Protest und Übergabe des Offenen Briefes an die Universitätskinderklinik Leipzig, 21.09.2012
Prof. Dr. Wieland Kiess verbrachte seine gesamte pädiatrische Karriere in Institutionen, die Intersex-Genitalverstümmelungen und andere medizinisch nicht notwendige Eingriffe an Kindern mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen propagieren und durchführen:
Ausbildung u.a. in Tübingen, Oberarzt Universitäts-Kinderklinik München, Oberarzt und stellvertretender Abteilungsleiter Universitäts-Kinderklinik Justus Liebig Universität Gießen, Direktor der Universitäts-Kinderklinik Leipzig, Professor für Allgemeine Pädiatrie und Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, Mitglied "Netzwerk Intersexualität/DSD", Mitglied Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ), Mitglied Deutsche Gesellschaft für das Neugeborenenscreening (DGNS), Mitglied Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Präsident der Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie (ESPE), Tagungspräsident beim GenitalabschneiderInnenkongress "ESPE 2012", usw. usf.
Auch aktuell ist Prof. Dr. Wieland Kiess im Genitalabschneider-Business weiterhin an vorderster Front mit dabei:
- 2013 propagieren z.B. DGKJ und DGE unverändert kosmetische "Klitorisreduktionen im ersten Lebensjahr".
- Prof. Dr. Wieland Kiess' Universitäts-Kinderklinik Leipzig bietet auch 2013 unverändert kosmetische "Genitalkorrekturen" online an u.a. bei "Hypospadie", "AGS/CAH" und "Hodenhochstand" (Quellen vgl. Offener Brief Uni-Kinderklinik Leipzig 2012).
- Kiess' Medizinische Fakultät Leipzig propagierte und praktizierte bis in die 1980er Jahre kosmetische Klitorisamputationen und lehrt unverdrossen auch im 21. Jahrhundert weiterhin kosmetische "Genitalkorrekturen" (Quellen vgl. Offener Brief Uni-Kinderklinik Leipzig 2012).
- Ebenso propagiert der von Kiess präsidierte GenitalabschneiderInnenkongress "ESPE 2012" kosmetische Eingifffe an betroffenen Kindern, verherrlicht weiterhin unreflektiert hauptverantwortliche TäterInnen, z.B. durch die völlig unkritische Vergabe des jährlichen "Andrea Prader Prize", und verweigert sich jeglicher historischen Aufarbeitung (vgl. Offener Brief an "ESPE 2012").
Trotzdem (oder eher deshalb?) leugnet Prof. Dr. Kiess in der Öffentlichkeit gern die täglichen Genitalverstümmelungen, wäscht seine Hände in Unschuld, und tut so, als wäre das alles längst "Vergangenheit" und höchstens lange vor seiner Zeit passiert.
Andererseits schiebt Kiess Punkt für Punkt nach der "VerstümmlerInnen-Argumentationsfibel" (vgl. auch Dagmar L'Allemand-Jander) gern der "intoleranten Gesellschaft" die Schuld in die Schuhe und fordert statt dem sofortigen Ende kosmetischer Genitaloperationen an Kindern lieber ein "drittes Geschlecht" und "Unisex-Klos".
Aktuelles Beispiel: Prof. Dr. Wieland Kiess' Vortrag an der Leipziger Buchmesse-Akademie bzw. die verstümmlerInnenfreundliche >>> Ankündigung dazu in der Leipziger Volkszeitung von Dominique Bielmeier [inzwischen offline].
Darin darf Prof. Kiess gänzlich unhinterfragt nach Lust und Laune verharmlosen, herunterspielen und mit Desinformationen um sich werfen:
Dies beginnt nach bekanntem Schema schon im 1. Abschnitt nach dem Lead u.a. mit der altbekannten "Intersex"-Statistiklüge, bei der MedizynerInnen um den Faktor 10 verkleinerte Zahlen angeben, u.a. durch Unterschlagung der häufigsten "Genitalkorrektur"-Diagnose "Hypospadie", und unter gleichzeitger Betonung der "Geschlechterfrage", so auch bei Kiess:
In Deutschland wird von 10.000 Kindern jährlich eines geboren, das Merkmale beider Geschlechter aufweist: bei Mädchen eine verlängerte Klitoris, die aussieht wie ein kleiner Penis, oder Eierstöcke bei Jungen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die häufigste Form eines „Zwischengeschlechts“ ist die Vermännlichung von Mädchen als Folge des Adrenogenitalen Syndroms, einer Nebennieren-Erkrankung. Männer mit Androgenrezeptordefekt entwickeln sich körperlich zu Frauen, denen sowohl Achsel- als auch Schambehaarung fehlt.
(Noch nicht einmal die aktuelle Nomenklatur "DSD = Disorders of Sex Development" wird korrekt wiedergegeben, die Leipziger Volkszeitung schreibt sattdessen von "disorders of sex differentitation" [sic!].)
