_innen bedanken möchte, die "so eine Fortführung meines Prozesses ermöglichten und mich auf diese Art und Weise wissen und spüren ließen, dass ich nicht alleine bin, gerade und insbesondere in meiner derzeitigen schwierigen Lage".

Auch wir von Zwischengeschlecht.info möchten uns dem anschliessen und sagen allen Spender_innen Danke!

Christianes Prozess, der von ihr unter erheblichem finanziellen Risiko geführt wird und ihr durch den dadurch entstandenen Medienrummel und die allgemeine Belastung auch persönlich eine ganze Menge abverlangt, ist und bleibt ein historisches Ereignis für alle Zwitter in ihrem Kampf gegen genitale Zwangsoperationen und sonstige nicht-eingewilligte Zwangseingriffe – und Christianes Sieg gegen ihren ehemaligen Chirurgen ein Meilenstein in diesem Ringen! Umso schöner, dass ihr nun von der wachsenden Zwitterbewegung inkl. solidarischen Nicht-Zwittern die praktische Solidarität zuteil wurde, die sie zur Weiterführung ihres bahnbrechenden Prozesses braucht.

Fortsetzung folgt ...

PS: Spenden sind auch weiterhin hochwillkommen! Falls Christiane die Spenden nicht mehr braucht, geht das gesammelte Geld in einen Fonds und wird für weitere Prozesse verwendet!

Intersexuelle Menschen e.V.
Konto 0963128202
Postbank Hamburg
BLZ 200 100 20
Verwendungszweck: Solidarität mit Christiane

Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt. Für Beträge unter 100 € genügen der Einzahlungsbeleg und der Kontoauszug. Für Zuwendungen über 100 € stellt der Verein Spendenbescheinigungen aus.

Christianes Prozess auf diesem Blog:
- Christiane Völlings Geschichte
- 1. Pressemitteilung
- Demoaufruf 1. Prozesstag
- Berichterstattung 1. Prozesstag
- Pressespiegel 1. Prozesstag
- Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
- Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
- Berichterstattung und Pressespiegel 2. Prozesstag
- Christiane: Der Kampf geht weiter
- Bericht provisorischer Entscheid OLG
- Bericht definitiver Entscheid OLG
- Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG  

Thursday, March 19 2009

Lesben- und Schwulenverband Deutschland fordert Menschenrechte für Zwitter!

Der Vorstand des Lesben und Schwulenverbands Deutschland (LSVD) legt der 21. Verbandstagung vom 4./5. April in Berlin-Schöneberg einen Antrag "Menschrechte von Intersexuellen schützen. Intersexualität als gesellschaftliches Tabu bekämpfen" zur Abstimmung vor, der detailliert Menschenrechte auch für Zwitter fordert.

>>> PDF-Download

Darin zeigt sich der LSVD "schockiert über die Berichte über Menschenrechtsverletzungen, die in der Bundesrepublik Deutschland an zwischengeschlechtlichen [...] Menschen begangen wurden" und dankt Intersexuelle Menschen e.V. und XY-Frauen, "die diese Fakten im Rahmen des CEDAW-Alternativberichtes aufgearbeitet und veröffentlich haben".

Zur Beschreibung der Problematik greift der LSVD wiederholt auf Pressemitteilungen und Grundsatztexte von Intersexuelle Menschen e.V. und Zwischengeschlecht.org zurück sowie auf die Forderungsliste des Vereins, deren 5 Kernpunkte ebenfalls wörtlich übernommen werden. Weitere Abschnitte befassen sich fundiert mit den Diskriminierungen durch das Personenstandsrecht (inkl. Hinweis auf den Prozess von Michel Reiter): "Intersexuelle Menschen werden rechtlich gezwungen ihre Identität zu verleugnen." Auch die Yogyakarta-Prinzipien werden ins Feld geführt.

Kommentar: Na bitte, es geht doch! Der LSVD-Bundesvorstand macht einen mutigen ersten Schritt und zeigt, dass Solidarität mit Zwittern statt Vereinnahmung machbar ist, indem er die Forderungen des Vereins zu einem grossen Teil wörtlich aufnimmt und unterstützt, inkl. Einforderung des für Zwitter zentralen Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde.

Ich persönlich bin zwar – nicht zuletzt aufgrund der Vorgänge im Bundestag – nach wie vor sehr skeptisch, was das Winken mit Yogyakarta und insbesondere das Voranstellen von "sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität" vor das Recht auf körperliche Unversehrtheit den Zwittern konkret bringen soll, aber es ist klar, dass der LSVD letztlich auch profitieren will, und das ist m.E. auch zumindest nicht illegitim, solange es in der vorliegenden Form geschieht.

Zwar handelt es sich erst um einen Antrag, der am Verbandstag am 4./5. April noch genehmigt werden muss. Ich hoffe aber auf alle Fälle auf das Beste und sag schon jetzt allen an diesem Antrag Beteiligten DANKE!!!  Nachtrag: Die Resolition wurde einstimmig angenommen!

(Danke an Hänselodergretel für den Hinweis.)

Siehe auch:
- LSVD: Menschenrechte für Zwitter als Wahlprüfstein! 
- Bundestagswahl 2009: 4 von 5 Bundestagsparteien fordern Selbstbestimmungsrecht für Zwitter! 
- CSD Konstanz & Kreuzlingen fordert Selbstbestimmung für Zwitter 

Nachtrag 25.3.09: Der Antrag wurde inzwischen nochmals überarbeitet. Einige Änderungen sind m.E. Verbesserungen, andere jedoch nicht:

Sehr gut finde ich z.B., dass es nun Zeile 18ff. heisst: "Trotz der Varianz ihrer geschlechtlichen Anlagen sind bei der Mehrheit dieser Menschen keine  medizinischen Interventionen notwendig.", statt wie vorher "Neben der Varianz ihrer geschlechtlichen Anlagen liegen bei ihnen in der Mehrzahl der Fälle keine weiteren Merkmale vor." Auch Z. 25 die Änderung von "uneindeutigen Genitalien" zu "zwischengeschlechtlichen Genitalien" finde ich sehr gut.

Nicht gut finde ich hingegen z.B. die Änderung von alt Z. 10 "uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen" zu neu Z. 9 "männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen" – dadurch wird einmal mehr den immer noch verbreiteten, irrigen "Hermaphroditen-Mythen" von "Mann und Frau zugleich" Vorschub geleistet. Warum nicht z.B. "sogenannt uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen" oder "nicht eindeutig männlich oder weiblich zuordnungsbaren Geschlechtsmerkmalen"? Sehr schade finde ich auch, dass der Hinweis alt Z. 53 "Intersexuelle Menschen kommen in keiner offiziellen Statistik vor." ersatzlos gestrichen wurde. Warum bloss? Die Weigerung durch Medizyner und Bundesregierung, das (laut Ärzten zunehmend häufigere) Vorkommen zwischengeschlechtlicher Menschen (und damit auch die Häufigkeit der Zwangsoperationen!) verbindlich statistisch zu erfassen und die damit verbundenen Zahlenmanipulationen zwecks Verhinderung von Monitoring sind ein zentrales Problem, das ruhig erwähnt statt ausgelassen werden dürfte.

Gekürzt wurde übrigens auch der Titel des Antrags: von alt "Menschrechte von Intersexuellen schützen. Intersexualität als gesellschaftliches Tabu bekämpfen" zu neu "Menschenrechte von Intersexuellen schützen".

Wednesday, March 18 2009

Wikipedia fest in MedizynerInnen-Hand

Innerhalb der letzten Wochen wurden bei allen betreffenden Wiki-Einträgen scheints alle seit längerem aufgeführten Selbsthilfe-Weblinks entfernt. Dies mit der Begründung, bei Wikipedia seien Links zu Selbsthilfegruppen bei "medizinischen Artikeln" laut den Richtlinien der Wiki-Medizinredaktion "nicht erwünscht", bzw. auch laut allgemeinen Wiki-Richtlinien "unerwünscht".

Diese Argumentation schien mir fragwürdig, handelt es sich bei "Intersexualität" usw. doch keineswegs um ein "rein medizinisches" Thema, sondern (auch) um einen öffentlichen, politischen und kulturellen Diskurs, in dem die Mediziner zur Zeit vermehrt unter Druck stehen und deshalb lediglich einen einseitigen Parteienstandpunkt repräsentieren und nicht die ganze Sache. Zudem erlauben zumindest die allgemeinen Wiki-Richtlinien auch bei strikt medizinischen Einträgen ausdrücklich Links z.B. auf "Selbsthilfegruppen, die bei der Erstellung von anerkannten Leitlinien mitgewirkt haben und die gleichzeitig auch den Qualitätskriterien entsprechen." Dies trifft auf mehrere Zwitter-Selbsthilfegruppen klar zu, z.B. in Deutschland auf Intersexuelle Menschen e.V. und auf XY-Frauen, aber auch auf die AGS-Initiative.

