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Friday, July 9 2010

"Genitalverstümmelungen in Deutschland in der Kinder- und Jugendgynäkologie" – AGGPG (1996)

[ Dokumentation der Seite auf der Homepage der Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG): http://home.t-online.de/home/aggpg/is_tdf.htm ]
 

Zeitschriftenartikel


Genitalverstümmelungen in Deutschland

in der Kinder- und Jugendgynäkologie


Zwei AutorInnen der AG gegen Gewalt
in der Pädiatrie und Gynäkologie


In Deutschland leben mindestens - vage geschätzt - 24000 weißhäutige Menschen ohne bzw. mit verstümmeltem Lustorgan (Klitoris / Penis), an welchen i.d.R. im Alter von 1-2 Jahren durch Kindergynäkologen Operationen vorgenommen wurden.
Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher, da o.g. Zahl lediglich als intersexuell Eingestufte betreffen, hinzu kommen genitale Eingriffe bei etwa 5% (Pelzer/Distler 1994) der weiblichen Bevölkerung mit der Diagnose genitale Fehl- und Mißbildung. Von weiteren Praktiken, wie auch von dieser, existieren zumeist weder in der Öffentlichkeit noch in der ÄrztInnenschaft Kenntnisse.

Geschichte der Genitalverstümmelung
Genitalverstümmelungen in westlichen Ländern durch Chirurgen haben Tradition. So entfernte im 17. Jahrhundert der Chirurg Dionis auf Veranlassung der Ehemänner Frauen die Klitoris, um „pflichtbewußte“ Frauen aus ihnen zu machen, 1864 empfahl ein berühmter Chirurg, die Klitoris zu schützen und zu diesem Zweck die Schamlippen zusammenzunähen, 1900 empfahl D. Pouillet, die empfindlichen Teile mit Silbernitrat zu verätzen, damit sie nicht weiter „Hand an sich legten“, desweiteren wurden Frauen durch Amputation oder Ausbrennen der Klitoris von der Masturbation „geheilt“ (geschichtlicher Hintergrund aus Schüler / Bode, 1992 und Walker, 1993).
Bereits 1937 wird in diesem Zusammenhang von der Behandlung „genitaler Abnormalitäten“ (Young, 1937) geschrieben.

Kindergynäkologie
Als Begründer der Kindergynäkologie gelten der ungarische Kinderarzt Dobszay und der Frauenarzt Schauffler 1939. Der erste Praktiker auf diesem Gebiet war der tschechische Gynäkologe Peter, in Prag entstand in den vierziger Jahren die erste gynäkologische Abteilung, 1953 wurde der weltweit erste Lehrstuhl für Kindergynäkologie eingerichtet. 1963 legte Dewhurst im Buch „Gynecological Disorders of Infants and Children“ seine Erfahrung mit „Mißbildungsbehandlungen“ bei Mädchen dar, 1967 begann Alfons Huber in Österreich kindergynäkolgische Sprechstunden abzuhalten, Deutschland zog 1970 mit einer kindergynäkologischen Ambulanz in Mainz nach.
Es kann angenommen werden, daß seit der Eroberung des Frauenkörpers durch die Medizin Genitalverstümmelungen mit wechselnden Argumenten durchgeführt werden.

Medizinische Betrachtung
Heute greifen Kinder- und Jugendgynäkologen auf Morphologien zurück, für die sie freilich selbst die Normen setzen. Hiernach darf zum Beispiel eine Klitoris in keinem jugend- und kindergynäkologischen Alter größer als 1 cm sein. Neben einer vergrößerten Klitoris können auch Vagina bzw. Gonaden (Eierstöcke, Hoden) nur „unzureichend“ ausgebildet sein oder es werden sonstige Normabweichungen vorgefunden.
Eine intersexuelle Genitalentwicklung - d.h. einem Auftreten entweder von physischen Charakteristiken beider offiziell anerkannter Geschlechtsmerkmale in einem Menschen oder ein Vorkommen uneindeutiger bzw. dem „offiziellen“ Geschlecht entgegengesetzter Chromosomenvariationen - existiert bei etwa 4% (Fausto-Sterling 1993) der Gesamtbevölkerung.

Das „Krankheitsbild“ AdrenoGenitalesSyndrom
Wir wollen stellvertretend das „Krankheitsbild“ AGS herausgreifen:
Es werden während der Schwangerschaft nach Bildung der inneren Geschlechtsorgane statt des normalerweise von den Nebennierenrinden produzierten Cortisol nur Androgene gebildet, weil ein bestimmtes Enzym fehlt.
Dies hat in der Folge ab dem 4./5. Schwangerschaftsmonat Auswirkungen auf die Entwicklung der äußeren Geschlechtsorgane, welches für Karyotyp 46,XX eine Virilisierung impliziert, welche ggf. operativ behoben wird. Das äußere Erscheinungsbild kann für ungeübte Augen dem eines Knaben mehr oder weniger entfernt ähneln.
Bei AGS gibt es zwei unterschiedliche Enzymdefekte mit den folgenden Auswirkungen:

1. AGS mit Salzverlust: Sowohl Glucorticoide, als auch Mineralcorticoide werden nicht gebildet. Es ist dabei zuviel Kalium und zu wenig Natrium im Blut und es kommt oft zu lebensgefährlichen Stoffwechselkrisen, wenn die Cortisonsubstitution ausbleibt. Alle Mädchen haben bereits bei der Geburt eine vergrößerte Klitoris und zusammengewachsene Venuslippen (Prader 4 und 5).

2. Unkompliziertes AGS (ohne Salzverlust): Leichtere Form mit weniger sog. "Virilisierung". Nur das Glucorticoid wird nicht gebildet und muß substituiert werden.
Genetisch männliche AGS-Geborene mit ebenfalls erhöhter Androgenwirkungen gelten als gut entwickelt und nicht operationsbedürftig. Es werden Cortison und bei Salzverlust Mineralkortikoide substituiert, und sie tragen ein erhöhtes Risiko, an Hodenkrebs zu erkranken.
Die Geschlechtszugehörigkeit steht medizinisch zu keinem Zeitpunkt in Frage, da man sich nur an der chromosomalen Struktur orientiert.

Die „Behandlung“ von AGS bei dem weiblichen Geschlecht Zugewiesenen:
Die Diagnose erfolgt in der Regel gleich nach der Geburt,

  • da ein intersexuelles Genital ausgebildet ist, das Kind also optisch nicht sofort von einem Jungen zu unterscheiden ist, der Mutter aber aufgrund von einer Fruchtwasseruntersuchung mitgeteilt wurde, daß das Baby weiblichen Geschlechts sei,
    oder
  • das Neugeborene erbricht ständig, so daß AGS mit Salzverlust vorliegen könnte
    In diesen Fällen wird eine Röntgenuntersuchung zur Feststellung der inneren Genitalorgane vorgenommen.
    Nach Diagnosestellung wird (lebenslang) mit Cortison behandelt, um die Androgenwirkung herabzusetzen, Minderwuchs zu verhindern oder den manchmal in diesem Zusammenhang auftretenden Salzverlust auszugleichen. Obwohl eine Cortisonsubstitution keine Nebenwirkungen haben sollte, ist die Einstellung oft nicht optimal, und es muß mit den bekannten Nebenwirkungen (Cushing-Syndrom, Depressionen, Osteosporose) gerechnet werden.
    Ab einer Virilisierung nach 'Prader 2' wird die Klitoris reduziert, je nach Ausprägung auch die Harnröhre verlegt sowie eine Neovagina konstruiert (meist aus Darmgewebe).
    Das Setzen einer Neovagina wird meist damit begründet, daß ein Abfluß für Menstruationsblut geschaffen werden muß, da durch die Cortisongaben die Östrogensynthese nicht mehr gedrosselt ist.
    Ärztliche Versicherungen an Eltern, das Kind werde sich zu einem 'normalen' Mädchen entwickeln, basieren eher auf heterosexistischem Wunschdenken als auf empirischen Belegen, denn mindestens 60% aller AGS-Frauen sind lesbisch, weitere 20% bisexuell. Schwangerschaften sind äußerst problematisch. Bei Salzverlust wird frau schwer schwanger, kann die Schwangerschaft dann aber - vermutlich wegen der peniblen Medikamentierung - besser halten.

Operationen
Es erfolgen häufig mindestens zwei Operationen unter Vollnarkose.
Die erste dient einer Aufhebung der diagnostizierten Intersexualität. Dabei wird der nach außen hin sichtbare Bereich der Klitoris reduziert, bis 1982 bedeutete dies die Amputation derselben. Obwohl von einer Klitorisschaftresektion bei gleichzeitigem Erhalt der Glans und dem dazugehörigen Nervenbündel erstmals 1961 berichtet wurde (Altwein, 1989), wurden noch 20 Jahre später Amputationen vorgenommen.
Seit etwa 1980 werden diverse andere Operationstechniken angewandt: So wird die Klitoris z.B. mit der sog. „Zieharmonikatechnik“ „verkürzt“. Dies bedeutet die Entfernung der Schwellkörper und Falten der übrigen Haut, so daß der optische Eindruck entsteht, eine Klitoris sei noch vorhanden. Oder die Klitoris wird „gerafft“ und nach innen, das heißt unter die Venuslippen verlegt. Oder es wird versucht, die Glans zu erhalten, oder „nur“ die Klitorisvorhaut entfernt oder oder...
Diese Operation wird im Alter zwischen 6 und 36 Monaten durchgeführt, also so früh wie möglich, da die Ärzte der Meinung sind, daß das Mädchen dann nichts davon mitbekommt. Als Grund für die Klitoris'reduktion' wird deren Größe angegeben; deren 'penisähnliche Erscheinung', für die 'sich das Mädchen später schämen werde.'
Unter männlichen Kollegen ist unumstritten, daß eine störungsfreie geschlechtsspezifische Erziehung nur möglich ist, wenn eine eindeutige Geschlechtsidentifikation frühestmöglich gegeben ist (nach Hecker, 1982). Mag man als Kritikerin dieses Argument akzeptieren oder nicht, so steht doch fest, daß Klitorisreduktionen allein kosmetische Bedürfnisse befriedigen sollen, ansonsten jedoch eher dysfunktional sind, da die Empfindungsfähigkeit drastisch reduziert wird.
Wesentliche Anforderungen an ein „gutes kosmetisches Ergebnis“ ist, daß die Klitoris klein ist und normgerechte Proportionen des Harnleiter- und Vaginalausganges gewährleistet sind.

In der zweiten Operation wird die Kohabitationsunfähigkeit aufgehoben und eine „Neovagina“ gesetzt, indem der durch Venuslippen verdeckte Vaginaleingang offengelegt und mit einer Vaginaleingangs“plastik“ „verstärkt“ wird. Die Venuslippen werden hierfür zuvor durchtrennt. Das verwendete Material bei dieser „Plastik“ ist häufig ein Stück Haut aus dem Darmgewebe. Diese Operation erfolgt z.T. auch heute noch im Alter zwischen 2 - 5 Jahren. Mittlerweile favourisieren Chrirgen zunehmend das 'Setzen' einer sogenannten Neovagina zum Zeitpunkt des erwarteten Wunsches nach Geschlechtsverkehr ab etwa 11 (!) Jahren. Bei einer Vaginalopertion in der Pubertät wird entweder nach Abheilung sofort zum Geschlechtsverkehr geraten oder ein Penisersatz (Scheidenprothese) verschrieben, der über Nacht zu tragen ist.

Bougierungen
Unter „bougieren“ wird die künstliche Erweiterung einer Körperöffnung, oftmals um das Verschließen einer Öffnung z.B. durch Narben zu verhindern.
Sofern eine Vaginalöffnung in Kindesalter erstellt wurde, folgen jahrelange sogenannte Bougierungen, d.h. Dehnung der Vagina, etwa alle 3-12 Monate in ambulanter Behandlung bis etwa zum 15. Lebensjahr, meist unter örtlicher Betäubung, manchmal angeblich auch ohne. Bougiert wird mit 'Hegarstiften', d.h. mit Metallstäben (benannt nach dessen Erfinder) und einem vorgegebenen Durchmesser in mm bis etwa 'Hegar 24'.
Bei den Vaginalbougierungen, die eine der AutorInnen erlebte, begann mann im Alter von ca. 4 Jahren mit „Hegar 10“ und beendete diese im Alter von ca. 14 Jahren mit „Hegar 24“, da zu diesem Zeitpunkt den Ärzten die Vaginalöffnung groß genug erschien, so daß kein weiteres Kohabitionshindernis bestehe. Eine Nachoperation erfolgte jedoch im Alter von 16 Jahren. Die Bougierungen wurden in 1/2 bis 1-jährigen Abständen unter Vollnakose durchgeführt. Es wird berichtet, daß Ärzte die Mütter dazu anhalten, zu Hause ihre Kinder selbst zu bougieren.

Weitere Behandlung
Es finden zahlreiche gynäkologische Untersuchungen zu diesem Feminisierungsprozeß statt, denn der Hormonhaushalt und das Körperlängenwachstum sollen kontrolliert werden, die Größe der Vagina wird durch Fingerpenetrationen kontrolliert. Unwahrscheinlich ist jedoch, daß diese in Abständen von einigen Wochen wächst.
Insgesamt finden bis zur Volljährigkeit oder dem Abbruch der Behandlung mit Eintritt der Pubertät, was häufiger vorkommt, oftmals etwa 500 gynäkologische und endokrinologische Untersuchungen statt.

Erstellung von Bildmaterial
Ferner wird Bildmaterial angefertigt: Nahaufnahmen der Genitalien gehören hier ebenso zum Standard wir Ganzkörperablichtungen. Aufnahmen werden ohne Genehmigung in medizinischer Fachliteratur wiedergegeben.
Neben Röntgenaufnahmen zur Größenfeststellung der Organe werden vor allem nach den Operationen Genitalnahaufnahmen zur optischen Dokumentation des Wachstums sowie zur bildlichen Dokumentation des Operationsverlaufes (genitale Optik vor und nach der Operation) angefertigt. Auch noch im pubertierenden Alter werden Ganzkörperaufnahmen, nackt, vor einer Rasterwand in Vorder- und Seitenprofil erstellt.
Da ebenso Zeichnungen der Aussagekraft genügen würden, stellt sich die Frage nach der Motivation, Bildmaterial anfertigen zu lassen. Es sind Bilder, die im nicht-klinischem Kontext von pornographischem Material nicht oder kaum zu unterscheiden sind.

Die Qualität der Operationen
Es wird behauptet, daß bei einer Reduktion die nervale und funktionale Integrität der Klitoris gewährleistet bleibt.
Dies ist zum einen technisch nicht machbar, denn bei der Schwellkörperentfernung, der Absenkung der Klitoris, dem Vernähen der inneren Schamlippen, sofern vorhanden, und gegebenenfalls Verlegung der Harnröhre, wenn diese sehr nahe an der Klitorisunterseite mündet, kommt es zu schwerwiegenden Nervenverletzungen. Über die verbliebenen Klitorisreste wird die Haut meist so eng gespannt, daß eine Erektion im Erwachsenenalter schmerzhaft ist. Zudem treten Schmerzen durch nicht-dehnbare Vernarbungen auf.
Zum anderen stellt sich die Frage, wie diese Integrität erfaßt werden soll. Man ist auf die Aussagen der Operierten angewiesen, und es ist schwierig, hierzu korrekte Angaben zu erhalten. Wenn keine oder nur eingeschränkte Empfindungen vorhanden sind, wird dies wohl kaum gegenüber derjenigen Person oder Institution angeführt werden, die eben diese Empfindungseinschränkung hervorgerufen hat.
Bleiben nur noch Spannungsmessungen an den Nerven mittels Stromimpulsen (beschrieben in Altwein, 1989) oder Masturbation am verstümmelten Organ durch den Arzt (nur vermutet, nicht dokumentiert).

Wir wissen, daß klitorale Operationen, gleich welcher Art, zu massiven Empfindungseinschränungen bis hin zur Empfindungsunfähigkeit führen.

Häufig finden vaginale Nachoperationen statt, da nach den Bougierungen unter Umständen nicht einmal ein Tampon eingeführt werden kann (nach Aussage einer Verstümmelten). Mit Ankündigungen wie „Hier werden so große Scheiden gebaut, so große gibt’s normalerweise gar nicht!“ oder „Wir machen Ihnen eine Scheide so groß Sie wollen!“ (O-Ton W. Ch. Hecker) wird geworben und gerne nachoperiert.

Notwendigkeit der Operationen
Dringend geboten sind ärztliche Interventionen ausschließlich bei akuter Lebensgefahr wie durch den Salzverlust bei manchen Formen von AGS oder durch gonadale Tumore bei manchen Formen von Gonadendysgenesie (Fehlen funktionstüchtiger Keimzellen). Die Mehrzahl der Eingriffe hat eher 'kosmetischen' Charakter, um eine auffällige Morphologie unauffällig zu machen.
In solchen Fällen spricht man oft von intersexuellen Genitalien und legitimiert mit dieser pathologisierenden Kategorie chirurgische Eingriffe. Diese Begriffsprägung kritisieren wir jedoch, da auch Personen mit 'echter Intersexualität', also Varianten der gonadalen Ausdifferenzierung, unauffällige äußere Aspekte haben können (Bei Turner und Noonan etwa eindeutig weiblich), während 'Pseudo-Intersexen' oft äußerlich auffälliger sind (PAIS, manche AGS-Formen).

Die Behandlungen können ohne Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durchgeführt werden, da die operativen Komponenten in Fachbüchern oft fehlen und die Operationen von leitenden Ärzten in klinischen Fachbereichen durchgeführt werden. Es fehlt an adäquater inhaltlicher Aufklärung der Betroffenen durch die Ärzte, die jeweilige 'Störung' wird meist extrem pathologisiert. Auf Nachfragen reagiert die Ärzteschaft meist sehr abwehrend. Gleichzeitig fehlen Angebote zur psychologischen Unterstützung. Zudem existieren - bisher - kaum Kontakte zwischen erwachsenen Betroffenen, vermutlich weil aus Scham und Angst nicht über das Erlebte gesprochen wird.

