Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!
Am letzten Freitag, 11.12.2009, 17:30h, wurde in der Krimi-Serie "Niedrig und Kuhnt" auf Sat1 das Thema John Money/David Reimer behandelt. Die Sendung kann >>> hier ausgewählt und online angeschaut werden. (Erstausstrahlung war 8.10.08.)
In Anlehnung an eine unter Zwittern berühmte Folge der US-Serie "Law & Order: New York" / Originaltitel: "Law & Order: Special Victims Unit" (>>> englische Besprechung) wird bei "Niedrig und Kuhnt" erneut auf dem Bildschirm eine an John Money angelehnte Medizynerfigur von einem an David Reimer gemahnenden Opfer in einem blutigen Racheakt umgebracht, was in Deutschland einzelne Zwitter gleich empört aufschreien liess. (Mehr zur "Law & Order"-Folge im Anhang.)
Niedrig und Kuhnt: "Nicht Fisch, nicht Fleisch" – Die Story kurz zusammengefasst:
Der junge Kim Grabitz erschiesst seinen Psychiater Wegener und seinen Vater in Wegeners Praxis und richtet sich später selbst. Kim war seit seiner Kindheit beim ermordeten Wegener in Behandlung, weil er sich gemäss seiner Schwester wie ein Mädchen fühlte und benahm. Bald erfährt man, dass mit Kims Genitalien irgend etwas nicht stimmt. Zwischendurch wird ein zweiter Psychiater, Henning Brandt, verdächtigt, der seinen ermordeten Kollegen aufgrund dessen Forschungen an Hermaphroditen und "abstrus(en) und haarsträubend(en)" Theorien stets scharf kritisierte. Nach dem Mord zeigte Kim dem Psychiater Brandt seine Genitalien, um seine Verzweiflung zu unterstreichen:
"Das haben sie mir angetan. Für ein paar lausige Euro."
Nach Kims Selbstmord wird in Wegeners Tresor ein Brief von Kim gefunden, der einen Teil der grauenvolle Wahrheit offenbart: "Ihr habt mein Leben kaputt gemacht. (...) Und ich habe denen gezeigt, wie es ist, wenn man gezwungen wird, eine Frau zu sein."
Die Mutter bricht in der Folge zusammen und die ganze Wahrheit kommt ans Licht:
Mutter: "Der Herr Wegener, der hat eine junge Familie gesucht, mit zwei Kindern, einen Jungen und ein Mädchen unter zwei Jahre. Und wir haben uns gemeldet, und er hat uns dann auch ausgewählt für dieses Experiment. (...) Zu der Zeit hatte er an einer These geforscht, dass man einen Jungen wie ein Mädchen erziehen kann und dass es nicht geschlechtsbedingt ist, sondern erziehungsbedingt ist, was aus einem jungen Menschen wird. (...) Wegener hat uns vorgeschrieben, wie wir Kim erziehen sollten. Wir haben ihm dann Mädchenkleider angezogen und die Haare mädchenhaft so gekämmt und ihm auch Hormone gegeben."
Kommissarin: "Wieviel hat Ihnen Professor Wegener denn für die Kastration Ihres Kindes bezahlt?"
Mutter: "Dafür hat er nichts gezahlt, das musste sein, weil als der Kim elf war, da hat er ganz schlimme Depressionen bekommen und Selbstmordgedanken und da haben wir den Herrn Wegener angerufen und ihn um Hilfe gebeten und da hat er gesagt, dass ..."
Kommissar: "... dass es besser ist, wenn man ihm den Penis abschneidet."
Mutter: "Er hat gesagt, dass der Penis das einzige ist, was Kim am Glücklichsein hindert und ..."
Kommissar: "Ist Ihnen eigentlich überhaupt klar, was Sie Ihrem Jungen da angetan haben?"
Für Insider ist die Anlehnung an den Fall Reimer und John Moneys gescheitertem Experiment offensichtlich: Zwar handelt es sich bei "Niedrig und Kuhnt" nicht um ein Zwillingsexperiment wie beim traurigen Fall der Gebrüder Reimer, aber ein Schwester-Bruder-Experiment.
Besonders makaber, dass Kim bei "Niedrig und Kuhnt" nicht durch einen OP-Unfall seinen Penis verliert und zum Mädchen gemacht wird, sondern vom Arzt mittels Mädchen-Erziehung, Hormonabgabe und zuletzt Penisamputation (das einzige, das seinem "Glücklichsein" noch im Wege steht).