Ich habe deshalb auf der Wiki-Diskussionsseite des Artikels "Intersexualität" einen Eintrag zum Thema gestartet, worin ich versuchte, meine Argumente möglichst unaufgeregt anzubringen. Darauf kam es zu einem ersten Austausch, auch wurde der Link auf den Verein von einem dritten Wiki-Benutzer vorerst wieder eingesetzt. Mal schauen, wie es weitergeht ...

Wer auch bei Wiki User_in ist (oder es werden will) und weitere konkrete Argumente oder Belege hat, weshalb welche Selbsthilfegruppen wo genau bei Wiki wieder reinsollten, ist herzlich eingeladen mitzuhelfen ...

Nachtrag 2010: Nach wie vor ist Wikipedia fest in der Hand der MedizynerInnen und wird "Intersexualität" ausschliesslich als "medizinische Krankheit" abgehandelt ...

Monday, March 16 2009

Treffen "Netzwerk DSD" vom 28.2.09 in Lübeck

In kleinerem Rahmen als auch schon fand das erste Treffen des "neuen" Netzwerk DSD statt (vormals "Netzwerk Intersexualität"). Nachdem die seinerzeitigen Forschungsgelder Ende letztes Jahr ausliefen, wurde am letzten Treffen vom 6.9.08 beschlossen, das Netzwerk als Verein mit neuen Statuten und neuem Namen weiterlaufen zu lassen, um die etablierten Kontakte zwischen den beteiligten Kliniken weiterzupflegen. Das neue Netzwerk ist zudem eingebunden in "Euro DSD".

Von Seiten der Selbsthilfegruppen war für Intersexuelle Menschen e.V. und XY-Frauen diesmal Elisabeth "Museli" Müller ("Hermaphrodit Müller bitte, ich bin keine Frau") mit dabei. Auch die AGS Eltern- und Patienteninitiative war wiederum durch eine Mutter und eine betroffene Person vertreten.

Viel Platz nahmen bei dieser ersten Sitzung Interna in Anspruch. Bedauerlicherweise startet das "neue" Netzwerk ziemlich "chirurgenlastig", der neue Vorstand besteht aus einem Endokrinologen und zwei ChirurgInnen: Olaf Hiort (1. Vorsitzender, zugleich "Projektleiter" bei "EuroDSD"), Susanne Krege (2. Vorsitzende), Lutz Wünsch (Kassenwart). Ausführlich besprochen wurde die neue Satzung des Vereins (mehr dazu im Bericht vom letzten Treffen).

In einem 2. Teil wurde es dann für die Vertreter_innen der Selbsthilfegruppen spannend: Viele der Anwesenden sprachen sich für eine Verbesserung der psychologischen Unterstützung aus ("psychosoziale Versorgung von DSD-Patienten" im Jargon der anwesenden MedizinerInnen). Die einseitig ausschliesslich durch Endokrinologen und Chirurgen vorgenommene "Beratung" der Eltern wie der (in der Folge – Überraschung! – nach wie vor meist zwangsoperierten) jungen Zwitter wird schon seit 1992 von allen Selbsthilfegruppen einhellig kritisiert – und stattdessen erstmal umfassende und kompetente psychologische Unterstützung gefordert! Trotzdem ist es heute noch so, dass funktionierende psychologische Betreuung durch spezialisierte Fachkräfte (entgegen anderslautenden Lippenbekenntnissen auch aus dem Netzwerk) nach wie vor klar die Ausnahme darstellt. Letzten Angaben zufolge ist z.B. sogar in der Netzwerk-Hochburg Lübeck die psychologische Versorgung für das laufende Jahr nicht wirklich gesichert. Zu oft wird auch von Medizinerseite der Kontakt zu den Selbsthilfegruppen Trotz anderslautender Versprechen bewusst nicht hergestellt. Neuen Zündstoff erhielt die Ur-Forderung der Selbsthilfegruppen nach psychologischer Unterstützung nicht zuletzt durch die jüngste Lübecker Netzwerkstudie, die klar zeigt, dass Betroffene mit psychologischer Unterstützung eine bessere Lebensqualität haben. Forderungen und vor allem konkrete Schritte durch das Netzwerk zur allgemeinen Sicherstellung der "psychosoziale[n] Versorgung" für ALLE Zwitter und ihre Angehörigen wären demnach klar zu begrüssen – Fortsetzung folgt ...

Von Seiten der Selbsthilfegruppen wurde auch der unter Betroffen klar abgelehnte und als Affront und Unwort empfundene Begriff "Störung" kritisiert, der nun in der neuen Satzung durchgegend verwendet wird (im "alten" Netzwerk wurde das englische "Disorder" jeweils noch stillschweigend mit "Besonderheit" "übersetzt"). Von Seiten der AGS-Initiative wurde auf Milton Diamonds "freundlichere Beschreibung" "Varieties of Sex Development" hingewiesen, was unter den Anwesenden überraschenderweise überwiegend auf Zustimmung gestossen sei. Elisabeth Müllers Beitrag zur Diskussion:

Mein Kommentar dazu: es gelte hier nicht, irgendwelche großzügigen Freundlichkeiten zu verteilen, sondern den zwischengeschlechtlichen Menschen schlichtweg Menschenrechte zu gewähren. Zu Krege sagte ich: "Ihnen sagt doch auch keiner, daß Sie eine gestörte Körper- und Geschlechtsentwicklung haben".

Für zwangsoperierte und dadurch traumatisierte Zwitter kostet es aus naheliegenden Gründen immer starke Nerven, bei Mediziner-Veranstaltungen mit dabei zu sein. Vorletzen Herbst war es bei einem Netzwerktreffen in Buchum zudem zu unschönen Szenen gekommen, als viele Mediziner und ein Psychologe bei einem Vortrag von Betroffenen lauthals pöbelnd den Saal verliessen (eins / zwei) – eine unrühmliche Tradition seit 2000. Wie schon beim letzten Treffen scheint es auch dem "neuen" Netzwerk wichtig, dies künftig besser zu machen. Wie Elisabeth Müller berichtet, habe es bei ihr einzig mit der Anrede nicht auf Anhieb geklappt:

Als mir Versammlungleiterin Ute Thyen sehr höflich und mit Achtung  das Wort erteilte "Bitte, Frau Müller", habe ich mit beherrschter Stimme richtig gestellt, daß ich Hermaphrodit Müller sei.

Kommentar: Noch 1999 wurde Michel Reiter in Berlin von der Teilnahme an einem Kongress durch die Security kurzerhand ausgeschlossen. Offensichtlich haben die Proteste der letzten anderthalb Jahrzehnte zumindest einiges bewirkt. Bleibt zu hoffen, dass nicht zuletzt durch die neu erstarkte Zwitterbewegung die Mediziner auch künftig damit leben müssen, dass wo immer sie sich treffen, auch Vertreter_innen der betroffenen Menschen dabei sind und respektvoll angehört werden müssen!

Schön zu erfahren auch, dass die langjährige, begründete Kritik am menschenverachtenden Unwort "Störung" anscheinend mittlerweile auch im "Netzwerk der Geschlechtsentwicklungsgestörten" langsam anzukommen scheint. Zu schön, wenn nun das Netzwerk (und alle angeschlossenen Spitäler und vertretenen Standesorganisationen) in Namen (und Statuten) demnächst "freundlicher" würde(n) – auch und erst recht in den Behandlungsleitlinien! Denn nicht zuletzt dort hapert's nach wie vor gewaltig! Fortsetzung folgt ...

Siehe auch:
- 5. Netzwerk-Treffen Kiel 6.9.08: Intersexualität ade - DSD ahoi!
- Lübeck: Doch psychologische Versorgung auch 2009?
- Tagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG
- Netzwerk Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders

Tuesday, March 10 2009

"Intersexualität: Das dritte Geschlecht" - Focus 9.3.09

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Nach 3 Artikeln über "Intersexualität" im Jahre 2007 (ein kurzer über Genetikforschung an "XY-Frauen", gefolgt von einem Bericht zu Christianes 1. Prozesstag mit einem längeren Hintergrundartikel), legt Focus heuer nochmals deutlich einen oben drauf! Auch im Vereinsforum gab es gute Noten.

Nicht nur ist der Artikel länger als die vorherigen drei zusammen: Es kommen mehr Betroffene zu Wort, und nie zuvor standen die Folgen der Zwangsoperationen sowie auch die Kritik an den Zwangs"behandlungen" derart im Zentrum!