„Intersexualität“: Norm und Variation
In der geltenden Gesellschaftsform ist das männliche Geschlecht die positiv definierte Kategorie, während das weibliche Geschlecht die per Ausschlußverfahren negativ definierte Restkategorie darstellt. Intersexualität hingegen stellt den „Kathastrophenfall“ dar. Sie ist eine weitere NEGATIVE, d.h. per Ausschlußverfahren definierte RESTKATEGORIE für alles, was außerhalb der Normsetzung in einer Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit übrigbleibt. Da „Geschlecht“ ein soziales Konstrukt ist, ist auch die Einstufung 'intersexuell' von sozialen Faktoren abhängig (stellvertretend Kessler/McKenna 1978). Die Pathologisierung von Varianten geschlechtlicher Ausdifferenzierung ist also keine „naturgesetzliche Notwendigkeit“, wenn dies auch viele Vertreter eines biologistischen Ansatzes anders sehen.
Dringend geboten sind ärztliche Interventionen ausschließlich bei akuter Lebensgefahr wie durch den Salzverlust bei manchen Formen von AGS oder durch gonadale Tumore bei manchen Formen von Gonadendysgenese . Die Mehrzahl der Eingriffe hat jedoch eher „kosmetischen“ Charakter, insofern eine auffällige Morphologie unauffällig gemacht werden soll. Früher ging man davon aus, daß ein zeugungsunfähiger Mann es im Leben immer noch leichter hat als eine gebärunfähige Frau. Infolgedessen wurden Vaginas zugenäht und zum Beispiel Menschen mit AGS als Männer definiert und behandelt. Heute hält man „Korrekturen“ in weibliche Richtungen generell für besser „gelungen“. Es wird davon ausgegangen wird, daß eine Frau mit reduzierter Genitalfunktion es im Leben leichter hat als ein Mann, der keinen „normalen“ Sex leben kann. Also werden 75-80% der Intersexuellen als Mädchen definiert. Bei dieser Betrachtungsweise gilt nur die Vagina als Pendant zum Penis, weil diese als 'relevantes' Körperteil für heterosexuellen Penetrationssex angesehen wird. Dieses heterosexistische und patriarchale Analogiemodell hält sich mit Hartnäckigkeit unter genitalverstümmelnden Chirurgen. Das entwicklungsgeschlechtliche Pendant zum Penis ist jedoch die Klitoris, während beim Fötus das Müller’sche Gangsystem, aus dem sich die Vagina entwickelt, bei männlicher Ausdifferenzierung degeneriert, das heißt, Männer können kein Pendant zur Vagina haben.
Ärzte achten oft nur auf eine „kohabitationsfähige“ Vagina. Auf eine annähernd ästhetische Gestaltung der Vulva legen sie wenig Wert legen. Insgesamt gilt das dann als „guter Kompromiß“ - für sie. Ob das die Betroffenen auch so sehen, zumal diese nicht einmal an der „Kompromißfindung“ beteiligt wurden, interessiert offensichtlich nicht.
Um eine „Kompromißfindung“ geht es auch seltenst einmal bei einer ärztlichen „Aufklärung“ der Eltern, hier wird eher überredet. Meist geht es um „die Gesellschaft“ im Allgemeinen und im besonderen um die Unannehmlichkeiten, die den Eltern könnten, wenn beispielsweise andere beim Windelwechsel sehen könnten, „was für ein“ Kind sie haben... Es wird dann allen Ernstes empfohlen, daß nach einer Korrektur die Mutter ihre Freundinnen die Genitalien ihres Kindes sehen läßt, um Diskussionen ein für allemal zu beenden. Wir fragen uns, welche Mutter eines „normalen“ Kindes es nötig hat, auf solch drastische Weise die „Normalität“ ihres Mädchens unter Beweis zu stellen und sind der Ansicht, daß sie erst durch solch übertrieben-demonstratives Verhalten von den Eltern in ihrer sozialen Umgebung irreparabel diskreditiert wird.

Psychosexuelle Auswirkungen
Es ist schwer, die psychologischen Auswirkungen der Behandlung zu benennen, da dies maßgeblich davon abhängt, welche Bereiche die Betroffenen bereits selbst reflektieren konnten. Entsprechende Auswertungen von kritischen Fachfrauen fehlen.
Die psychischen Auswirkungen der Genitalverstümmelung können tief im Unterbewußtsein der Betroffenen verankert sein und verschiedene Verhaltens“störungen“ (wir nennen sie Antworten und Reaktionen) hervorrufen.
Die Betroffenen reagieren mit Gefühlen der Unvollständigkeit, Angst, chronischer Gereiztheit, sexuellem Desinteresse und Psychosen. Schwere Depressionen sind sehr häufig, die Selbstmordrate ist hoch. Der Vertrauensverlust gegenüber dem engsten Umfeld ist eine weitere Folge.
Nicht selten wird auch eine Revision der geschlechtlichen Zuweisungsentscheidung verlangt, wobei das medizinische Establishment gerne vorschnell die Betroffenen zu Transsexuellen erklärt, anstatt ihren Status als falsch behandelte Iintersexuelle anzuerkennen.
Als Ursache der Traumata sind in jedem Fall medizinische Eingriffe (OP’s, Bougierungen, sonstige Nachuntersuchungen) eindeutig auszumachen. Nicht zu unterschätzen ist vor allem die Rolle von „Nachversorgungen“, die die primäre traumatische Erfahrung verstärken. Alleine aus diesem Grund ist von OP’s in frühkindlichem Alter dringendst abzuraten, da sich Nachbehandlungen dann durch die gesamte Kindheit und das Jugendalter hindurchziehen.
Unmittelbare Auswirkungen auf Kinder werden meist ausgeblendet oder billigend als das „kleinere Übel“ in Kauf genommen und sind kaum dokumentiert. Wir wissen jedoch aus eigenen Recherchen, daß Reaktionen bis zum vorübergehendem totalen Sprachverlust und gravierenden Störungen der weiteren kognitiven Entwicklung gehen kann.
Daß sich die Betroffene bei den Untersuchungen schämt, ist selbstredend. Viel schlimmer ist jedoch, daß sie sich vor ihren eigenen Genitalien zu ekeln lernt und bei der permanenten Begutachtung von außen, beginnend bereits im Kleinstkindalter, nicht in der Lage ist, ein eigenes Ich, eine Ich-Identifikation aufzubauen und dahingehende Versuche ständig im Keim zerstört werden.
Doch selbst wenn dem Kind durch die Operation während der Kinder- und Jugendjahre die psychosoziale Belastung erspart bleiben würde, so sind die Operationen irreparabel.
Da nach herrschenden Maßstäben ein Kriterium für eine „gelungene“ Korrektur auch die heterosexuelle Orientierung „des Patienten“ ist, müßte alleine aus diesem Grunde in der Mehrzahl der Fälle „Scheitern“ konstatiert werden, denn eine deutliche Mehrheit von Intersex-Überlebenden ist lesbisch, bisexuell oder schwul.

Psychosoziale Probleme können niemals chirurgisch/endokrinologisch gelöst werden. Stattdessen muß eine fundierte psychologische Betreuung der ganzen Familie stattfinden. Nur so kann sichergestellt werden, daß sich ein Kind selbst für verschiedene Alternativen entscheiden kann. Bisher werden Kinder in sehr frühem Alter bei gleichzeitigem Verschweigen ihres ursprünglichen Geschlechtes korrigiert, um eine vorzeitige Bewußtwerdung als Intersexuelle zu verhindern. Doch dies ist insofern absurd, da das Kind durch eben diese medizinischen Mißhandlungen den Eindruck bekommt, es sei zwar ein Junge (oder Mädchen), aber als solches/r abnormal.

Wir gehen davon aus

  • daß alle Ereignisse aufgenommen werden, demnach auch die unter Narkose und im Kleistkindalter
  • daß die Operation bzw. Bougierung, in welchem Kontext auch immer, doch den ersten sexuellen Kontakt darstellt

Zusammenfassende Bewertung
Genitalverstümmelung an Menschen ist in jedem Kontext die physische Umsetzung des patriarchalen heterosexistischen Gedankengutes mit dem Ziel der psychischen Unterwerfung und Vernichtung.
Sie zeugt in den hier geschilderten Fällen von einer frauenverachtenden Einstellung und von ausgeprägtem Sadismus. Um die insgesamt ausgelebte Brutalität der beteiligten Ärzte an den betroffenen Kindern erklären zu können, kann ein pädophiles Anliegen vermutet werden.
Wie sonst ist es zu erklären, daß wider besseren Wissens einem Mädchen die Klitoris abgetrennt wird, sie auf Lebzeit verstümmelt wird, daß ein kleines Kind immer wieder und ohne neue Veranlassung mit Fingern penetriert wird, bis es blutet, daß ein Mädchen als Kind vergewaltigt wird, um dann mit 14 Jahren „gebrauchsfertig“ zu sein für künftige Penetrationen, daß pornographisches Bildmaterial anzufertigt wird und dann nach all dem Dankbarkeit erwartet wird für die „wichtige Lebensbegleitung zu einer erfüllten Geschlechtsidentität“?
Mit welcher Selbstverständlichkeit wird davon ausgegangen, daß eine heterosexuelle Lebensweise, ausgelebt durch die Penetration des Mannes, die einzig wünschenswerte sei!

Faschismus
„Der moderne Genozid verfolgt ein höheres Ziel. Die Beseitigung des Gegners ist ein Mittel zum Zweck, eine Notwendigkeit, die sich aus der übergeordneten Zielsetzung ergibt. Dieses Ziel ist die Vision einer besseren, von Grund auf gewandelten Gesellschaft. Der moderne Genozid ist ein Element des ‘Social Engeneering’, mit dem eine soziale Ordnung realisiert werden soll, die dem Entwurf einer perfekten Gesellschaft entspricht ... Das ist die Vision des Gärtners, nun allerdings über die ganze Welt gehegt ... Dieser Gärtner haßt das Unkraut, das Häßliche inmitten des Schönen, die Unordnung inmitten der Ordnung ... Nicht als solches muß das Unkraut ausgerottet werden, sondern weil es die schöne Ordnung des Gartens verhindert [...] Alle Vorstellungen von einer Gesellschaft als Garten definieren bestimmte soziale Gruppen als Unkraut: Unkraut muß ausgesondert, gebändigt, an der Ausbreitung gehindert werden, von der Gesellschaft ferngehalten und wenn all dies nichts nützt, vernichtet werden.“ (Baumann (1992): Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust, Hamburg)

Betroffene erleben Bougierungen und gynäkologische Untersuchungen als Vergewaltigungen, die Behandlungsverläufe insgesamt als Folter.
Der gesamte Behandlungsablauf stellt schwerste Köperverletzung sowie eine gravierende Verletzung von Frauen- und Menschenrechten dar.

Wer wir sind und was wir wollen
Wir stehen im Kontakt mit anderen Betroffenen sowie einer internationalen Vernetzung Intersexueller. Dennoch ist die Kontaktierung weiterer gynäkologisch Geschädigter ein sehr langwieriger Prozeß. Daher suchen wir primär weitere Betroffene zum Erfahrungsaustausch, aktuell jedoch auch InteressentInnen, die in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich diesen Themenkomplex weiter verfolgen wollen.

Wir wollen neben diesem Kontaktnetz mit Lobbyistinnen u.a.

  • Öffentlichkeitsarbeit durch Herausgabe von Broschüren und Vorträgen leisten, die eine öffentliche Diskussion um die Intersexualität und Genitalverstümmelung anregen sollen,
  • eine unabhängige Beratungsstelle gründen, um
  • eine alternative, psychologische und gynäkologische Beratungsmöglichkeit für Eltern zu bieten,
  • Genitalverstümmelungen mit den dazugehörigen gynäkologischen Untersuchungen Minderjähriger und Bougierungen durch Öffentlichkeitsarbeit, Beratung und Auflärung zu stoppen und
  • Prozeßhilfen bei Schadensersatzforderungen für Betroffene bereitzustellen.

zitierte Literatur


Altwein, 1989: Zeitschrift für Kinderchirurgie (Sonderdruck 1989), Hippokrates, Aufsatz von J.E. Altwein und J. Homoki

Fausto-Sterling, 1993: aus „re-membering a queer body“ von Morgan Holmes in: Undercurrents (publ. by Faculty of Environmental Studies, York University), May 1994, S. 11-13

Hecker, 1982: aus „Zeitpunkt, Operation und Ergebnisse der Korrektur des intersexuellen Genitale“, „Wissenschaftliche Information“ Milupa, 1982, S. 245

Pelzer/Distler, 1994: Praxis der Kinder- und Jugendgynäkologie, Enke-Verlag

Schüßler/Bode, 1992: Geprüfte Mädchen, Ganze Frauen - zur Normierung der Mädchen in der Kindergynäkologie, efef-Verlag

Walker, 1993: Das geheime Wissen der Frauen, 2001 und dtv

Young, 1937: Young HH: Genital Abnormalities, Hermaphroditism and Related Adrenal Disease. Williams an Wilkins. Baltimore, 1937, S. 119-123

Anmerkung zu Terre des Femmes [2001]: Dieser Verein lehnt ein politisches Aufgreifen der Thematik seit März 1996 ohne Angabe von Gründen ab - trotz seinem Engagement zu Genitalverstümmelungen in Afrika. Die Koopertionsbereitschaft weißer Anti-FGM Gegnerinnen gilt weltweit als die schlechteste überhaupt. Sie ist schlechter als jene von ÄrztInnen. Der Abdruck dieses Artikels war das bislang einzige Engagement von TDF zu diesem Komplex.


Siehe auch:

- Selbstdarstellung der AGGPG 
- "Für die Kinder kämpfen wir" - Michel Reiter, 1997
- "Vernichtung intersexueller Menschen in westlichen Kulturen" - Flugblatt AGGPG (1998)
- "Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000 
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal")
- Genitalverstümmelungen an Zwittern gleich schädlich wie weibliche Genitalverstümmelung - Terre des Femmes, 2004
- Konstanze Plett über Genitalverstümmelung, amnesty journal 03/08
- Amnesty Deutschland: Historischer Entscheid für "Menschenrechte auch für Zwitter!"

Thursday, July 1 2010

Genitalverstümmelungen an Zwittern gleich schädlich wie weibliche Genitalverstümmelung - Terre des Femmes, 2004

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Am 8. März 1996 gründeten Heike Bödeker und Michel Reiter die "Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG)" – die erste deutschsprachige Zwitter-Lobby-Organisation, die sich entschieden für die Beendigung der genitalen Zwangsoperationen an Zwittern einsetzte. Auslöser zur Gründung war die Weigerung der (Frauen-)Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes, die seit langem gegen weibliche Genitalverstümmelung kämpft, die Bekämpfung der Genitalverstümmelungen an Zwittern ebenfalls zu ihrer Sache zu machen. Michel Reiter monierte noch 1998: "Terre des Femmes entzieht sich seit März 1996 einer Stellungnahme, intern wurde argumentiert, Betroffene hätten keine Kompetenz."

2004 griff Terre des Femmes schliesslich das Thema offiziell wieder auf. In der Ausgabe 3/4 der TDF-Zeitschrift "Menschenrechte für die Frau" erschien auf den Seiten 23-26 ein Artikel von Dr. Marion Hulverscheidt, FGM-Spezialistin und langjähriges Mitglied der AG Genitalverstümmelung von TDF, unter dem Titel >>> "Weiblich gemacht? Genitalverstümmelung bei afrikanischen Frauen und bei Intersexuellen" (PDF).

Darin bezieht sich Marion Hulverscheidt ausserdem konkret auf die durch Forderungen von "Intersexuellen-Verbände[n]" ausgelöste "Diskussion innerhalb von TDF" zum Thema. Auf diesen Artikel verwies Terre des Femmes auch 2010 auf die erneute Anfrage der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org nach einer Stellungnahme zum Thema "Genitalverstümmelungen bei Zwittern".

Im Wesentlichen kommt der Artikel zu 2 Schlussfolgerungen:

  1. Genitalverstümmelungen an Zwittern sind als körperlich vergleichbar schädlich einzustufen wie Genitalverstümmelungen an Frauen; Zwitter leiden ausserdem im Vergleich noch an zusätzlichen seelischen (Folge-)Schäden
     
  2. Terre des Femmes wird sich trotzdem nicht konkret gegen Genitalverstümmelungen an Zwittern engagieren, da sie sich explizit als Frauenorganisation definiert und ihr Aktionsfeld auch aus Kapazitätsgründen auf reine Frauenanliegen beschränkt

Zu Punkt 1. führt der Artikel abschliessend aus (S. 26):

Wie sieht es bei den chirurgisch korrigierten Intersexuellen aus? Sie leiden auch an den Operationen und Eingriffen. Jedoch: Betroffenenberichten zufolge wird das Leiden verstärkt und potenziert durch das Verschweigen dessen, was getan wurde und wird, und warum. Die Tabuisierung traumatisiert. Das Hauptproblem der Intersexuellen ist, dass sie sich allein fühlen und auch allein gelassen sind. Diese Menschen sind Einzelfälle. [...] Das Leiden wird verstärkt durch das Verschweigen.
Haben FGM und Intersex also die gleiche Wirkung? Rein somatisch betrachtet ja, dafür stehen wiederholte körperliche Eingriffe, chronische Beschwerden etc. Dies ist bei beiden gleich. [...]

Kommentar zu Punkt 1.: Dieses laut der AG Genitalverstümmelung von Terre des Femmes nach wie vor aktuelle Statement ist für den Kampf der Zwitterbewegung um die Beendigung der genitalen Zwangsoperationen von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da Terre des Femmes darin klarstellt, dass es sich bei den Übergriffen der Medizyner klar um in ihren körperlichen Wirkungen vergleichbare Verstümmelungen und Schädigungen handelt, wozu bei den Zwittern noch das systematische Belügen durch ihre PeinigerInnen kommt.

Kommt noch dazu, dass Terre des Femmes sich als Reaktion auf den Aufruf zur Solidarität der Meschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org bereit erklärte, zur kommenden Bundestagsdebatte zum Gesetzesentwurf gegen die weibliche Genitalverstümmelung explizit noch einmal auf diese Fakten hinzuweisen (entsprechend der hervorragenden Erklärung, die Terre des Femmes Schweiz unlängst zur Debatte des schweizerischen Gesetzesentwurfs gegen weibliche Genitalverstümmelung abgab). Ganz herzliches Dankeschön und weiter so!

(Der zusätzlich von Marion Hulverscheidt angeführte Aspekt, dass bei der weiblichen Genitalverstümmelung "eine Gesellschaft von Traumatisierten erzeugt" werde – "Mütter und Großmütter tun ihren Kindern das an, was sie selbst erlitten haben" –, während "[b]ei Intersexuellen [...] das Trauma für die Eltern nicht nachvollziehbar" sei, lässt allerdings alle Fälle ausser Acht, bei denen innerhalb von Familien mit "AIS" der medizinische Terror ebenfalls generationenübergreifend und unter Mithilfe von Verwandten über Kinder gebracht wird, sowie alle diejenigen Mütter mit "AGS/CAH", die ihren "Töchtern" haargenau dasselbe antun (lassen), was sie schon selbst erleiden mussten.)

