Das Problem ist altbekannt: Viele Zwitter werden nicht nur genital
zwangsoperiert, sondern in der Regel ebenfalls bereits als Kinder mit der Pauschal-Ausrede "Krebsgefahr" zusätzlich
zwangskastriert und benötigen deshalb für den Rest ihres Lebens eine so
genannte "Hormonersatz Therapie (HET)". Da die meisten dieser Zwangskastrierten
"zu Mädchen gemacht" werden, besteht die HET prinzipiell aus Östrogen –
obwohl viele Zwitterkörper "von Haus aus" Testosteron produzieren (und dieses
je nach Bedarf in körpereiges Östrogen umwandeln – Zwitter mit so genanntem
"Androgen-Insuffizienz-Syndom (AIS)").
Diese Östro-HETs wurden nie klinisch getestet, den Zwangsoperierten werden
Präparate aufgezwungen, die eigentlich nur für Frauen in der Menopause
zugelassen sind, d.h. die Östro-HETs erfolgen (seit Jahrzehnten!) experimentell
als "Off Label-Use". Obwohl die negativen Folgen von Östro-HET bei Zwittern,
deren Körper eigentlich Testo brauchten, seit längerem auch in der
medizinischen Literatur bekannt sind (unter anderem Depressionen, Adipositas,
Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Osteoporose, Einschränkung der kognitiven
Fähigkeiten und Libidoverlust), weigern sich die Mediziner bis heute,
zwangskastrierten Zwittern eine HET nach Bedarf und Wunsch zuzugestehen.
Mehrere Betroffene begannen schliesslich, auf eigene Faust Testo zu nehmen,
viele davon mit positiven Resultaten. Jedoch weigern sich die Mediziner meist,
den Betroffenen Rezepte auszustellen, die von der Kasse übernommen werden –
bezeichnenderweise gern mit der Ausrede, HET mit Testo sei "Off Label-Use" ...
Sprich, die Zwangskastrierten müssen eine adäquate HET noch aus der eigenen
Tasche bezahlen! Seit Jahren besteht deshalb die Forderung an die Mediziner und
insbesondere das Netzwerk, diesem Unfug endlich ein Ende zu bereiten.
Am 6.3.2009 ging nun beim Dachverband der Selbsthilfegruppen Intersexuelle Menschen e.V. eine Mail
ein von Prof. Olaf Hiort mit dem Betreff "Klinische Studie zur
Testosteronsubstitution bei kompletter Androgenresistenz". Eine
solche war schon seit längerem im Gespräch. Nachdem jedoch letztes Jahr die
Netzwerk-Gelder ausliefen und eine Fortsetzung der Finanzierung letzten Sommer
abgelehnt wurde, lag das Projekt zunächst auf Eis. Olaf Hiort hatte es nun
"bei einem anderen Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung (BMBF) eingereicht", und dort sei es "als sehr gut bewertet
worden".
Bei der Studie geht es laut Olaf Hiort darum, dass die
Testosteronsubstitution bei CAIS ("Betroffene mit anderen Formen von
DSD/Intersexualität sind von der Studie ausgeschlossen") in Zukunft
zugelassen, sprich "vom Gesetzgeber und von den Krankenkassen"
anerkannt wird.
Damit liegt der Ball nun bei den Zwittern. IMeV und die Selbsthilfegruppen
suchen zur Zeit nach potientiellen Kandidat_innen, die mitmachen – was jedoch
nicht nur einfach sein wird, da die Teilnehmenden drastischen körperlichen und
seelischen Strapazen ausgesetzt werden.
Mein Kommentar:
Auf den ersten Blick eine erfreuliche und vielversprechende Nachricht:
Endlich eine Studie, die beweisen soll, dass es CAIS-Menschen mit Testosteron
besser geht! Auf den zweiten Blick sieht das Ganze jedoch etwas anders aus.
Obwohl ich das im ersten Augenblick dachte, geht es bei dieser Studie nicht
darum, Kastrationen zukünftig als noch unsinniger darzustellen und deshalb
letztlich abzuschaffen. Diese Studie tangiert den Kastrationsgrund
"Krebsgefahr" nicht. Es geht lediglich um den "Off Label-Use".