Abgerundet wird das Ganze u.a. durch einen Hinweis auf den Schattenbericht inkl. URL und die offensiven Forderung nach einem optionalen 3. Geschlechtseintrag.

Zwar hat es lokal immer noch ziemliche Schnitzer, wie z.B. "„Disorders of Sexual Identity“ (DSI)" (als wäre DSD nicht schon doof genug!), das immer wieder beliebte "Androgenitale Syndrom" (danke an sky für den Hinweis – Medinzinerdeutsch korrekt wäre "adrenogenital"), eine Betroffene spricht laut dem Artikel gar selbst von "meine Krankheit", Frauenbeschneidungen werden mit "islamischen Kulturen" in Verbindung gebracht (aber immerhin im Zusammenhang mit Zwangsoperationen überhaupt erwähnt!), es kann bemängelt werden, dass nur schon der Aufbau des Artikels immer noch stark von medizinischen Schubladen bestimmt ist, doch alles in allem, die Message stimmt!

Dieser Artikel bedeutet einmal mehr schlechte Nachrichten für die Zwangsoperateure und all ihre Komplizen in der Politik, die uns nach wie vor weismachen wollen, man hätte "all das halt nicht gewusst" ...

Danke allen Beteiligten!!!

>>> Focus: "Intersexualität: Das dritte Geschlecht"

(Danke an Hänselodergretel für den Hinweis.)

Monday, March 9 2009

Bundestag lehnt Yogyakarta-Vorstoss der Grünen ab

In derselben Sitzung, in der auch die CEDAW-Empfehlungen (nicht-)behandelt wurden, kam es zur Abstimmung über den Yogyakarta-Antrag der Grünen.

Intersexuelle waren in diesem Antrag bekanntlich als obligates Schlusslicht zu den "Schwulen, Lesben, Bisexuelle[n], Transgendern" einmal mehr bloss "mitgemeint". Konkret wurden sie in der Einleitung zwar noch in einem (nicht mal nur schlechten) Abschnitt erwähnt, im zentralen Teil des Papiers, den konkreten Forderungen, kamen sie jedoch gar nicht mehr erst vor – wie schon in den Yogyakarta-Prinzipen selbst. In der vorherigen Bundestagsdebatte zum Antrag benutzte zwar ein Abgeordneter 2x das Wort "Intersexuelle", meinte aber damit bezeichnenderweise Menschen, die in wegen "ihrer sexuellen Orientierung" verfolgt und diskriminiert werden in weit entfernten "Staaten [...], die eine andere Lebensweise haben", wie z.b. "Usbekistan und Turkmenistan" – und niemand, auch die antragstellenden Grünen nicht, fand es nötig, das richtig zu stellen.

Wie im Sitzungsprotokoll (>>> PDF-Download) auf S. 85 nachzulesen ist, wurde der Antrag nun im Bundestag am 5.3.08 in der 208. Sitzung ohne weitere Diskussion abgelehnt. 

Der Bundestag folgte damit einer Empfehlung des "Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe". Am 13.2.09, demselben Tag, an dem die schriftlichen CEDAW-Empfehlungen veröffentlicht wurden (sowie die beschämende Antwort des Hamburger Senats auf die historische erste Grosse Zwitter-Anfrage), war der Yoyakarta-Antrag dort Diskussionspunkt gewesen (>>> PDF-Protokoll). Schon dort wurden Zwitter ebenfalls gar nicht mehr erwähnt, sowie ging es einmal mehr lediglich um das "schlimme Ausland". Der Ablehnungsantrag wurde damit begründet, die Bundesregierung würde "dieses Thema" eh bereits kontinuierlich "unterstütz[en]", weshalb es dazu nicht noch einmal einen eigentlichen Beschluss brauche ...

Die Presseresonanz zur Ablehnung war gleich NULL- zumindest habe ich auf dem Web nichts gefunden.

Kommentar: Die Ausreden im (Nachtrag: auch sonst durch Mittäterschaft am unnötigen Fortdauern der Genitalverstümmelungen an Zwittern profilierten) "Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" und überhaupt die gesamten Yogyakarta-Debatten zeigen einmal mehr, dass Zwittern mit solchen "Mitgemeint-LGBT-Vorstössen" prinzipiell schlecht gedient ist. Erstens gehen sie dort regelmässig unter bzw. werden für etwas ganz anderes gehalten. Weiter haben es solche Vorstösse in der aktuell realexistierenden politischen Landschaft schwer bzw. eine Mehrheit schon mal gegen sich (übrigens auch international, wie einschlägige UNO-Debatten zeigen). Wie andrerseits u.a. die im Vergleich dazu positiv ausgefallene CEDAW-Debatte illustriert, helfen den Zwittern Vorstösse, in denen es (statt um "Geschlechtsidentität" oder "sexuelle Orientierung") konkreter um die Zwangsoperationen als Menschenrechtsverletzungen geht, schon eher – obwohl es auch dort noch ein weiter Weg ist ...

Siehe auch:
- Bundestag / CEDAW: "Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" will nix kapiert haben ...
-
- Yogyakarta-Debatte im Bundestag: "Intersexualität" = sexuelle Orientierung??!
- Lauter leere Versprechungen: Fachgespräch der Grünen 27.5.09
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert – Grüne wollen nix gemerkt haben
- Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen: Yogyakarta untaugliches Instrument
- QueerGrün missbrauchen Zwittersymbol für TSG-Kampagne
- "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?"     

Friday, March 6 2009

CEDAW: Offener Brief des Deutschen Juristinnenbundes erwähnt Zwitter

Der djb hatte das CEDAW-Geschehen regelmässig verfolgt. In einem Offenen Brief an die CEDAW-Verantwortliche der Bundesregierung, Familienministerin von der Leyen, redete der djb am 4.3. (dem Vortag der CEDAW-Bundestagsdebatte) einmal mehr Klartext – und erwähnt erstmals "inter- und transsexuelle Frauen":

Und warum wird die Aufforderung an die Bundesregierung, in zwei Jahren einen Zwischenbericht über die getroffenen Maßnahmen [...] über die Zusammenarbeit mit den Verbänden von inter- und transsexuellen Frauen vorzulegen, überhaupt nicht erwähnt?

Danke!!

Der Offene Brief ist auch auf der CEDAW-Page des Deutschen Frauenrates enthalten. Dort gibts ebenfalls Klartext über die versammelten Ausweichmanöver der Bundesregierung in Sachen CEDAW – sowie einen Eintrag über den Zwitter-Schattenbericht noch aus dem alten Jahr:

Schattenbericht für Intersexuelle

18.12.2009 - Menschenrechte auch für Zwitter fordert der Verein Intersexuelle Menschen e.V. und hat daher einen eigenen CEDAW-Schattenbericht am 15. Dezember in Berlin vorgestellt.

Nach offiziellen Schätzungen leben etwa 80.000 bis 120.000 medizinisch mit dem Begriff „intersexuell“ („DSD“) klassifizierte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.

Viele von ihnen werden systematisch medizinisch nicht notwendigen und traumatisierenden Zwangsbehandlungen unterworfen. Diese stellten einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar, so der Verein, der die vollständige Umsetzung und Anwendung der Menschenrechte auch für Intersexuelle fordert.

Staatenbericht ignoriert Nöte der Intersexuellen

Intersexualität berührt eine Vielzahl universeller Menschen- und Frauenrechte. Mit ihrem Schattenbericht will der Verein Intersexuellen Menschen e.V. über die physische, psychische und soziale Situation intersexueller Menschen in Deutschland aufklären und die vollständige Umsetzung der Menschenrechte auch für intersexuelle Menschen durchzusetzen. Im 6. Staatenbericht der Bundesregierung zu CEDAW fänden die Anliegen intersexueller Menschen kein Gehör, bemängelt die Lobby für Intersexuelle. Deutschland dürfe als CEDAW-Vertragsstaat die schweren Menschenrechtsgefährdungen und -verletzungen an intersexuellen Menschen nicht mehr länger ignorieren.

Kommentar zum Frauenrat-Eintrag: Wenn da nur dieses Wort im letzten Satz nicht wäre! Lieber Frauenrat, "Menschenrechtsgefährdungen" an "Intersexuellen" ist a) die Untertreibung des Jahrzehnts: Die Menschenrechtsverletzungen an Zwittern sind in den "westlichen Demokratien" seit dem 2. Weltkrieg die wohl massivsten Menschenrechtsverletzungen überhaupt!! Und b) ein ziemlich peinlicher Griff in die falsche Schublade.

Ansonsten auch hier: Danke!!