Zum 2. Punkt fasst Marion Hulverscheidt zusammen, was von Terre des Femmes auch 2010 nochmals als offizielle Position bekräftigt wurde (S. 26):

Am Schluss möchte ich auf die Frage antworten, die ich zu Beginn gestellt habe: Ist es die Aufgabe von TERRE DES FEMMES, sich für die Intersexuellen einzusetzen? Meine Antwort lautet: Nein. TERRE DES FEMMES ist eine Frauenrechtsorganisation. Wir kümmern uns um häusliche Gewalt, um Arbeitsbedingungen von Textilarbeiterinnen, um Zwangsprostitution, um die Situation von Frauen im Islam, und um die Unterstützung der Organisationen, die gegen FGM vor Ort arbeiten. Wir machen Aufklärungsarbeit in Deutschland und zeigen auf, wo FGM hier in Deutschland eine Rolle spielt, beispielsweise im Asylverfahren,wenn es um die Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe geht. Im Internet gibt es mittlerweile viele Informationen über Intersexualität und es gibt Gruppen und diverse Kontaktmöglichkeiten. Die Intersexuellen haben ihre Lobbyarbeit selbst in die Hand genommen.

Kommentar zu Punkt 2.: Es ist legitim, dass sich Organisationen nicht zuletzt aus Kapazitätsgründen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, um dort die bestmögliche Arbeit leisten zu können. Alle erfolgreichen Lobbygruppen funktionieren nach diesem Prinzip. Etwas anderes zu behaupten, wirkt selten glaubwürdig.

(Der Verein Intersexuelle Menschen e.V. ist aktuell die einzige mir bekannte Lobbygruppe, die ständig öffentlich beteuert, zuerst die "Menschenrechte aller Menschen" durchsetzen zu wollen, und erst anschliessend die der eigenen Klientel.)

Somit ist es klar das Recht von Terre des Femmes, sich auf Menschenrechtsverletzungen an Frauen beschränken zu wollen, und es steht der Organisation gut an, dass sie dies standhaft und ehrlich tut.

(Dass es so lange dauerte, bis dies öffentlich kommuniziert wurde, und dass Marion Hulverscheidt obenrein noch den Anschein zu erwecken versucht, Lobbyarbeit für Zwitter sei inzwischen ja gut abgedeckt und die Hilfe von Terre des Femmes somit sozusagen gar nicht mehr nötig, ist m.E. rückblickend allerdings nicht gerade ein Ruhmesblatt. Ebenfalls m.E. zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen ist, dass Terre des Femmes gar nicht erst darauf eingeht, dass die Medizyner selber dauernd von Operationen an "Mädchen" reden, und die häufigste "Syndromgruppe" heute noch im Verstümmelungs-Dachverband "Netzwerk DSD/Intersexualität" als "AGS-Mädchen" bezeichnet werden, sowie, dass auch sonst sehr viele Zwitter von den Medizynern offiziell als "Mädchen" betrachtet und entsprechend 'zurechtgestutzt' werden, weil dies chirurgisch einfacher ist.)

Trotzdem sollte ab und zu auch ein Blick über den eigenen Gartenzaun hinaus möglich sein, sowie im Rahmen des Möglichen auch etwas solidarische Unterstützung. In diesem Sinne ist die aktuelle Absichtserklärung von Terre des Femmes, im Rahmen der kommenden Bundestagsdebatte am Rande auch auf den ähnlich gelagerten Kampf der Zwitter sowie auf deren eigene Organsiationen zu verweisen, begrüssenswert und höchst willkommen. Fortsetzung folgt ...

>>> "Weiblich gemacht? Genitalverstümmelung bei afrikanischen Frauen und bei Intersexuellen" (PDF)

Siehe auch:
- Genitalverstümmelungen an Zwittern: Aufruf zur Solidarität
- Zwangsoperationen an Zwittern: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit)
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal")
- Schweiz: Terre des Femmes, Amnesty und Grüne gegen Zwangsoperationen an Zwittern
- "Die Macht der Tabus" - Konstanze Plett über Genitalverstümmelung, amnesty journal 03/08
- Bundesregierung und Ethikrat: Genitalverstümmelungen an Zwitterkindern in Diskussion mit aufnehmen und handeln - Marion Böker
- "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?" 
- Genf: UNO mahnt Bundesregierung 
- Bundestag: "Weibliche Genitalverstümmelung ahnden" - aber die Zwitter verstümmelt nur ruhig weiter ... 
- Internationaler Tag gegen Mädchenbeschneidung (aber die Zwitter operiert nur ruhig weiter, sind ja keine Frauen, äh, Menschen ...)
- Bundesärztekammer gegen genitale "Zwangsoperationen" – natürlich nur bei "Mädchen und Frauen" ...  
- Zwitter und progressive LGBTs gegen Vereinnahmung 
- Zwitter und Patriarchat aus feministischer Perspektive 

Sunday, June 27 2010

"Er, sie, es" - Tagesspiegel, 27.6.10

>>> Nachtrag: Kommentare auf dem Hermaphroditforum    >>> Nachtrag 2

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter! 

Als bisher einziges kommerzielles Medium brachte der Tagesspiegel aus Berlin heute einen insgesamt >>> gelungenen Bericht von Ulrike Baureithel über das "Forum Bioethik" des Deutschen Ethikrates vom letzten Mittwoch, dem 23.6.10.

Der Titel des Artikels ist leider weder besonders originell noch neu noch gut. (U.a. wurde er bereits benutzt für einen Artikel von Katrin Hummel in der Frankfurter Allgemeinen vom 15.1.03., der darin mitportraitierte Michel Reiter merkte schon damals an: "[E]in Mensch wird nie ein Es sein; im Titel ist ein Diskredit enthalten und Sprachwissenschaftler sind gefordert, ethymologische Recherche der Pronomina es/ie/r (es, sie, er) zu betreiben.")

Im Gegensatz zur Pressemitteilung des Ethikrates zur Veranstaltung bringt der eigentliche Artikel aber Klartext: Bereits im Lead fällt das Wort "Zwangsoperationen", im ersten Abschnitt steht "Kastration", weiter unten ist die Rede von John Moneys "brutalen und entwürdigenden Experimente[n] an Kindern", die Forderung Überlebender nach einem Verbot der Genitalverstümmelungen wird ebenso erwähnt wie Konstanze Pletts Kritik an der Doppelmoral "unserer" Gesellschaft:

Die westliche Welt lamentiere über Genitalbeschneidung, und der Bundestag diskutiere ein Verbot, ohne wahrzunehmen, dass derlei tagtäglich auch hierzulande passiere.

Interessant auch der Vergleich der Rezensentin mit vorherigen Veranstaltungen des Deutschen Ethikrates:

Dass hinter jedem Einzelfall ein oft von Irrationalität und Leiden begleitetes Schicksal steht, erlebten vergangene Woche auch die deutschen Ethikräte, deren ansonsten akademisch dahin plätscherndes „Forum Bioethik“ beim Thema „Intersexualität – Leben zwischen den Geschlechtern“ plötzlich zu einer Konfrontationsarena zwischen dem Expertensystem und selbstbewussten Anwälten in eigener Sache wurde.

Natürlich stehen zwischendurch wiederholt Dinge drin, nun wirklich nicht hätten sein müssen, wenn etwa als zusätzlicher "Experte" ausgerechnet der unsägliche Sexologe und wohl unverbesserliche Verstümmelungsentschuldiger und -zulieferer Hartmut Bosinski zitiert wird. Auch werden einmal mehr unkritisch und unhinterfragt die beschönigten Zahlen und Statistiken des "Netzwerk DSD/Intersexualität" kolportiert: "Je nach Ausprägung und Zuordnung kommt auf 3000 bis 5000 Geburten ein Kind mit einem uneindeutigen Geschlecht, schätzen Experten." Dabei ist hinlänglich belegt, dass Medizyner diese nur nennen, wenn es um die Abwehr von Kritik geht, während sie bei der "Gewinnung" neuer Opfer 1:1000 veranschlagen.

Auch (ausgerechnet!) Magnus Hirschfeld und Judith Butler werden ebenfalls völlig unkritisch und unhinterfragt hinzugezogen, und so sicher wie das Amen in der Kirche kommt die Autorin zum Schluss wieder zurück auf das ihr selber offenbar viel bedeutende Thema der "Normalgesellschaft", die "auf ein binäres Schema fixiert" sei, obwohl sich an der Veranstaltung, wie sie offensichtlich etwas verwundert festhält, "der Streit um Behandlungspraktiken drehte".

Alles in allem nahm sie die Kritik der Überlebenden daran aber immerhin ernst genug, um ihr im Artikel Platz einzuräumen und dabei Klartext zu bringen. Dafür ein herzliches Danke!

>>> http://www.tagesspiegel.de/wissen/er-sie-es/1869792.html

>>> Nachtrag: Kommentare auf dem Hermaphroditforum

>>> Nachtrag 2: Der Titel wurde inzwischen online geändert zu "Zwischen den Geschlechtern". Auch der Lapsus "Verein interkultureller Menschen" wurde inzwischen berichtigt zu "Verein intersexueller Menschen".  

>>> Anliegen von Zwischengeschlecht.org an den Deutschen Ethikrat 23.6.10
>>> Pressemitteilung von Zwischengeschlecht.org vom 22.6.10

>>> Pressemitteilung des Deutschen Ethikrates vom 25.6.10
>>> Veranstaltung des Ethikrates in Berlin, Mi 23.6.10 18h: "Intersexualität - Leben zwischen den Geschlechtern" 

Friday, June 25 2010

"Die Macht der Tabus" - Konstanze Plett über Genitalverstümmelung, amnesty journal 03/08

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Zum "Welttag gegen Genitalverstümmelung" 2008 brachte die Zeitschrift der Deutschen Sektion von Amnesty International einen gelungen Gastkommentar der Bremer Rechtsprofessorin Konstanze Plett. Der letzte Abschnitt geht spezifisch auf die Genitalverstümmelungen an Zwittern ein und bringt Klartext:

Vor allem darf nicht der Eindruck entstehen, »der Westen« wolle in anderen Teilen der Welt etwas durchsetzen, was er selbst nicht beachtet. Ich denke dabei an etwas, das in der westlichen Kultur seinen Ursprung hat und seit Ende der fünfziger Jahre praktiziert wird, nämlich die Genitalverstümmelung intersexuell geborener Kinder, deren mehrdeutige Geschlechtsorgane mit dem Skalpell manipuliert werden, damit sie einem nur von den Erwachsenen angenommenen Idealbild weiblicher oder männlicher Genitalien entsprechen. Nur wenn »zu Hause« dieselben Maßstäbe gelten wie andernorts, ist der Einsatz für die Menschenrechte glaubhaft.

Ein herzliches Dankeschön an Konstanze Plett und Amnesty Deutschland für diese klaren, solidarischen Worte!

>>> Der ganze Artikel auf Schattenblick.net

Siehe auch:
- Genitalverstümmelungen an Zwittern: Aufruf zur Solidarität
- Zwangsoperationen an Zwittern: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit)
- "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?" 
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal")
- Genf: UNO mahnt Bundesregierung
- CEDAW: Schriftliche Empfehlungen an die Bundesregierung
- Intersex-Schattenbericht online und als Download

Tuesday, June 22 2010

Genitalverstümmelungen an "Intersexuellen": Ethikrat gefordert

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Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!Der Deutsche Ethikrat will morgen, den 23. Juni 2010 in Berlin noch einmal diskutieren, ob verstümmelnde Genitaloperationen an Kindern allenfalls gegen das Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit verstossen – oder vielleicht auch doch nicht?!

>>> Pressemitteilung Zwischengeschlecht.org v. 22.6.10

>>> Anliegen von Zwischengeschlecht.org an den Deutschen Ethikrat 23.6.10
>>>
"Ethik als Feigenblatt?" - Zwischengeschlecht.org am "Forum Bioethik" 23.6.10
>>> "Ethik als Freifahrtschein, an die Eltern eine ohnehin schon feststehende Entscheidung abzudelegieren" - Claudia Wiesemann, Forum Bioethik 23.6.10
>>> Pressemitteilung des Deutschen Ethikrates vom 25.6.10
>>> Veranstaltung des Ethikrates in Berlin 23.6.10 
>>> Audioprotokolle --> zu unterst        >>> Beitrag von Konstanze Plett (mp3, 19,3MB)
--> Bayerischer Rundfunk   --> Tagesspiegel   --> Deutschlandradio   --> e-politik 

Siehe auch:
- Alice Dreger über EthikerInnen als MittäterInnen
- Zwangsoperationen an Zwittern: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit) 
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung
- Zwangskastrationen an Zwittern: "Keine Mutanten züchten"
- Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Gesetzgeber gefordert
- "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD": Zwangsoperationen klar unzulässig (Dr.med. Jörg Woweries)
- Chirurgische Genitalverstümmelungen: UNO mahnt Bundesregierung
- Amnesty Deutschland: Zwangsoperationen "fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte"

Tuesday, June 15 2010

Veranstaltung des Ethikrates in Berlin, Mi 23.6.10 18h: "Intersexualität - Leben zwischen den Geschlechtern"

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>>> Nachtrag: Diskussion auf dem Hermaphroditforum
>>> Pressemitteilung Zwischengeschlecht.org vom 22.6.10
>>> Anliegen von Zwischengeschlecht.org an den Deutschen Ethikrat 23.6.10
>>>
"Ethik als Feigenblatt?" - Zwischengeschlecht.org am "Forum Bioethik" 23.6.10
>>> "Ethik als Freifahrtschein, an die Eltern eine ohnehin schon feststehende Entscheidung abzudelegieren" - Claudia Wiesemann, Forum Bioethik 23.6.10
>>> Audioprotokolle --> zu unterst     >>> Beitrag von Konstanze Plett (mp3, 19,3MB)
>>> Pressemitteilung des Deutschen Ethikrates vom 25.6.10
--> Bayerischer Rundfunk   --> Tagesspiegel   --> Deutschlandradio   --> e-politik  

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!Am 23.6.10 organisiert der Deutsche Ethikrat ein "Forum Bioethik" unter dem Titel "Intersexualität - Leben zwischen den Geschlechtern".

Seit 14 Jahren kämpfen deutschsprachige organiserte Zwitter gegen kosmetische Genitaloperationen an Zwitterkindern und für die Durchsetzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit auch für Zwitter. Diese Forderungen stehen nicht zufällig an der Spitze aller Forderungslisten (nicht nur) deutschsprachiger Zwitterorganisationen.

Seit bald 2 Jahren wird der Ethikrat u.a. von Daniela Truffer von der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org kontinuierlich über die massiven Menschenrechtsverletzungen an Zwittern informiert und zum Handeln aufgefordert (Beispiel 1 / Beispiel 2 / Beispiel 3) – bisher erfolglos. 

Deshalb ist die Tatsache, dass der Ethikrat nun zumindest eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zum Thema ankündigt, erst einmal positiv zu bewerten und schürt neue Hoffnungen. Hat es der Ethikrat nun endlich begriffen und will auch entsprechend handeln?

Leider lässt die Ankündigung zur Veranstaltung wenig Gutes erwarten:

Statt endlich den 14 Jahre langen Kampf organiserter deutschsprachiger Zwitter gegen die klar unethischen sowie menschenrechtswidrigen Genitalverstümmelungen an wehrlosen Zwitterkindern ins Zentrum zu stellen, hält es der Ethikrat offensichtlich einmal mehr mit den Zwangsoperateuren und VereinnahmerInnen.

Statt endlich energisch die massiven Verstösse gegen das elementare Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung durch die genitalen Zwangsoperationen und sonstigen, medizinisch nicht notwendigen Zwangseingriffe unmissverständlich zu benennen und die Forderung nach einem konkreten gesetzlichen Verbot dieser Verstümmelungen zumindest zu erwähnen, geht es dem Ethikrat konkret politisch einmal mehr lediglich um "das Personenstandsrecht, das Namensrecht sowie das Ehe- und Lebenspartnerschaftsrecht", um "sexuelle Identität", "Diskriminierung" und "festgelegte Geschlechtsnormen".

Das eigentliche Hauptthema, nämlich die massiven Verstösse gegen körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung, taucht in der Ankündigung lediglich als Untereventualität in Form einer absurden Frage auf: "Wie verhalten sich korrigierende oder angleichende Eingriffe im Kindesalter mit entsprechenden lebenslangen Folgen für die Betroffenen zum Recht auf physische und psychische Unversehrtheit und Selbstbestimmung?"

Dies ist TäterInnensprache"korrigierende oder angleichende Eingriffe" werden von zwangsoperierten Zwittern seit jeher als genitale Zwangsoperationen, Genitalverstümmelungen, Zwangskastrationen und medizinische Folter beschrieben, und die beschönigende und verharmlosende Medizynerterminologie wird seit langem kritisiert. Eine neutrale, aber trotzdem nicht bescönigende Bezeichnung ist "kosmetische Genitaloperationen an Kindern".

Und wer – wie offensichtlich (nicht nur) der bundesfinanzierte Deutsche Ethikrat – zuerst noch lange diskutieren will, ob die fraglos unethischen, menschenrechtswidrigen, medizinisch nicht notwendigen, nicht-eingewilligten, sogar von den Medizynern selbst als kosmetisch und experimentell deklarierten Genitalverstümmelungen an Zwitterkindern eventuell möglicherweise gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit verstossen oder vielleicht etwa doch nicht, zeigt unmissverständlich, auf welcher Seite er letztlich steht: nämlich NICHT auf der Seite der um ihr Recht kämpfenden zwangsoperierten Zwitter, sondern auf der Seite der Zwangsoperateure und ihrer Helfershelfer. 

Auch die risikoreichen pränatalen Dexamethason-Zwangsbehandlungen auf blossen "Verdacht" hin, deren gravierenden Folgen auch zahllose Nicht-Zwitter-Kinder zum Opfer fallen, sind der Ankündigung des Ethikrates keine Erwähnung wert – obwohl diese von den Medizynern (wie auch die Genitalverstümmelungen und sonstigen Hormonzwangstherapien) seit Jahrzehnten permanent experimentell und ohne jegliche Evidenz durchgeführt werden und deshalb unlängst von namhaften BioethikerInnen unmissverständlich kritisiert wurden (allerdings bisher lediglich in den USA – in Deutschland herrscht hierzu unter BioethikerInnen nach wie vor das Schweigen der MittäterInnen).