Und: Die Eltern machen all die Jahre mit, weil sie kräftig dafür abkassieren - 100'000 Euro! Und: Die Mutter kann für ihre niedrigen Beweggründe nicht mehr belangt werden: "Wegen Verjährung wird es nicht mehr zu einem Strafverfahren gegen sie kommen."
"Niedrig und Kuhnt" nimmt dabei kein Blatt vor dem Mund, wie solche Zwangsbehandlungen einzuordnen sind. Hier das aussagekräftige Statement des Psychiaters Brandt und scharfen Kritikers des ermordeten Wegeners, das meiner Ansicht nach nichts zu wünschen übrig lässt:
"Ein Kind im Alter von zwei Jahren aufgrund einer angeblich geschlechtlichen Störung zu behandeln. Das ist ja wohl das Bescheuertste, was sie jemals gehört haben, oder nicht?! (...) Also, das muss man nun wirklich nicht besonders bewandert sein, um zu erkennen, dass das totaler Schwachsinn ist. Ich kenne den Fall Grabitz. Der tolle Professor von und zu Wegener verhilft einem Kind mit schwerer sexueller Störung zu einem normalen und glücklichen Leben. Das ich nicht lache! Sie sehen ja, wie glücklich der Junge ist. (...) Sicher, völlig selbstlos hat er den Jungen vor dem sicheren Tod bewahrt. Der Wegener war doch bekannt für seine neurotische Ader, der Mann hat doch eine handfeste Profilneurose gehabt! Und der Fall Grabitz sollte wahrscheinlich sein letzter grosser Feldzug werden. (...) So, wie der mit seinen Patienten umgegangen ist. Da kann man ja schon von Versuchskaninchen sprechen. Ist doch kein Wunder, wenn sich so einer mal rächt."
Kommentar: Angst vor der eigenen Wut
Zugebenermassen eine ziemlich schräge Adaption des Falls Reimers, bei der die Eltern ziemlich schlecht wegkommen. Doch ob Menschen, die von Zwittern, geschweige denn John Money und David Reimer jemals etwas gehört haben, den Wink in Richtung Zwangsoperationen an Zwittern verstehen werden, ist fraglich.
Dennoch wird in der Serie klar Stellung gegen Zwangsoperationen bezogen, wenn auch nicht in direktem Zusammenhang mit Zwittern.
Und der Plot zeigt überdies, dass das Thema "Verletzung des Selbstbestimmungsrechts wehrloser Kinder durch gewissenlose Medizyner" wieder einmal irgendwo angekommen ist. Mir gefällt die inhärente Botschaft: Zwitter zwangsoperieren ist genauso krank wie biologische Jungen zu Mädchen machen, um irgendeine abstruse Theorie zu beweisen. In beiden Fällen klare Menschenrechtsverletzungen und deren Verurteilung.
Sat1 kriegt nun trotzdem nicht die Goldmedaille für Aufklärungsarbeit über Menschenrechtsverletzungen an Zwittern. Dazu ist die Vermischung verschiedener 'Ingredienzen' zu boulevardig, der explizite Bezug auf Zwitter zu wenig vorhanden. Dafür ist wohl auch das Sendegefäss das Falsche. Dennoch wird immerhin klar gegen genitale Zwangsoperationen zwecks Geschlechtszuweisung Stellung bezogen. Die Zwangsoperateure dürften einmal mehr gar keine Freude gehabt haben ...
Ganz anders aber sieht das ein Vorstandsmitglied des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. sowie dessen Partner_in, welche ob der Sendung derart aus der Fassung gerieten, dass sie sich genötigt sahen, sich offiziell im Namen des "Bundesverband(es) «Intersexuelle Menschen e.V.», Sektion Schwerbehinderung" in einem >>> Offenen Brief der Sat1-Redaktion über die Sendung zu beschweren.
Der Titel der Serie "Nicht Fisch, nicht Fleisch" sei ausgrenzend, Eltern von Zwittern würden als geldgierige Individuen dargestellt, "die wissentlich die Genitalorgane und das Lebensglück ihrer Kinder" für Geld an Medizyner verkaufen. Insbesondere wird auch kritisiert, dass Zwitter als "bewaffnete psychopathische Menschen oder Amokläufer" dargestellt werden.
Obwohl es im Beitrag notabene eben nicht um Zwitter geht. Die unmenschliche Behandlung von Zwittern wird jedoch dargestellt, wenn auch 'verfremdet' und auf einer 'anderen Bühne', die reale Wut mancher Zwangsoperierter über das ihnen angetane Unrecht wird überspitzt fiktiv dargestellt.