Dagegen ist im Grunde genommen auch nichts einzuwenden. Viele von uns wären
froh darum, sich nicht mehr mit renitenten Medizinern und Krankenkassen
rumschlagen zu müssen.
Die "Versuchskaninchen" müssen sich jedoch für diese Studie einem sehr
drakonischen Regime unterziehen:
"Es ist eine zweizeitige Behandlung mit Testosteron gegen Östrogene
vorgesehen, wobei das Präparat 'geblindet' wird, d. h. die Behandelte weiß
nicht, welches Präparat sie gerade bekommt. Die Behandlungsdauer ist
insgesamt mit einem Jahr angesetzt, dabei dürfen 2 Monate vor Behandlungsbeginn
keine Hormone eingenommen werden und zwischen den beiden Therapiearmen jeweils
auch einen Monats nichts.. Also ein langwieriger Vorgang, um die Effekte
der Behandlung zu erfassen. Dies würde an 4 Zentren in Deutschland
erfolgen, die festgelegt werden. Es sind ingesamt 8 Vorstellungstermine
vorgesehen. Natürlich werden den Studienteilnehmern keine Kosten
entstehen."
Nur, wenn mindestens 30 CAIS-Frauen bereit sind, an dieser Studie teilzunehmen,
kriegt das Netzwerk diese vom BMBF bewilligt und bezahlt.
Bei dieser Studie mitzumachen, und insbesondere über Monate jeweils jede HET
abzusetzen, bedeutet aber für die betreffenden Zwitter ein Jahr lang massive
körperliche und seelische Probleme, die beispielsweise für das Berufsleben je
nach dem auch bleibende negative Auswirkungen haben können. O-Ton Hiort:
"Ich hoffe, diese mail schreckt Sie jetzt nicht zu sehr ab." Aufgrund
dieser heftigen "Auflagen" wird Prof. Hiort eventuell keine 30 Proband_innen
zusammen kriegen, die diese hormonellen Strapazen und sonstigen
Unannehmlichkeiten auf sich nehmen werden wollen oder können.
In diesem Fall kann sich das Netzwerk dann künftig darauf berufen, dass die
Betroffenen leider nicht interessiert sind, und sich die Hände in Unschuld
waschen – statt endlich dafür zu sorgen, dass künftig ALLE zwangskastrierten
Zwitter Hormone nach ihren Bedürfnissen und Wünschen von der Kasse bezahlt
kriegen (und nicht nur solche mit CAIS)! Weil dies wäre nun wirklich das
allermindeste, was uns zwangskastrierten Zwittern zustünde!
Dass man die Anerkennung der Testosteronsubstitution bei CAIS-Menschen und
anderen Zwittern "vom Gesetzgeber und von den Krankenkassen" auch auf
anderem Wege erreichen könnte, und erst noch ohne Risiken und
Nebenwirkungen, wird regelmässig unterschlagen. Ebenso, dass auch die
Östrogensubstitution ebenfalls klar einen "Off Label-Use" darstellt.
Wenn also bei Östro trotz "Off Label-Use" problemlos ordentliche Rezepte
möglich sind, trotz der erwiesenen Schäden, so sollte das eigentlich auch für
Testosteron der Fall sein – alles andere ist unethisch, diskriminierend und
unsere Menschenrechte einmal mehr mit Füssen tretend. Dies zumindest meine
Meinung. Woran es dazu jedoch nach wie vor hapert, ist genügend öffentlicher
Druck, nicht zuletzt von Seiten des Netzwerks ...
Trotzdem wäre es wie gesagt sehr zu begrüssen, wenn die Studie stattfinden
würde, und ich möchte alle potentiellen Kandidat_innen dazu aufrufen, eine
Teilnahme zu prüfen.
Nella
Siehe auch:
-
Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln
aufgefordert
-
PRESSEMITTEILUNG: Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber
bezahlen
-
Testo-Studie: Doch keine Placebos