Ebenfalls typisch: Auch der aktuelle Gesetzesentwurf gegen weibliche Genitalverstümmelung wird in der Ankündigung des Ethikrates gar nicht erst angesprochen, ebenso wenig wie die Parallelen zwischen weiblicher Genitalverstümmelung und der Genitalverstümmelung an Zwittern, geschweige denn, dass die rassistisch motivierte Unterschlagung der Genitalverstümmelungen an Zwittern kritisiert würde – stattdessen stehen in der Ankündigung die zwittervereinnahmenden Gesetzesanträge zu "Sexuelle Identität" prominent im Zentrum ...

Würden von den ehrenwerten Mitgliedern des Ethikrats mal nur schon ein paar an den eigenen Geschlechtsteilen etwas genital zwangsoperiert, hätten sie bestimmt ziemlich schnell andere Prioritäten – wetten?!

Gonade um Gonade, Lustorgan um Lustorgan!

>>> Nachtrag: Diskussion auf dem Hermaphroditforum

>>> Pressemitteilung Zwischengeschlecht.org vom 22.6.2010

>>> Anliegen von Zwischengeschlecht.org an den Deutschen Ethikrat 23.6.10

>>> "Ethik als Feigenblatt?" - Zwischengeschlecht.org am "Forum Bioethik" 23.6.10

>>> "Ethik als Freifahrtschein, an die Eltern eine ohnehin schon feststehende Entscheidung abzudelegieren" - Claudia Wiesemann, Forum Bioethik 23.6.10

>>> Pressemitteilung des Deutschen Ethikrates vom 25.6.10

--> Bayerischer Rundfunk   --> Tagesspiegel   --> Deutschlandradio   --> e-politik 

Siehe auch:
- Aufforderung um Unterstützung an Deutschen Ethikrat
- Deutscher Ethikrat reiht sich ein unter die MittäterInnen 
- Erneute Anfrage um Unterstützung an Deutschen Ethikrat 
- Weitere Aufforderung um Unterstützung an den Deutschen Ethikrat
- Alice Dreger über EthikerInnen als MittäterInnen
- Zwangsoperationen an Zwittern: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit) 
- Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Gesetzgeber gefordert
- Milton Diamond fordert gesetzliches Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal")
- "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD": Zwangsoperationen klar unzulässig (Dr.med. Jörg Woweries)
- "Netzwerk DSD": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure 
- Wie das "Netzwerk Intersexualität/DSD" seine Versprechen bricht - und Intersexuelle Menschen e.V. sich nicht wehrt
- IMeV: Katzbuckeln gegenüber den Medizynern und den verantwortlichen PolitikerInnen
Bundestag / CEDAW: "Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" will nix kapiert haben – Intersexuelle Menschen e.V. guckt zu und schweigt
- Intersexuelle Menschen e.V. informiert (nicht)

Wednesday, May 26 2010

Amnesty: Zwangsoperationen "fundamentaler Verstoß" gegen körperliche Unversehrtheit

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Nach der sensationellen, einstimmig verabschiedeten Motion der Schweizer Sektion vom 25.4. hat die Sektion Deutschland an ihrer Jahresversammlung 2010 ebenfalls einen historischen Beschluss gefasst, wonach auch sie sich bei der Dachorganisation Amnesty International zu Gunsten einer offiziellen Position betreffend der Menschenrechtsverletzungen an Zwittern einsetzen wird.

Dafür allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön!

Im Gegensatz zur Schweiz sind die Beschlüsse der Deutschen Sektion nicht öffentlich. Auf Anfrage hin hat MERSI-Hamburg nun aber eine >>> offizielle Mitteilung veröffentlicht, die u.a. festhält:

Im Mittelpunkt der Bemühungen steht die Ächtung einer medizinischen Praxis, intersexuellen Menschen entweder im frühen Kindesalter ohne Einwilligungsfähigkeit – oder Erwachsenen ohne Aufklärung über Folgen – auf operativ-medikamentösem Weg ein eindeutiges Geschlecht „zuzuweisen“. Dies wird als fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte (Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Selbstbestimmung und Würde und auf Nicht-Diskriminierung) gewertet, da solche Maßnahmen in den allermeisten Fällen aus medizinisch-gesundheitlicher Sicht keinerlei Begründung haben.

Da der Deutsche Entwurf des Beschlusses explizit die oben erwähnten, zentralen Forderungen nach "Körperliche Unversehrtheit auch für Zwitter!" enthielt, ging er als solcher sogar noch deutlich weiter als die CH-Version.

(Bei letzterer war dagegen die Begründung etwas weitgehender und detaillierter, sprach sie doch zusätzlich konkret die Parallelen zur weiblichen Genitalverstümmelung an – wozu auch in der Schweiz aktuell ein Gesetzesentwurf ansteht, bei dem u.a. Amnesty Schweiz offiziell bedauerte, dass darin, wie auch in Deutschland, die Genitalverstümmelungen an Zwittern nicht ebenfalls angesprochen wurden –, sowie die Diskriminierung intersexueller Sportlerinnen durch Athletikverbände, und nicht zuletzt auch die Problematik, dass eine Einordnung der an Zwittern begangenen Menschenrechtsverletzungen z.B. unter die Rubrik "Sexuelle Identität" dazu führen kann, dass "oft verkannt [wird], dass Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen in erster Linie genitale Zwangsoperationen bedeuten und weniger Gender- und Identitätsfragen.")

Auch wenn es wohl noch einige Zeit und Lobbyarbeit braucht, bis Amnesty International endlich eine offizielle Position gegen die Menschenrechtsverletzungen an Zwittern verabschieden wird, ist dieser erneute Beschluss ein weiterer wichtiger Schritt dazu!

Siehe auch:
- Terre des Femmes: Genitalverstümmelungen an Zwittern gleich schädlich wie weibliche Genitalverstümmelung
- "Die Macht der Tabus" - Konstanze Plett über Genitalverstümmelung, amnesty journal 03/08
- Schweiz: Terre des Femmes und Amnesty gegen genitale Zwangsoperationen
- Kosmetische Genitaloperationen an Zwitterkindern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Hanny Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal", 2003)
- Genitale Zwangsoperationen: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit) 
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Gesetzgeber gefordert
- Bundestag: "Weibliche Genitalverstümmelung ahnden" - aber die Zwitter verstümmelt nur ruhig weiter ...
- Genf: UNO mahnt Bundesregierung
- Amnesty Schweiz: Historischer Entscheid für "Menschenrechte auch für Zwitter!" 
- "Ethik als Feigenblatt?" - Zwischengeschlecht.org zum "Forum Bioethik" 23.6.10 

Monday, April 19 2010

"Intersexualität: Mann oder Frau - oder was?" - taz, 19.4.2010

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Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

Interessanter, wenn auch mitunter reichlich schönfärberischer
>>> Artikel von Eiken Bruhn über die Diskussionsveranstaltung in Bremen von letzter Woche.

Leider kolportiert der Artikel einmal mehr die stets beliebte Medizynermär von "früher war es vielleicht schlimm, aber heute ist es ganz anders". Unhinterfragt wird verkündet, "in den vergangenen zehn Jahren setzte ein Umdenken ein", bzw. "die Zeiten [haben sich] tatsächlich geändert". (Wie demgegenüber aktuelle Leitlinien, zahllose Publikationen und nicht auch zuletzt die (frisierten) Studien des "Netzwerks DSD/Intersexualität" (PDF -> S. 3 "Beschreibung des Samples") zweifelsfrei belegen, wird in Tat und Wahrheit auch in deutschen Spitälern weitgehend ungebrochen weiterverstümmelt – allein in Deutschland JEDEN TAG ein wehrloses Zwitterkind!)

Ebenfalls unhinterfragt wird ausgerechnet im Schlusssatz des Artikels eine weitere "zeitlose" Medizyner-Rechtfertigung nachgebetet: "Solange sich unsere binär strukturierte Gesellschaft nicht ändert, darf man auch von Intersexuellen nicht verlangen, die Gender-Vorreiter zu geben." Beinah wörtlich nach einem seinerzeit von vielen Zwittern kritisierten Zitat der wohl unverbesserlich zwangsoperationsgeilen Chefpsychologin des "Netzwerk DSD/Intersexualität" Ute Thyen ...

(Ums klar zu sagen: Ausser ethisch, moralisch und menschlich gestörten Medizynern und oft überforderten Eltern will niemand Zwittern etwas aufzwingen. Wenn nicht-zwangsoperierte Zwitter später OPs wollen und ihre informierte Zustimmung dazu geben, ist dies ihr gutes Recht und auch praktisch möglich – im Gegensatz zum Rückgängigmachen von irreversiblen kosmetischen Zwangsoperationen an Zwitterkindern.)

Unreflektiert über den grünen Klee gelobt wird weiter die parlamentarische Initiative vom letzten Jahr in Hamburg (die seinerzeit auch auf diesem Blog prinzipiell begrüsst wurde – allerdings wurde hier auch entsprechend kritisiert, dass die zentrale Problematik der uneingewilligten kosmetischen Genitaloperationen an Kindern in dieser Initiative mutwillig ausgeklammert wurde).

Befremdlich ist nicht zuletzt, wie der Artikel prominent im Lead vollmundig behauptet, die Bremer Grünen würden sich nun für Zwitter "engagieren". Worin dieses Engagement konkret bestehen soll, darüber schweigt sich der Artikel allerdings vornehm aus ... In deutlichem Gegensatz dazu teilte Michel Reiter, der an der Verabstaltung auf dem Podium sass und ein Impulsreferat beisteuerte (und die Veranstaltung insgesamt "eine Katastrophe fand" – wie übrigens auch diesen Blog "völlig daneben"), auf Anfrage mit: "den Grünen war keine Zusage zur Themenaufnahme zu entlocken."

Damit scheinen letztlich auch die Bremer Grünen dem (bisher konkret noch einiges unrühmlicheren) Negativbeispiel der Bundestags-Grünen zu folgen, zuerst grosse Blabla-Veranstaltungen durchzuführen, denen dann allerdings keine Taten folgen (mal abgesehen von den üblichen politischen Vereinnahmungen, zuletzt in den Grundgesetzvorstössen um Aufnahme von "sexuelle Identität" letztes Jahr im Bundesrat sowie aktuell im Bundestag dieses Jahr).

Daran kann vorerst wohl auch der im Artikel extra herausgestrichene, pragmatische Vorschlag der Rechtsprofessorin und Podiumsteilnehmerin Konstanze Plett nichts ändern, "dass kosmetische Genital-Operationen an Minderjährigen nur nach einer auf Gutachten gestützten richterlichen Entscheidung durchgeführt werden dürfen. Damit, so Pletts Hoffnung, soll sicher gestellt werden, dass die Wünsche der Kinder im Mittelpunkt stehen - und nicht die von MedizinerInnen und Eltern."

Bedenklich auch, dass im Infokasten die schnellstmögliche Beendigung der Zwangsoperationen nicht angesprochen wird, sondern es dort lediglich heisst: "Zu den Forderungen von Selbsthilfeorganisationen zählen die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen und die Übernahme von Behandlungskosten."

Die Zwangsoperateure freut's ...

Nachtrag 20.4.: Die ursprüngliche Version des Artikels wurde inzwischen wegen der "anstössigen" Illustration (Abbildung einer medizynischen Wachsplastik eines "intersexuellen" Genitals) nach entsprechender Kritik zensiert, einzig die Kommentare finden sich dort noch (und fehlen dafür in der neuen Version).

Neue Version: http://www.taz.de/1/nord/artikel/1/mann-oder-frau-oder-was-1/

Tuesday, March 9 2010

"Intersexuelle Menschen zwischen Medizin und Menschenrecht" - öffentliche Diskussion, Bremen 14.4.10 20h

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Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!

Ort: "belladonna", Kultur-, Kommunikations- und Bildungszentrum für Frauen e.V., Sonnenstraße 8, 28203 Bremen

Von Michel Reiter auf auf seiner Homepage und im Hermaphroditforum gepostete Ankündigung:

Talkrunde
[...]

Weder Frau noch Mann
Intersexuelle Menschen zwischen Medizin und Menschenrecht

in Kooperation mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bremen

Die Existenz von Menschen, die sich biologisch nicht eindeutig in die Kategorie „Frau“ oder „Mann“ einordnen lassen, wird in der Öffentlichkeit meist gar nicht wahrgenommen. So genannte Intersexuelle, Hermaphroditen oder auch Zwitter werden schon als Kleinkinder medikamentös oder operativ behandelt mit dem Ziel, ihnen ein „eindeutiges“ Geschlecht zuzuweisen. Meist geschieht das, bevor sie alt genug sind mitzuentscheiden. Sie geraten in die Mühlen der Medizin und leiden unter den Folgen der Behandlung oft ihr ganzes Leben lang. Der Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung führt häufig zu Depressionen, nicht selten auch zu Suiziden. Angehörige werden häufig nicht umfassend aufgeklärt und beraten. Sie fühlen sich massiv unter Druck gesetzt.
„Warum und wieso kann es nicht einfach akzeptiert werden, dass es ein `drittes Geschlecht´ gibt? Es ist die unbeschreibliche Ohnmacht, die einen überfällt wenn man einmal mehr als NICHT EXISTENT bezeichnet wird.“ (Auszug aus einem online-Tagebuch eines Betroffenen).

Impulsreferat von Michel Reiter: „Hermaphroditen: das unaussprechlich Reale?“
Er kämpft seit Jahren für die Anerkennung einer dritten Geschlechterkategorie in Deutschland.

In der Talkrunde:
Lucie Veith, Gruppe Intersexueller Menschen e.V., Hamburg
Prof. Dr. Konstanze Plett, Professorin für Rechtswissenschaften und Gender Law, Universität Bremen
Moderation: Björn Fecker, MdBB, stellv. Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Die Diskussionsveranstaltung ist für Frauen und Männer

Kommentar: Die Formulierung "Für Frauen und Männer"  ist, wie schon im Hermaphroditforum festgehalten wurde, Standard bei vielen Frauenprojekten, wenn zu einer Veranstaltung nicht ausschliesslich Frauen zugelassen sind, und folglich nicht böse gemeint, wenn auch im vorliegenden Fall zumindest formell unsensibel. Nachtrag: Auf der Homepage des Veranstaltungsortes wurde die Formulierung nun abgeändert zu "für alle Interessierten offen". Danke!

In der Sache selbst scheint diese Veranstaltung, in löblichem Gegensatz z.B. zum sog. "Fachgespräch" der Bundestags-Grünen vom letzten Jahr, endlich gewillt, die Leiden der Zwangsoperierten Ernst zu nehmen und auf sie zu hören. Danke! Bleibt zu hoffen, dass als nächster Schritt konkrete politische Aktionen folgen, um die kosmetischen Zwangseingriffe endlich zu stoppen!

Allein in Deutschland wird etwa JEDEN TAG ein Zwitterkind genitalverstümmelt, in der Schweiz und in Österreich etwa JEDE WOCHE JE EINES! Wie lange noch?

Siehe auch:
- "Medizinische Intervention als Folter" - Michel Reiter 30.6.2000
- Rede 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008 
- Weg weisende Kampagne gegen pränatale Dexamethason-Zwangsbehandlungen
- Euro-DSD: Lübecker Zwitterstudie frisiert
- Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber bezahlen
- Wie das "Netzwerk Intersexualität/DSD" seine Versprechen bricht
- Intersexuelle Menschen e.V. distanziert sich stillschweigend vom "Netzwerk DSD" 
- Netzwerk DSD/Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Wie das "Netzwerk DSD" die "Lübecker Studie" frisiert
- Ersatzhormone für Zwangskastrierte auf Kasse! "Netzwerk DSD" zum Handeln aufgefordert

Wednesday, November 18 2009

"Sexuelle Identität", "psychosexuell Entwicklungsgestörte", "Sexualstraftäter" und, äh, "Intersexuelle" - Tagung in Göttingen 20.11.09

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Kann ein Zwitter Sünde sein?>>> "Weiblich, männlich, intersexuell?" Pressemeldung zur Veranstaltung
>>> Ankündigung Homepage Zentrum für Medizinrecht
>>> Offizielles Programm (doc)  

Kommentar: Natürlich ist vermehrte (auch wissenschaftliche) Aufarbeitung der aktuellen Rechtssituation zwischengeschlechtlicher Menschen dringend notwendig. Insbesondere, wie Zwittern elementarste Grundrechte nach wie vor vorenthalten werden, wie auch das Strafrecht als Garant ihrer Menschenrechte z.B. auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung bisher stets sträflich versagte, und was dagegen künftig dringend zu tun wäre. Ausserdem beginnt das Thema "Intersexualität und Recht" langsam aber sicher auch eine (meist schockierte und empörte) breitere Öffentlichkeit zu erreichen.

Letzteres hat offensichtlich auch schon die Uni Göttingen bemerkt und deshalb das Stichwort "intersexuell" prominent in den Titel ihrer Medienmitteilung eingebaut. Im Kleingedruckten zum "Workshop" ("Zielgruppe: Journalisten, Wissenschaftler") sieht's dann allerdings weniger erfreulich aus: Unter den im Programm und Ankündigungen versammelten Stichworten (für eine Auswahl vgl. den Titel dieses Posts) wird kaum Relevantes dazu herauskommen.

Zu befürchten ist im Gegenteil eine Veranstaltung nach den Bedürfnissen bzw. zur Rechtfertigung der Täterinnen, sprich Zwangsoperateure plus Zulieferer aus Sexologie, Endokrinolgie und Psychiatrie, sowie nicht zu vergessen die Eugenik-Nachfolgedisziplin Humangenetik, wohl kaum zufällig Co-Veranstalterin dieses Workshops – obwohl einzelne Referentinnen schon positiver auffielen (Konstanze Plett - PDF, Katinka Schweizer).

Dass die TäterInnen allerdings in letzter Zeit spürbar erhöhten Rechfertigungsbedarf haben, ist demgegenüber ja nun wirklich nur positiv zu bewerten ...