Ich verstehe deshalb die Aufregung nicht. Oder eben doch: Ein Medizyner und ein mittäterischer Vater, die ein wehrloses Kind zwangsoperieren lassen, werden vom Zwangsoperierten aus Rache abgemurkst – da reicht schon diese Allusion und mancher Zwitter kriegt Angst – womöglich nicht zuletzt vor seiner eigenen unterdrückten Wut.
Wohl der Hauptgrund, dass sich viele Zwitter – auch solche in verantwortungsvollen Positionen – sofern sie überhaupt offiziell aktiv werden, bevorzugt auf Nebenschauplätzen aufhalten, statt zum Beispiel mal einigen Medizynern öffentlich kräftig in den Arsch zu treten.
Nella
Anhang (von Seelenlos):
Law & Order: New York, 6. Staffel, Folge 128: "Identität" (Deutsche Erstausstrahlung 30.8.2007). Originaltitel: Law & Order: Special Victims Unit, Season 6, Episode 128: "Identity" (18.1.2005)
Wohl das mehr oder minder heimliche Vorbild für obige "Niedrig und Kuhnt"-Folge. "Law & Order" hielt sich einiges genauer ans reale Vorbild John Money und sein infames "Zwillingsexperiment" mit den Reimer-Brüdern und wurde noch zu Moneys Lebzeiten ausgestrahlt – wohl der Grund, warum der übliche Disclaimer "Jede Ähnlichkeit mit realen Personen rein zufällig usw." in dieser Folge zumindest auf der englischen DVD markant prominenter platziert war als bei allen anderen Folgen ...
Zum Plot: Die Geschwister Lindsey und Logan, die im Zusammenhang mit einem anderen Mord (der sich als Notwehr herausstellt) ins Visier der Kommissare geraten, sind wie Brian und David Reimer eineiige Zwillinge, wobei Lindsey wie David Reimer wegen eines Unfalls bei der Beschneidung den Penis verlor. Die Eltern vertrauen sich danach einem gewissen Dr. Blair an, der sie überzeugt, das Beste sei es, den Knaben zu einem Mädchen zu machen und es über sein wahres Geschlecht zu belügen. Dr. Blair in der Sendung entpuppt sich als vergleichbar arrogant und uneinsichtig wie sein reales Vorbild, seine Aussagen wie auch die der Eltern und der "Versuchskaninchen" bringen die Geschichte prägnant auf den Punkt. Wie Kim bei "Niedrig und Kuhnt" erfährt Lindsey schliesslich doch die Wahrheit, wie David Reimer entschliesst sie sich, wieder in der männlichen Rolle zu leben. Kurz darauf wird Dr. Blair in seinem Büro mit einer Staue erschlagen. Bilder einer Überwachungskamera zeigen eine Person, die sowohl Logan wie auch Lindsey – mittlerweile Luke – sein könnte; DNS-Spuren am Tatort kommen zum selben Resultat. Wegen identischer DNS kann der Täter aber nicht überführt werden, denn die Brüder halten dicht, weil sie sich viel zu nahe stehen, um umzufallen, wie der Kommissar relativ schnell abschliessend festhält: "Sie haben ein perfektes Verbrechen hingekriegt." Die letzte Szene zeigt Logan und Luke in ihren Zellen, nun mit ähnlichem Haarschnitt und ähnlicher Kleidung, wie sie je auf ihrer Seite der gemeinsamen Zellenwand ihre Hände übereinander legen.
Kommentar: "Law & Order" ist um Klassen besser als der "Niedrig und Kuhnt"-Rip Off, sowohl von der Story wie auch von der Produktion her, aber auch, was die Darstellung der Opfer des "Zwillingsexperiments" betrifft. Zur Frage ihrer möglichen Funktion als (schluck!) Rollenvorbilder bringt's Emi Koyama von IDPX in den Abschlussätzen ihrer >>> englischen Besprechung der Sendung gut auf den Punkt, so dass ich sie hier auf Deutsch wiedergeben und der verräterisch panischen Reaktion der "Sektion Schwerbehinderung" des "Bundesverbandes Intersexuelle Menschen e.V." gegenüberstellen möchte:
Wir von der Intersex Initiative rächen uns auf unsere Art am Unrecht, das uns und unseren Freund_innen angetan wurde, nämlich durch unseren Aktivismus (also macht auch mit!). Trotzdem, Ärzte passt auf: Obwohl wir Gewalt nicht als Lösung befürworten, sind Logan und Luke nicht die einzigen, die schon den Drang verspürten, ihren Ärzten körperlichen Schaden zuzufügen.
Siehe auch:
- Stockholm under Water
- "Vom Nutzen unseres Ärgers" (Von der Frauenbewegung lernen)
- Warum nicht alle Bio-Zwitter gleich nicht-privilegiert sind