Siehe auch:
- Schattenbericht Intersexuelle Menschen e.V.
- Schattenbericht: Bundesregierung leugnet Menschenrechtsverletzungen an Zwittern 
- Zwitter-Demos vor der UNO 26.1.
- Weitere Medienberichte zu Genf
- Genf: UNO mahnt Bundesregierung
- CEDAW: Schriftliche Empfehlungen an die Bundesregierung
- Oliver Tolmein zu CEDAW-Empfehlungen
- CEDAW: Offener Brief des Deutschen Juristinnenbundes erwähnt Zwitter
- CEDAW im Bundestag: Nach bekanntem Muster

CEDAW im Bundestag: Nach bekanntem Muster

Mittlerweile ist das provisorische Sitzungsprotokoll (Nachtrag >>> vollständiges Protokoll als PDF) der 208. Sitzung vom 5.3. online. Die Bundesregierung war in Sachen CEDAW wie üblich vertereten durch Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

In Sachen Zwitter machte es sich die Ministerin denkbar einfach: Schweigen wie gehabt.

Auch zu allen anderen Themen rezyklierte sie zuverlässig altbekanntes: Das CEDAW-Komitee hat Deutschland nur gelobt, alles paletti, weiter nix ...

Allerdings hatte die Ministerin dabei die Rechnung letztlich ohne die Aufmerksamkeit der Abgeordneten gemacht. Aus dem Redebeitrag von Ina Lenk (FDP):

Auch die Alternativberichte der Allianz von Frauenorganisationen in Deutschland und des Juristinnenbunds sind bisher nicht im Ausschuss diskutiert worden. Frau Ministerin, Sie haben eine hauseigene Pressemitteilung vom 13. Februar zitiert, die wortgleich mit einer Pressemitteilung aus Ihrem Haus vom 4. März ist.

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unglaublich!)

Eine hauseigene Pressemitteilung, in der sich die Regierung über den Klee lobt, reicht aber wahrlich nicht aus.

Wiederholt wurde auch von Abgeordneten moniert, die Bundesregierung hätte die Empfehlungen des CEDAW-Komitees noch immer nicht ins Deutsche übersetzt – und auch das englische Original dem Parlament schlicht vorenthalten (!!) ...

Trotzdem war es dem Parlament nicht entgangen, dass die Bundesregierung in diesem "brisanten Papier" (Oliver Tolmein) nicht zuletzt wegen mangelnden Schutzes der Menschenrechte der Zwitter klar gerügt sowie zur Abfassung eines diesbezüglichen Zwischenberichts verknurrt wurde, was in der gestrigen Debatte dann verdankenswerter Weise auch sage und schreibe 3 (!!!) Parlamentarierinnen aufgriffen:

Irmingard Schewe-Gerigke (Grüne) erinnerte die Bundesregierung u.a. an die für Zwitter zentrale Empfehlung 62 des Komitees. In diesem Zusammenhang tauchte in der gestrigen Bundestagsdebatte gar das erste Mal das Wort "intersexuell" auf - im Gegensatz zu den CEDAW-Empfehlungen allerdings wieder in der "traditionellen", scheinbar gottgegebenen Reihenfolge:

Sie reagieren nur, wenn Sie das Bundesverfassungsgericht dazu zwingt. Das betrifft in letzter Zeit - das steht auch in den Berichten - die transsexuellen und intersexuellen Menschen. Dazu findet sich kein Wort von Ihnen im Länderreport. Die Rüge der Vereinten Nationen kam postwendend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Nicht, dass ich persönlich die Reaktionsfähigkeit irgendeiner Bundesregierung der letzten 60 Jahre in Sachen Zwitter höher einschätzen würde. Diesbezüglich finde ich die Beschreibung ziemlich akkurat. Nur: Dass es zu "Intersexuellen" z.B. gar keine Bundesverfassungsgerichtsentscheide gibt, wer weiss das schon? Wen interessiert das schon?

Das zweite Mal wurden Zwitter erwähnt von Caren Marks (SPD) – mensch beachte die Reihenfolge, oho!

Wir wollen keine Diskriminierungen von lesbischen Frauen oder inter- und transsexuellen Menschen.

Dito zum Dritten wurden Zwitter und der Schattenbericht eingebracht von Kirsten Tackmann (DIE LINKE):

Noch viel mehr Kritik steht im Alternativbericht zur UN-Frauenkonvention CEDAW, den uns Abgeordneten im vergangenen Dezember 28 Frauenorganisationen vorgelegt haben, gemeinsam mit einem alarmierenden Bericht zur Situation inter- sowie transsexueller Menschen in unserem Land. Dieser engagierten Arbeit ist es zu verdanken, dass die real existierenden Mängel der bundesdeutschen Gleichstellungspolitik und Frauenpolitik deutlich benannt wurden. Alle diese Berichte widersprechen dem allzu selbstgefälligen Bericht der Bundesregierung in ganz wesentlichen Punkten. Aber Kritik nutzt nur, wenn sie gehört wird. Deshalb sehe ich diese Alternativberichte als Hausaufgaben für das Parlament und uns Abgeordnete. Wir müssen erzwingen, dass die Bundesregierung die UN-Frauenkonvention endlich erlebbar durchsetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Endlich ein Votum, das konkrete Taten fordert! Leider ist aber genau DIE LINKE diejenige Partei, deren eigene "Aktivitäten" dieses Lippenbekenntnis zumindest in Sachen Zwittern klar Lügen strafen: seit über 5 Monaten sitzt die Linke auf dem Schlauch bei einer praktisch fixfertigen kleinen Zwitter-Anfrage, die sich u.a. genau auf den Schattenbericht bezieht und von der Bundesregierung diesbezüglich Rechenschaft verlangt und sie zum Handeln auffordert!

Fazit: Das die Zwitter wenigstens erwähnt werden, und nicht mal mehr ausschliesslich als Schlusslicht, ist ja schon mal etwas. Alles in allem reicht es es aber konkret noch lange nicht für eine Trendwende: Mit wohlklingenden Absichtserklärungen, denen keine Taten folgen, ist den Zwittern nicht geholfen (noch sonstwem) ... Genau an letzterem haperts aber speziell im Bundestag nach wie vor, und zwar gewaltig! Wann folgen auch dort – wie jüngst in Hamburg – endlich massiert konkrete und hartnäckige Vorstösse? Wer macht den Anfang? Wer zieht alles nach? Und nicht zuletzt: Wieviele bleiben dran, bis endlich konkrete Resultate herausspringen?

Ansonsten werden auch morgen, nächste Woche, nächstes Jahr usw. wehrlose Zwitterkinder nach dem altbekannten Programm zwangsoperiert. Und alle werden sie im Bundestag weiter dazu schweigen (oder allenfalls schön reden) und weiter wegschauen.

So wurden auch in der heutigen Pressemitteilung des Bundestags zur CEDAW-Debatte die Zwitter einmal mehr schon gar nicht erst erwähnt ... Auch die gestrige DDP-Meldung unterschlägt die Zwitter, erwähnt aber (im Gegensatz zur Bundestagsmeldung)  immerhin in einem Nebensatz "25 Beanstandungen der UN zum jüngsten deutschen CEDAW-Bericht".

(Danke an Lucie für den Hinweis auf das 2. und 3. Zwitter-Zitat. Im provisorischen Protokoll noch nicht enthalten: die Behandlung des Yogyakarta-Antrags und weiterer der Grünen später in derselben Sitzung.)

Nachtrag: Bundestag lehnt Yogyakarta-Vorstoss der Grünen ab

Bundestags-Suchmaschine zu "Intersexualität":
http://suche.bundestag.de/searchAction.do?queryAll=&queryOne=intersexuell+intersexuelle+intersex

Siehe auch:
- Schattenbericht Intersexuelle Menschen e.V.
- Schattenbericht: Bundesregierung leugnet Menschenrechtsverletzungen an Zwittern 
- Zwitter-Demos vor der UNO 26.1.
- Weitere Medienberichte zu Genf
- Genf: UNO mahnt Bundesregierung
- CEDAW: Schriftliche Empfehlungen an die Bundesregierung
- Oliver Tolmein zu CEDAW-Empfehlungen
- Offener Brief des Deutschen Juristinnenbundes erwähnt Zwitter

Wednesday, March 4 2009

Reitschule Bern zeigt ganzen März Zwitterfilme

Die Reitschule Bern ist ein selbstverwaltetes Kulturzentrum mit einer im wahrsten Sinne des Wortes bewegten Geschichte seit über 25 Jahren. Das Kino in der Reitschule widmet seinen Zyklus für den Monat Märzden Zwittern! Danke!!!