Nachfolgend dokumentieren wir Pressemitteilung, Ankündigung und Programm:

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Saturday, October 24 2009

Hamburg: Bürgerschaft will Zwitter stärken – Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken ausgeklammert

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Nachtrag 2011: Ausser Vereinnahmung letztlich nichts gewesen – die einzigen konkreten politischen Folgen dieses Antrages blieben 2 (erfolglose) Vereinnahmungsvorstösse von Linke und SPD zur – Überraschung! – Lockerung/Änderung des Personenstandsgesetzes. Die auch in Hamburg weiter andauernden täglichen kosmetischen Genitaloperationen in den Kinderkliniken blieben nicht nur im Antrag ausgeblendet: Es gibt in Hamburg bis heute keinen einzigen konkreten politischen Vorstoss zu ihrer Beendigung ... 

Nach den historischen kleinen und grossen Anfragen und der ebenfalls historischen Anhörung vor dem Gesundheits-Ausschuss der Bürgerschaft unternimmt die Hamburgische Bürgerschaft als erstes Parlament in Deutschland erste konkrete politische Schritte: Mit Datum vom 16.7.09 wurde eine von Mitgliedern der Parteien GAL, CDU, SPD und Die Linke unterzeichneter Antrag eingereicht mit dem Titel "Intersexualität – Gesellschaftliches Bewusstsein schaffen sowie Betroffene und deren Familien stärken" (>>> Drucksache 19/4095, PDF).

In der Bürgerschaftssitzung ebenfalls vom 16.7.09 wurde dieser Antrag laut >>> offiziellem Kurzprotokoll (-> TOP 32) einstimmig angenommen!

Dadurch wird der Hamburger Senat verpflichtet, sich einzusetzen:

  • für psychologischen Beistand für Betroffene und Eltern
  • für eine Gesetzesänderung, dass Zwitter-Krankenakten neu erst nach 75 Jahren legal vernichtet werden dürfen
  • für eine bundesweite Beratungsstelle für Zwitter und Eltern unter Einbezug der Betroffenen
  • für eine Überprüfung und evtl. Änderung der PStG-Praxis der Standesämter betreffend Termindruck bei Geschlechtseintrag
  • für Aufnahme des Themas "Intersexualität" in die Lehrpläne der Hamburger Schulen und Lehranstalten sowie speziell in der Fortbildung von Hebammen und Medizinern
  • die Bürgerschaft über seine Bemühungen auf dem Laufenden zu halten

Kommentar:

Wieder ein historischer Vorstoss aus Hamburg, von dem sich alle übrigen Bundesländer und auch der Bundestag ruhig mal eine dicke Scheibe abschneiden könnten! Erst recht, da der Antrag mehrfach wichtige Zwitterforderungen konkret aufgreift (psychologische Unterstützung, Massnahmen gegen Unterschlagung von Krankenakten, Beratung unter Einbezug der Betroffenenselbsthilfe). Umso erfreulicher, dass der Antrag von der Bürgerschaft einstimmig angenommen wurde!

Weniger erfreulich ist hingegen schon mal, dass der Antrag sozusagen hinter geschlossenen Türen und unter ferner liefen lanciert und bisher weder von der Bürgerschaft noch von anderen involvierten Kreisen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. Entschiedenes Eintreten aller Beteiligten für die Rechte von Zwittern sähe anders aus ...

Der Antrag fordert im Titel "Gesellschaftliches Bewusstsein schaffen" und merkt zu Beginn der Einleitung selber an, bekanntlich bestehe ein entscheidender Teil der Problematik darin, dass die blosse Existenz sowie die Leiden der Zwitter "[b]reiten Teilen der Bevölkerung [...] kaum bekannt [sind]". Leisetreterei und verschwiegenes Rumdrucksen wird hier allerdings kaum Abhilfe schaffen.

Das gravierendste Problem des Antrags ist, was NICHT drinsteht:

a) konkrete Anstrengungen zur Beendigung der genitalen Zwangsoperationen an Zwittern und

b) das Recht auf Peer Support rsp. Zugang zu Selbsthilfegruppen für alle Eltern wie Zwitter von Anfang an (nach wie vor unterschlagen Medizyner die Existenz und das Angebot der meisten Selbsthilfegruppen systematisch).

Kaum zufällig steht a) an erster Stelle auf den Forderungslisten aller Zwitter-Lobbyorganisationen und auch b) gehört zu den zentralen Forderungen.

Fairerweise muss zwar angemerkt werden, dass der Antrag Peer Support immerhin indirekt erwähnt und fördern will ("das Wissen der Betroffenen einbezieh[hen]"). Sowie weiter, dass realpolitische Veränderungen (oder – wie im vorliegenden Fall – nur schon Vorstufen dazu) zu Gunsten unterschlagenener Minderheiten sich leider generell im Nanomillimeterbereich abspielen.

Ohne vernehmbaren Auftritt auch auf dem politischen Parkett und erst recht ohne konkrete Massnahmen zu Beendigung der menschenrechtswidrigen und illegalen Zwangsoperationen landen weiterhin Zehntausende von wehrlosen Zwitterkindern auf den OP-Tischen – allein in Deutschland jeden Tag eines ...

Siehe auch:
- Genitalverstümmelung: Vereinnahmer helfen Berliner Senat beim Vertuschen (16/14436)
- Bremen: VereinnahmerInnen helfen Gesundheitsminister beim Leugnen
- Zwitter-Vereinnahmung im Bundestag: Business as usual (II)
- Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit) 
- Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Gesetzgeber gefordert   
- Rechtsanwalt Oliver Tolmein: "Deutschland gerügt: Menschenrechte von Zwittern nicht geschützt"
- Rechtsprofessorin Konstanze Plett: “Intersexualität aus rechtlicher Perspektive” (PDF)

Da der Antrag aktuell auf der Bürgerschaftspage nicht verfügbar ist (das PDF scheint irgendwie defekt zu sein), dokumentieren wir den Wortlaut nachfolgend:

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Saturday, June 20 2009

"DSDnet"/"Euro-DSD"/etc.-Chef Olaf Hiort: "keine Qualitätskontrolle" bei Intersex-Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken

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Menschenrechte auch für Zwitter!

Wie schon im entsprechenden Post nachgetragen, streicht Michel Reiter in einer treffenden Analyse des Protokolls (PDF) der parlamentarischen Anhörung in Hamburg (--> 14.6.09) einige vielsagende Zitate heraus wie z.B. "Es gibt keine Qualitätskontrolle" (obwohl im Gesundheitswesen Qualitätsmanagement eigentlich vorgeschrieben wäre) und erläutert näher, was das konkret bedeutet.

Prädikat: Unbedingt lesen! (--> 14.6.09)

Das ganze entsprechende Zitat von "EuroDSD"- und "Netzwerk Intersexualität/DSD"-Chef Prof. Dr. Olaf Hiort (im PDF-Protokoll auf S. 40) lautet übrigens:

Es gibt keine Qualitätskontrolle, und alleine in Hamburg würde ich drei oder vier Krankenhäuser benennen können, die solche Operationen durchführen oder durchgeführt haben.

Mit Verweis auf ein Beispiel für "soziale Indikation[en]" (statt medizinische Notwendigkeit) für "solche Operationen" in AWMF-Leitlinien und der "Illegalität dieser Sichtweise" hebt Michel  weiter ein Zitat von Konstanze Plett im Anhörungsprotokoll hervor (PDF S. 18):

"Ich habe in Diskussionen auch gehört, ja, weil die Eltern an ihrem ungewöhnlichen Kind leiden, muss das Kind irgendwie unauffällig gemacht werden. Aber das ist aus juristischer Sicht nun überhaupt nicht vertretbar, dass ich einen Menschen behandle, um andere Menschen zu kurieren. Also Heileingriff geht immer nur an dem Menschen selber, der betroffen ist."

Bleibt zu befürchten, dass das "Netzwerk DSD" und die Nachfolgeorganisationen "EuroDSD", "NSDnet", "DSD-Life" etc. der Politik und der Öffentlickeit vermehrt frisierte Versionen z.B. der "Lübecker Studie" als Nachreichung der bisher fehlenden "Qualitätskontrolle" bzw. als "wissenschaftliche Rechtfertigung" und sonstige Lippenbekenntnisse zur Vertuschung/Fortführung der menschenrechtswidrigen Zwangsoperationen verkaufen wird – und die Bundesregierung als langjährige Mittäterin weiterhin noch so gern mitspielt ...

Nachtrag: Wichtiger Vorschlag von Einhorn, wie gegen die Verfälschung der "Lübecker Studie" vorgegangen werden kann, hier in den Kommentaren.

>>> Olaf Hiort: "Genitalverstümmelungen durchaus im Interesse der Betroffenen"
>>> Olaf Hiort: "Erwachsene Betroffene haben kein Recht zu kritisieren"
>>> Olaf Hiort: "Genitalverstümmelung der übliche Weg - wegen den Eltern"
>>> Olaf Hiort: "Intersexuelle nur Bruchteil aller Genitalverstümmelten"

Sunday, June 7 2009

Zwitter: Akzeptieren statt zwangsoperieren! – Oliver Tolmein (2002)

Menschenrechte auch für Zwitter!

Die Zwitter Medien Offensive™ war schon da!

Oliver Tolmein:

Hermaphroditen: Akzeptieren statt therapieren

Dr. med. Mabuse 137, 2002

>>> http://www.tolmein.de/bioethik,recht,82,hermaphroditen.html

Gelungener, leider beklemmend aktuell gebliebener Artikel ... Oliver Tolmein ist Anwalt, Journalist, FAZ-Blogger und Co-Regisseur von "Das verordnete Geschlecht" (2001) und gehörte mit der Rechtsprofessorin Konstanze Plett zu den ersten Nicht-Zwittern, die öffentlich konkrete gesetzliche Massnahmen zum Schutz der Menschenrechte inkl. körperliche Unversehrtheit auch der Zwitter forderten. Durch die verstärkten Zwitter-Lobbyoffensiven der letzen 2 Jahre, das zuvor nie dagewesene Medienecho und die Rüge des UN-Ausschusses CEDAW erhält diese langjährige, wichtige Forderung aktuell neuen Aufwind (vgl. z.B. die Beiträge der beiden an der parlamentarischen Anhörung in Hamburg). Einige Ausschnitte aus dem Artikel (meine Hervorhebungen):

[...] Der Diskurs um die Behandlung von Zwittern gewinnt vielmehr gerade im Kontext der bioethischen Debatte, in deren Zentrum die Frage nach dem Verständnis von Mensch-Sein und die Akzeptanz von Differenzen steht, an Bedeutung. [...] Anders nämlich als viele menschliche Abweichungen vom Normalbild, die als Behinderungen qualifiziert werden, lässt sich Zwittertum unsichtbar machen und, nach den Vorstellungen zumindest der Medizin und der Jurisprudenz, heilen. [...]

Der fehlende Bedarf steht in krassem Gegensatz zur Invasivität der Eingriffe, die von den Betroffenen oft genug als Verstümmelung wahrgenommen werden: Die Verkleinerung der Klitoris oder gar deren Amputation, das Einsetzen einer Neovagina, die Entfernung von Hoden oder die Verlegung der Harnröhre. Da die Eingriffe im Kleinkindalter vorgenommen werden, können die Patienten in diese irreversiblen und folgenreichen Behandlungen nicht selbst einwilligen. Rechtsgrundlage für die folgenreichen Eingriffe, die meist mit Hormontherapien kombiniert werden, die Vermännlichung oder Verweiblichung verhindern sollen, ist deswegen das elterliche Sorgerecht aus § 1626 BGB. Das Sorgerecht ist allerdings nicht Ausdruck der elterlichen Macht über das Kind, sondern soll dem Bedürfnis der Kinder nach Schutz und Hilfe Rechnung tragen und ihnen helfen, sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Folglich findet das elterliche Sorgerecht seine Grenzen dort, wo es zweifelhaft erscheint, ob es dem Kind nützt. Für medizinische Maßnahmen gibt es beispielsweise § 1631c BGB als Ausnahme, der die Sterilisation des Kindes verbietet, weil sich, wie aus den Gesetzgebungsunterlagen hervorgeht, die Erforderlichkeit und die Auswirkungen der Sterilisation bei Minderjährigen schwer beurteilen lassen (BT-Drucksache 11/4528)

Bislang sind in der deutschen juristischen und medizinischen Fachliteratur die im Zuge der Geschlechtszuweisung vorgenommenen Eingriffe nicht grundlegend problematisiert worden. [...] Selbst die Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht über den Anlaß und das Ausmaß der Behandlung gegenüber älteren, zumindest teilweise einsichtsfähigen Kindern oder Jugendlichen wie sie sich in der medizinischen Literatur findet, wird von Juristen kommentarlos akzeptiert: "Es wäre verfehlt sie (Patienten mit sog. testikulärer Feminisierung, Anm. O.T.) über die Art ihrer Anomalie aufzuklären, weil man dann aus einem gesunden Menschen einen kranken, von Zweifeln gequälten machen würde. Sie ist lediglich über ihre ... unwiderrufliche Sterilität zu unterrichten, welche man am besten mit dem Fehlen des Uterus begründen kan. Damit finden sie sich meist ab." (Kern, Gynäkologie)

Angesichts der Schwere und der Irreversibilität der Eingriffe im Zuge der Geschlechtszuweisung ist diese Zurückhaltung schwer verständlich: Wenn bei Kindern die Sterilisation, die zwar folgenreich, die aber zugleich ein vergleichsweise leicht durchzuführender, einmaliger Eingriff ist, verboten wird, ist nicht einzusehen, wieso die vollständige oder teilweise Entfernung der Klitoris, oder die mit zahlreichen, psychisch erheblich belastenden Folgeeingriffen verbundene Einsetzung einer künstlichen Vagina erlaubt sein soll, wenn nur die Eltern zustimmen. [...] Das Urteil des Amtsgerichts München, das sich mit Michel Reiters Antrag auf Zuerkennung des Geschlechts "Zwitter" beschäftigt hat, zeigte sich über die medizinische Behandlungspraxis ebenfalls besorgt und plädierte in einer für die Entscheidung von Reiters Antrags allerdings nicht unmittelbar bedeutsamen, Passage für ein Verbot der geschlechtszuweisenden Eingriffe im Kleinkindalter analog dem Sterilisationsverbot des § 1631c BGB. Dieser Weg wird auch in anderen Rechtskulturen beschritten. [...]

Möglicherweise als Reaktion auf diese Ansätze, das Thema verstärkt auf politischem und rechtlichem Terrain zu diskutieren, macht sich nun künftig auch die Wissenschaft verstärkt Gedanken über Zwitter. [...] Professor Olaf Hiort, der Sprecher der Forschergruppe ["Netzwerk DSD / Intersexualität"], will herausfinden, wie die Genitalentwicklung im Detail abläuft [...]. Dass sich durch eine gesellschaftliche Anerkennung von Zwittern auch die Situation für die Medizin grundsätzlich verändern könnte, dass aus Patienten dann Menschen ohne Behandlungsbedarf würden, kann sich Hiort nicht vorstellen.

[...] [M]anche Zwitter [stehen] dem Interesse der Wissenschaft an ihnen skeptisch gegenüber. Denn die Forschung, die sich darauf konzentriert die hormonellen und genetischen Mechanismen im Detail zu erkunden, kann für eine auf Anerkennung und gegen Diskriminierung gerichtete Strategie durchaus kontraproduktiv sein. [...]

Aber der Diskurs über Zwitter gerät nicht nur in Konflikt mit einem medizinischen Diskurs, der Abweichungen schnell als Krankheit begreift, die behandelt werden muß. Auch mit anderen Debatten beispielsweise um Transsexualität oder die Konstruktion von Geschlechtern, wie sie im Gender-Bereich heute gängig sind, läuft das Engagement von Zwittern um ihre Anerkennung nicht selbstverständlich parallel: Sie beharren ja nicht nur darauf, dass die herrschenden Vorstellungen von Geschlecht hinterfragt werden müssen, für sie ist Geschlecht gleichzeitig nicht nur eine Frage von Konstruktionen, sondern durchaus auch eine biologische Wirklichkeit, die allerdings nicht in das strikt duale Schema paßt, in die sie derzeit gerastert wird. Werden Zwitter also als dereinst als Zwitter anerkannt, müssen wahrscheinlich nicht nur die Bewahrer konservativer Vorstellungen von Mann und Frau umdenken, sondern auch etliche ihrer Kritiker.

>>> http://www.tolmein.de/bioethik,recht,82,hermaphroditen.html

Siehe auch:
- Sonja Rothärmel: "Rechtsfragen der medizinischen Intervention bei Intersexualität" (PDF)   

Monday, April 27 2009

Erneute Aufforderung um Unterstützung an Amnesty International

Mindestens seit 1996 wird Amnesty International von Zwitterorganisationen um Hilfe angegangen.

Eine ähnliche Aufforderung wie die nachfolgende vom April 2009 ging am 15.8.09 zusätzlich auch an die Schweizer Sektion von Amnesty – einmal mehr hiess es in der Absage: "Amnesty International hat bisher [...] keine offizielle Position zu Intersex und Zwangsoperationen erarbeitet."

2010 haben nun Amnesty Schweiz sowie Amnesty Deutschland an ihren Jahresversammlungen Beschlüsse verabschiedet, wonach beide Sektionen sich beim Dachverband dafür einsetzen, dass Amnesty International endlich eine offizielle Position erarbeiten soll. Danke!

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Subject:       Massivste Menschenrechtsverletzungen an Zwittern
From:
       presse_at_zwischengeschlecht.info
Date:
       Mon, April 27, 2009 14:34
To: 
      [...]@mersi-amnesty.de
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Lieber [...]

ich beziehe mich auf Ihre Antworten auf die Anfragen von Michaela R. und Lucie Veith von Intersexuelle Menschen e.V. vom Dezember letzten Jahres zum Thema, insbesondere auf Ihren Wunsch nach weiterführenden konkreten Informationen, dem ich im folgenden nachkommen möchte:

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INHALT

1. Einleitung

2. Studien des Netzwerks Intersexualität/DSD widerlegen Bundesregierung
a) Bundesregierung ignoriert Menschenrechtsverletzungen und propagiert genitale Zwangsoperationen
b) Aktuelle Forschungsergebnisse des "Netzwerk Intersexualität/DSD" beweisen massive Menschenrechtsverletzungen
c) Einige Auszüge aus den beiden Studien
d) Literatur und Quellen

3. Schattenbericht CEDAW 2008, Rügen an Bundesregierung
a) Auflistung der menschenrechtswidrigen Zwangseingriffe (Deutsch)
b) List of non-consented, forced treatments violating the human rights of the victims (english)
c) UNO rügt Bundesregierung wegen mangelndem Schutz der Menschenrechte von Zwittern

4. Forderungsliste betroffener Menschen

5. Urteile LG und OLG Köln: Zwangsoperierte "schuldhaft in Selbstbestimmungsrecht verletzt"

6. Juristische Probleme und Diskriminierungen
a) Das Problem der frühzeitigen Verjährung der genitalen Zwangsoperationen
b) Diskrimierung gegenüber Knaben- und Mädchenbeschneidung
c) Diskriminierung Sterilisations- und Kastrationsverbot
d ) Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber bezahlen

7. Wir bitten um Ihre Unterstützung!


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1. Einleitung

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Bis heute werden Menschen, die mit "uneindeutigen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, ohne ihre Einwilligung meist im frühen Kindesalter zwangskastriert, an ihren "uneindeutigen" Genitalien zwangsoperiert und Zwangshormontherapien unterzogen, um ihr "uneindeutiges" Geschlecht zu "vereinheitlichen". Diese Zwangseingriffe sind medizinisch nicht notwendig, sondern rein "kosmetisch".