Als nächstes wird unbelegt behauptet, heute wäre ja alles gut und menschenrechtskonform, wobei wiederum der für die Betroffenen zentrale Aspekt der körperlichen Unversehrtheit ausgeblendet und stattdessen auf die Medizyner-Betrachtungsweise vom "falschen und richtigen Geschlecht" rekurriert wird:
Mit den neuen Begriffen geht auch eine Sensibilisierung im Umgang mit den Betroffenen einher. Wenn früher ein Kind mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde, entschieden die Ärzte in den meisten Fällen, dass eine Operation zum vermeintlich „richtigen“ Geschlecht nötig sei. [...]
Der Umgang mit Menschen, die eine gestörte Geschlechtsentwicklung haben, hat sich heute grundlegend geändert. Überstürzte Geschlechtsanpassungen gibt es nicht mehr. Zum Glück, findet Kiess. „Mein Ziel ist es, Eltern so aufzuklären, dass sie fast genauso Bescheid wissen wie wir Ärzte.“ Heute wird nur in Ausnahmefällen – wenn durch die gestörte Entwicklung die Gesundheit des Kindes gefährdet wäre – operiert. Ansonsten kann der Betroffene später selbst entscheiden, ob er als Mann oder Frau leben und sein Geschlecht eventuell durch eine Operation angleichen möchte.
Zu diesem "Persilschein" nach dem Motto "Früher war's vielleicht schlimm, aber heute ist alles im grünen Bereich" gehört selbstredend auch die (scheinbare) Kritik der "Vergangenheit", bei Kiess wiederum unter Betonung des "falschen bzw. richtigen Geschlechts":
„Das war wirklich gnadenlos“, sagt Kiess. „Gerade bei kleinen Mädchen, die eine Störung der Nebennierenrinde und dadurch eine relativ große Klitoris hatten, wurde diese oft einfach verkleinert – mit dem Effekt, dass man Nerven zerstört und das ganze spätere Sexualleben ruiniert hat.“ Betroffene solcher Operationen litten später häufig darunter, sich im falschen Körper gefangen zu fühlen – auch wenn sich ihre Anatomie mit dem Chromosomensatz von XX für Frauen oder XY für Männer deckte.
(Dass gerade Leipzig eine Hochburg nicht nur von sog. "Klitorisreduktionen", sondern auch von Klitorisamputationen und "Klitorisauskernungen" a.k.a. Klitorisexstirpationen war, die in Leipzig bis mindestens in die 1980er-Jahre propagiert und praktiziert wurden, verschweigt Prof. Dr. Wieland Kiess aus nahe liegenden Gründen, und ist auch der Leipziger Vorlkszeitung keine Nachfrage wert ... Ebenso, dass "Klitorisreduktionen" und "Hypospadiekorrekturen" usw. heute noch auf der Kinderklinik-Homepage angeboten werden, vgl. Offener Brief 2012).
Nicht fehlen darf nach dem ungeschriebenen Gesetz der GenitalabschneiderInnenlogik der Rückgriff auf die angeblich fortschrittliche, tatsächlich aber verstümmlerInnenfreundliche Stellungnahme des Deutschen Ethikrates (die deshalb auch von allen Betroffenenorganisationen kritisiert wird). Prof. Kiess:
Am 23. Februar 2012 veröffentlichte der von der Bundesregierung beauftragte Deutsche Ethikrat eine „Stellungnahme zu Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“. Ziel war es, die Situation von Menschen mit DSD aufzuzeigen. Erstmals kamen Betroffene zu Wort. Ihre Aussagen zeigten, dass die frühere medizinische Behandlung zum Teil erhebliches Leid geschaffen hatte. [...] Der Ethikrat gab auch eine Reihe von Empfehlungen heraus, die die Behandlung von Menschen mit DSD verbessern sollen. Dazu zählen der Aufbau interdisziplinärer Kompetenzzentren und bessere psychosoziale Betreuung.
(Tatsächlich waren Betroffene von frühkindlichen kosmetischen Genitaloperationen in allen Anhörungen des Ethikrates überproportional krass untervertreten und wurden aus dem Ethikrat-Online-"Diskurs" gar herausgemobbt und wegzensiert.)
Prof. Kiess nächster Punkt ist dann folgerichtig die erneute Hervorhebung der "Identitätsschiene" in Verbindung mit der angeblich "intoleranten Gesellschaft" und der Behauptung, was es brauche, sei nicht (wie von den Betroffenen gefordert) ein Verbot der Genitalverstümmelungen, sondern utopische Personenstandspolitik, plus die üblichen Vermischungen mit "Homo, Trans-, Bi- und Was-auch-immer-Sexualität":
Kiess und seine Kollegen fanden im Rahmen einer deutschlandweiten Studie unter Leitung der Lübecker Kinderklinik außerdem heraus, dass viele Betroffene unter Identitätsproblemen leiden. [...]
Professor Kiess sucht gesellschaftliche Akzeptanz für das dritte Geschlecht
In der Gesellschaft fehlt es dennoch weitgehend an Akzeptanz für die Bedürfnisse von Menschen mit DSD. Gemeinsame Toiletten für beide Geschlechter, wie es sie in Frankreich und England häufig gibt, fehlen in Deutschland. Der Beschluss des Berliner Bezirks Kreuzberg-Friedrichshain, Unisex-Toiletten einzuführen – ein Vorschlag der Piratenpartei – ist für Kiess ein erster Vorstoß für mehr Akzeptanz von DSD-Betroffenen.