Am Do 5.3. gibt es zudem um 19:30h eine Einführung ins Thema durch die versierte Sozialwissenschaftlerin Kathrin Zehnder, unter Zwittern bekannt u.a. als Co-Herausgeberin des empfehlenswerten Buches "Intersex". Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes?, das u.a. auch einen Beitrag von Karin Plattner von der Schweizerischen Elternselbsthilfe enthält.

Im Anschluss ist eine Diskussion vorgesehen – schön wäre es, wenn darauf auch in Bern die am dortigen Inselspital trotz gegenteiliger Lippenbekenntisse nach wie vor praktizierten genitalen Zwangsoperationen vermehrt öffentlich kritisch hinterfragt würden oder gar konkret politisch unter Beschuss gerieten ...

Nachfolgend ein Überblick über den Zyklus und die einzelnen Filme.

Aus der Einleitung zum Filmzyklus:

In der Schweiz leben zwischen 8000 und 20 000 Menschen, die medizinisch nicht klar geschlechtlich einordbar sind. Im Filmzyklus Intersexualität möchten wir intersexuellen Menschen eine Stimme geben und Filme zum Thema zusammen schauen. Was ist Geschlecht eigentlich? Gibt es wirklich nur die zwei, die auf Formularen anzukreuzen sind oder müssen wir unsere Geschlechterkonzepte überdenken?

Einmal mehr scheint es also womöglich (noch) eher um die "Feinheiten von Gender" zu gehen als um den aktuellen Kampf der Zwitter gegen genitale Zwangsoperationen und um Selbstbestimmung. Das Programm jedoch ist hochkarätig – und böte eigentlich zur Genüge Material aus erster Hand für einen kurzen Überblick über mehr als ein Jahrzehnt politischen Zwitterkampf:

Im Eröffnungsfilm "Die Katze wäre eher ein Vogel" (2007) am Do 5.3. / Fr 6.3. / Sa 28.3. erzählt u.a. ein Urgestein des organiserten Zwittertums, die Mitbegründerin von XY-Frauen und Intersexuelle Menschen e.V., Katrin Ann Kunze (siehe auch: Die Zeit 00 / Freitag 44/02). Weitere Interviewte sind unter anderem Lucie Veith (siehe auch: OB Netzwerk Sept 07 / taz 6.11.07 / Deutschlandfunk 6.7.08), Co-Autorin des Schattenberichts, der diesen Januar in Genf vor der Uno verhandelt und von der schweizerischen Gruppe Zwischengeschlecht.org mit Mahnwachen und einer Demo begleitet wurde, und Christiane Völling (im Film noch Thomas), die in Köln 2008 in zweiter Instanz einen vielbeachteten, beispiellosen Prozess gewann gegen den Chirurgen, der ihr – wie bei Zwittern üblich – ohne ihre informierte Einwilligung die inneren Geschlechtsorgane entfernte und sie dadurch laut Gericht "schuldhaft in [ihrem] Selbstbestimmungsrecht verletzt[e]" (siehe auch: Christianes Geschichte / Planetopia 16.12.07 Video / Kulturzeit 25.6.08).

Fr 6.3. / Sa 28.3. läuft mit "Das verordnete Geschlecht" (2001) DER deutschsprachige Zwitterfilm überhaupt, mit Interviews und Berichten von politischen und anderen Aktionen u.a. mit Michel Reiter, der mit Heike Bödeker in der Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG) 1996 die deutschsprachige Zwitterbewegung überhaupt begründete, und mit seinem Aufsehen erregenden Prozess über zwei Instanzen um sein Recht auf Personenstand "zwittrig" das Thema der massiven Menschenrechtsverletzungen an Zwittern zu Beginn des 21. Jahrhunderts erstmals einer breiteren Öffentlichkeit nahebrachte (siehe auch: Zeit-Magazin 28.1.99 / GEO Wissen 26/00 / Arranca 14 / Vortrag 30.6.00). Michel Reiter hielt viele Vorträge, u.a. am 3.7.01 auch einen in der Reitschule (PDF-Download) ...
Ebenfalls mit von der Partie: Elisabeth "Hermaphrodit Müller, bitte, ich bin keine Frau", ebenfalls Mitbegründerin von XY-Frauen und Intersexuelle Menschen e.V., heute noch als Aktivistin dabei, aus Funk und Fernsehen auch bekannt als "Zwitter Eli" sowie berühmt für ihre Zarah Leander-Adaption "Kann ein Zwitter Sünde sein?" (siehe auch: dradio 20.3.06 / advaita 14/06 (PDF) / MDR 18.1.08 (mp3 15.1 MB)
Weiter bemerkenswert an diesem Film: Co-Filmemacher Oliver Tolmein, Rechtsanwalt und Publizist u.a. mit einem exzellenten Blog "Biopolitik" auf FAZ-Online, der sich nach wie vor engagiert für die Menschenrechte (auch) der Zwitter einsetzt.

Sa 7.3. / Sa 14.3. / Fr 20.3. zeichnet "Erik(A) - der Mann, der Weltmeisterin wurde" (2005) die Geschichte der erfolgreichen österreichischen Sportlerin Schinegger nach, die nach einer Geschlechtskontrolle des Olympischen Komitees als "Scheinzwitter" mit männlichem Chromosomensatz von der Teilnahme ausgeschlossen wurde, sich darauf freiwillig Operationen unterzog und anschliessend als Mann seine Karriere fortsetzte. Eine aussergewöhnliche Biographie, die auf den ersten Blick nichts mit dem Kampf der Zwitter zu tun hat – ausser, dass sie treffend illustriert, wieviel besser es Zwittern geht, wenn sie das Glück haben, nicht als Kinder zwangskastriert und zwangsoperiert werden, sondern untraumatisiert aufwachsen und später möglichst freie Entscheidungen über sich selbst treffen können – für die allermeisten Zwitter nach wie vor eine Utopie, wie auch ein aktuelles, denkwürdiges scheinbares Dementi aus dem Inselspital einmal mehr beweist.

Ebenfalls aus Österreich kommt der am Fr 13.3. / Do 19.3. gezeigte "Tintenfischalarm" (2005) und erzählt die bewegende Geschichte von Alex, dem wie so vielen anderen Zwitterkindern mit der "Begründung" "Pseudohermaphroditus masculinus" die Hoden und das Lustorgan kurzerhand amputiert wurden, damit das "uneindeutige" Kind künftig als Mädchen durchginge. Auch bei Alex ein letztlich vergebliches, für das Opfer aber extrem schmerzhaftes und zerstörerisches "Experiment" scheinbar mitgefühlloser Medizyner. Alex beginnt eine Flucht nach vorn und entkommt so dem Schicksal von über 30% seiner Geschlechtsgenoss_innen, die sich selbst das Leben nehmen (siehe auch: Alex Jürgens Geschichte / "Tintenfischalarm"-Bio 2006 / Presseheft (DOC). Alex ist Mitbegründer der österreichischen Selbsthilfegruppe intersex.at.

Mit "XXY" (2007) steht zu guter Letzt Sa 21.3. / Fr 27.3. der wohl allererste SPIELFILM über einen Zwitter (Nachtrag: Diese Ehre gehört "Both" (2005) von Lisett Barcellos) im Programm, der letztes Jahr zu Recht weltweit Furore machte. Trotz des leider unglücklich gewählten, missverständlichen und nicht ganz ungefährlichen Titels (ein herzliches Dankeschön in dieser Beziehung an den CH-Verleiher Xenix, der seiner Verantwortung gerecht wurde und aktiv mithalf, Medien und Öffentlichkeit zu informieren – ein Beispiel, das darauf auch in Deutschland Schule machte!) waren die allermeisten Zwitter von dem stimmungsvollen Film begeistert und feierten ihn als "menschlichen Film über Zwitter". Eine Zwitter-Utopie, wo endlich einmal auch zwischengeschlechtliche Menschen so richtig mit einer Protagonist_in mitfiebern können, die_der allen Schwierigkeiten zum Trotz schliesslich von beiden Eltern so akzeptiert wird, wie sie_er ist, den drohenden Zwangsoperationen (einmal mehr) glücklich entgeht und sein_ihr Selbstbestimmungsrecht erfolgreich durchsetzen kann! Zwitter-Aktivist_innen nahmen "XXY" international als Aufhänger, um auf ihren Kampf gegen genitale Zwangsoperationen öffentlich aufmerksam zu machen.