Die meisten Opfer dieser unmenschlichen Praxis leiden ein Leben lang unter den massiven psychischen und physischen Folgen der Zwangsbehandlungen (Traumatisierungen, Verlust des sexuellen Empfindens, Schmerzen im Genitalbereich, gesundheitliche Schäden durch erzwungene, inadäquate sogenannte "Hormonersatztherapien (HETs)", sehr hohe Selbstmordrate Zwangsoperierter, usw.).

Allein in Deutschland leben schätzungsweise 80’000 bis 100’000 sogenannte Zwischengeschlechtliche, Intersexuelle, Zwitter oder Hermaphroditen.

Juristisch, politisch und sozial werden sie nach wie vor unsichtbar gemacht und ihrer (Menschen-)Rechte beraubt.

Siehe auch: Präambel Forderungsliste Intersexuelle Menschen e.V.:
http://intersex.schattenbericht.org/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV

Diese massiven Menschenrechtsverletzungen an Zwittern geschehen aufgrund ihres sogenannt "uneindeutigen" körperlichen Geschlechts.

Das Problem der genitalen Zwangsoperationen ist KEIN "Gender Issue"; es handelt sich auch NICHT um ein Problem der blossen Diskriminierung aufgrund sexueller Identität bzw. Orientierung, sondern es handelt sich um massive körperliche Schädigungen (vgl. unten 3a), deren Folgen von den Opfern nicht von ungefähr mit den Folgen von Folter, sexuellem Kindesmissbrauch oder medizinischen Experimenten während der Nazizeit verglichen werden!

Die hohe Zahl der Opfer, die Schwere und das Ausmass der an ihnen in den letzten 60 Jahren systematisch begangenen Menschenrechtsverletzungen machen die Zwangsoperationen an Zwittern zur wohl gravierendsten Menschenrechtsverletzung in den westlichen Demokratien seit dem 2. Weltkrieg.


Siehe auch: Auflistung von Berichten Betroffener (2.  Medizinische Verbrechen an Zwittern / Persönliche Berichte):
https://blog.zwischengeschlecht.info/pages/Unterstutzt-den-Kampf-der-Zwitter-um-Selbstbestimmung-und-gegen-genitale-Zwangsoperationen

Erhebungen betroffener Menschen in Deutschland in der 1990er-Jahren ergaben, dass 80% der Zwangsoperierten Selbstmordversuche unternehmen, sowie eine effektive Selbstmordrate von 20%!
Vgl. Flugblatt der AGGPG [1997]: http://www2.iisg.nl/id/Systematik.asp?cat=3&id=83

Trotzdem werden diese massiven Menschenrechtsverletzungen bisher weitgehendst ignoriert, obwohl die Geschädigten seit nunmehr 13 Jahren Gerechtigkeit fordern. Offiziell gibt es noch nicht einmal Statistiken zur Häufigkeit von Zwittern, geschweige denn zur Problematik der genitalen Zwangsoperationen und sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffe an Zwittern.


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2. Studien des Netzwerks Intersexualität/DSD widerlegen Bundesregierung

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a) Bundesregierung ignoriert Menschenrechtsverletzungen und propagiert genitale Zwangsoperationen

Bis heute schaut die Bundesregierung weg und negiert diese systematischen Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen, obwohl sie in den letzten zwölf Jahren mehrmals dazu aufgefordert wurde, zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland, der medizinischen Praxis und den rechtlichen Implikationen Stellung zu nehmen.

Stattdessen propagiert die Bundesregierung die Zwangseingriffe aktiv mit tatsachenwidrigen Behauptungen:

- Der Bundesregierung sei nicht bekannt, „dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert“ (14/5627).
- Die Zwangsoperationen seien ausnahmslos "medizinisch indiziert" und dienten deshalb dem "Kindeswohl [...] (§ 1627 BGB)" (14/5627).
- "[G]rößer angelegte Nachuntersuchungen als auch die klinische Praxis" würden laut Bundesregierung gar beweisen, "dass die Mehrzahl der betroffenen Patienten rückblickend (d. h. im Erwachsenenalter) die bei ihnen in der Kindheit vorgenommene operative Vereindeutigung ihres Genitalbefundes für richtig befinden" – allerdings vermochte die Bundesregierung dafür keine Belege anzuführen (16/4786).

Ausführlicher: Die Bundesregierung vs. Zwitter:
http://de.indymedia.org/2008/11/233955.shtml

b) Aktuelle Forschungsergebnisse des "Netzwerk Intersexualität/DSD" beweisen massive Menschenrechtsverletzungen

- Die meisten Opfer der menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ihr Leben lang leiden.
- Nicht zwangsoperierte Zwitter haben im Vergleich eine deutlich höhere Lebensqualität.
- Trotzdem werden nach wie vor über 80% aller Zwitter meist mehrfach zwangsoperiert.

Aktuelle Studienergebnisse in Deutschland: Ausführlicher hier:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen

c) Einige Auszüge aus den beiden Studien

Schon 2007 bekräftigte die "Hamburger Studie": Die "Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist eklatant hoch".

Denselben Tatbestand untermauert nun auch eine erste Vorveröffentlichung der "Lübecker Studie", mit 439 ProbandInnen die weltweit bisher größte Untersuchung der Folgen von Zwangsbehandlungen:

Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und auch Eltern intersexueller Kinder "gering" (S. 18). Vor allem erwachsene Intersexuelle sind "mit der medizinischen Behandlung sehr unzufrieden" (S. 37), insbesondere diejenigen, die keine psychologische Beratung erhalten haben (S. 19). (Obwohl Betroffenenorganisationen seit 15 Jahren psychologische Beratung als Muss fordern, ist sie immer noch die Ausnahme.)

Die Beratungszufriedenheit auch der Eltern ist signifikant geringer als bei "anderen chronischen Erkrankungen" (S. 18).

Eltern sowie Kinder und Jugendliche berichten von "Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität" (S. 21). Sowohl das körperliche als auch das psychische Wohlbefinden ist "deutlich niedriger" als bei Nicht-Intersexuellen (S. 21). Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist auch bei erwachsenen Intersexuellen deutlich niedriger als bei Nicht-Intersexuellen (S. 22).

Je mehr Zwangsoperationen durchgeführt wurden, desto stärker leidet die Lebensqualität besonders "im Bereich körperliche Schmerzen" (S. 22). "25 Prozent aller operierten StudienteilnehmerInnen" berichten von Komplikationen "im Anschluss an die Operationen" (S. 17).

Insbesondere bei operativ und hormonell dem weiblichen Geschlecht "angeglichenen" Intersexuellen sind "in den Bereichen allgemeine Lebensqualität, psychische und körperliche Gesundheit deutliche Unterschiede zur Vergleichsgruppe" (S. 22) zu finden.

Insgesamt leiden 45 Prozent der Erwachsenen unter psychischen Problemen, die "insbesondere die Arbeit und den Alltag" beeinträchtigen (S. 37).

Auch im Bereich "Sexualität und Partnerschaft" offenbart die Studie ein erschreckendes Bild:

Während bei nicht-intersexuellen Jugendlichen und Erwachsenen nur eine Minderheit keine Beziehungen und sexuelle Kontakte haben, sind die Verhältnisse bei Intersexuellen genau umgekehrt (S. 30-31).

Fast die Hälfte der Erwachsenen berichten "über eine Vielzahl von Problemen im Zusammenhang mit der Sexualität" wie "sexuelle Lustlosigkeit" oder "Schmerzen", zwei Drittel sehen "einen Zusammenhang zwischen diesen sexuellen Problemen und [...] den [...] medizinischen und chirurgischen Maßnahmen" (S. 31).

Die Studienergebnisse bestätigen überdies, je häufiger Intersexuelle Zwangsoperationen unterworfen werden, desto seltener leben sie in einer festen Partnerschaft – und umgekehrt (S. 31).

d) Literatur und Quellen

"Hamburger Studie"
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0

Vorabbericht der "Lübecker Studie"
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen

CEDAW-Schattenbericht Intersexuelle Menschen e.V.
http://intersex.schattenbericht.org


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3. Schattenbericht CEDAW 2008, Rügen an Bundesregierung

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Am 21. Juli 2008 reichte eine Delegation von Intersexuelle Menschen e.V. in New York vor dem UN-Komitee CEDAW einen ersten Schattenbericht zu den Menschenrechtsverstössen an intersexuellen Menschen in Deutschland ein. Bestandteil des Schattenberichts ist die Forderungsliste des Vereins Intersexuelle Menschen e.V., die am 20. Juli 2008 präsentiert wurde.

Darin sind verschiedene Menschenrechtsverletzungen, denen intersexuelle Menschen regelmässig ausgesetzt sind, detailliert dokumentiert.

CEDAW-Schattenbericht (Deutsch):
http://intersex.schattenbericht.org

CEDAW Shadow Report (english):
http://intersex.shadowreport.org
Leider ist die Übersetzung, die im Auftrag des Instituts für Menschenrechte (Berlin) vorgenommen wurde, teilweise irreführend, da z.B. wiederholt von "gender" die Rede ist, wo im deutschen Text eindeutig körperliches Geschlecht ("sex") gemeint ist.

a) Auflistung der menschenrechtswidrigen Zwangseingriffe (Deutsch)

http://intersex.schattenbericht.org/post/2008/07/21/32-Auflistung-der-Menschenrechtsverletzungen-infolge-der-Behandlung-nach-den-Standards-entwickelt-von-Prof-Dr-John-Money

3.2.1  Gonadenentnahme (Kastration)   S. 13
3.2.2  Genitalamputation   S. 13
3.2.3  Wirksamer Rechtsschutz    S. 13
3.2.4  Behandlungsdokumentation    S. 14
3.2.5  Irreversible genitalchirurgische Eingriffe bei Unmündigen und Erwachsenen   S. 14
3.2.6  Off-Label-Use von Medikamenten   S. 14
3.2.7  Behandlungskonsequenzen im Handlungsspielraum
           der medizinischen Definition   S. 15

b) List of non-consented, forced treatments which violate the human rights of the victims (english)

Shadow Report (PDF): http://intersex.shadowreport.org/public/Association_of_Intersexed_People-Shadow_Report_CEDAW_2008.pdf

3.3.1  Removal of Gonads (Castration)   13
3.3.2  Genital Amputation   14
3.3.3  Effective Protection of Rights   14
3.3.4  Documentation of Treatment   15
3.3.5  Irreversible Genital Surgery of Minors and Adults   15
3.3.6  Off–Label Use of Pharmaceuticals   15
3.3.7  Consequences of Treatment in Scope of Medical Definition   16

c) UNO rügt Bundesregierung wegen mangelndem Schutz der Menschenrechte von Zwittern

Im mündlichen Examen des 6. CEDAW-Staatenberichts der Bundesrepublik mahnte das CEDAW-Komitee am 2.2.2009:

- Es sei der Wille des Ausschusses, dass auch Zwitter "die vollen Menschenrechte erhalten".
- Auch Zwitter hätten "immer" das Recht auf "volle informierte Zustimmung".
- Weiter rügte der Ausschuss die Nicht-Beantwortung einer vorgängigen schriftlichen Frage des Ausschusses durch die Bundesregierung und rügte die Bundesregierung weiter ebenfalls überraschend deutlich dafür, dass sie bisher jegliche Kommunikation mit den Interessenverbänden der Zwitter stets verweigert hatte.

Ausführlicher: https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/02/05/Genf%3A-UNO-mahnt-Bundesregierung

In den schriftlichen Concluding Observations (CEDAW/C/DEU/CO/6) rügte das Komitee die Bundesregierung wie folgt (Fettschreibung im Original):

61. [...]  Der Ausschuss bedauert jedoch, dass die Forderung nach einem Dialog, die von Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen [...] Menschen erhoben wurde, vom Vertragsstaat nicht positiv aufgegriffen worden ist.

62. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat auf, in einen Dialog mit Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen [...] Menschen einzutreten, um ein besseres Verständnis für deren Anliegen zu erlangen und wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte zu ergreifen.


Ausführlicher, mit Links zu den Concluding Observations deustch und englisch:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/02/13/CEDAW%3A-Schriftliche-Empfehlungen-an-die-Bundesregierung


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4. Forderungsliste betroffener Menschen

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Dem CEDAW-Schattenbericht beigefügt war auch die Forderungsliste von Intersexuelle Menschen e.V.

http://intersex.schattenbericht.org/pages/Forderungen-Intersexuelle-Menschen-eV


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5. Urteile LG und OLG Köln: Zwangsoperierte "schuldhaft in Selbstbestimmungsrecht verletzt"

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Am 12.12.2007 fand am Landgericht in Köln ein Prozess statt, der auf ein grosses Medienecho stiess und für zwischengeschlechtliche Menschen einen Meilenstein im Kampf für ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Würde darstellte. Mit von der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org organisierten Kundgebungen vor dem Landgericht drückten Zwischengeschlechtliche und sympathisierende Frauen und Männer ihre Solidarität mit Christiane Völling aus und forderten: Menschenrechte auch für Zwitter! Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!

Das erste Urteil erfolgte am 6.2.2008 am Landesgericht Köln: Christiane Völling gewann den Prozess gegen Ihren ehemaligen Operateur in erster Instanz! Richter Dietmar Reiprich hielt gleich zu Beginn fest: "Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt."

Vollständiges Gerichtsurteil LG:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2008/25_O_179_07grundurteil20080206.html)

Prozessbericht und Pressespiegel:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/02/07/Sieg-fur-Christiane-Volling

Am 3.9.2008 lehnte das Oberlandesgericht Köln die Berufung des Chirurgen einstimmig definitiv ab: "Der Chirurg hat die Patientin vor der Operation nicht hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer Einwilligung schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt."

Das Verfahren ging ans Landgericht zurück, wo bis heute über die Höhe des Schmerzensgeldes entschieden wird. Gefordert sind mindestens 100'000 Euro.

Vollständiges Urteil OLG:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koeln/j2008/5_U_51_08beschluss20080903.html

Pressespiegel:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/09/10/Von-Zwangsoperateur-schuldhaft-in-Selbstbestimmungsrecht-verletzt-Zwitterprozess-Pressespiegel-OLG-4608


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6. Juristische Probleme und Diskriminierungen

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a) Das Problem der frühzeitigen Verjährung der genitalen Zwangsoperationen

Christiane Völling (siehe oben 5.) gelang es nur buchstäblich in letzter Minute, ihre erfolgreiche Anzeige gegen ihren Zwangsoperateur einzureichen; die Verjährung wäre ihr um ein Haar zuvor gekommen. Viele weitere Betroffene haben keine Möglichkeit zur Klage, da die herkömmlichen Verjährungsbestimmungen und die durch die Zwangsbehandlungen resultierenden Traumata eine rechtzeitige Klage verunmöglichen (ähnlich wie bei sexuellem Kindsmissbrauch).

b) Diskrimierung gegenüber Knaben- und Mädchenbeschneidung

Bei Knabenbeschneidungen handelt es sich in der Regel ebenfalls nicht um eingewilligte, medizinisch nicht indizierte Operationen, zu welcher auch die Erziehungsberechtigten keine Einwilligungserlaubnis haben. Die hat inzwischen auch das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. festgehalten:
http://web2.justiz.hessen.de/migration/rechtsp.nsf/92FC95DE06E27651C125734C0031B366/$file/04w01207.pdf
Auch bei Phimose wird deshalb inzwischen von Knabenbeschneidungen im Kleinkindalter abgeraten:
http://www.aerztezeitung.de/medizin/fachbereiche/paediatrie/default.aspx?sid=305805

Mittlerweile setzt sich gar die Auffassung durch, Beschneidungen an Knaben ohne Einwilligung der Betroffenen seien generell widerrechtlich:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=61273

Die Mädchenbeschneidung ist in Deutschland unbestrittenermassen prinzipiell strafrechtlich geächtet.

Obwohl juristisch wie auch betreffend der Folgen für die Opfer in vielfacher Hinsicht mit Knaben- und Mädchenbeschneidung vergleichbar, werden uneingewilligte genitale Zwangsoperationen ohne medizinische Indikation an jungen Intersexuellen nach wie vor systematisch praktiziert und zwischengeschlechtliche Kinder somit gegenüber Knaben und Mädchen aufgrund ihres körperlichen Geschlechts massiv diskriminiert.

c) Diskriminierung betreffend Sterilisations- und Kastrationsverbot

In Deutschland sind Eltern zur Einwilligung von Kastration oder Sterilisation bei ihren Mündeln unbestrittenermassen nicht befugt nach  § 1631c BGB (Verbot der Sterilisation eines Kindes). Trotzdem werden an intersexuellen Kindern systematisch Zwangskastrationen durchgeführt. Wiederum werden zwischengeschlechtliche Kinder somit gegenüber Knaben und Mädchen aufgrund ihres körperlichen Geschlechts massiv diskriminiert.

Siehe dazu folgende Ausführungen der Rechtsprofessorin Konstanze Plett:
http://www.lobby-fuer-menschenrechte.de/Intersexualitaet02.php

d ) Zwangskastrierte Zwitter müssen Ersatzhormone selber bezahlen

Viele Zwitter werden nicht nur genital zwangsoperiert, sondern zusätzlich zwangskastriert und benötigen deshalb für den Rest ihres Lebens eine so genannte "Hormonersatztherapie (HET)". Da die meisten dieser Zwangskastrierten "zu Mädchen gemacht" werden, besteht die HET prinzipiell aus Östrogen – obwohl viele Zwitterkörper "von Haus aus" Testosteron produzieren (und dieses je nach Bedarf in körpereiges Östrogen umwandeln – Zwitter mit so genanntem "Androgen-Insuffizienz-Syndom (AIS)").