In den USA dagegen ist man in Geschlechterfragen schon weiter als hierzulande: „Dort gibt es drei Geschlechter, die gesetzlich festgelegt sind: ,male', ,female' und ,other'“, erklärt Kiess. Personen mit gestörter Geschlechtsentwicklung müssen sich beispielsweise bei Formularen nicht mehr auf „männlich“ oder „weiblich“ festlegen.
Dass das Thema DSD gesellschaftlich bekannter und akzeptierter wird, ist dem Mediziner wichtig. Dazu will er seinen Vortrag zum "dritten Geschlecht" bei der Buchmesse-Akademie nutzen. Zusammen mit Charlotte Schubert, Professorin für Alte Geschichte, beleuchtet er das „Zwischengeschlecht“ aus medizinischer und historischer Sicht gleichermaßen. Auch Bi- und Transsexualität werden thematisiert.
(Tatsächlich gibt es auch in den USA nach wie vor 2 Geschlechter im Ausweis, offensichtlich velwechsern da Wieland Kiess und Volkszeitungs-Schreiberin Dominique Bielmeier die USA mit Australien – Intersex-Genitalverstümmelungen sind übrigens da wie dort ebenfalls immer noch an der Tagesordnung ... Betreffend der von Kiess flugs instrumentalisierten Unisex-Klos: Lena Rohrbach, die Urheberin des entsprechenden Antrags, hielt dazu z.B. in der taz immerhin fest: "Das Fehlen von Unisextoiletten sei nicht das größte Problem für Intersexuelle, meint Rohrbach, die Geschlechtsoperationen im Kindesalter seien der viel größere Skandal.")
Bezeichnend: Die erste und wichtigste Forderung der Betroffenen seit 20 Jahren, nämlich ein gesetzliches Verbot der Genitalverstümmelungen und Bestrafung der TäterInnen, unterschlägt Prof. Kiess dagegen rundheraus – warum wohl? Und die Leipziger Volkszeitung stellt auch hierzu einmal mehr keinerlei Rückfragen ...
Meine 2 Cent:
Offensichtlich spürt auch Prof. Dr. Wieland Kiess in Leipzig den Gegenwind durch die anhaltende öffentliche Kritik an kosmetischen Genitaloperationen an "atypischen" Kindern (für Leipig vgl. z.B. Interview im "Kreuzer" 11/2012 und Beitrag auf "Radio Mephisto" 25.09.2012, inkl. verräterischem O-Ton aus der Uni-Kinderklinik), und versucht sich nun seinerseits mit "Schadensbegrenzungs-PR".
Schliesslich steht für die VerstümmlerInnen und ihre Kliniken einiges auf dem Spiel: Nicht nur verdienen sie an den anhaltenden Verstümmelungen ganz ordenlich (z.B. die Kliniken € 8175,12 Reingewinn pro "Plastische Rekonstruktion der Vulva" bei "AGS/CAH"), sondern haben offensichtlich (und zu Recht!) Schiss vor den Schadenersatzklagen, die früher oder später auf sie zukommen werden (dass Christiane Völling lediglich € 100'000.-- Schmerzensgeld erhielt, war bekanntlich bloss, weil sie kein Geld hatte für eine höhere Klage, ansonsten hätte sie wohl € 250'000.-- oder mehr Schmerzengeld gekriegt).
Dass dabei die Leipziger Volkszeitung "aus wirtschaftlichen Gründen" für die GenitalabschneiderInnen unkritisch Steigbügelhalter spielt, hat mittlerweile Tradition: Schon bei den Intersex-Protesten in Leipzig im Herbst 2012 wurde nach einem ersten kritischen Artikel und einem geplanten 2. der betreffende Journalist (und wohl auch seine Vorgesetzten) von Messeveranstaltung (und wohl auch Klinik) erfolgreich unter Druck gesetzt; stattdessen erschien in der Volkszeitung bald darauf ein Artikel, wie viel Geld die beiden VerstümmlerInnen-Kongresse nach Leipzig brachten …
(Danke an Das Ende des Sex für Hinweis und solidarischen Kommentar: "Intergeschlechtlichkeit (Intersexualität): Glatte Fehlinformationen von einem Arzt im Rahmen der Leipziger Buchmesse".)
>>> "Intersex"-Chronologie Deutscher Ethikrat 2008-2013
>>> "Verstümmeln ist OK, wenn's nicht um Geschlechtsindentität geht"
Intersex-Vereinnahmungs-1-0-1 mit Dr. Michael Wunder (Ethikrat)
>>> Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken – eine Genealogie der Täter
>>> UN-Sonderberichterstatter über Folter verurteilt "genitale Zwangsoperationen"
GenitalabschneiderInnen, wir kriegen euch! ZwangsoperateurInnen, passt bloss auf!