Wer übrigens im Zwitter-Zyklus des Reitschule-Kinos Beiträge zur schweizer Zwitterbewegung um Zwischengeschlecht.org und intersex.ch vermisst, von der in den letzten 18 Monaten auch über die Landesgrenzen hinaus entscheidende Impulse ausgingen, die u.a. auch die Berliner "Gigi, Zeitschrift für sexuelle Emanzipation" aufhorchen liessen, kann sich hier online einen durchaus geigneten, kurzen Vorfilm zu Gemüte führen: Letzten Sommer schaffte es die "Tagesschau" in einem gelungenen Beitrag über einen Protest vor dem Zürcher Kinderspital in nur 2'22" viel Wesentliches knackig auf den Punkt zu bringen – schon der einleitende Moderator liess es sich nicht nehmen, an einem Sonntagabend in der Hauptausgabe das Wort "kastriert" noch extra zu betonen ...

Vorführzeiten siehe: http://www.reitschule.ch/reitschule/kino/index.shtml

Siehe auch: 2008: Eine neue Zwitterbewegung! (Jahresrückblick, Teil 1)

Monday, March 2 2009

Pressemitteilung zu den Hamburger Anfragen

>>> http://zwischengeschlecht.info/pages/Genitale-Zwangsoperationen:-Hamburger-Senat-nicht-gewachsen

Hamburg: Erneut historische Grosse Zwitter-Anfrage!!

Nach den bisher 3 kleinen Anfragen der SPD noch im alten Jahr und einer Grossen Anfrage von DIE LINKE im Januar reicht nun die SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft eine weitere Grosse Anfrage nach – von erneut historischen Ausmassen!

Nicht nur wird der Senat akribisch auf seine zahlreichen faulen Ausreden und leeren Versprechungen behaftet. Zum ersten mal überhaupt werden die (ironischerweise vom Bund finanzierten) grossen Zwitterstudien der letzten Jahre, nämlich die "Hamburger Studie" von 2007 sowie die "Lübecker Studie" von 2008, konsequent ins Feld geführt – sowohl der Hamburger Senat wie auch die Bundesregierung hatten diese Studien (wohl wegen der an Deutlichkeit kaum zu wünschen übriglassenden Beweise für die gravierenden Schäden durch die Zwangseingriffe) bisher stets kategorisch ausgeklammert. Dito die Forderungsliste von Intersexuelle Menschen e.V. Weiter macht sich die Anfrage überzeugend für ein offizielles 3. Geschlecht für Zwitter stark!

Ein weiterer Erfolg der Zwitter-Öffentlichkeitsarbeit nicht zuletzt dieses Blogs!

Noch braucht es wohl eine ganze Menge weiteren öffentlichen und politischen Druck, bevor der Hamburger Senat (und andere Verantwortliche inkl. Bundesregierung) die massiven, verfassungs- und menschenrechtswidrigen medizinischen Verbrechen an Zwittern endlich nicht mehr leugnen – und, ebenfalls längst überfällig, ihre dunklen Allianzen mit den Medizynern überdenken, sowie die historischen Verbindungen der Zwangseingriffe an Zwittern zurück ins "3. Reich" aufarbeiten.

Trotzdem, u.a. mit der kürzlichen Rüge der UNO an die Bundesregierung, der auf Mittwoch 29. April 2009 in Hamburg festgesetzen "Expertenanhörung" zum Thema und nicht zuletzt auch mit dieser erneut exzellenten Grossen Anfrage sind entscheidende erste Schritte auf dem langen Weg getan!

(Danke an Michel Reiter für den Hinweis)

Drucksache 19/2413
Schriftliche Große Anfrage "Zwischengeschlechtliche Menschen"
der Abgeordneten Anja Domres, Dr. Peter Tschentscher, Thomas Böwer, Dr. Martin Schäfer, Elke Badde, Dr. Monika Schaal und Fraktion (SPD) vom 20.02.09
Nachtrag: Link zum PDF-Download Große Anfrage 19/2413
http://www.spd-fraktion-hamburg.de/buergerschaft/grosse-anfragen/b/10749.html

Da der SPD-Server leider öfters down ist und die Anfrage in der Hamburger Parlamentsdatenbank noch nicht heruntergeladen werden konnte, nachfolgend der Text der Grossen Anfrage:

In der Bundesrepublik Deutschland leben mehr als 80.000 Hermaphroditen. Vier Fünftel von ihnen wurden ohne eigene Zustimmung im Kindesalter im Rahmen eines sogenannten „geschlechtsangleichenden Eingriffs“ zum Teil mehrfach operiert. Ein Großteil von ihnen empfindet dies heute als fremdbestimmte Festlegung auf ein Geschlecht, mit dem er sich so nicht identifiziert sowie als Verstümmelung und als Beraubung seiner Menschenrechte. Viele sind traumatisiert und haben massive psychische und physische Schäden davon getragen. Die Hamburger Studie 2007 (vgl. http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0) und die Lübecker Studie 2008 (http://www.netztwerk-dsd.uk-sh.de/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/ Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf) zeigen außerdem, dass die Behandlungs-unzufriedenheit von Betroffenen und deren Eltern eklatant hoch ist und insbesondere betroffene Kinder und Jugendliche ihre Lebensqualität deutlich niedriger bewerten als eine Vergleichsgruppe von Nichtbetroffenen.

Angesichts dessen, dass in anderen Gesellschaften als Zwitter Geborene ohne einen sogenannten „geschlechtsangleichenden Eingriff“ gesund alt werden, stellt sich die Frage, ob bei uns eine solche Operation wirklich auch immer medizinisch indiziert ist oder ob nicht bereits die Verletzung einer Norm-Vorstellung des behandelnden Arztes oder die Befürchtung späterer psychosozialer Beeinträchtigungen (Hänseleien) als medizinische Indikationen verstanden werden. Wenn dem so ist, ist nicht das Geborensein als Zwitter das Übel, das (operativ) bekämpft werden muss, sondern ein überholtes Bewusstsein in der Gesellschaft. Dieses zu ändern muss absoluten Vorrang haben vor einer irreversiblen operativen Festlegung auf ein anderes Geschlecht! Auch die Hamburger Studie kommt zu dem Ergebnis, dass im überwiegenden Teil der Fälle eine medizinische Indikation nicht vorhanden sei, weshalb ein Hinausschieben der Entscheidung und Behandlung in ein entscheidungsfähiges Alter zu überlegen wäre. Es scheine daher in den meisten Fällen sinnvoll zu sein, die Entscheidung pro oder contra „geschlechtskorrigierender“ Eingriffe auf ein Alter zu verlegen, in dem die Patienten urteils- und einwilligungsfähig sind.

Es gilt, Gesellschaft, Medizin und Politik für diese Fragen zu sensibilisieren.

Deswegen fragen wir den Senat:

1. Sind dem Senat bzw. der Fachbehörde die Ergebnisse der Hamburger Intersex-Studie 2007 und der Lübecker Studie 2008 bekannt? Wenn ja, wie werden sie bewertet? Wenn nein, gedenkt der Senat bzw. die Fachbehörde sich damit zu befassen? Wenn nochmals nein, warum nicht?

2. Die Hamburger Intersex-Studie 2007 kommt unter anderem zu dem Ergebnis: „Alle Personen der Studie erhielten medizinische Interventionen, obwohl nur für wenige eine medizinische Indikation gegeben ist.“ Stimmt der Senat darin überein, dass entsprechende Interventionen rechtswidrig sind und im Falle von Operationen den Straftatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung erfüllen? Wenn ja, sieht der Senat bzw. die Fachbehörde mittlerweile die Notwendigkeit sich mit der Frage der Entschädigung der Opfer zu beschäftigen?

3. Der Senat stellt in seiner Antwort in Drucksache 19/1678 zu 15. und 16. Möglichkeiten der Hilfe für Genitaloperierte vor. Darunter psychologische und psychotherapeutische Hilfe sowie Nachsorge- und Versorgungsmöglichkeiten für Genitaloperierte im UKE. Stimmt der Senat der Auffassung zu, dass es besser wäre, überflüssige Operationen zu vermeiden, als erst zu operieren und dann hinterher Nachsorge- und Weiterversorgungs-Pakete anbieten zu müssen, oder geht der Senat noch immer davon aus, dass in Hamburg niemand unnötiger Weise operiert worden ist und weiterhin wird?

4. Sind dem Senat bzw. der Fachbehörde die Forderungen des Vereins intersexuelle Menschen e.V. (http://inter-sexuelle-menschen.net/forderungen. html) bekannt? Wenn ja, wie bewertet er insbesondere die Einführung unter Punkt 1) dort? Wenn nein, gedenkt sich der Senat damit zu befassen? Wenn nochmals nein, warum nicht?