Diese Östrogen-HETs wurden nie klinisch getestet, den Zwangsoperierten werden Präparate aufgezwungen, die eigentlich nur für Frauen in der Menopause zugelassen sind, d.h. sie erfolgen experimentell als "Off Label-Use". Obwohl negative Folgen seit längerem auch in der medizinischen Literatur bekannt sind (unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Osteoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust), weigern sich die Mediziner bis heute, zwangskastrierten Zwittern eine HET nach Bedarf und Wunsch zuzugestehen.

Mehrere Betroffene begannen schliesslich, auf eigene Faust Testosteron zu nehmen, viele davon mit positiven Resultaten. Auch in Deutschland weigern sich die Mediziner jedoch, für Testosteron Rezepte auszustellen, die von der Kasse übernommen werden – bezeichnenderweise gerne mit der Ausrede, eine HET mit Testosteron sei "Off Label-Use" ... Sprich, die Zwangskastrierten müssen eine adäquate HET noch aus der eigenen Tasche bezahlen!

Ausführlicher:
http://de.indymedia.org/2009/04/248071.shtml


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7. Wir bitten um Ihre Unterstützung!

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Zwischengeschlechtliche Menschen werden systematisch medizinisch nicht notwendigen, traumatisierenden Zwangsbehandlungen unterworfen. Diese stellen einen erheblichen Verstoß gegen ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde dar.

Zwischengeschlecht.org fordert die vollständige Umsetzung und Anwendung der Menschenrechte auch für Intersexuelle. Unsere Anliegen dürfen nicht mehr länger ignoriert werden. Menschen mit einer Besonderheit der geschlechtlichen Entwicklung sind ein Teil unserer Gesellschaft und haben als gleichberechtigte Bürger ein Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung.

Wir bitten Amnesty International, sich mit unserer Situation ernsthaft auseinander zu setzen, insbesondere mit der ausserordentlichen Schwere der an Zwittern systematisch verübten Menschenrechtsverletzungen, welche dringendes Handeln erfordert, und fordern dazu auf, einen konkreten Beitrag zu leisten, damit diese massivsten Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen gegen intersexuelle Menschen endlich ein Ende haben.

Jeder Tag, an dem die genitalen Zwangsoperationen nicht endlich gestoppt werden, macht aus wehrlosen Kindern neue, irreparabel geschädigte Opfer!

Ich hoffe, es ist mir gelungen, Ihnen vom Umfang, Ausmass und von der Dringlichkeit des Problems eine Vorstellung vermittelt zu haben, und bitte Sie dringend um Vorschläge, wie die Dringlichkeit unseres Anliegens innerhalb ihrer Organisation am besten vermittelt werden kann.

Dies umso mehr, da diese Menschenrechtsverletzungen keinesfalls auf Deutschland beschränkt sind. (Weltweit hat bisher Kolumbien als einziges Land damit begonnen, diese systematischen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern unter Strafe zu stellen.)

Bei eventuellen weiteren Fragen oder Anliegen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Freundliche Grüsse

n e l l a
Daniela Truffer
presse_at_zwischengeschlecht.info
+41 (0)76 398 06 50
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Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfe intersex.ch
Mitglied XY-Frauen
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Monday, March 2 2009

Genitale Zwangsoperationen: Hamburger Senat nicht gewachsen

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PRESSEMITTEILUNG von Zwischengeschlecht.org vom 02.03.2009

Von der Hamburgischen Bürgerschaft sind in den letzten 4 Monaten insgesamt 3 Kleine Anfragen (19/1238, 19/1678, 19/1964) sowie mittlerweile 2 Grosse Anfragen (19/1993) eingereicht worden zum Thema menschenrechts- und verfassungswidrige genitale Zwangsoperationen, Zwangskastrationen, Zwangshormontherapien und weitere medizinisch nicht notwendige Zwangseingriffe, wie sie an Zwittern seit 50 Jahren auch in Hamburg systematisch durchgeführt werden.

Damit betritt Hamburg Neuland: Noch nie waren die gravierenden Menschenrechtsverletzungen an Zwittern derart konkret thematisiert und eine für die Zwangseingriffe politisch verantwortliche Regierung derart detaillert um Rechenschaft angegangen worden. Mittlerweile liegen die Antwort des Senats auf die Kleinen Anfragen sowie auf die historische erste Grosse Anfrage vor. Diese Antworten werden nicht nur von Opfern der Zwangseingriffe stark kritisiert.

Auch die Hamburgische Bürgerschaft will es genauer wissen: Vor Kurzem wurde eine zweite Grosse Anfrage eingereicht, welche u.a. konkret auf mit Bundesgeldern finanzierte, umfangreiche Studien Bezug nimmt, welche die verheerenden Folgen der genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen usw. an Zwittern klipp und klar bestätigen, und die den Senat hartnäckig auf seine früheren Nicht-Antworten behaftet. Noch im alten Jahr wurde zudem auf Dienstag 28. April 2009 eine Expertenanhörung zum Thema festgesetzt.

Leugnen, wegschauen, schweigen

Leider zeigte sich der Senat mit seinen bisherigen Antworten der Problematik alles andere als gewachsen. Statt sich schützend vor die Opfer der Zwangsoperationen zu stellen, stellte sich der Senat konsequent vor die TäterInnen. Statt Format zu beweisen und sich um inhaltliche Antworten zu bemühen, drückt sich der Senat durchgehend und macht sich so aus der Sicht vieler empörter Zwangsoperierter zum Mittäter.

"Offensichtlich hat jedes Haustier mehr Rechte als ein Hamburger Zwitter", so etwa ein Kommentar zur Behauptung des Senats, zwangsoperierte Zwitterkinder hätten nicht einmal ein Recht auf Aufklärung über ihr wahres Geschlecht sowie Eltern einen Freipass für Zwangsoperationen.

Sauer stiess betreffend der Grossen Anfrage 19/1993 auch nicht nur Betroffenen auf, dass der Senat in seinen Antworten je nach Bedarf sich diametral widersprechende Thesen vertritt: Einmal ist über die unmenschlichen Behandlungsrichtlinien so wenig bekannt, dass angeblich nur schon das genaue Ausmass der Zwangsbehandlungen "statistisch nicht erfasst" werden kann – andererseits sei eine Überprüfung der Zwangsbehandlungen überflüssig, weil alles schon zur Genüge bekannt sei: "Wenn in der internationalen Literatur hinreichend aussagekräftige Studien zu einer Thematik vorliegen, werden diese Erkenntnisse nicht erneut lokal überprüft."

Ebenso willkürlich halte es der Senat mit dem Datenschutz: Während Mediziner Akten inklusive entwürdigenden Fotos scheinbar nach Belieben weiterverbreiten dürfen, ist der Senat angeblich "aus Gründen der Schweigepflicht und des Datenschutzes" nicht einmal in der Lage, Angaben über die Zahl der in Hamburg verübten Zwangsbehandlungen zu machen.

Vielsagend auch die Antwort, was der Senat zu tun gedenke, um den Opfern wenigstens so weit wie noch möglich zu ihrem Recht zu verhelfen: "Damit hat sich der Senat nicht befasst."

UNO kritisert mangelnde Menschenrechte für Zwitter in Deutschland

Allein in Deutschland leben ca. 80'000 bis 120'000 Zwitter. Die medizinisch nicht notwendigen, aber systematisch praktizierten genitalen Zwangsoperationen und sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffe an Zwittern sind nach Ansicht von Betroffenenorganisationen sowohl zahlenmässig wie auch von der Schwere her wohl die schwerwiegendste Menschenrechtsverletzung in den westlichen Demokratien seit dem 2. Weltkrieg.

Auch wenn der Senat sich offensichtlich sträubt, der unbequemen Wahrheit ins Auge zu sehen, das unliebige Thema bleibt auf der Traktandenliste. Nicht nur, weil soeben eine weitere Grosse Anfrage eingereicht wurde, und wegen der auf 28.4. 2009 vorgesehenen Expertenanhörung.

Am 13. Februar 2009 hatte auch das UN-Komitee CEDAW die Bundesrepublik gerügt, dass sie die Menschenrechte von Zwittern nicht schütze. Innerhalb von zwei Jahren muss die Bundesregierung nun dazu einen Zwischenbericht abliefern – und wird dazu auch den Hamburger Senat erneut anschreiben ...

Siehe auch:
- Zwischengeschlecht.info: Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen
- Rechtsanwalt Oliver Tolmein: "Deutschland gerügt: Menschenrechte von Zwittern nicht geschützt"
http://faz-community.faz.net/blogs/biopolitik/archive/2009/02/20/deutschland-ger-252-gt-menschenrechte-von-zwittern-werden-ignoriert.aspx
- Rechtsprofessorin Konstanze Plett: Zwangskastrationen rechtlich nicht zulässig
http://www.lobby-fuer-menschenrechte.de/Intersexualitaet.php


Freundliche Grüsse

n e l l a
Daniela Truffer
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1. Vorsitzende Inters**uelle Menschen e.V.

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Wednesday, February 25 2009

Leugnen, wegschauen, schweigen – Hamburger Senat reiht sich ein unter die MittäterInnen

Am 14.1.09 war in Hamburg nach drei Kleinen Anfragen die historische Grosse Zwitter-Anfrage eingereicht worden. Inzwischen liegen die Antworten des Senats vor.

Leider zeigte sich der Senat der Herausforderung alles andere als gewachsen. Statt sich schützend vor die Opfer der Zwangsoperationen zu stellen, stellt sich der Senat einmal mehr vor die TäterInnen. Statt Format zu beweisen und sich um inhaltliche Antworten zu bemühen, folgte er dem sattsam bekannten Beispiel der Bundesregierung (eins / zwei / drei / vier) und macht sich ebenfalls zum Komplizen der Zwangsoperateure.

Falls der Hamburger Senat jedoch hoffte, mit seiner Nicht-Antwort auf die historische Grosse Zwitter-Anfrage wäre das leidige Thema endlich wieder unter dem Tisch, hat er die Rechnung allerdings wohl ohne die Hamburgische Bürgerschaft gemacht – deren Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz hatte noch im alten Jahr beschlossen, am Mi 29. April 2009 eine Expertenanhörung zum Thema durchzuführen!

Drucksache 19/1993
Schriftliche Große Anfrage "Zwischengeschlechtliche Menschen"
der Abgeordneten Kersten Artus, Dora Heyenn, Christiane Schneider, Norbert Hackbusch, Elisabeth Baum, Dr. Joachim Bischoff, Wolfgang Joithe-von Krosigk, Mehmet Yildiz (DIE LINKE) vom 14.01.09
und Antwort des Hamburger Senats vom 13.02.09
>>> Link zu PDF-Download

Ironischerweise erfolgte die Antwort des Senats mit demselben Datum vom 13.2.09, mit dem in Genf das CEDAW-Committee in einem laut dem Rechtsanwalt Oliver Tolmein "brisanten Papier", nämlich seinen "Abschliessenden Bemerkungen und Empfehlungen", die Bundesregierung nunmehr auch schriftlich offiziell aufforderte, "effektive Anstrengungen zu unternehmen", "die Menschenrechte" der Zwitter "zu schützen", sowie deren Durchsetzung auch in den Ländern und Kommunen zu fördern ...

Bei seinen Ausreden machte es sich der Senat denkbar einfach – wohl im Glauben, wegen "diesen paar wildgewordenen zwangsoperierten Zwittern" werde eh niemand genauer hinschauen.

Je nach Bedarf ist z.B. entweder alles dermassen unbekannt, dass eine konkrete Antwort dem Senat unmöglich erscheint – oder aber dieselbe Sache ist derart erschöpfend bekannt, dass sie gar erst nicht überprüft zu werden braucht:

So ist dem Senat betreffend der Zahl der in Hamburg durchgeführten genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen und Hormon-Zwangsbehandlungen "eine Antwort auf diese Fragen nicht möglich" mit der scharfsinnigen Begründung, "Eine einheitliche und randscharfe Definition des Begriffes „intersexuell“, „disorder of sex development“ oder „zwischengeschlechtlich“ gibt es nicht" – unter Verweis auf niemand anderen als die Bundesregierung (Einleitung sowie Antworten 1-3). Aus demselben Grund gäbe es  "kein einheitliches „medizinisches Interventionskonzept"" (Antwort 16) und aus demselben Grund würden auch "Die erfragten Daten [...] statistisch nicht erfasst." (Antworten 4-5)

Andrerseits weiss der Senat dann sehr genau: "Unter den Sammelbegriff „Intersexualität“ fallen mehr als hundert Dysfunktionen" (Einleitung). Und behauptet treuherzig, betreffend "Intersexualität" und ihre "Behandlung" sei die internationale Wissenslage derart klar und standardisiert, dass "experimentelle Studien" zu den Auswirkungen der Zwangseingriffe nicht nur nicht durchgeführt wurden, sondern auch gar nicht notwendig seien: "Wenn in der internationalen Literatur hinreichend aussagekräftige Studien zu einer Thematik vorliegen, werden diese Erkenntnisse nicht erneut lokal überprüft." (Antwort 7)

Ebenso willkürlich je nach Bedarf hält es der Senat mit dem Datenschutz: Einerseits dürfen Medizyner Patientendaten scheinbar nach Lust und Laune publizieren und weitergeben, sofern "die Daten der betroffenen Person nicht mehr zugeordnet werden können" (Antwort 14). Andrerseits kann der Senat nicht einmal Zahlenangaben zu Zwangsbehandelten machen "aus Gründen der Schweigepflicht und des Datenschutzes" (Antwort 19).

Vielsagend auch die nachfolgend vollständig wiedergegebene, erschöpfende Antwort des Senats, ob die Freie und Hansestadt Hamburg bereit sei, Zwangsoperierten Zwittern Opferschutzanwälte zur Seite zu stellen, um die erlittenen Rechtsverletzungen aufzuklären und soweit noch möglich einzudämmen: "Damit hat sich der Senat nicht befasst." (Antwort 15)

Der grösste Skandal der Nicht-Antworten des Senats ist jedoch die wahrhaft ungeheuerliche Behauptung, Eltern dürften nicht nur ihre Kinder nach eigenem Gutdünken willkürlich verstümmeln lassen und ihnen nach Lust und Laune gesunde Organe amputieren lassen – nein, die Zwangsoperierten hätten danach nicht einmal ein Recht auf Information über die an ihnen begangenen Verbrechen:

"Im Übrigen ist bei nicht einwilligungsfähigen Kindern und Jugendlichen die Einwilligung der Personensorgeberechtigten maßgeblich. Die Information dieser Kinder beziehungsweise Jugendlichen durch die Ärzte und Psychologen kann daher nur im Einvernehmen mit den Personensorgeberechtigten erfolgen, denen die Entscheidung über die Zustimmung zu einer vorgeschlagenen Behandlungsweise obliegt. Soweit die Kinder beziehungsweise Jugendlichen einwilligungsfähig sind beziehungsweise geworden sind, können sie ihren Anspruch auf Information gegenüber den behandelnden Ärzten selbst geltend machen." (Antwort 16)

Dazu passend: Auf die Frage, was der Senat zu unternehmen gedenkt, dass Akten nicht mehr (wie meist) vernichtet würden, bevor die dereinst "einwilligungsfähig gewordenen" Zwangsoperierten sie überhaupt sehen, geht der Senat einmal mehr gar nicht erst ein ... (Antwort 17)

Kommentar:

Offensichtlich hat jedes Haustier mehr Rechte als ein Hamburger Zwitterkind!

Auf welcher Seite der Hamburger Senat steht, auf jener der Medizyner-Verbrecher oder jener der Zwangsoperierten, dürfte damit restlos geklärt sein.

Bleibt die Frage, auf welcher Seite die Hamburgische Bürgerschaft steht ...

Siehe auch:
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Rechtsanwalt Oliver Tolmein: "Deutschland gerügt: Menschenrechte von Zwittern nicht geschützt"
- Rechtsprofessorin Konstanze Plett: “Intersexualität aus rechtlicher Perspektive”

Wednesday, January 21 2009

Hamburg: Historische Grosse Zwitter-Anfrage eingereicht!

Keine Atempause – in Hamburg wird zur Zeit Geschichte gemacht!

Wer vermutet hätte, nach den nicht weniger als drei (!!!) bahnbrechenden Kleinen Anfragen der SPD noch im alten Jahr sowie einer auf Mi 29. April geplanten Expertenanhörung könnten die Medizyner 2009 vorerst kurz verschnaufen, hat sich schwer geschnitten: Vor einer Woche legten die Abgeordneten Kersten Artus, Dora Heyenn, Christiane Schneider, Norbert Hackbusch, Elisabeth Baum, Dr. Joachim Bischoff, Wolfgang Joithe-von Krosigk und Mehmet Yildiz von DIE LINKE nach - und wie!

Nämlich mit der zumindest meines Wissens nach allerersten Grossen Anfrage (19/1993, PDF) betreffend Menschenrechte auch für Zwitter in ganz Deutschland überhaupt! Und noch dazu von Aufmachung und Inhalt her geradezu vorbildlich!
(Nachtrag: Die Antworten des Senats sind dies allerdings weniger ...)

Noch nie war meines Wissens nach ein politischer Vorstoss zu Gunsten von Zwittern derart konsequent auf die Menschenrechtsproblematik und auf die realen Bedürfnisse der realexistierenden Zwitter ausgerichtet. Für einmal nix mit Gender-Trallala, sondern knallharte und detaillierte Fragen nach dem genauen Ausmass der Menschenrechtsverletzungen, sowie nach den Verantwortlichen, und nach Wiedergutmachung! Hipp, Hipp!

15) Ist die Freie und Hansestadt Hamburg bereit, zwischengeschlechtlichen
Menschen, die in den letzten 60 Jahren beziehungsweise seit dem 
23. Mai 1949 Opfer von medizinischen Interventionen in Hamburger
Krankenhäusern geworden sind, von der Freien und Hansestadt Ham-
burg finanzierte Opferschutzanwälte an die Seite zu stellen, damit die er-
littenen Rechtsverletzungen zumindest noch ein Stück weit aufgeklärt
und eingedämmt werden?

18) Gibt es Planungen zu einem Gesetzesvorhaben im Zusammenhang mit
der Frage Nummer 17, das
a) einen sofortigen Aktenvernichtungsstop aller in Hamburger Kran-
kenhäusern befindlichen Akten über zwischengeschlechtliche Men-
schen vorsieht?
b) die Aktenvernichtungsfrist von den medizinischen Interventionsun-
terlagen aus Hamburger Krankenhäusern zum Schutz der zwi-
schengeschlechtlichen Menschen auf einhundert Jahre erhöht, da-
mit sichergestellt wird, dass auch Betroffene, die erst nach 50 oder
60 Jahren Kenntnis von ihrer wahren biologischen Identität erhalten,
ihre Lebensbiographie eigenständig anhand der Krankenhausakten
rekonstruieren können?

Auch wenn davon auszugehen ist, dass der Senat die Opfer ebenso wie die Fragensteller einmal mehr für blöd verkaufen und auf Zeit spielen wird, statt wie gefordert den Zwangsoperierten endlich zu ihrem Recht zu verhelfen – wetten, dass mehr als eine Handvoll Medizyner nicht nur aus Hamburg in den nächsten Wochen und Monaten nicht nur in der Morgendämmerung eher verknittert aussehen ... ?

Diese historische Grosse Anfrage wird ganz konkret zumindest einige junge Zwitter davor bewahren, zwangsoperiert zu werden!

DANKE AN ALLE BETEILIGTEN!!! AUCH BEI DEN VORHERIGEN ANFRAGEN!!!

Und nun: Wann legt endlich jemand in Berlin, Dortmund, Leipzig, Heidelberg, Lübeck etc. eine ebenso substanzielle Anfrage nach – und überall sonst, wo junge Zwitter nach wie vor zwangsoperiert werden!

WER SIND DIE NÄCHSTEN?!

>>> Fortsetzung: Leugnen, wegschauen, schweigen –
       Hamburger Senat reiht sich ein unter die MittäterInnen

Siehe auch:
- Hamburg: Erneut historische Grosse Zwitter-Anfrage!!
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Rechtsanwalt Oliver Tolmein: "Deutschland gerügt: Menschenrechte von Zwittern nicht geschützt"
- Rechtsprofessorin Konstanze Plett: Zwangskastrationen rechtlich nicht zulässig (PDF)

Thursday, July 24 2008

Angela Kolbe in "Liminalis" - Aus Transschändrien nix neues ...

"Liminalis - Zeitschrift für geschlechtliche Emanzipation", Ausgabe 08_02 -- weiteres aktuelles Beispiel für Vereinnahmung:

Teil 1: Die Theorie

aus: "die standard.at"

Webtipp: "Liminalis" ist ein Projekt des Wissenschaftlichen Beirates des Transgender Netzwerkes Berlin (TGNB).

[...] begleitet Ziele der Transgender- und Intersex-Bewegungen wissenschaftlich [...]

[...] umfasst wissenschaftliche Beiträge zum Überthema [!] "Pathologisierung und Emanzipation". Darin werden akademische, essayistische und künstlerische Versionen einer Auseinandersetzung mit möglichen Formen der Emanzipation vorgestellt. [...]

"LIMINALIS" 2008_02, aus dem Editorial:

Ausgangspunkt dieser Ausgabe der Liminalis sind Erfahrungen vieler Intersex- und Transgendermenschen mit Pathologisierung durch den medizinischen und rechtlichen Apparat in unserer Gesellschaft [...].

Wir freuen uns in dieser Ausgabe nicht nur dekonstruktivistischen Ansätzen einen Raum geben zu können, sondern auch konkreten Vorschlägen, wie eine andere, nicht-pathologisierende, nicht-exotisierende Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen aussehen könnte.

Teil 2: Die Praxis

"LIMINALIS" 2008_02, Artikel:

"Empowerment durch Recht? Intersexualität im juristischen Diskurs"
von Angela Kolbe  >>> PDF-Download 180kb

"LIMINALIS" 2008_02, "Empowerment ...", aus dem Abstract:

Dieser Artikel untersucht das Thema Emanzipation im Hinblick auf das Verhältnis von Intersexualität und Recht. Er gibt einen Überblick über die Rechtslage und die parlamentarischen Aktivitäten im Zusammenhang mit Intersexualität in Deutschland [...].

Angesichts eines langsamen Umdenkens deutscher Gerichte in Fragen der sexuellen Identität wird deutlich, dass es sich dabei nicht nur um Wunschdenken handelt. Besonders die neueren Entwicklungen in Bezug auf Transsexualität lassen hoffen, dass sich diese auch positiv auf die rechtliche Situation intersexueller Menschen auswirken werden.

Kommentar zum Artikel "Empowerment ...":

Soviel vorweg, die Beschreibungen der konkreten Vorgänge wie Michel Reiters Gerichtsverfahren um Anerkennung eines "dritten Geschlechtseintrags" oder der Umgang von Bundestag und Regierung mit dem Thema sind auch für Laien kurzweilig zu lesen und mit vielen interessanten Details gespickt. Sobald sich die Perspektive aber von der konkreten Ereignisebene ablöst, wird der Artikel schnell mal ärgerlich bis voll peinlich -- wie schon die im Abstract zu Markte getragene, in Transgender-Kreisen offensichtlich nach wie vor handelsübliche 'Verwechslung' von "Intersexualität" mit (um nicht zu sagen Unterordnung unter das "Überthema") "Fragen der sexuellen Identität" und "Entwicklungen in Bezug auf Transsexualität".

Prompt wird von Angela Kolbe als einziges Beispiel aus dem "nicht-parlamentarischen Bereich" der olle "Transgender-Gesetzesentwurf" von TGNB-Mitglied dgti aus dem vorletzten Jahrtausend noch einmal ausgegraben, den schon Michel Reiter in "Gigi" so treffend entlarvte: Hurra, es ist da – das neue Transschända.

Erwartungsgemäss beschreibt auch das mit "III. Resümee und Ausblick" betitelte Abschlusskapitel ausschliesslich die "aktuell[en] Bemühungen das sog. Transsexuellengesetz zu reformieren", welche im Detail à la "Varianten [!!!] von Geschlecht [...] wie zum Beispiel eine Frau mit Penis oder auch ein Vater mit Vagina" eine Seite lang ausgebreitet werden, um dann im Schlussabschnitt zu gipfeln: "Noch ist ein solches Gesetz nicht beschlossen, wie Grünberger gehe ich aber davon aus, dass auf die geschlechtsanpassende Operation für Transsexuelle künftig verzichtet wird (Grünberger 2007). Es bleibt zu hoffen, dass sich dies auch auf Intersexuelle und deren rechtliche und gesellschaftliche Emanzipation positiv auswirken wird." 

Ebenfalls bezeichnend, dass der wahre Motor der stets wieder betonten "kleinen Änderungen" in Gerichts- und Bundesregierungspraxis im ganzen Artikel zu 100% unterschlagen wurde: Nämlich die Aktivitäten und Publikationen von Michel Reiter, der als einziger jahrelang kontinuierlich für die Sache der Zwitter lobbyierte. Ohne Michel Reiter hätte es keine parlamentarischen Anfragen im Bundestag gegeben, paradoxerweise verdankt sogar das "Netzwerk Intersexualität a.k.a. DSD (Störungen, äh, Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung)" letztlich ihm seine Existenz (wie so nebenbei auch der hier kritisierte Artikel zu über 90%). Auch Stimmen, die andere, d.h. nicht am "sog. Transsexuellengesetz" angelehnte, rechtliche Möglichkeiten für Zwitter favorisieren, wie z.B. Konstanze Plett in ihrem bahnbrechenden Vortrag (Bericht / Text - PDF), wonach die bei Zwittern ohne ihre Einwilligung üblichen "prophylaktischen" Kastrationen nach deutschen Recht strafbar sind, fehlen ganz.

Und die gute Nachricht ist: Das Verfalldatum dieses "brandakuellen" Artikels von Angela Kolbe war identisch mit dem Zeitpunkt seiner Niederschrift im Oktober letzten Jahres. Seither hat sich so einiges getan, das nicht nur "Liminalis" sich nicht zu träumen wagte, und das klar zeigt, wo die Zukunft der Zwitter-Emanzipation liegt: eins / zwei / drei / vier / fünf Aufwachen, TGNB! Fortsetzung folgt ...

Sunday, February 17 2008

"Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?"

Seit 1996 protestierte Michel Reiter immer wieder dagegen, dass Initiativen gegen rituelle Genitalverstümmelungen an Frauen wie zum Beipiel "Terre des Femmes" seltsamerweise Zwangsoperationen an Zwischengeschlechtlichen stets kategorisch ausklammerten -- aus offensichtlichen Gründen.

"Die Zusammenarbeit mit Anti-FGM-Aktivisten ist schlechter als mit allen anderen Gruppen, sogar schlechter als mit Ärzten." (pers. Mitteilung von Cheryl Chase, GründerIn der Intersex Society of North America ISNA an Michel Reiter)

Heute noch ist dieses Thema ein 'blinder Fleck' bei FeministInnen. Einzige Ausnahme dieser beschämenden Regel war Antke Engel, die sich 1997 in einem Artikel mit Michels Anliegen solidarisierte -- ihre Kritik verhallte bezeichnenderweise ungehört:

Deutlich ist jedenfalls, dass sich feministische Medien für Genitalverstümmelungen als alltäglicher medizinischer Praxis in modernen westlichen Gesellschaften nicht interessieren, während - häufig rassistisch gefärbte - Beiträge über "unzivilisierte" Praktiken der Klitorisbeschneidung und Verstümmelung in einigen afrikanischen Staaten durchaus zum bewährten Repertoire zählen.

Nachträge: 2003 schloss immerhin die internationale "Beschneidungs-Expertin" Hanny Lightfoot-Klein in ihrer 3. Buchveröffentlichung "Der Beschneidungsskandal" nebst weiteren, von der Frauenbewegung oft ausgeklammerten Formen von Beschneidung, auch genitale Zwangsoperationen an Zwittern mit ein (Rezension bei Querelles / Doppelrezension auch über Marion Hulverscheidts Buch über 'medizinische Beschneidungen' an Frauen in Europa im 19. Jahrhundert). In der Zeitschrift von Terre des Femmes "Menschenrechte für die Frau" 3/4 (2004) erschien ebenfalls von Marion Hulverschmidt ein Artikel "Genitalverstümmelung bei afrikanischen Frauen und Intersexuellen".

Nachträge (Forts.): Im Amnesty-Journal 03/2008 kritisierte Konstanze Plett beiläufig das Schweigen der westlichen BeschneidungskritikerInnen zum Thema "Genitalverstümmelung intersexuell geborener Kinder" vor der eigenen Haustüre (für Amnesty International selbst nach wie vor kein Thema). Frühjahr 2009 nahmen die Schweizer Sektionen von Terre des Femmes und Amnesty International anlässlich einer Vernehmlassung zu einer parlamentarischen Initiative gegen "weibliche Genitalverstümmelung" zum ersten Mal Stellung gegen das Auslassen Zwangsoperationen an Zwittern, Amnesty allerdings mit vereinnahmenden Untertönen (als Organisationen haben beide weiterhin keine offizielle Position zum Thema, jedoch streben sie eine solche seit 2010 immerhin aktiv an).

Schon 1998 hatte Michel Reiter rituelle Genitalverstümmelungen und genitale Zwangsoperationen gemeinsam mit "Genitale[n] 'Korrekturen' an Frauen als Schönheitsmaßnahme" (-> gleichnamiger Abschnitt) in einen weiteren Zusammenhang gestellt.

Nachträge: Im ZgT Bulletin 28 (2005, via archive.org) wurde diese Sichtweise von Vanessa Nino-Kern wieder aufgegriffen im Beitrag "Unversehrte Genitalien sind keine Selbstverständlichkeit" (PDF-Download). Ab 2005 werden diese OPs auch in Mainstreamedien zunehmend kritisiert – allerdings ohne einen Zusammenhang mit den Zwangsoperationen an Zwittern herzustellen.

Auch heute noch haben Blog-Artikel von Nicht-Zwischengeschlechtlichen, die solche Zusammenhänge thematisieren, Seltenheitswert. Umso schöner, auf eine weitere Ausnahme zu stossen (aus der auch der Titel dieses Posts stammt):

http://michas-ernährungsinfo.de/index.php?/archives/37-Verstuemmelnde-Operationen.html
(Link kopieren und oben in Browser einfügen, sonst klappt's leider nicht!)

Danke!

Siehe auch:
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal")
- Bundesärztekammer gegen genitale "Zwangsoperationen" – natürlich nur bei "Mädchen und Frauen" ... 
- Internationaler Tag gegen Mädchenbeschneidung (aber die Zwitter operiert nur ruhig weiter, sind ja keine Frauen, äh, Menschen ...)
- Schweiz: Terre des Femmes und Amnesty gegen Zwangsoperationen an Zwittern 
- Zwitter und Patriarchat aus feministischer Perspektive    
 

Sunday, February 3 2008

2. Interdisziplinäres Forum zur Intersexualität 30.1. in Hamburg

Kann ein Zwitter Sünde sein?Am 30. Januar 2008 fand am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf UKE in Hamburg das 2. Interdisziplinäre Forum zur Intersexualität (öhm Disorders of Sex Development, DSD) statt. Die Leiterin der Hamburger Forschergruppe Intersexualität, Frau Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt, lud zusammen mit ihrem Team zu einem spannenden Nachmittag und Abend im Festsaal des Erikahauses ein. Neben Medizinern waren mehrere prominente Rednerinnen und Redner zu Gast, die sich seit Jahren für das Wohl Zwischengeschlechtlicher einsetzen. Wir freuten uns insbesondere über die Anwesenheit von Milton Diamond, der aus Hawaii angereist war. Auch Betroffene und Angehörige nahmen am Forum teil. Wir waren auch vor Ort und verteilten Flugblätter für die Demo am 6.2. in Köln.


MEDIZIN

Neben Hertha Richter-Appelt, die sich klar und fortschrittlich für die Bedürfnisse von Betroffenen aussprach, schlugen auch Mediziner positive Töne an. Dr. Gernot Sinnecker betonte beispielsweise die Selbstbestimmung Zwischengeschlechtlicher, machte diese jedoch letztendlich von der Akzeptanz der Eltern abhängig. Die Tatsache, dass er bei seinen Ausführungen bevorzugterweise "sollte" statt "muss" verwendete, hinterliess einen - altbekannten - zwiespältigen Eindruck.


RECHT

Die rechtlichen und ethischen Fragestellungen bei geschlechtszuweisenden Operationen im frühen Kindesalter betonte RA Dr. Oliver Tolmein, der bereits Michel Reiter in seinem Kampf um einen optionalen 3. Geschlechtseintrag für Zwischengeschlechtliche unterstützt hatte. Er wies unter anderem (wie auch schon die Moderatorin Konstanze Plett z.B. 2001) einmal mehr darauf hin, dass das Einwilligungsrecht der Eltern für Kastrationen nicht gegeben ist und kritisierte ihr "Bemühen um Normalitätswahrung als verdeckte Motivation" für operative Zwangszuweisungen. Und wies auf die Diskrepanz hin, wenn Ärzte vor Gericht als Experten aussagen, obwohl ein anderer Arzt angeklagt wird wie z.B. im von Christiane Völling angestrengten "Zwitterprozess".


BETROFFENE

Die zwischengeschlechtliche Claudia Kreuzer zeigte eindrücklich auf, mit welchen gesundheitlichen Problemen Zwischengeschlechtliche aufgrund psychischer Traumatisierung, Kastration und contrachromosaler Hormonersatztherapie leben müssen.

Und welche Steine ihnen zusätzlich in den Weg gelegt werden, wenn sie beispielsweise eine Lebensversicherung abschliessen wollen:



MILTON DIAMOND



Bewegender Höhepunkt der Veranstaltung bildete die Auszeichnung Milton Diamonds durch den Verein Intersexuelle Menschen e.V. für sein Jahrzehnte langes Engagement zum Wohle Zwischengeschlechtlicher. >>> mehr dazu hier


Milton Diamond referierte anschliessend über seine von Menschlichkeit und Respekt geprägte Arbeit. Im Gegensatz zu den Referaten von Dr. Sinnecker und Dr. Holterhus trugen die von Milton Diamond mit ihrer Zustimmung fotografierten Individuen keinen schwarzen Balken über den Augen, sondern schauten als würdevolle Menschen in die Kamera.
Diamond erwähnte auch Christiane Völling und ihren Prozess als bedeutendes Ereignis für die zwischengeschlechtlichen Menschen in Europa.

Diamond plädierte für eine Umbenennung von DSD in "Variations of Sex Development (VSD)" und schloss mit den Worten: "Nature loves variety but society hates it. Cherish diversity!"


Die Zeit, die für die abschliessende Podiumsdiskussion übrig blieb, war leider knapp und reichte für ein kurzes Statement zu den zwei wichtigsten Punkten betreffend Behandlung Zwischengeschlechtlicher durch jede Referentin und jeden Referenten. Die Mutter eines vierzehnjährigen zwischengeschlechtlichen Menschen hielt eine bewegende Rede, die leider zeigte, dass Ärzte immer noch Eltern ein "Reden Sie mit niemandem darüber!" mit auf den Weg geben.

"Wir sitzen alle im selben Boot", meinte Hertha Richter-Appelt am Ende der Veranstaltung. "Wir aber sind angekettet", so der lapidare Kommentar einer Geschlechtsgenossin. Die geäusserten Überlegungen lassen zwar auf ein Umdenken hoffen. Dass beispielsweise auf eine Kritik an contrachromosomalen Hormonersatztherapien nicht eingegangen wird, obwohl z.B. AIS-Betroffene fast ausnahmslos von einer Verbesserung ihres Befindens nach Umstellung auf Testosteron oder eine Mischung aus Testosteron und Östrogen berichten, zeigt jedoch: Es ist noch ein weiter Weg, bis wirklich nachhaltige Veränderungen in der Behandlung zwischengeschlechtlicher Menschen Realität werden. So weigern sich z.B. Ärzte und Kassen meist nach wie vor, korrekte Rezepte für nicht-contrachromosomale Hormonersatztherapien auszustellen bzw. die Kosten dafür zu übernehmen.

Christiane Völlings Kampf um Gerechtigkeit am 6.2. vor dem Landgericht Köln ist ein erster Schritt in diese Richtung ...



nachtrag: Zeitungsartikel mit Ankündigung des Forums im Hamburger Abendblatt v. 28.01.08:

Was tun, wenn Menschen Merkmale beider Geschlechter haben?

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