5. Auf die Fragen 3.a) bis c) und 4. aus Drucksache 19/1238 antwortet der Senat, eine Einzelfallauszählung, bei wie vielen Hermaphroditenkindern von 1950 bis heute sogenannte „geschlechtsangleichende Eingriffe“ durchgeführt worden sind, sei in der für die Bearbeitung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Wir erbitten daher die Beantwortung der Fragen 3.a) bis c) und 4. aus Drucksache 19/1238 jetzt im Rahmen dieser Großen Anfrage.

6. Der Senat antwortet in Drucksache 19/1678 auf die Frage 17. „Trifft es zu, dass Betroffenen am UKE Akten nicht herausgegeben worden sind?“ mit „Nein. […]“ Die Fragesteller dieser Großen Anfrage können eine Zeugin benennen, die aussagt, das UKE weigere sich, ihre Akten herauszugeben, und sie kenne weitere Fälle von Betroffenen, denen die Aktenherausgabe ebenfalls verweigert wird. Die Zeugin der Fragesteller ist bereit, dem Senat mit ihrem vollen Namen als Auskunftsperson zur Verfügung zu stehen. Wie bewertet der Senat diesen neuen Sachverhalt und was wird er unternehmen?

7. Die Ergebnisse der Hamburger Studie zeigen, dass die bisherige Behandlung das Ziel einer möglichst eindeutigen Geschlechtszuweisung – also „weiblich“ oder „männlich“ – verfolgte. Eine solche Festlegung ist jedoch gar nicht im Interesse der Betroffenen. Zwittrigkeit darf grundsätzlich nicht als „krankhafter, abnormer Zustand“ angesehen werden, der „behandelt“ werden muss! Hermaphroditen fordern deshalb eine Anerkennung als eigenes, drittes Geschlecht. Derzeit gesetzliche Bestimmungen tragen jedoch dazu bei, eine entsprechende gesellschaftliche Akzeptanz zu verhindern. So sind in standesamtlichen Urkunden derzeit nur die Einträge „weiblich“ oder „männlich“ erlaubt, nicht aber etwa „Hermaphrodit“, „zwittrig“ oder „Zwitter“. Bereits im Preußen des 18. Jahrhunderts war dies sehr wohl möglich. Erst im sogenannten „Dritten Reich“ wurde entschieden, dass es nur noch die Einträge „weiblich“ oder „männlich“ zu geben hat. Die Folgen, die sich daraus ergeben, waren damals für Hermaphroditen katastrophal. Doch auch heute noch wirkt sich offenbar ein normativer Druck, sich auf ein anderes Geschlecht – nämlich „weiblich“ oder „männlich“ – festlegen zu müssen, auf Entscheidungen zugunsten eines sogenannten „geschlechtsangleichenden Eingriffs“ aus.
a) Auch wenn der Senat sich, wie aus der Antwort zur Drucksache 19/1678,4. hervorgeht, bisher noch nicht damit befasst hat, ob er über den Bundesrat eine Gesetzesinitiative starten wird, die den Eintrag „zwittrig“ in standesamtlichen Dokumenten erlaubt: Wie bewertet er bzw. die Fachbehörde denn die Relevanz dieses Themas und gedenkt er bzw. die Fachbehörde, sich in Zukunft damit zu befassen?
b) Gibt es auf Bundesebene Initiativen zur Veränderung der o.g. Rechtslage? Wenn ja, welche?
c) Gibt es in anderen Bundesländern Diskussionen bzw. Initiativen die o.g. Rechtslage zu verändern? Wenn ja, welche?
d) Maßgebend für die Beurkundung der Geschlechtszugehörigkeit im Geburtenbuch ist laut Antwort des Senats in Drucksache 19/1678,2. die Bescheinigung des Arztes oder der Hebamme. Wie entscheiden Arzt oder Hebamme bei der Diagnose „uneindeutiges Geschlecht“ über die Geschlechtszugehörigkeit, wenn die Eltern die Zustimmung zu einem sogenannten „geschlechtsangleichenden Eingriff“ verweigern? Nach welchen Kriterien legen sich dann Arzt oder Hebamme auf die einzigen vorgegebenen Möglichkeiten „weiblich“ oder „männlich“ fest? Wie entscheiden sie, wenn eine sogenannte „Chromosomen-Abnormalie“ (weder XX- noch XY-Kombination) vorliegt? „Mädchen“ oder „Junge“?
e) Standesamtsrechtlich ist eine Beurkundung entweder „weiblich“ oder „männlich“ zwingend vorgesehen. Gedenkt der Senat sich mit der Frage zu befassen, wie er es bewertet, dass bei sogenanntem „uneindeutigen Geschlecht“ in jedem Fall eine falsche Beurkundung erfolgen muss („weiblich“ ist nicht richtig und „männlich“ auch nicht) und Kindern damit definitiv ein falsches Geschlecht zugewiesen wird?
f) Dem Senat bzw. der Fachbehörde ist nicht bekannt, dass im Preußen des 18. Jahrhunderts der Eintrag „zwittrig“ erlaubt war und ein Zwang zu einer standesamtsrechtlichen Festlegung auf entweder „männlich“ oder „weiblich“ erst unter den Nazis erfolgte. Es sei weiter nicht bekannt, wie die Eintragung in standesamtliche Urkunden in der Geschichte vorgenommen wurde, heißt es in Drucksache 19/1678, Frage 3. Hält der Senat bzw. die Fachbehörde diese spezielle Frage für nicht relevant genug, sich bei Historikern fachkundig zu machen, oder lehnt es der Senat generell ab, sich bei Historikern schlau zu machen?
g) Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Komitee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstößen an intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Am kommenden Januar wird die Bundesregierung aufgrund der oben genannten Gesetzeslage in Genf Rede und Antwort stehen müssen. Ist dem Senat dies bewusst und gedenkt er sich mit der Frage der Bewertung dieser Tatsache zu befassen? Wenn nein, warum nicht?

Friday, February 27 2009

Spendenaufruf für Christiane Völling! Prozessbeginn um Schmerzensgeld 20.5.09

(Bild: Express)

Wie Christiane mitteilt, beginnt am 20.5.09 in Köln vor dem Landgericht (endlich!) der Prozess über die Höhe des Schmerzensgeldes mit einer Anhörung von Sachverständigen. Obwohl Christiane den Prozess um Schmerzensgeld Ja oder Nein definitiv gewonnen hat, wurde der Mittellosen nun von Seiten des Gerichts eine finanzielle Auflage von Euro 2000.- gemacht, zahlbar bis zum 20. März.

Christiane hatte bereits ihre Lebensversicherung auflösen müssen, um den eigentlichen Prozess überhaupt finanzieren zu können. Ihr Anwalt Georg Groth hatte ihr seinerzeit einen Vorschuss geleistet, weil sonst die Anzeige wegen Verjährung nicht mehr hätte eingereicht werden können. Diese neue Auflage übersteigt ihre finanziellen Mittel um ein Vielfaches.

Deshalb hier ein neuer, dringender Spendenaufruf des Vereins Intersexuelle Menschen e.V.! Bitte spendet zahlreich und grosszügig! Auch kleine Spenden sind wichtig und hochwillkommen, auch die Zahl der Spenden setzt ein Zeichen!

Intersexuelle Menschen e.V.
Konto 0963128202
Postbank Hamburg
BLZ 200 100 20
Verwendungszweck: Solidarität mit Christiane

Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt. Für Beträge unter 100 € genügen der Einzahlungsbeleg und der Kontoauszug. Für Zuwendungen über 100 € stellt der Verein Spendenbescheinigungen aus.

Nur eine solidarische Zwitterbewegung ist eine starke Zwitterbewegung! Vielen Dank!

Nachtrag: Inzwischen ist der Betrag zusammengekommen! Auch hier herzlichen Dank allen Spender_innen, auch von Christiane!

Christianes Prozess ist noch nicht zu Ende, Spenden sind auch weiterhin hochwillkommen! Falls Christiane die Spenden nicht mehr braucht, geht das gesammelte Geld in einen Fonds und wird für weitere Prozesse verwendet! Danke!

Thursday, February 26 2009

"Intersexualität" = sexuelle Identität??!

Nach dem Positivbeispiel für eine gelungene "XXY"-Rezension aus "zeitzeichen" leider wieder ein aktuelles Negativ-Beispiel aus der "WochenZeitung" unter dem Titel "Filmen im Dazwischen" (in der Print-Version zudem prominent mit einem Szenenfoto aus "XXY" aufgemacht). Martin Büsser, der es eigentlich besser wissen könnte, sieht krampfhaft alles nur durch die Queer-Brille und behauptet allen Ernstes, das zentrale Thema von "Intersexualität" bzw. "XXY" drehe sich um "sexuelle Identität":

Die Regisseurin nutzt das Motiv der Intersexualität, um weit über herkömmliche queere Filme hinaus klarzumachen, dass es auch ein Recht auf offene sexuelle Identität gibt, die weder an ein binäres Geschlechtermodell noch an Zuweisungen wie «schwul/lesbisch» oder «bi» gebunden sein muss.

Dass es – was im Film "XXY" übrigens sehr wohl thematisiert wird – für "Intersexuelle" hauptsächlich eher um banale Dinge gehen könnte wie z.B. um die Durchsetzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit (für Büsser, Queer & Co. wohl ein zu selbstverständliches Privileg, um sich erst damit aufzuhalten) als um "sexuelle Identität" (im BRD Amts-Sprachgebrauch letztlich synonym mit "sexuelle Orientierung") scheint sich in queeren Kreisen nach wie vor noch nicht herumgesprochen zu haben – wozu auch? Hauptsache, die "Intersexuellen" werden weiter "[ge/be]nutzt" um "als Ratschlag an das queere Kino" die Entwicklung des "New Queer Cinema" erfolgreich voranzutreiben ... Wie's den realen Zwittern dabei ergeht – wen interessiert das schon?

Prädikat: Setzen, 6, nachsitzen!

Siehe auch:
- "Intersexualität" = sexuelle Orientierung??! 
-  
- "Intersexualität" = "sexuelle Identität und Lebensweise"??! – Grüne VereinnahmerInnen immer noch nichts gelernt 

Wednesday, February 25 2009

Leugnen, wegschauen, schweigen – Hamburger Senat reiht sich ein unter die MittäterInnen

Am 14.1.09 war in Hamburg nach drei Kleinen Anfragen die historische Grosse Zwitter-Anfrage eingereicht worden. Inzwischen liegen die Antworten des Senats vor.

Leider zeigte sich der Senat der Herausforderung alles andere als gewachsen. Statt sich schützend vor die Opfer der Zwangsoperationen zu stellen, stellt sich der Senat einmal mehr vor die TäterInnen. Statt Format zu beweisen und sich um inhaltliche Antworten zu bemühen, folgte er dem sattsam bekannten Beispiel der Bundesregierung (eins / zwei / drei / vier) und macht sich ebenfalls zum Komplizen der Zwangsoperateure.

Falls der Hamburger Senat jedoch hoffte, mit seiner Nicht-Antwort auf die historische Grosse Zwitter-Anfrage wäre das leidige Thema endlich wieder unter dem Tisch, hat er die Rechnung allerdings wohl ohne die Hamburgische Bürgerschaft gemacht – deren Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz hatte noch im alten Jahr beschlossen, am Mi 29. April 2009 eine Expertenanhörung zum Thema durchzuführen!

Drucksache 19/1993
Schriftliche Große Anfrage "Zwischengeschlechtliche Menschen"
der Abgeordneten Kersten Artus, Dora Heyenn, Christiane Schneider, Norbert Hackbusch, Elisabeth Baum, Dr. Joachim Bischoff, Wolfgang Joithe-von Krosigk, Mehmet Yildiz (DIE LINKE) vom 14.01.09
und Antwort des Hamburger Senats vom 13.02.09
>>> Link zu PDF-Download

Ironischerweise erfolgte die Antwort des Senats mit demselben Datum vom 13.2.09, mit dem in Genf das CEDAW-Committee in einem laut dem Rechtsanwalt Oliver Tolmein "brisanten Papier", nämlich seinen "Abschliessenden Bemerkungen und Empfehlungen", die Bundesregierung nunmehr auch schriftlich offiziell aufforderte, "effektive Anstrengungen zu unternehmen", "die Menschenrechte" der Zwitter "zu schützen", sowie deren Durchsetzung auch in den Ländern und Kommunen zu fördern ...

Bei seinen Ausreden machte es sich der Senat denkbar einfach – wohl im Glauben, wegen "diesen paar wildgewordenen zwangsoperierten Zwittern" werde eh niemand genauer hinschauen.

Je nach Bedarf ist z.B. entweder alles dermassen unbekannt, dass eine konkrete Antwort dem Senat unmöglich erscheint – oder aber dieselbe Sache ist derart erschöpfend bekannt, dass sie gar erst nicht überprüft zu werden braucht:

So ist dem Senat betreffend der Zahl der in Hamburg durchgeführten genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und Hormon-Zwangsbehandlungen "eine Antwort auf diese Fragen nicht möglich" mit der scharfsinnigen Begründung, "Eine einheitliche und randscharfe Definition des Begriffes „intersexuell“, „disorder of sex development“ oder „zwischengeschlechtlich“ gibt es nicht" – unter Verweis auf niemand anderen als die Bundesregierung (Einleitung sowie Antworten 1-3). Aus demselben Grund gäbe es  "kein einheitliches „medizinisches Interventionskonzept"" (Antwort 16) und aus demselben Grund würden auch "Die erfragten Daten [...] statistisch nicht erfasst." (Antworten 4-5)

Andrerseits weiss der Senat dann sehr genau: "Unter den Sammelbegriff „Intersexualität“ fallen mehr als hundert Dysfunktionen" (Einleitung). Und behauptet treuherzig, betreffend "Intersexualität" und ihre "Behandlung" sei die internationale Wissenslage derart klar und standardisiert, dass "experimentelle Studien" zu den Auswirkungen der Zwangseingriffe nicht nur nicht durchgeführt wurden, sondern auch gar nicht notwendig seien: "Wenn in der internationalen Literatur hinreichend aussagekräftige Studien zu einer Thematik vorliegen, werden diese Erkenntnisse nicht erneut lokal überprüft." (Antwort 7)

Ebenso willkürlich je nach Bedarf hält es der Senat mit dem Datenschutz: Einerseits dürfen Medizyner Patientendaten scheinbar nach Lust und Laune publizieren und weitergeben, sofern "die Daten der betroffenen Person nicht mehr zugeordnet werden können" (Antwort 14). Andrerseits kann der Senat nicht einmal Zahlenangaben zu Zwangsbehandelten machen "aus Gründen der Schweigepflicht und des Datenschutzes" (Antwort 19).

Vielsagend auch die nachfolgend vollständig wiedergegebene, erschöpfende Antwort des Senats, ob die Freie und Hansestadt Hamburg bereit sei, Zwangsoperierten Zwittern Opferschutzanwälte zur Seite zu stellen, um die erlittenen Rechtsverletzungen aufzuklären und soweit noch möglich einzudämmen: "Damit hat sich der Senat nicht befasst." (Antwort 15)

Der grösste Skandal der Nicht-Antworten des Senats ist jedoch die wahrhaft ungeheuerliche Behauptung, Eltern dürften nicht nur ihre Kinder nach eigenem Gutdünken willkürlich verstümmeln lassen und ihnen nach Lust und Laune gesunde Organe amputieren lassen – nein, die Zwangsoperierten hätten danach nicht einmal ein Recht auf Information über die an ihnen begangenen Verbrechen:

"Im Übrigen ist bei nicht einwilligungsfähigen Kindern und Jugendlichen die Einwilligung der Personensorgeberechtigten maßgeblich. Die Information dieser Kinder beziehungsweise Jugendlichen durch die Ärzte und Psychologen kann daher nur im Einvernehmen mit den Personensorgeberechtigten erfolgen, denen die Entscheidung über die Zustimmung zu einer vorgeschlagenen Behandlungsweise obliegt. Soweit die Kinder beziehungsweise Jugendlichen einwilligungsfähig sind beziehungsweise geworden sind, können sie ihren Anspruch auf Information gegenüber den behandelnden Ärzten selbst geltend machen." (Antwort 16)

Dazu passend: Auf die Frage, was der Senat zu unternehmen gedenkt, dass Akten nicht mehr (wie meist) vernichtet würden, bevor die dereinst "einwilligungsfähig gewordenen" Zwangsoperierten sie überhaupt sehen, geht der Senat einmal mehr gar nicht erst ein ... (Antwort 17)

Kommentar:

Offensichtlich hat jedes Haustier mehr Rechte als ein Hamburger Zwitterkind!

Auf welcher Seite der Hamburger Senat steht, auf jener der Medizyner-Verbrecher oder jener der Zwangsoperierten, dürfte damit restlos geklärt sein.

Bleibt die Frage, auf welcher Seite die Hamburgische Bürgerschaft steht ...

Siehe auch:
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Rechtsanwalt Oliver Tolmein: "Deutschland gerügt: Menschenrechte von Zwittern nicht geschützt"
- Rechtsprofessorin Konstanze Plett: “Intersexualität aus rechtlicher Perspektive”

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